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T A T B E S T A N D
2Die Klägerin ist seit dem 01.09.2009 bei der Beklagten als Verkäuferin in Teilzeit beschäftigt. Zuletzt hat sie ein monatliches Bruttogehalt in Höhe von 1.658,90 € bezogen. Dem Arbeitsverhältnis liegen die schriftlichen Arbeitsverträge vom 25.08.2009 und 27.07.2011 zugrunde. Die Beklagte hat den bei ihr beschäftigten Arbeitnehmern den Abschluss neuer Arbeitsverträge angeboten. Die Klägerin hat das Angebot der Beklagten auf Abschluss eines neuen Arbeitsvertrages nicht angenommen.
3Die Beklagte hat in dem Kalenderjahr 2022 die Jahressonderleistung nicht an die Klägerin ausgezahlt. Mit der vorliegenden Klage machte die Klägerin ihren Anspruch auf Zahlung der Jahressonderzahlung für das Kalenderjahr 2022 in Höhe von 1.036,81 € brutto geltend. Nachdem die Beklagte die Zahlung an die Klägerin geleistet hat, haben die Parteien den Rechtsstreit insoweit übereinstimmend für erledigt erklärt.
4Mit Schreiben vom 29.09.2022 wurden die Mitarbeiter der Beklagten darüber informiert, dass allen Mitarbeitern der Beklagten, die keine Sonderleistungen erhalten haben, aufgrund der steigenden Inflation eine Inflationsausgleichsprämie in Höhe von 1.000,00 € netto ausgezahlt wird. Die Zahlung sollte Anfang Dezember 2022 erfolgen. In dem Schreiben der Beklagten vom 29.09.2022 heißt es:
5„[…] Wir haben immer gesagt, dass - wenn Bl wieder besser da steht - ihr daran teilhaben werdet. Dabei haben wir - in Abstimmung mit dem Betriebsrat, der sich hierfür intensiv eingesetzt hat - entschieden, dass alle Mitarbeiter*innen, die in diesem Geschäftsjahr auf Sonderzahlungen verzichtet haben, spätestens Anfang Dezember
6eine freiwillige Einmalzahlung von netto 1.000,00 €
7Inflationsprämie erhalten. Teilzeitkräfte erhalten diese entsprechend anteilig*. Wir nehmen die durch die steigende Inflation wachsenden finanziellen Belastungen wahr und hoffen, hierdurch etwas Entlastung zu schaffen.“
8Die Klägerin hat keine Inflationsausgleichszahlung erhalten. Sie verlangt von der Beklagten die Zahlung der Inflationsausgleichsprämie unter Berücksichtigung ihrer Teilzeittätigkeit in Höhe von 666,00 €.
9Die Klägerin vertritt die Rechtsauffassung, der streitgegenständliche Anspruch ergebe sich aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz. Darüber hinaus liege auch ein Verstoß gegen das Maßregelverbot vor.
10Es liegen nach der Rechtsauffassung der Klägerin keine sachlichen Gründe vor, die eine Andersbehandlung der Klägerin gegenüber den Arbeitnehmern, an die eine Inflationsausgleichsprämie gezahlt wurde, rechtfertigen würden. Zweckbestimmung der Inflationsausgleichsprämie sei vorliegend eine Belohnung für Einsatz und Betriebstreue sowie ein Ausgleich der durch die Inflation zusätzlich entstandenen finanziellen Belastungen. Auch die Klägerin treffe aber eine zusätzliche finanzielle Belastung aufgrund der gestiegenen Inflation. Mit welcher Begründung ihre Arbeit weniger Wert war, erschließe sich nicht.
11Die Ungleichbehandlung erfolge auch deswegen, weil die Klägerin den neuen ihr angebotenen Arbeitsvertrag nicht unterschrieben hat. Das bedeute einen Verstoß gegen das Maßregelverbot.
12Die Klägerin beantragt,
13die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 666,00 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.12.2022 zu zahlen.
14Die Beklagte beantragt,
15die Klage abzuweisen.
16Die Beklagte trägt vor, im Geschäftsjahr 2021/2022 seien erstmals wieder positive Umsatzergebnisse erzielt worden. Als Zeichen der Dankbarkeit für die Treue derjenigen Mitarbeiter, die sich währen der Corona-Pandemie und den damit einhergehenden wirtschaftlichen Engpässen der Beklagten durch Unterzeichnung der neuen Arbeitsverträge in hohem Maße solidarisch gezeigt haben, habe die Beklagte dieser Mitarbeitergruppe im September 2022 eine freiwillige Sonderzahlung in Höhe von maximal 1.000,00 € netto zugesagt. Die Gewährung dieser freiwilligen Sonderzahlung sei lediglich an diejenigen Mitarbeiter erfolgt, die keine Sonderzahlungen erhalten und diese auch nicht im Klagewege geltend gemacht haben.
17Die Klägerin habe als Sonderzahlungen für die Jahre 2020 und 2021 insgesamt ca. 3.700,00 € brutto von der Beklagten erhalten. Der Großteil der Belegschaft der Beklagten habe dagegen seit dem Jahr 2020 keine Sonderzahlung mehr erhalten und habe diese auch nicht gerichtlich geltend gemacht. Damit liege ein sachlicher Differenzierungsgrund dafür vor, diejenigen Mitarbeiter, die keine Sonderzahlungen erhalten haben, günstiger zu behandeln, als diejenigen Mitarbeiter, die entsprechende Zahlungen erhalten haben. Hinzu komme, dass die freiwillige Sonderzahlung als sogenannte Inflationsausgleichsprämie durch die Beklagte gewährt wurde. Aufgrund der bereits an die Klägerin geleisteten Sonderzahlungen sei die Klägerin nicht in vergleichbarem Maße von den inflationsbedingten finanziellen Einbußen betroffen, wie die übrige Belegschaft, die diese Zahlungen nicht erhalten habe.
18Auch ein Verstoß gegen das Maßregelverbot liege nicht vor. In der Nichtgewährung der Inflationsausgleichsprämie liege keine Hinderung der Klägerin an der Ausübung ihrer Ansprüche und Rechte.
19Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschriften ergänzend Bezug genommen.
20E N T S C H E I D U N G S G R Ü N D E
21Die Klage ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zahlung einer Inflationsausgleichsprämie. Dieser Anspruch der Klägerin ergibt sich weder aus dem allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz noch aus einem Verstoß gegen das Maßregelverbot.
231.
24Der Gleichbehandlungsgrundsatz gebietet dem Arbeitgeber, seine Arbeitnehmer oder Gruppen von Arbeitnehmern, die sich in vergleichbarer Lage befinden, bei Anwendung einer selbst gegebenen Regelung gleich zu behandeln. Damit verbietet er nicht nur die willkürliche Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer innerhalb der Gruppe, sondern auch eine sachfremde Gruppenbildung (BAG, 31.08.2005, 5 AZR 517/04). Der Gleichbehandlungsgrundsatz findet im Bereich der Vergütung Anwendung, wenn Arbeitsentgelte durch eine betriebliche Einheitsregelung generell angehoben werden und der Arbeitgeber die Leistungen nach einem bestimmten erkennbaren und generalisierenden Prinzip gewährt, wenn er bestimmte Voraussetzungen oder einen bestimmten Zweck festlegt (BAG, 27.07.1988, 5 AZR 244/87).
25Dem Arbeitgeber ist es verwehrt, einzelne Arbeitnehmer oder Gruppen von ihnen aus unsachlichen oder sachfremden Gründen von einer Erhöhung der Arbeitsentgelte auszuschließen. Nach dem mit der Gehaltserhöhung verfolgten Zweck ist zu beurteilen, ob der ausgeschlossene Personenkreis zu Recht ausgenommen wird (BAG, 17.05.1978, 5 AZR 132/77). Steht eine Gruppenbildung fest, hat der Arbeitgeber die Gründe für die Differenzierung offen zu legen und so substantiiert darzutun, dass die Beurteilung möglich ist, ob die Gruppenbildung sachlichen Kriterien entspricht. Sind die Unterscheidungsmerkmale nicht ohne weiteres erkennbar, legt der Arbeitgeber seine Differenzierungsgesichtspunkte nicht dar oder ist die unterschiedliche Behandlung nach dem Zweck der Leistung nicht gerechtfertigt, kann die benachteiligte Arbeitnehmergruppe verlangen, nach Maßgabe der begünstigten Arbeitnehmergruppe behandelt zu werden.
26Die Beklagte hat die Inflationsausgleichsprämie nach einem bestimmten erkennbaren und generalisierenden Prinzip ausgezahlt. Die Zahlung erfolgte an diejenigen Arbeitnehmer, die auf Sonderzahlungen verzichtet haben. Die Beklagte hat eine Gruppenbildung vorgenommen. Sie hat entschieden, dass diejenigen Arbeitnehmer, die den neuen Arbeitsvertrag nicht unterschrieben haben bzw. nicht auf die Sonderzahlung verzichtet haben, keine Inflationsausgleichsprämie erhalten. Auf diesen Fall findet der Gleichbehandlungsgrundsatz Anwendung. Die Beklagte nimmt eine bestimmte Arbeitnehmergruppe von der gezahlten Inflationsausgleichsprämie aus.
27Die Beklagte durfte nach sachlichen Gründen differenzieren, welcher Arbeitnehmergruppe sie einen Inflationsausgleich zukommen lassen will und welcher Arbeitnehmergruppe nicht. Ein Ausgleich der inflationsbedingten Teuerungsrate muss nicht allen Arbeitnehmern gleichmäßig gewährt werden, wenn sachliche Gründe für eine Differenzierung bestehen. Die Beklagte hat mit der Beschränkung der Leistungen einen weitergehenden Zweck verbunden. Es wird dem Vortrag der Beklagten nicht gerecht, die Gleichbehandlung allein nach dem für alle gleichermaßen geltenden Ziel des Inflationsausgleichs zu beurteilen. Vielmehr zeigt die Verteilung der Leistung und die dafür gegebene Begründung, dass es der Beklagten bei der Differenzierung um eine Angleichung der Arbeitsbedingungen ging. Zwar bedankt sie sich auch für den Einsatz der Mitarbeiter. Mit der Bezeichnung als „Inflationsprämie“ und der Zahlung nur an diejenigen Mitarbeiter, die auf eine Sonderzahlung verzichtet haben, wird der Charakter als Ausgleichszahlung aber hinreichend deutlich.
28Die Geltung verschiedener Vertragsmodelle ist ein formeller Gesichtspunkt und ersetzt nicht den sachlichen Grund für die Differenzierung. Eine Gruppenbildung ist nur dann gerechtfertigt, wenn die Unterscheidung einem legitimen Zweck dient und zur Erreichung dieses Zwecks erforderlich und angemessen ist. Die unterschiedliche Leistungsgewährung muss stets im Sinne materieller Gerechtigkeit sachgerecht sein. Das ist auch bei unterschiedlichen Vergütungssystemen nicht ohne weiteres gewährleistet. Die Beklagte bezweckt mit der Beschränkung der Leistung auf die Arbeitnehmer, die auf die Sonderzahlung verzichtet haben, einen Ausgleich gegenüber den übrigen Arbeitnehmern, die einen Anspruch auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld haben. Das ist ein sachlicher Grund, der eine Differenzierung rechtfertigt.
292.
30Der streitgegenständliche Zahlungsanspruch ergibt sich auch nicht aus einem Verstoß der Beklagten gegen das Maßregelverbot. Gemäß § 612a BGB darf der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer bei einer Vereinbarung oder Maßnahme nicht deshalb benachteiligen, weil der Arbeitnehmer in zulässiger Weise seine Rechte ausübt. Damit verbietet § 612a BGB jede Benachteiligung des Arbeitnehmers, also nicht nur die unmittelbare, sondern auch die mittelbare. Ein Verstoß gegen § 612a BGB liegt deshalb nicht nur dann vor, wenn der Arbeitnehmer eine Einbuße erleidet, das heißt wenn sich seine Situation gegenüber dem bisherigen Zustand verschlechtert, sondern auch dann, wenn ihm Vorteile vorenthalten werden, welche der Arbeitgeber anderen Arbeitnehmern gewährt, wenn diese entsprechende Rechte nicht ausgeübt haben (vgl. BAG, 12.06.2002, 10 AZR 340/01). Deshalb kann der Arbeitnehmer verlangen, dass diese rechtswidrige Benachteiligung durch den Arbeitgeber beseitigt wird. Die Beseitigung kann nur dadurch erfolgen, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer so stellt, wie er ohne die Maßregelung stünde.
31Indem die Klägerin das Angebot auf Abschluss eines neuen Arbeitsvertrages ablehnte, hat sie in zulässiger Weise von ihrem Recht Gebrauch gemacht. Das Angebot enthielt einen Verzicht auf ein Urlaubs- und Weihnachtsgeld. Die Rechtsausübung durch die Klägerin war aber nicht kausal für die von der Beklagten vorgenommene Maßnahme. Die Beklagte hat die Klägerin nicht von der Gruppe der Arbeitnehmer, an die sie eine Inflationsausgleichsprämie gezahlt hat, ausgenommen, weil sie keinen neuen Arbeitsvertrag unterschrieben hat. Grund für die Zahlung der Inflationsausgleichsprämie war vielmehr die gestiegene Inflation und damit verbundene Mehrbelastung der Arbeitnehmer. Hier hat die Beklagte bei der Verteilung zulässig zwischen Arbeitnehmern, die bereits Anspruch auf eine Sonderzahlung haben, und Arbeitnehmern, die ansonsten keine Sonderzahlung erhalten, differenziert.
32Die Kosten des Rechtsstreits sind von den Parteien anteilig zu tragen. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits insoweit zu tragen, als sie durch Zahlung der Jahressonderzahlung für das Kalenderjahr 2022 den Anspruch der Klägerin anerkannt. Im Übrigen hat die Klägerin die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, da sie unterlegen ist.
34Der Wert des Streitgegenstandes entspricht dem Nennwert des Inflationsausgleichs, über den durch Urteil entschieden wurde.
Gegen dieses Urteil kann von der klagenden Partei Berufung eingelegt werden. Für die beklagte Partei ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.
36Die Berufung muss innerhalb einer Notfrist* von einem Monat schriftlich oder in elektronischer Form beim
37Landesarbeitsgericht Hamm
38Marker Allee 94
3959071 Hamm
40Fax: 02381 891-283
41eingegangen sein.
42Für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihr zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse besteht ab dem 01.01.2022 gem. §§ 46g Satz 1, 64 Abs. 7 ArbGG grundsätzlich die Pflicht, die Berufung ausschließlich als elektronisches Dokument einzureichen. Gleiches gilt für vertretungsberechtigte Personen, für die ein sicherer Übermittlungsweg nach § 46c Abs. 4 Nr. 2 ArbGG zur Verfügung steht.
43Die elektronische Form wird durch ein elektronisches Dokument gewahrt. Das elektronische Dokument muss für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet und mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg gemäß § 46c ArbGG nach näherer Maßgabe der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (ERVV) v. 24. November 2017 in der jeweils geltenden Fassung eingereicht werden. Nähere Hinweise zum elektronischen Rechtsverkehr finden sich auf der Internetseite www.justiz.de.
44Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach dessen Verkündung.
45Die Berufungsschrift muss von einem Bevollmächtigten unterzeichnet sein. Als Bevollmächtigte sind nur zugelassen:
461. Rechtsanwälte,
2. Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,
3. juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in Nummer 2 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt, und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
Eine Partei, die als Bevollmächtigte zugelassen ist, kann sich selbst vertreten.
51* Eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.