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1. Eine Kappungsgrenze in einem Sozialplan, die erkennbar den Zweck verfolgt, ein begrenztes Sozialplanvolumen bei sehr unterschiedlichen Beschäftigungszeiten und Bruttoentgelten der von Entlassung betroffenen Mitarbeiter gleichmäßiger und damit aus Sicht der Betriebsparteien gerechter zu verteilen, begründet jedenfalls dann keine unzulässige mittelbare Benachteiligung besonders langjährig Beschäftigter wegen des Alters, wenn als Teilkompensation zu der Abfindungsformel "Bruttomonatsentgelt x Beschäftigungsjahre x 1,0" und der Kappung des daraus folgenden Betrags eine Pauschalzahlung unabhängig vom Bruttoentgelt der jeweiligen Mitarbeiter je Jahr der Betriebszugehörigkeit vorgesehen wird. 2. Eine die Kappungsgrenze ergänzende Pauschalzahlung ist, wenn der Betrag nicht gänzlich unbeachtlich ist, geradezu mustergültig geeignet, Nachteile wegen des Alters hinreichend zu mildern und damit zur Angemessenheit der Sozialplanregelung insgesamt zu führen. Dann noch verbleibende Nachteile Einzelner, die im Wesentlichen durch deren außerordentlich hohes Bruttoentgelt bedingt sind, begründen weder eine unzulässige Altersdiskriminierung noch sonst eine unsachgemäße Ungleichbehandlung, sondern sind nach Sinn und Zweck eines Sozialplans mit begrenztem Verteilungsspielraum hinzunehmen.
I.Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 26.11.2020 - Az.: 2 Ca 2980/20 - wird zurückgewiesen.
II.Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III.Die Revision wird nicht zugelassen.
T A T B E S T A N D:
2Die Parteien streiten über die Höhe der Abfindung aus einem Sozialplan, den die Insolvenzschuldnerin mit ihrem Betriebsrat aus Anlass der Stilllegung ihres S. Betriebes im Jahr 2019 vereinbart hat.
3Die am 03.05.1964 geborene Klägerin war bei der L. Group Germany GmbH (im Folgenden: "Insolvenzschuldnerin") bzw. deren Rechtsvorgängerin seit dem 29.09.1993 in einem Arbeitsverhältnis, zuletzt als Head of Sales, beschäftigt. Das durchschnittliche Bruttomonatsgehalt der Klägerin betrug 11.844,90 €.
4Unter dem 29.10.2019 schloss die Insolvenzschuldnerin mit dem bei ihr gebildeten Betriebsrat einen Interessenausgleich mit Namensliste im Hinblick auf die vollständige schrittweise Stilllegung des Betriebs in S. ab. Die Klägerin ist auf der Namensliste unter Ziffer 20 aufgeführt. Auf den Inhalt des Interessenausgleichs (Anlage zur Berufungsbegründung, Blatt 363 ff. der Akte) wird Bezug genommen.
5Sämtliche 41 Arbeitsverhältnisse des S. Betriebes der Insolvenzschuldnerin wurden dementsprechend gekündigt, unter anderem auch das Arbeitsverhältnis der Klägerin ordentlich fristgerecht mit Schreiben vom 30.10.2019 zum 31.05.2020.
6Ebenfalls unter dem 29.10.2019 schloss die Insolvenzschuldnerin mit dem bei ihr gebildeten Betriebsrat einen Sozialplan ab, wegen dessen Inhalts im Übrigen auf die Anlage BB1 zur Berufungsbegründung (Blatt 358 ff. der Akte) Bezug genommen wird und der unter § 2 zur Zahlung einer Abfindung folgende Regelungen enthält:
7"§ 2 Abfindung
81.Mitarbeiterinnen/Mitarbeiter, die aufgrund einer betriebsbedingten Kündigung und/oder einvernehmlichen Aufhebung auf Veranlassung von Kidiliz zur Vermeidung einer betriebsbedingten Kündigung ausscheiden, erhalten für den Verlust des sozialen Besitzstandes und zur Milderung wirtschaftlicher Nachteile eine Abfindung.
9a)Die jeweilige Grundabfindung berechnet sich grundsätzlich nach folgender Formel:
10Bruttomonatsgehalt x Betriebszugehörigkeit x 1,0
11b)Die Höhe der Grundabfindung beträgt mindestens 3.000,00 EUR (brutto). Die Höhe der Grundabfindung beträgt jedoch höchstens 35.000,00 EUR (brutto); darüber hinausgehende Beträge werden gekappt (Kappungsgrenze).
12c)Arbeitnehmer mit einer Betriebszugehörigkeit von fünf Jahren und mehr erhalten zusätzlich zu der nach Ziffern a) und b) errechneten Grundabfindung einen pauschalen Betrag in Höhe von 1.000 € brutto (unabhängig vom Einkommen) pro Jahr der Betriebszugehörigkeit (gerechnet ab dem ersten Jahr der Betriebszugehörigkeit).
13[ ]"
14Die Beklagte berechnete die der Klägerin zustehende Abfindung gemäß § 2 Ziffer 1 a) und c) unter Berücksichtigung der Kappungsgrenze des § 2 Ziffer 1 b) des Sozialplans mit 62.000,00 € brutto (35.000,00 € nach § 2 Ziff. 1 a), b) sowie 27.000,00 € zusätzlich für 27 Jahre Betriebszugehörigkeit nach § 2 Ziff. 1 c)). Diesen Betrag zahlte sie an die Klägerin aus.
15Die Kappungsgrenze des § 2 Ziffer 1 b) des Sozialplans gelangte bei insgesamt vier der 41 von Entlassung betroffenen Beschäftigten zur Anwendung und hatte bei der Klägerin die deutlich größten finanziellen Auswirkungen.
16Mit ihrer am 20.11.2019 vor dem Arbeitsgericht Düsseldorf gegen die Insolvenzschuldnerin erhobenen Klage hat die Klägerin sich zunächst gegen die Kündigung vom 30.10.2019 gewandt. Mit am 07.02.2020 bei Gericht eingegangener und der Insolvenzschuldnerin am 21.02.2020 zugestellter Klageerweiterung hat sie hilfsweise für den Fall der rechtskräftigen Abweisung der Kündigungsschutzklage die Zahlung einer über den Betrag von 62.000,- € brutto hinausgehenden, weiteren Abfindung in Höhe von 257.812,30 € brutto geltend gemacht.
17Mit Teilurteil vom 10.08.2020 hat das Arbeitsgericht Düsseldorf die Kündigungsschutzklage rechtskräftig abgewiesen.
18Mit Versäumnisschlussurteil vom gleichen Tage hat das Arbeitsgericht die Klage unter anderem auch zu dem Hilfszahlungsantrag aus der Klageerweiterung abgewiesen. Das Versäumnisschlussurteil ist der Klägerin über ihre Prozessbevollmächtigten am 24.08.2020 zugestellt worden. Mit bereits am 17.08.2020 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz hat sie Einspruch hiergegen eingelegt.
19Hinsichtlich des erstinstanzlich damit nur noch weiterverfolgten Anspruchs auf Zahlung einer höheren Sozialplanabfindung hat die Klägerin die Ansicht vertreten, insgesamt stehe ihr eine Abfindung in Höhe von 319.812,30 € brutto zu ausgehend von der Berechnungsformel in § 2 Ziffer 1 a) des Sozialplans. Danach ergebe sich bei einem durchschnittlichen Bruttomonatsgehalt in Höhe von 11.844,90 € und einer Betriebszugehörigkeit von 27 Jahren sowie einem Faktor von 1,0 ein Gesamtbetrag in Höhe von 319.812,30 € brutto. Mithin sei ihr über die von der Beklagten errechnete Abfindung in Höhe von 62.000,00 € brutto hinaus eine weitere Abfindung in Höhe von 257.812,30 € brutto zu zahlen. Die Kappung der Abfindung verstoße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, da sie die einzige Arbeitnehmerin der Insolvenzschuldnerin sei, bei der eine Kappung in dieser Größenordnung erfolgt sei. Sie behauptet dazu, die Kappung der Sozialplanabfindung sei nur aus dem Grund eingeführt worden, um ihr den ansonsten zustehenden Anspruch auf eine Abfindung nach der regulären Berechnung nicht zukommen zu lassen. In den Verhandlungen mit dem Rechtsanwalt des Betriebsrats sei wiederholt von einer "Lex L." gesprochen worden. Zudem stelle die Kappungsgrenze des Sozialplans eine Altersdiskriminierung nach §§ 1, 7 AGG dar, die nach § 7 Abs. 2 AGG unwirksam sei. Die Kappungsgrenze sei im Wesentlichen aufgrund der langen Betriebszugehörigkeit der Klägerin in Verbindung mit ihrem Alter von 56 Jahren zum Zeitpunkt des Ausscheidens bei der Beklagten aufgenommen worden. Zwar könne grundsätzlich eine Kappungsgrenze zu einem verteilungsgerechten Ausgleich führen. In ihrem Fall sei durch die Kappungsgrenze die Sozialplanabfindung jedoch um circa 81 % gekürzt worden. Bei anderen Mitarbeitern der Beklagten sei eine Kürzung von maximal 15 % erfolgt. Insofern sei von den Betriebsparteien keine ordnungsgemäße Vergleichsgruppenbildung vorgenommen worden.
20Die Klägerin hat erstinstanzlich zuletzt beantragt,
21das Versäumnisschlussurteil vom 10.08.2020 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an sie eine zusätzliche Abfindung in Höhe von 257.812,30 € brutto zu bezahlen.
22Die beklagte Insolvenzschuldnerin hat beantragt,
23das Versäumnisschlussurteil aufrecht zu erhalten.
24Sie hat die Ansicht vertreten, der Klägerin stehe lediglich eine Sozialplanabfindung in Höhe der gezahlten 62.000,00 € brutto gemäß den Regelungen des Sozialplans vom 29.10.2019 zu. Die Betriebsparteien hätten die Kappungsgrenze nicht wegen der Klägerin und ihres Alters eingeführt. Vielmehr hätten sie einer überproportionalen Begünstigung langjähriger Beschäftigter durch eine Begrenzung der Abfindungshöhe entgegenwirken wollen. Dies habe allein dem Zweck gedient, allen von einem Arbeitsplatzverlust betroffenen Arbeitnehmern eine verteilungsgerechte Abmilderung der sie voraussichtlich treffenden wirtschaftlichen Nachteile zukommen zu lassen. Einer solchen Kappungsgrenze liege die Einschätzung der Betriebsparteien zugrunde, dass die wirtschaftlichen Nachteile der davon betroffenen Arbeitnehmer angemessen ausgeglichen oder jedenfalls substantiell abgemildert würden. Ohne die Kappungsgrenze, so die Behauptung der Insolvenzschuldnerin, wäre es niemals zu einem Sozialplanfaktor 1,0 gekommen. Auch bei drei weiteren Arbeitnehmern hätte die Kappungsgrenze im Übrigen zu einer deutlichen Reduzierung der Sozialplanabfindung geführt.
25Mit Urteil vom 26.11.2020 hat das Arbeitsgericht Düsseldorf das Versäumnisschlussurteil vom 10.08.2020 aufrechterhalten. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht im Wesentlichen ausgeführt, der zulässige Einspruch der Klägerin gegen das klageabweisende Versäumnisurteil sei nicht begründet. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Zahlung einer weiteren Abfindung in Höhe von 257.812,30 € brutto. Der Anspruch ergebe sich nicht aus § 2 Ziffer 1 a) des Sozialplans vom 29.10.2019. Zwar sei die von der Klägerin vorgenommene Berechnung einer insgesamt zu zahlenden Abfindung in Höhe von 319.812,30 € brutto nach dieser Ziffer des Sozialplans zutreffend. Der Sozialplan sehe aber in § 2 Ziffer 1 b) eine maximale Grundabfindung in Höhe von 35.000,00 € brutto vor und kappe die darüber hinausgehenden Beträge nach § 2 Ziffer 1 a). Darüber hinaus sehe § 2 Ziffer 1 c) des Sozialplans für Arbeitnehmer mit einer Betriebszugehörigkeit von fünf Jahren und mehr zusätzlich zu der nach Ziffern a) und b) errechneten Grundabfindung einen pauschalen Betrag in Höhe von 1.000,00 € brutto pro Jahr der Betriebszugehörigkeit vor. Damit begrenze der Sozialplan die Abfindung der Klägerin auf insgesamt 62.000,00 € brutto (35.000,00 € brutto nach § 2 Ziffer 1 b) und 27.000,00 € brutto nach § 2 Ziffer 1 c)). Diese Kappung sei eindeutig. Ein hierüber hinausgehender Anspruch stehe der Klägerin auch nicht aus dem betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz gemäß § 75 Abs. 1 BetrVG oder aus dem AGG zu. Denn die Höchstbegrenzung der Abfindung nach § 2 Ziffer 1 b) und c) des Sozialplans vom 29.10.2019 sei wirksam. Eine Altersdiskriminierung liege schon deshalb nicht vor, weil die Kappungsgrenze nicht nach dem Alter differenziere. Die Gruppenbildung erfolge danach, dass alle von einer Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer ab einem bestimmten Höchstbetrag der Abfindung unabhängig von Lebensalter, Betriebszugehörigkeit und Verdienst gleich behandelt würden. Die Betriebsparteien hätten insoweit den Höchstbetrag auf 35.000 € festgelegt. Zusätzlich erhielten Arbeitnehmer mit einer Betriebszugehörigkeit von mehr als fünf Jahren pauschal weitere 1.000 € pro Jahr der Betriebszugehörigkeit. Unstreitig seien mindestens zwei weitere Arbeitnehmer der Beklagten zusammen mit der Klägerin von der Kappung betroffen und damit in derselben Vergleichsgruppe wie sie. Unter Berücksichtigung des - nach dem erstinstanzlichen Tatbestand unstreitig - vorgegebenen Sozialplanvolumens von insgesamt ca. 900.000,- € seien die Betriebspartner damit für alle von einer Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer gleichbleibend davon ausgegangen, dass mit einer derartigen Größenordnung die wirtschaftlichen Folgen der Betriebsänderung substantiell abgemildert würden. Da sie aber gerade nicht alle denkbaren Nachteile entschädigen müssten, ergebe sich aus der zulässigen typisierenden Betrachtung zwar die Folge, dass einzelne Mitarbeiter im Endeffekt immer mal schlechter gestellt seien als andere. Hierbei handele es sich um eine der Härten, die mit jeder Gruppenbildung einhergingen und die bei typisierender Abschätzung wirtschaftlicher Nachteile und deren pauschalierendem Ausgleich nicht vermeidbar seien. Auch in dem Fall, den das BAG mit Urteil vom 21.07. 2009 (1 AZR 566/08) entschieden habe, sei die Basisabfindung nach der Formel "monatlicher Bruttoverdienst × Betriebszugehörigkeit × 1,0 berechnet worden und im Fall des dortigen Klägers von 242.142,74 € auf 92.000 € gekappt worden. Die Kappung bei der Klägerin falle zwar deutlicher aus, im Ergebnis gebe es jedoch keinen Anhaltspunkt dafür, warum die mit der Betriebsänderung verbundenen wirtschaftlichen Folgen für die Klägerin im Vergleich zu diesem Fall schwerwiegender ausfielen. Die etwas weitergehende Kappung auf insgesamt 62.000 € sei dem Gesamtbudget des Sozialplans geschuldet. Ohne Kappung hätte die Klägerin nach ihrer Berechnung mehr als 1/3 des gesamten vereinbarten Sozialplanvolumens erhalten. Dadurch wäre dem Sozialplan vom 29.10.2020 die wirtschaftliche Grundlage entzogen worden. Die lange Betriebszugehörigkeit und damit korrespondierend auch das Alter der Klägerin sei durch § 2 Ziff. 1 c) des Sozialplans ausreichend berücksichtigt worden und habe neben der Grundabfindung von 35.000 € zu einem weiteren Abfindungsanspruch von 27.000 € geführt, was mehr als 75 % der Grundabfindung ausmache. Anhaltspunkte dafür, dass die Betriebsparteien durch eine solche Regelung ihren Gestaltungsspielraum in Bezug auf die Fragen, ob, in welchem Umfang und wie sie die prognostizierten wirtschaftlichen Nachteile ausgleichen oder abmildern wollen, im Fall der Klägerin überschritten hätten, seien nicht erkennbar. Daran ändere auch die von der Klägerin aufgestellte Behauptung nichts, die Betriebspartner hätten bei der Kappung von einer "Lex L." gesprochen. Denn offensichtlich hätten die Betriebspartner nicht den Eindruck gehabt, dass die wirtschaftlichen Nachteile der Betriebsschließung für die Klägerin größer seien als für andere Arbeitnehmer und daher weitergehend auszugleichen oder abzumildern seien. Die Klägerin habe zwar mit 56 Jahren ein Alter erreicht, in dem die Erfolgsaussichten am Arbeitsmarkt bereits etwas reduziert seien. Andererseits sei sie, wie sich bereits aus der Funktion und dem Gehalt ergebe, deutlich höher spezialisiert und weitergehend einsetzbar als andere Arbeitnehmer der Beklagten, die von der Betriebsänderung betroffen seien. Dieser Aspekt erhöhe wiederum die Erfolgsaussichten am Arbeitsmarkt für die Klägerin.
26Das Urteil des Arbeitsgerichts ist der Klägerin über ihre Prozessbevollmächtigten am 13.01.2021 zugestellt worden. Sie hat mit am 02.02.2021 bei dem Landesarbeitsgericht Düsseldorf eingegangenem Anwaltsschriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten Berufung eingelegt und diese - nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 12.04.2021 - mit am 12.04.2021 bei dem Landesarbeitsgericht eingegangenem Anwaltsschriftsatz begründet.
27Mit Beschluss des Amtsgerichts Düsseldorf vom 26.03.2021 zu dem Aktenzeichen 505 IN 113/20 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestimmt. Das Berufungsverfahren war damit gemäß § 240 ZPO unterbrochen. Nachdem die Klägerin ihre Forderung zur Insolvenztabelle angemeldet und der Beklagte sie in voller Höhe bestritten hat (Anlage BB9, Blatt 439 der Akte), hat die Klägerin das Verfahren gegen den Beklagten mit am 08.12.2021 bei dem Landesarbeitsgericht Düsseldorf eingegangenem und ihm am 16.12.2021 zugestelltem Schriftsatz aufgenommen.
28Die Klägerin verfolgt unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens ihren Abfindungsanspruch, nunmehr zur Feststellung als berechtigte Insolvenzforderung in dem laufenden Insolvenzverfahren über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin weiter. Die durch den Sozialplan vorgenommene Kappung begründe eine mittelbare Benachteiligung der Klägerin wegen des Alters im Sinne von § 3 Abs. 2 AGG. Keine Mitarbeiterin habe zum Zeitpunkt der Kündigung über vergleichbare Sozialdaten wie die Klägerin verfügt. Dementsprechend habe es keine auch nur annähernd vergleichbare Mitarbeiterin mit selbem Alter und vergleichbarer Betriebszugehörigkeit gegeben, die solche finanziellen Einbußen wie die Klägerin aufgrund der Kappungsgrenze hinzunehmen gehabt hätte. Das habe zu dem bereits dargelegten Begriff der "Lex L." geführt. Die Kappung verletze den Gleichbehandlungsgrundsatz aus § 75 Abs. 1 BetrVG und Art. 3 GG und erweise sich auch aus diesem Grunde als unwirksam. Ein Fall zulässiger Kappung, wie das Bundesarbeitsgericht ihn bislang entschieden habe, liege nicht vor. Die Klägerin sei zwar eine der ältesten Mitarbeiterinnen der Insolvenzschuldnerin gewesen, aber nicht so rentennah, dass sie einen finanziellen Verlust durch den Bezug von Arbeitslosengeld, eine Aufstockung durch die Abfindungszahlung und einen dann alsbald anstehenden Renteneintritt hätte ausgleichen können. Die Betriebsparteien hätten hier auch keine zulässige Gruppenbildung vorgenommen. Vielmehr sei die Klägerin als einzige der 41 Arbeitnehmer derart von einer Kappung betroffen gewesen. Die Kappung sei allein im Zusammenhang mit der Klägerin und zur Begrenzung ihrer Abfindung eingeführt worden. Damit sei der Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot evident. Die Betriebsparteien hätten keine typisierende Betrachtung vorgenommen, sondern allein die Klägerin in diesem Ausmaß benachteiligt. Die Kürzung mache bei ihr einen Anteil von 81% aus, bei den einzigen drei weiteren Mitarbeitern, die unter die Kappungsgrenze gefallen seien, habe die Kürzung zwischen 5% und 11% gelegen. Es sei auch nicht nachvollziehbar und werde daher bestritten, wie das Arbeitsgericht zu einem Sozialplanvolumen von 900.000,- € gelangt sei, welches angeblich nur zur Verfügung gestanden hätte.
29Die Klägerin beantragt,
30das Schlussurteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 26.11.2020 - 2 Ca 2980/20 - abzuändern, das Versäumnisschlussurteil vom 10.08.2020 teilweise aufzuheben und festzustellen, dass der Klägerin in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der L. Group Germany GmbH zu dem Aktenzeichen 505 IN 113/20 des Amtsgerichts Düsseldorf eine Insolvenzforderung in Höhe von 257.812,30 € brutto als zusätzliche Abfindung nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.06.2020 zusteht.
31Der Beklagte beantragt,
32die Berufung zurückzuweisen.
33Er verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung des erstinstanzlichen Vorbringens der Insolvenzschuldnerin. Das erstmals in der Berufungsinstanz durch die Klägerin erfolgte Bestreiten eines Sozialplanvolumens von 900.000,- €, welches in erster Instanz unstreitig gewesen und deshalb zutreffend im Tatbestand des arbeitsgerichtlichen Urteils auch als unstreitig ausgewiesen worden sei, hält der Beklagte für unzulässig. Diese Summe sei in der mündlichen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht von dem damaligen Beklagtenvertreter genannt und Klägerseits nicht bestritten, mithin zurecht von dem Arbeitsgericht seiner Entscheidung als unstreitig zugrunde gelegt worden.
34Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen in erster und zweiter Instanz sowie auf die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.
35E N T S C H E I D U N G S G R Ü N D E:
36I.
37Die Berufung der Klägerin ist zulässig. Sie ist statthaft gemäß § 64 Abs. 1, Abs. 2 lit. b) ArbGG, denn der Wert des Beschwerdegegenstandes liegt über 600,- €. Ferner ist sie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Das Verfahren wurde nach Unterbrechung aufgrund der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin zudem ordnungsgemäß nach Anmeldung der Forderung im Insolvenzverfahren und Bestreiten ihrer Berechtigung durch den Beklagten gegen diesen als Insolvenzverwalter mit Schriftsatz vom 08.12.2021 aufgenommen.
38II.
39Die Berufung ist allerdings nicht begründet. Zu Recht hat das Arbeitsgericht Düsseldorf die Klage hinsichtlich der geltend gemachten weiteren und über den an die Klägerin bereits geleisteten Betrag von 62.000,- € brutto hinausgehenden Abfindungsforderung von 257.812,30 € brutto abgewiesen. Dem Arbeitsgericht ist insoweit im Ergebnis vollständig und in der Begründung teilweise zu folgen. Damit steht der Klägerin auch im Insolvenzverfahren nach im Übrigen problemlos zulässiger Klageumstellung die Feststellung der Berechtigung dieser Abfindungsforderung nicht zu.
40Im Einzelnen:
411. Der Klägerin steht in Anwendung des Sozialplans nach § 2 Ziffer 1 a) - c) kein höherer als der ihr auch bereits gezahlte und damit durch Erfüllung untergegangene Abfindungsanspruch in Höhe von 62.000,- € brutto zu. Das hat das Arbeitsgericht in dem angefochtenen Urteil unter II.1 der Entscheidungsgründe zutreffend festgestellt. Dem folgt die Berufungskammer und nimmt hierauf gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG Bezug. Die diesbezüglichen Feststellungen stehen auch im Berufungsverfahren außer Streit.
422. Entgegen ihrer Ansicht steht der Klägerin auch kein zusätzlicher Abfindungsanspruch wegen Teilunwirksamkeit mit der Rechtsfolge der Unanwendbarkeit der Kappungsgrenze in § 2 Ziffer 1 b) des Sozialplans vom 29.10.2019 zu oder aufgrund eines Gleichbehandlungsanspruchs in diesem Zusammenhang. Die Kappungsgrenze im Sozialplan ist in jeder Hinsicht vom Beurteilungsspielraum der Betriebsparteien gedeckt und wirksam. Sie verstößt insbesondere weder gegen § 7 Abs. 1, 2, § 3 Abs. 2 i.V.m. § 1 AGG noch in diesem Zusammenhang oder im Übrigen gegen § 75 BetrVG.
43a. Nach der nunmehr gefestigten, ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gelten zur Frage der Wirksamkeit von Kappungsgrenzen in Sozialplänen folgende Grundsätze:
44Arbeitgeber und Betriebsrat haben nach § 75 Abs. 1 BetrVG darüber zu wachen, dass jede Benachteiligung von Personen aus den in der Vorschrift genannten Gründen unterbleibt. § 75 Abs. 1 BetrVG enthält nicht nur ein Überwachungsgebot, sondern verbietet zugleich Vereinbarungen, durch die Arbeitnehmer aufgrund der dort aufgeführten Merkmale benachteiligt werden. Der Gesetzgeber hat die in § 1 AGG geregelten Benachteiligungsverbote in § 75 Abs. 1 BetrVG übernommen. Die unterschiedliche Behandlung der Betriebsangehörigen aus einem in § 1 AGG genannten Grund ist daher nur unter den im AGG normierten Voraussetzungen zulässig (BAG vom 08.02.2022 - 1 AZR 252/21, juris, Rz. 11; BAG vom 07.12.2021 - 1 AZR 562/20, juris, Rz. 40).
45Knüpft eine Kappungsgrenze nicht an das Alter der Arbeitnehmer an, sondern begrenzt die Abfindungsansprüche - wie dies auch im vorliegenden Fall bei § 2 Ziffer 1 b) des Sozialplans vom 29.10.2019 der Fall ist - aller anspruchsberechtigten Arbeitnehmer gleichermaßen altersunabhängig auf einen Höchstbetrag, scheidet die Annahme einer unmittelbaren Benachteiligung der von der Kappung betroffener Arbeitnehmer wegen des Alters nach § 3 Abs. 1 AGG aus (vgl. BAG vom 08.02.2022 - 1 AZR 252/21, juris, Rz. 12).
46Die dem Anschein nach neutrale Regelung kann jedoch ältere Arbeitnehmer in besonderer Weise benachteiligen (BAG vom 08.02.2022 - 1 AZR 252/21, juris, Rz. 12; BAG vom 07.12.2021 - 1 AZR 562/20, juris, Rz. 42 unter Aufgabe von BAG vom 21.07.2009 - 1 AZR 566/08, juris, Rz. 22). Dies führt gleichwohl dann nicht zu einer mittelbaren Benachteiligung wegen des Alters, wenn die Ungleichbehandlung nach § 3 Abs. 2 Halbs. 2 AGG gerechtfertigt ist (BAG vom 08.02.2022 - 1 AZR 252/21, juris, Rz. 12). Das wiederum ist der Fall, wenn mit der Kappungsregelung ein rechtmäßiges Ziel verfolgt wird und die Mittel zu dessen Erreichung geeignet, erforderlich und angemessen sind (BAG vom 08.02.2022 - 1 AZR 252/21, juris, Rz. 14).
47b. Diese Voraussetzungen liegen hinsichtlich der Kappungsregelung unter § 2 Ziffer 1 b) des Sozialplans vom 29.10.2019 vor.
48aa. Die Kappungsregelung dient einem rechtmäßigen Ziel, nämlich dem der Herstellung von Verteilungsgerechtigkeit. Mit der Festlegung einer Höchstabfindung in einem Sozialplan soll ersichtlich dem Umstand Rechnung getragen werden, dass die für den Sozialplan zur Verfügung stehenden Mittel limitiert sind (so explizit BAG vom 08.02.2022 - 1 AZR 252/21, juris, Rz. 17; BAG vom 07.12.2021 - 1 AZR 562/20, juris, Rz. 46). In diesem Zusammenhang sollen Kappungsregelungen dafür sorgen, dass möglichst allen vom Arbeitsplatzverlust betroffenen Arbeitnehmern eine verteilungsgerechte Überbrückungshilfe gewährt wird. Damit dient eine Kappungsgrenze einem rechtmäßigen Ziel im Sinne von § 3 Abs. 2 Halbsatz 2 AGG (BAG vom 08.02.2022 - 1 AZR 252/21, juris, Rz. 17; BAG vom 07.12.2021 - 1 AZR 562/20, juris, Rz. 47).
49Im vorliegenden Fall bestreitet die Klägerin zwar im Berufungsverfahren, dass das Sozialplanvolumen auf 900.000,- € limitiert gewesen sei. Das war in erster Instanz noch unstreitig, wie dem Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts zu entnehmen ist. Tatbestandsberichtigung hat die Klägerin nicht beantragt und auch nicht vorgetragen, welche konkreten Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der erstinstanzlichen Feststellungen bestehen. Damit hat auch das Berufungsgericht diese Feststellungen, die sich nach dem unwidersprochenen Vorbringen des Beklagten aus der mündlichen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht ergeben haben, seiner Entscheidung gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO grundsätzlich zugrunde zu legen. Die Klägerin trägt auch mit dem einfachen Bestreiten des Limits in zweiter Instanz keine neuen Tatsachen im Sinne von § 529 Abs. 1 Nr. 2 ZPO vor.
50Unabhängig hiervon und die Entscheidung selbständig tragend ist festzustellen, dass die Klägerin zwar ein Sozialplanvolumen von 900.000,- € bestreitet, nicht aber, dass es überhaupt ein Limit gab. Alles andere wäre auch schlicht widersinnig. Wie bereits das Bundesarbeitsgericht in den zitierten Entscheidungen festgestellt hat, dienen Kappungsgrenzen ja gerade "ersichtlich" (BAG vom 08.02.2022 - 1 AZR 252/21, juris, Rz. 17; BAG vom 07.12.2021 - 1 AZR 562/20, juris, Rz. 46) dem Zweck der Schaffung von Verteilungsgerechtigkeit bei limitierten Finanzmitteln. Auch die Klägerin behauptet nicht, dass ausgerechnet ihr zwischenzeitlich insolventer ehemaliger Arbeitgeber keine Limitierung des Sozialplanvolumens mit dem Betriebsrat vereinbart und dem Sozialplan zugrunde gelegt hätte. Immerhin war die wirtschaftliche Situation der Insolvenzschuldnerin nach dem unwidersprochen gebliebenen erstinstanzlichen Vorbringen im Schriftsatz vom 03.02.2020 bereits seit 2016 defizitär, was auch der Grund für die erfolgte Betriebsstilllegung war. Von dieser waren 41 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer betroffen. Gleichgültig, ob das Sozialplanvolumen nun 900.000,- € oder einen anderen Betrag ausmachte, war das mit der Kappungsgrenze verfolgte Ziel der Betriebsparteien rechtmäßig, die begrenzten Mittel möglichst gerecht zu dem sich aus der Präambel und § 2 Ziffer 1 Eingangssatz des Sozialplans ergebenden Zweck einer (substantiellen) Milderung der wirtschaftlichen Nachteile auf alle betroffenen Mitarbeiter zu verteilen.
51bb. Die Kappungsgrenze war zur Erreichung des Ziels der Verteilungsgerechtigkeit unter Berücksichtigung eines beschränkten Sozialplanvolumens auch geeignet. Denn mit der Festlegung einer Obergrenze wird ein - durch die Berücksichtigung des Faktors Betriebszugehörigkeit im Rahmen der Berechnungsformel ermöglichter - erheblicher Anstieg der Abfindung für ältere Arbeitnehmer verhindert. Dadurch wird gewährleistet, dass auch für die anderen von der Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer noch Mittel für Sozialplanabfindungen zur Verfügung stehen. Die Höchstbetragsregelung ist auch nicht deshalb ungeeignet, Verteilungsgerechtigkeit herzustellen, weil sie weder danach differenziert, ob die Abfindungshöhe maßgeblich durch die lange Betriebszugehörigkeit oder durch ein hohes Entgelt bedingt ist, noch berücksichtigt, ob dem jeweiligen Arbeitnehmer Ersatzeinkommen zur Verfügung steht (BAG vom 08.02.2022 - 1 AZR 252/21, juris, Rz. 19). Geeignet ist ein Mittel bereits dann, wenn das beabsichtigte Ziel erreicht werden kann. Im Übrigen würde die Berücksichtigung anderer oder weiterer als der von den Betriebsparteien zugrunde gelegten Faktoren lediglich einen Austausch der Kriterien bewirken, die für die Verteilung des begrenzten Sozialplanvolumens maßgebend sind. Dies mag dann für bestimmte Arbeitnehmer zu höheren Abfindungen führen, hat aber zwangsläufig eine Verringerung der Abfindungen für andere zur Folge. Ob die hier gewählten Verteilungsmaßstäbe die Grenzen des den Betriebsparteien zustehenden Gestaltungsspielraums wahren, ist keine Frage der Geeignetheit, sondern der Angemessenheit der Regelung (BAG vom 08.02.2022 - 1 AZR 252/21, juris, Rz. 17).
52cc. Die Kappung ist erforderlich, um möglichst allen betroffenen Arbeitnehmern eine verteilungsgerechte Überbrückungshilfe zu gewähren. Es ist nicht erkennbar, dass dieses Ziel mit gleicher Genauigkeit durch anderweitige Maßnahmen erreicht werden könnte, die keine (mittelbare) Ungleichbehandlung wegen des Alters bewirken. Eine Anhebung des Höchstbetrags oder der vollständige Verzicht hierauf (unter proportionaler Verteilung des Sozialplanvolumens auf alle Arbeitnehmer) hätte bei Einhaltung jedweden zugrunde gelegten Sozialplanvolumens aufgrund der dann erforderlichen Absenkung des Faktors von 1,0 zu einer Verringerung der Abfindungen jüngerer Arbeitnehmer geführt (vgl. auch hierzu die parallelen Erwägungen in BAG vom 08.02.2022 - 1 AZR 252/21, juris, Rz. 20).
53dd. Die Begrenzung der Abfindung auf höchstens 35.000,- € bei möglicher Anhebung durch die Pauschalzahlung nach § 2 Ziffer 1 c) des Sozialplans in Höhe von 1.000,- € pro Jahr der Betriebszugehörigkeit ist schließlich auch angemessen. Die Regelung führt nicht zu einer übermäßigen Beeinträchtigung der legitimen Interessen der von ihr betroffenen Arbeitnehmer - einschließlich gerade auch der Klägerin.
54Sozialpläne haben typischerweise eine zukunftsbezogene Ausgleichs- und Überbrückungsfunktion. Die in ihnen vorgesehenen Leistungen sind kein zusätzliches Entgelt für die in der Vergangenheit erbrachten Dienste, sondern sollen die voraussichtlich entstehenden wirtschaftlichen Folgen eines durch Betriebsänderung verursachten Arbeitsplatzverlusts ausgleichen oder zumindest abmildern. Dabei müssen die Betriebsparteien die mit der Betriebsänderung verbundenen Nachteile nicht vollständig kompensieren. Der von ihnen vereinbarte Sozialplan darf lediglich den Normzweck nicht verfehlen, die wirtschaftlichen Nachteile zu mildern. Dies kann regelmäßig nur in typisierender und pauschalierender Form geschehen, weil die Betriebsparteien die für den einzelnen Arbeitnehmer zu erwartenden Nachteile nicht konkret voraussehen können (BAG vom 08.02.2022 - 1 AZR 252/21, juris, Rz. 22; BAG vom 07.12.2021 - 1 AZR 562/20, juris, Rz. 52 mwN).
55Es ist nicht erkennbar, dass eine Abfindung in Höhe von 35.000,- €, die pro Jahr der Betriebszugehörigkeit noch um jeweils 1.000,- € über die Kappungsgrenze hinaus aufgestockt wird, was gerade bei langjährig beschäftigten und damit oftmals älteren Arbeitnehmern erhebliche Steigerungsbeträge zur Folge haben kann - im Falle der Klägerin wird die Abfindung dadurch von 35.000,- € um 27.000,- € immerhin auf 62.000,- € aufgestockt - keine substantielle Milderung der Nachteile der vom Arbeitsplatzverlust betroffenen Arbeitnehmer darstellt. Der Zeitraum bis zum Renteneintritt muss damit durch die Betriebsparteien nicht überbrückt werden, denn eine Vollkompensation möglicher wirtschaftlicher Nachteile wird den Betriebsparteien unter Berücksichtigung des verteilbaren Sozialplanvolumens kaum je für alle Beschäftigten möglich sein. Insofern haben sie auf eine zumindest substantielle Milderung der voraussichtlichen wirtschaftlichen Nachteile hinzuwirken (BAG vom 08.02.2022 - 1 AZR 252/21, juris, Rz. 23).
56Gerade durch die Regelung unter § 2 Ziffer 1 c) des Sozialplans vom 29.10.2019 haben die Betriebsparteien hier im Übrigen eine durchaus angemessene Kompensation zugunsten der von der Kappung besonders betroffenen langjährig Beschäftigten vorgenommen. Die Regelung könnte geradezu als mustergültig für eine angemessene Milderung der den langjährig Beschäftigten durch eine Kappungsgrenze entstehenden Nachteile angesehen werden und dient damit hier in besonderem Maße zur Begründung der Angemessenheit. Denn damit wird der altersbezogene Eingriff deutlich relativiert. Die Auswirkungen zeigen sich hier auch an Umfang und Erheblichkeit der Betroffenheit der Belegschaft von der Kappungsgrenze. Überhaupt nur vier Arbeitnehmer sind unstreitig von der Abfindungskappung betroffen. Nach dem von Beklagtenseite im Schriftsatz vom 31.03.2020 unwidersprochen vorgetragenen Sachverhalt, der damit der Entscheidung zugrunde zu legen ist, sind dies
57?Frau C. mit einer Betriebszugehörigkeit von 10 Jahren und einem Bruttogehalt von 5.282,87 €: Ihre Grundabfindung von 52.830,- € wurde bei 35.000,- € gekappt, durch § 2 Ziffer 1 c) des Sozialplans kam sie mit weiteren 10.000,- € auf dann 45.000,- € (85% einer nicht gekappten Grundabfindung);
58?Frau G. mit einer Betriebszugehörigkeit von 14 Jahren und einem Bruttogehalt von 3.677,45 €: Ihre Grundabfindung von 51.484,- € wurde bei 35.000,- € gekappt, durch § 2 Ziffer 1 c) des Sozialplans kam sie mit weiteren 14.000,- € auf dann 49.000,- € (95% einer nicht gekappten Grundabfindung);
59?Frau T. mit einer Betriebszugehörigkeit von 10 Jahren und einem Bruttogehalt von 4.937,49 €: Ihre Grundabfindung von 49.375,- € wurde bei 35.000,- € gekappt, durch § 2 Ziffer 1 c) des Sozialplans kam sie mit weiteren 10.000,- € auf dann 45.000,- € (91% einer nicht gekappten Grundabfindung).
60?Dem steht unstreitig gegenüber die ebenfalls unter die Kappungsgrenze fallende Klägerin mit einer Betriebszugehörigkeit von 27 Jahren und einem Bruttogehalt von 11.844,90 €: Ihre Grundabfindung von 319.812,30 € wurde bei 35.000,- € gekappt, durch § 2 Ziffer 1 c) des Sozialplans kam sie mit weiteren 27.000,- € auf dann 62.000,- € (19% einer nicht gekappten Grundabfindung).
61Dass die Klägerin mit Abstand am stärksten von der Kappung betroffen ist, steht außer Frage und wird durch die obige Aufstellung überdeutlich. Ebenfalls deutlich wird dadurch aber auch, dass dies nicht maßgeblich mit ihrem Alter zusammenhängt, sondern mit dem außerordentlich hohen Bruttomonatsgehalt der Klägerin. Mit einem Gehalt von 11.844,90 € wäre die Klägerin bereits bei nur drei Jahren Betriebszugehörigkeit mit dem nach § 2 Ziffer 1 a) des Sozialplans berechneten Abfindungsanspruch nach § 2 Ziffer 1 b) des Sozialplans gekappt worden. Ihre lange Betriebszugehörigkeit und damit mittelbar ihr Alter führen nach dem hier in Rede stehenden Sozialplan gemäß § 2 Ziffer 1 c) gerade zu einer weiteren Aufstockung der Abfindung um 27.000,- € und damit nicht zu einer mittelbaren Benachteiligung wegen des Alters, sondern zu einer mittelbar altersbezogenen Begünstigung.
62Auch im Übrigen haben die Betriebsparteien durch § 2 Ziffer 1 c) des Sozialplans durchaus wohl abgewogen versucht, altersbedingte Nachteile durch die zur möglichst gerechten Verteilung des Sozialplanvolumens erforderliche Kappungsgrenze über eine Pauschalzahlung pro Jahr der Betriebszugehörigkeit ab einer Mindestbeschäftigungszeit von fünf Jahren wieder abzumildern. Das ist ihnen erkennbar bei ¾ der von einer Kappung überhaupt nur betroffenen Beschäftigten gut gelungen. Dass es bei der Klägerin zu einer gleichwohl deutlichen Minderung der Abfindung geführt hat, hängt maßgeblich mit ihrem außerordentlich hohen Verdienst zusammen. Dass sich aufgrund einer starren Kappungsgrenze eine längere Betriebszugehörigkeit bei Arbeitnehmern mit höherem Bruttomonatsentgelt schon zu einem früheren Zeitpunkt nicht mehr abfindungserhöhend auswirkt als bei Arbeitnehmern mit geringerem Einkommen, führt jedoch nicht dazu, dass die Regelung unangemessen ist (BAG vom 08.02.2022 - 1 AZR 252/21, juris, Rz. 26). Die Betriebsparteien sind berechtigt, im Rahmen des ihnen zustehenden Beurteilungsspielraums für die Nachteile, die den Arbeitnehmern durch eine Betriebsänderung entstehen, eine pauschalierende und typisierende Bewertung vorzunehmen. Aus diesem Grund können sie auch berücksichtigen, dass ein höheres Einkommen mehr Möglichkeiten zur Eigenvorsorge für den Fall einer Arbeitslosigkeit bietet (BAG vom 08.02.2022 - 1 AZR 252/21, juris, Rz. 26).
63Nichts anderes haben die Betriebsparteien hier getan. Was die Klägerin als "Lex L." bezeichnet, ist nichts anderes als der zulässige Versuch, ein Sozialplanvolumen zur substantiellen Milderung der voraussichtlich den von Entlassung betroffenen Beschäftigten - und zwar allen Beschäftigten - entstehenden wirtschaftlichen Nachteile möglichst gerecht zu verteilen. Hätten sie keine Kappung wie hier geschehen vorgenommen, hätte die Klägerin aufgrund ihres hohen Bruttomonatsgehalts einen überproportional hohen Anspruch auf Zahlung einer Sozialplanabfindung erhalten. Das wäre nur zu Lasten der übrigen Beschäftigten bei gleichbleibendem Volumen umsetzbar gewesen und hätte also zwingend zu einer spürbaren Faktorreduzierung in § 2 Ziffer 1a) des Sozialplans führen müssen - was im Übrigen auch der Klägerin jedenfalls ganz sicher keine Abfindung in Höhe von 319.812,30 € eingebracht hätte. Die Betriebsparteien haben sich für einen anderen Weg entschieden und diese Entscheidung bewegt sich zur Überzeugung der Berufungskammer im Rahmen des ihnen zukommenden Beurteilungsspielraums. Rechte der Klägerin sind damit nicht verletzt worden, eine mittelbare Benachteiligung wegen des Alters ist damit wie aufgezeigt ebenfalls nicht verbunden.
64c. Auch anderweitige Gleichbehandlungsverstöße liegen nicht vor. Das hat bereits das Arbeitsgericht zutreffend festgestellt und hierauf wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG ergänzend Bezug genommen. Entgegen der Ansicht der Klägerin haben die Betriebsparteien hier eine zulässige Gruppenbildung mit der Kappungsgrenze vorgenommen. Diese ist sachlich wie vorstehend bereits aufgezeigt nachvollziehbar und gerechtfertigt. Die Klägerin gehört der Gruppe der unter die Kappungsgrenze fallenden Beschäftigten an. Diese besteht aus vier Arbeitnehmerinnen und nicht nur aus der Klägerin. Dass diese wiederum am stärksten betroffen ist, ist wie vorstehend ebenfalls bereits dargelegt nach Sinn und Zweck der Kappungsgrenze eines Sozialplans gerechtfertigt.
65d. Letztlich baut die gesamte Klage wesentlich auf dem Gedanken auf, der Klägerin sei eine Abfindung von 319.812,30 € auf 62.000,- € heruntergekürzt worden. Wie vorstehend bereits dargelegt, verkennt dies, wie Sozialpläne zustande kommen. Hätten sich die Betriebsparteien gegen eine Kappungsgrenze entschieden, wäre der Abfindungsfaktor merklich gekürzt worden, und zwar gleichgültig, ob das Sozialplanvolumen nun bei 900.000,- € oder bei welchem anderen Betrag lag. Das Gesamtvolumen, das den Betriebsparteien zur Verfügung stand und verteilt worden ist, würde man erhalten, wenn man die Summe der sich aus den Abfindungsregelungen des Sozialplans vom 29.10.2019 ergebenden Ansprüche aller Beschäftigten bildete. Würde dann die Kappungsgrenze gestrichen, müsste bei ansonsten gleichbleibenden Regelungen zwingend der Faktor in § 2 Ziffer 1 a) des Sozialplans sinken. Die Klägerin hätte dann zwar wahrscheinlich eine höhere Abfindung erhalten als nun. Den Betrag von 257.812,30 € hätte dieser Mehrbetrag jedoch keinesfalls erreicht. Gleichzeitig wären die Ansprüche der Arbeitnehmer mit geringerem Gehalt aufgrund des niedrigeren Faktors reduziert worden. Das wollten die Betriebsparteien zur substantiellen Milderung der Auswirkungen für alle und nicht nur wenige Arbeitnehmer hier offenkundig gerade vermeiden. Weder an dem Ziel noch an den zur Zielerreichung ergriffenen Mitteln vermag die Kammer rechtlich etwas auszusetzen.
66Die wirtschaftlichen Nachteile der Klägerin mögen mit einem Abfindungsbetrag von nunmehr 62.000,- € brutto nicht kompensiert worden sein - vorausgesetzt, sie hat nicht in absehbarer Zeit nach der Kündigung eine neue Beschäftigung in ähnlicher Position bzw. mit ähnlicher Vergütung begründen können. Das war aber auch nicht geboten. Geboten war - unter Berücksichtigung des den Betriebsparteien hierbei zukommenden weiten Beurteilungsspielraums - die substanzielle Milderung der prognostizierbaren Nachteile für alle Beschäftigten. Wenn dies bei der Klägerin nicht gelungen ist, kann es den Betriebsparteien wohl bei keinem Beschäftigten gelungen sein. Denn nach den Regelungen des Sozialplans vom 29.10.2019 dürfte auszuschließen sein, dass eine Arbeitnehmerin oder ein Arbeitnehmer eine höhere Abfindung erhalten hat als die Klägerin. Die von der Kappungsgrenze betroffenen Beschäftigten sind bekannt und vorstehend mit den Abfindungsbeträgen aufgelistet worden. Sie liegen alle unter dem Betrag von 62.000,- €. Dass ein Beschäftigter (knapp) unterhalb der Kappungsgrenze über eine dann deutlich längere Betriebszugehörigkeit als die Klägerin verfügt hätte, ist zweifelhaft und wird von ihr sogar ausdrücklich in Abrede gestellt. Weshalb dann also eine substantielle Milderung von Nachteilen im Zusammenhang mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausgerechnet im Falle der Mitarbeiterin mit der höchsten Abfindungszahlung, die mittels ihres zugleich hohen Bruttogehalts am ehesten in der Lage gewesen sein dürfte, Rücklagen für Zeiten einer Arbeitslosigkeit zu bilden und diese damit zu überbrücken, erschließt sich der Kammer nicht und wird sich auch schon den Betriebsparteien zurecht nicht erschlossen haben.
67III.
68Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 64 Abs. 6 ArbGG, 525, 97 Abs. 1 ZPO. Danach hat die mit ihrem Rechtsmittel erfolglos gebliebene Klägerin die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
69IV.
70Die Entscheidung über die Nichtzulassung der Revision beruht auf § 72 Abs. 1 ArbGG. Ein Zulassungsgrund nach § 72 Abs. 2 ArbGG liegt nicht vor, insbesondere betrifft die Entscheidung weder entscheidungsrelevante Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne von § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG noch liegt eine entscheidungserhebliche Divergenz im Sinne von § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG vor. Es handelt sich vielmehr um eine Einzelfallentscheidung, die keinerlei grundsätzliche Rechtsfragen aufwirft, die nicht durch insbesondere die jüngste, vorstehend zitierte und angewandte Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nunmehr hinreichend geklärt wären.
71RECHTSMITTELBELEHRUNG
72Gegen dieses Urteil ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.
73Wegen der Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde wird auf § 72a ArbGG verwiesen.
74KleinEhrhardtBauer