Seite drucken
Entscheidung als PDF runterladen
Einzelfall der außerordentlichen Kündigung eines tarifvertraglich ordentlich nicht kündbaren Arbeitnehmers, der seinen langjährigen Arbeitskollegen wegen dessen sexueller Orientierung schwer beleidigt hat. Anforderungen an die Darlegung, dass eine Weiterbeschäftigung nach Abmahnung als mil-deres Mittel ausscheidet. Interessenabwägung bei einmaliger Entgleisung in seit über 40 Jahren im Wesentlichen beanstandungsfreiem Arbeitsverhältnis.
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 30.07.2020 - 9 Ca 1459/20 abgeändert.
Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 02.03.2020 aufgelöst worden ist.
Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens tragen der Kläger zu 2/10 und die Beklagte zu 8/10. Die übrigen Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Die Revision wird nicht zugelassen.
T a t b e s t a n d:
2Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer arbeitgeberseitigen außerordentlichen Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses.
3Die Beklagte betreibt als Anstalt des öffentlichen Rechts das Universitätsklinikum A. mit mehreren tausend Arbeitnehmern. Ein Personalrat ist eingerichtet. Der am 26.10.1960 geborene, einem Sohn zum Unterhalt verpflichtete Kläger ist seit Januar 1977 bei der Beklagten bzw. ihrem Rechtsvorgänger zu einem monatlichen Entgelt iHv. zuletzt 3.826,74 € brutto als Gärtner beschäftigt. Er bewohnt eine Werkmietwohnung der Beklagten. Gemäß § 2 des Arbeitsvertrages vom 28.01.1977 gilt für das Arbeitsverhältnis der Tarifvertrag für den Öffentlichen Dienst der Länder (TV-L), der an die Stelle des Manteltarifvertrags für die Arbeiter der Länder (MTL II) trat. Nach § 34 Abs. 2 TV-L kann das Arbeitsverhältnis nur aus wichtigem Grund gekündigt werden.
4In der Gärtnerei des B. sind ca. 10 Arbeitnehmer beschäftigt. Seit mehr als drei Jahrzehnten arbeitet dort der Kläger mit dem Kollegen Z. zusammen. Herr Z. ist homosexuell, was unter den Kollegen seit langem bekannt ist. Am Morgen des 19.02.2020 wurde der Herrn Z. zugewiesene, in der Halle der Gärtnerei abgestellte Trecker von der ebenfalls dort abgestellten, vom Kläger benutzten sog. "E-Karre" blockiert. Herr Z. forderte den Kläger auf, sein Fahrzeug zur Seite zu fahren. Der Kläger ließ Herrn Z. einige Minuten warten. Als der Kläger um 07.45 Uhr in der Halle erschien und von Herrn Z. erneut gebeten wurde, sein Fahrzeug zur Seite zu fahren, sagte der Kläger zu diesem im Beisein von Kollegen: "Schieb dir doch einen Stock in den Arsch!" Herr Z. erwiderte: "Pass auf, was du sagst, Arschloch!" Darauf sagte der Kläger: "Früher haben sie Schwule vergast" und "Heil Hitler".
5Herr Z. forderte den Kläger vergeblich auf, mit ihm zum Vorarbeiter zu gehen, und begab sich daraufhin allein dorthin. Der Vorarbeiter verwies ihn an das Personalbüro. Dort beschwerte sich Herr Z. um 09.30 Uhr über den Vorfall (vgl. Protokoll Bl. 50 GA). Im Verlauf des Vormittags entschuldigte sich der Kläger bei Herrn Z. Dieser nahm die Entschuldigung nicht an. Um 13.30 Uhr wurde der Kläger von Herrn I., einem Mitarbeiter der Personalverwaltung der Beklagten, im Beisein eines Personalratsmitglieds sowie des Vorarbeiters zu dem Vorfall angehört. Nach mehrfachem Nachfragen gab der Kläger die vorgeworfenen Äußerungen zu (vgl. Protokoll Bl. 48 f. GA).
6In einem offenen Brief vom 20.02.2020 an den Personaldezernenten der Beklagten sprachen sich neun Kollegen und Kolleginnen aus der Gärtnerei einschließlich des Vorarbeiters für den Kläger aus (Bl. 72 f. GA). Zwar seien die Äußerungen des Klägers nicht zu entschuldigen. Doch habe man den Kläger langjährig nicht als Rassisten oder Feind bestimmter sexueller Orientierungen erlebt. Es könne sich nur um eine extreme Kurzschlussreaktion des Klägers gehandelt haben.
7Mit Schreiben vom 25.02.2020, auf das wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird (Bl. 44 ff. GA), hörte die Beklagte den Personalrat zur beabsichtigten außerordentlichen verhaltensbedingten Kündigung an. Der Personalrat widersprach mit Schreiben vom 28.02.2020 (Bl. 13 f. GA). Das massive Fehlverhalten des Klägers sei nicht zu entschuldigen oder zu verharmlosen. Doch sei neben der schwierigen sozialen Lage des Klägers seine besonders lange und weitgehend ungestörte Beschäftigungsdauer zu berücksichtigen. Insbesondere habe der Kläger niemals in der Vergangenheit rassistische, rechtsradikale oder homophobe Äußerungen getätigt. Auch habe er versucht, sich bei Herrn Z. zu entschuldigen. Eine Wiederholungsgefahr werde daher nicht gesehen. Zudem könne sich der Personalrat zur Befriedung der Situation auch eine möglicherweise befristete Umsetzung des Klägers vorstellen.
8Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 02.03.2020, dem Kläger am selben Tag zugegangen, außerordentlich fristlos.
9Mit seiner am 12.03.2020 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage begehrt der Kläger Kündigungsschutz. Erstinstanzlich hat er den Wortlaut der Auseinandersetzung vom 19.02.2020 bestritten. Er habe zu Herrn Z. ausschließlich gesagt: "Nimm den Stock aus der Futt, dann kannst du besser parken", ohne sich auf die Homosexualität beziehen zu wollen. Er sei zuvor provoziert worden, da Herr Z. ihn als "Arschloch" bezeichnet hätte. Er sei weder homophob noch rechtsnational, zumal sein Sohn homosexuell sei. Zudem habe Herr Z. am Vortag, den 18.02.2020, seinerseits mit seinem Trecker die E-Karre des Klägers zugeparkt und sei der Bitte des Klägers um Versetzung des Treckers erst nach Ablauf seiner Mittagspause nachgekommen. Ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB zur außerordentlichen Kündigung des langjährigen, im Übrigen nahezu unbelasteten Arbeitsverhältnisses liege nicht vor.
10Nach Rücknahme eines Zahlungsantrages hat der Kläger beantragt,
11festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 02.03.2020 nicht aufgelöst ist.
12Die Beklagte hat beantragt,
13die Klage abzuweisen.
14Die Kündigung sei wirksam. Der Kläger habe den Kollegen Z. am 19.02.2020 lautstark und vor Kollegen grob beleidigt und ihn wegen seiner sexuellen Orientierung diskriminiert, indem er zu ihm gesagt habe, er "solle sich einen Stock in den Arsch schieben". Er habe hinzugefügt, dass "sie früher Schwule vergast hätten" und sodann "Heil Hitler" gerufen. Herr Z. habe den Kläger erst als Reaktion auf all dies als "Arschloch" bezeichnet.
15In den Äußerungen des Klägers liege ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB. Der Kläger habe damit zum Ausdruck gebracht, dem menschenverachtenden NS-System wohlgesonnen gegenüber zu stehen. Er sei für die Beklagte, die als Anstalt des öffentlichen Rechts dem Wertegerüst des Grundgesetzes besonders verpflichtet sei, untragbar. Überdies sei sie zum Schutz diskriminierter Mitarbeiter verpflichtet.
16Das Arbeitsgericht hat nach Vernehmung des Herrn Z. und des Kollegen I. sowie der Kolleginnen T. und X. die Klage mit Urteil vom 30.07.2020, auf dessen Tatbestand und Entscheidungsgründe Bezug genommen wird, abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die dem Kläger zur Last gelegten Äußerungen stünden nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme fest. Damit habe der Kläger den Zeugen Z. wegen dessen sexueller Orientierung vor Kollegen in menschenverachtender Weise aufs Gröbste beleidigt und sich zugleich mit den Verbrechen des NS-Regimes gemein gemacht. Ein Einsatz des Klägers ohne Zusammenarbeit mit dem Kollegen Z. scheide aus. Trotz erheblicher Interessen des Klägers überwögen die Interessen der Beklagten an der fristlosen Beendigung des Arbeitsverhältnisses, insbesondere auch wegen ihrer Schutzpflichten gegenüber ihrem Mitarbeiter Z. und ihrer Pflichten als Anstalt des öffentlichen Rechts.
17Gegen das am 25.08.2020 zugestellte Urteil wendet sich der Kläger mit seiner am selben Tag beim Landesarbeitsgericht eingegangenen und innerhalb der verlängerten Frist begründeten Berufung. Es stellt den vom Arbeitsgericht festgestellten, eingangs wiedergegeben Sachverhalt unstreitig. Doch habe das Arbeitsgericht im Rahmen der Interessenabwägung den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht ausreichend beachtet. Es habe sich um ein einmaliges Augenblicksversagen des Klägers gehandelt. Angesichts der im Wesentlichen unbeanstandeten Dauer des Arbeitsverhältnisses von 43 Jahren, des Lebensalters von 59 Jahren und der sonstigen persönlichen Umstände des Klägers sei die außerordentliche Kündigung unverhältnismäßig.
18Bei der Bewertung des klägerischen Fehlverhaltens sei zu berücksichtigen, dass in der Gärtnerei ein "rauer Umgangston" herrsche. Die Äußerung "Stock in den Arsch schieben" habe zudem nicht auf die Homosexualität des Kollegen sondern darauf abgezielt, dass dieser nicht so spießig/steif bzw. unflexibel sein möge. Auch habe sich der Kläger bei der weiteren Äußerungen über das Vergasen und dem Hitlergruß, die keineswegs relativiert oder beschönigt werden sollen, provoziert gefühlt, weil er zuvor als "Arschloch" bezeichnet worden sei. Jedenfalls habe er situativ und unreflektiert gehandelt im Sinne eines Augenblicksversagens. Niemals zuvor habe er in den Jahrzehnten seiner Beschäftigung und der Zusammenarbeit mit dem Kollegen Z. homophobe, rassistische oder rechtsradikale Äußerungen getätigt. Dies hätten die Kolleginnen und Kollegen der Gärtnerei in ihrem Schreiben vom 20.02.2020 an die Personalleitung bestätigt.
19Zu berücksichtigen sei ferner der geringe Bildungsstatus des Klägers. Er habe die Sonderschule besucht und ohne Abschluss verlassen. Die Ausbildung zum Gärtner sei ihm betriebsintern ermöglicht worden.
20Die Beklagte habe schließlich nicht ausreichend die Möglichkeit einer Weiterbeschäftigung nach Abmahnung in Betracht gezogen. Es bestünden durchaus Chancen, dass die Beklagte zwischen dem Kläger und Herrn Z. vermitteln könne mit dem Ziel einer weiteren gedeihlichen und konstruktiven Zusammenarbeit in der Zukunft. In diese Richtung habe die Beklagte keinerlei Bemühungen unternommen. Zudem könne die Beklagte den Kläger ohne weiteres anderweitig einsetzen, etwa im Lager, im Fahrdienst oder in der Logistik.
21Der Kläger beantragt,
22das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 30.07.2020 - 9 Ca 1459/20 -abzuändern und festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die außerordentliche fristlose Kündigung der Beklagten vom 02.03.2020 aufgelöst wurde.
23Die Beklagte beantragt,
24die Berufung zurückzuweisen.
25Sie verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil und hält der Berufung entgegen, dass zweitinstanzlich zu Tage getreten sei, dass der Kläger die Vorwürfe erstinstanzlich bewusst unwahr bestritten habe. Eine Auseinandersetzung des Klägers mit der in den Äußerungen zum Ausdruck kommenden feindseligen Haltung gegenüber homosexuellen Menschen sei nicht erkennbar. Der Kläger sei auch nicht aufgrund einer Provokation des Kollegen Z. zu seinen Äußerungen veranlasst worden. Entgegen der Darstellung des Klägers zielten seine Äußerungen auch gerade auf die Homosexualität des Kollegen. Der Kläger habe seine Bemerkungen vorsätzlich gemacht und sei sich über ihre Relevanz bewusst gewesen. Eine gedeihliche Zusammenarbeit mit dem Kollegen Z. scheide daher aus. Ein anderweitiger Einsatz komme ebenfalls nicht in Betracht. Das Vorbringen des Klägers hierzu sei unsubstantiiert. Es sei schon nicht zu erkennen, welches Lager der Kläger meine. Die angesprochene Logistik sei im Wesentlichen auf eine Tochtergesellschaft ausgelagert. Auch bei dem angesprochenen Fahrdienst sei unklar, was der Kläger meine. Ungeachtet dessen wäre seine Beschäftigung dort auch nur für einen weiteren Tag unzumutbar.
26Wegen des weiteren Berufungsvorbringens der Parteien wird auf ihre in zweiter Instanz zu den Akten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie ihre Protokollerklärungen Bezug genommen.
27E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
28Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet. Die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 02.03.2020 ist unwirksam und hat das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst. Ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB liegt nicht vor. In dem hier gegebenen Einzelfall überwiegt unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit das Interesse des Klägers am Fortbestand des Arbeitsverhältnisses das Interesse der Beklagten an seiner fristlosen Beendigung.
29I.Die Kündigung ist in Ermangelung eines wichtigen Grundes iSv. § 626 Abs. 1 BGB unwirksam.
301.Nach § 626 Abs. 1 BGB kann ein Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.
31a.Zunächst ist zu untersuchen, ob ein "wichtiger Grund an sich" vorliegt, mithin ein Sachverhalt, der typischerweise und losgelöst vom konkreten Fall geeignet ist, die sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu begründen. Bejahendenfalls bedarf es der weiteren Prüfung, ob es dem Kündigenden unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls sowie des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes unter Abwägung der Interessen zumutbar ist, das Arbeitsverhältnis zumindest bis zum Ablauf einer Kündigungsfrist fortzusetzen oder nicht (st. Rspr., BAG 13.12.2018 - 2 AZR 370/18, Rn. 15 mwN).
32b.Dieser Maßstab gilt grundsätzlich auch im Verhältnis zu einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis ordentlich nicht gekündigt werden kann. Denkbar ist allerdings, dass ein pflichtwidriges Verhalten, das bei einem Arbeitnehmer ohne Sonderkündigungsschutz nur eine ordentliche Kündigung rechtfertigen würde, gerade wegen der infolge des Ausschlusses der ordentlichen Kündigung langen Bindungsdauer einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung für den Arbeitgeber iSd. § 626 Abs. 1 BGB darstellen kann. Zwar wirkt sich der Sonderkündigungsschutz insofern zum Nachteil für den Arbeitnehmer aus. Dies ist jedoch im Begriff des wichtigen Grundes gemäß § 626 Abs. 1 BGB angelegt. Dieser richtet sich nach der Zumutbarkeit einer Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses. Zur Vermeidung eines Wertungswiderspruchs muss in einem solchen Fall allerdings zugunsten des Arbeitnehmers zwingend eine der fiktiven ordentlichen Kündigungsfrist entsprechende Auslauffrist eingehalten werden. Der Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis vom Arbeitgeber ordentlich nicht gekündigt werden kann, darf im Ergebnis nicht schlechter gestellt sein, als wenn er dem Sonderkündigungsschutz nicht unterfiele (BAG 13.05.2015 - 2 AZR 531/14, Rn. 44 ff. mwN).
33c.Bei Gründen im Verhalten des Arbeitnehmers wird eine außerordentliche Kündigung mit notwendiger Auslauffrist nur in Ausnahmefällen in Betracht kommen. Die Pflichtverletzung müsste einerseits so gravierend sein, dass sie im Grundsatz auch eine fristlose Kündigung rechtfertigen könnte. Andererseits müsste es dem Arbeitgeber aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls zumutbar sein, dennoch die (fiktive) ordentliche Kündigungsfrist einzuhalten. Wäre etwa die Gefahr einer Wiederholung des Pflichtverstoßes zwar für den Lauf der ordentlichen Kündigungsfrist auszuschließen, nicht aber darüber hinaus (zu einer solchen Konstellation vgl. BAG 09.062011 - 2 AZR 284/10, Rn. 29), könnte ausnahmsweise gerade der Ausschluss der ordentlichen Kündigung dazu führen, dass ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung - mit notwendiger Auslauffrist - bestünde (BAG 13.05.2015 - 2 AZR 531/14, Rn. 45 mwN).
34Ist die Pflichtverletzung zwar nicht so schwerwiegend, dass sie "an sich" als wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB in Betracht käme, könnte sie jedoch eine ordentliche Kündigung nach § 1 Abs. 2 KSchG sozial rechtfertigen, führte auch der Ausschluss der ordentlichen Kündigung regelmäßig nicht dazu, dass ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung - mit notwendiger Auslauffrist - bestünde. Bei einem typischerweise nur eine ordentliche Kündigung rechtfertigenden Grund im Verhalten des Arbeitnehmers bedingen es vielmehr Sinn und Zweck des Sonderkündigungsschutzes, dass sich der Arbeitgeber von der freiwillig eingegangenen, gesteigerten Vertragsbindung nicht lösen kann (BAG 13.05.2015 - 2 AZR 531/14, Rn. 46 mwN).
352.Ein in diesem Sinne die fristlose Kündigung "an sich" rechtfertigender Grund liegt vor, wie das Arbeitsgericht zutreffend festgestellt hat.
36a.Einen solchen stellen ua. grobe Beleidigungen des Arbeitgebers oder seiner Vertreter und Repräsentanten oder von Arbeitskollegen dar, die nach Form und Inhalt eine erhebliche Ehrverletzung für den Betroffenen bedeuten (st. Rspr., BAG 27.09.2012 - 2 AZR 646/11, Rn. 22; 07.07.2011 - 2 AZR 355/10; 10.12.2009 - 2 AZR 534/08, Rn. 17 mwN).
37b.Die drei Äußerungen des Klägers zu Herrn Z. im Beisein von zwei oder drei weiteren Kollegen bzw. Kolleginnen haben Herrn Z. wegen seiner sexuellen Orientierung auf das Gröbste beleidigt.
38Die erste Äußerung, Herr Z. "solle sich einen Stock in den Arsch schieben", verletzte ihn bereits erheblich in seiner Ehre. Jedenfalls aus Sicht Herrn Z. brachte die Äußerung objektiv eine Missachtung seiner homosexuellen Orientierung zum Ausdruck. Keinesfalls war der Satz dahin zu verstehen, dass der Kollege weniger spießig/steif bzw. unflexibel sein möge, wie der Kläger anführt. Dies wird gelegentlich mit der anderen Wendung ausgedrückt, dass jemand wirke, als habe er "einen Stock verschluckt". Zudem spricht deutlich auch der folgende Satz des Klägers, "früher hätten sie Schwule vergast", gegen ein solches Verständnis.
39Mit diesem Satz bezog sich der Kläger auf die industrialisierte Vernichtung von homosexuellen Menschen in Konzentrationslagern in der Zeit des Nationalsozialismus. Das NS-Regime sprach den Angehörigen der von ihm verachteten Personengruppen jegliches Lebensrecht ab ("lebensunwertes Leben"). Es kann dahinstehen, inwieweit der Kläger solches Gedankengut tatsächlich teilt. Der Inhalt der kommentarlos gegenüber einem homosexuellen Menschen getätigten Äußerung ist menschenverachtend und äußerst verletzend. Durch das abschließende "Heil Hitler" verstärkte der Kläger dies noch. Zudem offenbart sich ein zumindest distanzloser und unkritischer Umgang mit nationalsozialistischem Gedankengut.
403.Dennoch fällt die gebotene Interessenabwägung nach Auffassung des Berufungsgerichts im vorliegenden Einzelfall noch zu Gunsten des Klägers aus.
41a.Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Dabei lassen sich die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumindest bis zum Ende der Frist für eine ordentliche Kündigung zuzumuten war oder nicht, nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Sie scheidet aus, wenn es ein schonenderes Gestaltungsmittel - etwa Abmahnung, Versetzung, ordentliche Kündigung - gibt, das ebenfalls geeignet ist, den mit einer außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - nicht die Sanktion des pflichtwidrigen Verhaltens, sondern die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen des Arbeitsverhältnisses - zu erreichen (st. Rspr., BAG 14.12.2017 - 2 AZR 86/17, Rn. 54; 29.06.2017 - 2 AZR 302/16, Rn. 27; 22.10.2015 - 2 AZR 569/14, Rn. 46; 20.11.2014 - 2 AZR 651/13, Rn. 21 mwN).
42Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann. Ordentliche und außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb idR eine Abmahnung voraus. Einer solchen bedarf es nach Maßgabe des auch in § 314 Abs. 2 iVm. § 323 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (BAG 29.06.2017 - 2 AZR 302/16, Rn. 28; 19.11.2015 - 2 AZR 217/15, Rn. 24; 20.11.2014 - 2 AZR 651/13, Rn. 22; 23.10.2014 - 2 AZR 865/13, Rn. 47; 25.10.2012 - 2 AZR 495/11, Rn. 16).
43Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wird zudem durch § 12 Abs. 3 AGG konkretisiert. Danach hat der Arbeitgeber bei Verstößen gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG, zu denen gemäß § 3 Abs. 4 AGG auch verletzende Bemerkungen sexuellen Inhalts, insbesondere über die sexuelle Orientierung gehören, die geeigneten, erforderlichen und angemessenen arbeitsrechtlichen Maßnahmen - wie Abmahnung, Umsetzung, Versetzung oder Kündigung - zu ergreifen. Welche Maßnahmen er als verhältnismäßig ansehen darf, hängt von den konkreten Umständen ab. § 12 Abs. 3 AGG schränkt das Auswahlermessen allerdings insoweit ein, als der Arbeitgeber die Benachteiligung zu "unterbinden" hat. Geeignet iSd. Verhältnismäßigkeit sind daher nur solche Maßnahmen, von denen der Arbeitgeber annehmen darf, dass sie die Benachteiligung für die Zukunft abstellen, dh. eine Wiederholung ausschließen (BAG 09.06.2011 - 2 AZR 323/10, Rn. 28 mwN).
44b.In Anwendung dessen ist das Berufungsgericht zu der Überzeugung gelangt, dass es unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls der Beklagten zumutbar ist, das Arbeitsverhältnis zumindest bis zum Ende der - fiktiven - ordentlichen Kündigungsfrist (vgl. oben unter I.1) fortzusetzen. Die Interessenabwägung unter Berücksichtigung aller Aspekte des Einzelfalls geht zu Lasten der Beklagten aus.
45aa.Auch nach Auffassung des Berufungsgerichts stellen sich die groben Beleidigungen durch den Kläger als erhebliche Pflichtverletzungen dar. Der Kläger hat die homosexuelle Orientierung des Kollegen verunglimpft und durch den kommentarlosen Hinweis auf die Vergasung homosexueller Menschen in der NS-Zeit und den anschließenden Hitlergruß zumindest unterschwellig zum Ausdruck gebracht, dass er den Kläger mit einer solchen menschenverachtenden Behandlung auch heute in Verbindung bringe. Es handelte sich um völlig inakzeptable und äußerst verletzende Äußerungen.
46Der Kläger kann auch nicht zu seiner Entlastung anführen, von Herrn Z. durch die Bezeichnung als "Arschloch" zu seinen nachfolgenden Äußerungen zur Vergasung und den Worten "Heil Hitler" provoziert worden zu sein. Zu Recht hat das Arbeitsgericht hierzu ausgeführt, dass die Äußerung des Herrn Z. nicht eine Provokation, sondern eine - durchaus nicht überschießende - Reaktion auf die Eingangsprovokation des Klägers darstellte. Ein hinreichender Anlass für den Kläger, den Kollegen nachfolgend derart grob zu beleidigen ("Vergasen", "Heil Hitler"), ist darin nicht zu erkennen.
47bb.Mit der Beleidigung seines Kollegen hat der Kläger in erheblicher Weise den Betriebsfrieden verletzt. Eine weitere Zusammenarbeit mit dem Kollegen Z. kam zumindest zunächst nicht in Betracht. Zur Wiederherstellung des Betriebsfriedens wurden zumindest umfängliche Klärungen und Gespräche notwendig. Der Betriebsfrieden wurde dabei außer durch die Beleidigung auch durch den hetzenden Charakter des Hinweises auf die Vergasung und der Worte "Heil Hitler" gestört, auch wenn dies nicht in strafbarer Weise geschah (§ 86a Absatz 1 Nr. 1 StGB verlangt die "Verbreitung" oder "öffentliche Verwendung" von NS-Parolen oder Grußformeln, § 130 Abs. 1 StGB stellt die Verächtlichmachung auch Einzelner wegen ihrer Zugehörigkeit zu einem Teil der Bevölkerung nur unter Strafe, wenn sie geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören). Auch die nicht strafbare Äußerung solcher Inhalte kann den Betriebsfrieden in pflichtwidriger Weise stören und hat es hier ohne Zweifel getan.
48cc.Zu berücksichtigen ist auch, dass die Beklagte als Anstalt des öffentlichen Rechts für die freiheitlich demokratische Grundordnung besonders einzustehen hat und diskriminierenden, faschistoiden oder rechtsradikalen Äußerungen ihrer Mitarbeiter nicht unbeteiligt gegenüberstehen kann. Allerdings bestehen hier keine weiteren Anhaltspunkte dafür, dass die fatalen Äußerungen des Klägers Ausdruck einer grundsätzlichen Haltung oder Gesinnung wären. Dagegen spricht auch die Äußerung der Kolleginnen und Kollegen der Gärtnerei gegenüber der Personalleitung im Schreiben vom 20.02.2020 (Bl. 72 GA). Ferner ist der Kläger als Gärtner in keiner Weise Repräsentant des Universitätsklinikums. Auch ist seine einfache Bildung ohne Schulabschluss und mit lediglich betriebsinterner Ausbildung zu bedenken. Damit sollen die Äußerungen nicht verharmlost werden. Doch erscheinen der persönliche Schuldvorwurf gegen den Kläger und die Betroffenheit der Beklagten als Anstalt des öffentlichen Rechts geringer als etwa in dem Fall, dass ein Arzt oder sonstiger Repräsentant entsprechende Äußerungen getätigt hätte.
49dd.Neben dem Interesse der Beklagten an der Wiederherstellung des Betriebsfriedens ist ihre Schutzpflicht gegenüber dem diskriminierten Opfer gemäß § 12 Abs. 3 AGG zu bedenken. Zur Erfüllung dieser Pflicht geeignet iSd. Verhältnismäßigkeit sind - wie oben ausgeführt - nur solche Maßnahmen, von denen der Arbeitgeber annehmen darf, dass sie die Benachteiligung für die Zukunft abstellen, dh. eine Wiederholung ausschließen (BAG 20.11.2014 - 2 AZR 651/13, Rn. 23 mwN).
50Zur Überzeugung des Berufungsgerichts steht allerdings fest, dass im vorliegenden Fall eine Abmahnung grundsätzlich geeignet gewesen wäre, eine künftige Wiederholung auszuschließen. Die Vertragspflichtverletzung beruht auf steuerbarem Verhalten des Klägers. Anhaltspunkte für eine Wiederholungsgefahr bestehen nicht. Der Kläger und Herr Z. arbeiten bereits seit ca. 35 Jahren zusammen. Die homosexuelle Orientierung von Herrn Z. ist dabei seit langem im Kreis der Kollegen und Kolleginnen bekannt. In der Vergangenheit kam es trotz eines unstreitig rauen Umgangstons in der Gärtnerei in keinem Fall zu einer ähnlichen diskriminierenden Äußerung des Klägers gegenüber Herrn Z. oder überhaupt über homosexuelle Menschen. Es handelte sich um einen Einzelfall, der seine Wurzeln offensichtlich in der Auseinandersetzung über die am 18. und 19. Februar 2020 wechselseitig zugeparkten Fahrzeuge hatte. Das Vorbringen des Klägers zu Blockierung seiner E-Karre durch den Trecker des Herrn Z. am 18.02.2020 ist der Entscheidung zugrunde zu legen. Die Beklagte ist ihm als beweisbelastete Partei nicht mit Beweisantritt entgegengetreten. Außerdem hat die Zeugin T. in ihrer erstinstanzlichen Vernehmung den Vortrag des Klägers bestätigt (vgl. S. 6 des Sitzungsprotokolls vom 30.07.2020, Bl. 105 GA). Damit soll keineswegs das Verhalten des Klägers entschuldigt werden. Es stand außer Verhältnis zu dem Gerangel um die Fahrzeugblockierungen. Doch besteht kein Grund für die Annahme, dass der Kläger nicht willens oder in der Lage wäre, künftig ebenso wie in der Vergangenheit derartige Äußerungen zu unterlassen. Der Kläger hat sich noch am Vormittag des 19.02.2020 bei Herrn Z. entschuldigt. In seiner späteren Anhörung um 13.30 Uhr hat er abschließend zu Protokoll gegeben, dass ihm sein Verhalten sehr leidtäte (vgl. Anhörungsprotokoll vom 19.02.2020 am Ende, Bl. 49 GA).
51ee.Anders als das Arbeitsgericht vermochte das Berufungsgericht nicht festzustellen, dass der Beklagten keine milderen Mittel zur Verfügung standen. Eine Abmahnung konnte, wie soeben ausgeführt, die Gefahr einer Wiederholung für die Zukunft abstellen. Damit ist allerdings noch nicht die Frage geklärt, ob der Kläger künftig mit Herrn Z. weiter zusammenarbeiten kann oder ob ein anderweitiger Einsatz möglich wäre. Beides hat der Kläger in zweiter Instanz geltend gemacht. Beidem ist die Beklagte nicht ausreichend entgegengetreten, obwohl es zu dem von der Beklagten gemäß § 626 BGB darzulegenden und unter Beweis zu stellenden Kündigungsgrund gehört.
52(1)Es steht zur Überzeugung des Berufungsgerichts nicht fest, dass der Kläger nach einer Abmahnung nicht mehr in der Gärtnerei hätte eingesetzt werden können. Die Beklagte hat zwar darauf hingewiesen, dass in der "überschaubaren" Gärtnerei eine Zusammenarbeit zwischen dem Kläger und Herrn Z. nicht zu vermeiden sei. Dies genügt aber nicht. Denn für die Feststellung, dass es auch für die Dauer einer fiktiven Kündigungsfrist ausgeschlossen wäre, eine Zusammenarbeit der beiden Kollegen in der Gärtnerei zu vermeiden, fehlt es schon an näherer Darstellung von Größe und Arbeitsabläufen der Gärtnerei.
53Unabhängig davon ist aber auch die Prämisse, dass eine künftige gedeihliche Zusammenarbeit der beiden Kollegen für die Dauer einer fiktiven Kündigungsfrist ausgeschlossen sei, nicht dargelegt. Der Kläger hat sich bei Herrn Z. entschuldigt und in seiner Anhörung ausgeführt, dass ihm sein Verhalten sehr leidtäte. Er hat in der Berufung eine künftige Zusammenarbeit mit dem Kollegen für möglich gehalten. Demgegenüber hat die Beklagte vor Ausspruch der Kündigung keine erkennbaren Bemühungen unternommen, die Möglichkeit einer weiteren Zusammenarbeit der Kollegen überhaupt zu prüfen. Ihrem Vortrag lassen sich entsprechende Überlegungen und angemessene Bemühungen darum nicht entnehmen. Allein der Personalrat hat in seiner Stellungnahme mitgeteilt, dass Herr Z. ihm gegenüber geäußert habe, zwar eine Entlassung des Klägers nicht zu wünschen, aber auch nicht mehr mit ihm zusammenarbeiten zu wollen. Dies allein vermag nicht die Feststellung zu tragen, dass eine solche Möglichkeit ausgeschlossen war. Der Kläger und Herr Z. haben ca. 35 Jahre zusammengearbeitet. Ein grundständiger Konflikt zwischen ihnen besteht - abgesehen vielleicht von gelegentlichem Gerangel um die wechselseitigen Fahrzeugblockierungen oder Ähnlichem - nicht. In dieser Lage konnte das Berufungsgericht nicht die Feststellung treffen, dass eine Zusammenarbeit für die Dauer der Kündigungsfrist auch nach ernstlicher Ansprache des Herrn Z. durch die Beklagte und zumindest dem Versuch einer Einwirkung auf die Betroffenen im Sinne einer Verständigung etwa in Form eines Opferausgleichs in absehbarer, zumutbarer Zeit nicht zu erreichen gewesen wäre.
54Die nachträglich unter das Zeugnis des Herrn Z. gestellte Behauptung, dass eine gedeihliche Zusammenarbeit der beiden langjährigen Kollegen in Anbetracht des erstinstanzlichen Bestreitens des Klägers nicht möglich gewesen wäre, ist für die Feststellung, dass dies auch im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung ausgeschlossen war, unbehelflich. Der Zeuge müsste zu dem hypothetischen Verlauf seiner Befindlichkeit auch unter dem Eindruck einer ernstlichen Verständigungsbemühung der Beklagten und etwaiger Erklärungen des Klägers in diesem Zusammenhang aussagen und dabei den späteren Geschehensablauf, nämlich das erstinstanzliche Bestreiten des Klägers, einbeziehen.
55(2)Auch die Möglichkeit, den Kläger nach Ausspruch einer Abmahnung zu versetzen, damit jede Zusammenarbeit mit Herrn Z. ausgeschlossen wäre, ist nicht hinreichend sicher ausgeschlossen.
56Der Kläger hat geltend gemacht, angesichts ca. 5.500 Mitarbeiter der Beklagten, davon ca. 2.000 medizinisches Personal, anderweitig eingesetzt werden zu können, und beispielhaft auf eine Tätigkeit im Lager, in der Logistik oder im Fahrdienst hingewiesen.
57Die Beklagte hat hierzu erwidert, das Vorbringen des Klägers sei unsubstantiiert. Es sei schon nicht zu erkennen, welches Lager der Kläger meine. Die angesprochene Logistik sei im Wesentlichen auf eine Tochtergesellschaft ausgelagert. Auch bei dem angesprochenen Fahrdienst sei unklar, was der Kläger meine. Ungeachtet dessen wäre seine Beschäftigung dort auch nur für einen weiteren Tag unzumutbar.
58Dies genügt nicht für die Feststellung, dass eine anderweitige Tätigkeit des Klägers ausgeschlossen war. Weder hat die Beklagte näher dargelegt, dass ein Lager nicht existiere und der Kläger dort jedenfalls nicht einsetzbar sei, noch hat sie eine Tätigkeit im Bereich der Logistik hinreichend spezifiziert ausgeschlossen. Der Hinweis, dass diese im Wesentlichen auf eine Tochtergesellschaft ausgelagert sei, besagt gerade nicht, dass für den Kläger keinerlei Beschäftigungsmöglichkeit in diesem Bereich besteht. Das Gleiche gilt für den Fahrdienst: Hierzu hat die Beklagte weder dargelegt, dass ein solcher nicht existiere, noch dass der Kläger dafür ungeeignet wäre. Allein der Hinweis auf Krankentransporte, die der Kläger nicht ausüben könnte, ist auch hier nicht ausreichend für die Feststellung, dass ein Einsatz im Fahrdienst überhaupt nicht möglich sei.
59ff.Der Beklagten war aus Sicht eines verständigen Arbeitgebers nicht bereits die erstmalige Hinnahme der Pflichtverletzung unzumutbar mit der Folge, dass auch ohne Abmahnung jedwede Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der fiktiven Kündigungsfrist ausgeschieden wäre. Die Pflichtverletzung des Klägers ist zwar auch nach Auffassung des Berufungsgerichts erheblich, doch hat sie nicht das Gewicht, dass bereits ihr erstmaliges Auftreten die Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist unzumutbar machte.
60Es handelte sich um eine einmalige Entgleisung des Klägers. Niemals zuvor ist er in den 43 Jahren seiner Beschäftigung in dieser oder ähnlicher Weise in Erscheinung getreten. Dies wird auch durch die Stellungnahme der Kolleginnen und Kollegen vom 20.02.2020 bestätigt. Der Kläger hat noch am selben Vormittag den Kollegen Z. um Entschuldigung gebeten und am Mittag gegenüber der Beklagten sein Bedauern über sein Verhalten ausgedrückt. In seiner Anhörung am Mittag hat er die Vorwürfe - wenn auch teilweise nach mehrfachem Nachfragen - zugegeben. Zu bedenken ist auch, dass der Kläger nur über einen einfachen Bildungsstand verfügt und in der Gärtnerei ein rauer Umgangston gepflegt wird. Als Mitarbeiter der Gärtnerei steht der Kläger nicht in der Rolle eines Repräsentanten des beklagten Universitätsklinikums. Dies alles soll die Äußerungen des Klägers nicht entschuldigen oder verharmlosen. Es schwächt jedoch das Gewicht der Pflichtverletzung und macht es der Beklagten zur Überzeugung des Berufungsgerichts bei objektiver Betrachtung nicht unmöglich, das Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf der fiktiven Kündigungsfrist fortzusetzen.
61In diesem Zusammenhang ist es unerheblich, dass der Kläger den Sachverhalt erstinstanzlich teilweise bestritten hat und so alle Beteiligten in eine Beweisaufnahme nötigte. Dieses Verhalten ereignete sich erst nach Zugang der Kündigung. Ein Rückschluss aus dem Verhalten auf eine grundsätzlich unehrliche, den Kündigungsvorwurf verstärkende Grundhaltung des Klägers kann daraus nicht gezogen werden. Der Vorwurf des versuchten Prozessbetrugs liegt nicht auf der Ebene der dem Kläger zur Last gelegten Äußerungen. Zudem sind die Prozesssituation und der Einfluss des Prozessbevollmächtigten zu bedenken. Immerhin hatte der Kläger das Geschehen bereits am Tattag bei seiner Anhörung vollständig zugegeben.
62gg.Zu Gunsten des Klägers ist schließlich insbesondere zu berücksichtigen, dass er bei der Beklagten bzw. ihrem Rechtsvorgänger seit 43 Jahren weitgehend störungsfrei beschäftigt ist. Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses träfe ihn in seiner wirtschaftlichen Existenz stark. Es war bei Ausspruch der Kündigung 59 Jahre alt und daher in einer auf dem Arbeitsmarkt schwierigen Situation, einem Sohn zum Unterhalt verpflichtet und lebt in einer von der Beklagten zur Verfügung gestellten Werkmietwohnung, die er als Konsequenz aus der Beendigung des Arbeitsverhältnisses verlieren würde. Bei diesem Bild überwiegt nach Auffassung des Berufungsgerichts sein Interesse am Fortbestand des Arbeitsverhältnisses für die Dauer einer fiktiven Kündigungsfrist von sieben Monaten das Interesse der Beklagten an seiner fristlosen Beendigung.
63Ein Ausnahmefall, in dem bei Gründen im Verhalten des Arbeitnehmers eine außerordentliche Kündigung mit notwendiger Auslauffrist in Betracht kommt (vgl. dazu oben unter I.1.c), liegt nicht vor. Die Gefahr einer Wiederholung des Pflichtverstoßes ist sowohl für den Lauf der ordentlichen Kündigungsfrist als auch darüber hinaus nach Ausspruch einer Abmahnung auszuschließen (vgl. oben unter I.3.b.dd). Ungeachtet dessen scheitert eine Umdeutung der außerordentlichen Kündigung gemäß § 140 BGB in eine außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist daran, dass die dafür erforderliche Beteiligung des Personalrats unterblieben ist.
64II.Die Kostenentscheidung folgt für die erstinstanzlichen Kosten aus §§ 92 Abs. 1 Satz 1, 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO. Der Kläger hatte seinen erstinstanzlich erhobenen Klageantrag auf Zahlung von Entgelt für Februar 2020 iHv. 3.186,46 € brutto abzügl. 1.000,00 € netto im Kammertermin am 10.06.2020 zurückgenommen und im Übrigen obsiegt. Die zweitinstanzlichen Kosten trägt die unterlegene Beklagte gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
65Gründe für die Zulassung der Revision iSv. § 72 Abs. 2 ArbGG bestanden nicht. Insbesondere kam dem tatrichterlich zu würdigenden Einzelfall keine grundsätzliche Bedeutung zu.
66RECHTSMITTELBELEHRUNG
67Gegen dieses Urteil ist ein Rechtsmittel nicht gegeben. Wegen der Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde wird auf § 72a ArbGG verwiesen.
68QueckeRussinHirr