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hat die 2. Kammer des Landesarbeitsgerichts Hamm
durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Bertram
beschlossen:
Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Hamm vom 30.10.2002 3 Ca 881/02 abgeändert:
Der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten wird für unzulässig erklärt.
Der Rechtsstreit wird an das Landgericht Dortmund verwiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Kläger zu tragen.
(Hier Freitext: Tatbestand, Gründe etc.) Der Kläger nimmt die Beklagten auf Provisionszahlung in Anspruch.
2Der Kläger war für die Beklagten als Anzeigenberater tätig. Er wurde seiner Behauptung zufolge als freier Mitarbeiter eingestellt; tatsächlich habe jedoch ein Arbeitsverhältnis vorgelegen.
3Die Beklagten betätigen sich als Verlag und Herausgeberin von Zeitschriften und Internetseiten. Aufgabe des Klägers war es, Anzeigen zu akquirieren. Dies geschah ausschließlich telefonisch. Für die Nutzung des von den Beklagten zur Verfügung gestellten oder angemieteten Büros sowie für die Nutzung des Telefons musste der Kläger Kosten und Gebühren entrichten. Die Beklagten vergüteten den Kläger nach Umsatz. Der Kläger erhielt eine Provision für die unmittelbar von ihm vermittelten Geschäfte und für die Umsätze der von ihm angelernten und betreuten Vertriebsgruppe. Die Beklagten unterscheiden zwischen Gruppenleiter, Abteilungsleiter, Büroleiter und Bezirksdirektor. Neben dem Umsatzbonussystem (Strukturvertriebmodell) zahlen sie zusätzlich einen Sonderbonus für den Struktur-Umsatzerfolg.
4Die Beklagte zu 2) erteilte dem Kläger unter dem 28.06.2001 eine umsatzbezogene Provisionsgutschrift in Höhe von 375,11 DM. Die gutgeschriebenen Boni rechnete sie mit 13.972,50 DM ab. Abzüglich Gebühren und Kosten sowie einschließlich 16 % Mehrwertsteuer ergab sich für den Kläger ein Gesamtauszahlungsbetrag von 16.525,77 DM. Die Beklagte zu 2) erteilte dem Kläger unter dem 28.06.2001 eine umsatzbezogene Provisionsgutschrift von 125,04 DM. Die ihm gutzuschreibenden Boni errechnete sie mit 4.657,50 DM. Abzüglich Gebühren und Kosten sowie einschließlich 16 % Mehrwertsteuer errechnete die Beklagte zu 2) einen Gesamtauszahlungsbetrag zugunsten des Klägers von 5.508,59 DM. Auf beiden Provisionsgutschriften heißt es, eine Auszahlung sei derzeit nicht möglich, da man auf Kundenzahlungen der noch offen stehenden Rechnungen warte.
5Die Beklagten rügen die Unzuständigkeit des Arbeitsgerichts. Sie verweisen auf eine Prüfung der BfA, die in ihrem Schlussbericht zu dem Ergebnis kommt, dass die sog. Medienberater echte freie Mitarbeiter im sozialversicherungsrechtlichen Sinne seien und ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis nicht bestanden habe. Sie tragen vor, der Kläger sei bezüglich der Gestaltung seiner Arbeitsleistungen und seiner Arbeitszeit völlig frei gewesen. Die Medienberater säßen entweder in eigenen Büros oder in Büros, die als Büropool von ihnen angemietet worden seien. Es bleibe dem Kläger überlassen, wann und wie oft er sich in diesem Büro aufhalte und wann und wie oft er mit wem telefoniere. Der Kläger habe eine sog. Überprovision erhalten, weil er eine Vertriebsstruktur mit einer von ihm angelernten und betreuten Gruppe aufgebaut habe. Über diese Gruppe habe er in der Vergangenheit unternehmerisch verfügt, indem er mit Kündigung seiner gesamten Gruppe unter Mitnahme des Anzeigenpotentials gedroht habe, um höhere Provisionen durchzusetzen. Er sei von ihnen wirtschaftlich nicht abhängig gewesen, sondern habe sich aufgrund seines Anzeigenaufkommens wie ein Unternehmer frei am Markt bewegen können und seine Dienstleistung immer an den verkauft, der am besten gezahlt habe.
6Demgegenüber vertritt der Kläger den Standpunkt, er sei Arbeitnehmer gewesen. Die Beklagten unterhielten einen sog. Strukturvertrieb und vergüteten ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf allen Ebenen, sei es als Medienberater, Gruppenleiter, Abteilungsleiter, Büroleiter oder Bezirksdirektoren direkt. Der von den Beklagten praktizierte "Anwesenheitsbonus" passe nicht zum Bild eines selbständigen Handelsvertreters.
7Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses Bezug genommen.
8Das Arbeitsgericht hat durch Beschluss vom 30.10.2002 den Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten für zulässig erklärt. Zur Begründung seines den Beklagten am 19.11.2002 zugestellten Beschlusses hat es ausgeführt, der Kläger sei gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 ArbGG als arbeitnehmerähnliche Person anzusehen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Beschlussgründe Bezug genommen.
9Die Beklagten wollen mit ihrer am 02.12.2001 eingegangenen Beschwerde die Verweisung des Rechtsstreits an das Landgericht Dortmund erreichen. Zur Begründung des Rechts-mittels tragen sie vor, der Kläger habe ein eigenes wirtschaftliches Risiko getragen, denn er habe neben der Büromiete und den Nebenkosten auch die bei der Telefonakquisition angefallenen erheblichen Telefongebühren zahlen müssen. Der Kläger habe in einer Struktur arbeitende Mitarbeiter geführt und aus den erzielten Umsätzen der Gruppe einen Strukturbonus erhalten. Die ständige Verfügbarkeit des Klägers gegenüber dieser Gruppe sei erforderlich gewesen, um Schulungen und Qualifizierungsmaßnahmen durchzuführen. In manchen Monaten habe der Kläger den größten Teil seiner Vergütung aus den Strukturboni erzielt und nicht aus den eigenen Umsätzen. Der größere Teil der Tätigkeit des Klägers habe darin bestanden, eine eigene Struktur zu schaffen, um mit dieser Struktur Anzeigen zu verkaufen und abzurechnen. Der Kläger habe wie ein Selbständiger Mitarbeiter angeworben, die er angelernt habe und die unter seiner Aufsicht Telefonmarketing betrieben hätten.
10Demgegenüber betont der Kläger, zwischen ihm und den Gruppenmitgliedern hätten keine vertraglichen Beziehungen bestanden, sondern die Beklagten hätten sämtliche Mitarbeiter - ihn eingeschlossen - in ihre Vertriebsstruktur integriert.
11Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
12II
13Die gemäß §§ 48 Abs. 1 ArbGG, 17 a Abs. 4 Satz 2 GVG, 78 Abs. 1 ArbGG statthafte und im Übrigen gemäß den §§ 569, 571, 572 ZPO zulässige Beschwerde der Beklagten hat Erfolg. Die Arbeitsgerichte sind unzuständig, weil es sich bei dem Kläger um einen Handelsvertreter im Sinne der §§ 5 Abs. 3 ArbGG, 84 HGB handelt.
141. Handelsvertreter sind gemäß § 84 Abs. 1 HGB selbständige Kaufleute, wenn sie ihre Tätigkeit im Wesentlichen frei gestalten und ihre Arbeitszeit frei von Weisungen Dritter bestimmen können. Die Arbeitsgerichte sind gemäß § 5 Abs. 3 ArbGG für Handelsvertreter nur ausnahmsweise zuständig, wenn es sich um Einfirmenvertreter gemäß § 92 a HGB handelt und die Verdienstgrenze von durchschnittlich 1.000,00 EUR monatlich nicht überschritten wird. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, ist die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte gegeben. Es kommt nicht darauf an, ob der Handelsvertreter, wenn er kein Einfirmenvertreter ist, noch als arbeitnehmerähnliche Person angesehen werden kann (Germelmann/-Matthes/Prütting/Müller-Glöge, ArbGG, 4. Aufl., Rdnr. 28 zu § 5; GK-ArbGG/Wenzel, Stand Febr. 2002, Rdnr. 162 zu § 5; BAG vom 15.07.1961 - 5 AZR 472/60 - AP Nr. 1 zu § 92 a HGB).
152. Das Rechtsverhältnis zwischen dem Kläger und den Beklagten muss als freies Dienstverhältnis gemäß den §§ 611 BGB eingeordnet werden. Die §§ 84 f HGB sind anwendbar, weil der Kläger für die Beklagten Geschäfte vermittelt und dafür eine Provision erhalten hat. Von einem kaufmännischen Angestellten unterscheidet sich der Kläger durch seine Selbständigkeit (vgl. § 84 Abs. 2 HGB). Er war nicht an eine bestimmte Arbeitszeit gebunden und bezüglich der Gestaltung der von ihm zu erbringenden Dienstleistungen frei. Er unterlag keinen arbeitsbegleitenden Weisungen wie sie typisch sind für ein Arbeitsverhältnis. Gegen die Selbständigkeit des Klägers spricht nicht, dass der Kläger offenbar keinen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb unterhielt und die Mitglieder seiner Vertriebsgruppe unmittelbar mit dem Beklagten abrechneten (BAG vom 15.12.1999 - 5 AZR 566/98 - AP Nr. 9 zu § 84 HGB) Gemäß § 84 Abs. 4 HGB sind die Vorschriften des 7. Abschnitts des HGB auch dann anzuwenden, wenn das Unternehmen des Handelsvertreters nach Art und Umfang einen in kaufmännischer Weise organisierten Geschäftsbetrieb nicht erfordert. Ebenso wenig wird die Selbständigkeit des Klägers dadurch in Frage gestellt, dass er an Weisungen und Richtlinien seiner Auftraggeber gebunden war (BAG vom 05.12.1999 - 5 AZR 169/99 - AP Nr. 12 zu § 84 HGB). Maßgebend ist, dass der Kläger selbst entscheiden konnte, ob, wann und in welchem Umfang er zum Zwecke der Akquisition von Anzeigen tätig wurde. Es spricht gerade für seine Einordnung als Handelsvertreter, dass ihm für die von ihm angeworbene und angelernte Gruppe Strukturboni gutgeschrieben wurden. Es ist im Bereich der Handelsvertreter nicht unüblich, dass der Handelsvertreter von den Umsätzen der ihm nachgeordneten Untervertreter eine anteilige Provision erhält. Eine Anwesenheitspflicht des Klägers kann nicht daraus abgeleitet werden, dass vom Erfolg seiner Betreuungstätigkeit gegenüber der Vertriebsgruppe sein persönlicher Struktur-Umsatzerfolg abhing. Auch hinsichtlich der Schaffung und Betreuung seiner Vertriebsgruppe war der Kläger zeitlich und inhaltlich frei. Das praktizierte Abrechnungssystem und die Höhe der erzielten Vergütung sprechen ebenfalls für eine selbständige, freiberufliche Tätigkeit des Klägers. Schließlich kann als zusätzliches Indiz nicht außer Betracht bleiben, dass die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, die den Sachverhalt von Amts wegen aufklären muss, in ihrem Schlussbericht vom 15.03.2002 zu dem Ergebnis gelangt ist, dass für die etwa 50 beschäftigten Medienberater keine abhängigen Beschäftigungsverhältnisse bestünden.
16III
17Der Kläger hat gemäß § 91 ZPO die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
18Hamm, den 15.08.2003
19Der Vorsitzende der 2. Kammer
20gez. Bertram
21Vorsitzender Richter am
22Landesarbeitsgericht
23/Fou.