Seite drucken
Entscheidung als PDF runterladen
Eine Entscheidung nach Lage der Akten ist im ersten Kammertermin möglich unter Beachtung des (arbeitsrechtlichen) Begriffs der mündlichen Verhandlung
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Der Streitwert wird auf 20.000 € festgesetzt.
Tatbestand
2Klagegegenstand sind die außerordentliche arbeitgeberseitige Kündigung vom 21.10.2009 (ausgesprochen auch als hilfsweise außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist zum 30.06.2010 – s.Bl. 24 ff. d.A.) und die arbeitgeberseitige außerordentliche Kündigung vom 14.01.2010 (hilfsweise auch als außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist zum 30.06.2010 vom 21.10.2009 ausgesprochen – s. Bl. 58 ff. d.A.).
3Der Kläger ist am 12.10.1957 geboren und verheiratet.
4Seit dem 01.01.1990 ist er für den Beklagten als Dipl.-Psychologe und Erziehungsleiter tätig. Es besteht ein schriftlicher Arbeitsvertrag vom 19.03.1993 (s. Anlage B 1 zur Klageerwiderung). Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der BAT–KV Anwendung. Der Bruttomonatsverdienst des Kläger betrug zuletzt ca. 5000 €.
5Mit Wirkung zum 01.04.2003 wechselte der Kläger in das sog. Multiprofessionelle Erziehungsleiterteam. Seit dieser Zeit übt er die Funktion des Erziehungsleiters aus. Aus Anlage B 2 zur Klageerwiderung, Leitungs- und Beratungskonzept für den Bereich erzieherische Hilfen vom 14.10.2003, ergibt sich zum einen die Tätigkeit des Klägers (s. dort Seite 4) als auch das gesamte erzieherische Konzept, das der Beklagte mit der Stelle des Erziehungsleiters verfolgt. Die Aufgabenstellung des Klägers ist in einer sog. Kompetenzmatrix (Stand 30.09.2004) festgehalten – s. Anlage B 3 der Klageerwiderung. Der Kläger hat danach umfassende Leitungsverantwortung (Fach- und Dienstaufsicht) i.S. von Personalverantwortung, Fallverantwortung, Konzeptverantwortung, Außenvertretung und Budgetverantwortung. Als Erziehungsleiter war der Kläger der Einrichtungsleitung des Beklagten unterstellt. Dem Kläger selbst unterstellt waren die Mitarbeitenden der pädagogischen Projekte, für die der Kläger zuständig war. Der Kläger fungierte als Bindeglied zwischen Einrichtungsleitung und den pädagogischen Teams. Insoweit kam dem Kläger eine Schlüsselstellung zu, als zu seinen Funktionen gehörte, Fehlentwicklungen innerhalb des Teams zu verhindern und er war verantwortlich für die Einhaltung der pädagogischen Standards des Beklagten. Insoweit war dem Kläger auch ein klarer Maßstab vorgegeben, da der Beklagte seine pädagogische Leitlinie in den Handlungsorientierungen für die Praxis festgehalten hat (s. Handbuch Anlage B 4 der Klageerwiderung).
6Im Einzelnen war der Kläger verantwortlich für die familienanaloge Wohngruppe "Im S1" (d.h.: die pädagogischen Mitarbeiterinnen wohnen mit den Kindern bzw. Jugendlichen zusammen), für die familienanaloge Wohngruppe "A1" und die (Schichtdienst) Wohngruppe "P1". Außerdem hatte der Kläger Verantwortung für den Bereich der "Gewaltberatung" (Beratung gewaltbereiter Jungen bzw. Männer). Insgesamt wird in diesem Zusammenhang auch das sog. Organigramm vom 15.02.2009 (Anlage B 5 der Klageerwiderung) verwiesen.
7Außerdem hatte der Kläger im Rahmen seiner Leitungstätigkeit an den Fallgesprächen weiterer Teams teilgenommen und seine zuständigen Kolleginnen der Erziehungsleitung für diese Projekte bei Abwesenheit als direkter Leitungsverantwortlicher vertreten.
8Neben dieser weit überwiegenden Leitungstätigkeit hat der Kläger auch im Angebot der "Westfälischen Pflegefamilien (WPF)" die Funktion der "Co-Beratung" (Beratung der Familienberater, Fachaufsicht – s. insoweit "Leistungsbeschreibung WPF" in Anlage B 5 a der Klageerwiderung) mit 5 Stunden je Woche seiner Arbeitszeit ausgeübt und 4 Stunden wöchentlich direkte therapeutische Arbeiten mit den Kindern seiner Wohngruppe "P1" ausgeübt.
9In der Wohngruppe "Im S1" hatte die dort zuständige Mitarbeiterin ganz erhebliches Fehlverhalten gezeigt, was im Rahmen der Kündigungsschutzklage gegen die ausgesprochene außerordentliche Kündigung zu Az 2 Ca 1731/09 zu einer (vergleichsweisen) Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit ihr geführt hat.
10Bei dem Beklagten ist eine Mitarbeitervertretung (MAV) eingerichtet. Diese hörte der Beklagte mit Schreiben vom 15.10.2009 (Anlage B 40 der Klageerwiderung) zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Klägers an.
11Das Anhörungsschreiben lautet wie folgt:
12…(nicht abgedruckt)
13Mit Schreiben vom 21.10.2009 (Bl. 24 ff. d.A.) sprach der Beklagte sodann gegenüber dem Kläger die außerordentliche fristlose Kündigung und hilfsweise außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist zum 30.06.2010 aus. Auf das zur Anhörung der MAV vom 15.10.2009 inhaltlich fast deckungsgleiche Kündigungsschreiben wird an dieser Stelle verwiesen.
14Sodann hörte der Beklagte die Mitarbeitervertretung unter dem 11.01.2010 (Anlage B 41 der Klageerwiderung) zu dem Punkt "Nachschieben einer außerordentlichen Kündigung zu der außerordentlichen fristlosen Kündigung und hilfsweise außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist vom 30.06.2010 vom 21.10.2009" an sowie zum Ausspruch einer weiteren außerordentlichen Kündigung hilfsweise mit sozialer Auslauffrist.
15In diesem Anhörungsschreiben heißt es:
16…. (nicht abgedruckt)
17Auch hierzu schwieg die Mitarbeitervertretung.
18Mit Schreiben vom 14.01.2010 sprach der Beklagte sodann eine weitere außerordentliche Kündigung gegenüber dem Kläger aus (Bl. 58 ff d.A.). Auf diese zur Anhörung der MAV im Wesentlichen deckungsgleiche Kündigungserklärung wird inhaltlich verwiesen.
19Die Kündigung vom 21.10.2009 ging dem Kläger am 21.10.2009 zu; die Kündigung vom 14.01.2010 ging dem Kläger am 14.01.2010 zu.
20Mit Kündigungsschutzklage vom 30.10.2009, bei Gericht am 03.11.2009 eingegangen, wendet sich der Kläger zunächst gegen die Kündigung vom 21.10.2009; mit Klageerweiterung vom 19.01.2010 (Bl. 56 ff. d.A.) sodann auch gegen die Kündigung vom 14.01.2010.
21In der Kündigungsschutzklage weist der Kläger auf seine ordentliche Unkündbarkeit in und bemängelt die erforderliche Interessenabwägung vor dem Hintergrund seiner 19jährigen Beschäftigungsdauer für den Beklagten. Dem Beklagten sei im Übrigendurchaus zumutbar gewesen, ein von ihm als fehlerhaft interpretiertes Verhalten zunächst mit einer Abmahnung zu ahnden. Auch rügt der Kläger das Einhalten der Frist aus § 626 Abs. 2 BGB und meint dazu, dass der Beklagte hierzu zunächst noch Stellung nehmen sollte, und der Kläger sodann hierauf erwidern werde. Weiter bestreitet der Kläger in der Kündigungsschutzklage die ordnungsgemäße Beteiligung der Mitarbeitervertretung und fordert auch hier den Beklagten zur Darlegung auf, um sodann hierzu noch einmal Stellung nehmen zu wollen.
22Im Gütetermin vom 04.12.2009 wurde vor dem Hintergrund der Kündigung vom 21.10.2009 die Sach- und Rechtslage erörtert. Vergleichsverhandlungen scheiterten schlussendlich; auch der gerichtliche Vergleichsvorschlag wurde klägerseitig nicht angenommen.
23Noch vor Eingang der Klageerwiderung vom 16.02.2010 erfolgte die Klageerweiterung wegen der zwischenzeitlich ausgebrachten zweiten außerordentlichen Kündigung vom 14.01.2010; auch hier verlangte der Kläger zunächst einen Vortrag des Beklagten in gebotener Weise, um sodann Stellung nehmen zu können.
24Mit Übermittlung der Klageerwiderung an die Klägerseite räumte das Gericht entsprechend der Beschlussfassung im Gütetermin der Klägerweise eine Stellungnahmemöglichkeit bis zum 26.03.2010 ein (Bl. 141 d.A.).
25Die Klägerseite bat sodann mit Fax vom 26. März 2010 um Verlängerung der Stellungnahmefrist bis zum 02.04.2010 vor dem Hintergrund der Belastungssituation der Klägervertreterin. Mit Schreiben vom 26. März 2010 (Bl. 146 d.A.) wurde die Frist für die Klägerseite verlängert bis zum 01.04.2010 (Gründonnerstag).
26Tatsächlich erfolgte bis zum Kammertermin am 5.5.2010 keine Stellungnahme des Klägers zu der Klageerwiderung vom 16.02.2010 und dem dazu gehörigen Anlagenkonvolut.
27Die zwischenzeitlich gerichtlich initiierten, vorbereitenden Zeugenladungen (Bl. 141 R i.V.m. Bl. 149 ff. d.A. sowie Bl. 143 R) hat das Gericht unter dem 30.04.2010 mangels einer Stellungnahme des Klägers auf die Klageerwiderung wieder aufgehoben (s. Bl. 153 d.A.).
28Zum anberaumten Kammertermin am 05.05.2010, 9.30 Uhr, erschien für den Kläger sodann tatsächlich niemand; am 04.05.2010 ging ein Fax der Klägerseite bei Gericht ein (Bl. 156 d.A.), in dem das Ausbleiben angekündigt wurde.
29Im Kammertermin vom 05.05.2010 beantragte der Beklagte,
30die Klage abzuweisen und nach Lage der Akten zu entscheiden,
31hilfsweise durch Versäumnisurteil.
32Der Kläger war ausweislich des im Gütetermin vom 04.12.2009 verkündigen Kammertermins auf den 05.05.2010, 9.30 Uhr, ordnungsgemäß geladen worden.
33Wegen des Vortrags der Parteien wird auf die Schriftsätze nebst Anlagen und Protokolle verwiesen.
34Entscheidungsgründe
35I.
36Die Entscheidung nach Lage der Akten beruht auf §§ 331 a Satz 1, 251 a Abs. 2 ZPO. Im Kammertermin vom 05.05.2010, 9.30 Uhr, ist die Klägerseite insgesamt ausgeblieben. Der Sachverhalt war nach § 138 Abs. 3 ZPO entscheidungsreif und hinreichend geklärt; die Klägerseite hat die eingeräumten Stellungnahmemöglichkeiten auf die Klageerwiderung vom 16.02.2010 verstreichen lassen und dies trotz der erbetenen und gewährten Fristverlängerung bis zum 01.04.2010.
37Sinn und Zweck der Möglichkeit der Entscheidung nach Lage der Akten ist es, der Gefahr vorzubeugen, dass eine Partei unter Inkaufnahme des relativ ungefährlichen Versäumnisurteils in Verschleppungsabsicht dem Termin fernbleibt. Wo diese Absicht des Säumigen erkennbar ist, sollte das Gericht einen Antrag nach § 331a ZPO sogar anregen (vgl. Herget in Zöller, 26. Auflage, § 331a Rn. 1).
38Nachdem der Kläger und seine Prozessbevollmächtigte trotz beantragter und auch gewährter Fristverlängerung zur Stellungnahme auf die Klageerwiderung schwiegen, war für die Kammer ausreichend Anlass zur Annahme des klägerischen Bestrebens gewesen, das Verfahren zu verschleppen. Dem Antrag des Beklagten auf Entscheidung nach Aktenlage war daher stattzugeben.
39Die Anberaumung des Verkündungstermins auf den 19.05.2010 beruht auf § 251 a Abs. 2 Satz 2 ZPO. Dieser Verkündungstermin ist durch Verkündung im Kammertermin vom 05.05.2010 bekannt gemacht worden. Es war auch vor dem Kammertermin in einem frühen Termin mündlich verhandelt worden, § 251 a Abs. 2 S. 1 ZPO. Die Frage, ob als mündliche Verhandlung i.S.v. § 251 a Abs. 2 Satz 1 ZPO eine arbeitsgerichtliche Güteverhandlung genügt, ist zwar umstritten, aber jedenfalls dann zu bejahen, wenn gem. § 54 Abs. 4 ArbGG nach erfolgloser Güteverhandlung ein besonderer Termin zur streitigen Verhandlung anberaumt worden ist. Wenn grundsätzlich auch nach § 137 Abs. 1 ZPO die mündliche Verhandlung mit dem Stellen der Anträge eingeleitet wird und üblicherweise im arbeitsgerichtlichen Gütetermin solche Anträge nicht gestellt werden, so kann daraus nicht geschlossen werden, dass es sich bei dem arbeitsgerichtlichen Gütetermin nicht um einen frühen Termin handeln würde, in dem mündlich verhandelt worden ist. § 137 ZPO gilt nämlich im arbeitsgerichtlichen Verfahren gem. § 46 Abs. 2 S. 1 ArbGG nur insoweit, als im Arbeitsgerichtsgesetz nichts anderes bestimmt ist. Nach § 54 Abs. 1 ArbGG beginnt aber "die mündliche Verhandlung … mit einer Verhandlung vor dem Vorsitzenden zum Zwecke der gütlichen Einigung (Güteverhandlung)", ist also vom Gesetzgeber als mündliche Verhandlung explizid bezeichnet. § 251 a Abs. 1 ZPO unterscheidet zwar naturgemäß für den ordentlichen Zivilprozess nicht zwischen verschiedenen Arten von mündlicher Verhandlung, ist aber im arbeitsgerichtlichen Verfahren nur "entsprechend anzuwenden", § 46 Abs. 2 ArbGG, also unter Berücksichtigung der Besonderheiten des arbeitsgerichtlichen Verfahrensablaufs, geregelt im Arbeitsgerichtsgesetzt (so u.a. auch Hessisches LAG im Urteil vom 31.10.2000, 9 Sa 2072/99, recherchiert nach JURIS).
40II.
41Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
42(wird ausgeführt)
43IX.
44Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die unterliegende Partei trägt die Kosten des Rechtsstreits.
45X.
46Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 61 Abs. 1 ArbGG i.V.m. § 42 Abs. 3 GKG unter Ansatz von 3 mal 5000 EUR für die erste Kündigung vom 21.10.2010 und 2 mal 5000EUR betr. die Kündigung vom 14.1.2010.