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Der Aussetzungsantrag der Beklagten vom 07.02.2020
wird zurückgewiesen.
G r ü n d e :
2I.
3Im vorliegenden Rechtsstreit wendet sich der Kläger gegen eine von der Beklagten unter Berufung auf betriebsbedingte Gründe vorsorglich ausgesprochene Kündigung vom 29.08.2019 zum 31.03.2020 und er verlangt seine Weiterbeschäftigung. Außerdem fordert er mit mehreren Klageerweiterungen die Zahlung von monatlichen Differenzlohnbeträgen unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs der Beklagten.
4Bereits zuvor hatte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger und mehr als 200 Arbeitnehmern ab dem 29.01.2019 im Zuge eines umfangreichen Personalabbaus ordentlich gekündigt. Die dagegen beim Arbeitsgericht Hagen erhobenen Klagen waren vor allen 5 Kammern in der ersten Instanz erfolgreich mit der gleichlautenden Begründung, dass die Betriebsratsanhörung nicht ordnungsgemäß eingeleitet worden sei. So wurde auch der Vorprozess zwischen den Parteien unter dem Aktenzeichen
5- 2 Ca 247/19 - mit dem Urteil vom 03.07.2019 im Wesentlichen mit der Feststellung entschieden, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 29.01.2019 aufgelöst wird. Gegen diese Entscheidung hat die Beklagte beim LAG Hamm Berufung eingelegt, die dort unter dem Aktenzeichen -3 Sa 1152/19- geführt wird.
6Mittlerweile sind in den ersten Berufungsverfahren die erstinstanzlichen Urteile des Arbeitsgerichts Hagen von mehreren Kammern des LAG Hamm bestätigt worden, ohne dass die Revision zugelassen worden ist.
7Mit ihrem Schriftsatz vom 07.02.2020 (Blatt 353 bis 355 der Akte) beantragt die Beklagte die Aussetzung des vorliegenden Rechtsstreits bis zur rechtskräftigen Entscheidung des vorgreiflichen Berufungsverfahrens beim LAG Hamm unter dem Aktenzeichen -3 Sa 1152/19- bzgl. der ersten Kündigung vom 29.01.2019. Zur Begründung führt die Beklagte an, dass das Gericht bei richtiger Ermessensausübung den vorliegenden Rechtsstreit aussetzen müsse, weil die klageweise Geltendmachung von Annahmeverzugslohnansprüchen vor dem rechtskräftigen Abschluss des Vorprozesses im Wege der Prozesskostenhilfe mutwillig sei. Außerdem müsse berücksichtigt werden, dass eine etwaige Verurteilung zur Lohnzahlung vor der Rechtskraft der Entscheidung bzgl. der ersten Kündigung wegen der Insolvenzgefahr für sie einen nicht zu ersetzenden Nachteil darstellen würde.
8Dem ist der Kläger in seinem Schriftsatz vom 21.02.2020 (Blatt 359 und 560 der Akte) entgegengetreten.
9II.
10Der Aussetzungsantrag der Beklagten vom 07.02.2020 war im Wege der Alleinentscheidung durch die Kammervorsitzende gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 8 ArbGG zurückzuweisen, weil die Aussetzung des vorliegenden Rechtsstreits nicht nach § 148 ZPO gerechtfertigt ist und ermessensfehlerhaft wäre.
111.
12Nach § 148 ZPO kann das Gericht, wenn die Entscheidung ganz oder teilweise von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits auszusetzen ist. Das Gesetz stellt die Aussetzung in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts. Eine Aussetzung muss nur dann erfolgen, wenn sich das Ermessen des Gerichts auf null reduziert hat. Gegenüber dem vorrangigen Zweck einer Aussetzung –einander widersprechende Entscheidungen zu verhindern- sind insbesondere die Nachteile einer langen Verfahrensdauer und die dabei entstehenden Folgen für die Parteien abzuwägen. Dabei ist der Beschleunigungsgrundsatz des § 9 Abs. 1 ArbGG ebenso zu berücksichtigen wie die Vorschriften zum Schutz vor überlanger Verfahrensdauer in § 9 Abs. 2 S. 2 ArbGG und den §§ 198 ff. GVG (so BAG, Beschl. v. 16.04.2014 -10 AZB 6/14-, NZA 2015, 183, 184 unter II. 1. d. Gründe, Rdnr. 5 m.w.N.).
132.
14Auf dieser Grundlage ist das auf § 148 ZPO gestützte Aussetzungsbegehren der Beklagten nicht begründet.
15a)
16Es ist der Beklagten einzuräumen, dass die Entscheidung über ihre Berufung in dem beim LAG Hamm unter dem Aktenzeichen -3 Sa 1152/19- geführten Verfahren, in dem es um die Frage der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zwischen den Parteien durch die vorherige Kündigung der Beklagten vom 29.01.2019 geht, für den vorliegenden Rechtsstreit vorgreiflich ist.
17Trotzdem reicht die Bejahung der Vorgreiflichkeit für eine Aussetzungsentscheidung nach § 148 ZPO für sich allein nicht aus, weil die Aussetzungsentscheidung vielmehr im Ermessen des Gerichts („kann“) steht. Die Vor- und Nachteile einer Aussetzung sind jeweils gegeneinander abzuwägen (vgl. LAG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 02.07.2010 -6 Ta 123/10-, juris, unter II. d. Gründe, Rdnr. 11 m.w.N.).
18b)
19Hier führt die richterliche Ermessensausübung dazu, dass die Aussetzung des vorliegenden Rechtsstreits nicht für geboten erachtet wird.
20aa)
21Zunächst einmal ist der Umstand, dass die zweite Kündigung „ins Leere“ ginge, wenn im Berufungsrechtsstreit festgestellt würde, dass die erste Kündigung doch bereits wirksam ist, kein Argument für die Aussetzung, da dieser Umstand bereits Merkmal der Vorgreiflichkeit ist (vgl. LAG Hamm, Beschl. v. 21.03.2011 -1 Ta 130/11-, juris, unter II. d. Gründe, Rdnr. 10).
22Außerdem gebietet es der gerade in Kündigungsschutzverfahren herrschende Beschleunigungsgrundsatz, Kündigungsschutzverfahren vorrangig zu entscheiden. Zwar mag zuzugeben sein, dass der Beklagten dadurch Nachteile entstehen, falls sie bei einer für sie negativen Entscheidung in diesen Verfahren zwingend das Rechtsmittel der Berufung einlegen muss, um nicht für die Rechtswirksamkeit der früheren Kündigung präkludiert zu sein. Dies sind aber Unannehmlichkeiten, die mit jeder Konstellation einhergehen, in denen andere gerichtliche Verfahren vorgreiflich sind. Andererseits ist es nicht zu verkennen, dass gerade die zeitnahe Entscheidung des Arbeitsgerichts über ausgesprochene Kündigungen im Beschleunigungsgrundsatz insbesondere des § 61 a ArbGG ihren Ausdruck gefunden hat, was zu der Notwendigkeit führt, derartige Verfahren vorrangig zu behandeln und dabei eben auch die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen in Kauf zu nehmen (vgl. LAG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 02.05.2005 -4 Ta 95/05-, juris, unter II. d. Gründe, Rdnr. 8). Diese Grundsätze würden jedoch konterkariert, wenn ein Arbeitnehmer einerseits gehalten ist, innerhalb begrenzter Fristen Klage gegen die jeweiligen Kündigungen zu erheben, er andererseits wegen der Möglichkeit des Arbeitgebers, mehrere Kündigungen auszusprechen, auf längere Sicht auf eine rechtsverbindliche Entscheidung warten müsste (so LAG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 02.07.2010 -6 Ta 123/10-, juris, unter II. d. Gründe, Rdnr. 12 am Ende).
23Erhebliche Nachteile für die Beklagte durch die nicht erfolgte Aussetzung sind auch im Übrigen nicht ersichtlich. Wenn die hier streitgegenständliche Kündigung der Beklagten vom 29.08.2019 zum 31.03.2020 nach Auffassung der erkennenden Kammer aus betriebsbedingten Gründen gerechtfertigt wäre, würde die Klage insoweit abgewiesen werden. Ist dies nicht der Fall, besteht der einzige Nachteil darin, dass sie diese Entscheidung dann nicht rechtskräftig werden lassen darf. Dies sind –wie bereits dargestellt wurde- aber Konstellationen, die stets bei vorgreiflichen Kündigungsschutzverfahren auftreten können.
24Darüber hinaus spricht vor allem die Tatsache, dass der Kläger erstinstanzlich obsiegt hat, jedenfalls eher gegen als für eine Aussetzung des Nachfolgeverfahrens (vgl. LAG Hamm, Beschl. v. 21.03.2011 -1 Ta 130/11-, juris, unter II. d. Gründe, Rdnr. 11 m.w.N.). Es kommt noch hinzu, dass mittlerweile in den ersten Berufungsverfahren die erstinstanzlichen Urteile des Arbeitsgerichts Hagen vor mehreren Kammern des LAG Hamm ebenfalls unter dem Gesichtspunkt der nicht ordnungsgemäßen Betriebsratsanhörung bestätigt worden sind, ohne dass die Revision zugelassen worden ist. Wenn jedoch eine Kündigung in zwei Instanzen mit derselben Begründung für unwirksam erklärt worden ist, so besteht regelmäßig kein hinreichender Anlass, die Verhandlung und Entscheidung des nachfolgenden Kündigungsprozesses über die Wirksamkeit einer erneuten Kündigung bis zur Rechtskraft des Vorprozesses nach § 148 ZPO auszusetzen (so bereits LAG Hamm, Beschl. v. 14.04.1977 -8 Ta 47/77-, DB 1977, 1276).
25bb)
26Diese vorgenannten Gesichtspunkte gelten nicht nur im Verhältnis zwischen einer vorrangigen Bestandsschutzklage und der hiermit verbundenen prozessualen Behandlung einer Nachkündigung, sondern auch für die hier zusätzlich streitgegenständlichen und insbesondere auf § 615 BGB gestützten Zahlungsforderungen des Klägers.
27Führen nämlich Parteien einen Rechtsstreit über Entgeltansprüche, die von der Wirksamkeit einer Kündigung abhängen, über die bereits eine (nicht rechtskräftige) Entscheidung zu Gunsten des Arbeitnehmers vorliegt, kommt eine Aussetzung dieses Rechtsstreits regelmäßig nicht in Betracht. Dem steht der Umstand entgegen, dass der Arbeitnehmer typischerweise auf seine Vergütung angewiesen ist und sich nicht auf die Inanspruchnahme von Sozialleistungen verweisen lassen muss, wenn ein Vergütungsanspruch gegen den Arbeitgeber besteht. Der arbeitsrechtliche Beschleunigungsgrundsatz (§ 9 Abs. 1 ArbGG) verbietet in solchen Fällen regelmäßig, eine Aussetzung vorzunehmen (so BAG, Beschl. v. 16.04.2014 -10 AZB 6/14-, NZA 2015, 183, 184 unter II. 3. b) d. Gründe, Rdnr. 11 m.w.N.). Für eine ermessensfehlerfreie Aussetzungsentscheidung müssen in einem solchen Fall besondere Gründe des Einzelfalls vorliegen, die das schützenswerte Interesse des Arbeitnehmers an einer auch vorläufigen Existenzsicherung ausnahmsweise überwiegen. Der Gesichtspunkt der Prozesswirtschaftlichkeit, nämlich den Rechtsstreit über die Vergütung ggf. deutlich zu vereinfachen, kann dabei keine Rolle spielen (so LAG Köln, Beschl. v. 08.01.2015 -11 Ta 405/14-, juris, unter II. 1. d. Gründe, Rdnr. 4 am Ende m.w.N.).
28Solche besonderen Gründe liegen hier nicht erkennbar vor. Soweit die Beklagte ihren Aussetzungsantrag damit begründet hat, dass eine etwaige Verurteilung zur Lohnzahlung vor der Rechtskraft der Entscheidung bzgl. der ersten Kündigung wegen der Insolvenzgefahr für sie einen nicht zu ersetzenden Nachteil darstellen würde, ist dies unerheblich. Denn die Frage, inwieweit durch eine mögliche Vollstreckung eines erstrittenen Titels ein nicht mehr ersetzbarer Nachteil droht, wird gemäß § 62 Abs. 1 Sätze 2 und 3 ArbGG ausdrücklich der Vollstreckbarkeitsentscheidung zugeordnet. Das setzt logisch voraus, dass ein drohender unersetzbarer Nachteil die Möglichkeit, überhaupt erst einmal einen Titel zu erstreiten, nicht einschränken kann (vgl. Hessisches LAG, Beschl. v. 03.07.2002 -12 Ta 231/02-, juris, unter II. d. Gründe, Rdnr. 13).
29Dabei muss auch berücksichtigt werden, dass mit der Norm des § 62 Abs. 1 ArbGG zum Ausdruck kommt, dass dem Vollstreckungsinteresse, mithin dem Interesse des Gläubigers an der Befriedigung seiner Ansprüche ein weitaus höheres Gewicht beigemessen wird als im Verfahren der ordentlichen Zivilgerichtsbarkeit. Die entsprechenden Schutzmechanismen für die Schuldnerseite sind in § 62 ArbGG bewusst vom Gesetzgeber eingeschränkt, der das Risiko der vorläufigen Vollstreckung von sich am Ende als nicht gerechtfertigt herausstellenden Ansprüchen in Kauf nimmt (vgl. Thüringer LAG, Beschl. v. 27.06.2001 -6/9 Ta 160/2000-, juris, unter II. d. Gründe, Rdnr. 21). Dass somit der Arbeitgeber durchaus das Risiko der Nichtabwickelbarkeit zu tragen hat, ändert nichts (Hessisches LAG, Beschl. v. 07.08.2003 -11 Ta 267/03-, NZA-RR 2004, 264, 265 am Ende).
Gegen diesen Beschluss kann von der Beklagten sofortige Beschwerde eingelegt werden. Für den Kläger ist gegen diesen Beschluss kein Rechtsmittel gegeben.
31Die sofortige Beschwerde muss innerhalb einer Notfrist* von zwei Wochen entweder beim Arbeitsgericht Hagen, Heinitzstraße 44, 58097 Hagen, Fax: 02331 985-453 oder beim Landesarbeitsgericht Hamm, Marker Allee 94, 59071 Hamm, Fax: 02381 891-283 eingelegt werden. Die Notfrist beginnt mit der Zustellung der Entscheidung, spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung des Beschlusses.
32Die Beschwerde kann schriftlich oder in elektronischer Form eingelegt oder zu Protokoll der Geschäftsstellen erklärt werden.
33Die elektronische Form wird durch ein elektronisches Dokument gewahrt. Das elektronische Dokument muss für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet und mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg gemäß § 46c ArbGG nach näherer Maßgabe der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (ERVV) v. 24. November 2017 in der jeweils geltenden Fassung eingereicht werden. Nähere Hinweise zum elektronischen Rechtsverkehr finden Sie auf der Internetseite www.justiz.de.
34* Eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.