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1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1003,-- € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 05.07.2010 zu zahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 12.372,50 € brutto nebst
Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 05.02.2011 zu zahlen.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin 27 % und die
Beklagte 73 %.
5. Der Streitwert wird auf 16.019,74 € festgesetzt.
Tatbestand
2Die Parteien streiten um Urlaubsabgeltung sowie die Zahlung von Weihnachtsgeld und Urlaubsgeld.
3Die am 26.12.1954 geborene Klägerin war seit dem 01.03.2000 in dem Supermarkt der Beklagten in E1 als Leiterin der Fleischwarenabteilung zu einem Bruttomonatsverdienst von 2.626,-- € beschäftigt.
4Die Klägerin war seit März 2007 ununterbrochen arbeitsunfähig erkrankt. Im Jahr 2007 wurde der Klägerin bis zum Beginn der Arbeitsunfähigkeit kein Urlaub gewährt. Seit dem 09.10.2008 erhält die Klägerin eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. Mit Schreiben vom 29.12.2010 teilte die Deutsche Rentenversicherung der Klägerin mit, dass die Klägerin die Rente wegen voller Erwerbsminderung ab sofort unbefristet bis zur Erreichung der Regelaltersgrenze gewährt wird. Von diesem Schreiben erhielt die Beklagte am 06.01.2011 Kenntnis. Mit Schreiben vom 06.01.2011 wies die Beklagte die Klägerin darauf hin, dass aufgrund des Bezugs der unbefristeten Rente wegen Erwerbsminderung das Arbeitsverhältnis gemäß den maßgeblichen tarifvertraglichen Vorschriften zum 31.01.2011 enden würde. Ergänzend wird auf die Kopie des Schreibens der Beklagten vom06.01.2011 (Bl. 4 d.A.) Bezug genommen.
5Gemäß § 1 Ziff. 3 des zwischen den Parteien geschlossenen Arbeitsvertrages vom 14.01.2000 (Bl. 26 ff. d.A.) sind die Tarifverträge für die Beschäftigten im Einzelhandel des Landes Nordrhein-Westfalen in ihrer jeweils geltenden Fassung und deren Nachfolgeverträge Bestandteil des Arbeitsvertrages.
6Der Manteltarifvertrag zwischen dem Einzelhandelsverband Nordrhein-Westfalen und ver.di vom 25.07.2008 (im Folgenden: MTV) bestimmt in § 11 Abs. 5, dass unbefristete Arbeitsverhältnisse mit dem Ende des Kalendermonats enden, in dem der Arbeitnehmer das 65. Lebensjahr vollendet hat oder in welchem dem Arbeitnehmer der Rentenbescheid über die Gewährung einer Rente wegen zeitlich nicht befristeter Erwerbsunfähigkeit oder vorgezogenem Altersruhegeld zugegangen ist.
7Gemäß § 15 Abs. 3 MTV beträgt der Urlaub je Kalenderjahr nach dem vollendeten 30. Lebensjahr 36 Werktage. Kann der Urlaub wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden, so ist er gemäß § 15 Abs. 9 MTV abzugelten. Hierbei ist je Urlaubstag 1/26 des Monatseinkommens zugrunde zu legen.
8Der MTV enthält zudem in § 24 eine Verfallklausel mit folgendem Wortlaut:
9"(1) Die Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis verfallen wie folgt:
10Ansprüche auf Abgeltung von Überstunden;
12Ansprüche auf Urlaub, Urlaubsabgeltung und Sonderzahlungen;
14alle übrigen aus Tarifvertrag und Arbeitsverhältnis entstandenen finanziellen Ansprüche.
16(2) Die Ansprüche verfallen nicht, sofern sie innerhalb der vorgenannten Fristen schriftlich geltend gemacht worden sind.
17(3) Vorstehende Fristen gelten als Ausschlussfristen."
18In den Jahren 2008, 2009 und 2010 zahle die Beklagte der Klägerin kein Weihnachtsgeld. In den Jahren 2009 und 2010 zahlte die Beklagte der Klägerin kein Urlaubsgeld. Das Urlaubsgeld wird im Betrieb der Beklagten regelmäßig im Juni eines Jahres ausgezahlt, unabhängig von der Anzahl der bis zu diesem Zeitpunkt genommenen Urlaubstage.
19Der Tarifvertrag über Sonderzahlungen zwischen dem Einzelhandelsverband Nordrhein-Westfalen und ver.di vom 25.07.2008 (im Folgenden: TV Sonderzahlungen) enthält bezüglich Urlaubsgeld und Weihnachtsgeld unter anderem folgende Regelungen:
20"A Urlaubsgeld
21§ 1 Höhe und Anspruchsvoraussetzungen für das Urlaubsgeld
22(1) Das Urlaubsgeld für erwachsene vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer beträgt 50 % des jeweiligen tariflichen Entgeltanspruchs für das letzte Berufsjahr der Gehaltsgruppe I (Verkäufer etc.) des Gehaltstarifvertrages nach dem jetzt (2008) geltenden Tarifschema am Stichtag 1. Januar des jeweiligen Kalenderjahres.
23…
24(6) Jeglicher Anspruch auf Urlaubsgeld entsteht erstmalig nach mehr als 3-monatiger ununterbrochener Zugehörigkeit zu demselben Betrieb/Unternehmen.
25(7) Das Urlaubsgeld ist anteilig entsprechend dem Urlaubsanspruch zu gewähren. Für das Kalenderjahr, in dem das Arbeitsverhältnis beginnt oder endet, steht dem Arbeitnehmer nach Erfüllen der Wartezeit gemäß Abs. 6 für jeden vollen Beschäftigungsmonat 1/12 des Urlaubsgeldes zu, soweit ihm nicht für diese Zeit von einem anderen Arbeitgeber Urlaubsgeld gezahlt worden ist.
26§ 2 Fälligkeit
27(1) Das Urlaubsgeld ist auf Verlangen des Arbeitnehmers vor Antritt des Urlaubs auszuzahlen. Es wird fällig, wenn dem Arbeitnehmer mindestens die Hälfte des ihm tariflich zustehenden Jahresurlaubs gewährt wird.
28(2) Durch Betriebsvereinbarung oder Einzelarbeitsvertrag können andere "Fälligkeitstermine" vereinbart werden.
29B Tarifliche Sonderzuwendung
30§ 1 Höhe und Anspruchsvoraussetzungen für die tarifliche Sonderzuwendung
31(1) Die tarifliche Sonderzuwendung beträgt 62,5 % des individuell dem anspruchsberechtigten Arbeitnehmer zustehenden Tarifentgeltes.
32…
33(4) Die Höhe der Sonderzuwendung ermäßigt sich für jeden Kalendermonat, in dem dem Anspruchsberechtigten weniger als 2 Wochen Arbeitsentgelt oder Zuschüsse zum Krankengeld gemäß den Bestimmungen des Manteltarifvertrages oder zum Mutterschaftsgeld gemäß § 14 Mutterschutzgesetz zustehen, um 1/12."
34Die Klägerin hat ursprünglich unter anderem beantragt festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 06.01.2011 nicht beendet worden ist. Im Gütetermin vom 10.03.2011 haben die Parteien einen Teil-Vergleich geschlossen, wonach das zwischen ihnen bestandene Arbeitsverhältnis aufgrund der der Klägerin gewährten unbefristeten Erwerbsunfähigkeitsrente gemäß § 11 Abs. 5 MTV mit Ablauf des 31.01.2011 geendet hat. Ergänzend wird auf das Protokoll der Sitzung vom 10.03.2011 (Bl. 20 f. d.A.) Bezug genommen.
35Die Klägerin ist der Ansicht, dass ihr für die Jahre 2007 bis 2010 noch jeweils 30 Urlaubstage pro Jahr zustehen sowie für Januar 2011 2,5 Tage. Insgesamt habe die Klägerin daher einen Anspruch auf Abgeltung von 122,5 Urlaubstagen. Dies entspreche einem Betrag von 12.372,50 €.
36Darüber hinaus habe die Klägerin Anspruch auf Zahlung des Weihnachtsgeldes für die Jahre 2008, 2009 und 2010 sowie auf Zahlung des Urlaubsgeldes für die Jahre 2009 und 2010. Auch andere Arbeitnehmer, die arbeitsunfähig waren, hätten ein Weihnachtsgeld von der Beklagten erhalten.
37Die Klägerin beantragt zuletzt,
38Die Beklagte beantragt,
42die Klage abzuweisen.
43Die Beklagte ist der Ansicht, dass der Klägerin die geltend gemachten Ansprüche nicht zustehen.
44Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze und die Protokolle der Sitzungen vom 10.03.2011 und 09.08.2011 verwiesen.
45Entscheidungsgründe
46I.
47Die Klage ist zulässig, aber nur teilweise begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf Urlaubsabgeltung in Höhe von 12.372,50 €. Darüber hinaus hat die Klägerin einen Anspruch auf Zahlung des Urlaubsgeldes für das Jahr 2010 in Höhe von 1.003,-- €. Hingegen bestehen keine Ansprüche der Klägerin auf Zahlung des Urlaubsgeldes für das Jahr 2009 und auf Zahlung von Weihnachtsgeld.
481.
49Die Klägerin hat gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG einen Anspruch auf Urlaubsabgeltung in Höhe von 12.372,50 €.
50a)
51Der gesetzliche Urlaubsanspruch der Klägerin ist in den Jahren 2007 bis 2011 jeweils am 01.01. eines Jahres entstanden, §§ 1, 3 Abs. 1 BurlG.
52aa)
53Die Klägerin hatte nach dem Ende der sechsmonatigen Wartezeit des § 4 BUrlG bei einer 6-Tage-Woche Anspruch auf 24 Tage Urlaub für die Jahre 2007 bis 2010 und auf 2 Tage Teilurlaub für 2011. Das Entstehen des Urlaubsanspruchs setzt lediglich das Bestehen des Arbeitsverhältnisses voraus, nicht aber, dass der Arbeitnehmer im laufenden Kalenderjahr arbeitet oder arbeitsfähig ist (BAG 24.03.2010, 9 AZR 983/07, juris; LAG Baden-Württemberg v. 2.12.2010, 22 Sa 59/10, juris).
54bb)
55Die Tatsache, dass die Klägerin seit dem 09.10.2008 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung bezieht, steht dem Entstehen der Urlaubsansprüche nicht entgegen. Der Bezug der Rente wegen Erwerbsminderung ist ein sozialversicherungsrechtlicher Sachverhalt (§ 43 SGB VI), der keine Auswirkungen auf den Bestand oder den Inhalt des Arbeitsverhältnisses der Parteien hat.
56Insbesondere führt der Rentenbezug nicht automatisch zum Ruhen des Arbeitsverhältnisses. Das Ruhen eines Arbeitsverhältnisses ist nicht Folge der Erwerbsminderung, sondern setzt eine entsprechende Vereinbarung der Parteien über die Suspendierung der wechselseitigen Hauptpflichten unter Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses bzw. eine entsprechende kollektivvertragliche Regelung voraus (BAG v. 11.10.1995, 10 AZR 985/94; LAG Baden-Württemberg v. 02.12.2010, 22 Sa 59/10, juris; LAG Düsseldorf v. 25.02.2011, 9 Sa 258/10, juris). Im vorliegenden Fall ist nicht erkennbar, dass die Parteien eine Vereinbarung über das Ruhen des Arbeitsverhältnisses geschlossen haben. Auch die Beklagte hat dies nicht behauptet. Es existiert auch keine anwendbare Tarifnorm, die bei Arbeitsunfähigkeit bzw. Bezug von Rente wegen Erwerbsminderung ein Ruhen des Arbeitsverhältnisses anordnet. Es kann vor diesem Hintergrund dahinstehen, welchen Einfluss das Ruhen des Arbeitsverhältnisses auf das Entstehen des gesetzlichen Urlaubsanspruchs hat (vgl. dazu LAG Schleswig-Holstein v. 16.12.2010, 4 Sa 209/10; LAG Baden-Württemberg v. 29.04.2010, 11 Sa 64/09, juris).
57b)
58Der gesetzliche Urlaubsanspruch der Klägerin ist auch nicht gemäß § 7 Abs. 3 Satz 1 und 2 BUrlG verfallen.
59Nach dieser Vorschrift muss der Urlaub im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden. Eine Übertragung des Urlaubs auf das nächste Kalenderjahr ist nur statthaft, wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen. Nach der bisherigen Rechtsprechung des BAG verfiel daher der Urlaubsanspruch ersatzlos, wenn der Arbeitnehmer bis zum 31.03. des Folgejahres weiterhin arbeitsunfähig erkrankt war.
60Nach der Entscheidung des EuGH vom 20.01.2009 (C-350/06 und C-520/06 - Schultz-Hoff) ist Artikel 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung jedoch dahin auszulegen, dass er einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten entgegensteht, nach denen der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub bei Ablauf des Bezugzeitraumes und/oder eines im nationalen Recht festgelegten Übertragungszeitraumes auch dann erlischt, wenn der Arbeitnehmer während des gesamten Bezugzeitraumes oder eines Teils davon krank geschrieben war und seine Arbeitsunfähigkeit bis zum Ende seines Arbeitsverhältnisses fortgedauert hat, weshalb er seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub nicht ausüben konnte.
61Das BAG hat diese Rechtsprechung des EuGH übernommen und geurteilt, der Anspruch auf Abgeltung des gesetzlichen Voll- oder Teilurlaubs erlösche nicht, wenn der Arbeitnehmer bis zum Ende des Urlaubsjahres und/oder des Übertragungszeitraumes erkrankt und deshalb arbeitsunfähig sei. § 7 Abs. 3 und 4 seien auch im Verhältnis zu privaten Arbeitgebern nach den Vorgaben des Artikels 7 der Richtlinie 2003/88/EG gemeinschaftskonform fortzubilden (BAG v. 24.03.2009,9 AZR 983/07, juris).
62Im vorliegenden Fall war die Klägerin von März 2007 bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses am 31.01.2011 arbeitsunfähig erkrankt. Die gesetzlichen Urlaubsansprüche für die Jahre 2007 bis 2011 sind damit nicht verfallen.
63c) Der Urlaubsabgeltungsanspruch setzt nicht voraus, dass der Urlaub im Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses gewährt werden kann. Der Anspruch auf Urlaubsabgeltung entsteht nämlich mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses als reiner Geldanspruch. Diese auf eine finanzielle Vergütung im Sinne von Art. 7 Abs. 2 der sog. Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG gerichtete Forderung bleibt in ihrem Bestand unberührt, wenn die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers bis zum Ende des Übertragungszeitraums am 31. März des dem Urlaubsjahr folgenden Jahres fortdauert (BAG v. 04.05.2010, 9 AZR 183/09; juris).
64Es kommt deshalb nicht darauf an, ob die Klägerin über den 31.01.2011 hinaus arbeitsunfähig krank war.
65d) Auch die übergesetzlichen, tarifvertraglichen Urlaubsansprüche sind nicht verfallen.
66aa) § 1 Ziff. 3 des Arbeitsvertrages bestimmt, dass die Tarifverträge für die Beschäftigten im Einzelhandel in NRW in ihrer jeweils gültigen Fassung Bestandteil des Arbeitsvertrages sind. Gemäß § 7 Ziff. 1 des Arbeitsvertrages richtet sich die Dauer des Urlaubs nach den tarifvertraglichen Bestimmungen. Gemäß § 15 Abs. 3 MTV beträgt der Urlaub nach dem vollendeten 30. Lebensjahr 36 Tage pro Kalenderjahr.
67bb) Die Parteien des Einzelarbeitsvertrags können Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsansprüche, die den von Art. 7 Abs. 1 der Arbeitszeitrichtlinie gewährleisteten und von § 3 Abs. 1 BUrlG begründeten Mindestjahresurlaubsanspruch von vier Wochen übersteigen, frei regeln. Ihre Regelungsmacht ist nicht durch die für gesetzliche Urlaubsansprüche erforderliche richtlinienkonforme Fortbildung des § 7 Abs. 3 und 4 BUrlG beschränkt. Dem einzelvertraglich angeordneten Verfall des übergesetzlichen Urlaubsanspruchs und seiner Abgeltung steht nach dem klaren Richtlinienrecht und der gesicherten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs kein Gemeinschaftsrecht entgegen (BAG v. 24.03.2009, 9 AZR 983/07, juris). Für einen Regelungswillen der Parteien des Einzelarbeitsvertrags, der zwischen gesetzlichen und übergesetzlichen vertraglichen Ansprüchen unterscheidet, müssen im Rahmen der Auslegung nach §§ 133, 157 BGB jedoch deutliche Anhaltspunkte bestehen(BAG v. 24.03.2009, 9 AZR 983/07, juris). Deutliche Anhaltspunkte für einen Regelungswillen der Vertrags- oder Tarifvertragsparteien, der zwischen gesetzlichen und übergesetzlichen Urlaubs(-abgeltungs)ansprüchen unterscheidet, sind anzunehmen, wenn sich die (Tarif-)Vertragsparteien in weiten Teilen vom gesetzlichen Urlaubsregime lösen und stattdessen eigene Regeln aufstellen. Im Fall einer solchen eigen-ständigen, zusammenhängenden und in sich konsistenten Regelung ist ohne entgegenstehende Anhaltspunkte in der Regel davon auszugehen, dass die (Tarif-)Vertragsparteien Ansprüche nur begründen und fortbestehen lassen wollen, soweit eine gesetzliche Verpflichtung besteht (BAG v. 23.3.2010, 9 AZR 128/09, juris).
68Die Regelungen des § 15 Abs. 7 bis 9 MTV entsprechen weitgehend den gesetzlichen Vorschriften des BUrlG. Einzig § 15 Abs. 8 MTV bestimmt, dass der Urlaub in den ersten 4 Monaten des folgenden Kalenderjahres gewährt und genommen werden muss. Damit haben die Tarifvertragsparteien zugunsten der Arbeitnehmer eine gegenüber der Regelung in § 7 Abs. 3 S. 3 BUrlG verlängerte Frist vereinbart. Im Übrigen haben sie aber die Gesetzesregelung übernommen. Eine Unterscheidung zwischen gesetzlichem und tariflichem Urlaub wird nicht vorgenommen. Die Tarifvertragsparteien wollten erkennbar - abgesehen von der Verlängerung der Frist - keine eigene Regelung treffen, sondern die gesetzliche übernehmen (ebenso zu den hier maßgeblichen Vorschriften des MTV LAG Düsseldorf v. 25.02.2010, 9 Sa 258/10, juris).
69e)
70Der Urlaubsabgeltungsanspruch der Klägerin war nicht auf einen Zeitraum von 18 Monaten zu begrenzen.
71aa)
72Durch Vorabentscheidungsersuchen vom 15.04.2010 (Az: 16 Sa 1176/09) hat das LAG Hamm dem EuGH die Frage vorgelegt, ob Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG dahin auszulegen ist, dass er einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten, nach denen der Anspruch auf bezahlten Mindestjahresurlaub vor Ablauf des Bezugszeitraums und/oder Übertragungszeitraums erlischt, auch dann entgegensteht, wenn der Arbeitnehmer längerfristig arbeitsunfähig ist und deshalb Mindesturlaubsansprüche für mehrere Jahre ansammeln könnte, wenn diese nicht begrenzt würden und würde die zeitliche Begrenzung mindestens 18 Monate betragen müssen. Über das Vorabentscheidungsersuchen hat der EuGH bisher nicht entschieden.
73bb)
74Sollte der EuGH den Verfall von Urlaubsabgeltungsansprüchen, die über einen Zeitraum von 18 Monaten hinausgehen, für gemeinschaftsrechtlich zulässig erklären, würde ein Verfall solcher Ansprüche zusätzlich voraussetzen, dass eine nationale Vorschrift den Verfall anordnet. Ob eine solche Vorschrift existiert, wird unterschiedlich beurteilt (ablehnend: LAG Baden-Württemberg v. 02.12.2010, 22 Sa 59/10, juris; LAG Düsseldorf v. 25.02.2011, 9 Sa 258/10, juris; LAG Hessen v. 07.12.2010, 19 Sa 939/10, juris; bejahend wohl LAG Hamm v. 15.04.2010, 16 Sa 1176/09, juris). Art. 9 Abs. 1 des Übereinkommens Nr. 132 der internationalen Arbeitsorganisation vom 24.06.1970 ist jedenfalls keine solche nationale Norm. Es handelt sich vielmehr um eine völkerrechtliche Norm, die im nationalen Recht nicht unmittelbar anwendbar ist. Die Bundesrepublik Deutschland hat dem Übereinkommen zwar durch Gesetz vom 30.04.1975 zugestimmt. Hierdurch ist das Übereinkommen aber nicht inner-staatliches Recht in dem Sinne geworden, dass seine Vorschriften normativ auf alle Arbeitsverhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland einwirken (BAG v. 07.12.1993, 9 AZR 683/92, juris; LAG Hamm v. 15.04.2010, 16 Sa 1176/09, juris).
75Es ist auch nicht eindeutig erkennbar, dass auf der Grundlage einer die Vorlagefrage des LAG Hamm bejahenden Entscheidung des EuGH die Vorschriften des BUrlG entsprechend gemeinschaftskonform ausgelegt werden könnten. Die Beschränkung auf einen Zeitraum von 18 Monaten ist zwar unter Umständen gemeinschaftsrechtlich zulässig. Die Richtlinie 2003/88/EG enthält jedoch jedenfalls keine Verpflichtung, einen entsprechenden Verfall der Ansprüche nach 18 Monaten vorzusehen. Das aus Art. 288 Abs. 3 AEUV (zuvor Art. 249 Abs. 3 EGV) resultierende Gebot der gemeinschaftskonformen Auslegung verpflichtet die nationalen Gerichte jedoch lediglich dazu, nationale Vorschriften so auszulegen, dass das Ziel der jeweiligen Richtlinie erreicht wird und der Mitgliedsstaat den Verpflichtungen, die sich aus der Richtlinie ergeben in vollem Umfang nachkommt (EuGH v. 05.10.2004, C 397/01 bis C 403/01, NZA 2004, 1145; BAG v. 24.03.2009, 9 AZR 983/07, NZA 2009, 538). Eine gemeinschaftsrechtlich zwar zulässige, aber nicht zwingend gebotene Regelung könnte daher nach diesen Grundsätzen nicht auf der Grundlage einer gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung in das nationale Recht eingeführt werden.
76cc) Jedenfalls bevor der EuGH über das Vorabentscheidungsersuchen des LAG Hamm entschieden hat, besteht nach Überzeugung der Kammer keine Veranlassung, den Urlaubsabgeltungsanspruch auf 18 Monate zu reduzieren.
77f) Die Urlaubsabgeltungsansprüche der Klägerin sind nicht gemäß § 24 MTV erloschen.
78aa)
79Die Klägerin hat die Verfallklausel nach § 24 Abs. 1 lit. b MTV bezüglich Urlaubsabgeltungsansprüchen eingehalten. Sie hat den Anspruch mit Schriftsatz vom 22.03.2011, dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten zugestellt am 28.03.2011, und damit innerhalb von drei Monaten nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses schriftlich geltend gemacht.
80bb)
81Die Urlaubsansprüche sind auch nicht deshalb verfallen, weil sie entgegen § 24 Abs. 1 lit. b MTV nicht jeweils innerhalb von drei Monaten nach Ende des Urlaubsjahres geltend gemacht wurden. § 24 Abs. 1 lit. b MTV ist gemäß §§ 133, 157 BGB europarechtskonform dahin auszulegen, dass jedenfalls für den Fall, dass Arbeitnehmer aufgrund krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit nicht in der Lage sind, Urlaub zu nehmen, eine schriftliche Geltendmachung innerhalb von drei Monaten nach Ende des Urlaubsjahres nicht erforderlich ist (LAG Düsseldorf v. 25.02.2011, 9 Sa 258/10, juris; vgl. zur europarechtskonformen Auslegung von Tarifverträgen BAG v. 29.07.1992, 4 AZR 502/91, juris). Eine Geltendmachung des Urlaubsanspruchs während dauerhafter Arbeitsunfähigkeit wäre auch nicht sinnvoll, weil der Arbeitgeber mangels Erfüllbarkeit des Urlaubsanspruchs nicht zur Leistung verpflichtet ist (LAG Düsseldorf v. 25.02.2011, 9 Sa 258/10, juris).
82g) Die Einrede der Verjährung hat die Beklagte nicht erhoben.
83h) Die Klägerin hat somit einen Urlaubsabgeltungsanspruch für insgesamt 147 Tage (je 36 Tage für die Jahre 2007 bis 2010 und anteilig 3 Tage für 2011). Gemäß § 15 Abs. 9 S. 2 MTV ist bei der Urlaubsabgeltung je Urlaubstag 1/26 des Monatseinkommens zugrunde zu legen. Bei einem Bruttomonatsverdienst der Klägerin von 2.626,-- € entspricht dies 101,-- € pro Urlaubstag. Insgesamt ergibt sich somit ein Urlaubsabgeltungsanspruch von 14.487,-- €. Da die Klägerin jedoch nur 12.372,50 € verlangt, war der Urteilsausspruch auf diesen Betrag zu begrenzen (ne ultra petita, § 308 Abs. 1 ZPO).
842.
85Die Klägerin hat zudem einen Anspruch auf Zahlung des Urlaubsgeldes für das Jahr 2010. Der Anspruch auf Zahlung des Urlaubsgeldes für das Jahr 2009 ist hingegen verfallen.
86a)
87Der Anspruch auf Zahlung des Urlaubsgeldes für die Jahr 2009 und 2010 ist jeweils am 01. Januar entstanden. Gemäß Teil A § 1 Abs. 1 des TV Sonderzahlungen ist einzige Voraussetzung für das Entstehen des Anspruchs auf Urlaubsgeld das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses. Diese Anspruchsvoraussetzung war hier erfüllt.
88b)
89Der Anspruch auf Urlaubsgeld war entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten auch nicht aufgrund der Arbeitsunfähigkeit der Klägerin zu kürzen.
90aa)
91Bei fehlender Kürzungsabrede kann wegen Fehlzeiten nur bei Sondervergütungen mit reinem Entgeltcharakter gekürzt werden, da mit dem Fehlen einer Arbeitsleistung auch (anteilig) der lediglich in der Fälligkeit aufgeschobene Anspruch entfällt. Es gilt der Grundsatz "ohne Arbeit kein Lohn" (ErfK-Preis, 11. Aufl. 2011, § 611 Rn. 542). Entlohnt die Sondervergütung lediglich die Betriebstreue, kommt es für den Anspruch nicht auf die Arbeitsleistung an, so dass die Zahlung ohne ausdrückliche Kürzungsvereinbarung nicht gemindert werden kann (ErfK-Preis, 11. Aufl. 2011, § 611 Rn. 542). Gleiches gilt für Sondervergütungen mit "Mischcharakter", mit denen nicht ausschließlich erbrachte Arbeitsleistung honoriert werden soll (ErfK-Preis, 11. Aufl. 2011, § 611 Rn. 542).
92bb)
93Vorliegend stellt das Urlaubsgeld eine Sondervergütung mit Mischcharakter, jedenfalls keine Sondervergütung mit reinem Entgeltcharakter dar. Einerseits bestimmt § 1 (7) S. 2 des TV Sonderzahlungen, dass dem Arbeitnehmer für das Kalenderjahr, in dem das Arbeitsverhältnis beginnt oder endet, (nach Erfüllung der Wartezeit) für jeden vollen Beschäftigungsmonat 1/12 des Urlaubsgeldes zusteht. Das spricht dafür, dass das Urlaubsgeld (zumindest auch) als Vergütung für die tatsächlich erbrachte Arbeitsleistung gezahlt werden soll. Andererseits bestimmt § 1 (6) des TV Sonderzahlungen, dass ein Urlaubsgeldanspruch erstmalig nach mehr als 3-monatiger Betriebszugehörigkeit gezahlt werden soll. Das spricht dafür, dass mit dem Urlaubsgeld zumindest auch vergangene Betriebstreue belohnt werden soll. Zudem bestimmt § 1 (7) S. 1 des TV Sonderzahlungen, dass das Urlaubsgeld anteilig entsprechend dem Urlaubsanspruch gewährt wird. Das Entstehen des Urlaubsanspruchs ist jedoch nicht von der tatsächlichen Erbringung der Arbeitsleistung abhängig; Voraussetzung ist allein das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses (vgl. ErfK-Dörner/Gallner, 11. Aufl. 2011, § 1 BurlG Rn. 14). Auch dies spricht dafür, dass das Urlaubsgeld jedenfalls keine Sondervergütung mit reinem Entgeltcharakter ist.
94Vor diesem Hintergrund ist eine Kürzung des Urlaubsgeldanspruchs für das Jahr 2010 wegen arbeitsunfähigkeitsbedingter Fehlzeiten der Klägerin nicht möglich. Dieses Ergebnis entspricht auch der Rechtsprechung des BAG, wonach ein – auch hier vorliegendes – tarifvertragliches Urlaubsgeld, das nur an die Arbeitnehmereigenschaft anknüpft, bei Arbeitsunfähigkeit nicht gekürzt werden kann (BAG v. 19.01.1999, 9 AZR 158/98, AP TVG § 1 Tarifverträge: Einzelhandel Nr. 67).
95c)
96Der Anspruch auf Urlaubsgeld für das Jahr 2010 ist auch nicht verfallen.
97aa)
98Beim Anspruch auf Urlaubsgeld handelt es sich um einen Anspruch auf Sonderzahlung im Sinne des § 24 Abs. 1 lit. b MTV. Dafür spricht insbesondere, dass das Urlaubsgeld im "Tarifvertrag über Sonderzahlungen (Urlaubsgeld und Sonderzuwendungen)" vom 25.07.2008 geregelt ist. Sowohl der TV Sonderzahlungen als auch der MTV wurden am 25.07.2008 abgeschlossen. Vor diesem Hintergrund ist anzunehmen, dass die Tarifvertragsparteien den Begriff der Sonderzahlung in beiden Tarifverträgen einheitlich verwenden wollten.
99bb)
100Gemäß § 24 Abs. 1 lit. b MTV sind Ansprüche auf Sonderzahlungen spätestens drei Monate nach Ende des Urlaubsjahres bzw. Beendigung des Arbeitsverhältnisses geltend zu machen. Vorliegend machte die Klägerin ihre Ansprüche auf Urlaubsgeld in der Klageschrift vom 24.01.2011 geltend, welche der Beklagten am 08.02.2011 zugestellt wurde. Der Anspruch auf das Urlaubsgeld für das Jahr 2010 wurde damit innerhalb von drei Monaten nach Ende des Urlaubsjahres (31.12.2011) bzw. Beendigung des Arbeitsverhältnisses (31.01.2011) geltend gemacht.
101d)
102Gemäß dem Gehaltstarifvertrag zwischen dem Einzelhandelsverband Nordrhein-Westfalen und ver.di vom 25.07.2008 beträgt der tarifliche Entgeltanspruch für das letzte Berufsjahr der Gehaltsgruppe I nach dem im Jahre 2008 geltenden Tarifschema 2066,-- €. Ein Anspruch auf Urlaubsgeld besteht daher gemäß Teil A § 1 Abs. 1 TV Sonderzahlung in Höhe von 1.033,-- €. Da die Klägerin jedoch nur 1003,- € als Urlaubsgeld für 2010 verlangt hat, war der Urteilsausspruch auf diesen Betrag zu begrenzen (ne ultra petita, § 308 Abs. 1 ZPO).
103e)
104Der Anspruch auf Urlaubsgeld für das Jahr 2009 ist hingegen verfallen. Gemäß § 24 Abs. 1 lit. b MTV hätte der Anspruch auf das Urlaubsgeld für das Jahr 2009 bis spätestens zum 31.03.2010 schriftlich geltend gemacht werden müssen. Dies ist hier nicht erfolgt. Die Klägerin hat ihren Anspruch für das Urlaubsgeld 2009 erstmals mit der Klageschrift vom 27.01.2011 gegenüber der Beklagten schriftlich geltend gemacht.
1053.
106Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zahlung von Weihnachtsgeld für die Jahre 2008, 2009 und 2010.
107a)
108Ein Anspruch ergibt sich zunächst nicht aus dem TV Sonderzahlungen. Gemäß Teil B § 1 Abs. 4 TV Sonderzahlungen ermäßigt sich die Höhe der Sonderzuwendung für jeden Kalendermonat, in dem dem Anspruchsberechtigten weniger als zwei Wochen Arbeitsentgelt oder Zuschüsse zum Krankengeld gemäß den Bestimmungen des Manteltarifvertrages zustehen, um 1/12.
109Da die Klägerin seit März 2007 arbeitsunfähig erkrankt war, erhielt sie in den Jahren 2008, 2009 und 2010 jeweils weder Arbeitsentgelt noch Zuschüsse zum Krankengeld gemäß den Bestimmungen des MTV (vgl. zu den Voraussetzungen § 20 MTV). Der Anspruch auf Zahlung des Weihnachtsgeldes für die Jahre 2008, 2009 und 2010 reduzierte sich damit jeweils auf "Null". Die Vorschrift des Teil B § 1 Abs. 4 TV Sonderzahlungen steht auch im Einklang mit § 4a EFZG.
110b)
111Ein Anspruch auf Zahlung des Weihnachtsgeldes folgt auch nicht aus § 4 Ziff. 2 des Arbeitsvertrages vom 14.01.2000. Nach dieser Regelung erhält die Klägerin "4.500,-- monatlich brutto inkl. Urlaubs- und Weihnachtsgeld". Damit wird kein eigenständiger Anspruch auf Zahlung eines Weihnachtsgeldes eingeräumt, vielmehr wird klargestellt, dass ein eventueller (einzelvertraglicher) Anspruch auf Weihnachtsgeld mit der monatlichen Lohnzahlung abgegolten ist.
112c)
113Ein Anspruch der Klägerin auf Zahlung des Weihnachtsgeldes für die Jahre 2008, 2009 und 2010 folgt schließlich auch nicht aus dem allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz. Die Behauptung der Klägerin, auch andere arbeitsunfähige Arbeitnehmer hätten Weihnachtsgeld erhalten, ist zu unsubstantiiert. Es wird nicht deutlich, welche Arbeitnehmer für welche Jahre Weihnachtsgeld in welcher Höhe erhalten haben sollen und wie lange diese Arbeitnehmer jeweils arbeitsunfähig erkrankt waren.
114II.
115Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 92, 98 ZPO. Da jede Partei teilweise obsiegt hat, waren die Kosten verhältnismäßig zu teilen. Die Kosten für den Kündigungsschutzantrag, der durch Teilvergleich vom 10.03.2011 erledigt wurde, tragen die Parteien je zur Hälfte.
116Der Streitwert war gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG im Urteil festzusetzen. Als Streitwert wurde die Summe der bezifferten Klageanträge in Ansatz gebracht.