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1. Die Anrechnung von Erwerbseinkommen auf eine Betriebsrente bedarf einer ausdrücklichen Regelung in den maßgeblichen Versorgungsbestimmungen. 2. Weder § 5 Abs. 2 BetrAVG noch § 6 BetrAVG in der seit dem 01.01.2023 geltenden Fassung stehen einer Anrechnung von Erwerbseinkommen entgegen.
I.Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Wuppertal vom 24.10.2023 AZ: 2 Ca 1321/23 des Klägers abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
II.Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
III.Die Revision wird zugelassen.
T a t b e s t a n d:
2Die Parteien streiten darüber, ob dem Kläger ein Anspruch auf eine Betriebsrente zusteht.
3Der am 09.04.1960 geborene Kläger war seit 1979 bis zu seinem Renteneintritt bei der Beklagten beschäftigt. Ab dem 01.01.2017 war er aufgrund einer Vereinbarung der Parteien entsprechend einer Vorschrift eines auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren Haustarifvertrags (Manteltarifvertrag) beurlaubt. Seit dem 01.05.2023 bezieht er eine gesetzliche Altersrente für langjährig Versicherte als Vollrente.
4Die Beklagte sagte dem Kläger eine betriebliche Altersversorgung nach dem Prinzip der Gesamtversorgung zu. Diese Gesamtversorgung setzt sich neben der gesetzlichen Altersrente aus einer von der Pensionskasse der Beklagten gezahlten Pension sowie einem sog. Ruhegeld zusammen. Voraussetzungen und Höhe des Anspruchs auf ein Ruhegeld sind in einem Haustarifvertrag geregelt, dem Tarifvertrag über die betriebliche Alters- und Hinterbliebenenversorgung (TV AltV). Teil 5 des TV AltV enthält u.a. folgende Regelungen:
53 Anspruch auf Betriebliche Alters- und Hinterbliebenenversorgung
6(1)Beschäftigten, deren Arbeitsverhältnis nach einer ununterbrochenen Beschäftigungszeit bei der W. X. (einschließlich Ausbildungszeit) von mindesten 10 Jahren wegen des Eintritts des Versorgungsfalles endet und die unmittelbar im Anschluss an die Beendigung des Arbeitsverhältnisses Altersrente als Vollrente oder Rente wegen Erwerbsminderung aus der gesetzlichen Rentenversicherung und Pension aus der Pensionskasse erhalten, wird nach den Bestimmungen dieses Teils ein Ruhegeld gewährt. Das gilt entsprechend, wenn die/der Beschäftigte anstelle der Pension aus der Pensionskasse Leistungen einer anderen Versorgungseinrichtung erhält, weil sie/er sich nach altem Recht von der Pflicht zur Zusatzversicherung in der Pensionskasse hatte befreien lassen.
7Der Versorgungsfall tritt bei einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses gem. Nm. 5.1, 5.2, 6.4, 6.5 MTV ein.
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4 Leistungen der betrieblichen Altersversorgung
10(1)Im Rahmen der betrieblichen Altersversorgung wird zusätzlich zu der Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung und Pension aus der Pensionskasse bzw. den Leistungen einer anderen Versorgungseinrichtung anstelle der Pensionskasse ein Ruhegeld gezahlt.
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15 Entfallen des Ruhegeldes in besonderen Fällen
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(2)Bei Ruhegeldempfängerinnen/Ruhegeldempfängern, die das Ruhegeld vor Erreichen der in der gesetzlichen Rentenversicherung für die Regelaltersrente vorgesehenen Altersgrenze in Anspruch genommen haben, wird, soweit eine Sonderregelung nicht besteht, Erwerbseinkommen und kurzfristiges Erwerbsersatzeinkommen (§§ 18a, 18a Abs. 3 Nr. 1 SGB VI) insoweit auf das Ruhegeld angerechnet, wie die Summe aus Erwerbseinkommen, kurzfristigem Erwerbsersatzeinkommen, anrechnungsfähigen Renten und Bezügen gemäß Nr. 5 Absatz 5 und dem Ruhegeld 85 v. H. des ruhegehaltsfähigen Bruttogehalts gemäß Nr. 5 Absatz 3 übersteigt. Hierbei wird das ruhegehaltsfähige Bruttogehalt bei allgemeinen tariflichen Gehaltsänderungen um die für die Vergütungsgruppe 1 tariflich vereinbarten prozentualen Erhöhungen angepasst.
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17 Verfahren
17(1)Bei Eintritt des Versorgungsfalles erhält die/der Anspruchsberechtigte eine schriftliche Mitteilung über die Gewährung und die Höhe des Ruhegeldes. Die Auszahlung erfolgt nur, wenn von der/dem Anspruchsberechtigten eine Einverständniserklärung nachstehenden Inhalts abgegeben wurde:
18"Von den Bestimmungen des Teils 5 über die betriebliche Alters- und Hinterbliebenenversorgung habe ich in allen Teilen Kenntnis genommen. Ich erkläre mich ausdrücklich damit einverstanden, dass die Bestimmungen dieses Teils und auch etwaige spätere Änderungen für die Ruhegeldzahlung an mich maßgebend sind. Dies gilt nicht im Falle der Nr. 18".
19Seit dem 01.05.2023 bezieht der Kläger eine gesetzliche Altersrente. Daneben erhält er von der Pensionskasse der Beklagten eine monatliche Pension. Die Beklagte bat den Kläger um Auskunft über etwaigen anderweitigen Verdienst und forderte ihn zur Unterzeichnung einer Einverständniserklärung nach Ziff. 17 Abs. 1 TV AltV Teil 5 auf. Der Kläger übt eine Tätigkeit beim G. aus. Hierzu übersandte er der Beklagten eine Entgeltabrechnung für Januar 2023, die ein Bruttomonatsgehalt von 3.005,84 € ausweist. Die Einverständniserklärung unterzeichnete er nicht. Die Beklagte lehnte daraufhin die Zahlung des Ruhegeldes wegen der Anrechnung anderweitigen Erwerbseinkommens gemäß Ziff. 15 Abs. 2 TV AltV Teil 5 ab.
20Der Kläger hat mit der vorliegenden Klage einen Anspruch auf Zahlung von Ruhegeld in Höhe von 1.751,54 € brutto monatlich ab Mai 2023 geltend gemacht. Er hat die Auffassung vertreten, ihm stehe neben der gesetzlichen Altersrente und der von der Pensionskasse gezahlten Pension auch ein Ruhegeld nach TV AltV Teil 5 zu, ohne dass die Beklagte berechtigt wäre, seinen anderweitigen Verdienst anzurechnen. Der Gesetzgeber habe mit der Änderung des § 6 BetrAVG geregelt, dass die Hinzuverdienstgrenzen ab dem 01.01.2023 sowie bei der gesetzlichen Altersrente auch bei der Betriebsrente wegfallen sollen. Die dem entgegen stehende tarifvertragliche Vorschrift der Beklagten sei daher gemäß § 19 BetrAVG unwirksam.
21Der Kläger hat behauptet, bei Abschluss der Vereinbarung vom 13.05.2015 über die Beurlaubung (Anlage K 3) sei ihm vom damaligen Personalabteilungsleiter S. versichert worden, dass er auch nach Ablauf der Beurlaubung unbeschränkt hinzuverdienen könne, ohne Kürzungen befürchten zu müssen.
22Der Kläger hat beantragt,
231. die Beklagte zu verurteilen, an ihn rückständiges Ruhegeld für die Zeit vom 01.05.2023 bis 31.10.2023 in Höhe von 10.527,06 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz fortlaufend aus einem Betrag in Höhe von 1.754,51 € seit dem 02.05.2023 und aus jeweils weiteren 1.754,51 € seit jeweils dem 02. der Folgemonate bis einschließlich 02.10.2023 zu zahlen;
242. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm künftig ein monatliches Ruhegeld in Höhe von 1.754,51 € brutto zu zahlen.
25Die Beklagte hat beantragt,
26die Klage abzuweisen.
27Die Beklagte hat sich darauf berufen, dass das anderweitige Einkommen des Klägers die monatliche Hinzuverdienstgrenze - rechnerisch unstreitig - überschreite. Sie hat die Ansicht vertreten, gemäß Ziff. 15 Abs. 2 TV AltV Teil 5 zur Anrechnung anderweitigen Erwerbseinkommens auf das Ruhegeld berechtigt zu sein. Hieran habe die Neufassung des § 6 BetrAVG nichts geändert. Der Gesetzgeber habe die Anrechnung von Hinzuverdienst bei Betriebsrenten nicht untersagt.
28Das Arbeitsgericht hat der Klage mit Urteil vom 24.10.2023 vollumfänglich stattgegeben. Es hat seine Entscheidung damit begründet, die Anrechnung anderweitigen Erwerbseinkommen sei nicht möglich, weil § 6 BetrAVG in der seit dem 01.01.2023 geltenden Fassung keine Anrechnung von Hinzuverdienst bei der Inanspruchnahme von Leistungen der betrieblichen Altersversorgung vor dem Erreichen der für die gesetzliche Altersente geltenden Regelaltersgrenzen mehr vorsehe. Von dieser gesetzlichen Vorschrift dürfe nach § 19 Abs. 1 i. V. m. Abs. 3 BetrAVG nicht durch Tarifvertrag abgewichen werden.
29Gegen das ihr am 09.11.2023 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit einem am 04.12.2023 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Anwaltsschriftsatz Berufung eingelegt und diese - nach einer Fristverlängerung bis zum 09.02.2024 - mit einem am 06.02.2024 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen anwaltlichen Schriftsatz begründet.
30Die Beklagte rügt, das Arbeitsgericht habe sich nicht mit ihrem Vortrag auseinandergesetzt, dass einer Gesamtversorgung die Anrechnung anderweitiger Leistungen immanent sei. Das Arbeitsgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass § 6 BetrAVG n. F. einer Anrechnung anderweitigen Verdienstes entgegen stehe. Es habe dabei übersehen, dass § 6 BetrAVG in der Fassung bis zum 31.12.2022 auch keine Anrechnungsmöglichkeit vorgesehen habe. Das Gesetz sei lediglich hinsichtlich der Anzeigepflicht des Arbeitnehmers geändert worden. Ansonsten sei es bei der bisherigen Rechtslage verblieben. § 34 SGB VI beziehe sich schon seinem Wortlaut nach ausschließlich auf die gesetzliche Rente. Zudem sei es möglich, als sonstige Leistungsvoraussetzung zu regeln, dass der Arbeitnehmer jegliche Erwerbstätigkeit aufgebe. Dann müsse erst recht der weniger starke Eingriff einer Anrechnung sonstigen Erwerbseinkommens möglich sein.
31Das Urteil sei auch deshalb fehlerhaft, weil es eine bedingungslose Zahlungsverpflichtung vorsähe. Es könnte aber sein, dass der Ruhegeldanspruch zukünftig aufgrund des Wegfalls anderer Voraussetzungen entfalle. Im Übrigen sei das Arbeitsgericht von einer unzutreffenden Rentenhöhe ausgegangen. Die Ausgangsrente hätte nur 1.696,28 € betragen, weil auch eine Rentenzahlung der Rheinischen Versorgungskassen in Höhe von 58,23 € brutto anrechenbar sei, was bei der ursprünglichen Berechnung keine Berücksichtigung gefunden habe. Zudem sei die Rente dynamisch, was bei dem ausgeurteilten Antrag keine Berücksichtigung finde. Seit dem 01.07.2023 würde die Altersrente 1.770,75 € betragen.
32Die Beklagte beantragt,
33das Urteil des Arbeitsgerichts Wuppertal vom 24.10.2023 - AZ 2 Ca 1321/23 - abzuändern und die Klage abzuweisen.
34Der Kläger beantragt,
35die Berufung zurückzuweisen.
36Weiter beantragt der Kläger,
371.die Beklagte zu verurteilen, an ihn rückständiges Ruhegeld für die Zeit vom 01.05.2023 bis 31.03.2024 i. H. v. 17.988,85 € brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz fortlaufend aus einem Betrag i. H. v. 1.754,51 € seit dem 02.05.2023 und aus weiteren 1.754,51 € seit dem 02.06.2023 und aus jeweils weiteren 1.696,28 € seit dem Zweiten der Folgemonate bis einschließlich 02.03.2024 zu zahlen;
382.festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm künftig ein monatliches Ruhegeld i. H. v. 1.770,75 € brutto zu zahlen.
39Die Beklagte beantragt,
40die Anschlussberufung des Klägers zurückzuweisen.
41Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil unter Vertiefung seines erstinstanzlichen Sach- und Rechtsvorbringens. Er ist darüber hinaus der Ansicht, die Beklagte verhalte sich treuwidrig. Insoweit behauptet der Kläger, er habe auf Veranlassung der Beklagten einer Beurlaubung und der anschließenden vorzeitigen Inanspruchahme der Rente zugestimmt. Während der Beurlaubung sei ihm - insoweit unstreitig - ausdrücklich anderweitiges Erwerbseinkommen erlaubt gewesen.
42Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Sitzungsniederschriften beider Instanzen sowie ergänzend auf sämtliche Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.
43E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
44I.
45Die Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet, die ebenfalls zulässige Anschlussberufung des Klägers hat keinen Erfolg.
461. Gegen die Zulässigkeit von Berufung und Anschlussberufung bestehen keine Bedenken.
47a) Die Berufung der Beklagten ist statthaft gemäß § 64 Abs. 1, 2 lit. b) ArbGG und nach Maßgabe der §§ 66 Abs.1, 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. § 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.
48b) Soweit der Kläger zweitinstanzlich die Leistungsklage auf Ansprüche für November 2023 bis März 2024 erweitert hat, handelt es sich der Sache nach um eine Anschlussberufung.
49Die Anschlussberufung des Klägers ist form- und fristgerecht innerhalb der Frist zur Beantwortung der Berufung eingelegt worden, § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO. Eine Anschlussberufung erfordert nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. z.B. BAG v. 19.05.2016 - 3 AZR 766/14 - Rn. 14; BAG v. 31.07.2014 - 2 AZR 407/13 - Rn. 18) und des Bundesgerichtshofs (BGH v. 10.05.2011 - VI ZR 152/10 - Rn. 9 f.) keine eigenständige Beschwer. Der mit seinen Anträgen erstinstanzlich voll obsiegende Kläger konnte deshalb mit der Anschluss-berufung zusätzlich den Leistungsantrag erweitern, obschon er durch das Urteil des Arbeitsgerichts nicht beschwert war.
502. In der Sache ist die Klage jedoch insgesamt unbegründet.
51a) Die Klage ist zulässig.
52aa) Soweit der Kläger zweitinstanzlich den Antrag zu 1. erweitert hat, handelt es sich gemäß § 264 Nr. 2 ZPO nicht um eine Klageänderung. Ungeachtet dessen liegen die Voraussetzungen des § 533 ZPO vor.
53bb) Der Antrag zu 2. ist gemäß § 256 ZPO zulässig.
54Der Antrag bedarf allerdings der Auslegung. Es geht dem Kläger ausschließlich um die Klärung der Frage, ob ihm vor Erreichen des gesetzlichen Rentenalters trotz eines anderweitigen Verdienstes ein Betriebsrentenanspruch zusteht. Der Anspruch dem Grunde nach steht zwischen den Parteien nicht im Streit und bedarf daher auch keiner gerichtlichen Klärung.
55Mit dieser Maßgabe ist der Antrag zulässig. Das Feststellungsinteresse besteht, da die zwischen den Parteien streitige Frage des Bestehens eines Ruhegeldanspruchs vor Erreichen der in der gesetzlichen Rentenversicherung für die Regelaltersrente vorgesehenen Altersgrenze trotz eines anderweitigen Verdienstes abschließend geklärt werden kann. Unerheblich ist, dass sich die Voraussetzungen ändern können (Änderung der Höhe der Betriebsrente, Veränderungen des anderweitigen Verdienstes). Änderungen in der Zukunft werden von der Feststellung nicht umfasst.
56Der grundsätzliche Vorrang der Leistungsklage steht nicht entgegen, weil durch die Feststellungsklage eine sachgemäße, einfache Erledigung der aufgetretenen Streitpunkte zu erreichen ist und prozesswirtschaftliche Erwägungen gegen den Zwang zur Leistungsklage sprechen (BAG v. 20.06.2023 - 3 AZR 231/23 - Rn. 24; BAG v. 25.01.2022 - 3 AZR 406/21 - Rn. 26).
57b) Die Klage ist unbegründet. Zu Recht rechnet die Beklagte den anderweitigen Verdienst des Klägers gemäß Ziffer 15 Abs. 2 TV AltV an.
58aa) Die Kammer legt bei ihrer Entscheidung zugrunde, dass die Anrechnung des Einkommens des Klägers aus seiner Tätigkeit beim G. dazu führt, dass die Betriebsrente des Klägers sich bei Anwendung des § 15 Abs. 2 TV AltV auf Null reduziert. Hiervon gehen beide Parteien übereinstimmend aus. Dies hat bereits das Arbeitsgericht unter Ziffer I.1. des Urteils festgestellt, ohne dass dies von den Parteien im Berufungsverfahren angezweifelt wurde. Im Streit steht nicht die entsprechende Berechnung der Beklagten, sondern allein die - vom Arbeitsgericht bejahte - Rechtsfrage, ob die Regelung in Ziffer 15 Abs. 2 TV AltV wegen eines Verstoßes gegen § 6 BetrAVG unwirksam ist. Auch die Anrechenbarkeit der Pension aus der Pensionskasse sowie der Rentenzahlung der Rheinischen Versorgungskassen wird vom Kläger nicht in Frage gestellt.
59bb) Ziffer 15 Abs. 2 TV AltV enthält eine ausreichende Rechtsgrundlage für die Anrechnung anderweitigen Verdienstes.
60aaa) Die Anrechnung anderweitiger Bezüge auf betriebliches Ruhegehalt bedarf einer besonderen Rechtsgrundlage, da nicht vereinbarte Anrechnungen mit der Vertragserfüllungspflicht des Arbeitgebers unvereinbar und daher unwirksam sind (vgl. für die Anrechnung von Versorgungsleistungen: BAG v. 13.07.2021 - 3 AZR 349/20 - Rn. 21; BAG v. 08.12.2020 - 3 AZR 437/18 - Rn. 86). Anrechnungen anderweitiger Bezüge auf eine Betriebsrente sind nur insoweit möglich, als die maßgeblichen Be-stimmungen die Anrechnungs- bzw. Berücksichtigungstatbestände, aufgrund derer im Rahmen einer Limitierungsklausel anderweitige Einkünfte berücksichtigt werden, für den Versorgungsberechtigten erkennbar und eindeutig beschreiben (BAG v. 13.07.2021 - 3 AZR 349/20 - Rn. 22; für eine tarifvertragliche Regelung vgl. BAG v. 26.03.1996 - 3 AZR 1023/94 - zu I 2 der Gründe). Ausreichend ist es, wenn eine Auslegung zu einer erkennbaren und eindeutigen Regelung führt (BAG v. 13.07.2021 - 3 AZR 349/20 - Rn. 22; vgl. auch BAG v. 18.05.2010 - 3 AZR 97/08 -). Das schließt allgemeine, aber umfassende Formulierungen nicht aus. Nur so kann der Arbeitgeber rechtlichen und tatsächlichen Entwicklungen angemessen Rechnung tragen. Auch differenzierte Formulierungen können zu Auslegungsproblemen führen (BAG v. 13.07.2021 - 3 AZR 349/20 - Rn. 22; BAG v. 18.05.2010 - 3 AZR 97/08 - Rn. 16).
61bbb) Bei Anwendung dieser Maßstäbe stellt Ziffer 15 Abs. 2 TV AltV eine ausreichende Rechtsgrundlage für die Anrechnung anderweitigen Verdienstes dar. Sowohl die Voraussetzungen als auch die anrechenbaren Bezüge (Erwerbseinkommen) sind eindeutig festgelegt.
62cc) Die Anrechnung von Erwerbseinkommen verstößt nicht gegen § 5 Abs. 2 BetrAVG.
63Diese Norm regelt ausschließlich die Anrechnung oder Berücksichtigung anderer Versorgungsbezüge (vgl. BAG v. 09.07.1991 - 3 AZR 337/90 -; Blomeyer/Rolfs/Otto, Betriebsrentengesetz, 8. Auflage 2022, § 5 BetrAVG Rn. 151; Höfer in Höfer/de Groot/Küpper/Reich, Betriebsrentenrecht (BetrAVG) - Bd. I: Arbeitsrecht, 30. EL März 2024, § 5 BetrAVG Rn. 117). Bei dem gemäß Ziffer 15 Abs. 2 anrechenbaren Erwerbseinkommen handelt es sich nicht um Versorgungsbezüge.
64dd) Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts ist Ziffer 15 Abs. 2 TV AltV nicht gemäß § 19 BetrAVG i. V. m. § 6 BetrAVG unwirksam. § 6 BetrAVG schließt die Anrechnung von Erwerbseinkommen nicht aus.
65Bereits der Wortlaut des § 6 BetrAVG n. F. spricht gegen das Verständnis, der Gesetzgeber habe die Möglichkeit der Anrechnung von Erwerbseinkommen auf Betriebsrenten bei der vorzeitigen Inanspruchnahme einer Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung ausschließen wollen. Zwar sind hiernach einem Arbeitnehmer, der die Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung in Anspruch nimmt auf sein Verlangen Leistungen der betrieblichen Altersversorgung zu gewähren. Zu den Voraussetzungen, insbesondere der Frage, welche Leistungen gegebenenfalls angerechnet werden dürfen, trifft § 6 BetrAVG allerdings keinerlei Aussagen. Im Gegenteil: Der Anspruch nach § 6 BetrAVG besteht nur bei Erfüllung "sonstiger Leistungsvoraussetzungen".
66Auch die Rechtssystematik spricht gegen ein solches Verständnis. Die Frage einer Anrechnung wird - wie auch der Überschrift der Normen zu entnehmen ist - in § 5 BetrAVG geregelt; § 6 BetrAVG regelt demgegenüber lediglich den grundsätzlichen Anspruch im Falle einer vorzeitigen Inanspruchnahme. Hätte der Gesetzgeber die Anrechenbarkeit von Erwerbseinkommen regeln wollen, so hätte es nahegelegen, § 5 Abs. 2 BetrAVG neu zu fassen (vgl. Höfer/de Groot DB 2023, 961, 962).
67Aus der Gesetzeshistorie lässt sich der Ausschluss der Anrechnung von Erwerbseinkommen ebenfalls nicht ableiten. Zwar hat der Gesetzgeber die ursprünglich in § 6 Satz 3 BetrAVG geregelte Pflicht des Arbeitnehmers, die Aufnahme oder Ausübung einer Beschäftigung oder Erwerbstätigkeit, die zu einem Wegfall oder zu einer Beschränkung der Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung führt, mit Wirkung zum 01.01.2023 aufgehoben. Dies ist aber allein eine Konsequenz aus dem Wegfall der Anrechenbarkeit von Erwerbseinkommen auf die gesetzliche Rente. Dementsprechend heißt es in der Gesetzesbegründung zur Änderung von § 6 BetrAVG (BT-Drucks. 20/3900, S. 114):
68"Es handelt sich um eine Folgeänderung zu Artikel 7 Nummer 4. Mit dem Wegfall der Hinzuverdienstgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung können Altersrenten künftig nicht mehr wegen Überschreitung dieser Grenzen wegfallen."
69Mit anderen Worten: Da eine Erwerbstätigkeit nicht mehr zum Wegfall des Anspruchs auf eine gesetzliche Vollrente führen kann, macht auch die gesetzliche Verpflichtung zur Anzeige der Aufnahme einer solchen Erwerbstätigkeit keinen Sinn mehr.
70Bei seiner gegenteiligen Argumentation übersieht der Kläger, dass § 6 Satz 3 BetrAVG a.F. nicht den Sinn hatte, dem Arbeitgeber eine Anrechnung von Erwerbseinkommen auf die vorzeitige Altersrente zu ermöglichen. Hierfür bedurfte es vielmehr immer schon einer eigenständigen Rechtsgrundlage. Sinn und Zweck der Informationspflicht war stattdessen, dass der Anspruch gemäß § 6 Satz 1 BetrAVG auf die Betriebsrente an den Anspruch auf die gesetzliche Rente gekoppelt war. Fiel diese nach der bis zum 31.12.2022 geltenden Gesetzeslage wegen der Aufnahme einer anderweitigen Erwerbstätigkeit weg, so galt dies auch für den Anspruch auf die vorzeitige Betriebsrente. Da jedoch keine Verpflichtung der Deutschen Rentenversicherung bestand, eine ihr gegenüber erfolgte Anzeige der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit an den Arbeitgeber weiterzuleiten, und dies praktisch auch gar nicht durchführbar gewesen wäre, musste das Gesetz eine besondere - parallele - Anzeigepflicht begründen (Blomeyer/Rolfs/ Otto, § 6 BetrAVG Rn. 222). Wie aufgezeigt ist diese Notwendigkeit mit dem Wegfall der Anrechenbarkeit von Erwerbseinkommen auf die gesetzliche Rente entfallen.
71Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts spricht damit auch der Gesetzeszweck nicht dafür, dass eine Anrechenbarkeit von Erwerbseinkommen ausgeschlossen sein soll (vgl. wiederum Höfer/de Groot DB 2023, 961, 962). Richtig ist, dass der Gesetzgeber für den Bereich der vorgezogenen gesetzlichen Altersrente ausweislich der Gesetzesbegründung beabsichtigt hat, mit dem Wegfall der Hinzuverdienstgrenze einen Beitrag zu leisten, dem bestehenden Arbeitskräfte- und Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Es ist aber keineswegs zwingend, diesen Anreiz auch auf die betriebliche Altersversorgung zu erstrecken. Insoweit fehlen bereits jegliche Feststellungen dazu, dass derartige Anrechnungsmöglichkeiten so verbreitet sind, dass ein nennenswerter Effekt für den Arbeitsmarkt entstünde. Der vom Kläger unterstellte gesetzgeberische Wille hat sich jedenfalls nicht in einer Änderung des Betriebsrentengesetzes niedergeschlagen. Auch der Gesetzesbegründung lässt sich ein solcher Wille des Gesetzgebers nicht entnehmen.
72ee) Schließlich verstößt Ziffer 15 Abs. 2 TV AltV nicht gegen den Gleichheitssatz gemäß Art. 3 Abs. 1 GG, an den auch die Tarifvertragsparteien gebunden sind.
73Jedenfalls bei einer Gesamtversorgungszusage liegt bei Anrechnung von Erwerbseinkommen keine unzulässige Ungleichbehandlung vor, weil sich das Versorgungsziel der Zusage - Fortführung des zuletzt unter Einsatz der Arbeitskraft erzielten Lebensstandards - und das Ziel einer Arbeitstätigkeit im Ruhestand decken (vgl. Blomeyer /Rolfs/Otto, § 5 BetrAVG Rn. 152).
74ff) Die Anrechnung des Erwerbseinkommens ist schließlich nicht gemäß § 242 BGB nach den Grundsätzen von Treu und Glauben ausgeschlossen.
75Zwar hat die Beklagte dem Kläger erlaubt, während der Beurlaubung Erwerbseinkommen zu erzielen. Damit hat sie aber nicht zum Ausdruck gebracht, dass sie nach der Beurlaubung bei der Berechnung der Betriebsrente auf die Anrechnung von Erwerbseinkommen gemäß Ziffer 15 Abs. 2 TV AltV verzichtet. Auch sofern die Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf Veranlassung der Beklagten erfolgt sein sollte, hatte der Kläger keinen Anlass, auf die Nichtanwendbarkeit der Regelung während des Ruhestandes zu vertrauen.
76Sollte der Personalleiter der Beklagten dem Kläger demgegenüber - wie von ihm behauptet - erklärt haben, er könne auch nach der Beurlaubung uneingeschränkt hinzuverdienen, so käme insoweit ein auf die Erstattung des negativen Interesses (Vertrauensschaden) gerichteter Schadenersatzanspruch in Betracht. Hingegen handelte es sich erkennbar nicht um eine einzelvertragliche Zusage, mit der ein tariflich nicht vorgesehener Anspruch begründet werden sollte.
77B.
78I.Der Kläger hat als unterliegende Partei gemäß § 91 Abs. 1 ZPO die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
79II.Die Kammer hat die Revision gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG wegen grundsätzlicher Bedeutung einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage zugelassen.
80Barth | Schmischke | Gesell |