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Auf die Beschwerde des Antragstellers Y wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Iserlohn vom 27.05.2014 – 2 BVGa 5/14 – abgeändert.
Der Arbeitgeberin wird aufgegeben, den Zutritt des Antragstellers Y in den Betrieb „In der L , xxxxx W“ zu dulden, damit dieser die ihm nach dem Betriebsverfassungsgesetz obliegenden Aufgaben als Betriebsratsmitglied wahrnehmen kann.
Gründe
2A.
3Die Beteiligten streiten im Rahmen eines Verfahrens auf Erlass einer einstweiligen Verfügung um das Recht des Antragstellers, den Betrieb der Arbeitgeberin zum Zwecke der Wahrnehmung von Aufgaben als Betriebsratsmitglied betreten zu können.
4Der am 19.06.1998 von der Arbeitgeberin eingestellte Antragsteller war Mitglied des im Jahre 2010 gewählten Betriebsrates, dessen Amtszeit nach vier Jahren am 07.04.2014 ablief.
5Am 12.03.2014 erließ der Wahlvorstand zur Wahl eines neuen Betriebsrates ein Wahlausschreiben (Bl. 52 f. d. A.), das am Folgetag am Schwarzen Brett vor dem Betriebsratsbüro ausgehängt wurde.
6Am 14.05.2014 erfolgte sodann planmäßig in der Zeit von 04:00 – 16:00 Uhr die Neuwahl eines neunköpfigen Betriebsrates, wobei nur ein Wahlvorschlag eingereicht worden war.
7Die Stimmen wurden am Abend des gleichen Tages in der Kantine betriebsöffentlich ausgezählt. Dies erfolgte in der Weise, dass an der Wand eine Liste mit den Namen aller Bewerber ausgehängt war und für jede abgegebene Stimme hinter dem Namen des jeweiligen Bewerbers ein Strich gesetzt wurde. Nach erfolgter Auszählung wurden die Striche gezählt, wobei der Antragsteller mit 150 Stimmen das drittbeste Ergebnis erzielte.
8Anschließend wurde eine gefertigte Auflistung des Wahlergebnisses mit den gewählten Betriebsratsmitgliedern in der Kantine, ca. 10 Meter entfernt vom Schwarzen Brett vor dem Betriebsratsbüro, ausgehängt. Ob noch am Wahlabend alle gewählten Bewerber die Wahl angenommen haben, ist zwischen den Beteiligten streitig.
9Am Folgetag, dem 15.05.2014, wurde dem Antragsteller das Arbeitsverhältnis „außerordentlich und fristlos“ gekündigt, verbunden mit einem sofortigen Hausverbot (Bl. 5 d. A.).
10Unter dem 19.05.2014 erließ der Wahlvorstand ein Schreiben, das auszugsweise wie folgt lautet:
11„…
12der Wahlvorstand hat aufgrund der rechtswidrigen Vorkommnisse wie etwa der rechtswidrigen Wahlbeeinflussungen beschlossen, die Wahl als ungültig zu erklären.“
13Mit seinem ebenfalls am 19.05.2014 eingeleiteten Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung begehrt der Antragsteller den Zutritt zum Betrieb, um betriebsverfassungsrechtliche Aufgaben wahrnehmen zu können. Er hat die Auffassung vertreten, am 14.05.2014 ordnungsgemäß als Betriebsratsmitglied gewählt worden zu sein. Das Wahlergebnis sei durch den Aushang in der Kantine bekannt gegeben worden. Folglich sei die am Folgetag ausgesprochene außerordentliche Kündigung mangels Zustimmung des Betriebsrates offensichtlich unwirksam.
14Der Antragsteller hat beantragt,
15der Antragsgegnerin aufzuerlegen, dem Antragsteller mit sofortiger Wirkung und uneingeschränkt Zugang zu dem Betrieb der Verfahrensgegnerin In der Lacke 9 in 58791 Werdohl und den Kontakt mit den dort beschäftigten Arbeitnehmern sowie zum Betriebsrat zum Zwecke der Ausübung seiner Betriebsratstätigkeit zu gewähren.
16Die Arbeitgeberin hat beantragt,
17den Antrag zurückzuweisen.
18Sie hat die Auffassung vertreten, nach Auslaufen der Amtszeit des alten Betriebsrates am 07.04.2014 sei es bislang nicht zur wirksamen Neuwahl eines Betriebsrates gekommen. Es fehle an einer ordnungsgemäßen Bekanntgabe des Wahlergebnisses.
19Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 27.05.2014 den Antrag abgewiesen. Hinsichtlich der Begründung wird verwiesen auf II. der erstinstanzlichen Ausführungen (Bl. 70 ff. d. A.).
20Gegen diese Entscheidung wendet sich der Antragsteller mit seiner Beschwerde. Er meint, er habe ein Zutrittsrecht, weil die außerordentliche Kündigung offensichtlich unwirksam sei. Der am 14.05.2014 ordnungsgemäß gewählte Betriebsrat sei im Vorfeld nicht beteiligt worden. Auch liege kein Kündigungsgrund vor.
21Der Antragsteller beantragt,
22den Beschluss des Arbeitsgerichts Iserlohn vom 27.05.2014 – 2 BVGa 5/14 – abzuändern und der Arbeitgeberin aufzugeben, den Zutritt des Antragstellers Y in den Betrieb „In der L, XXXXX W“ zu dulden, damit dieser die ihm nach dem Betriebsverfassungsgesetz obliegenden Aufgaben als Betriebsratsmitglied wahrnehmen kann.
23Die Arbeitgeberin beantragt,
24die Beschwerde zurückzuweisen.
25Sie meint, im Kündigungszeitpunkt habe gar kein zu beteiligender Betriebsrat bestanden. Das Wahlergebnis sei nämlich zu keinem Zeitpunkt ordnungsgemäß bekannt gegeben worden.
26Die ausgesprochene außerordentliche Kündigung sei auch materiell gerechtfertigt wegen massiver Störung des Betriebsfriedens durch die am Wahltag erfolgte Verteilung eines Flugblattes (Bl. 114 d. A.) und (weiteren) strafbaren Verhaltensweisen im Zusammenhang mit der Betriebsratswahl.
27Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen ergänzend Bezug genommen.
28B.
29Die zulässige Beschwerde ist begründet.
30Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts kann der Antragsteller von der Arbeitgeberin im Wege der einstweiligen Verfügung verlangen, den Zutritt zum Betrieb zu dulden, um dort den Aufgaben als gewähltes Betriebsratsmitglied nachkommen zu können.
31I. Der Verfügungsanspruch folgt aus § 78 Satz 1 BetrVG. Die Norm, wonach u.a. Mitglieder des Betriebsrates in der Ausübung ihrer Tätigkeit weder gestört noch behindert werden dürfen, regelt zwar nicht ausdrücklich einen darauf gerichteten Abwehranspruch; ein solcher folgt aber aus dem Zweck der Regelung, die Erfüllung von Betriebsratsaufgaben namentlich durch ein Behinderungsverbot zu sichern (BAG, 12.11.1997 – 7 ABR 14/97 – AP BetrVG 1972 § 23 Nr. 27).
32Der Begriff der Behinderung umfasst jede unzulässige Erschwerung, Störung oder gar Verhinderung der Betriebsratsarbeit, ohne dass ein Verschulden erforderlich wäre (z.B. BAG, 03.09.2003 – 7 ABR 12/03 – AP BetrVG 1972 § 40 Nr. 78; 12.11.1997 – 7 ABR 14/97 – AP BetrVG 1972 § 23 Nr. 27).
33Die Voraussetzungen sind hier in der Person des Antragstellers erfüllt.
341. In dem Zusammenhang folgt die Kammer der ganz überwiegenden Ansicht in der Rechtsprechung (z.B. LAG München, 27.01.2011 – 3 TaBVGa 20/10 – juris; LAG Hamburg, 06.10.2005 – 7 TaBV 7/05 – AiB 2006, 238; LAG Hamm, 24.09.2004 – 10 TaBV 95/04 - juris; LAG Köln, 12.12.2001 – 8 TaBV 72/01 – NZA-RR 2002, 425) und der Literatur (z.B. Fitting, 27. Aufl., § 24 Rn. 17; GK/Oetker, 10. Aufl., § 25 Rn. 37 f., jew. m.w.N.), dass im Falle der (außerordentlichen) Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Amtsträgers grundsätzlich während der Dauer der Ungewissheit, ob die Kündigung wirksam ist, auch kein Recht des betroffenen Betriebsratsmitgliedes auf Zutritt zum Betrieb besteht, sondern vielmehr von einer (zeitweiligen) Verhinderung gemäß § 25 Abs. 1 BetrVG auszugehen ist. Davon ist aber dann eine Ausnahme zu machen, wenn es sich um eine offensichtlich unwirksame Kündigung handelt.
35Hiervon ist hier auszugehen. Im maßgeblichen Zeitpunkt des Zugangs der streitbefangenen außerordentlichen Kündigung am 15.05.2014 besaß der Antragsteller nämlich den besonderen Kündigungsschutz nach § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG, so dass die Arbeitgeberin vor Ausspruch der Kündigung dem Zustimmungserfordernis nach § 103 BetrVG hätte Rechnung tragen müssen.
36a) Dabei folgt die Kammer der zutreffenden Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (22.09.1983 – 6 AZR 323/81 – AP BetrVG 1972 § 78a Nr. 11), dass die kündigungsschutzrechtlich relevante Mitgliedschaft in einem betriebsverfassungsrechtlichen Organ schon ab dem Tag beginnt, an dem die Stimmen vom Wahlvorstand betriebsöffentlich ausgezählt wurden und feststeht, dass der Betroffene eine ausreichende Stimmenzahl erhalten hat.
37Dementsprechend ist hier davon auszugehen, dass am Abend des 14.05.2014 mit der betriebsöffentlichen Auszählung und anschließenden Veröffentlichung des Wahlergebnisses durch den Wahlvorstand der mit 150 Stimmen in den neunköpfigen Betriebsrat gewählte Antragsteller den besonderen Kündigungsschutz für Betriebsratsmitglieder nach § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG i.V.m. § 103 Abs. 1, Abs. 2 BetrVG erwarb.
38Dabei ist es unschädlich, dass das Wahlergebnis (bis heute) vom Wahlvorstand nicht in der gehörigen Form gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 18 Satz 1 und § 3 Abs. 4 Satz 1 WO bekannt gemacht worden ist, weil er es nur in der Kantine, aber nicht am Schwarzen Brett vor dem Betriebsratsbüro, wo am 13.03.2014 ein Abdruck des Wahlausschreibens ausgehängt worden war, bekannt gemacht hat.
39b) Selbst wenn man der Meinung unter a) nicht folgen und entscheidend auf die förmliche Bekanntmachung nach den Vorschriften der WO abstellen würde, hätte der Antragsteller im Kündigungszeitpunkt am 15.05.2014 in jedem Fall (noch) den mit einem Betriebsratsmitglied vergleichbaren Sonderkündigungsschutz als Wahlbewerber nach § 15 Abs. 3 Satz 1 KSchG i.V.m. § 103 Abs. 1, Abs. 2 BetrVG gehabt.
40c) Dementsprechend hätte es gemäß § 103 Abs. 1, Abs. 2 BetrVG einer vorherigen Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Antragstellers bedurft.
41Folgt man an dieser Stelle der Rechtsprechung des 6. Senats des Bundesarbeitsgerichts (23.08.1984 – 6 AZR 520/82 – AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 36) und knüpft entgegen der Ansicht des 7. Senats (28.09.1983 – 7 AZR 266/82 – AP BetrVG 1972 § 21 Nr. 1) maßgeblich an die gemäß § 29 Abs. 1 BetrVG vorzunehmende Konstituierung des Betriebsratsgremiums an, bestand am 15.05.2014 noch kein (neuer) Betriebsrat, der um Zustimmung hätte ersucht werden können.
42In dieser Konstellation hätte es aber nach der zutreffenden Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (12.08.1976 – 2 AZR 303/75 – AP KSchG 1969 § 15 Nr. 2; 30.05.1978 – 2 AZR 637/76 – AP KSchG 1969 § 15 Nr. 4; 16.12.1982 – 2 AZR 76/81 – AP KSchG 1969 § 15 Nr. 13) zur Vermeidung von Schutzlücken für betriebsverfassungsrechtliche Mandatsträger der Arbeitgeberin oblegen, vor Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung des Antragstellers als Betriebsratsmitglied bzw. Wahlbewerber in analoger Anwendung des § 103 Abs. 2 BetrVG das Zustimmungsverfahren vor den Gerichten für Arbeitssachen erfolgreich durchzuführen.
43Nach alledem ist die außerordentliche Kündigung vom 15.05.2014 offensichtlich unwirksam.
44II. Daran anknüpfend, hat der Antragsteller auch das Recht, den Betrieb zu betreten, um dort ihm als Betriebsratsmitglied obliegende Aufgaben wahrzunehmen.
45Dem steht nicht entgegen, dass möglicherweise die Amtszeit des neu gewählten Betriebsrates immer noch nicht begonnen hat, weil es der Wahlvorstand grob pflichtwidrig unterlassen hat, das von ihm am Abend des 14.05.2014 ermittelte Wahlergebnis auch in der gehörigen Form gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 18 Satz 1 und § 4 Abs. 4 Satz 1 WO am Schwarzen Brett vor dem Betriebsratsbüro bekannt zu geben (vgl. BAG, 05.11.2009 – 2 AZR 487/08 – AP KSchG 1969 § 15 Nr. 65). Stattdessen hat er nach Abschluss des Wahlvorgangs mit anschließender öffentlicher Stimmenauszählung durch Schreiben vom 19.05.2014 die Wahl für ungültig erklärt, ohne dazu befugt zu sein. Denn auf der Basis des § 19 BetrVG sind ausschließlich die Gerichte für Arbeitssachen dazu berufen, die erfolgte Wahl für ungültig zu erklären, wobei angesichts der im Verfahren vage gebliebenen Andeutungen zu angeblich „rechtswidrigen Vorkommnissen wie etwa der rechtswidrigen Wahlbeeinflussungen“ keine Anhaltspunkte für eine Nichtigkeit der erfolgten Wahl erkennbar sind.
46Die geschilderten Pflichtverletzungen des Wahlvorstandes, namentlich der Verstoß gegen die zwingenden Normen zur Bekanntmachung des Wahlergebnisses und auch zur Einberufung der ersten Betriebsratssitzung (§ 29 Abs. 1 BetrVG), können nicht dazu führen, dass die als Betriebsratsmitglieder gewählten und die Wahl angenommenen Arbeitnehmer, wie der Antragsteller, daran gehindert werden, ihr Mandat im Betrieb wahrzunehmen und eigeninitiativ vor Ort namentlich dafür zu sorgen, dass (endlich) die erforderlichen Schritte zur Konstituierung des Betriebsrates eingeleitet werden (vgl. z.B. Fitting, a.a.O., § 29 Rn. 9; GK/Raab, a.a.O., § 29 Rn. 13 f.). Andernfalls hätte es der Wahlvorstand durch unterlassene und möglicherweise erst durch eine gerichtliche Entscheidung zu erwirkende förmliche Handlungen in der Hand, über einen längeren Zeitraum den Beginn der Amtszeit eines in einem demokratischen Verfahren gewählten Betriebsrates zu verzögern; dies ist nicht von der Zwecksetzung namentlich des § 18 Satz 1 WO gedeckt (vgl. BAG, a.a.O.).
47III. Der gemäß § 85 Abs. 2 Satz 2 ArbGG i.V.m. § 940 ZPO erforderliche Verfügungsgrund ist ebenfalls gegeben, weil es für den Antragsteller als gewähltem Betriebsratsmitglied zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig ist, dass er umgehend Zutritt zum Betrieb erhält, um dort seinen betriebsverfassungsrechtlichen Aufgaben zeitnah nachkommen zu können.
48Rechtsmittelbelehrung:
49Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht gegeben (§ 92 Abs.1 Satz 3 i.V.m. § 85 Abs. 2 ArbGG).