Seite drucken
Entscheidung als PDF runterladen
1) Zeigt der Insolvenzverwalter beim zuständigen Amtsgericht nach einer ersten eine erneute Masseunzulänglichkeit an, fehlt einem Alt-Neumassegläubiger nur dann das Rechtsschutzbedürfnis für eine Zahlungsklage, wenn der Insolvenzverwalter im Zahlungsprozess das Vorliegen der Neumasseunzulänglichkeit darlegt und gegebenenfalls beweist. Die erneute Anzeige der Masseunzulänglichkeit schließt das Rechtsschutzbedürfnis für eine Leistungsklage nicht automatisch aus. 2) Die Anzeige erneuter Masseunzulänglichkeit führt nicht zu einer abgestuften Rangfolge zwischen den Alt-Neumassegläubigern und den Neu-Neumassegläubigern.
I.Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 18.06.2020 - Az.: 9 Ca 1698/20 - teilweise abgeändert und festgestellt, dass zu Gunsten des Klägers Differenzlohnansprüche in Höhe von 144.249,11 € brutto abzüglich erhaltener Lohnersatzleistungen i. H. v. 18.435,60 € netto nebst Zinsen i. H. v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus jeweils 13.980,50 € seit dem 02.10.2019, dem 05.11.2019, dem 02.12.2019, dem 03.01.2020, dem 04.02.2020, dem 03.03.2020, dem 02.04.2020, dem 05.05.2020 und dem 02.06.2020 bestehen und zwar im Range vor den bis zum 01.11.2017 begründeten Masseverbindlichkeiten.
II.Im Übrigen wird die Berufung des Klägers zurückgewiesen.
III.Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz trägt der Kläger. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger zu ¾, der Beklagte zu ¼.
IV.Die Revision wird zugelassen.
T A T B E S T A N D :
2Die Parteien streiten über die Zahlung von Annahmeverzugslohn als Neumasseforderung während des Insolvenzverfahrens sowie über Feststellungsansprüche.
3Der Beklagte ist Insolvenzverwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der B. C. Q. & Co Luftverkehrs KG (im Folgenden: Schuldnerin) mit Sitz in C.. Am 01.11.2017 zeigte er, damals noch als Sachwalter, beim Insolvenzgericht Berlin-Charlottenburg - Az.: 36a IN 4295/17 - nach § 208 Abs. 1 Satz 2 InsO drohende Masseunzulänglichkeit an. Eine zweite Masseunzulänglichkeitsanzeige erstattete er am 30.04.2019 und eine dritte am 27.05.2020. Letztere wurde öffentlich bekannt gemacht am 28.05.2020. Mit Beschluss vom 04.06.2020 ordnete das Amtsgericht Berlin-Charlottenburg an, "dass die Zwangsvollstreckung von Massegläubigern wegen Masseverbindlichkeiten, die bis zum 27. Mai 2020 begründet wurden (sog. Neu-Neumasseverbindlichkeiten), unzulässig ist." (Bl. 76 f. d. A.). Gegen diesen Beschluss legte der Kläger Beschwerde ein, der das Amtsgericht Berlin-Charlottenburg mit Beschluss vom 11.08.2020 nicht abhalf (Bl. 258 d. A.).
4Der einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellte Kläger mit dienstlichem Einsatzort in E. ist bei der Schuldnerin als Flugkapitän angestellt und von der Erbringung der Arbeitsleistung freigestellt. Ausweislich der Verdienstabrechnung Oktober 2017 (Bl. 271 d. A.) lag sein Gesamtgehalt für das Jahr 2017 bis zu diesem Zeitpunkt bei 169.115,76 € brutto. Eine arbeitgeberseitige Kündigung vom 15.01.2018 löste das Arbeitsverhältnis nach einer rechtskräftigen Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg vom 13.12.2019 - Az.: 9 Sa 1146/19 - (Bl. 6 ff. der Gerichtsakte) nicht auf. Im Rahmen außergerichtlicher Vergleichsgespräche berechnete die Buchhaltung des Beklagten den dem Kläger grundsätzlich zustehenden Differenzlohn auf Basis eines Bruttomonatsgehalts von 16.028,79 € (Bl. 58 d. A.). In seinem unter dem 07.02.2020 an das Landesamt für Gesundheit und Soziales - Integrationsamt - gerichteten Antrag auf Zustimmung zur (erneuten) Kündigung des Klägers gab der Beklagte dessen durchschnittliches Bruttoeinkommen ebenfalls mit 16.028,79 € monatlich an.
5Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger die Zahlung von Annahmeverzugslohn auf Basis eines Bruttomonatsgehalts von 16.028,79 € unter Abzug erhaltenen Arbeitslosengeldes für den Zeitraum September 2019 bis Mai 2020 sowie - zweitinstanzlich im Wege einer Klageerweiterung - die Feststellung, dass er bevorrechtigter Neumassegläubiger sei.
6Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die geltend gemachten Annahmeverzugsansprüche stünden ihm als Zahlungsansprüche zu. Der Beklagte habe das Arbeitsverhältnis nach der zweiten Masseunzulänglichkeitserklärung zum 31.08.2019 kündigen können, was er jedoch unterlassen habe. Demnach handele es sich bei den ab September 2019 entstandenen Ansprüchen um Neumasseforderungen im Sinne des § 209 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 InsO. Für den Einwand, dass die Masse nicht zur Berechtigung aller Forderungen ausreiche, sei der Beklagte im Einzelnen darlegungs- und beweispflichtig. Er hätte eine Liquiditätsbilanz vorlegen müssen, in die er auch etwaige Schadensersatzansprüche gegen ihn wegen Pflichtverletzungen im Zusammenhang mit der Bearbeitung des Insolvenzverfahrens hätte einstellen müssen. Solche Pflichtverletzungen habe es gegeben, beispielsweise habe der Beklagte die Rechtsstreitigkeiten über die ersten Kündigungen aufgrund nicht eingehaltenen Formalien verloren. Die dritte Masseunzulänglichkeitsanzeige stehe der Titulierung der Zahlungsansprüche nicht entgegen, insbesondere, da solche wiederholten Masseunzulänglichkeitsanzeigen im Gesetz nicht vorgesehen seien.
7Der Kläger hat zudem die Auffassung vertreten, soweit das Rechtsschutzbedürfnis für den Zahlungsantrag fehlen sollte, seien seine Forderungen zumindest als Altmasseforderungen gegen die Insolvenzmasse festzustellen; ein solcher Antrag sei als "Minus" im Zahlungsantrag enthalten.
8Der Kläger hat beantragt,
9den Beklagten zu verurteilen, an ihn 144.259,11 € brutto abzüglich erhaltener Lohnersatzleistungen in Höhe von 18.435,60 € netto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus jeweils 13.980,59 € seit dem 01.10.2019, dem 01.11.2019, dem 01.12.2019, dem 01.01.2020, dem 01.02.2020, dem 01.03.2020, dem 01.04.2020, dem 01.05.2020 und dem 01.06.2020 zu zahlen.
10Der Beklagte hat beantragt,
111. die Klage abzuweisen und
122. hilfsweise für den Fall des Unterliegens mit dem Antrag zu 1) die vorläufige Vollstreckbarkeit auszuschließen.
13Der Beklagte hat die Auffassung vertreten, für die Leistungsklage fehle das Rechtsschutzbedürfnis. Infolge der jüngsten Masseunzulänglichkeitsanzeige dürfe wegen Altmasseverbindlichkeiten nicht vollstreckt werden. Die Möglichkeit mehrerer Masseunzulänglichkeitsanzeigen sei ihm nicht abgeschnitten. Seine Verwertungspflicht i. S. d. § 208 Abs. 3 InsO ende auch bei erneuter Masseunzulänglichkeit nicht. Somit müsse die nicht mehr für alle Neumassegläubiger ausreichende Masse vor einem Wettlauf der Gläubiger geschützt werden. Der Beklagte hat weiter die Auffassung vertreten, die Leistungsklage sei auch der Höhe nach unschlüssig, da der Kläger von einem zu günstigen monatlichen Durchschnittsverdienst ausgehe.
14Er hat behauptet, die Masse reiche nicht aus, um die Neumasseverbindlichkeiten zu bedienen. Hauptgrund für die Anzeige der Neumasseunzulänglichkeit am 30.04.2019 sei gewesen, dass das Umweltbundesamt mit Bescheid vom 26.04.2019 gegen die Insolvenzmasse eine Zahlungspflicht gemäß § 30 Abs. 1 Satz 1 TEHG in Höhe von 82.806.161,24 € festgesetzt habe. Die Anzeige der Neumasseunzulänglichkeit vom 27.05.2020 sei im Wesentlichen eine Folge der Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts zur Unwirksamkeit der ersten Kündigungen in den "B. C."-Verfahren. Aufgrund der Unwirksamkeit der Kündigungen könnten neben dem Kläger weitere ca. 800 Arbeitnehmer grundsätzlich Ansprüche auf Annahmeverzug geltend machen.
15Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 18.06.2020 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Zahlungsklage sei mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Reiche die neu zu erwirtschaftende Insolvenzmasse nicht einmal aus, neben den nach § 209 Abs. 1 Nr. 1 InsO vorrangig auszugleichenden Kosten des Insolvenzverfahrens sämtliche Neumassegläubiger zu befriedigen, könne der Insolvenzverwalter nicht mehr uneingeschränkt zur Leistung verurteilt werden, das Bestehen der Forderung sei gerichtlich nur noch festzustellen. Wende der Insolvenzverwalter im Prozess erneute Masseunzulänglichkeit ein, so sei es grundsätzlich an ihm, ausreichend darzulegen und gegebenenfalls nachzuweisen, dass diese vorliege. Erstatte er jedoch darüber hinaus beim zuständigen Insolvenzgericht eine erneute Masseunzulänglichkeitsanzeige, die öffentlich bekanntgemacht werde, so führe dies dazu, dass vergleichbar der Regelung in § 210 InsO für Altmasseforderungen die Möglichkeit der Zwangsvollstreckung und damit das Rechtsschutzbedürfnis für eine Leistungsklage entfalle. Im Streitfall sei aufgrund der erneuten Masseunzulänglichkeitsanzeige vom 27.05.2020 das Rechtsschutzbedürfnis für die anhängige Zahlungsklage entfallen. Dies gelte auch für den für den Monat Mai 2020 geltend gemachten Anspruch. Auch insoweit handele es sich um eine oktroyierte Forderung, da das Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt der erneuten Anzeige der Masseunzulänglichkeit bereits bestanden habe.
16Das Arbeitsgericht hat weiter ausgeführt, in der abzuweisenden Zahlungsklage sei nicht als "Minus" ein Antrag auf Feststellung enthalten, dass dem Kläger gegen den Beklagten die begehrten Annahmeverzugslohnansprüche als Altneumasseforderungen gegen die Insolvenzmasse zustünden. Ein Antrag auf Feststellung einer Forderung als Altneumasseforderung basiere auf einem abweichenden Streitgegenstand, da er auf ein anderes Rechtsschutzziel gerichtet sei.
17Dieses Urteil ist dem Kläger am 13.07.2020 zugestellt worden. Mit einem am 03.08.2020 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz hat er dagegen Berufung eingelegt und diese mit einem am 03.09.2020 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet.
18Der Kläger ist der Auffassung, das Arbeitsgericht habe unrichtig entschieden. Die Anzeige der Neu-Neumasseverbindlichkeit vom 27.05.2020 entfalte, jedenfalls im Verhältnis zwischen den Parteien, keinerlei Rechtswirkungen. Bereits grundsätzlich sei die Erstattung mehrerer Masseunzulänglichkeitserklärungen in einem Insolvenzverfahren nicht zulässig. Wenn eine solche "Insolvenz in der Insolvenz" überhaupt möglich sein solle, dann nur im Rahmen eines rechtsförmlichen Verfahrens mit der Bestellung eines eigenen Insolvenzverwalters.
19Zudem habe der Beklagte weder dargelegt noch bewiesen, dass tatsächlich Masseunzulänglichkeit vorliege. Das Insolvenzgericht selber prüfe dies nicht, es gebe sich mit der Anzeige des Insolvenzverwalters zufrieden, führe allenfalls eine Schlüssigkeitsprüfung durch. Bei der Beurteilung, ob eine Neu-Neumasseunzulänglichkeit bestehe oder drohe, seien Gesichtspunkte zu berücksichtigen, die im Anzeigeverfahren beim Insolvenzgericht keine Rolle gespielt hätten, beispielsweise, ob und inwieweit aus Unterlassungen des Insolvenzverwalters zu vorsorglichen erneuten Kündigungen der Beschäftigungsverhältnisse Ansprüche gegen dessen Vermögensschadenshaftpflichtversicherung geltend gemacht werden könnten. Ebenso bedeutsam sei die Klärung, ob es gegebenenfalls zu Teilbetriebsübergängen gekommen sei, solche seien für die Insolvenzmasse sicherlich vorteilhaft. Darüber hinaus sei davon auszugehen, dass der Beklagte seiner Pflicht zur Bildung ausreichender Rückstellungen gemäß § 155 InsO i. V. m. § 249 HGB nicht genügt habe. Selbst wenn jedoch eine Neu-Neumasseunzulänglichkeit vorgelegen haben sollte, käme es nicht auf den Zeitpunkt der Anzeige derselben durch den Insolvenzverwalter, sondern auf den Zeitpunkt ihres tatsächlichen Eintritts an.
20Das Vollstreckungsverbot des Amtsgerichts Berlin-Charlottenburg vom 04.06.2020 hindere den Zahlungsanspruch nicht. Soweit dieser Beschluss in die Rechte der Neu-Neumassegläubiger eingreife, handele es sich um einen Justizverwaltungsakt in Form einer Allgemeinverfügung. Für diesen bedürfe es einer rechtsstaatlichen Ermächtigungsgrundlage, die im vorliegenden Fall fehle. Zudem spreche viel dafür, dem Beschluss lediglich deklaratorische Wirkung zuzusprechen. Er regle nichts, sondern gebe nur eine (gesetzliche) Rechtsfolge wieder.
21Der Kläger ist weiter der Auffassung, das Arbeitsgericht habe hinsichtlich des Zahlungsanspruches für den Monat Mai 2020 zudem verkannt, dass es dem Beklagten unbenommen gewesen wäre, das Arbeitsverhältnis bereits während des (ersten) laufenden Kündigungsschutzprozesses erneut zu kündigen.
22Der Kläger beantragt zuletzt,
23das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 18.06.2020 - Az.: 9 Ca 1698/20 - abzuändern und
241. den Beklagten zu verurteilen, an ihn 144.259,11 € brutto abzüglich erhaltener Lohnersatzleistungen in Höhe von 18.435,60 € netto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus jeweils 13.980,59 € seit dem 01.10.2019, dem 01.11.2019, dem 01.12.2019, dem 01.01.2020, dem 01.02.2020, dem 01.03.2020, dem 01.04.2020, dem 01.05.2020 und dem 01.06.2020 zu zahlen
252. hilfsweise:
26festzustellen, dass zu Gunsten des Klägers Differenzlohnansprüche in Höhe von 144.249,11 € brutto abzüglich erhaltener Lohnersatzleistungen in Höhe von 18.435,60 € netto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus jeweils 13.980,59 € seit dem 01.10.2019, dem 01.11.2019, dem 01.12.2019, dem 01.01.2020, dem 01.02.2020, dem 01.03.2020, dem 01.04.2020, dem 01.05.2020 und dem 01.06.2020 bestehen und zwar
27a) als Masseverbindlichkeit im Range vor den bis zum 27.05.2020 begründeten Masseverbindlichkeiten
28b) weiter hilfsweise als Masseverbindlichkeit im Range vor den bis zum 30.04.2019 begründeten Masseverbindlichkeiten
29c) weiter hilfsweise im Range vor den bis zum 01.11.2017 begründeten Masseverbindlichkeiten.
30Der Beklagte beantragt,
31die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
32Er ist der Auffassung, das Arbeitsgericht habe hinsichtlich des Zahlungsantrages zutreffend entschieden. Die erstmals in der Berufungsinstanz gestellten Hilfsanträge seien unbegründet. Es sei, auch wenn das Gesetz diese Frage nicht ausdrücklich regle, sachgerecht, einer weiteren Masseunzulänglichkeitsanzeige dieselben Wirkungen wie der ersten bzw. vorangegangenen Anzeige zukommen zu lassen. Die Erstattung mehrerer Masseunzulänglichkeitsanzeigen müsse zulässig sein, weil die Insolvenzordnung grundsätzlich unter der Prämisse der Fortführung von Betrieben stehe, was die Begründung neuer Verbindlichkeiten bedinge. Er behauptet, er habe den Zeitpunkt der Anzeige der Neu-Neumasseverbindlichkeit am 27.05.2020 nicht willkürlich gewählt. Vielmehr habe diese erfolgen müssen, nachdem aufgrund der Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts vom 13.02.2020 und 14.05.2020 absehbar gewesen sei, dass weitere Differenzlohnansprüche bestehen könnten. Er habe eine Prognose der Neu-Neumasseverbindlichkeiten in Bezug auf etwaige Annahmeverzugslöhne vorgenommen und diesen das im Insolvenzverfahren frei von Drittrechten vorhandene Guthaben gegenübergestellt. Im Einzelnen habe folgende finanzielle Situation bestanden, aus der sich ergebe, dass das Ende Mai 2020 frei von Drittrechten vorhandene Guthaben geringer gewesen sei als die Masseverbindlichkeiten aus Annahmeverzugslöhnen, welche auf die Zeiträume nach der Anzeige der Neumasseunzulänglichkeit am 30.04.2019 entfielen:
33Masseverbindlichkeiten Mai 2019 bis Mai 2020:
34Annahmeverzugslohn | Mai 19 | Jun 19 | Jul 19 |
Boden | 46.689,50 € | 46.689,50 € | 46.689,50 € |
Cockpit | 1.328.200,40 € | 1.323.777,00 € | 1.323.777,00 € |
Kabine | 2.029.911,73 € | 2.019.560,59 € | 2.009.572,00 € |
Gesamtergebnis | 3.404.801,63 € | 3.390.027,09 € | 3.380.038,50 € |
Annahmeverzugslohn | Aug 19 | Sep 19 | Okt 19 |
Boden | 46.689,50 € | 46.689,50 € | 46.689,50 € |
Cockpit | 1.323.777,00 € | 1.323.777,00 € | 1.323.777,00 € |
Kabine | 2.009.572,00 € | 2.009.572,00 € | 2.009.572,00 € |
Gesamtergebnis | 3.380.038,50 € | 3.380.038,50 € | 3.380.038,50 € |
Annahmeverzugslohn | Nov 19 | Dez 19 | Jan 20 |
Boden | 46.689,50 € | 46.689,50 € | 46.689,50 € |
Cockpit | 1.323.777,00 € | 1.323.777,00 € | 1.323.777,00 € |
Kabine | 2.009.572,00 € | 2.009.572,00 € | 2.009.572,00 € |
Gesamtergebnis | 3.380.038,50 € | 3.380.038,50 € | 3.380.038,50 € |
Annahmeverzugslohn | Feb 20 | Mrz 20 | Apr 20 |
Boden | 46.689,50 € | 46.689,50 € | 46.689,50 € |
Cockpit | 1.323.777,00 € | 1.323.777,00 € | 1.323.777,00 € |
Kabine | 2.009.572,00 € | 2.009.572,00 € | 2.009.572,00 € |
Gesamtergebnis | 3.380.038,50 € | 3.380.038,50 € | 3.380.038,50 € |
Annahmeverzugslohn | Mai 20 | Anzeige 27.05.2020 |
Boden | 46.689,50 € | 606.963,50 € |
Cockpit | 1.323.777,00 € | 17.213.524,40 € |
Kabine | 2.009.572,00 € | 26.154.764,32 € |
Gesamtergebnis | 3.380.038,50 € | 43.975.252,22 € |
Frei von Drittrechten vorhandenes Guthaben Ende Mai 2020 (Kontoauszüge Bl. 231 f. d. A.):
40Konto | Kontonummer/IBAN | Liquidität |
Deutsche Bank | DE37 8607 0024 0592 9369 34 | 470.674,30 € |
Deutsche Bank | DE35 8607 0024 0593 4401 09 | 15.000.000,00 € |
Deutsche Bank | DE73 8607 0024 0593 4401 04 | 14.341.181,03 € |
Banco Comercial Portoguies | PT50 0033 0000 0004 5403 2896 3 | 5.022,10 € |
Banco Santander Mexico USD | 82500615881 | 396.906,60 € |
Banco Santander Mexico MXN | 65503891008 | 222.500,35 € |
BBVA Bancomer MXN | 174049543 | 447,70 € |
Barkassen | Kasse EURO | 632,75 € |
Kasse Fremdwährungen (in EUR) | 26,29 € | |
Massebestand: | 30.437.391,12 € |
Der Beklagte ist zudem der Auffassung, eine Verpflichtung zur Bildung von Rückstellungen habe es nicht gegeben, zumindest aber sei keine Masse für die Bildung solcher Rückstellungen vorhanden gewesen. Mit der Anzeige der drohenden Masseunzulänglichkeit unmittelbar vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Jahr 2017 habe er bereits klargemacht, dass die zu diesem Zeitpunkt vorhandene Masse nicht einmal ausreichen würde, um die unstreitig bestehenden Verzugslohnansprüche aller Mitarbeiter der Schuldnerin für den Zeitraum Oktober bis Dezember 2017 zu begleichen. Raum für die Bildung von Rückstellungen für eventuelle in der Zukunft liegende, noch nicht absehbare, Verbindlichkeiten habe nicht bestanden.
42Der Kläger ist diesbezüglich der ergänzenden Auffassung, der Vortrag des Beklagten enthalte lediglich eine grobe Hochrechnung, mit der er seiner Darlegungslast nicht genüge. Notwendig wäre gewesen, eine den handelsrechtlichen Grundsätzen entsprechende Überschuldungsbilanz zu erstellen und in den Rechtsstreit einzuführen. In diese hätte nicht nur der Kassenbestand aufgenommen werden dürfen, sondern auch nicht unerhebliche Forderungen der Schuldnerin. Es gebe Schadensersatzforderungen gegen den Beklagten bzw. dessen Haftpflichtversicherung sowie eine Klage gegen die frühere Hauptaktionärin F. auf Zahlung von 500 Millionen Euro und Feststellung einer Schadensersatzverpflichtung.
43Der Beklagte erwidert darauf, Partei des Rechtsstreits gegen F. sei nicht die Schuldnerin, sondern die B. C. Q., bei der der Kläger nicht beschäftigt sei und über deren Vermögen ein eigenständiges Insolvenzverfahren geführt werde.
44Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der Parteischriftsätze nebst Anlagen, die Sitzungsniederschriften beider Instanzen sowie den gesamten weiteren Akteninhalt Bezug genommen.
45E N T S C H E I D U N G S G R Ü N D E
46A.
47Die zulässige Berufung ist nur zu einem Teil begründet.
48I.
49Es bestehen keine Bedenken gegen die Zulässigkeit der Berufung. Sie ist nach Maßgabe der §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG i. V. m. § 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie ist auch statthaft gemäß § 64 Abs. 1, 2 lit. b) ArbGG.
50II.
51Die Berufung ist nur mit einem Teil des Hilfsantrages begründet.
521.
53Der Hauptantrag ist vom Arbeitsgericht zu Recht abgewiesen worden. Die Zahlungsklage ist mangels bestehenden Rechtsschutzinteresses unzulässig.
54a.
55Dabei ist zwischen den Parteien unstreitig, dass dem Kläger jedenfalls dem Grunde nach ein Anspruch auf Annahmeverzugslohn für die Monate September 2019 bis Mai 2020 gemäß § 615 Satz 1, 293 ff. BGB zusteht. Im streitigen Zeitraum bestand zwischen den Parteien ein ungekündigtes Arbeitsverhältnis, es steht aufgrund des rechtskräftigen Urteils des LAG Berlin-Brandenburg vom 13.12.2019 fest, dass die seitens des Beklagten zunächst ausgesprochene Kündigung vom 15.01.2018 das Arbeitsverhältnis nicht beendet hat. Eines Arbeitsangebotes des Klägers bedurfte es nicht, da er seitens des Beklagten von der Erbringung der Arbeitsleistung freigestellt war.
56b.
57Bei den für die Monate September 2019 bis Mai 2020 begründeten Annahmeverzugsansprüchen handelt es sich - ausgehend von der zweiten Masseunzulänglichkeitsanzeige vom 30.04.2019 - um Neumasseforderungen gemäß § 209 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 InsO.
58c.
59Solche Neumasseforderungen sind grundsätzlich im Wege der Leistungsklage zu verfolgen. Wie sich aus dem Vollstreckungsverbot des § 210 InsO für Altmasseforderungen nach § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO ergibt, geht das Gesetz von dem Regelfall aus, dass die Ansprüche nach § 209 Abs. 1 Nr. 1 und 2 InsO mit ihrer Fälligkeit grundsätzlich aus der Masse zu befriedigen sind und demzufolge mit einer Leistungsklage verfolgt werden können. Wären Neumassegläubiger bei drohender Masseunzulänglichkeit von vornherein auf eine Geltendmachung ihrer Forderungen im Wege einer Feststellungsklage verwiesen, entfiele in vielen Fällen ihre Bereitschaft, noch im Rahmen der Verwertung der Masse tätig zu sein. Dies widerspricht dem Sanierungsgedanken des § 208 Abs. 3 InsO (BAG v. 31.03.2004 - 10 AZR 253/03 - Rn. 31, juris).
60d.
61Das Rechtsschutzbedürfnis für eine Zahlungsklage entfällt jedoch im vorliegenden Fall, da der Beklagte am 27.05.2020 eine vorliegende - erneute - Masseunzulänglichkeit gegenüber dem Insolvenzgericht angezeigt hat. Diese Anzeige führt im Ergebnis zur Unzulässigkeit der Leistungsklage.
62aa.
63Welche Rechtswirkungen einer solchen "Neumasseunzulänglichkeit" zukommen, ist umstritten. Während einerseits die Auffassung vertreten wird, die §§ 208 ff. InsO seien auf den Fall einer Neumasseverbindlichkeit nicht anwendbar, halten andere Stimmen eine unmittelbare oder analoge Anwendung der §§ 208 ff. InsO für angebracht (vgl. zum Meinungsstand Ganter, "Die "erneute Masseunzulänglichkeit"" in NZI 2019, 7 ff.).
64Nach der Rechtsprechung kann der Insolvenzverwalter dann nicht mehr uneingeschränkt zur Leistung verurteilt werden, wenn die neu zu erwirtschaftende Insolvenzmasse nicht ausreicht, um neben den nach § 209 Abs. 1 Nr. 1 InsO vorrangig auszugleichenden Kosten des Insolvenzverfahrens sämtliche Neumassegläubiger zu befriedigen. Das Bestehen der Forderungen ist in einem solchen Fall - jedenfalls, wenn eine auf sie entfallende Quote noch nicht feststeht - gerichtlich nur noch festzustellen, eine Leistungsklage aber unzulässig (vgl. BAG v. 31.03.2004 - 10 AZR 253/03 - Rn, 32, juris; BAG v. 04.06.2003 - 10 AZR 586/02 - Rn. 28, juris; BGH v. 13.04.2006 - IX ZR 22/05 - Rn. 18, juris). Dabei hat der Insolvenzverwalter, der im Prozess erneute Masseunzulänglichkeit einwendet, ausreichend darzulegen und gegebenenfalls nachzuweisen, dass dies zutrifft (vgl. BAG v. 04.06.2003 - 10 AZR 586/02 - Rn. 27, juris).
65Dieser Auffassung folgt die erkennende Kammer. Die auch nach angezeigter Masseunzulänglichkeit weiterbestehende Verpflichtung des Insolvenzverwalters gemäß § 208 Abs. 3 InsO, die Masse zu verwalten und zu verwerten, bedingt in der Regel eine fortgesetzte wirtschaftliche Betätigung. Diese birgt das Risiko, dass aufgrund neuer Umstände wiederum Masseunzulänglichkeit eintreten kann. Entgegen der Auffassung des Klägers kann dem Insolvenzverwalter die Möglichkeit der Erstattung einer weiteren Masseunzulänglichkeit nicht abgeschnitten werden. Soweit der Kläger die Auffassung vertritt, eine solche "Insolvenz in der Insolvenz" könne nur durch die Eröffnung eines weiteren Insolvenzverfahrens und die Bestellung eines neuen Insolvenzverwalters abgewickelt werden, ist dies nicht zutreffend. Abgesehen davon, dass die Eröffnung eines neuen Insolvenzverfahrens im Rahmen eines bereits laufenden Insolvenzverfahrens keine Stütze im Wortlaut der Insolvenzordnung hat, führte eine solche Lösung - insbesondere bei umfangreichen Insolvenzverfahren - zu erheblichen praktischen Problemen. Nicht nur, dass in einem solchen Fall unklar wäre, welcher Insolvenzverwalter welchen Teil der Masse verwalten und verwerten müsste, es kämen auch bei potentiell erneut eintretender Neumasseunzulänglichkeit immer weitere (Teil-)-Insolvenzverfahren mit jeweils neuen (Teil-)Insolvenzverwaltern hinzu, was die Abwicklung in nicht hinnehmbarer Weise erschweren würde.
66bb.
67Die Kammer folgt jedoch nicht der Auffassung des Arbeitsgerichts, dass im Falle einer Neumasseunzulänglichkeit allein die entsprechende Anzeige und deren Bekanntmachung durch das Insolvenzgericht eine Zahlungsklage unzulässig macht mit der Folge, dass der Insolvenzverwalter die Neumasseunzulänglichkeit im Prozess nicht mehr darlegen müsste. Vielmehr kommt im Falle einer angezeigten Neumasseverbindlichkeit der Ausschluss einer Leistungsklage wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses nur dann in Betracht, wenn der Anzeige der Neumasseunzulänglichkeit eine solche tatsächlich zugrunde liegt.
68Soweit die erste Instanz unter Berufung auf eine Entscheidung des Arbeitsgerichts Kiel vom 16.05.2002 (Az.: 1 Ca 2470 d/01, juris) ausgeführt hat, die erneute Masseunzulänglichkeitsanzeige schließe, vergleichbar der Regelung in § 210 InsO, eine Zwangsvollstreckung und damit das Rechtsschutzbedürfnis für eine Leistungsklage automatisch aus, ist dem nicht zuzustimmen.
69Insoweit ist zu berücksichtigen, dass das Insolvenzgericht keine Feststellungskompetenz hat, sondern ohne eigene Prüfungsmöglichkeit an die Anzeige des Insolvenzverwalters gebunden ist (BAG v. 23.02.2005 - 10 AZR 602/03 - Rn. 22, juris). Dies ergibt sich für die erste Anzeige der Masseunzulänglichkeit unmittelbar aus dem Wortlaut des § 208 Abs. 2 Satz 1 InsO "das Gericht hat öffentlich bekanntzumachen." Würde man weitere im Verlauf des Insolvenzverfahrens angezeigte und bekanntgemachte Masseunzulänglichkeitserklärungen ebenfalls entsprechend privilegieren, so führte dies zu nicht sachgerechten Ergebnissen. In diesem Fall hätte es der Insolvenzverwalter in der Hand, ohne jegliche materielle Prüfung eine Vielzahl von Masseunzulänglichkeitsanzeigen zu erstatten und sich damit jeweils von der Verpflichtung, Neumassegläubiger zu befriedigen, zunächst zu lösen. Für weitere Masseunzulänglichkeitserklärungen bleibt es demnach auch bei einer Anzeige gegenüber dem Insolvenzgericht bei dem Grundsatz, dass der Insolvenzverwalter die - erneute - Masseunzulänglichkeit im Prozess darlegen und gegebenenfalls nachweisen muss (vgl. auch BGH v. 07.07.2005 - IX ZR 241/01 - juris, zur Anzeige nach § 60 KO).
70cc.
71Seiner Darlegungslast ist der Beklagte im vorliegenden Fall bezogen auf die Masseunzulänglichkeitsanzeige vom 27.05.2020 ausreichend nachgekommen. Er hat im Einzelnen vorgetragen, dass aufgrund des Unterliegens mit einer Vielzahl von Kündigungsschutzverfahren Masseverbindlichkeiten aus Annahmeverzugslöhnen ab dem Monat Mai 2019 in Höhe von insgesamt 43.975.252,22 € bestanden haben. Diesen Masseverbindlichkeiten stand ein frei von Drittrechten vorhandenes Guthaben in Höhe von lediglich 30.437.391,12 € gegenüber. Damit ergab sich eine rechnerische Unterdeckung von 13.537.861,10 € und somit eine zumindest drohende Masseunzulänglichkeit, die die Anzeige vom 27.05.2020 rechtfertigte. Dies hat der Beklagte mit konkreten Angaben zur Liquidität und Aufstellungen zu Forderungen nachvollziehbar dargelegt.
72Weitere Darlegungen des Beklagten waren entgegen der Auffassung des Klägers nicht von Nöten. Soweit dieser rügt, der Beklagte hätte zur Darlegung der finanziellen Situation der Schuldnerin eine den handelsrechtlichen Grundsätzen entsprechende Überschuldungsbilanz aufstellen müssen, in die er gegen ihn bzw. seine Haftpflichtversicherung gerichtete Schadensersatzansprüche hätte aufnehmen und zudem hätte berücksichtigen müssen, dass es eine Klage gegen die frühere Hauptaktionären F. auf Zahlung von 500 Millionen Euro und Feststellung einer Schadensersatzverpflichtung gebe, ist dem nicht zu folgen. Für die Verpflichtung zur Aufstellung einer förmlichen Überschuldungsbilanz im Rahmen eines Rechtsstreits fehlt es an einer Rechtsgrundlage. Hinsichtlich der gegen F. gerichteten Klage fehlt es bereits an einer Darlegung, dass diese im Zusammenhang mit dem hier streitgegenständlichen Insolvenzverfahren steht. Die pauschale Behauptung, der Beklagte hätte gegen ihn bzw. seine Haftpflichtversicherung gerichtete Schadensersatzforderungen einstellen müssen, ist im Ergebnis substanzlos. Der Kläger beschränkt sich hier auf pauschale Behauptungen, die eine Subsumtion unter gesetzliche Schadenersatzvorschriften nicht ermöglicht. Allein aus der Tatsache, dass das Bundesarbeitsgericht in einer Vielzahl von Kündigungsschutzverfahren, u. a. mit Urteil vom 15.05.2020 - 6 AZR 235/19 - die Auffassung des Beklagten hinsichtlich der ordnungsgemäßen Erstattung von Massenentlassungsanzeigen nicht bestätigt hat, lässt sich keine schuldhafte Pflichtverletzung des Beklagten ableiten. Soweit der Kläger vorgetragen hat, der Beklagte habe die notwendige Bildung von Rückstellungen pflichtwidrig unterlassen, so vermag die Kammer dies nicht zu erkennen. Im Hinblick darauf, dass bereits am 01.11.2017 eine erste Masseunzulänglichkeit angezeigt worden ist, ist nicht erkennbar, dass der Beklagte Rückstellungen zur Abdeckung zusätzlicher Risiken hätte bilden können. Die Vermutung des Klägers, es sei zu Teilbetriebsübergängen gekommen, von denen anzunehmen sei, dass sie für die Insolvenzmasse vorteilhaft gewesen seien, ist zu pauschal, um eine erweiterte Darlegungslast des Beklagten auszulösen.
73Ebenso ist nicht erkennbar, dass der Beklagte die Erstattung der Massenentlassungsanzeige vom 27.05.2020 pflichtwidrig verzögert hat. Nach dem Vorliegen der Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts zur Unwirksamkeit der Kündigungen bedurfte es zunächst einer Prüfung der weiteren Vorgehensweise. Anhaltspunkte dafür, dass die Erstattung der daraus folgenden Massenentlassungsanzeige vom 27.05.2020 verspätet gewesen sein könnte, liegen nicht vor.
74dd.
75Auf die vom Kläger aufgeworfene Frage der Rechtsnatur des Beschlusses des Amtsgerichts Berlin- Charlottenburg vom 04.06.2020 und der Wirksamkeit des darin enthaltenen Vollstreckungsverbotes kommt es nicht an. Aufgrund der seitens des Beklagten dargelegten Neumasseunzulänglichkeit zum Zeitpunkt der Erstattung der Masseunzulänglichkeitsanzeige vom 27.05.2020 fehlt es nach dem Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung an einem Rechtsschutzbedürfnis für die hier vorliegende Zahlungsklage.
76ee.
77Dieses Rechtsschutzbedürfnis fehlt für sämtliche geltend gemachten Annahmeverzugslöhne bis einschließlich Mai 2020. Die Kammer folgt insoweit den zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts unter Ziffer I. 1. c) des angefochtenen Urteils, stellt diese gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG ausdrücklich fest und sieht von einer wiederholenden Darstellung ab.
782.
79Mangels Erfolg des Hauptantrages fallen die erstmalig im Berufungsverfahren gestellten Hilfsanträge in der vom Kläger vorgegebenen Reihenfolge zur Entscheidung an. Diese Hilfsanträge sind zulässig, jedoch ist nur der unter Ziffer 2. c) gestellte dritte Hilfsantrag begründet.
80a. Die Klageerweiterung in der Berufungsinstanz ist zulässig.
81Die nachträgliche Geltendmachung eines Hilfsantrags ist eine objektive Klagehäufung, auf die die Vorschriften über die Klageänderung nach §§ 533, 263, 264 ZPO entsprechend anwendbar sind (BAG v. 14.06.2017 - 10 AZR 308/15 - Rn. 38, juris; BGH v. 22.01.2015 - I ZR 127/13 - Rn. 13, juris). Die Voraussetzungen des § 533 ZPO sind erfüllt. Zum einen liegt eine Einwilligung des Beklagten im Sinne des § 533 Nr. 1 ZPO vor, da dieser sich rügelos auf die Hilfsanträge eingelassen hat. Zum anderen ist die Klageerweiterung auch sachdienlich. Maßgeblich ist insoweit der Gedanke der Prozesswirtschaftlichkeit, für den es entscheidend darauf ankommt, ob und inwieweit die Zulassung der Klageänderung zu einer sachgemäßen und endgültigen Erledigung des Streits zwischen den Parteien führt, der den Gegenstand des anhängigen Verfahrens bildet und einem andernfalls zu erwartenden weiteren Rechtsstreit vorbeugt (BAG v. 14.06.2017 - 10 AZR 308/15 - Rn. 39, juris). Danach ist hier die Sachdienlichkeit zu bejahen, da mit den Hilfsanträgen die Streitigkeiten der Parteien über die insolvenzrechtlichen Einordnung der streitgegenständlichen Forderungen abschließend geklärt werden können.
82Die Klageänderung wird zudem auch auf Tatsachen gestützt, die die Kammer ihrer Verhandlung und Entscheidung über die Berufung ohnehin nach § 529 ZPO zugrunde zu legen hatte (§ 533 Nr. 2 ZPO).
83b.
84Der Feststellungsantrag ist zulässig. Das erforderliche Feststellungsinteresse gemäß § 256 Abs. 1 ZPO liegt vor. Der Kläger möchte geklärt wissen, in welchem Rang seine Annahmeverzugsansprüche bezogen auf die seitens des Beklagten erstatteten Masseunzulänglichkeitsanzeigen stehen. Dies ist zulässig.
85c.
86Der Feststellungsantrag ist nur zum Teil begründet.
87aa.
88Die Ansprüche des Klägers stehen im Rang vor den bis zum 01.11.2017 begründeten Masseverbindlichkeiten. Am 01.11.2017 zeigte der Beklagte - zum damaligen Zeitpunkt noch als Sachwalter - erstmals drohende Masseunzulänglichkeit an. Aufgrund dieser Anzeige kam der Verteilungsschlüssel des § 209 InsO zum Tragen mit der Folge, dass die Masseverbindlichkeiten, die vor der Anzeige der Masseunzulänglichkeit begründet worden sind, im Rang zurückgestuft wurden. Bei den Annahmeverzugsansprüchen des Klägers aus dem Zeitraum September 2019 bis Mai 2020 handelt es sich um Masseverbindlichkeiten, die nach dem 01.11.2017 begründet worden sind.
89bb.
90Die Ansprüche des Klägers stehen hingegen nicht im Rang vor den bis zum 30.04.2019 (2. Masseunzulänglichkeitsanzeige) bzw. im Rang vor den bis zum 27.05.2020 (3. Masseunzulänglichkeitsanzeige) begründeten Masseverbindlichkeiten. Eine nach der erstmaligen Anzeige der Masseunzulänglichkeit vorgenommene weitere gestufte Rangordnung der (Neu-) Massegläubiger besteht nicht. Neumassegläubiger dürfen nicht allein durch eine spätere Anzeige zu Altmassegläubigern herabgestuft werden. Für eine solche gestufte Rangordnung innerhalb der Gruppe der Neumassegläubiger gibt es keinen durchschlagenden Grund. Sämtliche Neumassegläubiger können dementsprechend zur Sicherung ihrer Gleichbehandlung insgesamt nur eine quotale Erfüllung aus der Insolvenzmasse beanspruchen (vgl. BGH v. 03.04.2003 - IX ZR 101/02 - Rn. 39, juris; BGH v. 13.04.2006 - IX ZR 22/05 - Rn. 17/18, juris). Durch weitere mit Mehrfachanzeigen verbundene Aufspaltungen der Rangordnung zwischen den Massegläubigern wird die Abwicklung des masseunzulänglichen Verfahrens intransparent (vgl. Hefermehl in Münchner Kommentar zur Insolvenzordnung 4. Auflage 2019 § 208 Rn. 60). Soweit die Auffassung vertreten wird, das Absehen von weiteren Rangbildungen könne dazu führen, dass bei sich stetig verschärfender Liquiditätsenge die Möglichkeit der geordneten Auslaufproduktion ernstlich in Gefahr geriete (so Ries in Uhlenbruck Insolvenzordnung 15. Auflage 2019 § 208 Rn. 25) und deswegen ein Lösungsmodell zu favorisieren sei, bei welchem die bisherigen Neumassegläubiger den neu geschaffenen Rang von Alt-Neumassegläubigern einnehmen, die zwar gegenüber den Altmassegläubigern bevorzugt bedient werden, jedoch den nach dem Zeitpunkt der Anzeige neu hinzukommenden Neu-Neumassegläubigern den Vortritt lassen müssen (Ruland in BeckOK InsO 22. Edition Stand 15.01.2021 § 208 Rn. 12; Ganter NZI 2019, 7 ff.), folgt dem die Kammer nicht. Zwischen Alt-Neumassegläubigern und Neu-Neumassegläubigern bestehen keine unterschiedlichen Interessenlagen. Beide Gruppen erhalten ihre Gläubigerstellung zu einem Zeitpunkt nach der ersten Masseunzulänglichkeitsanzeige. Ihnen ist damit bewusst, dass es sich um ein massearmes Verfahren handelt. Somit müssen sie von vorneherein mit der Möglichkeit sich weiter verschlechternder Liquidität und der Erstattung etwaiger weiterer Masseunzulänglichkeitsanzeigen rechnen. Vor diesem Hintergrund erscheint eine Besserstellung der Neu-Neumassegläubiger als nicht gerechtfertigt.
91cc.
92Der festzustellende Betrag beläuft sich auf 144.249,11 € brutto (9 x 16.028,79 €) abzüglich erhaltener Lohnersatzleistungen in Höhe von 18.435,60 € netto nebst Zinsen. Das Bestreiten des Beklagten zur Forderungshöhe ist unsubstantiiert und unbeachtlich. Die Höhe des dem Kläger zustehenden monatlichen Bruttobetrages hat die Buchhaltung des Beklagten selbst ermittelt. Der Beklagte hat diesen Bruttobetrag dementsprechend auch in seinem Antrag an das Integrationsamt vom 07.02.2020 angegeben. Soweit er darauf hingewiesen hat, das Bruttogehalt des Klägers sei in einigen Monaten geringer gewesen als der ermittelte Durchschnitt, führt dies nicht zu einer weiteren Darlegungsobliegenheit des Klägers. Bei der Ermittlung eines Durchschnittsgehalts liegt es in der Natur der Sache, dass das tatsächliche Bruttogehalt teilweise oberhalb und teilweise unterhalb des Durchschnitts liegt. Ausweislich der Lohnabrechnung für den Monat Oktober 2017, also drei Monate vor dem Ausspruch der ersten Kündigung, lag der Jahreswert bei 169.115,76 € brutto, daraus errechnet sich ein monatlicher Durchschnittsverdienst von 16.911,57 €, der oberhalb des hier geltend gemachten Betrages liegt.
93Bei dem dem Kläger zustehenden Zinsanspruch hat die Kammer die Fälligkeit der jeweiligen Annahmeverzugsbeträge berücksichtigt.
94B.
95I.
96Die Kostenentscheidung beruht auf § 64 Abs. 6 ArbGG i. V. m. § 92 Abs. 1 ZPO.
97II.
98Die Kammer hat wegen grundsätzlicher Bedeutung der hier streitgegenständlichen Rechtsfragen gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG die Revision zugelassen.
99RECHTSMITTELBELEHRUNG
100Gegen dieses Urteil kann von beiden Parteien
101REVISION
102eingelegt werden.
103Die Revision muss innerhalb einer Notfrist* von einem Monat schriftlich oder in elektronischer Form beim
104Bundesarbeitsgericht
105Hugo-Preuß-Platz 1
10699084 Erfurt
107Fax: 0361 2636-2000
108eingelegt werden.
109Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung.
110Die Revisionsschrift muss von einem Bevollmächtigten unterzeichnet sein. Als Bevollmächtigte sind nur zugelassen:
1111.Rechtsanwälte,
1122.Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,
1133.Juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in Nummer 2 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt, und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
114In den Fällen der Ziffern 2 und 3 müssen die Personen, die die Revisionsschrift unterzeichnen, die Befähigung zum Richteramt haben.
115Eine Partei, die als Bevollmächtigter zugelassen ist, kann sich selbst vertreten.
116Die elektronische Form wird durch ein elektronisches Dokument gewahrt. Das elektronische Dokument muss für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet und mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg gemäß § 46c ArbGG nach näherer Maßgabe der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (ERVV) v. 24. November 2017 in der jeweils geltenden Fassung eingereicht werden. Nähere Hinweise zum elektronischen Rechtsverkehr finden Sie auf der Internetseite des Bundesarbeitsgerichts www.bundesarbeitsgericht.de.
117* eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.
118D. Barth Dr. Schumacher Knuth