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Die Berufung des Klägers und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 03.02.2011 – 3 Ca 2953/10 – werden zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Beklagte zu 6 %, der Kläger zu 94 %.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
2Die Parteien streiten über Rechtsfolgen aus dem Betriebsübergang der E1-Klinik D2 auf den Beklagten für das Arbeitsverhältnis der des Klägers.
3Der 1954 geborene, verheiratete Kläger war vom 01.04.1979 bis zum 30.11.2009 in der E1-Klinik D2, einer Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, als Erzieher beschäftigt. Dort war er zuletzt auch Betriebsratsvorsitzender.
4Grundlage des Arbeitsverhältnisses des Klägers waren neben dem schriftlichen Dienstvertrag vom 14.02.1979 (Bl. 6, 7 d.A.) der Haustarifvertrag für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der E1-Klinik vom 27.11.1997 und die diesen ergänzenden Tarifverträge, sämtlich abgeschlossen zwischen der E1-Klinik und der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di). Hiernach setzte sich das zuletzt im November 2009 an den Kläger geleistete monatliche Bruttoentgelt wie folgt zusammen:
53.030,55 Euro Grundvergütung
6532,35 Euro Ortszuschlag Grundbetrag
7113,28 Euro Ortszuschlag, verheiratet
8121,44 Euro Tarifzulage
9insgesamt 3.797,62 Euro.
10Darüber hinaus war die Arbeitgeberin nach dem Tarifvertrag für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der E1-Klinik D2 über eine Sonderzahlung verpflichtet, dem Kläger mit dem November-Entgelt eine Jahressonderzahlung und ein Urlaubsgeld zu leisten. Diese Ansprüche ergaben sich aus den dortigen §§ 2 und 4, die – auszugsweise – wie folgt lauten:
11"§ 2
12Beschäftigte, die nach dem 01.01.2006 bei der E1-Klinik beschäftigt werden, erhalten mit dem Gehalt für den Monat November eines jeden Jahres eine Jahressonderzahlung in folgender Höhe:
13…
14§ 4
15Für die beim Inkrafttreten des Tarifvertrages bei der E1-Klinik beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wird auch weiterhin ein jährliches Urlaubsgeld in Höhe von 255,65 Euro bzw. 332,34 Euro, gestaffelt nach Vergütungsgruppen, gezahlt. Das Urlaubsgeld ist mit der Gehaltszahlung für den Monat Juli des laufenden Jahres auszuzahlen.
16Die bei Inkrafttreten des Tarifvertrages bei der E1-Klinik beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erhalten ferner ein jährliches Weihnachtsgeld in Höhe von 83 Prozent des Gehaltes, das sie für den Monat September des laufenden Jahres erhalten. Dieses Weihnachtsgeld wird mit dem Gehalt für den Monat November fällig."
17Die E1-Klinik zahlte das Urlaubsgeld für 2009, das der Kläger unter dem 23.08.2009 schriftlich geltend machte, nicht.
18Des Weiteren sah § 20 des Haustarifvertrags für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der E1-Klinik vom 27.11.1997 in § 20 ein Kleidergeld vor nach folgender Regelung:
19"1. Jede Arbeitnehmerin/jeder Arbeitnehmer des pädagogisch-pflegerischen Bereichs erhält für die dienstliche Zurverfügungstellung privater Kleidung anstelle von Dienstkleidung pro Quartal ein Kleidergeld in Höhe von 125 DM.
20…
215. Mit Zahlung dieser Pauschale sind sämtliche Ansprüche der Beschädigung von Kleidung gegenüber dem Arbeitgeber abgegolten. Ansprüche gegenüber Dritten sind davon nicht berührt."
22Das an den Kläger gezahlte Kleidergeld belief sich zuletzt auf monatlich 21,31 € brutto.
23Am 01.12.2009 fand der Betriebsübergang der insolvent gewordenen E1-Klinik auf den Beklagten statt. Der Betriebsübergang erfolgte aufgrund eines sog. "AssetDeals" zwischen Rechtsanwalt D1. S1-K3 als Insolvenzverwalter über das Vermögen der ehemaligen Trägerin der E1-Klinik D2, der E2+V1-F1 GmbH, und dem Beklagten.
24Der Beklagte wendet nach dem Betriebsübergang den TVöD an und vergütet den Kläger ab 2010 mit monatlich 2.770,49 € brutto nach der Entgeltgruppe 7 a Stufe 6 TVöD.
25Mit der Abrechnung für Dezember 2009 zahlte der Beklagte dem Kläger 1/12 der haustariflichen Jahressonderzahlung. Mit Ausnahme des Klägers hatten alle Arbeitnehmer eine Verzichtserklärung hinsichtlich der weiteren 11/12 der tariflichen Jahressonderzahlung unterschrieben im Tausch gegen eine Eingruppierung unter Berücksichtigung von Vorbeschäftigungszeiten, nachdem eine Betriebsvereinbarung hinsichtlich eines Verzichts auf die Jahressonderzahlung gescheitert war.
26Mit Schreiben vom 07.02.2010 beanspruchte der Kläger die restlichen 11/12 der Jahressonderzahlung, die Differenz zu dem von der E1-Klinik gezahlten Gehalt sowie das tarifliche Kleidergeld für den Zeitraum Dezember 2009 bis Mai 2010.
27In seiner am 30.06.2010 beim Arbeitsgericht eingereichten Klage hat der Kläger die Ansicht vertreten, der TVöD habe die Haustarifverträge nicht abgelöst. Nur insoweit könne der TVöD Vorrang vor dem Haustarifvertrag und den weiteren Tarifverträgen bei der Rechtsvorgängerin beanspruchen, als er dieselben Regelungsgegenstände beinhalte. Dies sei bezogen auf die Ortzuschläge und die Tarifzulage nicht der Fall. Das Leistungsentgelt solle gerade nicht die leistungsunabhängigen Entgeltbestandteile – wie den familienbezogenen Ortzuschlag und die allgemeine Zulage – ersetzen. Jedenfalls sei auf sein Arbeitsverhältnis der Tarifvertrag zur Überleitung der Beschäftigten des LWL in den TVöD anzuwenden.
28Für seine Ansprüche auf Weihnachts- und Urlaubsgeld hafte der Beklagte mit der E1-K4 als Gesamtschuldner.
29Er habe nicht widersprüchlich gehandelt, indem er als Einziger die Verzichtserklärung hinsichtlich der Jahressonderzahlung nicht unterschrieben habe. Seine Bedenken habe er durch ein Schreiben an die Belegschaft deutlich zum Ausdruck gebracht.
30Da nach Meinung des Klägers der TVöD anders als der Haustarifvertrag eine Regelung zum Kleidergeld nicht vorsehe, könne er diese Leistung weiter beanspruchen.
31Der Kläger hat beantragt,
32Der Beklagte hat beantragt,
39die Klage abzuweisen.
40Er hat die Auffassung vertreten, die haustariflichen Regelungen seien wegen beiderseitiger Tarifbindung durch den TVöD verdrängt worden. Die unterschiedlichen Gehaltsbestandteile des BAT seien abgeschafft und in dem einheitlichen Entgelt des TVöD aufgegangen; eine fehlende Kongruenz sei nicht gegeben.
41Für eine Anwendung des Überleitungstarifvertrages erfülle der Kläger die Anspruchsvoraussetzungen nicht.
42Hinsichtlich der Jahressonderzahlung und des Urlaubsgeldes hat der Beklagte auf § 20 TVöD verwiesen. Der Erwerbertarifvertrag habe insoweit Vorrang unabhängig vom Günstigkeitsprinzip. Ein Anspruch des Klägers auf eine Besitzstandswahrung und eine Anerkennung der Vorbeschäftigungszeiten bestehe nicht.
43Auch müsse sich der Kläger so behandeln lassen, als habe er auf die Sonderzahlung und das Urlaubsgeld verzichtet. Er verhalte sich nämlich treuwidrig, wenn er einerseits als Betriebsratsvorsitzender der Belegschaft den Verzicht auf die Jahressonderzahlung nahelege, andererseits jedoch selber als Einziger die Verzichtserklärung nicht unterschreibe. § 4 TVG stehe einem Verzicht auch nicht entgegen, es da sich infolge des Betriebsübergangs um schuldrechtliche Ansprüche handele.
44Hinsichtlich des Kleidergeldes verdränge der TVöD den Haustarifvertrag ebenfalls. Denn der TVöD schließe einen Anspruch auf Aufwendungsersatz für den Fall der Beschädigung von privater Kleidung im Dienst nicht aus und treffe insoweit eine andere Regelung.
45Mit Urteil vom 03.02.2011 hat das Arbeitsgericht der Klage auf Zahlung von Urlaubsgeld und Jahressonderzahlung für das Jahr 2009 stattgegeben, sie im Übrigen jedoch abgewiesen. Das erstinstanzliche Gericht hat seine Entscheidung wesentlich wie folgt begründet:
46Der Kläger habe keinen arbeitsvertraglichen Anspruch auf Vergütungs- und Jahressonderzahlung gestützt auf die Haustarifverträge mit der Rechtsvorgängerin. Denn für sein Arbeitsverhältnis gelte der TVöD, der im Bereich der Vergütung, des Weihnachts- und Urlaubsgeldes und auch des Kleidergeldes die Haustarifverträge verdränge. Der TVöD sei bezogen auf diese Bereiche regelungsidentisch mit den Haustarifverträgen und löse diese ab.
47Hingegen habe der Kläger Anspruch gegen den Beklagten auf die Leistung von Urlaubsgeld und Jahressonderzahlung für das Jahr 2009 gemäß § 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB. Der Beklagte hafte für die vor dem Betriebsübergang bereits entstandenen Ansprüche, die der Kläger auch rechtzeitig geltend gemacht habe.
48Der Kläger müsse sich nicht so behandeln lassen, als hätte er auf die Jahressonderzahlung verzichtet. Ein treuwidriges bzw. widersprüchliches Handeln des Klägers liege nicht vor. Es sei insoweit zwischen der Funktion des Klägers als Betriebsratsvorsitzender und seiner individuellen Stellung als Arbeitnehmer zu unterscheiden. Er habe auch keinen Vertrauenstatbestand geschaffen, der ein schutzwürdiges Vertrauen des Beklagten in sein Verhalten als Arbeitnehmer begründen könnte.
49Gegen das ihm am 02.03.2011 zugestellte erstinstanzliche Urteil hat der Beklagte mit am 28.03.2011 beim Landesarbeitsgericht eingereichten Schriftsatz Berufung eingelegt und diese – nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 03.06.2011 – mit am 03.06.2011 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz begründet.
50Der Kläger hat gegen das ihm 02.03.2011 zugestellte Urteil des Arbeitsgericht mit am 29.03.2011 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese – nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 03.06.2011 – mit am 03.06.2011 eingegangenem Schriftsatz begründet.
51Der Beklagte wendet sich gegen das arbeitsgerichtliche Urteil, soweit es dem Kläger die gesamte Jahressonderzahlung für das Jahr 2009 sowie das Urlaubsgeld für 2009 zuspricht.
52Unter Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens meint der Beklagte, die ratierliche Kürzung der Sonderzahlung vom 11/12 treffe den Kläger als im Sinne des TVöD ab dem 01.12.2009 neu eingestellten Mitarbeiters. Der Kläger habe keinen Anspruch auf eine Besitzstandswahrung und Anerkennung der Vorbeschäftigungszeiten. Zudem müsse der Kläger sich so behandeln lassen, als habe er – wie 90 % der Belegschaftsmitarbeiter der E1-Klinik D2 – auf die Sonderzahlung und das Urlaubsgeld verzichtet. Der "Verzicht" beinhaltete ein Kompensationsgeschäft in der Weise, dass durch den "Verzicht" auf die Jahressonderzahlung den Mitarbeitern individualrechtlich eine günstigere Einstufung zugesagt worden sei. Der Kläger, so behauptet der Beklagte, habe sich sowohl als Arbeitnehmer als auch als Betriebsratsvorsitzender dahingehend geäußert, dass die Kompensation nicht nur zweckdienlich, sondern auch zielführend und richtig sei, und zwar auch in einer Vielzahl persönlich geführter Gespräche mit seinen Kolleginnen und Kollegen. Durch sein Verhalten habe der Kläger zumindest konkludent sein Einverständnis mit dem Kompensationsgeschäft erklärt. Er verhalte sich treuwidrig, wenn er nunmehr die Jahressonderzahlung beanspruche. Er – der Beklagte – habe darauf vertrauen dürfen, dass der Kläger seinen eigenen Empfehlungen der Belegschaft gegenüber folge und sich an den Inhalt des Kompensationsgeschäfts halte. Dieses Vertrauen sei schutzwürdig, da auch der Kläger Nutznießer des Kompensationsgeschäfts geworden sei.
53Im Übrigen verteidigt der Beklagte das erstinstanzliche Urteil.
54Der Beklagte beantragt,
55Der Kläger beantragt,
582.a.
61hilfsweise, klageerweiternd, festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, neben dem gezahlten Gehalt nach dem TVöD die allgemeine Zulage und den Ortszuschlag nach dem haustarifvertrag der Rechtsvorgängerin des Beklagten weiterzuzahlen;
62das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 03.02.2011 – 3 Ca 2953/10 – abzuändern und über die ausgeurteilten Anträge hinaus nach den in der letzten mündlichen Verhandlung gestellten Anträgen zu entscheiden;
68Er vertritt die Auffassung, der Beklagte dürfe ihn entgeltrechtlich nicht so behandeln, als hab er ihn am 01.12.2009 neu eingestellt. Er habe einen Anspruch darauf, dass der Beklagte ihn bei Übergang des Arbeitsverhältnisses in den Anwendungsbereich des TVöD so überleite wie diejenigen, die aufgrund ihrer Beschäftigung am 30.09.2005 mit ihren Besitzständen übergeleitet wurden. Ohne Einbeziehung des TVÜ bestehe keine Tarifentsprechung im Sinne des § 613 a Abs. 1 Satz 3 BGB.
70Der Kläger habe Anspruch auf Anwendung des vormals geltenden Haustarifrechts, denn beim TVöD liege keine Tarifentsprechung im Verhältnis zum Vorgängertarifrecht vor. So finde etwa das Leistungsentgelt des § 18 TVöD keinerlei Entsprechung im BAT bzw. im Haustarifvertrag der damaligen E1-Klinik. Auch die Grundvergütung des TVöD stelle keine Entsprechung zum BAT dar, andernfalls der Überleitungstarifvertrag zum TVöD nicht notwendig geworden wäre. Auf die weiteren Ausführungen des Klägers hierzu wird für die Einzelheiten verwiesen (Bl. 206 bis 211 d.A.).
71Jedenfalls habe er einen Anspruch bei Beibehaltung des Ortszuschlags und der allgemeinen Zulage nach dem Haustarifrecht der Rechtsvorgängerin, die beide im TVöD keine Entsprechung fänden. Dem stehe auch nicht der Gedanke entgegen, dass das Tarifgefüge beim Beklagten damit uneinheitlich würde.
72Hinsichtlich des Anspruchs auf ein monatliches Kleidergeld gebe es keine Entsprechung im TVöD. Zwar könne er nach allgemeinen haftungsrechtlichen Grundsätzen einen Schadensersatzanspruch gegenüber dem Beklagten geltend machen, wenn während seiner Arbeitszeit private Kleidung beschädigt werde. Dieser ergebe sich aber nicht aus dem Tarifrecht des Beklagten.
73Die Entscheidung des Arbeitsgerichts zum Weihnachts- und Urlaubsgeld verteidigt der Kläger.
74Der Kläger meint, die Umstellung und leichte Abänderung der erstinstanzlichen Anträge sei sachdienlich und stelle keine Klageänderung oder –erweiterung – mit Ausnahme seines Antrags zu Ziffer 2 a) – dar.
75Für die Berechnung der Anträge des Klägers zu Ziffern 3) bis 5) wird verwiesen auf Bl. 216, 217 d.A.).
76Der Beklagte hält die Umstellung und Änderung der erstinstanzlichen Anträge nicht für sachdienlich und sieht in ihnen eine unzulässige Klageänderung bzw. -erweiterung, der er ausdrücklich widerspreche.
77Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird verwiesen auf die gewechselten Schriftsätze und das Protokoll der Berufungsverhandlung vom 06.10.2011.
78Entscheidungsgründe
79A.
80Die Berufung des Klägers und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 03.02.2011 sind zulässig. Sie sind gem. §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 und Abs. 2 Buchst. b, 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, §§ 519, 520 ZPO an sich statthaft und form- und fristgerecht eingelegt worden.
81B.
82In der Sache sind beide Berufungen unbegründet. Das erstinstanzliche Gericht hat zu Recht den Beklagten zur Zahlung des noch ausstehenden Teils der Jahressonderzahlung für das Jahr 2009 in Höhe von 2.353,12 EUR brutto und des noch ausstehenden Urlaubsgeldes für das Jahr 2009 in Höhe von 300,00 EUR brutto an den Kläger verurteilt und die Klage im übrigen abgewiesen.
83I.
84Die Berufung des Klägers ist nicht begründet.
851. Die Klage ist zulässig.
86a) Zwar hat der Kläger in erster Instanz die Feststellungsanträge zu Ziffern 1 und 2 in umgekehrter Reihenfolge gestellt. Durch die nunmehrige Umstellung der Anträge wird indes der Streitgegenstand nicht geändert; es werden lediglich die Anträge in eine sinnvolle Reihenfolge gebracht, die nicht als Klageänderung gilt und daher weder einer Einwilligung des Beklagten noch einer Feststellung der Sachdienlichkeit bedurfte.
87b) Der Antrag zu Ziffer 2 a, mit dem der Kläger die Feststellung begehrt, dass der Beklagte verpflichtet sei, neben dem TVöD-Entgelt die allgemeine Zulage und den Ortszuschlag nach dem Haustarifvertrag der Rechtsvorgängerin weiter zu zahlen, stellt eine Klageänderung im Sinne des § 264 ZPO dar. Die verschärften Anforderungen des § 533 ZPO liegen vor. Unter dem Gesichtspunkt der Prozesswirtschaftlichkeit erscheint die Klageänderung in jedem Fall als sachdienlich, zugleich ist die weitere Voraussetzung des § 533 Ziff. 2 erfüllt, dass der verfolgte Hilfsantrag auf Tatsachen gestützt wird, welche das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung über die Berufung ohnehin zugrunde zu legen hat.
88Gleiches gilt für die Anträge zu Ziffern 3 und 4.
89c) Die in dem Berufungsrechtszug vom Kläger vorgenommene Beschränkung des Klageantrags zu Ziffer 5 ist zulässig, da sie nach § 264 Ziffer 2 ZPO nicht als Klageänderung gilt (BAG vom 07.12.2005 – 5 AZR 535/04, AP TzBfG § 12 Nr. 4; BAG vom 14.12.2010 – 9 AZR 642/09, NZA 2011, 509 m.w.N.). Sie bedurfte weder einer Einwilligung des Beklagten noch einer Feststellung der Sachdienlichkeit.
902. Die in der Berufungsinstanz gestellten Anträge sind unbegründet.
91a) Der Kläger hat keinen Anspruch auf seine Vergütung entsprechend dem Tarifvertrag zur Überleitung der Beschäftigten des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe in den TVöD und zur Regelung des Übergangsrechts (TVÜ-LWL) vom 06.03.2007.
92aa) Zutreffend hat zunächst das Arbeitsgericht erkannt, dass der Kläger nicht substantiiert vorgetragen habe, dass er dem Anwendungsbereich des Tarifvertrages zur Überleitung der Beschäftigten des LWL in den TVöD Unterfalle und zudem der Anwendungsbereich eröffnet sei.
93bb) Gemäß § 1 TVÜ-LWL in Verbindung mit § 1 Abs. 2 TVÜ-VKA gilt der TVÜ nur für den Fall, dass dies ausdrücklich bestimmt ist, auch für Beschäftigte, deren Arbeitsverhältnis nach dem 30.09.2005 beginnt und die unter den TVöD fallen. Unstreitig stand der Kläger nicht bereits am 30.09.2005 in einem Arbeitsverhältnis mit einem öffentlichen Arbeitgeber.
94(1) Entgegen der Rechtsansicht des Klägers ist der Anwendungsbereich des TVÜ nicht auf Mitarbeiter auszudehnen, die gemäß § 613 a BGB aus einem Arbeitsverhältnis mit einem nicht öffentlichen Arbeitgeber kommen. Insbesondere ist dem Kläger nicht in seiner Rechtsauffassung zu folgen, dass er nach dem Rechtsgedanken des § 613 a BGB nicht so behandelt werden dürfe, als wenn ihn der Beklagte am 01.12.2009 neu eingestellt hätte. Auch ist schließlich die Annahme des Klägers unzutreffend, dass dem Tarifrecht des Beklagten nur dann eine ausreichende Entsprechung zum vorher geltenden Haustarifrecht unterstellt werden könne, wenn gleichzeitig das Überleitungstarifrecht zum TVöD entsprechend angewandt werde.
95(2) Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien ist der TVöD anzuwenden. Dieser verdrängt gemäß § 613 a Abs. 1 S. 3 BGB u.a. im Bereich der Vergütung die sich aus den mit der Rechtsvorgängerin des Beklagten, der E1-Klinik D2, abgeschlossenen Haustarifverträgen ergebenden Ansprüche. Dies hat das erstinstanzliche Gericht zutreffend erkannt.
96Gemäß § 613 a Abs. 1 S. 2 BGB gelten die Rechtsnormen eines bei dem ehemaligen Betriebsinhaber angewendeten Tarifvertrages nach dem Betriebsübergang nicht kollektivrechtlich fort, sondern werden transformiert und damit Inhalt des Arbeitsverhältnisses zwischen dem neuen Betriebsinhaber und den vom Betriebsübergang betroffenen Arbeitnehmern. § 613 a Abs. 1 S. 2 BGB gilt nach dessen Satz 3 dann nicht, wenn Arbeitnehmer und Arbeitgeber nach einem Betriebsübergang an einen – anderen - Tarifvertrag normativ gebunden sind (BAG vom 22.04.2009 – 4 AZR 100/08, NZA 2010, 41; BAG vom 09.04.2008 – 4 AZR 164/07 EzA TVG § 4 Gaststättengewerbe Nr. 3). Dies erfordert eine kongruente Tarifbindung (BAG vom 30.08.2000 – 4 AZR 581/99, BAGE 95, 296). Dabei spielt das Günstigkeitsprinzip keine Rolle; es gilt allein das Ablöseprinzip (BAG vom 22.04.2009, a.a.0.; BAG vom 11.05.2005 – 4 AZR 315/04, BAGE 114, 332). Denn der Sicherung eines kollektiv- rechtlich begründeten Mindeststandards beim Betriebsübergang bedarf es nach dem Gesetz dann nicht, wenn ein für das Arbeitsverhältnis aufgrund kongruenter Tarifbindung des Erwerbers und des Arbeitnehmers legitimierter Mindeststandard vorhanden ist. Die gesetzlichen Regelungen des § 613 a BGB sichern vom Grundsatz her keine bestimmten Tarifinhalte, sondern lediglich bislang geltende, aber kollektiv rechtlich begründete Mindestbedingungen (BAG vom 22.04.2009, a.a.0.).
97Neben der kongruenten Tarifgebundenheit an den Tarifvertrag bei dem Erwerber setzt § 613 a Abs. 1 S. 2 BGB voraus, dass dieselben Regelungsgegenstände betroffen sind. Das ist durch Auslegung zu ermitteln (BAG vom 23.01.2008 – 4 AZR 602/06, EzA § 3 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 38; BAG vom 22.01.2003 – 10 AZR 227/02, EzA BGB 2002, § 613 a Nr. 1; BAG vom 20.04.1994 – 4 AZR 342/93, EzA BGB § 613 a Nr. 108).
98(a) Für das Arbeitsverhältnis des Klägers mit dem Beklagten gilt unstreitig der TVöD kraft beiderseitiger Zugehörigkeit zu den Tarifvertrag schließenden Parteien.
99(b) Der TVöD ist im Hinblick auf die Vergütung regelungsidentisch mit dem bei der Rechtsvorgängerin angewandten Haustarifvertrag für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der E1-Klinik vom 27.11.1997 und dem Tarifvertrag für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der E1-Klinik über die Vergütungsordnungen/Tabellen hinsichtlich der dort getroffenen Vergütungsregelungen. Auf die hierzu getroffenen Feststellungen in den Entscheidungsgründen des erstinstanzlichen Urteils, S. 10 – 13, denen sich die Berufungskammer anschließt, wird verwiesen gem. § 69 Abs. 2 ArbGG.
100(c) Eine Regelungsidentität im Sinne der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist nicht erst hergestellt durch Einbeziehung des TVÜ-LWL. Die Anwendungsvoraussetzungen des TVÜ-LWL sind ersichtlich nicht ausgedehnt auf Arbeitnehmer, die – wie der Kläger – aus einem Arbeitsverhältnis mit einem nicht öffentlichen Arbeitgeber in ein Arbeitsverhältnis mit einem öffentlichen Arbeitgeber wechseln.
101b) Der Kläger hat keinen Anspruch auf die hilfsweise beantragte Feststellung, der Beklagte habe ihn nach dem Haustarifvertrag für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der E1-Klinik D2 über die Vergütungsordnung/Tabellen und das Vergütungssystem sowie dem Tarifvertrag für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der E1-Klinik D2 über eine Jahressonderzahlung zu vergüten. Auch insoweit verdrängt der mit dem Betriebsübergang auf das Arbeitsverhältnis der Parteien anzuwendende TVöD die Haustarifverträge mit der Rechtsvorgängerin, § 613 a Abs. 1 Sätze 2 und 3 BGB.
102Der TVöD löst den Tarifvertrag für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der E1-Klinik D2 über eine Jahressonderzahlung ab, da er in § 20 eine regelungsidentische Bestimmung vorhält. Unschädlich ist hierbei, dass § 20 TVöD eine Trennung von Jahressonderzahlung und Urlaubsgeld nicht vornimmt, sondern allgemein allen Beschäftigten, die am 01.12. in einem Arbeitsverhältnis stehen, den Anspruch auf die Jahressonderzahlung gibt, § 20 Abs. 1 TVöD. Auch im Regelungsbereich der die nach den Haustarifverträgen der Rechtsvorgängerin getrennt erfassten Ansprüche auf Jahressonderzahlung und Urlaubsgeld abschließend ersetzenden Tarifbestimmungen des § 20 TVöD gilt das Günstigkeitsprinzip, wie bereits ausgeführt, nicht (so auch BAG vom 11.05.2005 – 4 AZR 315/04, NZA 2005, 1362).
103c) Der Kläger hat, wie klageerweiternd hilfsweise beantragt, keinen Anspruch auf die Feststellung, dass der Beklagte verpflichtet sei, neben dem gezahlten TVöD die allgemeine Zulage und den Ortszuschlag nach dem Haustarifvertrag der Rechtsvorgängerin weiter zu zahlen.
104Wie das Arbeitsgericht zutreffend entschieden hat, regelt der TVöD die Vergütung einheitlich. Maßgebliche Neuerung im Tarifrecht des öffentlichen Dienstes war die Einführung einer einheitlichen Entgelttabelle; Grundlage des neuen Entgeltsystems ist das aus festgeschriebenen Monatsbeträgen bestehende Tabellenentgelt. Dieses ersetzt das zuvor für den Anwendungsbereich des BAT zugrunde zu legende Entgeltsystem aus Grundvergütung, Ortszuschlag und allgemeiner Zulage. Neben dem in § 15 TVöD normierten Tabellenentgelt regelt § 18 TVöD zusätzlich ein Leistungsentgelt. Der TVöD regelt somit die Vergütung in der Weise einheitlich, dass er nicht mehr differenziert nach unterschiedlichen Vergütungsbestandteilen, wie sie zuvor im BAT etwa als Ortszuschläge und Tarifzulagen ausgeformt waren. Im übrigen wird auf die zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts in seinen Entscheidungsgründen (dort S. 10 – 13) verwiesen, § 69 Abs. 2 ArbGG.
105d) Die Berufungsanträge des Klägers zu Ziffern 3 – 5 (Bl. 199 d.A.) fallen nicht zur Entscheidung an.
106e) Der Kläger hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf ein monatliches Kleidergeld in Höhe von 21,31 EUR brutto für die Monate Dezember 2009 bis Mai 2010 (nebst gesetzlicher Zinsen).
107Auch insoweit folgt die Berufungskammer dem Arbeitsgericht in dessen Entscheidungsbegründung.
108Zwar ist nicht zu verkennen, dass der TVöD anders als der Haustarifvertrag bei der Rechtsvorgängerin eine positive Regelung hinsichtlich der Zahlung eines Kleidergeldes nicht enthält. § 20 Ziffer 1 des Haustarifvertrages vom 27.11.1997 bestimmte, dass jeder Arbeitnehmer des pädagogisch-pflegerischen Bereichs für die dienstliche Zur-Verfügung-Stellung privater Kleidung anstelle von Dienstkleidung ein Kleidergeld pro Quartal von 125,00 DM, zuletzt monatlich gezahlt in Höhe von 21,31 EUR brutto, erhielt. Mit der Zahlung dieses Pauschalbetrages sollten gemäß § 20 Ziffer 5 des Haustarifvertrages sämtliche Ansprüche bei Beschädigung von Kleidung gegenüber dem Arbeitgeber abgegolten sein.
109Im Geltungsbereich des TVöD findet sich eine entsprechende Regelung tatsächlich nicht. Gleichwohl besteht der Anspruch auf ein Kleidergeld entgegen der Ansicht des Klägers nicht als nunmehr arbeitsvertraglicher Anspruch gegen den Beklagten. Voraussetzung dafür, dass die individuelle Fortwirkung der Regelung des Haustarifvertrages nach § 613 a Abs. 1 S. 2 BGB nicht eintritt, ist eine Regelungsidentität hinsichtlich des betreffenden Gegenstandes. Grundsätzlich ist derselbe Regelungsgegenstand dann betroffen, wenn der Tarifvertrag bei dem Erwerber eine Regelung enthält, nicht aber, wenn er zu dem Regelungsbedarf schweigt; unerheblich ist dagegen, das "wie" der Regelung (BAG vom 20.04.1994 – 4 AZR 342/93, NZA 1994, 1140 mit Hinweis auf Schaub in: Münch Komm., § 613 a Rnr. 135). Ob derselbe Regelungsgegenstand betroffen ist, ist durch Auslegung zu ermitteln.
110Vorliegend ist hinsichtlich des Kleidergeldes eine Regelungsidentität anzunehmen. Zwar geht die pauschale Zahlung gemäß Haustarifvertrag über das reine Abgelten etwaiger Schadensersatzforderungen hinaus, weil die Tarifregelung den Eintritt eines Schadens nicht voraussetzte. § 20 Ziffer 5 belegt jedoch, dass die Zahlung eines Kleidergeldes abschließend erfolgte, um keinerlei eventuell weitergehende Ansprüche wegen Beschädigungen mehr gegen den Arbeitgeber stellen zu können. Das Arbeitsverhältnis sollte insgesamt freigehalten werden von Schadensersatzforderungen wegen Beschädigungen an privater Kleidung.
111Der TVöD schweigt zwar zum Gegenstand Kleidergeld, regelt gleichwohl diesen Bereich, wenngleich strukturell anders. Anstelle der Gewährung eines expliziten Kleidergeldes lässt er Ansprüche wegen der Beschädigung privater Kleidung in tatsächlich entstandener Höhe zu bzw. schließt entsprechende Schadensersatzansprüche, anders als der Haustarifvertrag (vgl. § 20 Ziff. 5), nicht aus.
112Die kongruente Tarifgebundenheit der Parteien an den TVöD führt dazu, dass § 20 des Haustarifvertrages vom 27.11.1997, auf den sich der Kläger zur Begründung seines Anspruchs auf ein Kleidergeld stützt, nach § 613 a Abs. 1 S. 3 BGB keine Anwendung mehr findet und somit auch hinsichtlich der Ansprüche auf ein Kleidergeld vom TVöD abgelöst worden ist.
113II.
114Entgegen der Rechtsansicht des Beklagten hat der Kläger einen Anspruch auf ein Urlaubsgeld für 2009 in Höhe von 300,00 EUR brutto und weitere 11/12 der Jahressonderzahlung für 2009 in Höhe von 2.353,12 EUR brutto. Beide Ansprüche stehen dem Kläger zu aus § 613 a Abs. 1 S. 1 BGB.
1151. Der Kläger kann die tarifliche Sonderzahlung für das Jahr 2009 gemäß § 4 Abs. 2 des Tarifvertrages für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der E1-Klinik D2 über eine Jahressonderzahlung in Verbindung mit § 613 a Abs. 1 S. 1 BGB in unstreitiger Höhe von 2.353,12 EUR brutto von dem Beklagten verlangen. Der Beklagte haftet gemäß § 613 a Abs. 1 S. 1 BGB für den bereits entstandenen Anspruch. Der Anspruch war mit dem Novembergehalt 2009 fällig geworden, § 4 Abs. 2 S. 2 Haustarifvertrag.
116Der Kläger hat auch die sechsmonatige Ausschlussfrist des § 33 des Tarifvertrages für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der E1-Klinik D2 bzw. § 37 TVöD eingehalten. Mit Schreiben vom 07.02.2010 hat er den Anspruch geltend gemacht.
1172. Der Kläger hat ebenso Anspruch auf die Zahlung eines tariflichen Urlaubsgeldes in unstreitiger Höhe von 300,00 EUR brutto, § 4 Abs. 1 des Tarifvertrages für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der E1-Klinik D2 über eine Jahressonderzahlung in Verbindung mit § 613 a Abs. 1 S. 1 BGB.
118Der Anspruch war mit dem Juligehalt 2009 fällig geworden, § 4 Abs. 1 S. 2 Haustarifvertrag.
119Der Kläger hat den Anspruch innerhalb der sechsmonatigen tariflichen Ausschlussfrist des § 33 Haustarifvertrag, nämlich mit Schreiben vom 23.08.2009, geltend gemacht.
1203. Den Ansprüchen steht ein treuwidriges bzw. widersprüchliches Verhalten des Klägers nicht entgegen, wie das Arbeitsgericht zur Überzeugung auch der Berufungskammer zutreffend erkannt hat.
121Der Kläger hat als Einziger auf seinen Anspruch auf die restliche - 11/12 - Jahressonderzahlung für das Jahr 2009 individualrechtlich nicht verzichtet. Diese Tatsache steht dem klägerischen Anspruch nicht entgegen. Streitig ist, ob der Kläger lediglich seine Bedenken gegen eine Verzichtserklärung gegenüber der Belegschaft deutlich zum Ausdruck gebracht hat und aufgrund dessen der Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung zum Verzicht auf die Jahressonderzahlung verweigert hat oder ob der Kläger in seiner Funktion als Betriebsratsvorsitzender der Belegschaft den Verzicht auf die Jahressonderzahlung gegen die individualrechtliche Zusicherung einer günstigeren Einstufung nahegelegt hat.
122Mit dem Arbeitsgericht vertritt die Berufungskammer die Auffassung, dass zu unterscheiden ist zwischen dem Kläger als Arbeitnehmer einerseits und Funktionsträger der Betriebsverfassung andererseits. Selbst wenn der Kläger der Belegschaft die Unterzeichnung der Verzichtserklärung dringend empfohlen, seinerseits jedoch als einziges Belegschaftsmitglied die Verzichtserklärung nicht abgegeben hätte, wäre ein solches Verhalten weder als treuwidrig noch widersprüchlich zu qualifizieren. Als Betriebsratsvorsitzender war der Kläger in seinem Handeln inhaltlich gebunden an die Vorgaben insbesondere des Betriebsverfassungsgesetzes und damit an das Wohl der Arbeitnehmer und des Betriebs (§ 2 Abs. 1 BetrVG). Rät er in dieser Funktion der Belegschaft zu einem bestimmten Verhalten – hier: Unterzeichnung der Verzichtserklärung -, muss ihm gleichwohl das Recht bleiben, für sich individuell, nämlich als Arbeitnehmer anders zu entscheiden. Was für die Belegschaft an sich und insgesamt "gut und richtig" sein mag, muss nicht gleichzeitig für jeden einzelnen Arbeitnehmer die gleiche Qualität aufweisen.
123Das von dem Kläger praktizierte Verhalten war nicht widersprüchlich. Die Rechtsordnung verlangt von den Teilnehmern am Rechtsverkehr keine Widerspruchsfreiheit des eigenen Handelns. Eine im Widerspruch zu früherem Verhalten stehende Rechtsausübung (sog. venire contra factum proprium) kann jedoch dann unzulässig sein, wenn besondere Umstände die Ausübung treuwidrig erscheinen lassen (BGH vom 09.05.1960 – III ZR 32/59, BGHZ 32, 273). Insbesondere als Folge eines Vertrauen begründenden Verhaltens kann der Einwand des venire contra factum proprium gegeben sein. Hat jemand bei der Gegenseite ein schutzwürdiges Vertrauen darauf hervorgerufen, dass er sein Recht nicht oder nur unter bestimmten Maßgaben ausüben wird, kann dies die Ausübung ausschließen oder jedenfalls einschränken, wenn sich die Gegenseite hierauf in einer Weise eingerichtet hat, dass ihr die Rechtsausübung nicht mehr zugemutet werden kann (vgl. BAG vom 15.11.2005 – 9 AZR 209/05, NZA 2006, 502; BGH vom 22.05.1985 – IV a ZR 153/83, BGHZ 94, 344).
124Vorliegend konnte bei dem Beklagten ein schutzwürdiges Vertrauen bereits deshalb nicht entstehen, weil ihm bewusst sein musste und auch bewusst war, dass bei dem Kläger nach seiner Stellung als Arbeitnehmer einerseits und Betriebsratsvorsitzender andererseits zu differenzieren war. Die – unterstellt: dringende – Empfehlung eines Betriebsratsvorsitzenden an die Belegschaft, etwas zu tun, muss keineswegs zwingend ein identisches Individualverhalten als Arbeitnehmer zur Folge haben. Widersprüchliches Verhalten im Sinne eines rechts missbräuchlichen Verhaltens kann darin keinesfalls gesehen werden.
125Weitere Umstände, die die Rechtsausübung des Klägers als treuwidrig erscheinen lassen, sind von dem Beklagten nicht substantiiert dargetan. Insbesondere vermochte der Beklagte ein treuwidriges Verhalten des Klägers nicht dadurch hinreichend zu substantiieren, dass er dem Kläger Äußerungen bzw. Ratschläge gegenüber seinen Betriebsratskollegen in einer Vielzahl von persönlich geführten Gesprächen "sowohl als Arbeitnehmer als auch als Betriebsratsvorsitzender" zuschreibt. Das Vorbringen lässt nicht erkennen, dass der Kläger formuliert hätte, er gebe die Empfehlung ausdrücklich auch als Arbeitnehmer. Es wird insoweit nicht deutlich, in welcher Weise der Kläger in seinen mehrfachen Äußerungen zum Gegenstand eines Kompensationsgeschäfts die Unterscheidung zwischen Betriebsratsvorsitzendem und Arbeitnehmer nach außen erkennbar zum Ausdruck gebracht hätte. Die Kammer hatte daher dem angebotenen Zeugenbeweis aus Gründen des Ausforschungsverbots nicht nachzugehen.
126C.
127Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
128Die Revision war zuzulassen gem. § 72 Abs. 2 Ziff. 1 ArbGG.