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Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Bochum vom 27.09.2012 – 3 Ca 847/12 – abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
2Die Parteien streiten über einen Anspruch auf einen Firmenzuschuss zum Krankengeld für die Monate Januar bis April 2012.
3Die 1959 geborene Klägerin steht seit dem 01.07.1990 in dem streitgegenständlichen Arbeitsverhältnis. Den schriftlichen Arbeitsvertrag schloss die Klägerin am 13.06.1990 mit der M1 S1 GmbH in D1. In der Folgezeit kam es zu Betriebsübergängen. Der Betriebsübergang auf die Beklagte erfolgte zum 01.11.2009. Bei der Beklagten ist die Klägerin als Softwareentwicklerin zu einer Bruttomonatsvergütung von 4.220,01 € beschäftigt.
4Nach der Regelung unter 5. des Arbeitsvertrages mit der M1 S1 GmbH steht der Klägerin im Falle Dienstverhinderung Entgeltfortzahlung ab der Verhinderung bis zum Ablauf der nächsten drei Monate zu. Wegen des weiteren Inhalts des Arbeitsvertrags wird auf die eingereichte Kopie Bezug genommen (Anlage B 4, Bl. 66 ff GA)
5Anlässlich des Betriebsübergangs zum 01.11.2009 erhielt die Klägerin von der Beklagten ein Informationsschreiben mit Datum 23.09.2011 (Bl. 59 - 65 GA). Dort ist unter 1. und auf Seite 6 unter 15. ausgeführt:
61. Übergang Ihres Arbeitsverhältnisses
7Ihr Arbeitsverhältnis geht nach derzeitiger Planung zum Stichtag 1. November 2009 – vorbehaltlich der nachfolgenden Bestimmungen – unverändert auf die H1 GmbH über, die ab diesem Zeitpunkt Ihr neuer Arbeitgeber wird. Die H1 GmbH tritt dabei kraft Gesetzes in alle zum Zeitpunkt des Übergangs bestehenden arbeitsvertraglichen Rechte und Pflichten Ihres Arbeitsverhältnisses ein (§ 613a Abs. 1 BGB).
8…..
915. Geplante Maßnahmen
10a) H1 Standardvertrag
11Ob H1 Ihnen, unabhängig von der gesetzlichen Rechtsfolge des § 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB, ein Arbeitsvertragsangebot zu den H1 Standartkonditionen zukommen lassen wird, ist heute noch nicht absehbar. Im Hinblick auf den Inhalt eines etwaigen Arbeitsvertragsangebotes sowie die bei H1 bestehenden Arbeitsbedingungen und Sozialleistungen werde Sie zu gegebener Zeit zu einer Informationsveranstaltung eingeladen. Die Annahme oder Nichtannahme eines H1 Standardarbeitsvertrages hat keine Auswirkungen auf den Übergang Ihres Arbeitsverhältnisses auf die H1 GmbH und den Bestand Ihres Arbeitsverhältnisses.
12Bei der Beklagten besteht eine sogenannte „Krankheitspolicy", die im Intranet der Beklagten auch für die Klägerin zugänglich ist. Dort ist folgendes aufgeführt:
13Krankheitspolicy
14Organisation: HR-Rewards
15Gültigkeitsdatum: 01-Mai-1984
16(…)
17Philosophy
18Verfahren bei langfristiger Erkrankung eines Mitarbeiters.
19Scope
20Mitarbeiter auf der deutschen Payroll mit H1 Standard Terms & Conditions
21Policy
22Krankheitspolicy der H1 GmbH
23Aufgrund der Neufassung des Pensionsplans zum 01. November 1975, werden wir in Zukunft im Falle von länger andauernder Krankheit eines Mitarbeiters nach folgenden Grundsätzen verfahren:
241. Jedem Mitarbeiter wird im Falle länger andauernder Krankheit im Anschluss an die gesetzliche Gehaltsfortzahlung ein Firmenzuschuss zum Krankengeld in Höhe des Differenzbetrages zwischen Krankengeld und seinem Nettogrundgehalt gewährt, falls er zu Beginn des Krankheitsfalles 1 Jahr bei der Firma beschäftigt ist.
252. Der Krankenzuschuss wird in der Regel solange gewährt, wie der Mitarbeiter Krankengeld aus der gesetzlichen Krankenversicherung bezieht.
26(…)
27Wegen der äußeren Gestaltung der Verlautbarung wird auf den zur Akte gereichten Ausdruck aus dem Intranet Bezug genommen (Anlage B 1, Bl. 17, 18 GA).
28Die Klägerin war seit dem 26.09.2011 arbeitsunfähig erkrankt. Die Arbeitsunfähigkeit währte unstreitig zumindest bis zum Ablauf des April 2012. Für die drei Monate bis zum 31.12.2011 leistete die Beklagte Entgeltfortzahlung entsprechend Ziffer 5 des Arbeitsvertrages vom 13.06.1990. Ab dem 01.01.2012 bezog die Klägerin Krankengeld in Höhe von monatlich 1.985,10 € netto. Einen Zuschuss zum Krankengeld zahlte die Beklagte nicht.
29Mit der am 08.05.2012 beim Arbeitsgericht Bochum eingegangenen Klage begehrt die Klägerin die Zahlung eines Krankengeldzuschusses für die Monate Januar bis April 2012.
30Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, dass ihr aus der Krankheitspolicy ein Anspruch auf die monatliche Differenz zwischen dem ihr gewährten Krankengeld und der Nettomonatsvergütung zustehe. Bei der Krankheitspolicy handle es sich um eine Gesamtzusage, die auch ihr gegenüber bekannt gemacht worden sei. Dem Anspruch stehe nicht entgegen, dass ihr Arbeitsverhältnis mit Wirkung zum 01.11.2009 von der E1 GmbH auf die Beklagte übergegangen sei, denn Ziffer 1 der Krankheitspolicy bestimme, dass jedem Mitarbeiter im Falle einer länger andauernden Krankheit ein Krankengeldzuschuss gewährt werde. Aus der Krankheitspolicy ergebe sich nicht, dass der Krankengeldzuschuss nur Mitarbeitern mit einem sogenannten H1-Standardvertrag gewährt werde. Die unter der Überschrift „Scope" enthaltene Einschränkung sei in der ursprünglichen Krankheitspolicy vom 15.09.1975 (Bl. 25 GA) nicht enthalten gewesen. Außerdem unterliege die Krankheitspolicy als Gesamtzusage einer AGB-Kontrolle. Bei der unter der Überschrift „Scope" enthaltenen Einschränkung handele es sich um eine überraschende Klausel. Es sei ungewöhnlich, dass der Anwendungsbereich nicht im eigentlichen Text stehe sondern vorangestellt sei. Aus dem Standort im Intranet werde bei den Mitarbeitern der Eindruck erweckt, dass ihnen bei länger andauernder Krankheit ein Zuschuss zustehe. Außerdem habe es sich bei ihrem ursprünglichen Arbeitsvertrag mit der M1 S1 GmbH auch um einen Standardarbeitsvertrag gehandelt. In diesen Standardarbeitsvertrag sei die Beklagte im Rahmen des Betriebsübergangs eingetreten. Zu ihrem monatlichen Nettogehalt in Höhe von 2.554,30 € müsse anteilig das von der Beklagten gezahlte 13. und 14. Monatsgehalt hinzugerechnet werden. Daher ergebe sich ein durchschnittlicher monatlicher Nettoverdienst in Höhe von 2.930,65 €, der für die Berechnung des Krankengeldzuschusses zugrunde gelegt werden müsse. Es ergebe sich so ein Anspruch auf einen Krankengeldzuschuss in Höhe von 945,55 € monatlich.
31Die Klägerin hat beantragt,
32die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 3.782,20 € netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 2.276,80 € seit dem 10.05.2012 und aus weiteren 1.505,40 € seit dem 31.07.2012 zu zahlen.
33Die Beklagte hat beantragt,
34die Klage abzuweisen.
35Die Beklagte hat gemeint, der Klägerin stehe kein Anspruch auf einen Krankengeldzuschuss aus der Krankheitspolicy zu. Bei der Krankheitspolicy handle es sich um eine Gesamtzusage an alle ihre Mitarbeiter mit einem „H1-Standardarbeitsvertrag". Nur diese Mitarbeiter hätten einen Anspruch auf den Krankengeldzuschuss. Die Klägerin verfüge nicht über einen „H1-Standardarbeitsvertrag". Der Arbeitsvertrag der Klägerin sei durch den Betriebsübergang nicht berührt worden, sondern bestehe zu den ursprünglichen Bedingungen fort. Nur die Version der Krankheitspolicy von 1984 sei im Intranet bekannt gemacht worden. Dort sei unter der Überschrift „Scope" eindeutig der Kreis der berechtigten Mitarbeiter aufgeführt. Die Krankheitspolicy sei unter „Scope" nicht intransparent. Zu Beginn sei klar definiert, wer unter den Kreis der Berechtigten falle. Auch die Verwendung von Worten wie „Payroll" und „H1 Standard Terms & Conditions" führe nicht zu einer Intransparenz. Es handle sich nicht um unübliche Begrifflichkeiten. Außerdem sei der Klägerin bekannt, dass es bei der Beklagten Standardarbeitsverträge gebe. Dieses sei ihr im Rahmen des Betriebsübergangs durch das Informationsschreiben mitgeteilt worden. Das 13. und 14. Monatsgehalt könne bei der monatlichen Nettovergütung nicht berücksichtigt werden.
36Das Arbeitsgericht hat der Klägerin mit Urteil vom 27.09.2012 einen Betrag von 2.276,80 € zugesprochen und die Klage im Übrigen abgewiesen. Der Anspruch der Klägerin auf Krankengeldzuschuss für den Zeitraum Januar 2012 bis April 2012 folge aus der Krankheitspolicy der Beklagten. Die Beklagte könne sich nicht darauf berufen, dass die Krankheitspolicy nach der Einschränkung unter der Überschrift „Scope" auf das Arbeitsverhältnis der Klägerin keine Anwendung finde. Es handele sich um eine Gesamtzusage, die gleichzeitig eine allgemeine Geschäftsbildung nach § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB darstelle. Die unter der Überschrift „Scope" geregelte Einschränkung des Kreises der Anspruchsberechtigten auf Mitarbeiter mit „H1 Standard Termins & Conditions" sei gemäß § 307 Abs. 1 BGB unwirksam. Wie bereits das Arbeitsgericht Darmstadt im Urteil vom 26.06.2012 ausgeführt habe, seien die Ausführungen unter der Überschrift „Scope" nicht klar und verständlich (ArbG Darmstadt 4 Ca 129/12). Unter „Scope" sei im Deutschen der Begriff „Anwendungsbereich" zu verstehen. Ob sich die Klägerin als Arbeitnehmerin in einem international tätigen Konzern darauf berufen könne, dass ihr dieser Begriff nicht bekannt sei, erscheine fraglich. Was unter „H1 Standard Termins & Conditions" zu verstehen sei, werde in der Krankheitspolicy nicht definiert. Wie solche Standard-Verträge aussähen und wie sie sich von dem Arbeitsvertrag der Klägerin unterschieden, sei nicht ersichtlich. Auch die Klägerin habe mit einer Rechtsvorgängerin der Beklagten einen Standardvertrag geschlossen. Das Informationsschreiben zum Betriebsübergang enthalte den Begriff „H1 Standard Termins & Conditions" nicht. Auch bleibe unklar, ob die Einschränkung unter der Überschrift „Scope" zum eigentlich Vertragstext gehören solle. Die Intransparenz der Regelung habe zur Folge, dass die unter „Scope" enthaltene Regelung unwirksam sei mit der Folge, dass die Krankheitspolicy auf das Arbeitsverhältnis der Klägerin Anwendung finde. Entgegen der Auffassung der Klägerin sei für die Berechnung des Krankengeldzuschusses nicht das 13. Und 14. Monatsgehalt zu berücksichtigen. Der Klägerin stehe monatlich ein Zuschuss von 569,20 € zu, für vier Monate insgesamt 2.276,80 €.
37Das Urteil ist der Beklagten am 23.10.2012 zugestellt worden. Die Beklagte hat am 19.11.2012 Berufung eingelegt und diese am 21.12.2012 begründet.
38Die Beklagte wendet ein, bei der im Intranet zugänglichen Beschreibung des H1-Leistungsnetzes handle es sich nicht um ein Vertragsangebot. Es werde explizit darauf hingewiesen, dass es sich um eine Beschreibung und einen Überblick sowie um Erläuterungen handele, dass maßgeblich jedoch die jeweilige Betriebsvereinbarung oder Policy sei. Eine Beschreibung sei die Schilderung eines Zustandes und nicht – wie ein Vertragsangebot – eine Gestaltungsmöglichkeit. Weiter sei zu berücksichtigen, dass bei der Auslegung von Arbeitsverträgen die Besonderheiten des jeweiligen Unternehmens zu berücksichtigen seien. Keinesfalls sei der Arbeitgeber verpflichtet, vertragliche Regelungen so zu formulieren, dass sie auch Unternehmensfremden unmittelbar einleuchteten. Es komme nicht darauf an, ob ein außenstehender Dritter eine unternehmensspezifische Wortwahl ohne zusätzliche Erläuterungen verstehen könne. Insofern sei das Informationsschreiben gemäß § 613 a BGB, das die Klägerin erhalten habe, durchaus von Bedeutung. Jedem Mitarbeiter der übernommenen Firma E1 und damit auch der Beklagten sei aus der Formulierung in Ziffer 15 des Informationsschreibens und aus dem Gesamtzusammenhang klar, dass es bei der Beklagten einheitliche arbeitsvertragliche Regelungen gebe, die als H1 Standard-Arbeitsvertrag oder „H1 Standard-Konditionen" bezeichnet würden, die arbeitsvertragliche Bestimmungen des mit der E1 abgeschlossenen Arbeitsvertrages jedoch infolge des Betriebsüberganges weiter gelten würden. Dass mit dem Begriff „H1 Standard Termins & Conditions" nichts Anderes gemeint sein könne, sei evident. Für jemanden wie die Klägerin, der in einem international ausgerichteten Unternehmen mit amerikanischer Muttergesellschaft (E1) gearbeitet habe und ständig mit englischen Texten in Berührung gekommen sei, seien die englischen Ausdrücke „Standard Termins & Conditions" unmittelbar mit dem deutschen Wort „Standard Konditionen" übersetzbar. Soweit das Arbeitsgericht meine, dass der Arbeitsvertrag, den die Klägerin mit der E1 geschlossen habe, auch ein Standard-Arbeitsvertrag der Beklagten sei, sei dies ein zirkelschlussartiger Kunstgriff, aber keine tragfähige rechtliche Argumentation. Bezogen auf eine Gruppe mit gleichen Merkmalen gebe es grundsätzlich nur einen Standard. Zur Erläuterung sei hinzuzufügen, dass sie aufgrund von Firmenzukäufen größerer Unternehmen ab dem Jahr 2000 immer wieder vor der Frage gestanden habe, ob sie bei dadurch ausgelösten Betriebsübergängen die Konditionen in den Arbeitsverträgen auf freiwilliger Basis auf H1-Standard-Konditionen durch Angebot eines H1-Standardarbeitsvertrages umstelle oder nicht. In Abgrenzung zu den Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer infolge Betriebsübergangs hinzukommender Betriebe habe sich so der Begriff „H1 Standard Arbeitsvertrag" bzw. „H1 Standard Konditionen" herausgebildet. Warum das Arbeitsgericht meine, die Einschränkungen, die im Punkt „Scope" getätigt worden seien, müssten im eigentlichen Text der Policy aus Gründen der Klarheit wiederholt werden, bleibe unerfindlich. Es sei etwa in Tarifverträgen, Betriebsvereinbarungen und auch Gesamtzusagen üblich, dass vor den inhaltlichen Regelungen der Geltungsbereich (= Scope) definiert werde. Es genüge die Voranstellung als generelle Regelung. Eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes sei nicht gegeben. Unterschiedliche Arbeitsbedingungen innerhalb eines Betriebes, die aus Betriebsübergängen resultierten, könnten in einem Unternehmen zeitlich unbegrenzt nebeneinander weiterbestehen. Ein Arbeitgeber sei grundsätzlich nicht verpflichtet, nach einem Betriebsübergang die Arbeitsbedingungen anzugleichen. Dies gelte insbesondere auch für Vergütungssysteme.
39Die Beklagte beantragt,
40das Urteil des Arbeitsgerichts Bochum vom 27.09.2012 – Aktenzeichen 3 Ca 847/12 -, abzuändern und die Klage abzuweisen.
41Die Klägerin beantragt,
42die Berufung zurückzuweisen.
43Die Klägerin verteidigt das Urteil des Arbeitsgerichts. Eine Gesamtzusage gelte mit dem Inhalt, mit dem sie bekannt gemacht worden sei, auch für später eintretende Arbeitnehmer, unabhängig davon, ob ihnen der Inhalt mitgeteilt worden sei. Abgesehen davon sei die Krankheitspolicy für sie im Intranet der Beklagten zugänglich und ersichtlich gewesen. Mit dem eingeräumten Zugang zum Intranet sei sie auch Adressatin der Zusage der Beklagten zur Zahlung eines Krankengeldzuschusses gewesen. Entgegen der Ansicht der Beklagten enthalte die Krankheitspolicy keinerlei Einschränkung dahingehend, dass es sich lediglich um eine Beschreibung o.Ä. handele. Vielmehr handle es sich um eine bestimmte Zusage, wobei es einer ausdrücklichen Annahmeerklärung durch die Klägerin nicht bedurft habe. Die Einschränkung, dass die Krankheitspolicy ausschließlich Mitarbeitern mit einem H1 Standard Arbeitsvertrag zugute kommen solle, finde sich nicht in dem Vertragstext selbst. Eine Regelung zum Anwendungsbereich finde sich nur unter einer englischsprachigen Überschrift, wobei der Anwendungsbereich auch nur in englischer Sprache schlagwortartig beschrieben werde. Irgendeine nähere Erläuterung, was die Beklagte unter einem „Standardarbeitsvertrag" verstehe, enthalte der Text nicht. Damit bleibe der Anwendungsbereich unklar, zumal es im weiteren eigentlichen Vertragstext heiße, jeder Mitarbeiter erhalte einen Krankengeldzuschuss. Auch in der Rubrik „Philosophy" finde sich keinerlei Einschränkung dahingehend, dass der Zuschuss zum Krankengeld nicht an jeden Mitarbeiter gezahlt werden solle. Zu berücksichtigen sei auch, dass bei dem Aufruf der Krankheitspolicy im persönlichen Intranet der Eindruck erweckt werde, der Anspruch stehe bei länger andauernder Erkrankung immer dann zu, sofern zum betreffenden Zeitpunkt der Mitarbeiter mindestens ein Jahr bereits bei der Beklagten beschäftigt gewesen sei. Die Einschränkung unter der Überschrift „Scope" sei somit nicht nur unklar, sondern eine überraschende Klausel gemäß § 305 c Abs. 1 BGB. Wenn die Beklagte eine Einschränkung hätte vornehmen wollen, wäre es ihr – gerade als IT-Unternehmen – ohne Weiteres möglich gewesen, der Klägerin bzw. den nach Meinung der Beklagten vom Geltungsbereich nicht erfassten Mitarbeitern diesen Zugang nicht zu ermöglichen.
44Entscheidungsgründe
45Die Berufung der Beklagten ist statthaft und zulässig gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1, Abs. 2 b) ArbGG. Die Beklagte hat die Berufung form- und fristgerecht entsprechend den Anforderungen der §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519, 520 ZPO eingelegt und begründet. Die Berufung hat auch in der Sache Erfolg. Die Klägerin kann einen betrieblichen Firmenzuschuss zum Krankengeld für die Monate Januar bis April 2012 nicht beanspruchen. Unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts war die Klage abzuweisen.
46Mit der Klägerin ist kein H1-Standardarbeitsvertrag abgeschlossen. Nach der im Intranet verlautbarten Krankheitspolicy kann die Klägerin deshalb einen Firmenzuschuss zum Krankengeld nicht beanspruchen. Sie unterfällt nicht der Regelung der Krankheitspolicy zur Zahlung eines Firmenzuschusses zum Krankengeld (1.). Entgegen der Entscheidung des Arbeitsgerichts ist die Beschränkung des Anspruches auf Mitarbeiter mit H1-Standardarbeitsvertrag nicht nach §§ 305 ff BGB unwirksam (2.). Der Anspruch ist schließlich nicht aus sonstigen von den Parteien angesprochenen Umständen begründet (3.).
471. Die Intranet-Veröffentlichung unter der Überschrift „Krankheitspolicy" beschränkt unter ihrem dritten Gliederungspunkt „Scope" den Anwendungsbereich der Policy auf Mitarbeiter mit H1-Standardarbeitsvertrag. „Scope" bedeutet: Umfang, Anwendungsbereich, Tragweite, Spielraum, Reichweite u.a. (translate.google/translate – Ausdruck 06.03.2013, Reihung der Wortbedeutungen nach ihrer Häufigkeit; Langenscheidt, Abitur-Wörterbuch Englisch, 2009 „scope": Umfang, Kompetenzbereich, Möglichkeit, Spielraum). „H1 Standard Terms & Conditions" ist zu übersetzen mit Standardbedingungen oder Standardkonditionen. Bezeichnet ist damit der H1-Standard-Arbeitsvertrag des betrieblichen Sprachgebrauchs, wie er sich exemplarisch im Informationsschreiben an die Klägerin anlässlich des Betriebsübergangs zum 01.11.2009 findet. Die Klägerin verfügt unverändert über ihren Arbeitsvertrag aus dem Jahr 1990, den sie seinerzeit mit einer der Rechtsvorgängerinnen der Beklagten, der M1 S1 GmbH, abgeschlossen hat. Dies mag ein „M1 S1 GmbH-Standardarbeitsvertrag" sein, ein „H1-Standardarbeitsvertrag" ist dieser Vertrag nicht. Der Vertrag aus 1990 ist für jeden erkennbar nicht von „H1" formuliert. Da die Klägerin nicht über einen H1-Standardarbeitsvertrag verfügt, unterfällt sie nicht dem Anwendungsbereich der Krankheitspolicy und kann keine Leistungen nach der Krankheitspolicy beanspruchen.
482. Die Beschränkung des Anwendungsbereichs der Krankheitspolicy auf Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit H1-Standardarbeitsvertrag ist nicht nach §§ 305 ff BGB unwirksam.
49Die Beschränkung unter „Scope" ist in die Gesamtzusage einbezogen. Es handelt sich nicht um eine überraschende Klausel im Sinne von § 305 c Abs. 1 BGB. Es ist nicht nach den Umständen, insbesondere nach dem äußeren Erscheinungsbild des Vertrages ungewöhnlich, dass sich unter der vorangestellten Überschrift „Krankheitspolicy" zwischen den jeweils in Fettdruck hervorgehobenen Textabschnitten „Philosophy" und „Policy" unter einer ebenfalls fett gedruckten Überschrift „Scope" eine Regelung zum Anwendungsbereich findet. Es liegt nicht die Situation des § 305 c Abs. 1 BGB vor, dass der Vertragspartner mit einer derartigen Regelung an dieser Stelle nicht hätte rechnen müssen. Ein „Überrumpelungs- oder Übertölpelungseffekt", wie er die Fallgestaltungen des § 305 c Abs. 1 BGB kennzeichnet (ErfK-Preis, 13. Aufl. 2013, §§ 305 – 310 BGB Rn. 29), ist nicht festzustellen.
50Die „Scope"-Regelung ist nicht wegen Intransparenz nach § 307 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 BGB unwirksam. Die „Scope"-Bestimmung der Krankheitspolicy ist hinreichend klar abgefasst. Ob eine Vertragsklausel klar und verständlich ist, richtet sich nach der Sicht des durchschnittlichen Kundenkreises des Verwenders, im Arbeitsverhältnis also regelmäßig nach dem durchschnittlichen verständigen Arbeitnehmer (BAG 14.09.2011; Clemenz u.a.-Klumpp, AGB-Arbeitsrecht, 2013, § 307 BGB Rn. 83). Das Transparenzgebot verpflichtet den Verwender, Rechte und Pflichten seines Vertragspartners möglichst klar, einfach und präzise darzustellen (Palandt-Grüneberg, 72. Aufl. 2013, § 307 BGB Rn. 21 mwN). Die Vertragsklauseln müssen insbesondere deutlich werden lassen, welche Nachteile sie ggf. für den Arbeitnehmer bergen; sie müssen hinreichend bestimmt sein und dem Arbeitnehmer möglichst konkret vermitteln, welchen Inhalt und Umfang seine Rechte und Pflichten haben; sie dürfen den Arbeitnehmer nicht täuschen, indem sie eine rechtliche Situation suggerieren, die es nicht gibt; der Arbeitnehmer darf nicht in vermeidbarer Weise gehindert werden, seine Rechte zu erkennen und wahrzunehmen (Clemenz u.a.-Klumpp, AGB-Arbeitsrecht, 2013, § 307 BGB Rn. 84, 85, 86, 88). Auf der anderen Seite dürfen die Anforderungen nicht überspannt werden. Die Verpflichtung zur klaren und verständlichen Formulierung besteht nur im Rahmen des Möglichen. Auslegungsbedürftigkeit führt noch nicht zur Intransparenz (ErfK-Preis, 13.Aufl. 2013, §§ 305-310 BGB Rn. 44). Das Transparenzgebot will den Arbeitgeber nicht zwingen, jede AGB gleichsam mit einem Kommentar zu versehen oder den Vertragspartner umfassend rechtlich zu belehren (Palandt-Grüneberg, 72. Aufl. 2013, § 307 BGB Rn. 22 mwN; ErfK-Preis, 13. Aufl. 2013, §§ 305-310 BGB Rn. 44). Den aufgezeigten Anforderungen ist genügt. Die Beschränkung der Regeln der Krankheitspolicy auf Arbeitnehmer der Beklagten mit H1-Standardarbeitsvertrag ist hinreichend transparent geregelt. Bei der Beklagten handelt es sich um ein Unternehmen eines international auftretenden Konzerns. Gegenstand des Unternehmens ist die Informationstechnologie. Aus beiden Gesichtspunkten folgt, dass die Beklagte von ihrer Arbeitnehmerschaft ein Verständnis englischer Begriffe erwarten kann. Das Verständlichkeitsgebot ist durch die zum Teil englisch abgefasste Regelung zum Anwendungsbereich unter der Überschrift „Scope" nicht verletzt. Die Regelung ist auch inhaltlich hinreichend bestimmt. Die Beschränkung auf „Mitarbeiter auf der deutschen Payroll mit H1 Standard Terms und Conditions" macht hinreichend deutlich, dass Arbeitnehmer der Regelung nicht unterfallen, die auf der Grundlage eines nicht von der Beklagten verfassten Vertragswerks tätig sind - wie dies bei nach § 613 a BGB übergegangenen Arbeitsverhältnissen der Fall ist, solange keine neuer Arbeitsvertrag mit der Beklagten abgeschlossen wird. Der behandelte Wortlaut ist schließlich nicht geeignet, bei der Klägerin einen Irrtum über die Reichweite der Regelung der Krankheitspolicy zu bewirken und sie von einer etwaig erfolgsversprechenden Rechtsverfolgung abzuhalten.
513. Etwas anderes ergibt sich nicht aus dem Umstand, dass die Krankheitspolicy seinerzeit 1975 zunächst ohne eine Beschränkung auf Standardarbeitsverträge abgefasst war. Die hier maßgebliche Beschränkung auf Mitarbeiter mit H1-Standardarbeitsvertrag war unstreitig bereits Jahre vor der Begründung der Rechtsbeziehungen der Parteien im November 2009 Bestandteil des veröffentlichten Textes der Krankheitspolicy. Aus inhaltlich überholten Textfassungen aus der Zeit vor ihrem Eintreten bei der Beklagten kann die Klägerin keine Rechte herleiten. Dieses Ergebnis führt auch nicht zu einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung der Klägerin gegen-über anderen Mitarbeitern der Beklagten. Nach der Rechtsprechung des BAG können nach § 613 a BGB übernommene Arbeitnehmer von ihrem neuen Arbeitgeber keine Anpassung an die beim Erwerber bestehenden besseren Arbeitsbedingungen beanspruchen, wenn der Erwerber den übernommenen Arbeitnehmern die mit dem früheren Arbeitgeber ausgehandelten Arbeitsbedingungen weiter gewährt (BAG 31.08.2005 AP BGB § 613 a Nr. 288). Durch das Unterlassen einer Vereinheitlichung der Arbeitsbedingungen verstößt der Arbeitgeber nicht gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz. Die mit der arbeitsvertraglichen Fortgeltung der verschiedenen Arbeitsbedingungen einhergehenden Unterschiede sind Folge der gesetzlichen Regelung des § 613 a BGB. Der Arbeitgeber selbst trifft keine verteilende Entscheidung, was Voraussetzung der Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes wäre (BAG aaO).
524. Nach § 91 Abs. 1 ZPO hat die unterlegene Klägerin die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Die Kammer hat wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache die Revision zum Bundesarbeitsgericht zugelassen, § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.