Seite drucken
Entscheidung als PDF runterladen
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Detmold vom 24.07.2009 – 2 Ca 224/09 – wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
2Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung.
3Die am 25.09.1959 geborene, getrennt lebende Klägerin ist seit dem 01.10.2004 bei der Beklagten, die ca. 260 Arbeitnehmer beschäftigt, als Reinigungskraft zu einem monatlichen Bruttoverdienst von 1.700,00 € bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden beschäftigt.
4Am 13.09.2008 kündigte die Beklagte das mit der Klägerin bestehende Arbeitsverhältnis aus verhaltensbedingten Gründen. Der von der Klägerin hiergegen erhobenen Kündigungsschutzklage wurde vom Arbeitsgericht Detmold durch Urteil vom 18.02.2009 - 2 Ca 1227/08 - rechtskräftig stattgegeben.
5Aufgrund eines Sanierungskonzepts "Konsolidierung Stand 04.12.2008" schloss die Beklagte mit dem in ihrem Betrieb gewählten Betriebsrat am 26.10.2009 einen Interessenausgleich (Bl. 25 ff. d. A.) ab, wonach vor dem Hintergrund der nachlassenden Konjunktur und der zu erwartenden Rezession vorgesehen war, die Belegschaft um bis zu 61 Arbeitnehmer zu reduzieren. Die Einzelheiten der Umsetzung der Personalanpassung sind in § 3 des Interessenausgleichs vom 26.01.2009 niedergelegt. Darauf wird Bezug genommen. § 4 des Interessenausgleichs vom 26.01.2009 lautet wie folgt:
6§ 4
7Beteiligungsrechte des Betriebsrates
8"1. Die Geschäftsleitung hat den Betriebsrat am 26.11.2008 schriftlich gem. § 17 Abs. 2 KSchG über die beabsichtigte Massenentlassung unterrichtet. Der Betriebsrat hat seine schriftliche Stellungnahme gem. § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG am 15.12.2008 gegenüber der Agentur für Arbeit abgegeben.
92. Die Beteiligungsrechte des Betriebsrates gem. § 102 BetrVG bleiben unberührt.
103. Die Betriebsparteien stimmen darin überein, dass die in der Anlage 1 zu diesem Interessenausgleich namentlich aufgeführten 51 Mitarbeitern eine betriebsbedingte Kündigung im Rahmen der hier beschlossenen Betriebsänderung erhalten.
114. Bei weiteren namentlich nicht genannten 10 Arbeitnehmern erklärt der Betriebsrat, dass er eine gesonderte Stellungnahme nach § 102 BetrVG abgibt."
12Gleichzeitig schlossen die Betriebsbeteiligten am 26.01.2009 einen Sozialplan mit einer Vereinbarung über eine Transfermaßnahme im Sinne des § 216 b SGB III (Bl. 20 ff. d. A.) ab.
13Dem Interessenausgleich und dem Sozialplan war eine Namensliste mit 51 Mitarbeitern der Beklagten beigefügt (Bl. 24 d. A.).
14In dieser Namensliste war die Klägerin nicht aufgeführt. Die Klägerin gehörte unstreitig zu den in § 4 Nr. 4 des Interessenausgleichs genannten weiteren 10 Arbeitnehmern.
15Mit einer "Sammelanhörung" vom 26.01.2009 (Bl. 28 ff. d.A.) hörte die Beklagte den Betriebsrat zu der beabsichtigten Kündigung der Klägerin an. In der Sammelanhörung vom 26.01.2009 ist u.a. ausgeführt:
16"….
17Bereich Reinigung:
18Im Bereich Reinigung sind alle Mitarbeiter aufgelistet, die in dem Bereich tätig sind.
19Dies vorausgeschickt hören wir Sie hiermit zu den von uns im Rahmen der demzufolge erforderliche 1 Entlassung beabsichtigte betriebsbedingte, ordentliche Kündigung an.
20Im Einzelnen handelt es sich um die nachfolgend aufgeführten Arbeitnehmer:
Name | Vorname | Straße | Plz | Ort |
M2 | C2 | S9 23 | 23456 | B2 |
Die für die Anhörung erforderlichen Personaldaten können Sie der beigefügten Anlagen entnehmen.
23Vor dem Hintergrund des Personalabbaus, sind weniger Reinigungsarbeiten durchzuführen, da auch Teilbereiche des Betriebes nicht mehr genutzt werden und somit auch sanitäre Anlagen und Büroräume nicht mehr genutzt werden. Aus diesem Grund fällt im Bereich Reinigung 1 Ganztagsarbeitsplatz weg. Bei der Sozialauswahl haben wir berücksichtigt, dass Frau M2 nur anhand ihres Alters 8 Punkte mehr aufweist und beide Arbeitnehmer die gleiche Beschäftigungsdauer haben, Frau S7 gegenüber Frau M2 sogar 0,7 Jahre mehr. Bei Frau S7 ist zu berücksichtigen, dass diese alleinerziehend mit 1 Kind ist und somit aus unserer Sicht sozialschutzwürdiger ist. Frau M2 hat keine unterhaltspflichtigen Kinder und ist somit aus unserer Sicht zu kündigen.
24…."
25Im Übrigen wird auf den Inhalt der Sammelanhörung vom 26.01.2009 sowie auf die Mitarbeiterliste des Bereichs Reinigung (Bl. 34 d. A.) Bezug genommen.
26Mit Schreiben vom 28.01.2009 (Bl. 35 d. A.) widersprach der Betriebsrat der beabsichtigten Kündigung der Klägerin mit folgender Begründung:
27"Die Kollegin M2 ist im Bereich der Reinigungskräfte ausgewählt worden.
28Bei der Kollegin M2 ist die Sozialauswahl falsch, 1 Kollegin von der Liste Reinigungskräfte hat weniger Punkte als Frau M2.
29Außerdem ist der Status "verheiratet" übersehen worden, von daher sind 8 Punkte nicht zur Anrechnung gekommen.
30Eine Reduzierung der Reinigungskräfte kommt für den Betriebsrat ohnehin nicht in Frage, da sich der Reinigungsaufwand definitiv nicht verringern wird!
31Zu dem ist noch eine Kündigungsschutzklage wegen einer verhaltensbedingten Kündigung anhängig."
32Daraufhin kündigte die Beklagte das mit der Klägerin bestehende Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 29.01.2009 (Bl. 4 d. A.), der Klägerin zugegangen am 30.01.2009, zum 28.02.2009.
33Hiergegen erhob die Klägerin am 18.02.2009 Kündigungsschutzklage zum Arbeitsgericht.
34Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei sozialwidrig. Ihr Arbeitsplatz sei nicht weggefallen. Der Reinigungsaufwand habe sich nicht verringert. Bei der Beklagten sei nur eine Toilette geschlossen worden, und zwar allein aus sanitären Gründen. Auch sei der Reinigungszyklus für nichtsanitäre Anlagen nicht vergrößert worden.
35Auch die Sozialauswahl sei fehlerhaft. Die von der Beklagten weiterbeschäftigte Mitarbeiterin im Reinigungsbereich, Frau S7, sei weniger sozial schutzwürdig als sie, die Klägerin. Nach den von der Beklagten mit dem Betriebsrat vereinbarten Auswahlrichtlinien, wie sie in § 3 des Interessenausgleichs und in Ziffer 7 des Sozialplans vom 26.01.2009 festgelegt worden seien, habe die Mitarbeiterin S7 eine geringere Punktzahl, nämlich 45,1 Punkte, als sie, die Klägerin, die auf 53,6 Punkte komme. Im Übrigen sei die Klägerin zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung noch verheiratet gewesen. Nach den sozialen Auswahlkriterien hätte sie noch 8 Punkte mehr bekommen müssen.
36Darüber hinaus sei in den Auswahlrichtlinien das Alter im Verhältnis zur Betriebszugehörigkeit viel zu hoch bewertet worden.
37Auf die fehlerhafte Sozialauswahl habe bereits der Betriebsrat hingewiesen. Die Beklagte verhalte sich selbst nicht nach den mit dem Betriebsrat ausgehandelten Auswahlrichtlinien.
38Die Klägerin hat beantragt,
39festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 29.01.2009, zugegangen am 30.01.2009, zum 28.02.2009 nicht aufgelöst worden ist.
40Die Beklagte hat beantragt,
41die Klage abzuweisen.
42Sie hat die Auffassung vertreten, die ausgesprochene betriebsbedingte Kündigung sei wirksam. Bei einer bisherigen Belegschaftsstärke von ca. 260 Mitarbeitern habe man sich aufgrund des Interessenausgleichs und Sozialplan von insgesamt 61 Arbeitnehmern trennen müssen. Die Umstrukturierung im Produktionsbereich habe zur Folge gehabt, dass auch weniger Reinigungsarbeiten anfielen. So seien die Toilettenräume im Bereich des Werkes I zum Teil geschlossen worden, sodass eine Reinigung hier nicht mehr erforderlich sei. Darüber hinaus sei der Reinigungszyklus für die nichtsanitären Anlagen vergrößert worden, sodass Büro- und Aufenthaltsräume nicht mehr in dem bisherigen Rhythmus gereinigt werden müssten. Die Verwaltung habe darüber hinaus die Anweisung erhalten, die Papierkörbe selbst zu entleeren. Auch hierdurch verringere sich der Reinigungsbedarf, sodass ein Arbeitsplatz im Bereich der Reinigung weggefallen sei.
43In der Sozialauswahl habe es dann die Klägerin treffen müssen.
44Durch Urteil vom 24.07.2009 hat das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben und zur Begründung ausgeführt, die Kündigung vom 29.01.2009 sei sozialwidrig, weil die Beklagte nicht substantiiert dargelegt habe, dass für einen weiteren Einsatz der Klägerin kein Reinigungsbedarf mehr bestehe und die Einsatzmöglichkeiten der Klägerin vollständig entfallen seien.
45Gegen das der Beklagten am 29.07.2009 zugestellte Urteil, auf dessen Gründe ergänzend Bezug genommen wird, hat die Beklagte am 19.08.2009 Berufung zum Landesarbeitsgericht eingelegt und diese mit dem am 10.09.2009 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet.
46Die Beklagte ist nach wie vor der Auffassung, die ausgesprochene Kündigung sei sozial gerechtfertigt. Hierzu behauptet sie, aufgrund der Umstrukturierung im Betrieb der Beklagten habe sich auch der Reinigungsumfang verringert. Von der bisherigen Fläche von 606,03 qm im sanitären Bereich seien insgesamt 318,03 qm außer Betrieb gesetzt worden, sodass lediglich noch eine zu reinigende Fläche von 288 qm übrig bleibe. Dies ergebe sich aus der Aufstellung "Reinigung sanitäre Anlagen und Flächenbereiche" (Bl. 73 d. A.).
47Darüber hinaus habe die Beklagte entschieden, den Zyklus der Reinigungsarbeiten aufgrund des verringerten Personalaufkommens zu verändern. Während früher Flure und Treppen täglich gewischt, gefegt oder gesaugt worden seien, sei dieser Zyklus in den meisten Bereichen auf einmal wöchentlich reduziert worden. Aus einer Aufstellung der Beklagten vom 20.08.2009 (Bl. 74 f. d. A.) ergebe sich, dass eine Gesamtfläche von 1.397,15 qm nicht mehr täglich, sondern nur noch einmal in der Woche gewischt, gesaugt oder gefegt werden müsse. Das Arbeitsaufkommen habe sich insoweit um 80 % verringert.
48Insgesamt folge hieraus, dass im Bereich der Reinigungskräfte der Beschäftigungsbedarf für eine Ganztagskraft entfallen sei. Die Klägerin könne sich auch nicht darauf berufen, dass die verbleibenden Reinigungskräfte objektiv nicht mehr in der Lage seien, in ihrer Arbeitszeit die geforderte regelmäßige Reinigungsleistung zu erbringen. Dass die Hygiene auf den Toiletten zurzeit so schlecht sei, dass der Betriebsarzt eine Mängelrüge erteilt habe, werde bestritten.
49Die Pforte und die Kantine seien im Zuge der vorliegenden Personalanpassungsmaßnahme geschlossen worden, sie müssten seither nicht mehr gereinigt werden. Für die Reinigung der Hausmessen sei die Klägerin nicht zuständig gewesen, bei Hausmessen würden externe Reinigungskräfte beschäftigt.
50Auch die von der Beklagten getroffene Sozialauswahl sei zutreffend. Neben der vollzeitbeschäftigten Klägerin seien bei der Beklagten im Reinigungsbereich Frau S7 in Vollzeit und Frau S8 in Teilzeit beschäftigt worden. Zwar habe die Klägerin nach den Auswahlrichtlinien mehr Punkte als die Mitarbeiterin S7 erreicht, jedoch habe die Beklagte bei der erforderlichen nochmaligen Überprüfung sich zu Gunsten von Frau S7 ausgesprochen, weil diese neben der etwas längeren Beschäftigungsdauer alleinerziehende Mutter sei und vor diesem Hintergrund durch Arbeitslosigkeit sozial mehr betroffen gewesen sei als die Klägerin.
51Schließlich sei auch die Anhörung des Betriebsrats ordnungsgemäß gewesen.
52Die Beklagte beantragt,
53das Urteil des Arbeitsgerichts Detmold vom 24.07.2009 – 2 Ca 224/09 – abzuändern und die Klage abzuweisen.
54Die Klägerin beantragt,
55die Berufung zurückzuweisen.
56Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil und ist der Auffassung, die Beklagte habe gegen die Prozessförderungspflicht verstoßen, indem sie erst in der Berufungsinstanz zur Begründung der Kündigung vom 29.01.2009 trotz der arbeitsgerichtlichen Auflage näher vorgetragen habe.
57Dass die Reinigungsflächen sich verringert hätten, müsse nach wie vor bestritten werden. Es seien weder 318,03 qm Sanitär-Flächen außer Betrieb gesetzt noch sonstige Räume stillgelegt worden. Die Pforte und die Kantine seien bereits gut ein Jahr vor der Kündigung der Klägerin geschlossen worden, diese Flächen hätten bereits seit über einem Jahr nicht zur Reinigung angestanden. Insoweit behauptet die Klägerin, weder zu Anfang des Jahres 2009 noch derzeit sei eine allgemeine Anweisung der Beklagten an die Reinigungskräfte ergangen, die von der Beklagten nunmehr vorgetragenen sanitären Anlagen und Flächenbereiche nicht mehr zu putzen. Die Flure und Treppen täglich zu wischen, zu fegen und zu saugen, sei schon vor Ausspruch der Kündigung nicht mehr möglich gewesen. Der Zyklus der Reinigungsarbeiten sei nicht verringert worden. Angebliche Organisationsänderungen gebe es nicht. Die Auflistungen Bl. 73 und 74 der Akten seien offenbar lediglich für das Berufungsverfahren gefertigt worden. Entsprechende Anweisungen an die Reinigungskräfte gebe es nicht.
58Die Klägerin behauptet ferner, es gebe bereits Beschwerden über unzumutbare unhygienische Zustände im Betrieb, vor allem im Bereich der Sanitäranlagen. Der Betriebsarzt Dr. v3 O1 habe bereits bei einem Betriebsrundgang am 22.09.2009 erhebliche Mängel bei der Hygiene festgestellt.
59Die Beklagte habe auch völlig unberücksichtigt gelassen, dass bei den zahlreichen Hausmessen der Beklagten Reinigungsarbeiten anfielen, die von den drei Mitarbeiterinnen im Reinigungsbereich hätten erledigt werden müssen.
60Unklar bleibe auch, wer denn nach einem etwaigen Ausscheiden der Klägerin die umfangreichen Reinigungsarbeiten im Betrieb der Beklagten durchführen solle. Neben der Vollzeitkraft Frau S7 sei lediglich die Teilzeitkraft Frau S8, die geringfügig beschäftigt sei und deren Arbeitszeit nur wenige Stunden pro Woche betrage, tätig. Diese beiden Mitarbeiterinnen seien nicht in der Lage, die geforderten regelmäßigen Reinigungsleistungen im gesamten Betrieb der Beklagten zu erbringen. Dies gelte insbesondere in der Urlaubszeit.
61Schließlich fehle es auch an einer ordentlichen Anhörung des Betriebsrats zur Kündigung der Klägerin. Dass es Organisationsveränderungen im Reinigungsbereich gegeben habe und der Reinigungszyklus geändert worden sei, sei dem Betriebsrat nicht vorgetragen worden. Wie bei den übrigen zu kündigenden Arbeitnehmern habe sich die Beklagte bei der Darstellung der Kündigungsgründe in der "Sammelanhörung" gegenüber dem Betriebsrat lediglich auf die schlechte wirtschaftliche Lage des Unternehmens bezogen. Eine ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats zur Kündigung gerade der Klägerin liege nicht vor.
62Im Übrigen wird auf den weiteren Inhalt der von den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen ergänzend Bezug genommen.
63Entscheidungsgründe:
64Die zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet.
65Die gegen die Kündigung vom 29.01.2009 gerichtete Kündigungsschutzklage der Klägerin ist begründet.
66Das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis ist durch die Kündigung der Beklagten vom 29.01.2009 nicht wirksam zum 28.02.2009 aufgelöst worden. Dies hat das Arbeitsgericht in dem angefochtenen Urteil zutreffend festgestellt.
67I.
68Die Unwirksamkeit der Kündigung vom 29.01.2009 ergibt sich schon aus § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG. Die Kündigung vom 29.01.2009 ist wegen fehlerhafter Betriebsratsanhörung unwirksam.
691. Nach § 102 Abs. 1 BetrVG ist der Betriebsrat vor jeder Kündigung unter Mitteilung der Gründe zu hören. Eine ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung ist unwirksam, § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG. Die Unwirksamkeit der Kündigung tritt dabei nicht nur dann ein, wenn der Arbeitgeber den Betriebsrat vor der Kündigung überhaupt nicht angehört hat, sondern auch dann, wenn er ihn nicht richtig beteiligt hat, insbesondere, wenn er seiner Unterrichtungspflicht nicht ausführlich genug nachgekommen ist (BAG 22.09.1994 – 2 AZR 31/94 – AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 68; BAG 17.02.2000 – 2 AZR 913/98 – AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 113; BAG 06.10.2005 – 2 AZR 316/04 – AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 150).
70Bei der Einleitung des Anhörungsverfahrens hat der Arbeitgeber dem Betriebsrat grundsätzlich zunächst die Personalien des zu kündigenden Arbeitnehmers, die Kündigungsart sowie die Kündigungsgründe mitzuteilen. Zu den mitzuteilenden Sozialdaten gehören auch grundsätzlich die Beschäftigungsdauer des zu kündigenden Arbeitnehmers sowie die Art der Kündigung und grundsätzlich auch die Kündigungsfrist sowie der Zeitpunkt, zu dem gekündigt werden soll (vgl. statt aller: KR/Etzel, 9. Aufl., § 102 BetrVG Rn. 58 ff.; Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, 9. Aufl., Rn. 396, 398 f. m.w.N.).
71Darüber hinaus muss der Betriebsrat über die Gründe für die Kündigung in ausreichender Weise unterrichtet werden. Das Anhörungsverfahren hat den Sinn, dem Betriebsrat Gelegenheit zu geben, seine Überlegungen zur Kündigungsabsicht dem Arbeitgeber zur Kenntnis zu bringen. Die Anhörung soll in geeigneten Fällen dazu beitragen, dass es erst gar nicht zum Ausspruch einer Kündigung kommt. Aus diesem Sinn und Zweck der Anhörung folgt für den Arbeitgeber die Verpflichtung, die Gründe für seine Kündigungsabsicht derart mitzuteilen, dass er dem Betriebsrat eine nähere Umschreibung des für die Kündigung maßgeblichen Sachverhalts gibt. Die Kennzeichnung des Sachverhalts muss so umfassend sein, dass der Betriebsrat ohne eigene Nachforschungen in der Lage ist, selbst die Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe zu prüfen und sich ein Bild zu machen. Der Arbeitgeber genügt daher der ihm obliegenden Mitteilungspflicht nicht, wenn er den Kündigungssachverhalt nur pauschal, schlag- oder stichwortartig umschreibt oder lediglich ein Werturteil abgibt, ohne die für seine Bewertung maßgebenden Tatsachen mitzuteilen (BAG 02.11.1983 – 7 AZR 65/82 – AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 29; BAG 05.12.2002 – 2 AZR 697/01 – AP KSchG 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 60; BAG 06.10.2005 – 2 AZR 316/04 – AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 150; KR/Etzel, a.a.O., § 102 BetrVG Rn. 62 ff.; Stahlhacke/Preis/Vossen, a.a.O., Rn. 403; APS/Koch, Kündigungsrecht, 3. Aufl., § 102 BetrVG Rn. 104; WPK/Preis, BetrVG, 4. Aufl., § 102 Rn. 50; ErfK/Kania, 10. Aufl., § 102 BetrVG Rn. 9 m.w.N.).
722. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze erweist sich die Kündigung vom 29.01.2009 bereits wegen unzureichender Anhörung des Betriebsrats als unwirksam.
73a) Dem Betriebsrat sind zwar die Personalien der zu kündigenden Klägerin und ihre grundlegenden Sozialdaten bekannt gewesen. Der "Sammelanhörung" vom 26.01.2009 hatte die Beklagte eine Liste der beschäftigten Mitarbeiterinnen aus dem Bereich Reinigung (Bl. 34 d. A.) beigefügt. Aus dieser Aufstellung ergibt sich sowohl der Familienstand, die Anzahl der zu betreuenden Kinder, das Geburtsdatum und die Betriebszugehörigkeit der Klägerin sowie der weiteren im Reinigungsbereich betroffenen Mitarbeiterinnen.
74b) Die Wirksamkeit der Anhörung des Betriebsrates scheitert jedoch an der unzureichenden Mitteilung der Kündigungsgründe gerade der Klägerin.
75In der "Sammelanhörung" vom 26.01.2009 ist gegenüber dem Betriebsrat zur Begründung der betriebsbedingten Kündigung der Klägerin lediglich vorgetragen worden, dass "vor dem Hintergrund des Personalabbaus … weniger Reinigungsarbeiten durchzuführen seien, da auch Teilbereiche des Betriebes nicht mehr genutzt werden und somit auch sanitäre Anlagen und Büroräume nicht mehr genutzt werden." Aus diesem Grunde falle im Bereich Reinigung ein Ganztagsarbeitsplatz weg. Diese Begründung ist unzureichend. Auch bei einer betriebsbedingten Kündigung muss dem Betriebsrat im Einzelnen mitgeteilt werden, inwiefern und aus welchen Gründen der Arbeitsplatz des zu kündigenden Arbeitnehmers wegfällt; pauschale Hinweise auf Auftragsmangel, Arbeitsmangel oder Rationalisierungsmaßnahmen genügen nicht. Selbst bei Vorliegen eines Interessenausgleichs mit Namensliste nach § 1 Abs. 5 KSchG unterliegt die Betriebsratsanhörung gemäß § 102 BetrVG grundsätzlich keinen erleichternden Anforderungen (BAG 28.08.2003 – 2 AZR 377/02 – AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 134; BAG 23.10.2008 – 2 AZR 163/07 – AP KSchG 1969 § 1 Namensliste Nr. 18; WPK/Preis, a.a.O., § 102 Rn. 54). Auch der bloße Hinweis auf eine getroffene Unternehmer-entscheidung oder die Mitteilung bloßer wirtschaftlicher Motive reichen grundsätzlich nicht aus (LAG Hamm 30.09.1999 – 16 Sa 2598/98 – LAGE BetrVG § 102 Nr. 73).
76Unter Beachtung dieser Grundsätze sind in der Sammelanhörung vom 26.01.2009 die dem Betriebsrat angegebenen Kündigungsgründe nur unzureichend dargestellt worden. Für den vorliegenden Fall besteht schon die Besonderheit, dass bei der "Sammelanhörung" für 51 Mitarbeiter eine Namensliste bestand und dennoch 61 Arbeitnehmer entlassen werden sollten, wobei die Klägerin nicht auf der Namensliste enthalten war. Gerade im Hinblick auf die personelle Verringerung des Reinigungsbereichs, der auch nicht in § 3 Nr. 3 des Interessenausgleichs vom 26.01.2009 ausdrücklich benannt worden ist, und der daraus folgenden beabsichtigten Kündigung der Klägerin fehlt es an näheren Darlegungen gegenüber dem Betriebsrat, inwieweit und aus welchen Gründen aufgrund der Personalanpassungsmaßnahme weniger Reinigungsarbeiten erforderlich sind und von den bisherigen Arbeitsplätzen im Reinigungsbereich ein Ganztagsarbeitsplatz wegfallen soll. Allein der Hinweis darauf, dass "Teilbereiche des Betriebes" und "somit auch sanitäre Anlagen und Büroräume" nicht mehr genutzt würden, ist unzureichend. Auch gegenüber dem Betriebsrat hätte die Beklagte die Auswirkungen der innen- oder außerbetrieblichen Gründe auf den Arbeitsplatz des zu kündigenden Arbeitnehmers darstellen müssen. Allein daraus, dass die in § 3 Nr. 3 des Interessenausgleichs angesprochenen Bereiche von Personalmaßnahmen betroffen waren, ergibt sich nicht automatisch, dass auch Reinigungsarbeiten zukünftig nicht mehr im bisherigen Umfang weiter anfielen. Die Beklagte hätte insoweit gegenüber dem Betriebsrat näher darstellen müssen, inwieweit es im Reinigungsbereich Veränderungen des Arbeitsablaufs und/oder eine gewisse Leistungsverdichtung geben würde. Insbesondere wenn ein Arbeitgeber eine beabsichtigte Kündigung auf innerbetriebliche Gründe stützen will und er eine sogenannte gestaltende Unternehmerentscheidung getroffen hat, sind dem Betriebsrat der zukünftige Arbeitsablauf und dessen Auswirkungen auf die Arbeitsplätze darzustellen. Dies gilt insbesondere in den Fällen der Leistungsverdichtung und Veränderungen des Arbeitsablaufs aufgrund Rationalisierungsmaßnahmen. Die Art der getroffenen Unternehmerentscheidung und der geänderte tatsächliche Betriebsablauf müssen für den Betriebsrat erkennbar werden (APS/Koch, a.a.O., § 102 Rn. 109 a). Ferner gehört im Fall einer umstrukturierenden Unternehmerentscheidung zu einer ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrats die Mitteilung, weshalb oder zumindest dass deren Umsetzung ohne überobligatorische Leistungen der verbleibenden Arbeitnehmer möglich ist (BAG 23.11.2000 – 2 AZR 617/99 – AP KSchG 1969 § 2 Nr. 63; HaKo/Nägele, Kündigungsschutzrecht, 3. Aufl., § 102 BetrVG Rn. 105). Auch insoweit enthält die Sammelanhörung der Beklagten gegenüber dem Betriebsrat vom 26.01.2009 keine Angaben. Die Beklagte hat gegenüber dem Betriebsrat insbesondere nicht näher dargelegt, in welchen Bereichen zukünftig eine Reinigung nicht mehr erforderlich ist. Ferner hat sie gegenüber dem Betriebsrat nicht dargestellt, dass und in welcher Form der Reinigungszyklus demnächst verändert werden sollte und dass weitere Maßnahmen getroffen worden seien – Wegfall der Papierkorbleerung -, durch den sich die Arbeiten im Reinigungsbereich verringerten.
77Dass die Angaben gegenüber dem Betriebsrat im Rahmen der Sammelanhörung vom 26.01.2009 unzureichend gewesen sind, wird schon durch den Widerspruch des Betriebsrats vom 28.01.2009 bestätigt. Der Betriebsrat hat im Schreiben vom 28.01.2009 bereits ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sich der Reinigungsaufwand ohnehin nicht verringern werde. Darüber hinaus ist auch auffällig, dass die Beklagte im gesamten erstinstanzlichen Verfahren zum Ablauf der angeblich geänderten Reinigungstätigkeit nur höchst unzureichend vorgetragen hat. Erst im Berufungsverfahren sind hierzu nähere Angaben gemacht worden. Dass sich der Reinigungszyklus im Betrieb der Beklagten geändert habe, wird erst-malig mit Schreiben vom 20.08.2009 (Bl. 74 d. A.) näher dargestellt. Die streitige Kündigung datiert jedoch bereits vom 29.01.2009. Gerade weil die Beklagte die Kündigung gegenüber der Klägerin auch auf den geänderten Reinigungszyklus stützen will, hätte sie gegenüber dem Betriebsrat hierzu eingehendere Angaben machen müssen. Die organisatorischen Maßnahmen der Beklagten, die zum Wegfall des Arbeitsplatzes der Klägerin führen sollen, hätten bereits gegenüber dem Betriebsrat näher dargestellt und zumindest in Grundzügen näher erläutert werden müssen. In der Sammelanhörung vom 26.01.2009 sind die Gründe für die Kündigung der Klägerin nur stichwortartig angesprochen, nicht aber in einer Weise dargestellt, dass der Betriebsrat sich ohne eigene Nachforschungen ein Bild hiervon machen konnte.
782. Ergänzend weist die Berufungskammer darauf hin, dass – unabhängig von der ordnungsgemäßen Betriebsratsanhörung – auch die Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG unzureichend erscheint.
79Die Beklagte hat mit dem in ihrem Betrieb gewählten Betriebsrat insoweit Auswahlrichtlinien in § 3 Nr. 5 des Interessenausgleichs vom 26.01.2009, Ziffer 7 des Sozialplans vom 26.01.2009 gemäß § 1 Abs. 4 KSchG und § 95 Abs. 1 Satz 1 BetrVG festgelegt. Nach diesen Richtlinien, die im Wesentlichen dem in der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 09.11.2006 (- 2 AZR 812/05 - AP KSchG 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 87) zugrunde liegenden Punktesystem entsprechen, war aber die Klägerin, die eine Gesamtpunktzahl von 53,6 Punkte erreichte, wesentlich schutzwürdiger als die Mitarbeiterin S7 mit einer Gesamtpunktzahl von 45,1 Punkte. Hierbei ist der Umstand, dass die Klägerin zum Zeitpunkt der Kündigung – wenn auch getrennt lebend mit Lohnsteuerklasse 1 – verheiratet gewesen ist, bereits nicht berücksichtigt worden. Hiernach hätte die Beklagte nach den von ihr selbst mit dem Betriebsrat vereinbarten Auswahlrichtlinien statt der sozial schutzwürdigeren Klägerin die Mitarbeiterin S7 entlassen müssen, wenn tatsächlich ein Arbeitsplatz im Reinigungsbereich weggefallen wäre.
80Die von ihr getroffene Sozialauswahl kann die Beklagte auch nicht damit rechtfertigen, dass man sich bei einer nochmaligen Einzelfallüberprüfung zu Gunsten der Mitarbeiterin S7 ausgesprochen habe, weil diese neben einer etwas längeren Beschäftigungsdauer alleinerziehende Mutter sei. Verwendet ein Arbeitgeber im Rahmen der Sozialauswahl ein mit dem Betriebsrat festgelegtes Punktesystem, ist insoweit eine abschließende Einzelfallbetrachtung und individuelle Abschlussprüfung nicht mehr erforderlich (BAG 09.11.2006 – 2 AZR 812/05 – AP KSchG 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 87). Durch die mit dem Betriebsrat vereinbarten Auswahlrichtlinien tritt für den Arbeitgeber eine Selbstbindung ein, von der er zum Schutz des Arbeitnehmers nicht willkürlich abweichen darf (KR/Griebeling, a.a.O., § 1 KSchG Rn. 678 k; HaKo/Gallner, a.a.O., § 1 KSchG Rn. 782). Die um neun Monate längere Betriebszugehörigkeit der Mitarbeiterin S7 gegenüber der Klägerin und deren Unterhaltsverpflichtung für ein Kind sind im vorliegenden Fall aber bereits bei der Ermittlung der Gesamtpunktzahl berücksichtigt worden. Aufgrund der von der Beklagten vorgenommenen nochmaligen Einzelfallüberprüfung hat die Beklagte die – nur geringfügige – längere Betriebszugehörigkeit der Mitarbeiterin S7 und deren Unterhaltsverpflichtung für ein Kind entgegen den Auswahlrichtlinien zu Lasten der Klägerin doppelt berücksichtigt.
81Auf die Frage, ob sich das Arbeitsaufkommen im Reinigungsbereich im Betrieb der Beklagten erheblich verringert hat, wie die Beklagte im Berufungsverfahren behauptet, und hierdurch ein Arbeitsplatz im Reinigungsbereich entfallen ist, kam es nach alledem nicht mehr an.
82III.
83Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Beklagte hat die Kosten des erfolglos gebliebenen Berufungsverfahrens zu tragen. Der Streitwert hat sich in der Berufungsinstanz nicht geändert, § 63 GKG.
84Für die Zulassung der Revision zum Bundesarbeitsgericht bestand nach § 72 Abs. 2 ArbGG keine Veranlassung.