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1) Die Beschwerde der Arbeitgeberin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Arnsberg vom 24.03.2015 – 2 BV 10/14 O – wird zurückgewiesen.
2) Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
2A.
3Die Beteiligten streiten um die Ersetzung der Zustimmung zu einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Beteiligten zu 3. als Mitglied des Betriebsrates.
4Antragstellerin des vorliegenden Beschlussverfahrens ist die Arbeitgeberin, die in C ein Krankenhaus betreibt (im Folgenden: Arbeitgeberin). Antragsgegner ist der bei der Arbeitgeberin gewählte Betriebsrat (Beteiligter zu 2.; im Folgenden: Betriebsrat), dessen Mitglied der seit dem 01.10.1990 als Anästhesie-Pfleger beschäftigte Beteiligte zu 3. ist. Bis vor einiger Zeit war er Leitende Pflegekraft in der Anästhesie; hiervon ist er indessen von der Arbeitgeberin wieder entbunden worden. Der monatliche Verdienst des Beteiligten zu 3. liegt bei etwa 4.500,-- € brutto.
5Die Tätigkeit eines Anästhesie-Pflegers spielt sich im Wesentlichen in der Zusammenarbeit mit anderen Pflegern sowie den Anästhesisten, also den Narkoseärzten, im Vorfeld und während der Durchführung von Operationen ab.
6Eine Arbeitsaufgabe des Beteiligten zu 3. besteht im Vorfeld einer Operation darin, die Narkose zusammen mit einem Narkosearzt einzuleiten. Diese Handhabung – in Gegenwart eines Narkosearztes bei Einleitung der Narkose – besteht zumindest seit dem Jahre 2002; eine schriftliche Arbeitsanweisung hierzu existiert nicht. Hintergrund dieser Vorgehensweise ist, dass die zur Einleitung der Narkose verabreichtenBetäubungsmittel zu einem Atemstillstand des Patienten führen, weshalb sicherzustellen ist, dass vor und während der Injektion dieser Narkotika der Patient ausreichend beatmet wird. Zum Ausschluss der Gefährdung eines Patienten ist es daher geboten, dass die Einleitung der Narkose durch zwei fachlich geschulte Personen, von denen einer ein Anästhesiearzt zu sein hat, durchzuführen ist. Die gleichzeitige Beatmung eines Patienten während der Injektion der Betäubungsmittel ist durch eine Person nicht möglich.
7Vor Beginn der Operation ist auch eine sogenannte Sicherheits-Checkliste OP zu erstellen, die nach dem Vorbringen der Arbeitgeberin vollständig von ärztlichem Personal auszufüllen und auch zu unterschreiben ist. Hierzu besteht eine Anweisung, die ausdrücklich „das Abarbeiten des blauen Teils der Checkliste durch den Anästhesisten“ vorsieht. In dieser Checkliste findet sich dann auch ein Vermerk, dass eine Freigabe zur OP durch den Anästhesisten erfolgt.
8Am 23.10.2014 war der Beteiligte zu 3. am Morgen zum Dienst eingeteilt. Gegen 13.30 Uhr war für diesen Tag eine Betriebsratssitzung anberaumt. Die Diensteinteilung für den Beteiligten zu 3. am 23.10.2014 sah eine Zuweisung für den Operationssaal 1 vor. Die Anästhesie-Pfleger sind an einen Operationssaal gebunden, während die Narkoseärzte zum Teil wechseln. Am 23.10.2014 stand planmäßig u.a. eine Operation einer Patientin im Operationssaal 1 an. Wegen einer dringenden zusätzlichen Operation wurden einige Änderungen in der Ablauforganisation vorgenommen, wodurch hinsichtlich der vorbeschriebenen Operationen eine Wartezeit eintrat. Außerdem fand ein Wechsel der ursprünglich zugeordneten Narkoseärzte statt.
9Der Beteiligte zu 3. wartete die Anwesenheit eines Anästhesiearztes nicht ab, sondern schleuste die Patientin, legte einen erforderlichen Zugang und fragte dieSicherheitscheckliste ab. Anschließend injizierte er das Narkosemittel.
10Einzelheiten dazu, warum der Beteiligte zu 3. die von ihm durchgeführte Vorgehensweise wählte, sind zwischen den Beteiligten streitig.
11Jedenfalls kam die Narkoseärztin spätestens nach Beginn der Operation in den Operationssaal; sie unterzeichnete auch die Sicherheits-Checkliste OP. Zu irgendwelchen Komplikationen durch die Narkose kam es bei der Patientin nicht.
12Am 27.10.2014 sprach der Pflegedienstleiter den Beteiligten zu 3. auf den Vorgang vom 23.10.2014 in Anwesenheit des Chefarztes der Anästhesie an. Nach Vorbringen der Arbeitgeberin habe der Beteiligte zu 3. jedenfalls kein Wort darüber verloren, dass bei der Patientin ein irgendwie gearteter Notfall vorgelegen habe.
13Mit Schreiben vom 29.10.2014 an den Betriebsrat bat die Arbeitgeberin um Zustimmung zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Beteiligten zu 3.. Sie begründete ihre Absicht mit dem Geschehen am 23.10.2014, worin sie einen schweren Verstoß gegen Sicherheitsanweisungen im Zusammenhang mit der Einleitung einer Narkose sah und deswegen einen gravierenden Verstoß gegen arbeitsvertragliche Pflichten annahm, der auch ohne Abmahnung nach ihrer Auffassung eine außerordentliche Kündigung rechtfertige. Wegen der Einzelheiten dieses Schreibens, welches der Betriebsrat am 29.10.2014 erhalten hat, wird auf die Kopie Bl. 12 und 13 d.A. Bezug genommen. Nachdem der Betriebsrat hierzu keine Äußerung abgegeben hat, hat die Arbeitgeberin eingehend vorab per Telefax beim Arbeitsgericht Arnsberg am 04.11.2014 den vorliegenden Antrag auf Ersetzung der Zustimmung desBetriebsrates zur außerordentlichen Kündigung des Beteiligten zu 3. gestellt.
14Sie hat vorgetragen:
15Am Vormittag des 23.10.2014 sei es zwar zu einer Verzögerung bei der Durchführung der geplanten Operationen gekommen, was indessen nicht ungewöhnlich sei und keinesfalls – wie der Beteiligte zu 3. meint – als „turbulent“ beschrieben werden könne. Irgendeinen Grund für das eigenmächtige Verhalten des Beteiligte zu 3. bei Einleitung der Narkose sei nicht erkennbar; insbesondere habe er bei der Befragung am 27.10.2014 auch nur angegeben, dass er gesehen habe, wie eine andere Patientin aus dem Operationssaal hinausgeschoben worden und er deshalb davon ausgegangen sei, er könne nun die Narkose einleiten. Insbesondere habe sich der Beteiligte zu 3. nicht auf irgendeinen Notfall berufen, den es auch nicht gegeben habe. Der hierzu vom Betriebsrat und Beteiligten zu 3. erst im vorliegenden Beschlussverfahren gehaltene Vortrag werde ausdrücklich bestritten. Insbesondere sei der Beteiligte zu 3. gehalten gewesen, in einem Notfall den sogenannten Notfallknopf zu drücken, was eine Anwesenheit eines Arztes in kürzester Zeit bewirkt hätte.
16Damit habe der Beteiligte zu 3. bewusst gegen grundlegende Sicherheitsstandards wie folgt verstoßen:
17- er habe die Sicherheits-Checkliste OP eigenmächtig ausgefüllt und nicht dafür Sorge getragen, dass diese vor Einleitung der Narkose vom Arzt überprüft und gegengezeichnet worden sei,
18- er habe eigenmächtig alleine – ohne Facharzt – die Narkose eingeleitet,
19- durch die fehlende Anwesenheit des Narkosearztes sei eine prophylaktische Anreicherung der Patientin mit Sauerstoff vor Einleitung der Narkose nicht möglich gewesen, weshalb die Dauer, die ein Patient ohne Spontanatmung auskommen könne, nicht deutlich habe verlängert werden können,
20- er habe die sogenannte Larynx-Maske selbstständig angelegt,
21- er habe die Narkose mit IPPV (Beatmung mit Beatmungsgerät) mit einem „Peep“ (Druck in den Atemwegen) von 5 eingestellt, wodurch die Gefahr u.a. einer Magenruptur bestanden habe.
22Eine Abmahnung sei insoweit entbehrlich gewesen, da der Beteiligte zu 3. vorsätzlich gegen wesentliche Sicherheitsstandards, die zum einen zum Schutz von Leben und Gesundheit der Patienten und zum anderen auch zum Schutz vor wirtschaftlichen Schäden der Arbeitgeberin bestehen und zu beachten sind, verstoßen. Aufgrund der langen beruflichen Erfahrung habe der Beteiligte zu 3. gewusst, dass die Arbeitgeberin dieses Verhalten nicht hinnehmen werde. Die Arbeitgeberin gehedavon aus, dass er befürchtet habe, durch die Verzögerungen am Operationstag nicht rechtzeitig zur Betriebsratssitzung zu gelangen, weshalb er allein aus diesem Interesse Leben und Gesundheit der anvertrauten Patientin gefährdet habe.
23Dem Beteiligten zu 3. entlaste auch nicht die spätere Anwesenheit der Narkoseärztin. Diese habe die Patientin bei ihrem Eintreffen bereits im narkotisierten Zustand angetroffen und sich nichts dabei gedacht, da sie davon ausgegangen sei, dass der Chefarzt der Anästhesie die Narkose eingeleitet habe. Hierfür spreche auch einGedächtnisprotokoll des Operateurs, des anwesenden Oberarztes, welches dieser am 20.01.2015 angefertigt habe. Hierin bekundet der Oberarzt, dass der Beteiligte zu 3. sich nach Verzögerung der Operation allein im OP-Saal eingefunden habe und sinngemäß geäußert habe, die Operationseinleitung werde noch eine Weile dauern und er werde sich getrost schon einmal um die Narkose kümmern. In diesem Moment habe sich der Oberarzt keinen Gedanken darüber gemacht, dass die Anweisung bestehe, ein Narkosepfleger dürfe Narkosen nicht mehr alleine einleiten, da er sich auf seine eigene Arbeit konzentriert habe. Auch dieses Gedächtnisprotokoll belege, dass es dem Beteiligten zu 3. allein um einen „Zeitgewinn“ gegangen sei.
24Aus diesem Grunde, so hat die Arbeitgeberin beantragt, sei die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Beteiligten zu 3. zu ersetzen.
25Der Betriebsrat und der Beteiligte zu 3. sind diesem Antrag entgegengetreten und haben behauptet, am 23.10.2014 habe der Chefarzt der Anästhesie dem Beteiligten zu 3. die Anweisung gegeben, der Patientin eine zusätzliche Dosis des Medikaments „Dormicum“ zu verabreichen. Hierdurch sei es – so der ursprüngliche Vortrag – zu einer Hyperventilation der Patientin bzw. – so der spätere Vortrag – zu einer Atemdepression der Patientin gekommen. Alleinige und sinnvolle Reaktionsmöglichkeit sei gewesen, die Narkose sofort einzuleiten. Nachdem ein Ruf nach der Narkoseärztin ohne Erfolg geblieben sei, habe er sofort handeln müssen. Den Notfallschalter habe er nicht betätigt, da es erfahrungsgemäß zu lange gedauert hätte, bis ein Arzt gekommen wäre. Die Sicherheits-Checkliste OP habe er nicht unterschrieben; dies sei – insoweit unstreitig – durch die Narkoseärztin erfolgt, nachdem diese die Checkliste überprüft habe.
26Ebenso sei es unzutreffend, dass er nach der Operation nicht von einem Notfall gesprochen habe; vielmehr habe er die Notfallsituation geschildert.
27Selbst wenn sich der Beteiligte zu 3. vertragswidrig verhalten haben sollte, so sei eine Abmahnung nicht entbehrlich. Er sei ein erfahrener Anästhesie-Pfleger, der aufgrund der bis zum Jahre 2002 gehandhabten Praxis bis dahin auch selbstständig Narkosen eingeleitet habe.
28Im Übrigen habe der Beteiligte zu 3. – insoweit unstreitig – im Jahre 2012 nachts selbstständig eine Narkose eingeleitet, nachdem er zu einem Notkaiserschnitt gerufen worden sei. Eine solche Situation komme – anders der Vortrag der Arbeitgeberin – durchaus öfter vor.
29Durch Beschluss vom 24.03.2015, den Vertretern der Arbeitgeberin am 01.04.2015 zugestellt, hat das Arbeitsgericht Arnsberg den Antrag im Wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, dass jedenfalls aufgrund der langjährigen Betriebszugehörigkeit des Beteiligten zu 3. im Rahmen der Interessenabwägung festzustellen sei, dass eine Abmahnung in Betracht komme.
30Wegen der Einzelheiten der angegriffenen Entscheidung wird auf Bl. 78 ff. d.A. Bezug genommen.
31Hiergegen wendet sich die Arbeitgeberin mit der vorliegenden, beim Landesarbeitsgericht am 10.04.2015 eingegangenen und zugleich begründeten Beschwerde.
32Sie trägt vor:
33Das Arbeitsgericht wäre zu dem Ergebnis gekommen, dass durchaus ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung des Beteiligten zu 3. vorliegen würde, hätte es den von der Arbeitgeberin unterbreiteten Sachverhalt hinreichend konkret aufgeklärt. Das Gericht habe sich nämlich nicht mit den einzelnen vorgetragenen Verstößen gegen Sicherheitsvorschriften auseinandergesetzt, die jedenfalls in ihrer Addition die Schwere einer Pflichtverletzung ausmachen würden, bei der eine Abmahnung nicht mehr erforderlich sei. Auch das Ausmaß der Gefährdung eines Patienten sei nicht hinreichend gewürdigt worden. Wenn es sich auch bei der Einleitung der Narkose um einen Standardvorgang handele, so seien die von der Arbeitgeberin vorgegebenen Sicherheitsanweisungen strikt zu beachten, wie bereits erstinstanzlich vorgetragen sei. Erst nach Einleitung der Narkose könne die Überwachung eines Patienten einen erfahrenen Narkosepfleger in bestimmten Phasen übertragen werden. Dies gelte jedoch keinesfalls für die Einleitung der Narkose.
34Im Übrigen habe die Arbeitgeberin darauf hingewiesen, dass die Bedeutung derSicherheitsvorschriften dem Beteiligten zu 3. bewusst gewesen sei. Die Einhaltung der beschriebenen Sicherheitsstandards sei bereits Gegenstand der Fachqualifizierung zum Anästhesie-Pfleger; soweit Betriebsrat und Beteiligter zu 3. darauf hinweisen, diese Anweisungen gebe es nicht in schriftlicher Form, so sei dies absurd.
35Hätte das Gericht all diese Umstände in die Interessenabwägung einfließen lassen, so hätte die Interessenabwägung nicht zugunsten des Beteiligten zu 3. ausgehen können. Zu bedenken sei auch der drohende Imageverlust der Arbeitgeberin, wenn ein solcher Vorfall bekannt würde. Es käme zu einem erheblichen Vertrauensverlust in das medizinische Personal der Arbeitgeberin. Schon von daher ist es ihr nicht zuzumuten, den Beteiligten zu 3. als Krankenpfleger noch länger zu beschäftigen.
36Mit Schriftsatz vom 08.06.2015, dem Betriebsrat und dem Beteiligten zu 3. unmittelbar am selben Tag per Telefax übermittelt und im Anhörungstermin vom 09.06.2015 übergeben, trägt die Arbeitgeberin darüber hinaus vor, dass sie erst jetzt durch ein eher zufälliges Gespräch habe ermitteln können, dass auch vor dem Jahre 2002 die Einleitung einer Narkose immer in Anwesenheit eines Anästhesisten erfolgt sei, weshalb ein anderer Standard im Hause der Arbeitgeberin auch bis 2002 nicht angenommen werden könne.
37Die Arbeitgeberin beantragt,
381. den Beschluss des Arbeitsgerichts Arnsberg AZ.: 2 BV 10/14 O vom 24.03.2015 abzuändern und
2. die Zustimmung des Betriebsrates zur außerordentlichen Kündigung des Beteiligten zu 3. zu ersetzen.
Betriebsrat und Beteiligter zu 3. beantragen,
42die Beschwerde zurückzuweisen.
43Sie verteidigen die angegriffene Entscheidung als zutreffend und meinen insbesondere, dass das Arbeitsgericht auch im Rahmen des Amtsermittlungsgrundsatzes nicht gehalten gewesen sei, Gründe zu suchen, die eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen; dies müsse die Arbeitgeberin schon selbst tun. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass das Gericht solche Gründe nicht habe verwerten dürfen, zudenen der Betriebsrat im Rahmen des Antrages auf Erteilung der Zustimmung nicht angehört worden sei.
44Soweit die Arbeitgeberin eine Gefährdung der Patientin vorgetragen habe, sei dies mit keinem Wort begründet worden und werde ausdrücklich bestritten. Eine schriftliche Anweisung sei dem Beteiligten zu 3. hinsichtlich der genannten Sicherheitsvorschriften nicht bekannt. Auch kenne er keine mündliche Anweisung. Nach Erkenntnis des Beteiligten zu 3. handele es sich um Anregungen, die der Risikominimierung dienen.
45Ansonsten sei die Argumentation in der angegriffenen Entscheidung zur Interessenabwägung nicht zu beanstanden.
46Wegen der weiteren Einzelheiten im Vorbringen der Beteiligten wird ergänzend auf die zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Terminsprotokolle Bezug genommen.
47B
48I. Die Beschwerde der Arbeitgeberin ist zulässig, insbesondere statthaft gemäß § 87 Abs. 1 ArbGG und form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden gemäß § 87 Abs. 2 i.V.m. § 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 520 ZPO.
49II. Die Beschwerde der Arbeitgeberin ist nicht begründet, da das Arbeitsgericht zu Recht die verweigerte Zustimmung des Betriebsrates zur außerordentlichen Kündigung des Beteiligten zu 3. nicht ersetzt und demzufolge den Antrag abgewiesen hat.
501. Der Antrag der Arbeitgeberin ist zulässig.
51a. Die Arbeitgeberin verfolgt ihr Begehren zu Recht im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren gemäß § 2 a Abs. 1 Nr. 1 ArbGG, da es sich bei der Ersetzung der Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung eines Betriebsratsmitglieds im Sinne des § 103 Abs. 2 BetrVG um eine Angelegenheit aus eben diesem Gesetz handelt. Im Übrigen gehörte der Beteiligte zu 3. dem Betriebsrat an, als die Arbeitgeberin um Zustimmung zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung bat. Die grundlegenden Voraussetzungen des § 103 Abs. 1 BetrVG, außerordentliche Kündigung einesBetriebsratsmitglieds, sind von daher erfüllt.
52b. Neben der Arbeitgeberin und dem Betriebsrat ist der Beteiligte zu 3. gemäß § 103 Abs. 2 Satz 2 BetrVG am Verfahren zu beteiligen.
532. Der Antrag der Arbeitgeberin ist indessen nicht begründet.
54a. Nach § 103 Abs. 2 Satz 1 BetrVG i.V.m. § 15 Abs. 1 KSchG kann die Arbeitgeberin eine vom Betriebsrat nicht erteilte Zustimmung zu einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung durch das Arbeitsgericht ersetzen lassen, wenn die außerordentliche Kündigung unter Berücksichtigung aller Umstände gerechtfertigt ist. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, dem die Beschwerdekammer folgt, setzt das einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB voraus (vgl. BAG, Beschluss vom 23.04.2008, 2 ABR 71/07 und BAG, Beschluss vom 16.12.2004, 2 ABR 7/04 zu II.1. der Gründe m.w.N.).
55Danach müssen Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigungen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu einer vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Hierbei ist allerdings zu bedenken, dass einem Betriebsratsmitglied nach § 15 KSchG i.V.m. § 626 BGB nur dann außerordentlich gekündigt werden kann, wenn die Arbeitgeberin ohne den Sonderkündigungsschutz dessen Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der dann einschlägigen ordentlichen Kündigungsfrist unzumutbar wäre. Andernfalls läge eine nach § 78 Abs. 2 BetrVG unzulässige Benachteiligung von Betriebsratsmitgliedern wegen ihrer Betriebsratstätigkeit vor (BAG, Urteil vom 10.02.1999, 2 AZR 31/98 und Urteil vom 27.09.2001, 2 AZR 487/00).
56Nach Rechtsprechung und Rechtslehre kommt danach eine außerordentliche Kündigung in Betracht, wenn alle anderen, nach den jeweiligen Umständen möglichen und milderen Mittel (z.B. Abmahnung, Versetzung, einvernehmliche Abänderung des Vertrages) erschöpft sind, das in der bisherigen Form nicht mehr haltbare Arbeitsverhältnis fortzusetzen. Die außerordentliche Kündigung ist nur zulässig, wenn sie die unausweichlich letzte Maßnahme (ultima ratio) für den Kündigungsberechtigten ist (st. Rspr., vgl. nur BAG, Urteil vom 30.05.1978, 2 AZR 630/76 zu II.b. der Gründe m. zahlreichen N.).
57Dabei hat die Prüfung des wichtigen Kündigungsgrundes in zwei systematisch zu trennenden Abschnitten zu erfolgen, nämlich zum einen, ob ein bestimmter Sachverhalt ohne die besonderen Umstände des Einzelfalles an sich geeignet ist, einen wichtigen Kündigungsgrund abzugeben, zum anderen, ob bei Berücksichtigung dieses Umstandes und der Interessenabwägung die konkrete Kündigung gerechtfertigt ist (so schon BAG, Urteil vom 24.03.1958, 2 AZR 567/55, AP Nr. 5 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung).
58Bei der Prüfung der Frage, ob „an sich“ ein Kündigungsgrund vorliegt, ist zu bedenken, dass eine Kündigung keine Sanktion für ein zurückliegendes Verhalten ist (BAG AP Nr. 25 zu § 1 KSchG 1969 verhaltensbedingte Kündigung), sodass es einen sogenannten absoluten Kündigungsgrund nicht gibt (BAG AP Nr. 80 zu § 626 BGB). Der Kündigungszweck ist stets zukunftsbezogen (BAG AP Nr. 3 zu § 1 KSchG 1969 Abmahnung).
59Im Individualprozess um eine außerordentliche Kündigung ist derjenige, der sie ausgesprochen hat, darlegungs- und beweisbelastet für alle Umstände, die als wichtige Gründe geeignet sein können. Der Kündigende muss also die Voraussetzungen für die Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung darlegen und beweisen (BAG, Urteil vom 24.11.1983, 2 AZR 327/82, AP Nr. 76 zu § 626 BGB m.w.N.). Im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren um die Ersetzung der Zustimmung zu einer außerordentlichen Kündigung im Sinne des § 103 Abs. 2 BetrVG ist hinsichtlich dieser anerkannten Darlegungs- und Beweislastregel zu bedenken, dass der gemäß § 83 Abs. 1 Satz 2 ArbGG zu beachtende Amtsermittlungsgrundsatz anzupassen ist, da die Pflicht zur Amtsermittlung vor dem gesetzgeberischen Hintergrund des § 78 Satz 2 BetrVG weder zu einer Bevorzugung noch zu einer Benachteiligung des Betriebsratsmitgliedes im Zustimmungsersetzungsverfahren führen darf. Demzufolge sind die oben genannten Grundsätze zur Beweislast auch im Beschlussverfahren zu beachten (so ausdrücklich LAG Düsseldorf, Beschluss vom 07.01.2004, 12 TaBV 69/03 bei juris).
60b. Ausgehend von diesen Grundsätzen gilt vorliegend folgendes:
61aa. Wegen des von der Arbeitgeberin erhobenen Vorwurfes einer bewussten und damit vorsätzlichen Missachtung der Anweisung bzw. der gesicherten Handhabung, eine Einleitung der Narkose nur in Anwesenheit eines Facharztes vorzunehmen, ist festzuhalten, dass es sich insbesondere auf der vom Beteiligten zu 3. selbst hervorgehobenen Qualifikation und der langjährigen Erfahrung um eine Vertragspflichtverletzung handelt, die – möglicherweise – „an sich“ geeignet ist, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Dabei weist die Beschwerdekammer ausdrücklich darauf hin, dass sie bei dieser Beurteilung den von der Arbeitgeberin vorgetragenen Sachverhalt in Gänze unterstellt, also nicht von einer Notfallsituation der Patientin ausgeht. Für letztgenannten Fall dürfte bereits aufgrund einer Rechtfertigungssituation zwar nach wie vor eine vertragliche Pflichtverletzung bestehen, diese allerdings aufgrund der Rechtfertigung nicht für eine außerordentliche Kündigung „an sich“ geeignet sein. Darüber hinaus geht die Beschwerdekammer davon aus, dass es die Anweisung, wie sie die Arbeitgeberin vorträgt, zur Einleitung der Narkose (also in Anwesenheit eines Facharztes) tatsächlich mindestens seit dem Jahre 2002 gegeben hat. Der hierzu vom Beteiligten zu 3. und vom Betriebsrat gehaltene Vortrag ist nämlich insoweit widersprüchlich, als dass der Beteiligte zu 3. zunächst im Schriftsatz vom 10.03.2015 auf Bl. 2 (Bl. 61 d.A.) vorgetragen hat, dass die Regeln für die Narkoseeinleitung ab 2002 geändert worden und die Gegenwart eines Narkosearztes eingeführt worden sei und es im Beschwerdeverfahren sodann heißt, den Beteiligten zu 3. sei eine entsprechende Einweisung nicht bekannt. Die Beschwerdekammer hat diesen Sachvortrag in der Form gewertet, als dass der Beteiligte zu 3. sich imBeschwerdeverfahren darauf zurückgezogen hat, dass lediglich eine schriftliche Anweisung nicht bekannt sei; im Übrigen hat die Arbeitgeberin – nachvollziehbar – im Termin zur Anhörung vor der Beschwerdekammer dazu geäußert, dass es sich bei der Narkoseeinleitung selbstverständlich um eine ärztliche Leistung handele, was nach Auffassung der Beschwerdekammer auch einem qualifizierten Anästhesie-Pfleger bekannt sein muss.
62bb. Die Beschwerdekammer geht indessen mit dem Arbeitsgericht in der angegriffenen Entscheidung davon aus, dass jedenfalls im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung aufgrund der Umstände des Einzelfalles eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB nicht unzumutbar ist. Dabei hat die Beschwerdekammer die angegriffene Entscheidung so verstanden, dass sie sich – anders als die Arbeitgeberin meint – sehr wohl mit sämtlichen, von der Arbeitgeberin vorgetragenen Pflichtverletzungen auseinandergesetzt hat. Zwar findet sich in der angegriffenen Entscheidung als vertragliche Pflichtverletzung nur der Hinweis auf die Einleitung der Narkose, allerdings handelt es sich hierbei um einen einheitlichen Lebenssachverhalt, der zwingend mit allen von der Arbeitgeberin beschriebenen und dargelegten Pflichtverletzungen „gefüllt“ ist.
631) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. bereits Urteil vom 28.01.2010, 2 AZR 1008/08 juris Rdnr. 26 und Urteil vom 10.11.2005, 2 AZR 623/04 juris Rdnr. 38) ist bei der Interessenabwägung das Gewicht und die Auswirkung einer Vertragspflichtverletzung im Hinblick auf einen möglichen Vertrauensverlust ebenso zu berücksichtigen, wie der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr und insbesondere die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Nur wenn der Arbeitgeberin sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind, kann eine außerordentliche Kündigung inBetracht kommen. Insbesondere eine Abmahnung stellt sich als alternativesGestaltungsmittel dar, wenn sie geeignet ist, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck, nämlich die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen zu erreichen (so ausdrücklich BAG, Urteil vom 10.06.2010, 2 AZR 541/09 juris Rdnr. 35). Insbesondere dann, wenn die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers liegt, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass ein zukünftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann (BAG aaO.).
642) Nach diesen Grundsätzen war eine Abmahnung nicht entbehrlich, selbst wenn man hierzu die Darlegung der Arbeitgeberin als zutreffend unterstellt. Denn dieBeschwerdekammer hatte davon auszugehen, dass der Beteiligte zu 3. zum Zeitpunkt des Antrages an den Betriebsrat am 23.04.2014 bereits nahezu 24 Jahre beanstandungsfrei bei der Arbeitgeberin seine Arbeitsleistung erbracht hat. Wenn auch die Arbeitgeberin hierzu vorgetragen hat, der Beteiligte zu 3. sei in der Vergangenheit von der Leitung des Funktionsbereiches im OP-Bereich entbunden worden, so mag dies zwar zwischen den Beteiligten nicht im Streit sein. Allerdings hat sich die Arbeitgeberin insoweit bedeckt gehalten, was der konkrete Hintergrund hierfür gewesen ist. Sie hat sich darauf beschränkt, darzulegen, dass verschiedene Eigenmächtigkeiten, die nicht vom Chefarzt der Anästhesie gedeckt gewesen seien, hierzu geführt hätten. Die Beschwerdekammer war insoweit nicht veranlasst, auch im Rahmen des – eingeschränkten, siehe oben – geltenden Amtsermittlungsgrundsatzes hier weiter nachzufragen, da das Arbeitsgericht die angegriffene Entscheidung ausdrücklich auf die lange Dauer des Arbeitsverhältnisses und das Erfordernis einer Abmahnung gestützt hat und es demzufolge im Beschwerdeverfahren auf der Hand gelegen hätte, aus Sicht der Arbeitgeberin dem „störungsfreien Verlauf“ des Arbeitsverhältnisses durch substantiierten und konkretisierten Tatsachenvortrag entgegenzutreten, vgl. § 83 Abs. 1 Satz 2 ArbGG.
65Insoweit verkennt die Beschwerdekammer auch nicht, dass die – nach dem Vortrag der Arbeitgeberin vorliegende – Vertragspflichtverletzung des Beteiligten zu 3. anders als beispielsweise in Produktionsbetrieben zu einer Gefährdung eines Menschen hätte führen können. Es ist zwar zutreffend, dass die Gewichtung eines vertraglichen Pflichtenverstoßes auch an der konkreten arbeitsvertraglichen Pflicht festgemacht werden muss, worauf die Arbeitgeberin zutreffend hinweist; eine grundsätzliche Abkehr von den Grundsätzen des Kündigungsrechts, insbesondere des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, rechtfertigt die Art der Vertragspflicht indessen nicht.
66In diesem Sinne ist nicht erkennbar, inwieweit eine Abmahnung oder möglicherweise ein anderes arbeitsrechtliches Instrumentarium - beispielsweise die Versetzung auf einen anderen Arbeitsplatz als „einfacher“ Krankenpfleger - nicht geeignet gewesen wäre, ein „eigenmächtiges“ Verhalten des Beteiligten zu 3. für die Zukunft auszuschließen.
67Damit verbleibt es dabei, dass jedenfalls im Rahmen der Interessenabwägung eine Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung des Beteiligten zu 3. im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB i.V.m. § 103 BetrVG nicht angenommen werden kann.
68Da nach alledem das Arbeitsgericht Arnsberg in der angegriffenen Entscheidung und damit im Ergebnis zu Recht die verweigerte Zustimmung des Betriebsrates zur Kündigung des Beteiligten zu 3. nicht ersetzt hat, konnte die Beschwerde der Arbeitgeberin keinen Erfolg haben.
69III. Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde im Sinne des § 92 Abs. 1 Satz 1 ArbGG i.V.m. § 72 Abs. 2 ArbGG lagen nicht vor.