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hat die 15. Kammer des Landesarbeitsgerichts Hamm
auf die mündliche Verhandlung vom 25.07.2003
durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Wendling
sowie die ehrenamtlichen Richter Menne und Koritzius
für Recht erkannt:
Die Berufung des beklagten L4xxxx gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bochum vom 17.10.2002 4 Ca 1140/02 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtstreits trägt das beklagte L3xx.
Die Revision wird nicht zugelassen.
(Hier Freitext: Tatbestand, Gründe etc.) Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer außerordentlichen fristlosen Kündigung.
2Der Kläger ist seit 1983 für das beklagte L3xx im einfachen Bürodienst für die Justizvollzugsanstalt B1xxxx-L1xxxxxxxxx tätig. Er erhielt zuletzt eine monatliche Vergütung von ca. 2.000,00 EUR brutto. Der Kläger ist schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 100. Sein Schwerbehindertenausweis trägt darüber hinaus das Merkzeichen "G". Erstmalig ist die Schwerbehinderung des Klägers im Jahre 1981 mit einem Grad der Behinderung von 50 anerkannt worden. Seitdem war der Behinderungsgrad zunehmend. Zwischenzeitlich ist beim Kläger eine Lebertransplantation durchgeführt worden. Wegen der Einzelheiten wird in diesem Zusammenhang auf das ärztliche Schreiben vom 06.05.2002 (Bl. 62 d.A.) verwiesen. Der Kläger ist gemäß § 55 BAT ordentlich nicht mehr kündbar.
3Am 04.03.2002 wurde in der Zweiganstalt R2xxxxxxxxxxxx ein an einen Inhaftierten adressierter Brief vorgefunden, bei dem sich unter der Briefmarke eine zunächst nicht zu identifizierende Substanz befand. Eine Untersuchung ergab, dass dieser Brief vom Kläger im Posteingang bearbeitet worden war. Die Einzelheiten der nachfolgenden Untersuchungen und des Inhalts der Gespräche mit dem Kläger sind zwischen den Parteien streitig. Am 20.03.2002 beantragte das beklagte L3xx beim Integrationsamt die Zustimmung zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Klägers, die am 03.04.2002 per Telefax übermittelt und mit Einschreiben vom 02.05.2002 begründet worden ist. Mit Schreiben vom 20.03.2002 hörte das beklagte L3xx den zuständigen Personalrat zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung an, der mit Datum vom 22.03.2002 die Zustimmung erklärte.
4Mit Schreiben vom 04.04.2002, welches dem Kläger am 05.04.2002 zuging, erklärte das beklagte L3xx die außerordentliche fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Hiergegen richtet sich die Feststellungsklage, die am 22.04.2002 beim Arbeitsgericht Bochum einging.
5Zur Begründung seiner Klage hat der Kläger vorgetragen, er habe darum gebeten, ihn wegen seiner gesundheitlichen Verfassung von der Verpflichtung zur Überprüfung verdächtiger Post zu entbinden. Dem sei nicht entsprochen worden. Bei der fraglichen Postkontrolle habe er die Auffälligkeit an dem offensichtlich manipulierten Brief völlig falsch eingeschätzt. Er habe nicht den Eindruck gehabt, von diesem Brief könne eine Gefahr ausgehen. Deshalb habe er den Brief an den Zentralbeamten weiterleiten wollen. Diesen habe er jedoch nicht aufgefunden, da er sich nicht an seinem Arbeitsplatz aufgehalten habe. Er habe den fraglichen Brief dann auf dem Schreibtisch des Zentralbeamten hinterlassen und ihn mit einer Gummibanderole auf dem Poststapel ganz oben befestigt, damit er von dem Zentralbeamten sofort habe wahrgenommen werden können. Darüber hinaus habe er den Leiter des allgemeinen Vollzugsdienstes über die aus seiner Sicht lediglich auffällige Briefmarke noch in Kenntnis setzen wollen. Dieser habe jedoch am 04.03.2002 an einer Vollzugskonferenz teilgenommen. In der Folge habe er sich gedanklich mit dem Brief nicht mehr befasst. Als er später auf die Postsendung angesprochen worden sei, habe er zunächst nicht gewusst, um welchen Brief es sich gehandelt habe. Im weiteren Verlauf des Gespräches habe er sich an einen Brief mit einer auffälligen Briefmarke erinnert.
6Zu berücksichtigen sei weiter, dass seine Wahrnehmungsmöglichkeiten aufgrund seines Krankheitsbildes nachhaltig eingeschränkt seien. Er, der Kläger, sei mit seiner Tätigkeit schlichtweg überfordert gewesen.
7Schließlich bestreite er, der Kläger, die ordnungsgemäße Beteiligung des Personalrates.
8Der Kläger hat beantragt,
91. festzustellen, dass das durch Arbeitsvertrag vom 15.08.1983 begründete Arbeitsverhältnis nicht durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 04.04.2002, dem Kläger am 05.04.2002 zugegangen, beendet worden ist;
102. die Beklagte zu verpflichten, den Kläger zu gleichen Bedingungen als Verwaltungsangestellter weiter zu beschäftigen.
11Das beklagte L3xx hat beantragt,
12die Klage abzuweisen.
13Es hat vorgetragen, der Kläger habe vorsätzlich dienstliche Anweisungen nicht befolgt und im Rahmen der Aufklärung des Sachverhalts wahrheitswidrige Angaben gemacht, um sein Fehlverhalten zu verschleiern. Der Kläger habe sich lediglich deshalb nicht weisungsgemäß verhalten, weil er sich zusätzlichen Verwaltungsaufwand habe ersparen wollen. Dieses Verhalten könne in einem hochsensiblen Sicherheitsbereich nicht hingenommen werden. Der Kläger habe anlässlich der Postkontrolle den manipulierten Brief geöffnet und die Substanz unter der Briefmarke entdeckt. Er habe die Auffälligkeit nicht gemeldet, weil er befürchtet habe, im Hinblick auf die seinerzeit in Kraft befindlichen Anweisungen im Zusammenhang mit Milzbrandanschlägen und der Behandlung verdächtiger Post eine Stellungnahme verfassen zu müssen. Im Rahmen der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen habe sich herausgestellt, dass sich auf der Alufolie, die sich hinter der Briefmarke befunden habe, Anhaftungen von Heroin befunden hätten. Durch diesen Vorfall sei das Vertrauensverhältnis zum Kläger irreparabel zerstört worden. Der Kläger stelle ein nicht kalkulierbares Sicherheitsrisiko dar.
14Entgegen der Darstellung des Klägers habe er nicht gebeten, von der besonderen Postkontrolle entbunden zu werden. Trotz seiner Behinderung sei die einfache Aufgabe der Postöffnung, der Kontrolle und der Weiterleitung unter Beachtung der dienstlichen Anweisungen für den Kläger zumutbar gewesen. Der Kläger habe eingeräumt, die Brisanz der fraglichen Postsendung erkannt zu haben. Er habe sich jedoch weiteren Aufwand ersparen wollen.
15Der örtliche Personalrat, die Gleichstellungsbeauftragte sowie der Vertrauensmann der Schwerbehinderten seien jeweils ordnungsgemäß angehört worden und hätten der Kündigung zugestimmt.
16Durch Urteil vom 17.10.2002 hat das Arbeitsgericht der Klage antragsgemäß stattgegeben. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils Bezug genommen, das dem beklagten L3xx am 12.03.2002 zugestellt worden ist. Hiergegen richtet sich die Berufung des beklagten L4xxxx, die am 09.04.2003 beim Landesarbeitsgericht eingegangen und am 30.04.2003 begründet worden ist.
17Das beklagte L3xx hält die streitgegenständliche Kündigung weiterhin für rechtswirksam. Hierzu trägt es vor, der Sachverhalt sei zwischen den Parteien im Wesentlichen unstreitig. Dem angefochtenen Urteil des Arbeitsgerichts liege jedoch eine rechtsfehlerhafte Bewertung von Ausmaß und Bedeutung des Fehlverhaltens des Klägers zu Grunde. Das Verhalten des Klägers sei geeignet, ohne vorhergehende Abmahnung eine außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses zu begründen. Nicht ersichtlich sei, dass der Kläger aus gesundheitlichen Gründen mit den konkreten Anforderungen der Postkontrolle überfordert gewesen sei. Nach Entdeckung der Substanz unter der Briefmarke der Postsendung habe der Kläger den Brief nicht von der übrigen Post getrennt und den Vorfall gemeldet, sondern den Brief gemeinsam mit der weiteren Post in die Zentrale im Hafthaus gebracht, von wo aus die Post an die Häftlinge verteilt werde. Dort sei der Brief am 04.03.2002, also drei Tage später, aufgefallen. Im Rahmen der anschließenden Befragungen der Mitarbeiter zu dem Vorgang habe der Kläger zunächst jegliche Beteiligung abgestritten. Erst elf Tage nach Eingang der Postsendung bzw. acht Tage nach Aufdeckung des Vorfalls habe der Kläger erstmalig eingeräumt, den Brief geöffnet und bereits hierbei die Substanz unter der Briefmarke entdeckt zu haben.
18Der Kläger habe mit seinem Verhalten gegen zahlreiche Dienstvorschriften und gegen solche Verhaltensregeln verstoßen, die auch einem Unbeteiligten als offenkundig und bedeutsam erscheinen müssten. Die Pflichtverletzungen des Klägers seien dabei aus egoistischen Beweggründen geschehen. Hierbei habe der Kläger die Gefährdung anderer Mitarbeiter der Justizvollzugsanstalt bzw. alternativ die Begünstigung einer Straftat in Kauf genommen. Nachträglich habe sich herausgestellt, dass es sich bei der Substanz unter der Briefmarke um Heroin gehandelt habe. Mit dem Abstreiten jeglicher Beteiligung an dem Vorgang im Anschluss an dessen Bekanntwerden habe der Kläger zudem deutlich erkennen lassen, dass er seinen egoistischen Beweggründen weiterhin Vorrang vor den dringenden und berechtigten Interessen der Justizvollzugsanstalt an der Einhaltung der Sicherheitsvorschriften einräume. Auch das nachträgliche Eingestehen der Tat ändere hieran nichts, zumal der Kläger im Rahmen der arbeitsgerichtlichen Auseinandersetzung die vorsätzliche Verhaltensweise erneut bestritten und stattdessen eine Überforderungssituation zur Entschuldigung seines Verhaltens angeführt habe.
19Das Verhalten des Klägers habe in eindeutiger Weise gegen die Anordnung gemäß der Hausverfügung "Gefährdung durch Milzbrand" verstoßen, die dem Kläger bekannt gewesen sei. Darüber hinaus habe der Kläger gegen solche Verhaltensregeln verstoßen, die auch einem unbeteiligten Dritten einleuchteten. Jegliche Tätigkeit in der Justizvollzugsanstalt, insbesondere aber die Tätigkeit in der Postkontrolle unterliege besonderen Sicherheitsvorschriften. Hierüber habe der Kläger sich ohne rechtfertigenden Grund hinweggesetzt. Mit seinem Verhalten sei sowohl eine potentielle Gefährdung anderer Mitarbeiter der Justizvollzugsanstalt als auch die Gefahr verbunden gewesen, dass das unter der Briefmarke befindliche Rauschgift zu dem Adressaten der Postsendung gelangt und die hiermit verbundene Straftat vollendet wird. Unterstelle man, dass es sich bei der unter der Briefmarke befindlichen Substanz um Milzbranderreger gehandelt hätte, so wäre die Infizierung anderer Mitarbeiter und die Gefahr einer im schlimmsten Fall tödlichen Erkrankung nicht auszuschließen gewesen. Dies gelte auch für den Häftling, an den die Postsendung adressiert gewesen sei.
20Das Verhalten des Klägers stelle eine besonders schwere und bedeutsame Verletzung vertraglicher Pflichten dar, welche zugleich einen gravierenden Vertrauensbruch beinhalte, so dass eine Weiterbeschäftigung nicht möglich sei. Der Kläger habe willentlich seine vertraglichen Verpflichtungen verletzt, um sich den hiermit verbundenen weiteren Aufwand zu ersparen. Dabei habe der Kläger bewusst gegen spezielle und allgemeine Sicherheitsvorschriften verstoßen. Vor diesem Hintergrund müsse angenommen werden, dass der Kläger auch künftig seine eigenen Interessen über die Interessen an Einhaltung der Sicherheitsvorschriften stellen werde. Daneben seien auch Allgemeinwohlinteressen sowie die Interessen der Mitarbeiter und der Häftlinge zu berücksichtigen. Es sei für die Zukunft nicht auszuschließen, dass der Kläger erneut Sicherheitsvorschriften verletzen werde. Der Kläger sei aus diesen Gründen gänzlich ungeeignet, seinen Dienst in der Justizvollzugsanstalt fortzusetzen. Angesichts des vorsätzlichen Handelns des Klägers komme eine Abmahnung nicht in Betracht.
21Das beklagte L3xx beantragt,
22das Urteil des Arbeitsgerichts Bochum vom 17.10.2002 - 4 Ca 1140/02 -
23abzuändern und die Klage abzuweisen.
24Der Kläger beantragt,
25die Berufung zurückzuweisen.
26Er verteidigt das angefochtene Urteil und trägt vor, das Arbeitsgericht habe zutreffend festgestellt, das beklagte L3xx habe zunächst eine Abmahnung aussprechen müssen, zumal es sich um das erstmalige Fehlverhalten seinerseits in einem bereits knapp zwanzig Jahre andauernden Arbeitsverhältnis gehandelt habe. Bis zu diesem Zeitpunkt habe er durchweg nur positive Beurteilungen erhalten. Die fristlose Kündigung sei das äußerste Mittel zur Regelung eines Interessenkonfliktes. Das ultima-ratio-Prinzip verbiete eine Kündigung, wenn mildere Mittel zur Wahrung der Interessen des Arbeitgebers verfügbar seien. Im vorliegenden Fall sei sein, des Klägers, Fehlverhalten nur hypothetisch geeignet gewesen, einen weitergehenden Schaden herbeizuführen. Die Briefsendung sei letztlich nicht bei dem vorgesehenen Adressaten angekommen. Die von ihm festgestellte Substanz habe entfernt werden können. Die nur theoretische Möglichkeit eines weitergehenden Schadens habe das beklagte L3xx ihm, dem Kläger, mit einer Abmahnung vor Augen führen müssen. Sein einmaliges Fehlverhalten vor dem Hintergrund einer beanstandungsfreien Beschäftigungsdauer von zwanzig Jahren sei nicht geeignet, die fristlose Kündigung zu rechtfertigen.
27Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
28Entscheidungsgründe
29I.
30Die Berufung des beklagten L4xxxx ist an sich statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.
31II.
32Der Sache nach bleibt die Berufung indes erfolglos. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die außerordentliche Kündigung des beklagten L4xxxx vom 04.04.2002 nicht mit Zugang am 05.04.2002 aufgelöst worden. Dem entsprechend ist das beklagte L3xx auch verpflichtet, den Kläger zu unveränderten Bedingungen als Verwaltungsangestellten weiter zu beschäftigen.
331.
34Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann ein Arbeitsverhältnis von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Diese Voraussetzungen liegen nach Überzeugung der erkennenden Kammer nicht vor.
35a)
36Nicht zweifelhaft kann sein, dass das Verhalten des Klägers im Zusammenhang mit der von ihm am 04.03.2002 durchgeführten Postkontrolle als Verstoß gegen die ihn treffenden Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis zu werten ist. Auch wenn beim Kläger ein Grad der Behinderung von 100 festgestellt worden ist, ist er verpflichtet, die in einer Justizvollzugsanstalt bestehenden Sicherheitsvorschriften im Zusammenhang mit der Durchführung der Postkontrolle zu beachten. Ein Verstoß gegen diese Pflichten ist "an sich" geeignet, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Hiervon ist das Arbeitsgericht zutreffend ausgegangen. Auch die erkennende Kammer ist der Auffassung, dass das Verhalten des Klägers anlässlich der Postkontrolle am 04.03.2002 in mehrerer Hinsicht pflichtwidrig und als Grund für eine fristlose Kündigung grundsätzlich geeignet war.
37b)
38Auch wenn das Verhalten des Klägers am 04.03.2002 im Zusammenhang mit der Postkontrolle als Verstoß gegen die in der Justizvollzugsanstalt geltenden und vom Kläger zu beachtenden Sicherheitsvorschriften zu werten ist, kann die außerordentliche fristlose Kündigung vom 04.04.2002 unter den hier gegebenen besonderen Umständen nicht als berechtigt angesehen werden.
39aa)
40Dem beklagten L3xx ist zuzugeben, dass die dem Kläger zur Last zu legenden Pflichtverletzungen durchaus als schwerwiegend angesehen werden können. Zutreffend weist das beklagte L3xx darauf hin, dass der Einhaltung der Sicherheitsvorschriften in den Justizvollzugsanstalten besonderes Gewicht zukommt. Dies liegt sowohl im Interesse der Allgemeinheit als auch der Mitarbeiter und der Häftlinge. Die Verletzung von Sicherheitsvorschriften in einer Justizvollzugsanstalt kann die Gefährdung der Gesundheit und des Lebens von Mitarbeitern und Häftlingen zur Folge haben. Darüber hinaus besteht die Gefahr von Häftlingsentweichungen, die mit Gewaltanwendungen gegenüber Mitarbeitern der Justizvollzugsanstalt und auch gegenüber anderen Häftlingen verbunden sein können. Hierdurch werden auch Gemeinwohlinteressen berührt.
41bb)
42Auch wenn das Fehlverhalten, das dem Kläger berechtigterweise vorgeworfen werden muss, nicht bagatellisiert werden soll, darf letztlich nicht übersehen werden, dass die Verfehlung folgenlos geblieben ist. Denn die fragliche Briefsendung ist nicht bei dem vorgesehenen Adressaten angekommen, sondern in der Zentrale festgehalten worden. Die vom beklagten L3xx dargestellten möglichen Folgen der Pflichtverletzung des Klägers sind damit nur hypothetischer Art.
43cc)
44Im Rahmen der Interessenabwägung ist weiter zu berücksichtigen, dass das beklagte L3xx dem Kläger während seiner fast zwanzig Jahre dauernden Beschäftigung noch niemals eine Abmahnung ausgesprochen hat. Die erkennende Kammer musste deshalb davon ausgehen, dass der Kläger während dieser Zeit seine Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis stets ohne Beanstandung erbracht hat.
45dd)
46Zu berücksichtigen ist weiter, dass beim Kläger ein Grad der Behinderung von 100 besteht. Dieser Umstand und die Notwendigkeit der Durchführung einer Lebertransplantation, die im Zeitpunkt der Kündigung bestand und inzwischen durchgeführt worden ist, sind im Rahmen der Interessenabwägung zu Gunsten des Klägers zu berücksichtigen. Zutreffend hat das Arbeitsgericht darauf hingewiesen, dass der Kläger unter Berücksichtigung seines Alters und der gegebenen Schwerbehinderung im Falle der Beendigung des Arbeitsverhältnisses schwerlich eine neue Arbeitsstelle finden kann.
47ee)
48Unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des vorliegenden Falles ist die erkennende Kammer - wie das Arbeitsgericht - davon ausgegangen, dass das Bestandschutzinteresse des Klägers das Auflösungsinteresse des beklagten L4xxxx überwiegt. Angesichts der Erst- und Einmaligkeit des Pflichtverstoßes des Klägers war das beklagte L3xx nach dem ultima-ratio-Prinzip gehalten, dem Kläger zunächst eine Abmahnung auszusprechen. Nach ständiger Rechtsprechung ist dies nur dann entbehrlich, wenn im Einzelfall besondere Umstände vorgelegen haben, aufgrund derer eine Abmahnung als nicht erfolgversprechend angesehen werden durfte (vgl. BAG, Urteil vom 17.02.1994 - 2 AZR 616/93, NZA 1994, 656). Hiervon konnte die Kammer nicht ausgehen. Angesichts der ca. zwanzigjährigen beanstandungsfreien Tätigkeit des Klägers für das beklagte L3xx ist zu erwarten, dass der Kläger im Anschluss an eine Abmahnung nicht mehr gegen Sicherheitsvorschriften verstoßen wird.
49Auch wenn die Pflichtverletzung des Klägers zu einer Störung im Vertrauensbereich geführt haben sollte, ist nach neuerer Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts jedenfalls dann vor der Kündigung eine Abmahnung erforderlich, wenn es um ein steuerbares Verhalten des Arbeitnehmers geht und eine Wiederherstellung des Vertrauens erwartet werden kann (vgl. BAG, Urteil vom 04.06.1997 - 2 AZR 526/96, NZA 1997, 1281). Auch die Beklagte zieht nicht in Zweifel, dass der Kläger in der Lage ist, die im Rahmen seines Arbeitsverhältnisses bestehenden Pflichten zu erfüllen. Bei dem streitigen Pflichtverstoß geht es damit um ein steuerbares Verhalten des Klägers. Unter Berücksichtigung der Erst- und Einmaligkeit des Fehlverhaltens des Klägers während seiner ca. zwanzigjährigen beanstandungsfreien Beschäftigungszeit ist die erkennende Kammer davon überzeugt, dass eine Abmahnung, die dem Kläger die möglichen Folgen eines Verstoßes gegen Sicherheitsvorschriften eindringlich vor Augen führt, den gewünschten Erfolg haben wird. Unter diesen Umständen ist davon auszugehen, dass eine Abmahnung zu einer Änderung des Verhaltens des Klägers führen und die erforderliche Eignung und Zuverlässigkeit für die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung dauerhaft wiederherstellen wird. Tatsächliche Anhaltspunkte, die den gegenteiligen Schluss zulassen könnten, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
502.
51Ist das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche fristlose Kündigung vom 04.04.2002 nicht aufgelöst worden, so ist das beklagte L3xx verpflichtet, den Kläger zu unveränderten Bedingungen als Verwaltungsangestellten weiter zu beschäftigen.
52III.
53Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.
54Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
55Dr. Wendling | Menne | Koritzius Woi. |