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Zur Inbezugnahme des - Tarifvertrag über Sonderzahlungen zur Abmilderung der gestiegenen Verbraucherpreise - für den Öffentlichen Dienst Bund/Kommunen vom 22.04.2023 durch einen Formulararbeitsvertrag, der eine dynamische Bezugnahmeklausel auf die Eingruppierungs- und Vergütungsregeln des BAT enthält - ergänzende Vertragsauslegung.
1.Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Oberhausen vom 22.02.2024 - Az.: 2 Ca 1038/23 - abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 3.000,00 € als steuer- und sozialversicherungsfreie Inflationsausgleichsprämie nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 2.780,00 € seit dem 01.02.2024 und aus weiteren 220,00 € seit dem 01.03.2024 zu zahlen.
2.Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
3.Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.
T a t b e s t a n d :
2Die Parteien streiten über einen arbeitsvertraglichen Anspruch auf Zahlung einer Inflationsausgleichsprämie.
3Die Klägerin ist seit dem 01.06.1995 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin - der H. GbR - als Altenpflegerin beschäftigt. Nach Maßgabe eines schriftlichen, undatierten Arbeitsvertrags wurde die Klägerin "ab 22.11.1995 unbefristet" und auf Teilzeitbasis (19,25 Wochenstunden) eingestellt. Im Arbeitsvertrag ist weiter Folgendes geregelt:
4"§ 2 Vergütung
5Die Mitarbeiterin erhält ab 01.04.1996 eine monatliche Vergütung der Gruppe: Kr I, Stufe 8
6Mit dieser Vergütung sind alle weitergehenden Ansprüche aus der vereinbarten Tätigkeit abgegolten. Des Weiteren gelten die im September 1995 in Kraft getretenen Zusätze der Betriebsvereinbarung.
7§ 7 Sonstige betriebliche/gesetzliche Regelungen
8Es gelten alle betrieblichen Regelungen, sofern in diesem Arbeitsvertrag keine andere Vereinbarung getroffen ist sowie die Bestimmungen des allgemeinen Arbeitsrechts.
9§ 10 Sonderzahlung
10Der Arbeitgeber zahlt im Monat November eine einmalige Sonderzahlung auf freiwilliger Basis. Über die Gewährung dieser Sonderzahlung wird jährlich neu entschieden. Aus der Gewährung von Sonderzahlung für mehrere fortlaufende Jahre entsteht kein Rechtsanspruch für den Arbeitnehmer. Sollte der Arbeitnehmer bis zum 31.03. des Folgejahres aus dem Beschäftigungsverhältnis ausscheiden, so hat er dem Arbeitgeber die gezahlte Sonderzahlung in voller Höhe zurückzuzahlen.
11§ 11 sonstige Vereinbarungen
12Der Mitarbeiter bestätigt, die Betriebsvereinbarung vom 01.07.1995 erhalten zu haben."
13In der im September 1995 mit Rückwirkung zum 01.07.1995 geschlossenen Betriebsvereinbarung, wegen dessen weiteren Inhalts auf Blatt 64 ff. der Akte erster Instanz verwiesen wird, heißt es unter anderem wie folgt:
14"§ 2 Lohn- und Vergütungsrichtlinien
151....
162.Für die Arbeiter/-innen nach § 1 dieser Betriebsvereinbarung gelten analog die für die Arbeiter/-innen des Bundes und der Länder vereinbarten Lohntarifvertrages des Bundesmanteltarifvertrages für Arbeiter vom 31. Januar 1962.
173....
184.Änderungen beziehungsweise Ergänzungen der Bestimmungen der Absätze 1, 2 und 3 treten zu dem Zeitpunkt in Kraft, in denen die Änderungen beziehungsweise Ergänzungen für Angestellte, Arbeiter/-innen und Auszubildende des Bundes und der Länder wirksam werden."
19§ 3 der zwischenzeitlich gekündigten Betriebsvereinbarung sah "Sonderregelungen" vor, unter anderem zur Zahlung von Krankenbezügen, von Zuwendungen bei Heirat, Geburten, dem Ableben und bei Jubiläen, zur Zahlung einer Weihnachtszuwendung und von Urlaubsgeld sowie Zeitzuschlägen. In einem Änderungsvertrag vom 27.02.2007 vereinbarten die Klägerin und die H. GmbH eine Aufstockung der regelmäßigen Wochenarbeitszeit der Klägerin auf 38,5 Stunden. Unter "§ 2 Vergütung" ist bestimmt:
20§ 2 Vergütung
21"Frau R. erhält ab dem 01.03.2007 eine monatliche Vergütung von:
222.283,04 Euro / Brutto.
23Mit dieser Vergütung sind alle weitergehenden Ansprüche aus der vereinbarten Tätigkeit abgegolten.
24Alle weiteren Vertragsbestandteile des Arbeitsvertrages vorn 13. Juni 1995 bleiben unverändert bestehen."
25Nach der Ablösung der Vergütungsordnung zum BAT durch die Entgeltordnung zum TVöD stritten die Klägerin und die H. GmbH im Jahre 2019 darüber, ob die Klägerin in Auslegung der arbeitsvertraglichen Bestimmungen Anspruch auf Zahlung der sich erhöhenden Tabellenentgelte nach dem TVöD hatte. In Ansehung entsprechender Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts vom 11.04.2018 in Parallelverfahren (Az. u.a. zu den Aktenzeichen 4 AZR 119/17, 4 AZR 265/17 und 4 AZR 311/17) schlossen die Parteien am 16.07.2019 beim Arbeitsgericht Oberhausen zum Aktenzeichen 2 Ca 670/19 einen Vergleich, dessen Ziffer 4. lautet:
26"Die Parteien sind sich einig, dass der Klägerin ab dem 01.07.2019 eine Vergütung nach der Entgeltgruppe P 5 der Entgeltordnung TVöD-VKA in einer individuellen Endstufe von zur Zeit 2.949,67 Euro brutto zusteht."
27Mit dem "Gesetz zur temporären Absenkung des Umsatzsteuersatzes auf Gaslieferungen über das Erdgasnetz" vom 25.10.2022 erhielten Arbeitgeber die Möglichkeit, im Zeitraum zwischen dem 26.10.2022 und dem 31.12.2024 ihren Arbeitnehmern bis zu 3.000,00 € steuer- und sozialversicherungsfrei als sog. "Inflationsausgleichsprämie" zu zahlen. Voraussetzung war, dass die Inflationsausgleichsprämie zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitsentgelt gewährt wird.
28Die Tarifvertragsparteien erzielten am 22.04.2023 in der Tarifverhandlung für die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes von Bund und Kommunen 2023 eine inhaltliche Einigung. Nach "Teil A Gemeinsame Regelungen für Bund und VKA", dort Ziffer 1.a) sollten die Tabellenentgelte einschließlich der Beträge aus individuellen Zwischen- und Endstufen sowie die Tabellenwerte der Entgeltgruppen 2Ü und 15Ü ab dem 1. März 2024 um 200 Euro und anschließend um 5,5% erhöht werden. Werde keine Erhöhung um 340 Euro erreicht, werde der betreffende Erhöhungssatz auf 340 Euro gesetzt. Erhöhungen der Tabellenentgelte für den Zeitraum vor dem 01.03.2024 waren nicht vorgesehen. Gemäß Teil A Ziffer 1.b) der tariflichen Einigung schlossen die Tarifvertragsparteien weiterhin den "sich aus der Anlage ergebenden "Tarifvertrag über Sonderzahlungen zur Abmilderung der gestiegenen Verbraucherpreise (TV Inflationsausgleich)"". In diesem ist unter anderem geregelt:
29"§ 2
30Inflationsausgleich 2023
31(1) Personen, die unter den Geltungsbereich dieses Tarifvertrags fallen, erhalten eine einmalige Sonderzahlung mit dem Entgelt für den Monat Juni 2023 (Inflationsausgleich 2023), wenn ihr Arbeitsverhältnis am 1. Mai 2023 bestand und an mindestens einem Tag zwischen dem 1. Januar 2023 und dem 31. Mai 2023 Anspruch auf Entgelt bestanden hat.
32(2) Die Höhe des Inflationsausgleichs 2023 beträgt für Personen, die unter den Geltungsbereich des TWD, des TV-V oder des TV-Wald-Bund fallen, 1.240 Euro. Für Personen, die unter den Geltungsbereich des TVAöD, TVSöD, TVHöD, TVPöD oder TVA-Wald-Bund fallen, beträgt der Inflationsausgleich 2023 620 Euro. § 24 Absatz 2 TWD bzw. § 7 Absatz 3 TV-V gelten entsprechend. Maßgeblich sind die jeweiligen Verhältnisse am 1. Mai 2023. 5Für Beschäftigte, die unter den TV-Fleischuntersuchung fallen, beträgt der Inflationsausgleich 2023 einheitlich 620 Euro.
33§3
34Monatliche Sonderzahlungen
35(1) Personen, die unter den Geltungsbereich dieses Tarifvertrags fallen, erhalten in den Monaten Juli 2023 bis Februar 2024 (Bezugsmonate) monatliche Sonderzahlungen. Die Auszahlung erfolgt mit dem Entgelt des jeweiligen Bezugsmonats. Der Anspruch auf den monatlichen Inflationsausgleich besteht jeweils nur, wenn in dem Bezugsmonat ein Arbeitsverhältnis besteht und an mindestens einem Tag im Bezugsmonat Anspruch auf Entgelt bestanden hat.
36(2) Die Höhe der monatlichen Sonderzahlungen beträgt für Personen, die unter den Geltungsbereich des TWD, des TV-V oder des TV-Wald-Bund fallen, 220 Euro. Für Personen, die unter den Geltungsbereich des TVAöD, TVSöD, TVHöD, TVPöD und TVA-Wald-Bund fallen, betragen die monatlichen Sonderzahlungen 110 Euro. § 24 Absatz 2 TWD bzw. § 7 Absatz 3 TV-V gelten entsprechend. Maßgeblich sind die jeweiligen Verhältnisse am 1. Tag des jeweiligen Bezugsmonats.Für Beschäftigte, die unter den TV-Fleischuntersuchung fallen, betragen die monatlichen Sonderzahlungen einheitlich 110 Euro.
37§4
38Gemeinsame Bestimmungen für die Sonderzahlungen nach §§ 2 und 3
39(1) Der Inflationsausgleich 2023 nach § 2 sowie die monatlichen Sonderzahlungen nach § 3 werden jeweils zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Entgelt gewährt. Es handelt sich jeweils um einen Zuschuss des Arbeitgebers zur Abmilderung der gestiegenen Verbraucherpreise im Sinne des § 3 Nummer 11c des Einkommensteuergesetzes.
40(2) Anspruch auf Entgelt im Sinne des § 2 Absatz 1 bzw. § 3 Absatz 1 Satz 3 sind auch der Anspruch auf Entgeltfortzahlung aus Anlass der in § 21 Satz 1 TWD bzw. § 6 Absatz 3 TV-V und § 11 TV-Fleischuntersuchung genannten Ereignisse und der Anspruch auf Krankengeldzuschuss (§ 22 Absatz 2 und 3 TWD bzw. § 13 Absatz 1 S. 2 TV-V und § 12 TV-Fleischuntersuchung), auch wenn dieser wegen der Höhe der Barleistungen des Sozialversicherungsträgers nicht gezahlt wird. Anspruch auf Entgelt im Sinne des § 2 Absatz 1 bzw. § 3 Absatz 1 Satz 3 sind ferner die Ansprüche auf Entgeltfortzahlung nach § 9 TVAöD - Besonderer Teil BBiG, § 9 TVAöD - Besonderer Teil Pflege, §§ 12, 12a TVAöD Allgemeiner Teil §§ 9, 12, 12a TVSöD, §§ 12, 16, 17 TVHöD und §§ 10, 11, 12 TVPöD sowie nach § 2 TV-Wald-Bund i. V. m. § 21 Satz 1 TVöD und § 2 TVA-Wald-Bund i. V, m. § 9 TVAöD - Besonderer Teil BBiG. Einem Anspruch auf Entgelt gleichgestellt ist der Bezug von Krankengeld nach § 45 SGB V oder entsprechender gesetzlicher Leistungen, Leistungen nach § 56 IfSG, Kurzarbeitergeld und Leistungen nach §§ 18 bis 20 MuSchG.
41(3) Der Inflationsausgleich 2023 und die monatlichen Sonderzahlungen sind kein zusatzversorgungspflichtiges Entgelt.
42(4) Der Inflationsausgleich 2023 und die monatlichen Sonderzahlungen sind bei der Bemessung sonstiger Leistungen nicht zu berücksichtigen."
43Die Beklagte weigert sich, diese Inflationsausgleichsprämie an die Klägerin weiterzugeben.
44Die Klägerin hat im Rahmen ihrer am 13.09.2023 anhängig gemachten Zahlungs- und Feststellungsklage die Auffassung vertreten, zwar sei zwischen den Parteien lediglich vereinbart, dass die Eingruppierungs- und Vergütungsbestimmungen zunächst des BAT und - im Wege ergänzender Vertragsauslegung - sodann des TVöD/VKA gelten sollen, nicht hingegen das gesamte Tarifwerk des öffentlichen Dienstes in seiner jeweiligen Fassung. Die Vereinbarung der Parteien sei allerdings - jedenfalls im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung - so zu verstehen, dass sie auch andere finanzielle tarifliche Leistungen erfasse, die Ergebnis von Entgelttarifverhandlungen des öffentlichen Dienstes seien, insbesondere die Inflationsausgleichsprämie, die ein Ersatz für Erhöhungen des Tabellenentgelts in dem betreffenden Zeitraum sei. Die Parteien hätten bei Vertragsabschluss nicht absehen können, dass der Gesetzgeber viele Jahre später - aus gesamtwirtschaftlichen Gründen zur Verhinderung einer als ungünstig angesehenen Lohnentwicklung - die Gestaltungsmöglichkeit schaffen würde, eine steuer- und sozialabgabenfreie Sonderprämie zu nutzen.
45Die Klägerin hat zuletzt beantragt,
461.die Beklagte zu verurteilen, an sie eine Inflationsausgleichsprämie für die Monate Juni 2023 bis einschließlich Januar 2024 in Höhe von insgesamt 2.780,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.02.2024 zu zahlen;
472.festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, an sie im Monat Februar 2024 eine Inflationsausgleichsprämie von 220,00 EUR netto zu zahlen.
48Die Beklagte hat beantragt,
49die Klage abzuweisen.
50Sie hat gemeint, die vertragliche Bezugnahme auf das Tarifwerk erschöpfe sich in der Übernahme der Anwendung der Tabellenentgelte. Die Inflationsausgleichszahlung sei gerade nicht Teil des Tabellenentgelts. Die von der Klägerin betriebene ergänzenden Vertragsauslegung finde in den gültigen Regelungen keinen Anknüpfungspunkt, weder im Wortlaut noch in der Systematik, und widerspreche dem erkennbaren Willen der Vertragsparteien, durch die Regelung der Anknüpfung an das Tabellenentgelt eine abschließende Vergütungsregelung zu treffen, die dann zudem auch gerade nicht auf ergänzende Tarifverträge Bezug nimmt.
51Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 22.02.2024 abgewiesen und - unter Bezugnahme auf einen vom Arbeitsgericht Essen entschiedenen Parallelfall - zur Begründung ausgeführt: Die Klägerin habe keinen Anspruch aus einer Betriebsvereinbarung. Der TV Inflationsausgleichsprämie finde auch nicht kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme auf das Arbeitsverhältnis Anwendung. Die Leistungen des TV Inflationsausgleichsprämie stellten keine Vergütung für erbrachte Arbeitsleistung dar, hingen in ihrer Höhe nicht von der jeweiligen Entgeltgruppe ab und unterlägen anderen tatbestandlichen Anforderungen als eine Erhöhung der Tabellenentgelte. In Anbetracht dessen führe die gebotene Auslegung der Bezugnahmeklausel selbst als Allgemeine Geschäftsbedingung und unter Berücksichtigung der Unklarheitenregelung des § 305c Abs. 2 BGB nicht dazu, dass die Beklagte der Klägerin die Inflationsausgleichsprämie zu zahlen habe, denn die Bezugnahme erfasse ersichtlich nur tarifliche Leistungen mit Vergütungscharakter. Auch im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung ergebe sich nicht, dass derartige tarifliche Sonderzahlungen ohne Vergütungscharakter der Klägerin zugutekommen sollten. Insoweit fehle es an einer planwidrigen Regelungslücke. Es sei auch 1995 schon absehbar gewesen, dass es Situationen geben könne, in denen die Gewerkschaft von ihrem Bestreben, möglichst früh eine möglichst starke Erhöhung der Entgelte für alle Entgeltgruppen umzusetzen, abrücke, um im Gegenzug andere Vorteile für die Arbeitnehmerschaft zu erzielen, wie etwa eine Erhöhung der Urlaubstage, eine Reduzierung der Wochenarbeitszeit oder Sonderzahlungen zur ausschließlichen Belohnung der Betriebstreue.
52Gegen das ihr am 29.02.2024 zugestellte Urteil hat die Klägerin mit einem am 18.03.2024 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Anwaltsschriftsatz Berufung eingelegt und diese zugleich begründet.
53Die Klägerin rügt die Rechtsfehlerhaftigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung. So habe das "Abschreiben" des Arbeitsgerichts von der Entscheidung des Arbeitsgerichts Essen in einem Parallelrechtsstreit dazu geführt, dass unter Verletzung von § 308 Abs. 1 ZPO über einen Streitgegenstand entschieden worden sei - nämlich über einen Anspruch aus einer Betriebsvereinbarung -, den sie gar nicht zur Entscheidung gestellt habe. Überdies habe ihr das Arbeitsgerichts zu Unrecht einen vertraglichen Anspruch auf die Zahlung der Inflationsausgleichsprämie abgesprochen. Schon die direkte Auslegung des Arbeitsvertrages gehe fehl. Hier habe das Arbeitsgericht den Sinn und Zweck der Verweisungsklausel völlig außer Acht gelassen und sich stattdessen allein an der Begrifflichkeit der "tariflichen Leistung ohne Vergütungscharakter" orientiert. Dabei sei es keineswegs selten, dass am Ende von Tarifrunden (auch) die Vereinbarung von nicht tabellenwirksamen Einmalzahlungen stehe. Maßgeblich sei vorliegend, dass der TV Inflationsausgleichsprämie Teil eines Gesamtpaketes gewesen sei, mit dem der Tarifstreit über die Erhöhung der Tabellenentgelte im Jahre 2023 beendet worden sei. Jedenfalls aber ergebe sich der Anspruch der Klägerin aus einer ergänzenden Vertragsauslegung. Eine Konstellation, in der nach dem Willen des Gesetzgebers zum Durchbrechen der Lohn-Preis-Spirale anstelle von Tariflohnsteigerungen die Zahlung einer steuer- und sozialversicherungsfreien Prämie treten solle, habe es in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland noch nicht gegeben. Mangels Vorhersehbarkeit des Szenarios sei daher eine planwidrige Regelungslücke gegeben. Anderweitige Abläufe von Tarifrunden wie etwa bei einer Einigung "Freizeit gegen Geld" seien hiermit nicht vergleichbar. Dass die Inflationsausgleichsprämie etwas andere tatbestandliche Voraussetzungen habe und es zu geringen Abweichungen im Empfängerkreis gekommen sei, sei Praktikabilitätserwägungen geschuldet und hindere eine ergänzende Vertragsauslegung nicht.
54Die Klägerin beantragt,
55das Urteil des Arbeitsgerichts Oberhausen vom 22.02.2024 - 2 Ca 1038/23 - abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an sie einen Betrag von 3.000,00 € als steuer- und sozialversicherungsfreie Inflationsausgleichsprämie nebst Zinsen in Höhe von 5% Punkten über dem Basiszinssatz seit 01.02.2024 aus 2.780,00 € und aus weiteren 220,00 € seit 01.03.2024 zu zahlen.
56Die Beklagte beantragt,
57die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
58Die Beklagte verteidigt das Urteil des Arbeitsgerichts unter ergänzender Bezugnahme auf ihren erstinstanzlichen Vortrag. Entgegen der Auffassung der Klägerin seien die Auslegungsmethoden und das Auslegungsergebnis des Arbeitsgerichts nicht zu beanstanden. "Rein vorsorglich" sei eine Motivlage der Tarifvertragsparteien zu bestreiten, wonach die Zahlung der Inflationsausgleichsprämie bewusst und gewollt an die Stelle der zunächst ausschließlich auf die Erhöhung von Leistungen mit Vergütungscharakter gerichteten Tarifverhandlungen getreten sei. Es bleibe dabei, dass der TV Inflationsausgleichsprämie keine Leistungen mit Vergütungscharakter beinhalte und auch nicht wie ein solcher behandelt werden könne.
59Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze, die zu den Akten gereichten Unterlagen sowie die Protokolle der mündlichen Verhandlungen beider Rechtszüge verwiesen.
60E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
61A.
62Die Berufung der Klägerin ist zulässig. Sie ist gemäß § 64 Abs. 1, 2 lit. b) ArbGG an sich statthaft und form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, § 66 Abs.1 Satz 1 ArbGG.
63B.
64Die Berufung der Klägerin ist auch begründet.
65I.
66Das Urteil des Arbeitsgerichts ist zunächst insoweit rechtsfehlerhaft und wegen eines Verstoßes gegen § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO zu korrigieren, als es über einen Anspruch der Klägerin aus der Betriebsvereinbarung aus den Jahren 1995/1993 entschieden hat.
671.
68Eine Verletzung des Antragsgrundsatzes des § 308 Abs.1 Satz 1 ZPO liegt nicht nur dann vor, wenn einer Partei etwas zugesprochen wird, ohne dies beantragt zu haben, sondern auch, wenn ihr ein Anspruch aberkannt wird, den sie nicht zur Entscheidung gestellt hat (vgl. zuletzt etwa BAG, Urteil vom 25.03.2021 - 6 AZR 41/20, juris, Rdz. 15). Das war hier der Fall.
69a.
70Die Klägerin hat ihren Anspruch auf Zahlung der Inflationsausgleichsprämie erstinstanzlich allein aus einer vertraglichen Vereinbarung abgeleitet. Eines normativen Anspruchs aus einer Betriebsvereinbarung hat sie sich nicht - auch nicht hilfsweise - berühmt. Bei Ansprüchen aus dem Individualarbeitsvertrag einerseits und einer Betriebsvereinbarung andererseits handelt es sich um unterschiedliche Streitgegenstände, da zwar ggf. das Antragsziel, aber nicht der Anspruchsgrund identisch ist. Zu letzterem gehören alle Tatsachen, die bei einer natürlichen, vom Standpunkt der Parteien ausgehenden und den Sachverhalt seinem Wesen nach erfassenden Betrachtung zu dem zur Entscheidung gestellten Sachverhaltskomplex gehören, den die Klägerseite zur Stützung ihres Rechtsschutzbegehrens dem Gericht vorträgt. Normative Ansprüche aus einer Betriebsvereinbarung entstammen indes nicht demselben Lebenssachverhalt wie vertragliche Ansprüche (vgl. zuletzt etwa BAG, Urteil vom 19.11.2019 - 3 AZR 336/18, NZA 2020, 522, Rdz, 41). Ob die Beklagtenseite ihrerseits im Klageverfahren anderweitige Lebenssachverhalte thematisiert, spielt für die Bestimmung des Streitgegenstandes keine Rolle. Allein die Klägerseite gibt das Prüfprogramm des Gerichts vor.
71b.
72Das Arbeitsgericht hat über einen Anspruch aus einer Betriebsvereinbarung entschieden. Anderes lässt sich aus Wortlaut und Aufbau der Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils nicht entnehmen. Der Verstoß des Arbeitsgerichts gegen § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist auch nicht dadurch geheilt worden, dass sich die Klägerin die Erweiterung ihrer Klage durch das Arbeitsgericht durch ihre Ausführungen in der Berufungsinstanz (konkludent) zu Eigen gemacht hat. Im Gegenteil: Sie hat den Verstoß gegen § 308 Abs. 1 ZPO ausdrücklich gerügt.
732.
74Das Urteil des Arbeitsgerichts war daher, ohne dass es eines förmlichen Entscheidungsausspruches im Tenor bedurfte, zu berichtigen (BAG, zuletzt etwa Urteil vom 21.03.2024 - 2 AZR 113/23, NJW 2024, 1764, Rdz. 18 mwN).
75II.
76Der in der Berufungsinstanz allein verfolgte Zahlungsantrag ist zulässig und begründet.
77Die Klägerin kann die Zahlung der streitigen Inflationsausgleichsprämie in Höhe von 3.000,00 € auf Grundlage der vertraglichen Vereinbarungen der Parteien gemäß § 611a Abs. 2 BGB verlangen. Der Anspruch lässt sich zwar nicht aus einer direkten Auslegung des § 2 Abs. 1 des Arbeitsvertrages gewinnen (unten 1.). Er folgt aber aus einer ergänzenden Vertragsauslegung der vergütungsrelevanten Parteivereinbarungen (unten 2.). Im Übrigen ist zwischen den Parteien nicht streitig, dass die Klägerin als aktive und in Vollzeit beschäftigte Arbeitnehmerin die tatbestandlichen Voraussetzungen der §§ 2 Abs. 1, 3 Abs. 1 TV Inflationsausgleich erfüllt.
781.
79Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu den von der Rechtsvorgängerin der Beklagten bzw. deren Schwesterfirmen in einer Vielzahl von Arbeitsverträgen verwendeten Vergütungsklauseln hat der Arbeitgeber durch die Nennung einer konkreten tariflichen Entgeltgruppe eines seinem Anwendungsbereichs nach einschlägigen Tarifvertrags und eines hiermit korrespondierenden Vergütungsbetrages zum Ausdruck gebracht, er wolle den Arbeitnehmer/die Arbeitnehmerin entsprechend den einschlägigen tariflichen Entgeltbestimmungen vergüten. Der durchschnittliche Arbeitnehmer dürfe redlicherweise davon ausgehen, ein in der Klausel enthaltener Entgeltbetrag werde für die Dauer des Arbeitsverhältnisses nicht statisch sein, sondern sich entsprechend den tariflichen Entwicklungen des genannten Gehaltstarifvertrags entwickeln (BAG, Urteil vom 11.04.2018 - 4 AZR 265/17, juris, Rdz. 17). Nicht festgestellt hat das Bundesarbeitsgericht indes, dass damit ein genereller Gleichlauf der Entgeltentwicklung der Mitarbeiter der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin mit vergleichbaren Mitarbeitern im öffentlichen Dienst gewollt war. Ein derartiger Wille hätte deutlicher zum Ausdruck gebracht werden können und müssen. Das würde auch nicht zur Abgeltungsklausel in § 2 Abs. 2 Satz 1 des Arbeitsvertrages sowie der Bezugnahme auf die mit Wirkung zum 01.07.1995 Geltung beanspruchende, vertraglich in Bezug genommene Betriebsvereinbarung passen, die in ihrem § 3 ja gerade vom Tarifvertrag abgekoppelte, explizite Bestimmungen zu diversen weiteren Entgeltbestimmungen vorsah.
80a.
81Dies vorausgeschickt interpretiert die Kammer die vertraglichen Abreden der Parteien in § 2 Abs. 1 des Arbeitsvertrages unter Zugrundelegung der Auslegungskriterien Allgemeiner Geschäftsbedingungen sowie der Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB so, dass die Klägerin an der Entwicklung der tarifvertraglichen Grundvergütung, wie sie in der prozentualen Steigerung der Tabellenentgelte und ggf. diese ersetzender Einmalzahlungen ihren Niederschlag findet, teilhaben soll. Sonstige Leistungen oder tarifliche Vergütungsbestandteile sind hingegen nur zu zahlen, wenn eine gesonderte Regelung hierzu getroffen ist.
82Die Inflationsausgleichsprämie ist kein Bestandteil der Grundvergütung im vorbezeichneten Sinne.
83(1)Das folgt zunächst aus dem Wortlaut der Leistung sowie ihrer tarifsystematischen Verankerung. Die Inflationsausgleichsprämie wird von den Tarifvertragsparteien als "Sonderzahlung" bezeichnet. Ein begrifflicher Bezug zur Grundvergütung oder einem Tabellenentgelt wird nicht hergestellt. Letztere bleiben für den Zeitraum vom 01.01.2023 bis zum 28.02.2024 vielmehr unverändert. Die Normierung des Anspruchs auf Zahlung einer Inflationsausgleichsprämie erfolgt bezüglich tatbestandlicher Voraussetzungen und Leistungsumfang in einem separaten Tarifvertrag. In der Niederschrift des Verhandlungsergebnisses vom 22.04.2023 wird in Teil A. Ziffer 1. "Entgelt" zwischen der "linearen Erhöhung" (Buchstabe a)) und dem "Inflationsausgleich" (Buchstabe b)) unterschieden. Eine derartige tarifliche Wortwahl und Gestaltung spricht maßgeblich gegen eine Einbeziehung der Inflationsausgleichsprämie in den Rahmen einer Steigerung der regelmäßigen Tarifentgelte (vgl. BAG, Urteil vom 21.07.2021 - 5 AZR 10/21, NZA 2022, 127, Rdz. 24 ff., zum Tariflichen Zusatzgeld nach dem TV T-ZUG vom 14.02.2018 für die Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens).
84(2)Als Zweck der Inflationsausgleichsprämie nennt § 4 Abs. 1 Satz 2 TV Inflationsausgleich die Abmilderung der gestiegenen Verbraucherpreise. Das bedeutet zwar nicht notwendig, dass die Inflationsausgleichprämie nicht auch der Vergütung der im Bezugszeitraum erbrachten Arbeitsleistung dient. Es ist aber nicht zu verkennen, dass die Tarifvertragsparteien des Öffentlichen Dienstes aus sozialen Gründen eine partielle Entkoppelung des Anspruchs auf Zahlung einer Inflationsausgleichsprämie von den tatbestandlichen Voraussetzungen einer regelmäßigen Entgelt- bzw. Entgeltfortzahlung vorgenommen haben. Als Beispiel sei hier genannt, dass gemäß §§ 2 Abs. 2 Satz 3, 3 Abs. 2 Satz 3 TV Inflationsausgleich auch diejenigen Arbeitnehmer die Zahlung der Inflationsausgleichsprämie verlangen können, die lediglich einen Anspruch auf Zuschuss zum Krankengeld haben, auch wenn dieser wegen der Höhe der Barleistungen des Sozialversicherungsträgers nicht gezahlt wird, sowie Arbeitnehmer, die Krankengeld wegen eines erkrankten Kindes beziehen. Im umgekehrten Sinne sind Fälle denkbar, in denen die Inflationsausgleichsprämie nicht gezahlt werden muss, obwohl der betroffene Mitarbeiter von einer rückwirkenden Erhöhung der Tabellenentgelte zum 01.01.2023 noch profitiert hätte (zum Beispiel bei einem Ausscheiden bis spätestens zum 30.04.2023).
85(3)Konsequenterweise stellt die Inflationsausgleichsprämie nach dem Willen der Tarifvertragsparteien kein zusatzversorgungspflichtiges Entgelt dar (§ 4 Abs. 3 TV Inflationsausgleichsprämie) und ist bei der Bemessung sonstiger Leistungen nicht zu berücksichtigen (§ 4 Abs. 4 TV Inflationsausgleichsprämie).
862.
87Die Beklagte ist zur vollständigen Zahlung der Inflationsausgleichsprämie an die Klägerin gleichwohl verpflichtet, wie eine ergänzende Auslegung der einschlägigen Vergütungsvereinbarungen der Parteien ergibt.
88a.
89Voraussetzung für eine ergänzende Vertragsauslegung ist das Bestehen einer Regelungslücke. Sie ist gegeben, wenn ein Vertrag eine planwidrige Unvollständigkeit aufweist. Das ist dann der Fall, wenn die Parteien einen Punkt übersehen oder ihn bewusst offengelassen haben, weil sie ihn im Zeitpunkt des Vertragsschlusses für nicht regelungsbedürftig gehalten haben, und sich diese Annahme nachträglich als unzutreffend herausstellt. Dabei kann von einer planwidrigen Regelungslücke nur gesprochen werden, wenn der Vertrag eine Bestimmung vermissen lässt, die erforderlich ist, um den ihm zugrundeliegenden Regelungsplan der Parteien zu verwirklichen, mithin ohne Vervollständigung des Vertrags eine angemessene, interessengerechte Lösung nicht zu erzielen ist. Ist eine vertragliche Regelung planwidrig unvollständig, tritt an die Stelle der lückenhaften Vertragsbestimmung diejenige Gestaltung, die die Parteien bei einer angemessenen Abwägung der beiderseitigen Interessen nach Treu und Glauben als redliche Vertragsparteien vereinbart hätten, wenn diesen die Lückenhaftigkeit des Vertrags bekannt gewesen wäre. Hierfür ist zunächst an den Vertrag selbst anzuknüpfen, denn die in ihm enthaltenen Regelungen und Wertungen und ihr Sinn und Zweck sind Ausgangspunkt der Vertragsergänzung. Soweit irgend möglich sind danach die Lücken im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung in der Weise auszufüllen, dass die Grundzüge des konkreten Vertrags "zu Ende gedacht" werden. Bei Allgemeinen Geschäftsbedingungen orientiert sich die ergänzende Vertragsauslegung an einem objektiv generalisierenden, am Willen und Interesse der typischerweise an Geschäften dieser Art beteiligten Verkehrskreise ausgerichteten Maßstab. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Feststellung und Bewertung des mutmaßlichen Parteiwillens und der Interessenlage ist der Zeitpunkt des Vertragsschlusses, denn die ergänzende Vertragsauslegung schließt eine anfängliche Regelungslücke rückwirkend (Grundsätze nach BAG, Urteile vom 24.05.2023 - 7 AZR 169/22, NZA 2023, 1391, Rdz. 27; vom 21.07.2021 - 5 AZR 10/21, NZA 2022, 127, Rdz. 32).
90b.
91Nach diesen Grundsätzen ist eine ergänzende Vertragsauslegung im Sinne der Klägerin zwingend geboten.
92aa.
93Die Kammer entnimmt den vertraglichen Vergütungsvereinbarungen der Parteien den Regelungsplan, dass die Klägerin an tarifvertraglichen Vergütungsansprüchen teilhaben soll, die allein oder im Wesentlichen dem Ausgleich der gestiegenen Lebenshaltungskosten und der Sicherung des Lebensstandards der Mitarbeitenden dienen. Denn mit der Erhöhung des Grundlohns und damit der tariflichen Tabellenentgelte, die der Klägerin gemäß § 2 Abs. 1 des Arbeitsvertrages zugutekommen sollen, wird regelmäßig gerade dieser Zweck verfolgt (vgl. etwa BAG, Urteil vom 19.05.2004 - 5 AZR 354/03, juris, Rdz. 21). Nicht zum Regelungsplan dieser Bestimmung gehört hingegen, der Klägerin auch solche "besonderen Geldleistungen jenseits der regelmäßigen Vergütung" zukommen zu lassen, die in keinem Gegenseitigkeitsverhältnis zur Arbeitsleistung stehen (vgl. insoweit BAG, Urteil vom 21.07.2021 - 5 AZR 10/21, aaO, Rdz. 25 ff.). Zu nennen sind hier etwa Geldleistungen, die die Betriebstreue der Mitarbeitenden honorieren. Ebenfalls betrifft der Regelungsplan des § 2 Abs. 1 keine Geldleistungen, für die die Parteien anderweitig explizite Regelungen getroffen haben, etwa über die Bezugnahme auf eine einschlägige und vermeintlich rechtswirksame Betriebsvereinbarung. Erst Recht nicht erfasst sind tarifliche Regelungen, die den Mitarbeitenden keine entgeltlichen, sondern sonstige Vorteile wie etwa eine Erhöhung des Urlaubsanspruchs oder eine Verringerung der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit vermitteln.
94bb.
95Zur Verwirklichung dieses Regelungsplanes ist es erforderlich, der Klägerin den Anspruch auf Zahlung der Inflationsausgleichsprämie zuzuerkennen. § 2 Abs. 1 des Arbeitsvertrages ist insoweit planwidrig unvollständig. Hätten die Arbeitsvertragsparteien das Ergebnis der Tarifrunde 2023/24 für den Öffentlichen Dienst beim Bund und den Kommunen vorhergesehen, hätten sie die Geltung des TV Inflationsausgleichs zugunsten der Klägerin vereinbart. Jede andere Lösung wäre grob unangemessen und trüge den beiderseitigen Interessen keineswegs Rechnung.
96(1)Der Anspruch auf Zahlung der Inflationsausgleichsprämie gemäß §§ 2 Abs. 1, 3 Abs. 1 des Tarifvertrages ersetzt die Erhöhung der Tabellengrundvergütung für den Zeitraum vom 01.01.2023 bis zum 28.02.2024. Der TV Inflationsausgleich wurde im Rahmen der laufenden Tarifverhandlungen für den Öffentlichen Dienst geschlossen und führte entgegen den ursprünglichen gewerkschaftlichen Forderungen zu einer "Nullrunde" im Hinblick auf die Erhöhungen der Tabellenentgelte. Im Ergebnis wurde ein Verzicht auf einen Bruttolohnzuwachs durch eine befristete Nettozahlung kompensiert. Genau diesen Anreiz hatte der Gesetzgeber zur Durchbrechung bzw. Eindämmung der Lohn-Preis-Spirale mit der Schaffung von § 3 Nr. 11c EStG setzen wollen (vgl. BT-DrS. 20/6569, S. 7). Der Wechselwirkung, dass die Unternehmen gestiegene Löhne zur Rechtfertigung von Preiserhöhungen heranziehen, während die Gewerkschaften ihre Lohnforderungen mit erhöhten Preisen begründen, sollte der Boden entzogen werden. Die Kammer hält es vor diesem Hintergrund für abwegig, dass sich die Tarifvertragsparteien in einer Zeit bedrückender Inflationsraten, die insbesondere geringer vergütete Arbeitnehmer belasten, auf eine Nullrunde verständigt hätten, wenn nicht stattdessen steuer- und sozialversicherungsfreie Zahlung einer Inflationsausgleichsprämie vereinbart worden wäre. Das Zusammenspiel der Regelungen wird aus Sicht der Kammer zusätzlich dadurch verdeutlicht, dass die Tariflohnerhöhung zum 01.03.2024 so ausgestaltet wurde, dass die normunterworfenen Arbeitnehmer zunächst einen Sockelbetrag von 200,00 € und anschließend eine weitere Erhöhung um 5,5% auf das bisherige Tabellenentgelt und den Sockelbetrag erhalten. Damit werden die Arbeitnehmer annähernd so gestellt wie sie stünden, wenn es sich bei der für einen Zeitraum von 14 Monaten gezahlten Inflationsausgleichsprämie von 3.000,00 € (im Durchschnitt 214,29 € im Monat) um eine Erhöhung des Tabellenentgeltes gehandelt hätte, die dann lediglich um den Steigerungssatz von 5,5% erhöht wurde.
97(2)Die Inflationsausgleichsprämie dient nahezu identischen Zwecken wie eine Steigerung des tariflichen Grundgehalts. Dass erstgenannte "zur Abmilderung der gestiegenen Verbraucherpreise" gezahlt wird, ist nichts anderes als der von einer Tabellenentgelterhöhung verfolgte Zweck des Ausgleichs gestiegener Lebenshaltungskosten. Das Gericht pflichtet dem Arbeitsgericht im Übrigen nicht bei, dass es sich bei der Inflationsausgleichsprämie um eine Sonderzahlung ohne Vergütungscharakter handelt. Die Tarifvertragsparteien haben vielmehr in §§ 2 Abs. 1, 3 Abs. 1 Satz 3 TV Inflationsausgleich die Existenz mindestens eines Tages mit Entgeltbezug zur Tatbestandsvoraussetzung des ersten sowie der jeweils weiteren Teile der Inflationsausgleichsprämie erhoben. Sie haben die Höhe der Zahlung in § 2 Abs. 2 Satz 3 und § 3 Abs. 2 Satz 3 vom vereinbarten Arbeitsumfang abhängig gemacht. Ruht das Arbeitsverhältnis oder befindet sich der Arbeitnehmer in der Freistellungsphase der Altersteilzeit, wird die Sonderzahlung nicht geleistet. Das spricht für den Willen, auch die Arbeitsleistung der Mitarbeitenden zu vergüten (vgl. hierzu ausführlich LAG Düsseldorf, Urteil vom 05.03.2024 - 14 Sa 1148/23, NZA-RR 2024, 357 ff., nach neuester Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Inflationsausgleichsprämie Teil des pfändbaren, wiederkehrend zahlbaren Arbeitseinkommens im Sinne des § 850c ZPO, sie werde als Gegenleistung für Dienste gewährt - BGH, Beschluss vom 25.04.2024 - IX ZR 55/23, NZA-RR 2024, 590, Rdz. 9 f.). Die Kammer verkennt - wie bereits oben ausgeführt - nicht, dass ein tatbestandlich vollständiger Gleichlauf der Inflationsausgleichsprämie mit einer Entgelt- oder Entgeltfortzahlung nicht besteht. Dabei handelt es sich aber wie häufig bei der Regelung von Massenerscheinungen um nicht vermeidbare und hinzunehmende Randunschärfen (vgl. BAG, Urteile vom 24.10.2019 - 2 AZR 158/18, NZA-RR 2020, 199, Rdz. 48; vom 31.01.2018 - 10 AZR 695/16 (A), NZA 2018, 876, Rdz. 70; vom 20.09.2017 - 6 AZR 143/16, NZA 2018, 110, Rdz. 43). So spricht etwa nicht gegen eine Leistungsbezogenheit, dass bereits bei einem Anspruch auf Entgelt an einem einzigen Tag die Sonderzahlung für den gesamten Bezugszeitraum gezahlt wird. Die Tarifvertragsparteien haben insoweit - wie an anderen Stellen - aus Gründen der Praktikabilität eine Vereinfachung vorgenommen. Sie haben die Prüfung eines täglichen Entgeltbezugs vermieden, die bei Fehlen des letzteren pro Tag zu einer Reduzierung der Inflationsausgleichsprämie von weniger als 10,00 € geführt hätte: Aufwand und Ergebnis stünden hier ersichtlich außer Verhältnis.
98(3)Soweit die Beklagte bestreitet, dass die Tarifvertragsparteien den Willen gehabt hätten, die Tabellenentgelterhöhung durch den Anspruch auf Zahlung einer Inflationsausgleichsprämie zu ersetzen, und der Charakter der Prämie dem einer Erhöhung des Tabellenentgelts entspräche, ist ihr Bestreiten unbeachtlich. Erstgenanntes ist bereits durch den Ablauf der Tarifverhandlungen und insbesondere das erzielte Tarifergebnis indiziert; die Tarifvertragsparteien haben genau das getan, was sie nach dem Willen des Gesetzgebers tun sollten. Im Übrigen bedarf es zur Ermittlung des Zwecks einer tariflichen Leistung keines Beweises dafür, was die Tarifvertragsparteien tatsächlich gewollt haben ("Motivlage"), dieser ist vielmehr maßgeblich im Wege der Auslegung der Tarifnormen zu bestimmen (vgl. etwa BAG, Urteil vom 23.08.2023 - 10 AZR 108/21, juris, Rdz. 24). Nichts anderes hat die Kammer getan.
99(4)Hinsichtlich der Zahlung einer Inflationsausgleichsprämie finden sich im Arbeitsvertrag der Parteien keine speziellen Regelungen. Dass gilt insbesondere auch für § 3 der in den Vertrag einbezogenen Betriebsvereinbarung vom 01.07.1995.
100(5)Die Arbeitsvertragsparteien haben im Zeitpunkt des Vertragsschlusses im Jahre 1995 nicht vorhergesehen, dass es dazu kommen würde, dass die Tarifvertragsparteien des Öffentlichen Dienstes im Jahre 2023 die regelmäßige Steigerung der Grundvergütung im Rahmen einer tariflichen Lohnrunde ausfallen lassen und dafür die Zahlung einer steuer- und sozialversicherungsfreien Inflationsausgleichsprämie vorsehen würden. Ein derartiges Vorgehen war nur möglich durch die Schaffung eines gesetzlichen Rahmens (§ 3 Nr. 11c) EStG), der vor 1995 zu keinem Zeitpunkt existierte. Das "Gesetz zur temporären Absenkung des Umsatzsteuersatzes auf Gaslieferungen über das Erdgasnetz" vom 25.10.2022 stellt ein gesetzgeberisches Novum dar. Außer Frage steht auch, dass die Arbeitsvertragsparteien den Arbeitsvertrag der Parteien, hätten sie von der in Rede stehenden Konstellation gewusst, so ergänzt hätten, dass die Klägerin bzw. sämtliche den Allgemeinen Vertragsbedingungen unterfallenden Arbeitnehmer an der Zahlung der Inflationsausgleichsprämie beteiligt worden wären. Wie die lückenhafte Vergütungsabrede sonst sinnvoll hätte ergänzt werden sollen, ist nicht ersichtlich, und führte in jedem Fall zu einer Abkoppelung der Entgelte der Mitarbeitenden der Beklagten von der tariflichen Entwicklung der in Öffentlichen Dienst des Bundes und der Kommunen tätigen Arbeitnehmer.
1013.
102Die Zinsforderung der Klägerin ist gemäß §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1, 291 BGB gerechtfertigt.
103C.
104Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
105Das Gericht hat den entscheidungserheblichen Rechtsfragen grundsätzliche Bedeutung beigemessen und die Revision zugunsten der Beklagten gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zugelassen.
106RECHTSMITTELBELEHRUNG
107Gegen dieses Urteil kann von der beklagten Partei
108REVISION
109eingelegt werden.
110Für die klagende Partei ist gegen dieses Urteil ein Rechtsmittel nicht gegeben.
111Die Revision muss innerhalb einer Notfrist* von einem Monat schriftlich oder in elektronischer Form beim
112Bundesarbeitsgericht
113Hugo-Preuß-Platz 1
11499084 Erfurt
115Fax: 0361 2636-2000
116eingelegt werden.
117Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung.
118Für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihr zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse besteht ab dem 01.01.2022 gem. §§ 46g Satz 1, 72 Abs. 6 ArbGG grundsätzlich die Pflicht, die Revision ausschließlich als elektronisches Dokument einzureichen. Gleiches gilt für vertretungsberechtigte Personen, für die ein sicherer Übermittlungsweg nach § 46c Abs. 4 Nr. 2 ArbGG zur Verfügung steht.
119Die Revisionsschrift muss von einem Bevollmächtigten eingelegt werden. Als Bevollmächtigte sind nur zugelassen:
1201.Rechtsanwälte,
1212.Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,
1223.Juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in Nummer 2 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt, und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
123In den Fällen der Ziffern 2 und 3 müssen die Personen, die die Revisionsschrift unterzeichnen, die Befähigung zum Richteramt haben.
124Eine Partei, die als Bevollmächtigter zugelassen ist, kann sich selbst vertreten.
125Die elektronische Form wird durch ein elektronisches Dokument gewahrt. Das elektronische Dokument muss für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet und mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg gemäß § 46c ArbGG nach näherer Maßgabe der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (ERVV) v. 24. November 2017 in der jeweils geltenden Fassung eingereicht werden. Nähere Hinweise zum elektronischen Rechtsverkehr finden sich auf der Internetseite des Bundesarbeitsgerichts www.bundesarbeitsgericht.de.
126* eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.
127Schneider UnterschemmannSchlienz