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Die Parteien streiten um eine Kündigung des Klägers wegen mangelder Arbeitsfähigkeit aus gesundheitlichen Gründen. Der gesetzliche Kündigungsschutz kann nicht durch die tarifliche Vorschrift des § 34 MTV DP AG eingeschränkt werden.
1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgrund Kündigung der Beklagten vom 18.03.2010 zum 30.09.2010 sein Ende finden wird.
2. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht aufgrund Kündigung der Beklagten vom 22.03.2010 mit Wirkung zum 30.09.2010 enden wird, sondern zu den bisherigen Bedingungen unverändert fortbesteht.
3. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 8.148,22 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus dem aus 850,24 EUR brutto resultierenden Nettobetrag seit dem 16.01.2010, aus dem aus 1.454,09 EUR brutto resultierenden Nettobetrag seit dem 16.02.2010, aus dem aus 1.461,75 EUR brutto resultierenden Nettobetrag seit dem 16.03.2010, aus dem aus 1.468,64 EUR brutto resultierenden Nettobetrag seit dem 16.04.2010, aus dem aus 1.461,75 EUR resultierenden Nettobetrag seit dem 16.05.2010 und aus dem aus 1.461,75 EUR resultierenden Nettobetrag seit dem 16.06.2010 zu zahlen.
4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
5. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
6. Der Streitwert wird auf 14.219,49 EUR festgesetzt.
Tatbestand
2Die Parteien streiten noch um die Wirksamkeit einer ordentlichen Arbeitgeberkündigung und Lohnzahlungs- sowie Urlaubsansprüche der Klägerin.
3Die Klägerin ist seit dem 01.03.1982 bei der Beklagten im Hauptpostamt Unna gegen ein Bruttogrundgehalt in Höhe von zuletzt 1.461,75 EUR zuzüglich Erschwerniszulagen und vermögenswirksame Leistungen beschäftigt. Die von der Klägerin zuletzt wahrgenommenen Aufgaben ergeben sich aus der "Arbeitsplatzbeschreibung des Tätigkeitsfeldes Postfachsortierung bei den Zustellstützpunkten" (Bl. 67 ff. d. A.). Danach besteht die wesentliche Tätigkeit im Sortieren der Sendungen und in der Ausgabe der Postfachsendungen. Dabei werden der Klägerin die Standard- und Kompaktbriefe auf Behälterwagen in Briefbehältern mit einem Gesamtgewicht von ca. 5 kg und die Groß- und Maxibriefe in Briefbehältern mit einem Gesamtgewicht von ca. 10 – 12 kg zugeleitet. Die Klägerin hat die Briefbehälter vom Behälterwagen zu heben und anschließend an ihrem Arbeitsplatz abzustellen. Dabei muss sie die Behälter greifen, anheben und mittels einer Drehbewegung vom Behälterwagen nehmen und zunächst auf den Boden bzw. direkt auf einen Tisch abstellen. Sodann werden die Briefsendungen manuell in die Sortierfachwerke eingelegt, wobei das Einlegen von Standard- und Kompaktbriefen grundsätzlich sitzend und das Einlegen von Groß- und Maxibriefen grundsätzlich stehend erfolgt. Presse- und Infopostsendungen werden der Klägerin als Bunde ebenfalls in Behälterwagen zugeleitet. Sie muss diese Bunde mit einem Gewicht von ca. 10-12 kg dem Behälterwagen entnehmen, öffnen, am Arbeitsplatz ablegen und in die Sortierfachwerke einlegen. Die Arbeit erfolgt zum Teil in gebeugter Haltung und auf unterschiedlicher Höhe. Wegen des weiteren Inhalts der Arbeitsplatzbeschreibung wird auf Bl. 67 ff. d. A. Bezug genommen.
4Auf das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis findet der Manteltarifvertrag der Deutschen Post AG (MTV DP AG) in jeweils gültiger Fassung Anwendung. Gem. § 34 Abs. 4 MTV DP AG ist bei andauernder krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit zu prüfen, ob der Arbeitnehmer Ansprüche auf Betriebsrente mit Besitzstandswahrungskomponente geltend machen kann. Trifft dies zu und hat der Arbeitnehmer einen entsprechenden Antrag nicht gestellt und stellt er einen solchen Antrag nach Aufforderung durch die zuständige Stelle innerhalb einer Frist von 4 Wochen nicht, kann diesem Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis mit einer Frist von 6 Monaten zum Monatsende ordentlich gekündigt werden.
5In 2008 war die Klägerin an insgesamt 39 Tagen und in 2009 an insgesamt 66 Tagen arbeitsunfähig erkrankt, wobei die letzte Arbeitsunfähigkeit aufgrund eines Bandscheibenvorfalls am 15.07.2009 eintrat und bis zum 25.08.2009 andauerte. Infolge des Bandscheibenvorfalls leidet die Klägerin bis heute an einer Erkrankung des Rückens. Am 26.08.2009 nahm die Klägerin die Arbeit wieder auf. Zu weiteren krankheitsbedingten Ausfallzeiten kam es in der Folgezeit nicht.
6Am 18.08.2009 legte die Klägerin der Beklagten ein privatärztliches Attest vor, wonach aufgrund einer Erkrankung des Bewegungsapparates häufiges Bücken sowie schweres Heben, Tragen und Arbeiten in Zwangshaltung zu vermeiden sei. Die Arbeiten sollten vorzugsweise in geschlossenen Räumen mit wechselnd stehender und sitzender Haltung durchgeführt werden. Daraufhin ordnete die Beklagte eine betriebsärztliche Untersuchung der Klägerin an, welche am 02.10.2009 stattfand. Nach dem Ergebnis der Untersuchung und dem insoweit übereinstimmenden Parteivorbringen ist die Klägerin nicht mehr in der Lage, Gewichte von mehr als 10 kg zu heben. Wegen des weiteren Inhalts der Untersuchung wird auf Bl. 70 d. A. verwiesen. Durch betriebsärztliches Gutachten vom 30.11.2009 (Bl. 72 d. A.) stellte der Betriebsarzt der Beklagten fest, dass die Klägerin aus medizinischer Sicht "postdienstunfähig" sei. Ab dem 01.12.2009 stellte die Beklagte die Klägerin von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung frei und sprach durch Schreiben vom 18.03.2010 sowie durch Schreiben vom 22.03.2010 die Kündigung des Arbeitsverhältnisses jeweils zum 30.09.2010 aus.
7Für den Monat Januar 2010 zahlte die Beklagte der Klägerin 611,51 EUR brutto, für den Februar 2010 7,66 EUR brutto und für den April 2010 3,11 EUR brutto. Für die Monate März, Mai und Juni 2010 leistete die Beklagte überhaupt keine Lohnzahlung an die Klägerin.
8Gegen die Kündigungen wendet sich die Klägerin mit ihrer am 25.03.2010 bei Gericht eingegangenen Klage. Ferner macht sie Ansprüche auf rückständige Vergütung sowie Feststellung von Urlaubsansprüchen für das Jahr 2009 geltend.
9Hierzu trägt sie vor, sie könne die ihr übertragenen Aufgaben noch sämtlich ausführen. Die Post, die in Briefbehältern und Kisten aus Werl angeliefert werde, sei in der Regel nicht schwerer als 10 kg. Die übrigen Kisten, welche von der Klägerin zugeordnet werden müssten, seien auch nicht schwerer als 10 kg. Die Presse- und Infopostsendungen, die als Bunde zugeliefert würden, könnten, sofern sie zu schwer seien, auf dem Behälterwagen geteilt und sodann einsortiert werden. Selbst wenn eine Kiste einmal zu schwer zum Heben sei, so sei immer eine weiterer Mitarbeiter anwesend, der beim Anheben der zu schweren Kisten behilflich sein könnte.
10Weiter trägt die Klägerin vor, ihr stehe ein monatliches Festgehalt in Höhe von 1.509,42 EUR zu, welches die Beklagte für den Zeitpunkt ab dem 01. 01.2010 aufgrund Annahmeverzuges schulde. Ferner stünden ihr noch 31 Tage Urlaub aus dem Jahr 2009 zu, welche nach Beendigung der Freistellung abzugelten seien.
11Die Klägerin hat ursprünglich, neben den Anträgen, welche sie weiterhin aufrecht erhält, die Verurteilung der Beklagten zur Berichtigung der ihr erteilten Leistungsbeurteilung für das Kalenderjahr 2009 verlangt.
12Nunmehr beantragt die Klägerin, bei Klagerücknahme im Übrigen,
13Die Beklagte beantragt,
15die Klage abzuweisen.
16Sie trägt vor, dass aufgrund der schwerwiegenden Gewichtsbeschränkung von 10 kg im Ergebnis ein weiterer Einsatz der Klägerin in der Postfachsortierung nicht mehr möglich sei. Alternative Beschäftigungsmöglichkeiten stünden nicht zur Verfügung. Auch durch Umorganisation könne ein geeigneter Arbeitsplatz aus betriebsorganisatorischen Gründen nicht eingerichtet werden. Wegen der nicht vorhandenen Einsatzmöglichkeit habe der Betriebsarzt Postdienstunfähigkeit festgestellt. Da die Voraussetzungen des § 34 Abs. 4 MTV DP AG vorlägen, habe die Beklagte zu Recht von ihrem ordentlichen Kündigungsrecht Gebrauch gemacht. Die Kündigung sei daher gem. § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt. Aufgrund der fehlenden Einsatzmöglichkeit der Klägerin sei das Arbeitsverhältnis sinnentleert.
17Der Klägerin stünde auch kein Anspruch auf Annahmeverzug zu. Die Klägerin erhalte ein monatliches Grundgehalt in Höhe von 1.461,75 EUR. Die Beklagte befinde sich nicht in Annahmeverzug, da die Klägerin postbeschäftigungsunfähig und damit weder leistungsbereit noch leistungsfähig sei.
18Das tarifliche Urlaubsjahr laufe jeweils vom 01.04. bis zum 31.03 eines Jahres. Für den Bezugszeitraum 2009/2010 stünden der Klägerin noch 29 Urlaubstage zu. Für den Bezugszeitraum 2010/2011 stünden der Klägerin noch 18 Urlaubstage zu.
19Wegen des weiteren streitigen und unstreitigen Parteivorbringens wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Protokolle der mündlichen Verhandlungen vom 14.06.2010 sowie vom 21.07.2010 verwiesen.
20Entscheidungsgründe
21Die Klage ist hinsichtlich des Feststellungsantrages zu 2) unzulässig. Im Übrigen ist die Klage zulässig und in den aus dem Tenor ersichtlichen überwiegendem Umfang auch begründet.
22I.
23Der Antrag auf Feststellung, dass der Klägerin noch 31 Urlaubstage für 2009 zustehen, ist unzulässig.
241.
25Gem. § 256 Abs. 1 ZPO kann Klage auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses, auf Anerkennung einer Urkunde oder auf Feststellung ihrer Unechtheit erhoben werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverhältnis oder die Echtheit oder Unechtheit der Urkunde durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt werde. Die Feststellungsklage kann sich auf einzelne Beziehungen oder Folgen aus einem Rechtsverhältnis, auf bestimmte Ansprüche oder Verpflichtungen oder auf den Umfang einer Leistungspflicht beschränken (sog. Elementenfeststellungsklage, hierzu: BAG, Urteil vom 21.04.2010 - 4 AZR 755/08).
26Das rechtliche Interesse an alsbaldiger Feststellung setzt zunächst voraus, dass dem Recht oder der Rechtslage des Klägers eine gegenwärtige Gefahr der Unsicherheit droht. Nötig ist ein eigenes Interesse des Klägers, das nicht nur wirtschaftlich, wissenschaftlich, affektiv oder ideell sein darf. Unsicherheit droht der Rechtsposition insbesondere, wenn der Beklagte sie verletzt oder ernstlich bestreitet. Die Unsicherheit muss eine gegenwärtige Gefahr für das Recht des Klägers begründen. Wird um ein Rechtsverhältnis gestritten, so ist die Feststellungsklage unzulässig, wenn es dem Kläger möglich und zumutbar ist, ein Urteil zu erwirken, aus dem auch vollstreckt werden kann, und wenn so dem Feststellungsinteresse genügt ist (vgl. hierzu: Musielak – Foerste, Kommentar zur ZPO, 7. Auflage 2009, Rn. 8 ff. zu § 256 mit weiteren Nachweisen). Ferner fehlt das Feststellungsinteresse für eine Feststellungsklage nach § 256 Abs 1 ZPO dann, wenn durch die Entscheidung kein Rechtsfrieden geschaffen wird, weil nur einzelne Elemente eines Rechtsverhältnisses zur Entscheidung des Gerichts gestellt werden. Die Rechtskraft der Entscheidung muss weitere gerichtliche Auseinandersetzungen über die zwischen den Parteien strittigen Fragen um denselben Fragenkomplex ausschließen (BAG, a.a.O.).
272.
28Unter Zugrundelegung dieser Rechtsgrundsätze fehlt der Klägerin das für die Feststellungsklage erforderliche rechtliche Interesse an der Feststellung ihres Urlaubsanspruchs. Dem Recht der Klägerin auf Urlaubsgewährung droht keine gegenwärtige Gefahr, welcher durch eine Feststellungsklage begegnet werden könnte oder müsste. Insbesondere hat die Beklagte nicht bestritten, dass der Klägerin Urlaubsansprüche zustehen. Auch die Höhe der der Klägerin noch zustehenden Urlaubsansprüche hat die Beklagte nicht ausdrücklich in Abrede gestellt. Dass die Klägerin meint, Urlaub für 2009 in Höhe von 31 Tagen zu haben, während die Beklagte Urlaub in Höhe von 29 Tagen für 2009/2010 sowie in Höhe von 18 Tagen für 2010/2011 einräumt, und dass insoweit eine unterschiedliche Rechtsauffassung zu bestehen scheint, beruht offensichtlich darauf, dass die Parteien von unterschiedlichen Bezugszeiträumen ausgehen.
29Aber selbst wenn die Beklagte die Urlaubsansprüche der Klägerin ernsthaft in Abrede gestellt hätte, wäre ein Feststellungsinteresse der Klägerin nicht gegeben. Ein stattgebendes Feststellungsurteil würde die Rechtsposition der Klägerin nicht verbessern. Sollte der Urlaubsanspruch tatsächlich streitig sein oder werden, so könnte und müsste die Klägerin mangels Vollstreckungsfähigkeit des Feststellungsurteils ohnehin Leistungsklage auf Urlaubsgewährung erheben. Dies entspricht der Rechtsprechung des BAG: Wird durch eine Feststellungsklage beantragt, festzustellen, dass ein Urlaubsanspruch zu gewähren ist, so würde eine stattgebende Gerichtsentscheidung den Streit nicht beenden. Dies ist nur durch ein Leistungsurteil möglich. Ein Feststellungsinteresse besteht daher nicht (BAG, Urteil vom 15.12.1988 - 8 AZR 656/86).
30II.
31Der Kündigungsschutzantrag der Klägerin ist begründet. Das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis wird weder durch die Kündigung vom 18.03.2010 noch durch die Kündigung vom 22.03.2010 mit Ablauf des 30.09.2010 beendet werden.
32Auf das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis findet das KSchG Anwendung, da das Arbeitsverhältnis sechs Monate bestand und die Beklagte mehr als 10 Arbeitnehmer beschäftigt.
33Gem. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG ist die Kündigung sozial ungerechtfertigt, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist.
34Die Beklagte hat keinen Grund dargelegt, der geeignet ist, die Kündigungen sozial zu rechtfertigen.
351.
36Die Kündigungen sind nicht aus Gründen, die in der Person der Klägerin liegen, gerechtfertigt. Insbesondere berechtigt der Umstand, dass die Klägerin unstreitig infolge eines Bandscheibenvorfalls an einer Erkrankung des Rückens leidet, die Beklagte nicht zum Ausspruch der Kündigung. Eine Krankheit als solche ist kein Kündigungsgrund. Die Krankheit wird kündigungsrechtlich erst relevant, wenn von ihr störende Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis ausgehen. Insofern kann sie eine Kündigung sozial rechtfertigen (hierzu: ErfK – Oetker, 10. Auflage 2010, Rn. 110 zu § 1 KSchG).
37a) Ob von einer Krankheit störende Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis ausgehen, die eine personenbedingte Kündigung rechtfertigen, ist nach ständiger Rechtsprechung anhand einer dreistufigen Prüfung festzustellen:
38Auf erster Stufe ist eine negative Prognose hinsichtlich des voraussichtlichen Gesundheitszustandes des erkrankten Arbeitnehmers erforderlich. Es müssen - abgestellt auf den Kündigungszeitpunkt und die bisher ausgeübte Tätigkeit - objektive Tatsachen vorliegen, die die Besorgnis einer weiteren, längeren Erkrankung rechtfertigen. Liegt bereits eine krankheitsbedingte dauernde Leistungsunfähigkeit vor, ist eine negative Prognose hinsichtlich des voraussichtlichen Gesundheitszustandes indiziert. Steht fest, dass der Arbeitnehmer die (vertraglich) geschuldete Arbeitsleistung überhaupt nicht mehr erbringen kann oder ist die Wiederherstellung seiner Arbeitskraft völlig ungewiss ist eine solche negative Prognose gerechtfertigt. Dabei steht die Ungewissheit der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit der dauernden Leistungsunfähigkeit gleich, dh. die Prognose ist schlecht, wenn nicht in absehbarer Zeit mit einer anderen positiven Entwicklung gerechnet werden kann. Auf zweiter Stufe ist zu berücksichtigen, dass die prognostizierten Fehlzeiten nur dann geeignet sind, eine krankheitsbedingte Kündigung sozial zu rechtfertigen, wenn die zu erwartenden Auswirkungen des Gesundheitszustandes des Arbeitnehmers zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen. Sie können durch Störungen im Arbeitsablauf oder durch eine erhebliche wirtschaftliche Belastung hervorgerufen werden. Schließlich ist auf der dritten Stufe eine Interessenabwägung vorzunehmen, bei der zu prüfen ist, ob die erheblichen betrieblichen Beeinträchtigungen zu einer billigerweise nicht mehr hinzunehmenden Belastung des Arbeitgebers führen (z. B. BAG, Urteil vom 12.07.2007 - 2 AZR 716/06).
39b) Unter Anwendung dieser Rechtsgrundsätze scheitert die Wirksamkeit der Kündigungen bereits an der negativen Gesundheitsprognose (erste Stufe). Die Beklagte hat keinerlei Tatsachen vorgetragen, aus denen sich eine negative Gesundheitsprognose ergeben könnte. Vielmehr hat die Klägerin unwidersprochen vorgetragen, dass sie den ganz überwiegenden Teil ihrer arbeitsvertraglichen Aufgaben trotz der Folgen des Bandscheibenvorfalls erfüllen kann, da sie in der Lage ist, Gewichte bis zu 10 kg nach wie vor ohne Gefährdung ihrer Gesundheit zu heben und dass, sollten ausnahmsweise schwerere Gewichte zu heben sein, ein Mitarbeiter vorhanden ist, der beim Heben behilflich sein kann. Überdies könnten Bunde, die ein höheres Gewicht als 10 kg aufweisen, durch die Klägerin vor dem Anheben getrennt werden. Diesen Vortrag hat die Beklagte nicht hinreichend bestritten. Sie hat lediglich vorgetragen, eine Umorganisation sei aus betrieblichen Gründen nicht möglich. Es ist daher als zugestanden anzusehen, dass die Klägerin ihre Arbeitsverpflichtung uneingeschränkt erfüllen kann.
40Dass die Klägerin tatsächlich in der Lage ist, ihren arbeitsvertraglichen Verpflichtungen nachzukommen, wird auch dadurch bestätigt, dass die Klägerin nach Wiederherstellung ihrer Arbeitsfähigkeit ab dem 26.08.2009 bis zur Freistellung durch die Beklagte unter dem 01.12.2009 ihrer Arbeit ohne weitere Arbeitsunfähigkeitszeiten nachgegangen ist. Dies spricht nach Auffassung der Kammer entscheidend gegen die Behauptung der Beklagten, die Klägerin sei andauernd leistungsunfähig.
41Die Beklagte beruft sich demgegenüber zur Begründung der Kündigung und zur Darlegung der angeblichen krankheitsbedingten Leistungsunfähigkeit der Klägerin allein auf das Ergebnis der betriebsärztlichen Untersuchung vom 02.10.2009. Dieser Vortrag ist unsubstantiiert und unzureichend. Denn ausweislich des Ergebnisses dieser Untersuchung ist die Klägerin nicht andauernd leistungsunfähig. Vielmehr ist nach dem Ergebnis der Untersuchung vom 02.10.2009 die Klägerin zur Leistung vollschichtiger Tages- Früh- Spät- und Nachtarbeit im Freien, in geschlossenen und temperierten Räumen sowie in Hallen gesundheitlich in der Lage. Auch das Heben von Gewichten bis ca. 10 kg ist möglich. Ob dieser Befund die Feststellung sog. "Postbeschäftigungsunfähigkeit" rechtfertigt, ist unerheblich, da jedenfalls ein zur Kündigung berechtigendes Leistungsunvermögen der Klägerin nicht nachvollziehbar dargelegt ist. Der Einholung eines arbeitsmedizinischen Sachverständigengutachtens zur Klärung der Frage, ob die Klägerin andauernd leistungsunfähig ist, bedurfte es daher nicht.
42c) Die auf zweiter Stufe durchzuführende Prüfung, ob aufgrund der behaupteten andauernden Leistungsunfähigkeit der Klägerin betriebliche Belange der Beklagten erheblich beeinträchtigt sind, stellt sich damit nicht mehr. Ebenso wenig bedurfte es der auf dritter Stufe durchzuführenden Interessenabwägung.
43d) Ob, wie von der Beklagten, eine Umorganisation des Arbeitsplatzes der Klägerin aus betrieblichen Gründen nicht möglich ist, kann offen bleiben, da ausweislich des unbestrittenen Vortrages der Klägerin diese ihren arbeitsvertraglichen Verpflichtungen auch ohne die Durchführung organisatorischer Änderungen des Arbeitsplatzes nachkommen kann.
442.
45Die Kündigungen sind auch nicht deshalb aus Gründen, die in der Person der Klägerin liegen, sozial gerechtfertigt, weil der auf das Arbeitsverhältnis anwendbare MTV DP AG den Arbeitgeber zur Kündigung berechtigt, wenn der Tatbestand des § 34 Abs. 4 MTV DP AG vorliegt, also eine andauernde krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit vorliegt und ein Antrag auf Gewährung einer Betriebsrente durch den Arbeitnehmer nicht gestellt wird.
46a) Die Voraussetzungen des § 34 Abs. 4 MTV DP AG liegen nicht vor. Die Vorschrift setzt tatbestandlich voraus, dass der Arbeitnehmer aus krankheitsbedingten Gründen andauernd arbeitsunfähig ist. Wann eine andauernde Arbeitsunfähigkeit im Sinne des § 34 Abs. 4 MTV DP AG vorliegt, ist durch Auslegung zu ermitteln, wobei die Auslegung nach der für Gesetze geltenden Regeln zu erfolgen hat, sodass ausgehend vom Tarifwortlaut der tatsächliche Wille der Tarifvertragsparteien unter Berücksichtigung des tariflichen Zusammenhangs und der Entstehungsgeschichte zu ermitteln ist (z.B. BAG, Urteil vom 19.01.2010 - 9 AZR 425/09).
47Schon aus dem Wortlaut des § 34 Abs. 4 MTV DP AG ergibt sich, dass eine Kündigung nach dieser Vorschrift nur dann in Betracht kommt, wenn der Arbeitnehmer jedenfalls nicht nur vorübergehend außerstande ist, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. Ein diesem Auslegungsergebnis entgegenstehender Wille der Tarifvertragsparteien lässt sich weder der Systematik noch der Entstehungsgeschichte der Vorschrift entnehmen.
48Dass die Klägerin leistungsunfähig im so verstandenen Sinne ist, hat die nach allgemeinen Grundätzen darlegungs- und beweisbelastete Beklagte nicht hinreichend vorgetragen. Vielmehr ist der Vortrag der Klägerin, sie sei zur Erfüllung ihrer arbeitsvertraglichen Verpflichtungen uneingeschränkt in der Lage, als unstreitig anzusehen. Insoweit kann zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Ausführungen unter vorstehend 1. verwiesen werden.
49b) Eine Auslegung des § 34 MTV DP AG dahingehend, dass allein die ärztliche Feststellung des Tatbestandes der sog. "Postbeschäftigungsunfähigkeit" für die Annahme einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit ausreichend ist, verbietet sich schon aufgrund des eindeutigen Wortlautes der Vorschrift.
50Darüber hinaus würde eine derartige Auslegung zur Unwirksamkeit der tariflichen Regelung führen. Der gesetzliche Kündigungsschutz ist unabdingbar und kann auch durch Tarifverträge nicht zuungunsten des Arbeitnehmers eingeschränkt werden. Denn § 1 KSchG wirkt zugunsten des einzelnen AN zwingend. Ein Ausschluss oder eine Beschränkung des Kündigungsschutzes ist daher nichtig. Insbesondere verbietet der zwingende Schutz es den Arbeitsvertragsparteien, bestimmte Gründe festzulegen, die stets eine Kündigung rechtfertigen sollen (vgl. hierzu ErfK – Oetker, a.a.O., Rn. 13 ff. mit weiteren Nachweisen). Deshalb wäre auch eine tarifliche Regelung, die vorsieht, dass allein die ärztliche Feststellung sog. "Postbeschäftigungsunfähigkeit" eine Kündigung rechtfertigt, wegen Verstoßes gegen den zwingenden gesetzlichen Kündigungsschutz unwirksam. Dementsprechend hat auch das LAG Köln in einem vergleichbaren Fall festgestellt, dass die Vorschrift des § 34 Abs. 4 MTV DP AG nicht in der Weise ausgelegt werden kann, dass die Vorschrift eine krankheitsbedingte Kündigung auch dann rechtfertigt, wenn die dauerhafte Leistungsunfähigkeit des Arbeitnehmers nicht feststeht (LAG Köln, Urteil vom 13.11.2006 – 14 Sa 750/06). Dieser Rechtsauffassung schließt sich die Kammer an.
51Die mit der Klage angegriffenen Kündigungen sind daher in Ermangelung eines sozialen Rechtfertigungsgrundes im Sinne des § 1 KSchG unwirksam und werden das Arbeitsverhältnis nicht mit Ablauf des 30.09.2010 beenden.
52III.
53Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von Annahmeverzugslohn nur in dem aus dem Tenor zu 3. ersichtlichen Umfang.
541.
55Der Anspruch ergibt sich dem Grunde nach aus § 615 Satz 1 BGB. Nach dieser Vorschrift kann der Verpflichtete für die infolge des Verzugs nicht geleisteten Dienste die vereinbarte Vergütung verlangen, ohne zur Nachleistung verpflichtet zu sein, wenn der Dienstberechtigte mit der Annahme der Dienste in Verzug gerät.
56Indem die Beklagte die Klägerin unter dem 01.12.2009 von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung freigestellt hat, ist sie in Annahmeverzug geraten, ohne dass die Klägerin ihre Arbeitsleistung nochmals gesondert anbieten musste (BAG, Urteil vom 23. 01.2008 - 5 AZR 393/07).
57Dem Anspruch der Klägerin steht auch die Auffassung der Beklagten, dass die Klägerin postbeschäftigungsunfähig und damit weder leistungsbereit noch leistungsfähig sei, nicht entgegen. Zwar ist zutreffend, dass der Anspruch auf Zahlung von Verzugslohn gem. § 297 BGB voraussetzt, dass der Arbeitnehmer imstande ist, die geschuldete Arbeitsleistung zu bewirken. Die Darlegungs- und Beweislast für das Unvermögen des Arbeitnehmers, im Annahmeverzugszeitraum die Arbeitsleistung zu erbringen, trägt allerdings der Arbeitgeber, wozu es ausreichen soll, dass er Indizien vorträgt, aus denen auf Arbeitsunfähigkeit geschlossen werden kann (BAG, Urteil vom 05.11.2003 - 5 AZR 562/02). Derartige Indizien hat die Beklagte jedoch nicht hinreichend vorgetragen. Insbesondere lässt sich aus dem Ergebnis der betriebsärztlichen Untersuchung vom 02.10.2009 nicht eine Indizwirkung für eine bestehende Arbeitsunfähigkeit entnehmen, da nicht erkennbar ist, inwieweit die Diagnose der Erbringung der Arbeitsleistung entgegensteht. Auch dem Umstand, dass die Klägerin in der Vergangenheit an einem Bandscheibenvorfall erkrankt und arbeitsunfähig war, kann Derartiges nicht entnommen werden. Einer entsprechenden Indizwirkung steht jedenfalls entgegen, dass die Klägerin nach Wiederaufnahme der Arbeit und bis zur Freistellung keine weiteren krankheitsbedingten Fehlzeiten aufwies, sodass für ein Andauern der Krankheit oder der Krankheitsfolgen keine Anhaltspunkte bestehen.
582.
59Für die Berechnung der Höhe des Annahmeverzugslohns hat die Kammer allerdings lediglich das Grundgehalt der Klägerin insoweit zugrunde gelegt, als dessen Höhe unstreitig war, also in Höhe von 1.461,75 EUR. Soweit die Klägerin vorgetragen hat, ihr Grundgehalt habe 1.509,42 EUR betragen, so ist dieser – von der Beklagten bestrittene – Vortrag unsubstantiiert. Anhand der von der Klägerin in Bezug genommenen Bezügemitteilung für 2009 (Bl. 6 d. A.) lassen sich die von ihr genannten Zahlen nicht nachvollziehen. Die dort ausgewiesenen Beträge beinhalten nämlich auch Erschwerniszulagen wie Nachtarbeitszuschläge. Derartige Zuschläge, welche davon abhängig sind, dass eine Arbeitsleistung tatsächlich erbracht wird, sind nach Auffassung der Kammer bei der Berechnung des Annahmeverzugslohns unberücksichtigt zu bleiben (hierzu auch ErfK – Preis, Rn. 78 zu § 615 BGB).
60Danach kann die Beklagte lediglich Zahlung des Grundlohns in unstreitiger Höhe von 1.461,75 EUR abzüglich der unstreitig gezahlten Beträge, also 850,24 EUR brutto für Januar 2010, 1.454,09 EUR brutto für Februar 2010, 1.461,75 EUR brutto für März 2010, 1.468,64 EUR für April 2010, 1.461,75 EUR für Mai 2010 seit und 1.461,75 EUR für Juni 2010 verlangen. Der Zinsanspruch ergibt sich aus dem Gesichtspunkt des Zahlungsverzuges (§ 288 Abs. 1 BGB).
61IV.
62Die Kosten waren gem. § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO auch unter Berücksichtigung des zurückgenommenen Klageantrages insgesamt der Beklagten aufzuerlegen, da die Zuvielforderung der Klägerin verhältnismäßig geringfügig war.
63Den Streitwert hat das Gericht gem. §§ 61 Abs. 1 ArbGG, 3 ff. ZPO, 42 Abs. 3 GKG in Höhe von drei Bruttomonatsverdiensten für die Bestandsschutzanträge festgesetzt. Den Wert des Antrages auf Feststellung der Urlaubsansprüche hat das Gericht nach freiem Ermessen in Höhe von 1.400,00 EUR bewertet. Ferner war der Wert der Zahlungsansprüche in geltend gemachter Höhe zu addieren.