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Fällt bei einer Einstellung die Konstituierung des Betriebsrats in die Zeit zwischen Vertragsschluss und Aufnahme der Beschäftigung, so ist die Zustimmung des Betriebsrats vor der Eingliederung des Arbeitnehmers in die Betriebsorganisation einzuholen. Es ist nicht auf den Vertragsschluss als zeitlich erste Maßnahme abzustellen mit der Folge, dass die Zustimmungspflicht entfällt.
1.Die Beschwerde der Beteiligten zu 2. gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Oberhausen vom 01.12.2022 - 2 BV 2/22 - wird zurückgewiesen.
2.Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
G r ü n d e :
2I.
3Die Beteiligten streiten über die Aufhebung einer personellen Maßnahme.
4Die zu 2) beteiligte Arbeitgeberin ist eine Tochtergesellschaft der A. AG und erbringt Bauleistungen an der Eisenbahninfrastruktur in Deutschland und Europa.
5Der Antragsteller ist der für den "Wahlbetrieb 03", einen bei der Arbeitgeberin auf Grundlage eines Zuordnungstarifvertrags nach § 3 BetrVG gebildeten Wahlbetrieb, zuständige Betriebsrat.
6Der im Jahr 2018 bei der Arbeitgeberin im "Wahlbetrieb 03" gewählte Betriebsrat war durch rechtskräftigen Beschluss vom 25.10.2021 aufgelöst worden. Nach Veröffentlichung des Wahlausschreibens vom 01.12.2021 wurde der beteiligte Betriebsrat am 14.01.2022 neu gewählt. Am 24.01.2022 wurden die Namen der gewählten Betriebsratsmitglieder bekannt gegeben. Die konstituierende Sitzung des Gremiums fand am 26.01.2022 statt.
7Die Arbeitgeberin hatte zuvor am 15.11.2021 die Stelle "Disponent für Erdbaumaschinen / Zweiwegebagger / LKW in der Fahrbahn West" intern und extern neu ausgeschrieben. Sie entschied sich für den Bewerber S. I., der bereits zuvor in der Zeit vom 01.08.2017 bis zum 30.09.2021 bei der Arbeitgeberin als zentraler Personaldisponent tätig gewesen war.
8Die Arbeitgeberin erstellte am 12.01.2022 einen von ihr unterschriebenen Arbeitsvertrag (Bl. 99 ff. der Akte). Diesen erhielt Herr I. am 24.01.2022. Er unterzeichnete das Dokument am 26.01.2022. Das wechselseitig unterzeichnete Vertragsexemplar ging der Arbeitgeberin am 09.02.2022 zu.
9Die Arbeitgeberin informierte den Vorsitzenden des neuen Betriebsrats mit E-Mail vom 11.02.2022 über "Einstellungen, Austritte, Schulungen und Veränderungen während der betriebsratslosen Zeit". Im Anhang zu dieser E-Mail (Anlage 4, Bl. 94 ff. der Akte) befand sich u.a. die Mitteilung, dass Herr S. I. mit Wirkung zum 01.03.2022 als Disponent Triebfahrzeuge eingestellt werde. Im Nachgang zu dieser Mitteilung forderte der Betriebsrat die Arbeitgeberin mit E-Mail vom 17.02.2022 auf, die Einstellung zu unterlassen. Herr I. nahm am 01.03.2022 vertragsgemäß seine Tätigkeit auf.
10Hiergegen wandte sich der Betriebsrat mit seinem am 14.03.2022 bei dem Arbeitsgericht Oberhausen eingeleiteten Beschlussverfahren.
11Der Betriebsrat hat erstinstanzlich die Ansicht vertreten, die Einstellung des Herrn I. sei aufzuheben, da der Betriebsrat vor der Einstellung des Arbeitnehmers hätte beteiligt werden müssen. Maßgeblicher Zeitpunkt für den Begriff der Einstellung iSd. § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG sei nicht der Zeitpunkt des Abschlusses des Arbeitsvertrags, sondern die tatsächliche Eingliederung in den Betrieb am 01.03.2022.
12Der Betriebsrat sei zwar möglichst schon in den Bewerbungsvorgang einzuschalten. Gleichzeitig bedürfe der Abschluss des Arbeitsvertrags jedoch nicht der Zustimmung des Betriebsrats. Individualarbeitsrechtliche Belange der Arbeitnehmer könnten zumutbar durch zivilrechtlich zulässige Vertragsgestaltungen gewahrt werden. Das Recht aus § 99 BetrVG schließe gerade nicht an den faktischen Zwang des Arbeitsvertrags an, sondern an die tatsächliche Eingliederung in den Betrieb, hier am 01.03.2022. Zu diesem Zeitpunkt sei der Betriebsrat jedenfalls konstituiert und damit zu beteiligen gewesen.
13Stellte man auf den Abschluss des Arbeitsvertrags ab, ergebe sich kein anderes rechtliches Ergebnis. Es sei von einem Zustandekommen des Arbeitsvertrags erst nach der konstituierenden Sitzung des Betriebsrats mit Zugang des unterzeichneten Arbeitsvertrags bei der Arbeitgeberin auszugehen.
14Der Betriebsrat hat beantragt,
15der Beteiligten zu 2) aufzugeben, die Einstellung von Herrn Sven I. aufzuheben.
16Die Arbeitgeberin hat beantragt,
17den Antrag zurückzuweisen.
18Sie hat die Ansicht vertreten, eine Beteiligung des Betriebsrats nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG sei nicht erforderlich gewesen. Die Entscheidung zur Einstellung sei in der betriebsratslosen Zeit erfolgt. Es sei auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses abzustellen, da zu diesem Zeitpunkt eine abschließende und endgültige Entscheidung getroffen werde, die nicht mehr ohne Schwierigkeiten revidiert werden könne.
19Der Arbeitsvertragsschluss sei mündlich bereits am 29.12.2021 erfolgt. Herrn I. sei durch Herrn N. bereits an diesem Tag ein mündliches Angebot unterbreitet worden, welches insbesondere die Tätigkeit, das Gehalt sowie den Vertragsbeginn enthalten habe. Dieses habe Herr I. mündlich angenommen. Herr I. habe die Anlagen des schriftlichen Arbeitsvertrags am 26.01.2022 vor Durchführung der konstituierenden Betriebsratssitzung unterzeichnet.
20Ein Abwarten der konstituierenden Sitzung sei nicht erforderlich gewesen. Die konstituierende Sitzung eines gewählten Betriebsrats sei an keinerlei Fristen gebunden. Die Rechtsauffassung des Betriebsrats führte dazu, dass die Arbeitgeberin faktisch gehalten gewesen wäre, keinerlei personelle Maßnahmen in der betriebsratslosen Zeit durchzuführen und notwendig zu besetzende Stellen lange unbesetzt zu lassen. Zum Zeitpunkt der konstituierenden Sitzung bereits durchgeführte Personalmaßnahmen bedürften auch keiner nachträglichen Genehmigung.
21Mit Beschluss vom 01.12.2022 hat das Arbeitsgericht Oberhausen dem Antrag des Betriebsrats auf Aufhebung der Maßnahme stattgegeben und zur Begründung ausgeführt:
22Die Einstellung des Herrn I. sei nach § 101 S. 1 BetrVG aufzuheben. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Frage, ob die Einstellung zustimmungspflichtig war, sei die Aufnahme der tatsächlichen Beschäftigung des Arbeitnehmers gewesen, nicht schon der Abschluss des zugrundeliegenden Arbeitsvertrags.
23Gegen den ihr am 21.12.2022 zugestellten Beschluss hat die Arbeitgeberin mit einem bei dem Landesarbeitsgericht am 10.01.2023 eingegangenen Schriftsatz Beschwerde eingelegt und diese mit einem am 16.02.2023 eingegangenen Schriftsatz begründet.
24Die Arbeitgeberin trägt unter Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vorbringens vor:
25Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts sei auf den Abschluss des Arbeitsvertrags abzustellen. Nach dem Wortlaut des § 99 Abs. 1 S. 1 BetrVG habe der Arbeitgeber den Betriebsrat vor Einstellung zu unterrichten und die Zustimmung zu der geplanten Einstellung einzuholen. Zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses mit Herrn I. am 29.12.2021 habe kein beschlussfähiges Gremium im "Wahlbetrieb 03" bestanden.
26Ihre Rechtsauffassung berücksichtige auch die schützenswerten Interessen der Arbeitnehmer. Diese kündigten bei Zusage bzw. Vertragsschluss in der Regel ihre bisherigen Arbeitsverhältnisse unter Einhaltung einer Kündigungsfrist. Könnte die geplante Beschäftigung mangels Zustimmung des Betriebsrats zum Zeitpunkt der tatsächlichen Beschäftigung noch kurzfristig scheitern, so würden sich Arbeitnehmer nicht dem Risiko aussetzen, ein sicheres Arbeitsverhältnis aufzugeben. Eine solche Lesart des § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG sei auch im Hinblick auf den aktuellen Fachkräftemangel für Unternehmen nicht tragbar.
27Die Arbeitgeberin beantragt,
28den Beschluss des Arbeitsgerichts Oberhausen vom 01.12.2022, Az. 2 BV 2/22, abzuändern und den Antrag zurückzuweisen.
29Der Betriebsrat beantragt,
30die Beschwerde zurückzuweisen.
31Der Betriebsrat verteidigt in der Beschwerdeinstanz in erster Linie den angefochtenen Beschluss:
32Entscheidender Zeitpunkt für den Begriff der Einstellung iSd. § 99 BetrVG sei, wie das Arbeitsgericht zu Recht festgestellt habe, nicht der Abschluss des Arbeitsvertrags, sondern die tatsächliche Eingliederung in den Betrieb. Die Arbeitgeberin verkenne mit ihren Ausführungen den Unterschied zwischen den gesetzlichen Voraussetzungen der Beteiligung des Betriebsrats bei personellen Maßnahmen und den Hinweisen des Bundesarbeitsgerichts zu deren praktischer Umsetzung. Danach sollte der Betriebsrat bereits vor Abschluss des Arbeitsvertrags beteiligt werden, da der Arbeitgeber sonst vor dem Risiko stehe, den Pflichten aus dem Arbeitsvertrag nicht nachkommen zu können. Dies ändere allerdings nichts an den gesetzlichen Voraussetzungen für die Beteiligung des Betriebsrats bei einer Einstellung, die auf die tatsächliche Eingliederung in den Betrieb zur Verfolgung arbeitstechnischer Zwecke abstellten.
33Im Ergebnis könne dies dahinstehen, da ein mündlicher Vertragsschluss vor dem 26.01.2022 nicht vorgelegen habe. Es sei bereits fernliegend, dass Herr X. als Leiter der technischen Einheit Fahrbahn West zu dem Abschluss von Arbeitsverträgen befugt gewesen wäre. Jedenfalls seien die essentialia negotii zwischen den Parteien nicht bestimmt worden.
34Wegen Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf die in beiden Instanzen zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und die Ergebnisse der mündlichen Verhandlungen Bezug genommen.
35II.
36Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
371.Die Beschwerde ist zulässig.
38Sie ist statthaft (§ 87 Abs. 1 ArbGG) sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 87 Abs. 2, 89 ArbGG iVm. §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, § 520 ZPO). Die Beschwerdebegründung setzt sich in ausreichendem Maße mit den tragenden Gründen des angefochtenen Beschlusses auseinander.
392.Die Beschwerde ist unbegründet. Zu Recht hat das Arbeitsgericht der Arbeitgeberin aufgegeben, die Einstellung von Herrn I. aufzuheben.
40a.Nach § 101 Satz 1 BetrVG kann der Betriebsrat beim Arbeitsgericht beantragen, dem Arbeitgeber aufzugeben, eine personelle Maßnahme iSd. § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG aufzuheben, wenn der Arbeitgeber die Maßnahme ohne Zustimmung des Betriebsrats durchführt. Nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG muss der Arbeitgeber den Betriebsrat in Unternehmen mit in der Regel mehr als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern ua. vor jeder Einstellung unterrichten und seine Zustimmung zu der geplanten Maßnahme einholen. Eine personelle Einzelmaßnahme iSd. § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG kann daher nur nach Zustimmung des Betriebsrats oder ihrer rechtskräftigen Ersetzung in einem Verfahren nach § 99 Abs. 4 BetrVG oder als vorläufige personelle Maßnahme unter den Voraussetzungen des § 100 BetrVG vorgenommen werden (BAG 14. Juni 2022 - ABR 13/21 - Rn. 16; 17. November 2021 - 7 ABR 18/20 - Rn. 10 mwN).
41Gegenstand des Aufhebungsverfahrens nach § 101 Satz 1 BetrVG ist die Frage, ob eine konkrete personelle Einzelmaßnahme gegenwärtig und zukünftig als endgültige Maßnahme zulässig ist. Der Aufhebungsantrag dient der Beseitigung eines betriebsverfassungswidrigen Zustands, der dadurch eingetreten ist, dass der Arbeitgeber eine konkrete personelle Einzelmaßnahme ohne die erforderliche Zustimmung des Betriebsrats durchführt oder aufrechterhält. Mit der Rechtskraft eines dem Antrag nach § 101 Satz 1 BetrVG stattgebenden Beschlusses wird der Arbeitgeber verpflichtet, den betriebsverfassungswidrigen Zustand durch Aufhebung der personellen Einzelmaßnahme zu beseitigen (LAG Niedersachsen 19. Mai 2021 - 2 TaBV 51/20 - Rn. 42).
42b.Die Voraussetzungen eines Aufhebungsantrags nach § 101 Satz 1 BetrVG liegen vor. Die Arbeitgeberin hat die Einstellung des Herrn I. ohne die erforderliche Zustimmung des Betriebsrats oder deren rechtskräftige Ersetzung vorgenommen.
43aa.Die Arbeitgeberin beschäftigt in ihrem "Wahlbetrieb 03" mehr als 20 Arbeitnehmer/-innen. Einstellungen in diesem Betrieb unterliegen daher gemäß § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG der Mitbestimmung des Betriebsrats .
44bb.Für den neu gewählten Betriebsrat im "Wahlbetrieb 03" gilt dies seit dem Zeitpunkt seiner Konstituierung am 26.01.2022. Die nach § 29 Abs. 1 Satz 1 BetrVG vom Wahlvorstand einzuberufende Sitzung sowie die dort nach § 26 Abs. 1 Satz 1 BetrVG vorzunehmende Wahl des Vorsitzenden und dessen Stellvertreters sind Wirksamkeitsvoraussetzungen für die Begründung der Handlungsfähigkeit des Betriebsrats nach Beginn seiner Amtszeit. Erst mit der Wahl nach § 26 BetrVG wird die Amtsausübungsbefugnis des Betriebsrats begründet (BAG 23. August 1984 - 6 AZR 520/82 - Rn. 14).
45cc.Die Einstellung des Herrn I. erfolgte nach der Konstituierung des Betriebsrats und war damit nach § 99 Abs. 1 S. 1 BetrVG zustimmungspflichtig.
46(1)Beteiligungsrechte des Betriebsrats und damit verbunden die Verpflichtung des Arbeitgebers, ihn zu beteiligen, entstehen in dem Moment, in dem sich derjenige Tatbestand verwirklicht, an den das jeweilige Recht anknüpft (BAG 8. Februar 2022 - 1 ABR 2/21 - Rn. 21).
47Nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG hat der Arbeitgeber den Betriebsrat "vor" der Einstellung zu unterrichten und die Zustimmung zu der "geplanten" Einstellung einzuholen. Nach dem Zweck des Mitbestimmungsrechts ist es grundsätzlich erforderlich, dass die Beteiligung des Betriebsrats zu einer Zeit erfolgt, zu der noch keine abschließende und endgültige Entscheidung getroffen worden ist oder doch eine solche noch ohne Schwierigkeiten revidiert werden kann (BAG 11. Oktober 2022 - 1 ABR 18/21 - Rn. 24; 21. November 2018 - 7 ABR 16/17 - Rn. 18; 9. Dezember 2008 - 1 ABR 74/07 - Rn. 24; 28. April 1992 - 1 ABR 73/91). Eine erst nach Aufnahme der tatsächlichen Beschäftigung im Betrieb erfolgte Unterrichtung des Betriebsrats ist nicht fristgerecht und damit nicht ordnungsgemäß iSv. § 99 Abs. 1 BetrVG (BAG 21. November 2018 - 7 ABR 16/17 - Rn. 18).
48(a)Eine Einstellung iSd. § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist gegeben, wenn eine Person in den Betrieb eingegliedert wird, um zusammen mit den dort schon beschäftigten Arbeitnehmern dessen arbeitstechnischen Zweck durch weisungsgebundene Tätigkeit zu verwirklichen. Die für eine Einstellung erforderliche Eingliederung in die Betriebsorganisation setzt nicht voraus, dass der Arbeitnehmer seine Arbeiten auf dem Betriebsgelände oder innerhalb der Betriebsräume verrichtet. Entscheidend ist vielmehr, ob der Arbeitgeber mithilfe des Arbeitnehmers den arbeitstechnischen Zweck des jeweiligen Betriebs verfolgt (BAG 14. Juni 2022 - 1 ABR 13/21 - Rn. 19, BAG 12. Juni 2019 - 1 ABR 5/18 - Rn. 16 mwN).
49Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Einstellung nach § 99 BetrVG betrifft lediglich die tatsächliche Beschäftigung und nicht den Abschluss der zugrundeliegenden vertraglichen Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer (BAG 22. September 2021 - 7 ABR 22/20 - Rn. 48; 28. April 1992 - 1 ABR 73/91). Deshalb ist bei fehlender Zustimmung der Personalvertretung zur Einstellung zwar die tatsächliche Eingliederung des Arbeitnehmers in den Betrieb, dh. dessen Beschäftigung, unzulässig. Der Arbeitsvertrag bleibt jedoch wirksam (BAG Urteil vom 28. April 2021 - 7 AZR 212/20 - Rn. 39; 26. Juni 2002 - 7 AZR 92/01).
50(b)Der Betriebsrat kann seine Beteiligung jedoch bereits vor dem Abschluss eines Vertrags verlangen. Zwar unterliegt der Vertrag nicht der Mitbestimmung des Betriebsrats. Dennoch ist dieser bereits zuvor zu beteiligen. Eine erst vor der Aufnahme der Beschäftigung zu diesem Zeitpunkt stattfindende Beteiligung wird dem Zweck des Mitbestimmungsrechts nicht in vollem Umfang gerecht. Der Abschluss eines Vertrags ist, jedenfalls sofern er nicht unter dem ausdrücklichen Vorbehalt der Zustimmung des Betriebsrats erfolgt, regelmäßig eine solche endgültige Entscheidung, die nicht mehr ohne Weiteres rückgängig gemacht werden kann (vgl. zum Änderungsvertrag BAG 9. Dezember 2008 - 1 ABR 74/07 - Rn. 24 mVa. BAG 28. April 1992 - 1 ABR 73/91). Für den Fall des Auseinanderfallens von Vertragsschluss und Eingliederung wird daher vertreten, dass die zeitlich erste Maßnahme des Arbeitgebers mitbestimmungspflichtig sein soll (so: Fitting/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier/Schelz, 31. Aufl. 2022, BetrVG § 99 Rn. 32; ErfK/Kania, 23. Aufl. 2023, BetrVG § 99 Rn. 5).
51(c)Eine generelle Verpflichtung des Arbeitgebers, mit einer an sich beteiligungspflichtigen Maßnahme so lange zu warten, bis im Betrieb ein funktionsfähiger Betriebsrat vorhanden ist, enthält das Betriebsverfassungsgesetz nicht. Das gilt selbst dann, wenn mit der Wahl eines Betriebsrats zu rechnen und die Zeit bis zu dessen Konstituierung absehbar ist (BAG 8. Februar 2022 - 1 ABR 2/21 - Rn. 30).
52(2)In Anwendung der dargestellten Grundsätze geht die Beschwerdekammer davon aus, dass die Einstellung des Herrn I. nach § 99 Abs. 1 S. 1 BetrVG mitbestimmungspflichtig war.
53(a)Die Eingliederung in Betriebsorganisation erfolgte vorliegend erst mit der Aufnahme der Tätigkeit am 01.03.2022. Eine Unterrichtung des seit dem 26.01.2022 konstituierten Betriebsrats vor diesem Zeitpunkt war möglich, ist jedoch unterblieben.
54(b)Entgegen der Auffassung der Arbeitgeberin war die Durchführung des Mitbestimmungsverfahrens vorliegend nicht entbehrlich, weil auf den - behaupteten - Vertragsschluss mit dem Arbeitnehmer vor der Konstituierung des Betriebsrats abzustellen ist.
55(aa)Zu differenzieren ist zwischen dem Tatbestand, an den das jeweilige Mitbestimmungsrecht anknüpft, und dem Recht des Betriebsrats auf eine möglichst frühzeitige Einbindung in den Entscheidungsvorgang:
56Anknüpfungspunkt für das Mitbestimmungsrecht aus § 99 Abs. 1 S. 1 BetrVG ist die Aufnahme der tatsächlichen Beschäftigung im Betrieb. Zwar ist es nach dem Zweck des Mitbestimmungsrechts grundsätzlich erforderlich, dass die Beteiligung des Betriebsrats zu einer Zeit erfolgt, zu der noch keine abschließende und endgültige Entscheidung getroffen worden ist oder eine solche noch ohne Schwierigkeiten revidiert werden kann (vgl. BAG 11. Oktober 2022 - 1 ABR 18/21 - Rn. 24; 21. November 2018 - 7 ABR 16/17 - Rn. 18). Ist eine solche frühzeitige Beteiligung - wie im vorliegenden Fall - nicht möglich, führt dies nach der Auffassung der Kammer nicht dazu, dass eine Beteiligung des Betriebsrats gänzlich unterbleiben kann. Andernfalls würde das nach § 99 Abs. 1 S. 1 BetrVG bestehende Mitbestimmungsrecht, welches an die Eingliederung in die Betriebsorganisation anknüpft, faktisch eingeschränkt. Die Pflicht zur frühzeitigen Beteiligung des Betriebsrats soll jedoch zu einer Erweiterung des Mitbestimmungsrechts, nicht zu dessen Einschränkung führen. Soweit für den Fall des Auseinanderfallens von Vertragsschluss und Eingliederung daher vertreten wird, dass die zeitlich erste Maßnahme des Arbeitgebers mitbestimmungspflichtig sein soll, so kann dies nur dann gelten, wenn zu beiden Zeitpunkten eine Beteiligung des Betriebsrats möglich wäre. Andernfalls ist der Betriebsrat spätestens vor der Eingliederung des Arbeitnehmers in die Betriebsorganisation der Arbeitgeberin nach § 99 BetrVG zwingend zu beteiligen.
57(bb)Diese Rechtsauffassung führt zu einer angemessenen Berücksichtigung der unterschiedlichen Interessen der Beteiligten. Die Pflicht zur frühzeitigen Einbindung des Betriebsrats liegt grundsätzlich in seinem Interesse, weil er die Möglichkeit erhält, bereits vor der Entscheidung der Arbeitgeberin auf diese Einfluss zu nehmen, Rückfragen zu stellen, Informationen einzuholen und Vorschläge zu unterbreiten. Diese Interessenlage gebietet es, aus der möglichst frühzeitigen Einbindung keinen Wegfall der Beteiligungspflicht zu einem späteren, jedoch noch möglichen Zeitpunkt, abzuleiten.
58Für die Arbeitgeber/-innen ergibt sich bei der Neuwahl des Betriebsrats für den Fall des Auseinanderfallens von Vertragsschluss und Einstellungsbeginn ein Übergangszeitraum, der zu der vorliegenden Problematik führen kann. Ab dem Zeitpunkt der Kenntnis von der Neuwahl des Betriebsrats kann der Unsicherheit hinsichtlich einer Beteiligungspflicht des Betriebsrats mit der Vereinbarung eines Vorbehalts im Arbeitsvertrag des Bewerbenden sachgerecht begegnet werden.
59Durch diese Transparenz wird auch das von der Arbeitgeberin angeführte schützenswerte Interesse der Bewerber/-innen gewahrt. Diese können erkennen, dass für den Fall der Konstituierung vor ihrem Tätigkeitsbeginn ein Zustimmungserfordernis besteht, und danach eine informierte Entscheidung über den Abschluss des Arbeitsvertrags treffen.
60Soweit die Arbeitgeberin vorliegend auf die Unzumutbarkeit eines solchen Vorgehens im Hinblick auf den aktuellen Fachkräftemangel verweist, überzeugt dies die Kammer nicht. Mit Blick auf die Bedeutung des § 99 BetrVG zur Sicherung der Beteiligungsrechte des Betriebsrats ist eine solche Unsicherheit für die Dauer der Durchführung des Wahlverfahrens bzw. zwischen Vertragsschluss und Tätigkeitsbeginn hinzunehmen.
61dd.Aus dem vorliegenden Einzelfall ergeben sich keine Besonderheiten, die eine Abweichung von der dargestellten Rechtsauffassung rechtfertigen würden. Insbesondere liegt keine besondere zeitliche Nähe zwischen der Konstituierung des Betriebsrats und dem Tätigkeitsbeginn des Herrn I. vor, die die ordnungsgemäße Durchführung eines Mitbestimmungsverfahrens nach § 99 Abs. 1 S. 1 BetrVG, gegebenenfalls kombiniert mit einer vorläufigen personellen Maßnahme gemäß § 100 BetrVG, unmöglich gemacht hätte.
62Eine besondere Schutzwürdigkeit der Arbeitgeberin ist ebenfalls nicht ersichtlich. Die Arbeitgeberin wusste spätestens durch das Wahlausschreiben vom 01.12.2021 von der bevorstehenden Neuwahl des Betriebsrats und hätte dies in den vertraglichen Vereinbarungen mit Herrn S. I. berücksichtigen können.
63ee. Auf die zwischen den Beteiligten streitige Frage, ob vor der Konstituierung des Betriebsrats überhaupt ein Arbeitsvertrag der Arbeitgeberin mit Herrn I. wirksam zustandegekommen ist, kam es daher im Ergebnis nicht an.
64Zu Recht hat das Arbeitsgericht der Beteiligten zu 2) aufgegeben, die Einstellung des Herrn I. aufzuheben. Die Beschwerde war zurückzuweisen.
65III.
66Die Rechtsbeschwerde war gemäß §§ 92 Abs. 1 Satz 2, 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG wegen grundsätzlicher Bedeutung der entscheidungserheblichen Rechtsfrage zuzulassen, auf welchen Zeitpunkt für die Frage der Zustimmungspflicht bei einer Einstellung im Fall der Konstituierung des Betriebsrats zwischen Vertragsschluss und Tätigkeitsbeginn abzustellen ist.
67RECHTSMITTELBELEHRUNG
68Gegen diesen Beschluss kann von der Beschwerdeführerin
69RECHTSBESCHWERDE
70eingelegt werden.
71Für die weiteren Beteiligten ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.
72Die Rechtsbeschwerde muss
73innerhalb einer Notfrist* von einem Monat
74nach der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Beschlusses schriftlich oder in elektronischer Form beim
75Bundesarbeitsgericht
76Hugo-Preuß-Platz 1
7799084 Erfurt
78Fax: 0361 2636-2000
79eingelegt werden.
80Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Beschlusses, spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung.
81Die Rechtsbeschwerdeschrift muss von einem Bevollmächtigten unterzeichnet sein. Als Bevollmächtigte sind nur zugelassen:
821.Rechtsanwälte,
832.Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,
843.Juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in Nummer 2 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder eines anderen Verbandes oder Zusammenschlusses mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt, und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
85In den Fällen der Ziffern 2 und 3 müssen die Personen, die die Rechtsbeschwerdeschrift unterzeichnen, die Befähigung zum Richteramt haben.
86Beteiligte, die als Bevollmächtigte zugelassen sind, können sich selbst vertreten.
87Die elektronische Form wird durch ein elektronisches Dokument gewahrt. Das elektronische Dokument muss für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet und mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg gemäß § 46c ArbGG nach näherer Maßgabe der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (ERVV) v. 24. November 2017 in der jeweils geltenden Fassung eingereicht werden. Nähere Hinweise zum elektronischen Rechtsverkehr finden Sie auf der Internetseite des Bundesarbeitsgerichts www.bundesarbeitsgericht.de.
88* eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.
89ReineckeLangnerSchütt