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1. Die Tarifvertragsparteien dürfen mit der Zahlung einer Inflationsausgleichsprämie neben der Abmilderung der gestiegenen Verbraucherpreise die weiteren Ziele verfolgen, die zum Auszahlungszeitpunkt geleistete Arbeit zu vergüten und zukünftige Betriebstreue zu belohnen. Die Verknüpfung mit weiteren Zielen steht der Steuerprivilegierung des § 3 Nr. 11c EStG nicht entgegen, wenn diese dem Zweck der Abmilderung der erhöhten Verkaufspreise nicht zuwiderlaufen. 2. Es liegt kein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG vor, wenn die Tarifvertragsparteien Arbeitnehmer, die sich am Stichtag in der Passivphase der Altersteilzeit befunden haben, von der Zahlung einer derartigen Inflationsausgleichsprämie ausnehmen. 3. Eine Ausnahme für Arbeitnehmer in der Passivphase der Altersteilzeit kann bei einer derartigen Inflationsausgleichsprämie mittelbar benachteiligend wegen des Alters und wegen der Teilzeittätigkeit sein, ist aber durch die Ziele der Vergütung der Arbeit zum Auszahlungszeitpunkt und der Belohnung der zukünftigen Betriebstreue gerechtfertigt.
1.Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Essen vom 23.10.2023 - 6 Ca 1687/23 - wird zurückgewiesen.
2.Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
3.Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
2Die Parteien streiten über eine tarifvertragliche Inflationsausgleichsprämie.
3Der Kläger ist seit dem 16.02.2015 bei der Beklagten bzw. ihren Rechtsvorgängerinnen tätig. Gemäß § 2 seines Arbeitsvertrags vom 26.01.2015 finden auf das Arbeitsverhältnis die jeweils beim Arbeitgeber geltenden Tarifverträge in der jeweils gültigen Fassung Anwendung (vgl. Anlage K2 zum Schriftsatz des Klägers vom 02.02.2024). Auf das Arbeitsverhältnis findet gemäß § 2 des Arbeitsvertrags vom 26.01.2015 der MTV RWE in der Tarifgruppe Integration Anwendung. Die Auszahlung der Gehälter erfolgt am 25. eines Monats.
4Am 22.05.2018/28.05.2018 schloss der Kläger mit einer Rechtsvorgängerin der Beklagten eine Vereinbarung über Altersteilzeit im Blockmodell (vgl. Anlage 1 zur Klageschrift vom 26.07.2023). Vom 01.05.2018 bis zum 30.04.2022 befand sich der Kläger in der Aktivphase. Seit dem 01.05.2022 ist er in der bis zum 30.05.2026 vorgesehenen Passivphase.
5Die Beklagte ist Mitglied des Arbeitgeberverbands Q. Der Q. und der Arbeitgeberverband N. eV verhandelten mit den Gewerkschaften F. und T. ab März 2023 über die Anpassung der Vergütung. Im ersten Verhandlungstermin am 06.03.2023 forderten die Gewerkschaften ua. eine Anhebung der Tabellenvergütung um 13 % bei einer Laufzeit des Tarifvertrags von zwölf Monaten. Die Arbeitgeberseite konnte sich eine Anhebung der Tabellenvergütung ab dem 01.04.2023 um 4,2 % für 15 Monate und ab dem 01.07.2024 um weitere 3 % für weitere neun Monate sowie die Zahlung einer Inflationsausgleichsprämie iHv. 2.000,00 € für 2023 und iHv. 1.000,00 € für 2024 vorstellen.
6Nach zwei ergebnislosen Verhandlungsterminen und Warnstreiks einigten sich die Tarifvertragsparteien am 24.04.2023 insbesondere auf eine Anhebung der Tabellenvergütung ab dem 01.04.2023 um 6 % für 15 Monate und ab dem 01.07.2024 um weitere 4,5 % für sechs Monate sowie die Zahlung einer Inflationsausgleichsprämie. Dazu schlossen sie am 24.04.2023 den Tarifvertrag über eine einmalige Sonderzahlung gemäß § 3 Nr. 11c Einkommensteuergesetz (TV IAP). Der TV IAP sah in § 1 auszugsweise folgende Regelung vor (vgl. Anlage 4 zur Klageschrift vom 26.07.2023):
7"§ 1
8Einmalige Inflationsausgleichsprämie
91)Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer (nachfolgend "Arbeitnehmer") , die am 31.05.2023 (Stichtag) in einem ungekündigten nicht ruhenden Arbeitsverhältnis stehen, erhalten zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitsentgelt eine Einmalzahlung (Inflationsausgleichsprämie). Mit der Einmalzahlung sollen die gestiegenen Verbraucherpreise abgemildert werden.
102)Die Höhe der Einmalzahlung beträgt bei Arbeitnehmern unabhängig von ihrem Beschäftigungsgrad 3.000 € und bei Auszubildenden 2.100 €. Geringfügig Beschäftigte erhalten die Sonderzahlung entsprechend ihrem jeweiligen Beschäftigungsgrad zum 31.05.2023. Arbeitnehmer, die sich zum 31.05.2023 in der Passivphase der Altersteilzeit oder im Vorruhestand befinden, erhalten keine Einmalzahlung.
11Arbeitnehmer, die sich zum 31.05.2023 in Elternzeit befinden, erhalten unabhängig vom Status ihres Beschäftigungsverhältnisses (ruhend/nicht ruhend) und vom jeweiligen Beschäftigungsgrad ebenfalls eine Einmalzahlung in Höhe von 3.000 €.
123)Die Einmalzahlung wird im Monat Juni 2023 ausgezahlt.
1314
Protokollnotiz zu § 1 Abs. 1):
15Die Inflationsausgleichsprämie wird zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitsentgelt gewährt. Es handelt sich um eine Beihilfe bzw. Unterstützung des Arbeitgebers zur Abmilderung der gestiegenen Verbraucherpreise im Sinne des § 3 Nummer 11c des Einkommenssteuergesetzes. Die Abrechnung und Auszahlung der Sonderzahlung richten sich nach den jeweils gültigen steuerlichen und sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen. Soweit Beschäftigte bereits eine Sonderzahlung nach § 3 Nr. 11c des Einkommenssteuergesetzes erhalten haben wird der über den steuerfreien Maximalbetrag von insgesamt 3.000 € hinausgehende Betrag versteuert und verbeitragt ausgezahlt."
16Die Beklagte teilte ihren Tarifmitarbeitern mit Ausnahme derjenigen, die sich in der Passivphase der Altersteilzeit befanden, in einer E-Mail vom 30.05.2023 zu dem Betreff "Anpassung der Tarifvergütungen rückwirkend zum 1. April mit der Abrechnung im Juni" mit (vgl. Anlage 4 zum Schriftsatz des Klägers vom 28.02.2024):
17"Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter,
18nachdem die Vergütungstarifvertragsverhandlungen nun auch formell durch wechselseitige Unterzeichnung der Tarifverträge ihren Abschluss gefunden haben, werden wir die tariflich vorgesehenen Vergütungsanhebungen (wie auch bereits in der letzten Betriebsversammlung mündlich mitgeteilt) mit der nächstmöglichen Entgeltabrechnung, d.h. bereits im Juni, rückwirkend zum 1. April umsetzen. Die Vergütung der Tarifbeschäftigten wird in der ersten Stufe um 6% angehoben, die Auszubildendenvergütung steigt um EUR 180 pro Monat.
19Auch die Inflationsausgleichsprämie wird nach Maßgabe der tariflichen Regelung im Juni zur Auszahlung gebracht. Diese Zahlung erhalten insbesondere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die am 31. Mai diesen Jahres in einem ungekündigten, nicht ruhenden Arbeitsverhältnis standen, sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Elternzeit.
20Die entsprechend angepassten Vergütungstabellen / Vergütungsbänder findet ihr in Kürze im jeweiligen P..
21Viele Grüße
22Euer O."
23Eine Schwestergesellschaft der Beklagten teilte ihren außertariflichen Mitarbeitern, die sich nicht in der Passivphase der Altersteilzeit befanden, in einer E-Mail vom 05.06.2023 auszugsweise mit (vgl. Schriftsatz der Beklagten vom 01.03.2024, S. 6):
24"Darüber hinaus erhalten alle AT-Mitarbeitende, die sich zum 31.05.2023 in einem aktiven Arbeitsverhältnis befanden, unabhängig vom Beschäftigungsgrad, eine einmalige Sonderzahlung in Höhe von 3.000 Euro (Inflationsausgleichsprämie). Dies gilt ebenfalls für AT-Mitarbeitende, die sich zum 31.05.2023 in Elternzeit befanden."
25Die Beklagte zahlte die Inflationsausgleichsprämie mit den Gehältern am 25.06.2023 aus. Den außertariflichen Mitarbeitern gewährte sie eine Inflationsausgleichsprämie iHv. 3.000,00 €, wenn sie die in § 1 Abs. 1 und 2 TV IAP genannten Voraussetzungen erfüllten.
26Herr U., der zuständige Bundestarifsekretär der Gewerkschaft F., hat dem Kläger mit E-Mail vom 28.08.2023 mitgeteilt, dass die Gewerkschaften die Zahlung der Inflationsausgleichsprämie für alle Mitarbeiter gefordert hätten. Diese Forderung hätten die Gewerkschaften nicht durchsetzen können (vgl. Anlage 11 zum Schriftsatz des Klägers vom 29.08.2023).
27Der Kläger hat die Ansicht vertreten, dass der TV IAP die Arbeitnehmer in der Passivphase der Altersteilzeit willkürlich und rechtswidrig von der Inflationsausgleichsprämie ausnehme. Das Arbeitsverhältnis sei in der Passivphase nicht beendet. Es bestünden vielfach noch enge Kontakte zu den aktiv arbeitenden Kollegen und ein fachlicher Austausch mit ihnen. Die Arbeitnehmer in der Passivphase würden zu Abteilungsfeiern und Bereichstreffen eingeladen. Die Arbeitnehmer in der Passivphase der Altersteilzeit seien von den allgemeinen Preissteigerungen nicht weniger stark betroffen, weil sie keine vergünstigten Mahlzeiten in der Kantine erhielten, keinen Zugriff auf kostenlose Getränke im Betrieb hätten und kein vergünstigtes Jobticket bekämen. Durch den längeren Aufenthalt zu Hause verbrauchten sie mehr Strom, Gas, Wasser und Toilettenpapier. Der Stichtag des 31.05.2023 sei mit dem in § 1 Abs. 1 Satz 2 TV IAP genannten Zweck nicht vereinbar. Die Inflationsrate habe sich bereits ab der zweiten Jahreshälfte 2021 deutlich erhöht. Allein aufgrund des späteren Beginns der Tarifverhandlungen seien die Preissteigerungen erst im Juni 2023 abgemildert worden. Die tariflichen Arbeitnehmer in der Passivphase würden gegenüber den außertariflichen Arbeitnehmern in der Passivphase ungerechtfertigt benachteiligt. Sie hätten einen Anspruch auf die Inflationsausgleichsprämie aufgrund des allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes. Ihnen gegenüber könne sich die Beklagte nicht auf die Tarifautonomie berufen. Die Ausschlussregelung des § 1 Abs. 2 Satz 3 TV IAP sei wegen Verstoßes gegen § 7 Abs. 1 AGG unwirksam. Durch die Bestimmung würden Beschäftigte wegen ihres Alters ohne sachliche Rechtfertigung mittelbar benachteiligt.
28Der Kläger hat beantragt,
29die Beklagte zu verurteilen, an ihn die einmalige Inflationsausgleichsprämie iHv. 3.000,00 € gemäß § 3 Nr. 11c EStG gemäß § 1 Abs. 2 des Tarifvertrags über eine einmalige Sonderzahlung gemäß § 3 Nr. 11c Einkommensteuergesetz vom 24.04.2023 nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 26.06.2023, hilfsweise seit dem 26.07.2023 zu zahlen.
30Die Beklagte hat beantragt,
31die Klage abzuweisen.
32Sie hat die Auffassung vertreten, dass § 1 Abs. 2 Satz 3 TV IAP Arbeitnehmer in der Passivphase der Altersteilzeit klar und eindeutig von der Inflationsausgleichsprämie ausschließe. Diese Regelung sei rechtmäßig. Der Kläger habe in der Passivphase nur einen Anspruch auf Auszahlung des in der Aktivphase angesparten Wertguthabens. Die Tarifvertragsparteien hätten die Inflationsausgleichsprämie genutzt, um entsprechend dem Gesetzeszweck höhere Zuwächse bei Tarifabschlüssen zu vermeiden und eine Lohn-Preis-Spirale zu verhindern. Es sei zulässig, die Arbeitnehmer in der Passivphase der Altersteilzeit von einem Teil des für den Tarifabschluss zur Verfügung stehenden Budgets auszunehmen. Die Arbeitnehmer hätten keine Perspektive auf eine weitere Beschäftigung, da das Ende ihres Arbeitsverhältnisses fest vereinbart sei. Mit Arbeitnehmern in regulärer Teilzeit oder in der Aktivphase der Altersteilzeit seien Arbeitnehmer in der Passivphase der Altersteilzeit nicht vergleichbar, weil sie nicht mehr betriebszugehörig seien und ihren Bezug zu ihrem Arbeitsplatz aufgegeben hätten. Mit außertariflichen Beschäftigten seien die tariflichen Arbeitnehmern nicht vergleichbar, weil sie anderen Vergütungsregelungen und Beschäftigungsbedingungen unterliegen würden.
33Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 23.10.2023 abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch aus § 1 TV IAP. Nach dem eindeutigen Wortlaut der Regelung sei ein Anspruch ausgeschlossen. Zweifel am Regelungswillen der Parteien bestünden nicht. Vielmehr habe der zuständige Tarifsekretär der Gewerkschaft F. dem Kläger mitgeteilt, dass die Forderung der Gewerkschaft, die Inflationsausgleichsprämie an alle Arbeitnehmer zu zahlen, nicht durchsetzbar gewesen sei.
34Der Kläger könne seinen Anspruch nicht darauf stützen, dass die Ausnahmeregelung wegen eines Verstoßes gegen den Gleichheitssatz unwirksam sei. Die Einschätzungsprärogative der Tarifvertragsparteien sei erst überschritten, wenn das Willkürverbot als äußerste Grenze der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie verletzt sei. Eine Dokumentationspflicht im Hinblick auf Differenzierungsgründe bestehe nicht. Die Berechtigung zur Herausnahme der Arbeitnehmer in der Passivphase der Altersteilzeit ergebe sich aus der Struktur der Altersteilzeit im Blockmodell. In diesem Modell erbrächten die Arbeitnehmer die entgeltpflichtigen Leistungen bereits in der Aktivphase. Es sei nicht zu beanstanden, wenn nur das erarbeitete Wertguthaben später zur Auszahlung gelange. Darin liege keine ungerechtfertigte Benachteiligung der Teilzeitarbeitnehmer iSv. § 4 TzBfG. Auch unter Berücksichtigung des Leistungszwecks sei der Kläger nicht rechtswidrig benachteiligt. Die Tarifvertragsparteien dürften davon ausgehen, dass Arbeitnehmer, die keine Arbeitsleistung mehr zu erbringen hätten, insgesamt geringer als aktive Arbeitnehmer belastet seien. Aktive Arbeitnehmer müssten bei typisierender Betrachtung regelmäßig zum Arbeitsplatz anreisen, sich auswärtig verpflegen, hätten in höherem Maße Aufwendungen für unterhaltspflichtige Kinder und müssten in erheblichem Maße Rücklagen für ihre Altersversorgung bilden. Eine abweichende Behandlung gegenüber außertariflichen Arbeitnehmern sei nicht erkennbar, weil die Beschäftigungsgruppen unterschiedlichen Regelungsregimen unterlägen. Der engere Entscheidungsspielraum des Arbeitgebers bei der Leistungserbringung beruhe auf der Koalitionsfreiheit. Es sei darüber hinaus nicht ersichtlich, dass die außertariflichen Arbeitnehmer in der Passivphase eine Inflationsausgleichsprämie erhalten hätten. Die Wahl des Stichtags 31.05.2023 orientiere sich am gegebenen Sachverhalt, weil der Stichtag der Monatsletzte vor dem Fälligkeitstermin der Leistung sei, an dem die Voraussetzungen festgestellt werden könnten. Dass es dabei zu Härten kommen könne, sei einer abstrakt-generellen Regelung inhärent. Die Regelung in § 1 Abs. 2 Satz 3 TV IAP sei nicht gemäß § 7 Abs. 2 AGG unwirksam. Der Kläger sei durch den Anspruchsausschluss weder mittelbar noch unmittelbar benachteiligt. Der Anspruchsausschluss resultiere allein daraus, dass der Kläger die Altersteilzeit im Blockmodell ableiste und vor dem vorgesehenen Stichtag in die Freistellungsphase gewechselt sei.
35Gegen das ihm am 30.10.2023 zugestellte Urteil hat der Kläger am 27.11.2023 Berufung eingelegt und diese am 22.12.2023 begründet.
36Er ist der Auffassung, dass ihm ein Anspruch auf die Inflationsausgleichsprämie zustehe, weil die bestehende Ungleichbehandlung nur durch eine Anpassung nach oben beseitigt werden könne. Der Ausschluss des § 1 Abs. 2 Satz 3 TV IAP sei wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG unwirksam sei. Es gebe keinen sachlichen Grund für eine Andersbehandlung gegenüber Arbeitnehmern, die sich nicht in der Passivphase der Altersteilzeit befunden hätten. Die Struktur der Altersteilzeit im Blockmodell führe nicht zu einer sachlichen Rechtfertigung. Die Inflationsausgleichsprämie des TV IAP sei nicht arbeitsleistungsbezogen, weil § 1 TV IAP nicht nach dem Umfang der Arbeitsleistung differenziere und die Protokollnotiz zu § 1 Abs. 1 TV IAP die Abmilderung der gestiegenen Verbraucherpreise als Zweck nenne. Auch Arbeitnehmer in Elternzeit oder in einem sogenannten Sabbatical erhielten die Prämie in voller Höhe. Ein Zuschuss iSv. § 3 Nr. 11c EStG dürfe keinen arbeitsleistungsbezogenen Vergütungszweck haben. Das ergebe sich aus der Antwort auf Frage 14 in den FAQ des Bundesfinanzministeriums zur Inflationsausgleichsprämie nach § 3 Nummer 11c Einkommensteuergesetz vom 24.05.2023. Zumindest dürfe der vorgesehene Sozialzweck nicht durch einen konträren Leistungszweck zweckentfremdet werden. Der Arbeitnehmer, der sich für Altersteilzeit im Blockmodell entschieden habe, sei nicht anders zu behandeln als der Arbeitnehmer, der das kontinuierliche Teilzeitmodell gewählt habe, da beide Arbeitnehmer denselben Umfang an Arbeitsleistung erbrächten.
37Es sei nicht zu rechtfertigen, die Arbeitnehmer in der Passivphase der Altersteilzeit von einer Tariferhöhung auszunehmen. Die Bundesregierung habe die Regelung des § 3 Nr. 11c EStG geschaffen, um die Inflationsausgleichsprämie als Alternative zu den zu erwartenden sehr hohen Tarifanpassungen attraktiv zu gestalten und damit die sogenannte Lohn-Preis-Spirale abzumildern. Würde nunmehr erstmals bei der Vergütung zwischen aktiven und nicht mehr aktiven Arbeitnehmern unterschieden, würden Arbeitnehmer vor der Vereinbarung einer Altersteilzeit im Blockmodell zurückschrecken.
38Passiv Altersteilzeitbeschäftigte hätten ihren Finanzierungsbedarf genau kalkuliert und seien von einer ungewöhnlichen Inflation besonders hart getroffen. Die Arbeitnehmer in der Passivphase der Altersteilzeit seien nicht weniger belastet als aktiv tätige Arbeitnehmer. Durch regelmäßig längere Aufenthalte zu Hause seien sie stärker von höheren Heiz-, Strom- und Wasserkosten betroffen. Sie profitierten nicht von einer subventionierten Betriebsverpflegung und einem Jobticket. Eine Differenzierung wegen unterhaltspflichtiger Kinder oder der Bildung von Rücklagen für die Altersversorgung sei dem Tarifvertrag nicht zu entnehmen. Da die Altersteilzeit gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 AltersteilzeitG ab der Vollendung des 55. Lebensjahrs in Anspruch genommen werden könne, sei nicht erkennbar, dass tatsächlich in geringerem Maße Aufwendungen anfielen.
39Die Stichtagsregelung entspreche nicht dem Zweck der Inflationsausgleichsprämie, weil § 3 Nr. 11c EStG eine Abfederung der Belastungen bis zum 31.12.2024 erlaube. Der gewählte Stichtag schließe auch Arbeitnehmer aus, die sich erst seit dem 01.05.2023 in der Passivphase der Altersteilzeit befunden und seit Ende 2021 die gestiegenen Verbraucherpreise gespürt hätten. Dagegen erhielten Arbeitnehmer die Inflationsausgleichsprämie, die zum 01.06.2023 in die Passivphase der Altersteilzeit gewechselt seien.
40Außerdem sei die Ausschlussregelung hilfsweise wegen eines Verstoßes gegen § 7 Abs. 2 AGG unwirksam. Eine mittelbare Benachteiligung bestehe gegenüber Arbeitnehmern, die sich in der Aktivphase des Blockmodells der Altersteilzeit befunden hätten. Sie seien regelmäßig jünger, da bei ihnen die sich an die Aktivphase anschließende Passivphase noch nicht begonnen habe.
41Schließlich sei § 1 Abs. 2 Satz 3 TV IAP äußerst hilfsweise wegen eines Verstoßes gegen § 4 Abs. 1 TzBfG unwirksam, weil der Kläger die Inflationsausgleichsprämie nicht einmal im Umfang des Anteils seiner durchschnittlichen Arbeitszeit an der regelmäßigen Arbeitszeit vergleichbarer Vollzeitbeschäftigter erhalte. Eine sachliche Rechtfertigung ergebe sich nicht aus dem Leistungszweck des Tarifvertrags. Die Arbeitszeit habe sich in der Passivphase nicht auf Null reduziert, weil es sich bei der Altersteilzeit im Blockmodell in beiden Phasen um Teilzeit iSd. TzBfG handele.
42Ihm stehe äußerst hilfsweise ein Anspruch zu, weil die Beklagte ihn gegenüber den außertariflichen Arbeitnehmern ohne Sachgrund schlechter stelle. Auf die Tarifautonomie könne sich die Beklagte zur Rechtfertigung der Unterscheidung nicht berufen. Im ersten Schritt erfolge eine Schlechterstellung gegenüber den aktiv tätigen außertariflichen Arbeitnehmern, da die Beklagte die Altersteilzeitbeschäftigten in der Passivphase von der Prämie ausgeschlossen habe. Die aktiv tätigen Arbeitnehmer seien geringer belastet, weil sie wirtschaftlich leistungsstärker seien. Im zweiten Schritt sei er äußerst hilfsweise auch gegenüber den außertariflichen Arbeitnehmern in der Passivphase der Altersteilzeit schlechter gestellt, weil diese Arbeitnehmer wegen des Verstoßes gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz einen Anspruch auf die Inflationsausgleichsprämie hätten.
43Äußerst hilfsweise stützt der Kläger seinen Anspruch auf eine Gesamtzusage der Beklagten in der E-Mail vom 30.05.2023. Er behauptet, dass die Beklagte die E-Mail auch an die außertariflich Beschäftigten versendet habe, die sich nicht in der Freistellungsphase der Altersteilzeit befunden hätten. Er ist der Ansicht, dass die Beklagte mit der E-Mail die Auszahlung der Inflationsausgleichsprämie auch ihm zugesagt habe, da er sich zum 31.05.2023 in einem ungekündigten, nicht ruhenden Arbeitsverhältnis befunden habe. Sein Arbeitsverhältnis habe am 31.05.2023 nicht geruht, weil die Beklagte weiterhin zur Zahlung der Vergütung verpflichtet gewesen sei.
44Der Kläger beantragt,
45das Urteil des Arbeitsgerichts Essen vom 23.10.2023 - 6 Ca 1687/23 - abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an ihn 3.000,00 € netto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.07.2023 zu zahlen.
46Die Beklagte beantragt,
47die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
48Sie ist der Ansicht, dass § 1 Abs. 2 Satz 3 TV IAP wirksam sei. Der Ausschluss verstoße nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Die Tarifvertragsparteien hätten wegen der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie einen weiten Gestaltungsspielraum. Die Tarifvertragsparteien dürften mit der Inflationsausgleichsprämie weitere Zwecke verfolgen. Die Inflationsausgleichsprämie im TV IAP sei keine reine Gratifikation, sondern arbeitsleistungsbezogenes Entgelt. Diese Gestaltung sei nach der Gesetzgebungsgeschichte und der Ausgestaltung des § 3 Nr. 11c EStG zulässig. Die Tarifvertragsparteien seien zu der Herausnahme der Arbeitnehmer in der Passivphase der Altersteilzeit aufgrund der Struktur der Altersteilzeit im Blockmodell berechtigt. Im Vergleich mit anderen Teilzeitarbeitnehmern handele es sich nicht um wesentlich gleiche Gruppen. Auf die zutreffenden Erwägungen des Arbeitsgerichts Essen, dass die aktiven Arbeitnehmer durch die gestiegenen Verbraucherpreise stärker als die Arbeitnehmer in der Passivphase der Altersteilzeit sind, komme es daneben nicht an. Der Stichtag des 31.05.2023 sei bei einer Leistungsgewährung im Folgemonat sachgerecht und üblich.
49§ 1 Abs. 2 Satz 3 TV IAP sei nicht wegen eines Verstoßes gegen § 7 Abs. 2 AGG unwirksam. Weder eine unmittelbare noch eine mittelbare Ungleichbehandlung liege vor. Hätte sich der Kläger für durchgehende Altersteilzeit statt für Altersteilzeit im Blockmodell entschieden, stünde ihm der Anspruch in voller Höhe zu. Eine Ungleichbehandlung wegen der Teilzeitarbeit iSv. § 4 Abs. 1 Satz 1 TzBfG liege nicht vor, weil die Unterscheidung nicht an der Dauer, sondern an der Lage der Arbeitszeit anknüpfe.
50Der Kläger sei mit den außertariflichen Mitarbeitern in der Aktivphase der Altersteilzeit nicht vergleichbar. Er werde gegenüber außertariflich beschäftigten Arbeitnehmern nicht anders behandelt, weil die sich am 31.05.2023 in der Passivphase der Altersteilzeit befundenen Arbeitnehmer ebenfalls keine Inflationsausgleichsprämie erhalten hätten. Der Ausschluss dieser Arbeitnehmer sei ebenso wie bei den Tarifmitarbeitern zulässig.
51Aus der E-Mail vom 30.05.2023 ergebe sich keine Gesamtzusage. Sie, die Beklagte, habe die anspruchsberechtigten Tarifmitarbeiter rein informatorisch über die Anpassung der Tarifvergütung und die Zahlung der Inflationsausgleichsprämie in Kenntnis gesetzt. Da sie die E-Mail nicht an die Mitarbeiter in der Passivphase der Altersteilzeit gerichtet habe, ergebe sich jedenfalls für diese Arbeitnehmergruppe kein Anspruch.
52Das Arbeitsgericht Dortmund hat die Schwestergesellschaft der Beklagten, die die E-Mail vom 05.06.2023 versandt hatte, mit Urteil vom 23.02.2024 - 3 Ca 3793/23 - dazu verurteilt, eine Inflationsausgleichsprämie an einen außertariflichen Mitarbeiter in der Passivphase der Altersteilzeit zu zahlen, weil er einen Anspruch aus der Gesamtzusage vom 05.06.2023 habe. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.
53Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsprotokolle in beiden Instanzen Bezug genommen.
54Entscheidungsgründe:
55Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Seine Klage ist zulässig, aber unbegründet.
56A. Der Klageantrag ist zulässig. Er ist als bezifferte Nettozahlungsklage (vgl. BAG 31.05.2023 - 5 AZR 273/22 - Rn. 10) insbesondere hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.
57I. Eine alternative Klagehäufung, bei der der Kläger ein einheitliches Klagebegehren aus mehreren prozessualen Ansprüchen (Streitgegenständen) herleitet und dem Gericht die Auswahl überlässt, auf welchen Klagegrund es die Verurteilung stützt, verstößt gegen das Gebot des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, den Klagegrund bestimmt zu bezeichnen. Deshalb muss eine Rangfolge gebildet werden (BAG 21.12.2022 - 7 AZR 489/21 - Rn. 53; 30.03.2022 - 10 AZR 419/19 - Rn. 23).
58II. Dieser Anforderung genügt der Klageantrag. Der Kläger hat erklärt, dass er seinen Zahlungsantrag vorrangig auf einen Anspruch aus § 1 Abs. 1 Satz 1 TV IAP stütze, weil § 1 Abs. 2 Satz 3 TV IAP unwirksam sei. Die Unwirksamkeit begründet er in erster Linie mit einem Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz, zweitens mit einem Verstoß gegen § 7 Abs. 1 AGG und drittens mit einem Verstoß gegen § 4 Abs. 1 Satz 1 TzBfG. Hilfsweise macht er einen Anspruch aus dem allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz wegen einer Ungleichbehandlung gegenüber außertariflichen Arbeitnehmern in der Aktivphase der Altersteilzeit, äußerst hilfsweise wegen einer Ungleichbehandlung gegenüber außertariflichen Arbeitnehmern in der Passivphase der Altersteilzeit geltend. Nachrangig zu diesen Ansprüchen beruft er sich auf eine Gesamtzusage aus der E-Mail vom 30.05.2023.
59B. Der Kläger kann einen Anspruch aus § 1 Abs. 1 Satz 1 TV IAP nicht mit der Begründung ableiten, dass § 1 Abs. 2 Satz 3 TV IAP wegen eines Verstoßes gegen den allgemeinen Gleichheitssatz unwirksam ist.
60I. § 1 Abs. 1 Satz 1 TV IAP gilt zwischen den Parteien aufgrund der Inbezugnahmeklausel in § 2 des Arbeitsvertrags vom 26.01.2015. Demnach finden auf das Arbeitsverhältnis die jeweils beim Arbeitgeber geltenden Tarifverträge Anwendung. Der TV IAP gilt bei der Beklagten. Die Beklagte ist als Mitglied des tarifabschließenden AVEW gemäß § 3 Abs. 1 TVG unmittelbar an den TV IAP gebunden.
61II. Der Kläger ist von der Ausnahme des § 1 Abs. 2 Satz 3 TV IAP erfasst. Demnach erhalten Arbeitnehmer, die sich zum 31.05.2023 in der Passivphase der Altersteilzeit befinden, die Inflationsausgleichsprämie nicht. Der Wortlaut des § 1 Abs. 2 Satz 3 TV IAP ist insoweit eindeutig. Herr C. hat dem Kläger in seiner E-Mail vom 28.08.2023 bestätigt, dass auch aus Sicht der Gewerkschaft F. am Ende einige Mitarbeitergruppen von der Inflationsausgleichsprämie ausgenommen worden seien. Der Kläger befindet sich seit dem 01.05.2022 in der Passivphase der Altersteilzeit.
62III. Die Ausnahmeregelung verstößt nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz. Es war den Tarifvertragsparteien aus Gleichheitsgründen nicht verwehrt, die Altersteilzeitarbeitnehmer im Blockmodell in der Freistellungsphase von der Zahlung der Inflationsausgleichsprämie auszunehmen.
631. Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, dass Tarifvertragsparteien wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich behandeln.
64a) Die Tarifvertragsparteien sind nicht unmittelbar an Grundrechte gebunden, wenn sie tarifliche Normen setzen. Die Tarifautonomie ist darauf angelegt, die strukturelle Unterlegenheit der einzelnen Arbeitnehmer beim Abschluss von Arbeitsverträgen durch kollektives Handeln auszugleichen und damit ein annähernd gleichgewichtiges Aushandeln der Vergütungen und Arbeitsbedingungen zu ermöglichen. Mit der Normsetzung auf Grundlage der von Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie üben die Tarifvertragsparteien daher keine delegierte Staatsgewalt aus. Sie nehmen vielmehr privatautonom ihre Grundrechte wahr, wobei ihre Normsetzung durch den in § 4 Abs. 1 TVG enthaltenen staatlichen Geltungsbefehl tariflicher Rechtsnormen getragen wird. Mit der kollektiv ausgeübten privatautonomen Ausgestaltung der Arbeitsbedingungen durch Tarifverträge ist eine unmittelbare Grundrechtsbindung der Tarifvertragsparteien nicht zu vereinbaren. Sie führte zu einer umfassenden Überprüfung tarifvertraglicher Regelungen am Maßstab der Verhältnismäßigkeit und damit zu einer "Tarifzensur" durch die Arbeitsgerichte (BAG 15.11.2023 - 10 AZR 473/21 - Rn. 17; 23.08.2023 - 10 AZR 384/20 - Rn. 17).
65b) Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG bildet aber als fundamentale Gerechtigkeitsnorm eine ungeschriebene Grenze der Tarifautonomie. Der Schutzauftrag der Verfassung verpflichtet die Arbeitsgerichte dazu, gleichheitswidrige Differenzierungen in Tarifnormen zu unterbinden. Dementsprechend ist Tarifregelungen die Durchsetzung zu verweigern, die zu gleichheitswidrigen Differenzierungen führen. Diese Grenze ist zu beachten, obwohl Tarifnormen nicht selten Ergebnisse tarifpolitischer Kompromisse sind ("Gesamtpaket"), und kann damit zur Beschränkung der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Rechte der Tarifvertragsparteien führen (BAG 15.11.2023 - 10 AZR 473/21 - Rn. 18; 23.08.2023 - 10 AZR 384/20 - Rn. 18).
66c) Bei der Erfüllung ihres verfassungsrechtlichen Schutzauftrags haben die Gerichte allerdings zu beachten, dass den Tarifvertragsparteien als selbständigen Grundrechtsträgern bei ihrer Normsetzung aufgrund der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie ein weiter Gestaltungsspielraum zusteht.
67aa) Sie bestimmen in diesem Rahmen nicht nur den Zweck einer tariflichen Leistung. Ihnen kommt auch eine Einschätzungsprärogative zu, soweit die tatsächlichen Gegebenheiten, die betroffenen Interessen und die Regelungsfolgen zu beurteilen sind. Darüber hinaus verfügen die Tarifvertragsparteien über einen Beurteilungs- und Ermessensspielraum hinsichtlich der inhaltlichen Gestaltung der Regelungen. Die Gerichte dürfen nicht eigene Gerechtigkeitsvorstellungen an die Stelle von Bewertungen der zuständigen Koalitionen setzen. Die Tarifvertragsparteien sind nicht verpflichtet, die jeweils zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung zu wählen. Es genügt, wenn für die getroffene Regelung ein sachlich vertretbarer Grund besteht (BAG 15.11.2023 - 10 AZR 473/21 - Rn. 19; 23.08.2023 - 10 AZR 384/20 - Rn. 19).
68bb) Dies bedingt im Ergebnis eine deutlich zurückgenommene Prüfungsdichte durch die Gerichte. Ein Verstoß gegen das allgemeine Gleichheitsgrundrecht ist erst dann anzunehmen, wenn die Tarifvertragsparteien es versäumt haben, tatsächliche Gemeinsamkeiten oder Unterschiede der zu ordnenden Lebensverhältnisse zu berücksichtigen, die so bedeutsam sind, dass sie bei einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise hätten beachtet werden müssen. Bei der Gruppenbildung dürfen sie generalisieren und typisieren. Allerdings müssen die Differenzierungsmerkmale im Normzweck angelegt sein und dürfen ihm nicht widersprechen. Auf abstrakt denkbare Zwecke kommt es dabei nicht an, sondern auf solche, die den Tarifnormen im Weg der Auslegung zu entnehmen sind. Diese können sich insbesondere aus den in der Regelung selbst normierten Voraussetzungen sowie den Ausschluss- und Kürzungstatbeständen ergeben, die die Tarifvertragsparteien unter Beachtung ihres Gestaltungsspielraums festgelegt haben. Das gilt unabhängig davon, ob es sich um Verbandstarifverträge, unternehmensbezogene Verbandstarifverträge oder Tarifverträge mit einzelnen Arbeitgebern handelt (BAG 15.11.2023 - 10 AZR 473/21 - Rn. 20; 23.08.2023 - 10 AZR 384/20 - Rn. 20).
692. Gemessen an diesen Grundsätzen ist die Regelung in § 1 Abs. 2 Satz 3 TV IAP mit den Vorgaben des Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar. Altersteilzeitarbeitnehmer im Blockmodell werden von der Inflationsausgleichsprämie ausgeschlossen, wenn sie sich am 31.05.2023 in der Freistellungsphase befunden haben. Diese Ungleichbehandlung knüpft aber nicht an wesentlich gleiche Sachverhalte an, sondern an die bei der Altersteilzeit im Blockmodell bestehenden Besonderheiten (vgl. ArbG Dortmund 02.02.2024 - 3 Ca 124/24 - zu I 2 b aa (2) (a); ArbG Essen 23.01.2024 - 3 Ca 1799/23 - zu A III 3 der Gründe; ArbG Mainz 14.12.2023 - 7 Ca 499/23 -).
70a) Im Gegensatz zu Arbeitnehmern, die kontinuierlich ihre Arbeitsleistung erbringen, tritt der Arbeitnehmer im Blockmodell der Altersteilzeit während der Arbeitsphase mit seiner vollen Arbeitsleistung im Hinblick auf die sich anschließende Freistellungsphase in Vorleistung. Er erarbeitet hierdurch Entgelte, die nicht im Monat der Arbeitsphase ausgezahlt, sondern für die spätere Freistellungsphase zeitversetzt angespart werden. Der Arbeitnehmer erarbeitet sich damit im Umfang seiner Vorleistungen zum einen Ansprüche auf die spätere Zahlung der Bezüge und zum anderen einen entsprechenden Anspruch auf Freistellung von der Pflicht zur Arbeitsleistung (BAG 25.07.2023 - 9 AZR 332/22 - Rn. 35; 18.09.2018 - 9 AZR 199/18 - Rn. 23). Er baut ein Wertguthaben für die Zeit der Freistellungsphase auf (BAG 25.07.2023 - 9 AZR 332/22 - Rn. 36; 03.12.2019 - 9 AZR 33/19 - Rn. 20). Das während der Freistellungsphase ausgezahlte Entgelt ist daher Gegenleistung für die bereits während der Arbeitsphase geleistete, über die verringerte Arbeitszeit hinausgehende Arbeit (BAG 25.07.2023 - 9 AZR 332/22 - Rn. 37; 03.12.2019 - 9 AZR 33/19 - Rn. 19).
71b) Kommt es in der Freistellungsphase zu Lohnerhöhungen, einem Einfrieren oder einer Kürzung von Zuwendungszahlungen, ist (mindestens) das auszuzahlen, was der Altersteilzeitarbeitnehmer erarbeitet hat (BAG 18.09.2018 - 9 AZR 199/18 - Rn. 23; 19.01.2016 - 9 AZR 564/14 - Rn. 27). Es ist nicht zu beanstanden, wenn in der Freistellungsphase nach der tariflichen Regelung lediglich das vom Altersteilzeitarbeitnehmer angesparte Entgeltguthaben zur Auszahlung gelangt, also die Vergütung dem tariflich festgelegten Gegenwert für die Arbeitsleistung entspricht, den sie im Zeitpunkt ihrer Erbringung hatte, und die Tarifvertragsparteien von einer für den Altersteilzeitarbeitnehmer günstigeren Regelung absehen. Die Grenzen der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie sind in diesem Fall nicht überschritten (BAG 19.01.2016 - 9 AZR 564/14 - Rn. 28). Es bleibt dabei den Tarifvertragsparteien oder den Parteien eines Individualarbeitsvertrags unbenommen, für den Arbeitnehmer günstigere Regelungen zu treffen. Sie können zusätzlich zum Wertguthaben Leistungen vorsehen, die unabhängig von einer bestimmten Arbeitsleistung gewährt werden (BAG 25.07.2023 - 9 AZR 332/22 - Rn. 19; 28.03.2023 - 9 AZR 106/22 - Rn. 16).
72c) Mit dem Tarifabschluss am 24.04.2023 haben die Tarifvertragsparteien für die Altersteilzeitarbeitnehmer im Blockmodell eine günstigere Regelung getroffen, ohne sie an Arbeitnehmer, die kontinuierlich ihre Arbeitsleistung erbringen, völlig anzugleichen. Sie haben insoweit eine günstigere Regelung geschaffen, als sie es nicht bei einem Anspruch auf das Wertguthaben belassen haben, sondern die prozentuale Anhebung der Tabellenvergütung auch an die Arbeitnehmer in der Passivphase der Altersteilzeit weitergereicht haben. Dagegen haben sie im Hinblick auf die Inflationsausgleichsprämie von einer Angleichung abgesehen. Entgegen der Auffassung des Klägers ist in § 1 Abs. 1 und 2 TV IAP angelegt, dass die Inflationsausgleichsprämie auch arbeitsleistungsbezogen ist (aA ArbG Dortmund 02.11.2023 - 6 Ca 2854/23 - zu 2 b bb der Gründe).
73aa) Ausweislich der ausdrücklichen Bestimmung in § 1 Abs. 1 Satz 2 TV IAP und Satz 2 der Protokollnotiz zu § 1 Abs. 1 TV IAP ist die Abmilderung der gestiegenen Verbraucherpreise ein Ziel der Inflationsausgleichsprämie. Aus den weiteren Voraussetzungen für die Gewährung ergibt sich, dass die Tarifvertragsparteien auch die Arbeitsleistung vergüten wollten. Indem sie für die Zahlung in § 1 Abs. 1 Satz 1 TV IAP ein am 31.05.2023 nicht ruhendes Arbeitsverhältnis verlangen, möchten sie geleistete Arbeit zu diesem Stichtag vergüten. Nicht mehr tätige Arbeitnehmer in der Passivphase der Altersteilzeit und im Vorruhestand haben sie in § 1 Abs. 2 Satz 3 TV IAP ausdrücklich ausgenommen. Für diesen weiteren Leistungszweck spricht auch das Zustandekommen des TV IAP. Die Inflationsausgleichsprämie war Teil des Tarifabschlusses, bei dem die Gewerkschaften eine höhere Vergütung durchgesetzt haben. Auch der Kläger ist überzeugt, dass die prozentualen Anpassungen der Tabellenvergütung ohne die Inflationsausgleichsprämie höher ausgefallen wären (vgl. Klageschrift vom 26.07.2023, S. 8; Berufungsbegründung vom 22.12.2023, S. 14).
74bb) Es ist nicht erforderlich, dass die Tarifvertragsparteien dieses weitere Ziel ausdrücklich genannt haben. Maßgeblich ist, dass der Zweck der Leistung den Tarifnormen im Weg der Auslegung zu entnehmen ist (vgl. BAG 23.08.2023 - 10 AZR 108/21 - Rn. 24; 23.08.2023 - 10 AZR 384/20 - Rn. 20). Wie aufgezeigt ergibt sich aus den in § 1 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 geregelten Voraussetzungen und Ausnahmen, dass die Tarifvertragsparteien neben der Abmilderung der gestiegenen Verbraucherpreise die Arbeitsleistung vergüten wollten.
75cc) Entgegen der Auffassung des Klägers steht einer arbeitsleistungsbezogenen Zulage nicht entgegen, dass § 1 Abs. 2 Satz 1 TV IAP unabhängig vom Beschäftigungsgrad eine Zahlung iHv. 3.000,00 € vorsieht. Auch arbeitsleistungsbezogene Zulagen muss der Arbeitgeber nicht pro rata temporis gewähren. § 4 Abs. 1 Satz 2 TzBfG sieht in dieser Hinsicht lediglich einen Mindestumfang vor, wenn er regelt, dass der Arbeitgeber einem teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer Arbeitsentgelt oder eine andere teilbare geldwerte Leistung "mindestens" in dem Umfang zu gewähren hat, der dem Anteil seiner Arbeitszeit an der Arbeitszeit eines vergleichbaren vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers entspricht.
76dd) Der Leistungsbezogenheit der Inflationsausgleichsprämie steht nicht entgegen, dass die Prämie an Arbeitnehmer in Elternzeit und ggf. auch an Arbeitnehmer in einem Sabbatical auszuzahlen ist. Soweit die Tarifvertragsparteien in § 1 Abs. 2 Satz 4 TV IAP eine Rückausnahme für Arbeitnehmer in Elternzeit vorgesehen haben, besteht kein Zusammenhang zu dem Ziel, die erbrachte Arbeit zu vergüten. Vielmehr verfolgten die Tarifvertragsparteien mit der Rückausnahme das weitere Ziel, zukünftige Betriebstreue zu belohnen. Arbeitnehmer in Elternzeit erhalten die Zahlung, weil sie nach dem absehbaren Ende der Elternzeit ihre Tätigkeit im Betrieb wieder aufnehmen.
77(1) Dass die Belohnung zukünftiger Betriebstreue ein weiteres Ziel ist, ergibt sich auch daraus, dass die Tarifvertragsparteien in § 1 Abs. 1 Satz 1 TV IAP ein am Stichtag ungekündigtes Arbeitsverhältnis verlangen. Wer in Zukunft nicht mehr für die Beklagte arbeitet, soll die Leistung nicht zwingend erhalten. Ebenso sind Arbeitnehmer in der Passivphase der Altersteilzeit und im Vorruhestand in § 1 Abs. 2 Satz 3 TV IAP ausgenommen, weil bei ihnen die Beendigung des Arbeitsverhältnisses absehbar ist.
78(2) Diesem zusätzlichen Leistungszweck steht nicht entgegen, dass Arbeitnehmer die Inflationsausgleichsprämie erhalten, wenn sie zum 01.06.2023 aufgrund des regulären Renteneintritts oder einer Befristung des Arbeitsverhältnisses ausscheiden. Selbst wenn die Tarifvertragsparteien in Bezug auf diese Gruppen die Belohnung der zukünftigen Betriebstreue nicht konsequent verfolgen, beruhen die oben genannten Voraussetzungen und Ausnahmen auf dieser zusätzlichen Zwecksetzung. Der Kläger kann einen Anspruch nicht darauf stützen, dass die Tarifvertragsparteien von befristet eingestellten Arbeitnehmern keine zukünftige Betriebstreue verlangen und sie damit anders als gekündigte Arbeitnehmer behandeln. Anders als beide Gruppen hat er am Stichtag nicht gearbeitet.
79ee) Den Zielen der Vergütung der Arbeitsleistung und der zukünftigen Betriebstreue steht nicht entgegen, dass bei Verfolgung dieser Ziele kein Fall des § 3 Nr. 11c EStG vorliegt.
80(1) Aus der Systematik des Tarifvertrags ergibt sich, dass den Tarifvertragsparteien die Verfolgung der zusätzlichen Ziele wichtiger war als die Privilegierung des § 3 Nr. 11c EStG zu erhalten (vgl. für eine Gesamtzusage ArbG Stuttgart 14.11.2023 - 3 Ca 2713/23 - zu I 3 b aa (3) der Gründe; aA ArbG Dortmund 02.02.2024 - 3 Ca 124/24 - zu I 2 b aa (2) (b) (aa) (bbb) der Gründe).
81(a) Dabei ergibt sich aus der ausdrücklichen Nennung der gesetzlichen Norm in der Überschrift und in Satz 2 der Protokollnotiz zu § 1 Abs. 1 TV IAP, dass die Tarifvertragsparteien von einer steuerlichen Privilegierung ausgegangen sind. Die maximale Höhe der Prämie, 3.000,00 €, und der Auszahlungszeitpunkt im Juni 2023 sind darauf ausgerichtet, die Befreiung von Steuern und Sozialversicherungsabgaben in Anspruch zu nehmen.
82(b) Die Tarifvertragsparteien haben die Ausnahmen für bestimmte Arbeitnehmergruppen aber nicht etwa unter den Vorbehalt gestellt, dass die Privilegierung erhalten bleibt. Eine derartige Regelung wäre möglich gewesen. Die Tarifvertragsparteien hätten die Voraussetzungen und Ausnahmen des § 1 Abs. 1 und Abs. 2 TV IAP unter die Bedingung stellen können, dass die Finanzverwaltung die so geregelte Inflationsausgleichsprämie als steuerprivilegiert anerkennt. Davon haben sie abgesehen und ganz im Gegenteil in Satz 3 der Protokollnotiz zu § 1 Abs. 1 TV IAP festgehalten, dass die Abrechnung und Auszahlung nach den jeweils gültigen steuerlichen und sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen erfolgen solle.
83(c) Außerdem haben die Tarifvertragsparteien in Satz 4 der Protokollnotiz zu § 1 Abs. 1 TV IAP deutlich gemacht, dass sie bereit sind, auf die Privilegierung des § 3 Nr. 11c EStG zu verzichten. Demnach wird die Inflationsausgleichsprämie versteuert und verbeitragt ausgezahlt, soweit sie über insgesamt mehr als 3.000,00 € für einen Arbeitnehmer hinausgeht, weil er bereits eine steuerprivilegierte Inflationsausgleichsprämie erhalten hat. Aus dieser für einen vorhersehbaren Fall vorgesehenen Regelung ist abzuleiten, dass die Tarifvertragsparteien auch im Übrigen von ihren Bestimmungen für die Gewährung der Inflationsausgleichsprämie überzeugt waren und den Verlust der Steuerprivilegierung in Kauf genommen haben.
84(2) Zudem ist nicht erkennbar, dass die zusätzlich vorgesehenen Ziele zu einem Verlust der Steuerprivilegierung führen (aA Reufels/Soltysiak ArbRB 2022, 371, 373 ohne weitere Begründung; aA Bissels/Block/Wernecke AuA 2022 Nr. 12, 14, 17 ohne weitere Begründung für den Fall, dass der Zweck die gesetzliche intendierte Zweckrichtung "überlagert").
85(a) Aus dem Wortlaut des § 3 Nr. 11c EStG ergibt sich nicht, dass mit der Zahlung keine weiteren Ziele verfolgt werden dürfen. Der Gesetzgeber verlangt lediglich, dass es sich um einen "zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn" gewähren Zuschuss handelt. Ein Arbeitslohn ist nur dann "ohnehin geschuldet", wenn der Arbeitnehmer ohne die neu vorgesehene Regelung einen Anspruch auf ihn hat. Zusätzliche Ziele, die die Tarifvertragsparteien mit der Inflationsausgleichsprämie verfolgen, führen nicht dazu, dass ein Anspruch auf die Leistung ohnehin bestanden hätte.
86(b) Aus den Gesetzgebungsmaterialien ergibt sich nicht, dass weitere Ziele ausgeschlossen sind. Ganz im Gegenteil dient die Inflationsausgleichsprämie nach der Vorstellung der Bundesregierung der Vergütung der Arbeit (vgl. ArbG Dortmund 02.02.2024 - 3 Ca 124/24 - zu I 2 b aa (2) (b) (aa) (ccc (a) der Gründe).
87(aa) Indem er in der Gesetzesbegründung ausführt, dass an den Zusammenhang zwischen Leistung und Preissteigerung keine besonderen Anforderungen gestellt werden (vgl. BT-Drs. 20/3763 S. 6), fordert der Gesetzgeber, dass eine Verbindung besteht, schließt damit aber andere Zwecke nicht aus.
88(bb) Wenn die Bundesregierung auf eine Anfrage ausführt, dass die Inflationsausgleichsprämie des § 3 Nr. 11c EStG einer Lohn-Preis-Spirale entgegenwirkt (vgl. BT Drs. 20/6569 S. 7), billigt sie das Ziel, die Arbeit zu vergüten. Die Lohn-Preis-Spirale drückt die wechselseitigen Zusammenhänge zwischen dem Anstieg der Löhne als Folge von Preiserhöhungen und der Preise als Folge von Lohnsteigerungen aus, besonders in dem Sinn, dass die Unternehmen gestiegene Löhne zur Rechtfertigung von Preiserhöhungen heranziehen, die Gewerkschaften wiederum ihre Lohnforderungen mit erhöhten Preisen begründen (vgl. Duden Wirtschaft von A bis Z: Grundlagenwissen für Schule und Studium, Beruf und Alltag 6. Aufl. Stichwort "Lohn-Preis-Spirale"; Schmidt/Schneil in Weber Rechtswörterbuch 31. Aufl. Stichwort "Inflation"). Die Inflationsausgleichsprämie soll eine Lohn-Preis-Spirale verhindern, indem sie eine Einmalzahlung gegenüber einer prozentualen Lohnsteigerung attraktiv macht. Wenn die Tarifvertragsparteien von einer dauerhaften Steigerung der Löhne Abstand nehmen, sind erhöhte Preise schwerer zu rechtfertigen und die Löhne als Reaktion darauf nicht weiter zu erhöhen (vgl. Brandis/Heuermann/Valta Stand November 2023 EStG § 3 Nr. 11c Rn. 3; BeckOK EStG/Levedag Stand 01.10.2023 EStG § 3 Nr. 11c Rn. 3). Die Bundesregierung betrachtet § 3 Nr. 11c EStG damit als Anreiz dafür, eine dauerhafte Lohnsteigerung, die wie der Arbeitslohn insgesamt der Vergütung der Arbeit dient, vgl. § 611a Abs. 2 BGB, durch eine Einmalzahlung zu ersetzen. Soweit die Einmalzahlung die dauerhafte Lohnsteigerung ersetzt, hat sie ebenfalls das Ziel, Arbeitsleistungen zu vergüten.
89(cc) Diese Überlegung im Gesetzgebungsprozess unterscheidet die Inflationsausgleichsprämie von der in § 3 Nr. 11a EStG privilegierten Corona-Prämie. Bei § 3 Nr. 11a EStG ging es dem Gesetzgeber darum, nachträglich eine gesetzliche Rechtsgrundlage für die Steuerfreiheit der Corona-Sonderleistungen zu schaffen, die das Bundesministerium der Finanzen in einem Schreiben als Beihilfe iSv. § 3 Nr. 11 EStG anerkannt hatte (vgl. BT-Drs. 19/19601 S. 33). Da Beilhilfen nach § 3 Nr. 11 EStG uneigennützige Unterstützungsleistungen unabhängig von einem entgeltlichen Austauschgeschäft voraussetzen, liegt es bei den zunächst als Beihilfen betrachteten Corona-Prämien iSv. § 3 Nr. 11a EStG nahe, dass auch sie uneigennützig sein müssen (BAG 25.07.2023 - 9 AZR 332/22 - Rn. 20; 28.03.2023 - 9 AZR 106/22 - Rn. 17). Die Privilegierung für die Inflationsausgleichsprämie ist dagegen nicht aus § 3 Nr. 11 EStG abzuleiten, sondern konstitutiv (vgl. BeckOK EStG/Levedag Stand 01.10.2023 EStG § 3 Nr. 11c Rn. 2; Bergkemper in Herrmann/Heuer/Raupach EStG/KStG Stand Oktober 2023 EStG § 3 Rn. 3).
90(c) Maßgeblich für die Auslegung ist schließlich, dass der Arbeitgeber für die Inflationsausgleichsprämie die Mittel bereitstellt. Daraus folgt, dass ihm bzw. den Tarifvertragsparteien ein Gestaltungsspielraum zuzubilligen ist, solange die konkrete Ausgestaltung dem in § 3 Nr. 11c EStG vorgesehenen Ziel nicht zuwiderläuft (vgl. ArbG Stuttgart 14.11.2023 - 3 Ca 2173/23 - zu I 3 b aa (2) der Gründe; ArbG Dortmund 02.02.2024 - 3 Ca 124/24 - zu I 2 b aa (2) (b) (aa) (ccc) (ß) der Gründe; Uffmann NZA 2023, 65, 72). Insbesondere dürfen die Arbeitsleistung und die zukünftige Betriebstreue honoriert werden (vgl. Uffmann NZA 2023, 65, 72; vgl. für Betriebstreue: Fuhlrott/Hermann GWR 2024, 68; Bissels/Wolf jurisPR-ArbR 5/2024 Anm. 1; Coché/Striegler DB 2024, 253, 257).
91(d) Diese Auffassung stimmt überein mit der Angabe des Bundesfinanzministeriums in den FAQ zur Inflationsausgleichsprämie nach § 3 Nummer 11c Einkommensteuergesetz vom 24.05.2023 (vgl. ArbG Dortmund 02.02.2024 - 3 Ca 124/24 - zu I 2 b aa (2) (b) (aa) (ccc) (a) der Gründe). In Nr. 9 heißt es, dass die Inflationsausgleichsprämie ohne Auswirkungen auf die Steuerfreiheit an Bedingungen "wie zum Beispiel die Betriebszugehörigkeit , die bestandene Probezeit etc." geknüpft werden dürfe. Die Zulässigkeit der Bedingungen sei lediglich arbeitsrechtlich zu überprüfen. Dem widerspricht es nicht, wenn das Bundesfinanzministerium in Nr. 11 ausführt, dass eine Zahlung von Weihnachtsgeld als solche nicht den erforderlichen Inflationsbezug aufweise, so dass eine steuerfreie Auszahlung ausgeschlossen sei (so wohl Uffmann NZA 2023, 65, 71). Aus dem Zusammenhang ergibt sich, dass lediglich gemeint ist, dass eine Weihnachtsgeldzahlung ohne jeden Bezug zu § 3 Nr. 11c EStG nicht in eine Inflationsausgleichsprämie umgewidmet werden kann (vgl. dazu auch Nr. 14).
92(e) Die Verfolgung der zusätzlichen Ziele der Vergütung der Arbeit und der Belohnung der zukünftigen Betriebstreue laufen bei der Inflationsausgleichsprämie des TV IAP dem Ziel der Abmilderung der erhöhten Verkaufspreise nicht zuwider. Die Tarifvertragsparteien gleichen die Preissteigerungen durch die Inflationsausgleichsprämie nicht für alle, aber für einen erheblichen Teil der Arbeitnehmer teilweise aus.
93ff) Wegen der mitverfolgten zusätzlichen Ziele kommt es nicht darauf an, ob die Differenzierung auch durch eine geringere Belastung aufgrund der gestiegenen Verbraucherpreise zu rechtfertigen ist. Die Kammer muss nicht darüber entscheiden, ob Arbeitnehmer in der Passivphase der Altersteilzeit durch die Inflation geringer belastet sind. Die Herausnahme dieser Arbeitnehmergruppe aus dem Kreis der Leistungsempfänger beruht nach der Tarifsystematik nicht auf ihrer geringeren Bedürftigkeit, sondern darauf, dass sie zum Stichtag keine Arbeitsleistung erbracht haben und absehbar aus dem Arbeitsverhältnis ausscheiden.
94d) Der von den Tarifvertragsparteien gewählte Stichtag des 31.05.2023 ist nicht zu beanstanden, weil er den Zielen entspricht, die bei Auszahlung geleistete Arbeit zu vergüten, die in diesem Zeitpunkt bestehende zukünftige Betriebstreue zu belohnen und die gestiegenen Verbraucherpreise abzumildern.
95aa) Obwohl Stichtagsregelungen als "Typisierungen in der Zeit" unvermeidlich Härten mit sich bringen, sind sie aus Gründen der Praktikabilität zur Abgrenzung der begünstigten Personenkreise grundsätzlich zulässig, wenn sich die Wahl des Stichtags am gegebenen Sachverhalt orientiert und demnach sachlich vertretbar ist. Es ist wesentliches Merkmal der Tarifautonomie, dass die Tarifvertragsparteien den Stichtag in den Grenzen des Vertrauensschutzes frei aushandeln dürfen. Es entspricht dem stufenlosen, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierten verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab, dass bei Stichtagsregelungen im Ergebnis lediglich eine Willkürkontrolle durchzuführen ist (BAG 19.11.2020 - 6 AZR 449/19 - Rn. 24; 19.12.2019 - 6 AZR 59/19 - Rn. 18).
96bb) Gemessen an den drei Zielen der Inflationsausgleichsprämie des TV IAP ist der Stichtag des 31.05.2023 sachlich vertretbar.
97(1) Mit dem 31.05.2023 haben die Tarifvertragsparteien ein Datum gewählt, mit dem sie den bei Auszahlung bestehenden Zustand im Hinblick auf die Arbeitsleistung und die zukünftige Betriebstreue berücksichtigen konnten (vgl. ArbG Dortmund 02.02.2024 - 3 Ca 124/24 - zu I 2 b aa (2) (c) (bb) der Gründe). Der aktuelle, bei Auszahlung bestehende Zustand würde noch stärker berücksichtigt, wenn die Tarifvertragsparteien nicht den 31.05.2023 als Stichtag gewählt hätten, sondern den Auszahlungszeitpunkt, der gemäß § 1 Abs. 3 TV IAP im Juni 2023 liegt. Der Auszahlungszeitpunkt hätte aber zu Problemen bei der Abwicklung geführt. Die zuständigen Mitarbeiter müssen im Auszahlungsmonat die Lohnauszahlung und -abrechnung vorbereiten. Sie müssen eindeutig bestimmen können, wer die Inflationsausgleichsprämie erhalten soll. Das ist nur möglich, wenn der Stichtag vor dem Auszahlungszeitraum liegt. Mit dem letzten Tag des Monats, der dem Auszahlungsmonat vorangeht, haben die Tarifvertragsparteien den Tag gewählt, mit dem die Arbeitgeber den bei Auszahlung bestehenden Zustand praktikabel am besten berücksichtigen konnten.
98(2) Zur Verfolgung des Ziels der Abmilderung der gestiegenen Verbraucherpreise bedurfte es keines Stichtags, zu dem ein ungekündigtes nicht ruhendes Arbeitsverhältnis vorliegt. Dieses Ziel wird schon dann verfolgt, wenn die Auszahlung in den Zeitraum fällt, in dem eine erhöhte Inflation vorgelegen hat bzw. erwartet wird. Dementsprechend kommt es für die Steuerprivilegierung des § 3 Nr. 11c EStG darauf an, dass die Auszahlung zwischen dem 26.10.2022 und dem 31.12.2024 erfolgt. Der Stichtag des 31.05.2023 ist im Hinblick auf das Ziel der Abmilderung der gestiegenen Verbraucherpreise jedenfalls sachlich vertretbar, weil der gewählte Zeitpunkt in den Zeitraum fällt, in dem der Gesetzgeber eine erhöhte Inflation erwartet hat.
99C. Der Kläger kann einen Anspruch aus § 1 Abs. 1 TV IAP nicht mit der Begründung ableiten, dass § 1 Abs. 2 Satz 3 TV IAP wegen eines Verstoßes gegen § 7 Abs. 1 AGG unwirksam ist.
100I. Eine mittelbare Benachteiligung iSv. § 3 Abs. 2 AGG kann vorliegen, wenn eine Regelung zwar neutral formuliert ist, in ihrer Anwendung aber wesentlich mehr Inhaber der geschützten persönlichen Eigenschaft betrifft als vergleichbare Personen, die diese Eigenschaft nicht besitzen, es sei denn, mit der Regelung oder Maßnahme wird ein rechtmäßiges Ziel verfolgt und das hierfür eingesetzte Mittel ist verhältnismäßig, dh. angemessen und erforderlich (BAG 28.03.2023 - 9 AZR 219/22 - Rn. 24; 29.09.2020 - 9 AZR 364/19 - Rn. 61).
101II. § 1 Abs. 2 Satz 3 TV IAP kann mit der Anknüpfung an die Passivphase der Altersteilzeit Personen wegen ihres Alters in besonderer Weise benachteiligen, weil sich deutlich mehr ältere Personen unter den Arbeitnehmern in der Passivphase der Altersteilzeit als in der gesamten Arbeitnehmerschaft befinden (vgl. ArbG Essen 23.01.2024 - 3 Ca 1799/23 - zu A III 1 der Gründe; aA: ArbG Dortmund 02.02.2024 - 3 Ca 124/24 - zu I 2 b bb (2) (b) der Gründe; LAG Hamm 24.08.2022 - 9 Sa 160/22 - zu II 1 e bb der Gründe zu einer ähnlichen Regelung). Die Arbeitnehmer in der Passivphase der Altersteilzeit sind statistisch auch älter als die Beschäftigten in der der Passivphase vorausgehenden Aktivphase der Altersteilzeit. Eine mittelbare Benachteiligung iSv. § 3 Abs. 2 AGG liegt aber nicht vor, weil § 1 Abs. 2 Satz 3 TV IAP durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt ist und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind (so im Ergebnis auch ArbG Essen 23.01.2024 - 3 Ca 1799/23 - zu A III 1 der Gründe).
1021. Die Regelung dient einem rechtmäßigen Ziel.
103a) Das mit einer neutralen Vorschrift verfolgte "rechtmäßige" Ziel iSd. § 3 Abs. 2 Halbs. 2 AGG muss ein objektives Ziel sein, das selbst nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des verbotenen Anknüpfungsgrundes nach § 1 AGG zu tun hat. Rechtmäßige Ziele in diesem Sinn können daher nur solche sein, die nicht ihrerseits diskriminierend und auch im Übrigen legal sind. Dabei muss das mit einer Regelung verfolgte Ziel nicht ausdrücklich benannt werden. Auch aus dem allgemeinen Kontext der Regelung können sich Anhaltspunkte ergeben, die es ermöglichen, den Zweck der Regelung festzustellen und dadurch zu überprüfen, ob die Bestimmung geeignet, erforderlich und angemessen ist (BAG 08.02.2022 - 1 AZR 252/21 - Rn. 16; 29.09.2020 - 9 AZR 364/19 - Rn. 63).
104b) Die Tarifvertragsparteien verfolgen neben der Abmilderung der gestiegenen Verbraucherpreise die Ziele, die Arbeit zum Auszahlungszeitpunkt zu vergüten und künftige Betriebstreue zu belohnen. Diese Ziele sind rechtmäßig und durch die Besserstellung der Arbeitnehmer, die sich nicht in der Passivphase der Altersteilzeit befinden, erreichbar. Entweder haben sie ihre Arbeitsleistung zum Auszahlungszeitpunkt erbracht oder es ist zu erwarten, dass sie betriebstreu sind und demnächst wieder für die Beklagte tätig werden. Beides trifft auf die Arbeitnehmer in der Passivphase der Altersteilzeit nicht zu.
1052. Eine mildere Maßnahme, etwa die Zahlung eines geringeren Betrags an die Arbeitnehmer in der Passivphase, würde das Ziel der Vergütung der Arbeit und der Belohnung künftiger Betriebstreue nicht genauso stark erreichen, weil der Unterschied zwischen der Gruppe der berücksichtigten und der Gruppe der nicht berücksichtigten Arbeitnehmer geringer wäre.
1063. Das Mittel ist zur Erreichung der genannten Ziele angemessen.
107a) Bei der Prüfung der Angemessenheit ist die aus der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie resultierende Gestaltungsbefugnis der Tarifvertragsparteien zu beachten. Das Erfordernis einer Rechtfertigung entfällt dadurch zwar nicht. Jedoch ist aufgrund der weitreichenden Regelungsmacht der Tarifvertragsparteien und deren Einschätzungsprärogative bzgl. der sachlichen Gegebenheiten, der betroffenen Interessen und der Rechtsfolgen deren Beurteilungs- und Ermessensspielraum hinsichtlich der inhaltlichen Gestaltung der Regelung zu berücksichtigen (BAG 29.09.2020 - 9 AZR 364/19 - Rn. 61; 09.12.2015 - 4 AZR 684/12 - Rn. 31; vgl. auch BAG 28.03.2023 - 9 AZR 219/22 - Rn. 24).
108b) Die Tarifvertragsparteien haben die Arbeitnehmer in der Passivphase der Altersteilzeit lediglich von einer Einmalzahlung ausgeschlossen. Die Erhöhung der Tabellengehälter haben sie dagegen an sie weitergereicht. Der Ausschluss von der Einmalzahlung wiegt nicht besonders schwer. Mit einem Betrag iHv. 3.000,00 € liegt sie im Fall des Klägers, der ausweislich des vorgelegten Schreibens vom 09.07.2020 (vgl. Anlage 10 zum Schriftsatz des Klägers vom 15.08.2023) ab dem 01.01.2020 bei einem Beschäftigungsgrad von 50 % 2.871,50 € brutto erhalten sollte, deutlich unterhalb eines Vollzeitgehalts.
109D. Der Kläger kann einen Anspruch aus § 1 Abs. 1 TV IAP nicht mit der Begründung ableiten, dass § 1 Abs. 2 Satz 3 TV IAP wegen eines Verstoßes gegen § 4 Abs. 1 TzBfG unwirksam ist.
110I. Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 TzBfG darf ein teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer wegen der Teilzeitarbeit nicht schlechter behandelt werden als ein vergleichbarer vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer, es sei denn, dass sachliche Gründe eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen. Eine Ungleichbehandlung wegen Teilzeitarbeit liegt vor, wenn die Dauer der Arbeitszeit das Kriterium darstellt, an das die Differenzierung hinsichtlich der unterschiedlichen Arbeitsbedingungen anknüpft. Das gilt auch, wenn sich dies lediglich mittelbar ergibt (BAG 20.06.2023 - 3 AZR 221/22 - Rn. 20; 18.01.2023 - 5 AZR 108/22 - Rn. 17). Eine mittelbare Diskriminierung von Teilzeitkräften liegt vor, wenn eine Regelung sowohl für Vollzeit- als auch für Teilzeitkräfte gilt, sich aber so auswirkt, dass erheblich mehr Teilzeitkräfte als Vollzeitkräfte nachteilig betroffen sind (BAG 18.01.2023 - 5 AZR 108/22 - Rn. 17).
111II. § 1 Abs. 2 Satz 3 TV IAP wirkt sich so aus, dass erheblich mehr Teilzeitkräfte als Vollzeitkräfte nachteilig betroffen sind. Neben Arbeitnehmern im Vorruhestand sind ausschließlich Arbeitnehmer in der Passivphase der Altersteilzeit und damit teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer nachteilig betroffen (anders bei vergleichbaren Regelungen: BAG 19.01.2016 - 9 AZR 564/14 - Rn. 19; BAG 21.01.2003 - 9 AZR 4/02 - zu B II 3 a der Gründe; aA bei derselben Regelung: ArbG Dortmund 02.02.2024 - 3 Ca 124/24 - zu I 2 b cc (2) der Gründe; ArbG Mainz 14.12.2023 - 7 Ca 499/23 -). Die unterschiedliche Behandlung ist aus den soeben genannten Gründen sachlich gerechtfertigt (so auch ArbG Essen 23.01.2024 - 3 Ca 1799/23 - zu A III 2 der Gründe).
112E. Der Kläger hat aus dem allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz keinen Anspruch darauf, wie ein außertariflicher Arbeitnehmer in der Aktivphase der Altersteilzeit behandelt zu werden.
113I. Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz ist die privatrechtliche Ausprägung des Gleichheitssatzes aus Art. 3 Abs. 1 GG. Er findet stets Anwendung, wenn der Arbeitgeber Leistungen nach einem bestimmten erkennbaren und generalisierenden Prinzip aufgrund einer abstrakten Regelung gewährt, indem er bestimmte Voraussetzungen oder einen bestimmten Zweck festlegt. Der Gleichbehandlungsgrundsatz verpflichtet den Arbeitgeber, seine Arbeitnehmer oder Gruppen seiner Arbeitnehmer, die sich in vergleichbarer Lage befinden, bei Anwendung einer selbst gegebenen Regel gleichzubehandeln. Er verbietet nicht nur die willkürliche Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer innerhalb einer Gruppe, sondern auch eine sachfremde Gruppenbildung (BAG 26.04.2023 - 10 AZR 137/22 - Rn. 22; 25.01.2023 - 10 AZR 29/22 - Rn. 26).
1141. Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz verlangt danach, dass eine vorgenommene Differenzierung sachlich gerechtfertigt ist. Maßgeblich für die Beurteilung, ob für die unterschiedliche Behandlung ein hinreichender Sachgrund besteht, ist vor allem der Regelungszweck. Dieser muss die Gruppenbildung rechtfertigen (BAG 27.04.2021 - 9 AZR 662/19 - Rn. 17; 03.06.2020 - 3 AZR 730/19 - Rn. 43).
1152. Der Gleichbehandlungsgrundsatz greift nur dort ein, wo der Arbeitgeber durch gestaltendes Verhalten ein eigenes Regelwerk oder eine eigene Ordnung schafft. Liegen einer Leistung bestimmte Voraussetzungen zugrunde, muss die vom Arbeitgeber damit selbst geschaffene Gruppenbildung gemessen am Zweck der Leistung im genannten Sinne sachlich gerechtfertigt sein (BAG 28.03.2023 - 9 AZR 219/22 - Rn. 34; 25.01.2023 - 10 AZR 29/22 - Rn. 45).
116II. Die Ungleichbehandlung der Arbeitnehmer in der Passivphase der Altersteilzeit gegenüber den Arbeitnehmern in der Aktivphase der Altersteilzeit ist unabhängig davon sachlich gerechtfertigt, ob die Arbeitnehmer tariflich oder außertariflich vergütet werden.
1171. Indem die Beklagte die Inflationsausgleichsprämie an die außertariflich beschäftigten Arbeitnehmer unter den Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 und Abs. 2 TV IAP auszahlt, verfolgt sie ebenso wie die Tarifvertragsparteien neben der Abmilderung der gestiegenen Verbraucherpreise auch die Ziele, die bei der Auszahlung geleistete Arbeit zu vergüten und künftige Betriebstreue zu belohnen. Dabei handelt es sich um sachliche Gründe. Die Beklagte hat als Arbeitgeberin ein nachvollziehbares Interesse daran, die aktuelle Arbeitsleistung zu vergüten und ihre Arbeitnehmer dafür zu belohnen, dass sie betriebstreu sind.
1182. Die Wahl des 31.05.2023 als maßgeblichen Stichtag ist auch bei der Gruppenbildung außerhalb des TV IAP zulässig. Die einseitige Festsetzung eines Stichtags durch den Arbeitgeber ist als Ausdruck einer pauschalierten Betrachtung und im Interesse der Praktikabilität grundsätzlich zulässig, wenn sich die Wahl des Zeitpunkts am zu regelnden Sachverhalt orientiert und demnach sachlich vertretbar ist (BAG 14.11.2017 - 3 AZR 515/16 - Rn. 31; 15.11.2011 - 9 AZR 387/10 - Rn. 32). Wie oben erläutert entspricht die Wahl des 31.05.2023 den Leistungszwecken der von der Beklagten gewährten Inflationsausgleichsprämie.
119F. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Zahlung von 3.000,00 € netto aus dem allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz, weil die Beklagte ihn anders als die außertariflichen Arbeitnehmer in der Passivphase der Altersteilzeit behandeln würde. Das von der Beklagten gestaltete Regelungswerk sieht keine Ungleichbehandlung des Klägers mit den außertariflichen Arbeitnehmern in der Passivphase der Altersteilzeit vor. Die Beklagte hat ihren außertariflichen Beschäftigten die Inflationsausgleichsprämie nur unter den Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 und Abs. 2 TV IAP ausgezahlt. Die Mitarbeiter in der Passivphase der Altersteilzeit hat sie von der Zahlung ausgenommen.
120I. Es ist nicht ersichtlich, dass die Beklagte aufgrund einer Gesamtzusage oder aufgrund des allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes dazu verpflichtet wäre, die Inflationsausgleichsprämie an die Arbeitnehmer in der Passivphase der Altersteilzeit auszuzahlen.
1211. Entgegen der Auffassung des Klägers ist die E-Mail der Beklagten vom 30.05.2023 nicht als Gesamtzusage an die außertariflichen Arbeitnehmer in der Passivphase der Altersteilzeit zu verstehen.
122a) Eine Gesamtzusage ist die an alle Arbeitnehmer des Betriebs oder einen nach abstrakten Merkmalen bestimmten Teil von ihnen in allgemeiner Form gerichtete ausdrückliche Willenserklärung des Arbeitgebers, bestimmte Leistungen erbringen zu wollen. Die Arbeitnehmer erwerben einen einzelvertraglichen Anspruch auf die zugesagten Leistungen, wenn sie die betreffenden Anspruchsvoraussetzungen erfüllen (BAG 13.10.2020 - 3 AZR 410/19 - Rn. 59; 22.09.2020 - 3 AZR 433/19 - Rn. 27). Wie jede andere Willenserklärung auch setzt die Gesamtzusage voraus, dass der Arbeitgeber durch sie eine Rechtswirkung herbeiführen und sich rechtlich binden will. Der Erklärende muss mit ihr seinen Rechtsfolgewillen zum Ausdruck bringen, dh. einen Willen, der auf die Begründung, inhaltliche Änderung oder Beendigung eines privaten Rechtsverhältnisses abzielt. Maßgeblich ist, ob aus der objektiven Sicht der Arbeitnehmer ein solcher Rechtsfolgewillen vorliegt (BAG 02.08.2018 - 6 AZR 28/17 - Rn. 19; vgl. BAG 17.11.2009 - 9 AZR 765/08 - Rn. 20).
123b) Danach enthält die E-Mail der Beklagten vom 30.05.2023 keine Gesamtzusage an die außertariflichen Arbeitnehmer in der Passivphase der Altersteilzeit.
124aa) Das Schreiben hat lediglich informatorischen und keinen rechtsbegründenden Charakter.
125(1) Die Beklagte hat ihren Mitarbeitern nur das Ergebnis der Tarifverhandlungen und dessen beabsichtigte Umsetzung mitgeteilt. Das wird bereits am Einleitungssatz deutlich, in dem die Beklagte auf die Tarifvertragsverhandlungen verweist. Sie spricht davon, dass sie die Vergütungsanhebungen "umsetzen" und die Inflationsausgleichsprämie "nach Maßgabe der tariflichen Regelung" auszahlen werde. Aus der bloßen Information über die Umsetzung ist nicht der Wille abzuleiten, sich rechtlich zu binden. Auch wenn die Beklagte sich mit dem Hinweis auf die Anpassung der "Vergütungsbänder" im letzten Absatz auf eine nicht tarifvertraglich vorgegebene Veränderung nur für die außertariflich beschäftigten Arbeitnehmer bezogen hätte, hätte sie damit keine Ansprüche begründet. Sie verweist insoweit lediglich auf die Anpassung im "P.", teilt aber keine konkrete Änderung mit, auf die sich außertariflich beschäftigte Mitarbeiter berufen könnten. Die Zusage einer Vergütungserhöhung ergibt sich erst aus der konkreten Angabe im "P.".
126(2) Insoweit liegt ein Unterschied zu der E-Mail der Schwestergesellschaft der Beklagten vom 05.06.2023 vor, in der nicht auf eine tarifliche Regelung oder eine Anpassung in sonstigen Bestimmungen rekurriert wird, sondern die Veränderung für die außertariflich beschäftigten Arbeitnehmer mitgeteilt wird.
127bb) Selbst wenn die Beklagte ihren außertariflichen Beschäftigten in dem Schreiben die Zahlung der Inflationsausgleichsprämie rechtsbegründend zugesagt hätte, ergäbe sich kein Anspruch für die außertariflichen Arbeitnehmer in der Passivphase der Altersteilzeit. Die Inflationsausgleichsprämie sollte nach dem Wortlaut der E-Mail "nach Maßgabe der tariflichen Regelung" zur Auszahlung gebracht werden. Teil einer Gesamtzusage wäre auch die Ausnahme in § 1 Abs. 2 Satz 3 TV IAP, die Arbeitnehmer in der Passivphase der Altersteilzeit von der Inflationsausgleichsprämie ausnimmt. Auch insoweit unterscheidet sich die E-Mail der Beklagten vom 30.05.2023 von der E-Mail der Schwestergesellschaft der Beklagten vom 05.06.2023.
1282. Die außertariflich beschäftigten Arbeitnehmer in der Passivphase der Altersteilzeit haben auch keinen Anspruch aus dem allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz. Wie oben aufgezeigt bestehen sachliche Gründe für die Differenzierung zwischen Arbeitnehmern in der Aktivphase und Mitarbeitern in der Passivphase der Altersteilzeit.
129II. Selbst wenn die Beklagte dazu verurteilt werden sollte, die Inflationsausgleichsprämie auch an die außertariflichen Arbeitnehmer in der Passivphase der Altersteilzeit zu zahlen, würde die Ungleichbehandlung gegenüber den tariflichen Arbeitnehmern in der Passivphase der Altersteilzeit nicht auf einem gestaltenden Verhalten der Beklagten, sondern darauf beruhen, dass die Beklagte aus Rechtsgründen dazu verpflichtet ist.
130G. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Zahlung einer Inflationsausgleichsprämie aus einer Gesamtzusage in der E-Mail vom 30.05.2023. Wie bereits aufgezeigt hat das Schreiben keinen rechtsbegründenden Charakter. Selbst bei Annahme eines rechtsbegründenden Charakters wäre der Kläger ausgenommen, weil er "nach Maßgabe der tariflichen Regelung" die Inflationsausgleichsprämie nicht erhalten soll.
131H. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens, § 97 Abs. 1 ZPO iVm. § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG.
132I. Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen, § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.
133RECHTSMITTELBELEHRUNG
134Gegen dieses Urteil kann von der klagenden Partei
135REVISION
136eingelegt werden.
137Für die beklagte Partei ist gegen dieses Urteil ein Rechtsmittel nicht gegeben.
138Die Revision muss innerhalb einer Notfrist* von einem Monat schriftlich oder in elektronischer Form beim
139Bundesarbeitsgericht
140Hugo-Preuß-Platz 1
14199084 Erfurt
142Fax: 0361 2636-2000
143eingelegt werden.
144Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung.
145Für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihr zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse besteht ab dem 01.01.2022 gem. §§ 46g Satz 1, 72 Abs. 6 ArbGG grundsätzlich die Pflicht, die Revision ausschließlich als elektronisches Dokument einzureichen. Gleiches gilt für vertretungsberechtigte Personen, für die ein sicherer Übermittlungsweg nach § 46c Abs. 4 Nr. 2 ArbGG zur Verfügung steht.
146Die Revisionsschrift muss von einem Bevollmächtigten eingelegt werden. Als Bevollmächtigte sind nur zugelassen:
1471.Rechtsanwälte,
1482.Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,
1493.Juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in Nummer 2 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt, und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
150In den Fällen der Ziffern 2 und 3 müssen die Personen, die die Revisionsschrift unterzeichnen, die Befähigung zum Richteramt haben.
151Eine Partei, die als Bevollmächtigter zugelassen ist, kann sich selbst vertreten.
152Die elektronische Form wird durch ein elektronisches Dokument gewahrt. Das elektronische Dokument muss für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet und mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg gemäß § 46c ArbGG nach näherer Maßgabe der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (ERVV) v. 24. November 2017 in der jeweils geltenden Fassung eingereicht werden. Nähere Hinweise zum elektronischen Rechtsverkehr finden sich auf der Internetseite des Bundesarbeitsgerichts www.bundesarbeitsgericht.de.
153* Eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.
154Dr. Burg | Smeets | Maahn |