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Der Antrag wird zurückgewiesen.
Gründe:
2I.
3Die antragstellende Arbeitgeberin begehrt die Ersetzung der Zustimmung zur Kündigung des Beteiligten zu 3), der Vorsitzender des Betriebsrats, (Beteiligter zu 2) ist.
4Der Beteiligte zu 2) ist 1957 geboren und steht seit dem 24,04.1984 bei der Arbeitgeberin in einem Arbeitsverhältnis. Er ist gelernter Schlossermeister/Techniker und ist als Betriebsratsvorsitzender freigestellt. Sein derzeitiges Gehalt beläuft sich auf 3.000,00 Euro.
5Am 08.12.2006 sowie in den Tagen davor nahm der Beteiligte zu 3) in seiner Funktion als Betriebsratsmitglied an einem Weiterbildungsseminar in T teil. Für den 08.12.2006 wurde kurzfristig eine Betriebsratssitzung angesetzt, an der der Beteiligte zu 3) teilnehmen wollte. Deswegen kehrte er am 08.12.2006 morgens mit seinem Fahrzeug zur Betriebsstätte zurück und fuhr im Anschluss an die Betriebsratssitzung an den Seminarort zurück. Dabei nahm der Beteiligte zu 3) das Betriebsratsmitglied Q, der ebenfalls an dem Seminar teilnahm, im Fahrzeug auf der Hin- und auf der Rückfahrt mit. Dabei wurden mit dem Pkw insgesamt 80 Kilometer zurückgelegt.
6Im Verlauf der Sitzung des Betriebsrates bereitete der Beteiligte zu 3) für alle Betriebsratsmitglieder entsprechende Fahrtkostenvergütungsanträge vor, da die Mitglieder des Betriebsrates an vielen unterschiedlichen Standorten beschäftigt sind und zu den Betriebsratssitzungen stets von unterschiedlichen Orten aus anreisen. Diese Abrechnungen wurden sodann von den jeweils beteiligten Betriebsratsmitgliedern unterzeichnet und bei der Betriebsleitung vorn Beteiligten zu 3) oder dessen Vertreter eingereicht. An diesem Morgen bereitete der Beteiligte zu 3) auch für das Betriebsratsmitglied Q einen Antrag vor, der beinhaltete, dass Herr Q am 08. Dezember 2006, 05.00 Uhr, bis zum 08. Dezember 2006, 13.30 Uhr, an einer Betriebsratssitzung teilgenommen hat. Als besuchte Orte werden T — S - T angegeben.
7Dieses Formular wurde von Herrn Q unterschrieben und an den Beteiligten zu 3) herausgegeben.
8Am 10.01.2007 reichte der Beteiligte zu 3) eine Vielzahl von Anträgen zur Abrechnung und Auszahlung ein. Bei diesen Abrechnungen befand sich auch die Abrechnung des Betriebsratsmitglied Q für den 08.12.2006 sowie die eigene Abrechnung des Beteiligten zu 3), der ebenfalls für die Fahrt T — S - T für den 08.12.2006, allerdings mit den Uhrzeiten 06.00 Uhr und 14.30 Uhr Fahrtkosten begehrte. Diese Abrechnung trägt das Datum 21.12.2006 und die Unterschrift des Beteiligten zu 3).
9Die Abrechnungen führten dazu, dass dem Beteiligten zu 3) zeitgleich mit anderen Beträgen zwei Mal 24,00 Euro in bar ausgehändigt wurde für die Fahrt nach T.
10Im Rahmen einer in der zweiten Februarhälfte 2007 durchgeführten Innenrevision fiel der Arbeitgeberin auf, dass für die Fahrt von T nach S und zurück zwei Spesenabrechnungen eingereicht worden sind. Mit Schreiben vom 27.02.2007 bat daraufhin der Geschäftsführer der Arbeitgeberin den Betriebsrat um eine schriftliche Stellungnahme, aus welchem Grund sowohl der Betriebsratsvorsitzende als auch das Betriebsratsmitglied für die Fahrt im Zusammenhang mit der Betriebsratssitzung jeweils Reisekosten geltend gemacht und abgerechnet haben. Im Rahmen eines Gespräches zwischen dem Steuerberater der Arbeitgeberin Herrn T1 und dem Beteiligten zu 3) am 27.03.2007 teilte dieser dem Steuerberater u. a. mit, dass ihm ein Irrtum unterlaufen sei und er zuviel erhaltene Spesen zurückzahlen wolle. Auf Veranlassung der Geschäftsführung führte der Steuerberater am 28.03.2007 ein weiteres Gespräch mit Herrn Q. Im Rahmen dieses Gespräches räumte das Betriebsratsmitglied u. a. ein, als Beifahrer am 08.12.2006 im Fahrzeug des Beteiligten zu 3) mitgefahren zu sein.
11Mit zwei Schreiben vom 28.03.2007 beantragte die Arbeitgeberin bei dem Betriebsrat die Zustimmung zur Kündigung des Beteiligten zu 3) und des Betriebsratsmitglieds Q. Da der Betriebsrat in beiden Fällen die Zustimmung verweigerte, leitete die Arbeitgeberin das hier vorliegende Verfahren hinsichtlich des Beteiligten zu 3) und das Verfahren 5 BV 17/07 für das Betriebsratsmitglied Q ein. Letzteres Verfahren endete vor der 5. Kammer des Arbeitsgerichts Herne am 18.07.2007 mit einer Ersetzung der Zustimmung. Dieses Verfahren ist jetzt anhängig unter dem Aktenzeichen 13 Te BV 86/07 beim Landesarbeitsgericht in Hamm.
12Die Arbeitgeberin ist der Auffassung, sie sei zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses berechtigt. Aufgrund der Äußerungen in dem Gespräch am 28.03.2007 stehe fest, dass der Beteiligte zu 2) einen vorsätzlichen Spesenbetrug zu Lasten seines Arbeitgebers begangen habe. Da das Betriebsratsmitglied Q bei ihm im Fahrzeug mitgefahren ist, habe es nicht die geringste Veranlassung gegeben, eine zweite Reisekostenabrechnung für Herrn Q vorzubereiten. Dies zeige sich auch daran, dass der Beteiligte zu 3) bei der Erstellung der Spesenabrechnung offenbar den eingegebenen Text, der bei der ersten Erstellung der beiden Spesenabrechnungen in die EDV-Maske eingestellt worden ist, übernommen und nur nachträglich bei der Erstellung der zweiten Abrechnung dann den Namen Q ebenso ausgetauscht habe, wie das Erstellungsdatum sowie die Uhrzeiten des Beginns der An- und Abreise. Dies habe offenbar der Verschleierung gedient.
13Die Arbeitgeberin beantragt,
14die Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen Kündigung des Beteiligten zu 3) (des Betriebsratsvorsitzenden) zu ersetzen.
15Die Beteiligten zu 2) und 3) beantragen
16den Antrag zurückzuweisen.
17Sie sind der Auffassung, da die Arbeitgeberin zur Kündigung nicht berechtigt sei, sei auch die Zustimmung des Betriebsrats nicht zu ersetzen. Der Antrag scheiterte bereits daran, dass die Antragstellerin die 14-Tages-Frist des § 626 BGB nicht eingehalten habe. Alle notwendigen Tatsachen seien ihr am 27.02.2007 bekannt gewesen. Die Vorgehensweise des Beteiligten zu 3) am 08.12.2006 habe der üblichen Handhabung entsprochen. Im Verlaufe der Sitzung seien für alle beteiligten Betriebsratskollegen die entsprechenden Abrechnungen gefertigt worden. Seine eigene Abrechnung habe der Beteiligte zu 3) erst zum Ende des Monats, nämlich am 21.12.2006 erstellt, da er im Gegensatz zu anderen Kollegen häufiger Termine für den Betriebsrat wahrzunehmen habe, und dadurch entsprechend höhere Fahrtkosten und eine höhere Anzahl von Abrechnungen anfallen. Schon aus diesem Grunde sei es dem Beteiligten zu 3) unerkannt geblieben, dass die Fahrt am 08.12.2006, die er gemeinsam mit dem Kollegen Q hat, auch als eigene Fahrt abgerechnet wurde. Einen Vorsatz, die Arbeitgeberin zu schädigen, habe nicht vorgelegen.
18Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und die Protokolle Bezug genommen.
19II.
20Der zulässige Antrag der Arbeitgeberin ist unbegründet.
211. Der Antrag der Arbeitgeberin ist nach §§ 2 a 80 Abs. 1 ArbGG zulässig. Zwischen den Beteiligten ist eine betriebsverfassungsrechtliche Angelegenheit nach § 103 Abs. 2 BetrVG streitig. Die Antragsbefugnis der Arbeitgeberin und die Beteiligung des Betriebsrates und des Betriebsratsvorsitzenden ergeben sich aus den §§ 10, 83 Abs. 3 ArbGG in Verbindung mit § 103 Abs. 2 Satz 2 BetrVG.
222. Der Zustimmungsantrag der Arbeitgeberin ist unbegründet. Der Betriebsrat hat die von der Arbeitgeberin beantragte Zustimmung zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Beteiligten zu 3) zu Recht verweigert. Diese Zustimmung ist durch das Arbeitsgericht nicht zu ersetzen.
23a)
24Nach § 103 Abs. 1 BetrVG bedarf die außerordentliche Kündigung von Mitgliedern des Betriebsrates der Zustimmung des Betriebsrates. Nach § 103 Abs. 2 Satz 1 BetrVG in Verbindung mit § 15 Abs. 1 KSchG hat der Arbeitgeber dann einen Anspruch auf Ersetzung der Zustimmung, wenn die beabsichtigte außerordentliche Kündigung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles gerechtfertigt ist. Vorausgesetzt wird dabei ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB. Es müssen Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Arbeitgeber unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr 'zugemutet werden kann (vgl. z. B. BAG, Beschluss vom 10.02.1999, AP KSchG 1969 § 15 Nr. 42; Beschluss vom 20.01.2000, AP BetrVG 1972, § 103 Nr. 40). Der wichtige Grund ist dabei nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zweistufig zu prüfen (vgl. BAG, Urteil vom 02.03.1989, AP BGB § 626 Nr. 101; AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 24; Urteil vom 07.07.2005, AP BGB § 626 Nr. 192; Urteil vom 27.04.2006, AP BGB § 626 Nr. 202). Daher ist zunächst zu prüfen, ob ein bestimmter Sachverhalt ohne die besonderen Umstände des Einzelfalls als wichtiger Kündigungsgrund an sich geeignet ist. Liegt ein solcher Sachverhalt vor, bedarf es der weiteren Prüfung, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile zumutbar ist oder nicht.
25Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann nicht nur eine erwiesene Vertragsverletzung, sondern auch schon der schwerwiegende Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer sonstigen Verfehlung einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung gegenüber dem verdächtigten Arbeitnehmer darstellen. Begründet der Arbeitgeber seine Kündigung damit, dass gerade der Verdacht eines (nicht erwiesenen) strafbaren bzw. vertragswidrigen Verhaltens habe das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zerstört, so liegt eine Verdachtskündigung vor. Gegenüber dem Vorwurf, der Arbeitnehmer habe die Tat begangen, stellt der Vorwurf einer strafbaren Handlung einen eigenständigen Kündigungsgrund dar, der in dem Tatvorwurf nicht enthalten ist. Eine Verdachtskündigung ist nach § 626 Abs. 1 BGB zulässig, wenn sie starke Verdachtsmomente auf objektive Tatsachen gründen, die Verdachtsmomente geeignet sind, dass für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören und der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhaltes unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat (ständige Rechtsprechung des BAG, vgl. z. B. BAG, HP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 36; Urteil vom 26.09.2002, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 37; Urteil vom 06.11.2003, AP BGB § 626 Nr. 29). Der Verdacht kann jedoch nur dann eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen, wenn er derartig dringend und so beschaffen ist, dass er einen verständigen und gerecht abwägenden Arbeitgeber tatsächlich zum Ausspruch einer Kündigung veranlassen kann. An eine Verdachtskündigung sind daher besonders strenge Anforderungen zu stellen, Der Arbeitgeber muss prüfen, ob die Beweisanzeichen (Indizien) eine große Wahrscheinlichkeit für die Tatbegehung begründen (vgl. BAG, Urteil vom 11.04.1985, AP BetrVG § 102 Nr. 39; APS — Dörner, 2. Auflage 2004, § 626 BGB R-Nr. 357).
26b)
27Nach diesen Maßstäben liegt hier ein dringender Verdacht nicht vor.
28Die Arbeitgeberin wirft dem Beteiligten zu 3) einen Spesenbetrug vor, weil er für Herrn Q den Reisekostenantrag eingereicht hat, obwohl er hätte wissen müssen, dass Herr Q an diesem Tag nicht selbst mit dem Pkw, sondern mit ihm im Auto gefahren ist.
29Da die Arbeitgeberin dem Beteiligten zu 3) nicht vorwirft, eine falsche Spesenabrechnung eingereicht zu haben, die ihn selbst betrifft, kann die Verfehlung des Beteiligten zu 3) nur darin liegen, dass er daran mitwirken wollte und daran mitgewirkt hat, dass das Betriebsratsmitglied Q Spesengelder für den 08.12.2006 erhält, die diesem in Wahrheit nicht zugestanden haben.
30Die von der Arbeitgeberin vorgetragenen und die unstreitigen Umstände begründen aber keine große Wahrscheinlichkeit für die Tatbegehung. Die Reisekostenabrechnung vom 08.12.2006, die Herr Q unterschrieben hat, ist lediglich vom Beteiligten zu 3) ausgefüllt worden. Die entscheidende Angabe im unteren Textbereich „die Richtigkeit der Angaben wird hiermit versichert. Auszahlungsbetrag erhalten" ist jedoch nicht vom Beteiligten zu 3), sondern von Herrn Q unterschrieben. Abgesehen davon, dass beide Angaben falsch sind, weder sind die Angaben richtig, noch hat Herr Q am 08.12.2006 den Auszahlungsbetrag erhalten, bescheinigt der Beteiligte zu 3) auf der Reisekostenabrechnung selber nichts.
31Allerdings hat der Beteiligte zu 3) Anfang Januar 2007 diese falsche Reisekostenabrechnung zusammen mit seiner Reisekostenabrechnung und einer Vielzahl weiterer Abrechnungen abgegeben. Aber auch daraus lässt sich nicht zwingend schließen, dass der Beteiligte zu 3) vorsätzlich versucht hat, daran mitzuwirken, dass Herr Q ihm nicht zustehende Spesen erhält. Denn letztlich muss sich der Betriebsratsvorsitzende, der Beteiligten zu 3), darauf verlassen können, dass die Spesenabrechnungen so zutreffen, wie sie von dem jeweils unterschreibenden Antragsteller bestätigt worden sind. Gegen den Beteiligten zu 3) spricht allerdings, dass er noch am 08.12.2006 für Herrn Q eine Reisekostenabrechnung ausgefüllt hat, obwohl der Beteiligte zu 3) aus eigener Kenntnis an diesem Tag wissen musste, dass diese falsch ist, weil er Herrn Q an diesem Tag selbst im Auto mitgenommen hat. Merkwürdig ist auch, dass der Beteiligte zu 3) am 08.12.2006 die Uhrzeit von 05.00 Uhr bis 13.30 Uhr angibt, während in seiner Abrechnung die Uhrzeiten 06.00 Uhr bis 14.30 Uhr angegeben sind. Letztlich lässt sich aber nicht ausschließen, dass dies tatsächlich auf einem Versehen des Betriebsratsvorsitzenden beruht. Denn gerade am 08.12.2006 hatte er eine Reihe von Reisekostenabrechnungen vorbereitet. Da die Reisekostenabrechnungen unstreitig bereits vor der Beendigung der Sitzung ausgefüllt worden sind, und es auf die Uhrzeit für die Abrechnung nicht ankam, ist es auch erklärlich, warum unterschiedliche Zeiten angegeben worden sind. Dass der Beteiligte zu 3) seine Reisekostenabrechnungen nicht .erst am 21.12.2006 gemacht hat und er den Antrag von Herrn Q abgeändert hat, um die Tatsache zu verschleiern, dass nur eine Fahrt durchgeführt worden ist, ist nur eine Vermutung, für die ein Tatsachenkern nicht erkennbar ist.
32Da damit ein Irrtum des Beteiligten zu 3) nicht auszuschließen ist, liegt die zu fordernde große Wahrscheinlichkeit für die Tatbegehung nicht vor.