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1. Ist eine Arbeitnehmerin an einem Tag, für den ihr die Arbeitgeberin eine Freistellung gemäß § 25 MTV gewährt hat, arbeitsunfähig erkrankt, so geht der Anspruch auf Freistellung nicht durch Erfüllung unter (Anschluss an LAG Düsseldorf, Urteil vom 20.04.2021 - 8 Sa 754/20). 2. Der Freistellungstag ist grundsätzlich nachzugewähren (Anschluss an LAG Düsseldorf, Urteil vom 20.04.2021 - 8 Sa 754/20). 3. Im - hier gegebenen - Einzelfall kann der Arbeitgeberin jedoch die Berufung auf den fortbestehenden Anspruch auf Nachgewährung des Freistellungstags aus Gründen der unzulässigen Rechtsausübung versagt sein mit der Folge, dass gemäß § 25.3 Abs. 3 Satz 2 MTV Metall- und Elektroindustrie NRW der Anspruch auf das tarifliche Zusatzgeld gemäß TV T-ZUG wieder auflebt.
I.Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mönchengladbach vom 26.08.2020 - 6 Ca 630/20 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
II.Die Revision wird zugelassen.
T A T B E S T A N D :
2Die Parteien streiten über die Zahlung eines tariflichen Zusatzgeldes nach § 2 Nr. 2 a) des Tarifvertrages "Tarifliches Zusatzgeld für die Metall-und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens" vom 14. Februar 2018 (im Folgenden: TV T-ZUG).
3Die Klägerin ist bei der Beklagten als Mitarbeiterin auf Vollzeitbasis bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 35 Stunden beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden kraft beidseitiger Verbandszugehörigkeit die Tarifverträge für die Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens, insbesondere der Manteltarifvertrag vom 08.11.2018 (im Folgenden: MTV), das Entgeltrahmenabkommen sowie der TV T-ZUG Anwendung.
4Nach § 2 TV Nr. 1 T-ZUG erhalten Beschäftigte, die jeweils am 31.07. eines Kalenderjahres in einem Arbeitsverhältnis stehen und zu diesem Zeitpunkt dem Betrieb ununterbrochen 6 Monate angehört haben, ein tarifliches Zusatzgeld (T-ZUG) nach näherer Maßgabe des § 2 Nr. 2.
5In § 25 MTV heißt es - wie zuvor inhaltsgleich in § 3d EMTV in der Fassung des Änderungstarifvertrages vom 14.02.2018 - unter der Überschrift "Freistellungszeit statt T-ZUG (A)" auszugsweise wie folgt:
6"Beschäftigte können nach Maßgabe nachfolgender Bestimmungen verlangen, statt des tariflichen Zusatzgeldes (A) nach § 2 Ziff. (1) a) TV T-ZUG eine Freistellung in Anspruch zu nehmen.
725.1 Anspruchsberechtigte
8Die Möglichkeit, eine bezahlte Freistellung in Anspruch zu nehmen, besteht für folgende Beschäftigungsgruppen:
910
25.2 Geltendmachung
1112
25.3 Freistellungsumfang
13Der Freistellungsanspruch beträgt 8 Tage für Beschäftigte, bei denen sich die Arbeitszeit regelmäßig auf 5 Tage pro Woche verteilt.
14Grundsätzlich erfolgt die Inanspruchnahme in Form von ganzen freien Tagen, vergleichbar dem Verfahren bei der Urlaubsentnahme. Arbeitgeber und Beschäftigter können sich einvernehmlich auch auf eine hiervon abweichende Inanspruchnahme verständigen.
15Bei der zeitlichen Festlegung der Freistellung sind die Wünsche des Beschäftigten im Rahmen der betrieblichen Möglichkeiten zu berücksichtigen.
16Kann der Freistellungsanspruch aus personenbedingten Gründen nicht oder nicht vollständig im Kalenderjahr genommen werden, geht der Freistellungsanspruch unter. Im Umfang der nicht realisierten Freistellungstage besteht der Anspruch auf das tarifliche Zusatzgeld (A) nach § 2 Ziff. Nr. 2 a) TV T-ZUG.
17Endet das Arbeitsverhältnis nach Realisierung der Freistellungstage vor 31. Juli eines Kalenderjahres, ist die Differenz im Arbeitsentgelt zu verrechnen.
18Die Ausübung einer Nebenbeschäftigung während der Freistellungszeit ist nicht zulässig."
19Auf Antrag bewilligte die Beklagte der Klägerin - in deren Person die näheren tariflichen Voraussetzungen des § 25 MTV bzw. des TV T-ZUG erfüllt waren - für den Zeitraum vom 11.06.2019 bis zum 21.06.2019 acht Freistellungstage i.S.d. § 25 MTV. Auf die mit der Klageschrift vorgelegte Kopie eines entsprechenden "Bestätigungsschreibens" wird Bezug genommen.
20In der Zeit vom 23.05.2019 bis einschließlich 21.06.2019 war die Klägerin arbeitsunfähig erkrankt. Mit Schreiben vom 21.07.2019 machte sie unter Berufung auf § 25.3 MTV die Zahlung des tariflichen Zusatzgeldes in unstrittiger Höhe von € 880,-- geltend. Ausweislich ihres Schreibens vom 06.08.2019, wegen dessen vollständigem Inhalt auf die mit der Klageschrift zu den Akten gereichte Kopie verwiesen wird, verweigerte die Beklagte die Zahlung mit der Begründung, § 25.3 MTV bilde lediglich den Fall ab, dass der Beschäftigte noch nicht fixierte Freistellungstage aus personenbedingten Gründen nicht nehmen könne. Da die Freistellungstage der Klägerin bereits vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit fixiert gewesen seien, seien sie "verbraucht".
21Mit ihrer am 27.03.2020 bei Gericht eingegangenen und der Beklagten am 06.04.2020 zugestellten Klageschrift hat die Klägerin die Beklagte auf Zahlung des tariflichen Zusatzgeldes für das Jahr 2019 in Anspruch genommen.
22Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, ihre Arbeitsunfähigkeit stelle einen personenbedingten Grund für die Nichtinanspruchnahme der Freistellungstage dar, so dass ihr nach Wortlaut und Sinn und Zweck des § 25 MTV anstelle der Freistellungstage für das Jahr 2019 (wieder) das tarifliche Zusatzgeld in Höhe von 27,5 % eines Bruttomonatsgehaltes zustehe. Sofern die Beklagte meine, dass die Tarifvertragsparteien die Anwendung der Ziffer 25.3 MTV lediglich für den Fall gewollt hätten, dass Freistellungstage noch nicht konkret terminiert gewesen seien, ergebe sich dies nicht aus dem Tarifwortlaut. An keiner Stelle des Tarifvertrages seien Anhaltspunkte für diese Auslegung zu entnehmen.
23Die Klägerin hat beantragt,
24die Beklagte zu verurteilen, an sie € 880,00 brutto nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.07.2019 zu zahlen und hierüber bei Auszahlung eine Abrechnung zu erteilen.
25Die Beklagte hat beantragt,
26die Klage abzuweisen.
27Sie hat die Auffassung vertreten, § 25.3 Abs. 3 MTV beziehe sich lediglich auf den Fall, dass der Beschäftigte noch nicht fixierte Freistellungstage aus personenbedingten Gründen nicht nehmen könne, es also noch gar nicht zu einer Festlegung der Freistellungstage gekommen sei. Seien diese hingegen - wie im Fall der Klägerin - vor der Erkrankung verbindlich festgelegt worden, seien sie verbraucht. Das gelte auch dann, wenn sie vom Beschäftigten aufgrund Arbeitsunfähigkeit nicht wahrgenommen werden könnten. Die Arbeitspflicht der Klägerin sei im Zeitraum 11. bis 21.06.2019 nicht infolge ihrer Arbeitsunfähigkeit entfallen, sondern aufgrund der vorher geregelten Freistellung. Insoweit sei die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Arbeitsunfähigkeit an arbeitsfreien Tagen wegen Freizeitausgleichs entsprechend anwendbar. Auch hier habe die Arbeitnehmerin das Risiko der tatsächlichen Nutzungsmöglichkeit zu tragen. Die Freistellungstage unterlägen einem komplett eigenständigen Regime. § 25.3 MTV spreche an keiner Stelle davon, dass es sich um einen Zusatzurlaub handele. Die Qualifizierung als Freistellungszeit ergebe sich auch aus systematischer Sicht, da § 25.3 MTV sich im Kapitel D "Freistellungszeiten" finde. Dass es sich um klassische Freistellungszeiten handele, ergebe sich im Übrigen auch daraus, dass die Freistellungstage nicht in das nächste Kalenderjahr übertragbar seien und in besonderen Fällen wieder in Entgelt umgewandelt würden. Der Anspruch auf tarifliches Zusatzgeld und die Freistellungsoption stünden nicht in einem bedingungslosen wechselseitigen Verhältnis. Vielmehr sei die Freistellungsoption wertmäßig höher anzusiedeln als 27,5 % eines Bruttomonatsverdienstes.
28Mit Urteil vom 26.08.2020, auf dessen Entscheidungsgründe wegen der im Einzelnen zugrundeliegenden Erwägungen verwiesen wird, hat das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben. Der Klägerin stehe gegen die Beklagte auf Grundlage von § 2 Nr. 2a TV T-ZUG i.V.m. § 25.3 Abs. 3 MTV ein in seinen tatsächlichen Voraussetzungen und der Höhe nach unstreitiges tarifliches Zusatzgeld i.H.v. 27,5 % ihres Bruttomonatsgehaltes, mithin 880,00 € brutto zu. Die beantragten und für die Zeit vom 11. bis zum 21.06.2019 genehmigten tariflichen Freistellungstage habe die Klägerin im Sinne von § 25.3 Abs. 3 MTV "aus personenbedingten Gründen nicht in Anspruch nehmen" können. Entgegen der Auffassung der Beklagten sei die Regelung in § 25.3. Abs. 3 MTV nicht nur auf Freistellungstage anwendbar, deren Lage noch nicht festgelegt worden sei, sondern auch auf solche, die - wie im Fall der Klägerin - bereits terminlich fixiert gewesen seien. Das ergebe - aus näher ausgeführten Gründen - die Auslegung des § 25.3 MTV, der deutliche Parallelen zum Urlaubsrecht, insbesondere zu §§ 8 und 9 BUrlG aufweise. Namentlich die in Absatz 3 zu findende Regelung für den Fall, dass der Freistellungsanspruch aus personenbedingten Gründen nicht genommen werden könne, behandele dieselbe Problemsituation wie § 9 BUrlG, wenn auch mit anderer Rechtsfolge, nämlich nicht der Nachgewährung, sondern des Untergangs des Freistellungsanspruchs und des Wiederauflebens des Anspruches auf das tarifliche Zusatzgeld nach § 2 Nr. 2a TV T-ZUG.
29Mit ihrer form- und fristgemäß eingelegten Berufung wendet sich die Beklagte gegen das Urteil des Arbeitsgerichts, dessen rechtliche Wertungen sie aus näher dargelegten Gründen, wegen deren Details auf die Berufungsbegründung verwiesen wird, für rechtsfehlerhaft erachtet. § 9 BUrlG sei eine Ausnahme von diesen Grundsätzen und im vorliegenden Fall nicht anwendbar. Soweit der Tarifvertrag die Inanspruchnahme des Freistellungsanspruchs als dem Verfahren bei der Urlaubsnahme vergleichbar regele, könne daraus aufgrund näher dargelegter Erwägungen kein ausdrücklicher Verweis auf sämtliche Regelungen des Bundesurlaubsgesetzes und insbesondere nicht auf § 9 BUrlG herausgelesen werden.
30Die Beklagte beantragt,
31das Urteil des Arbeitsgerichts Mönchengladbach vom 26.08.2020 - 6 Ca 630/20 - abzuändern und die Klage abzuweisen.
32Die Klägerin beantragt,
33die Berufung zurückzuweisen.
34Mit ihrer Berufungsbeantwortung, auf die wegen der Einzelheiten des zweitinstanzlichen Vorbringens verwiesen wird, verteidigt sie das Urteil des Arbeitsgerichts unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags.
35Wegen der weiteren Einzelheiten des zugrundeliegenden Sachverhalts sowie des widerstreitenden Sachvortrags und der unterschiedlichen Rechtsauffassungen der Parteien wird gemäß § 69 Abs. 3 Satz 2 ArbGG ergänzend auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils sowie den Akteninhalt, insbesondere die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie die Protokolle der mündlichen Verhandlungen aus beiden Instanzen Bezug genommen.
36E N T S C H E I D U N G S G R Ü N D E :
37I.
38Die den Anforderungen der §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 1, 2, 6 ArbGG in Verbindung mit §§ 519, 520 ZPO genügende und deshalb zulässige Berufung konnte in der Sache keinen Erfolg haben. Das Arbeitsgericht hat den Rechtsstreit im Ergebnis richtig entschieden, indem es der Klage stattgegeben hat. Im Berufungsverfahren sind weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht Gesichtspunkte vorgebracht worden, die zu einer Abänderung der Entscheidung des Arbeitsgerichts Veranlassung geben könnten.
391. Die Klägerin hat aus § 2 Nr. 2 a) TV T-ZUG Anspruch auf Zahlung eines in seiner Berechnung unstrittigen Zusatzgeldes i.H.v. € 880,00 brutto.
40a) Dass die Klägerin die tatsächlichen Voraussetzungen des § 2 Nr. 2a TV T-ZUG für die Zahlung des tariflichen Zusatzgeldes im Jahre 2019 grundsätzlich erfüllte, ist unter den Parteien nicht strittig.
41b) Der Beklagten ist zuzugestehen, dass mit dem Verlangen der Klägerin, ihr statt des tariflichen Zusatzgeldes Freizeit zu gewähren, grundsätzlich für das Jahr 2019 der Anspruch auf Gewährung von Freistellungstagen nach § 25 MTV an die Stelle des Anspruchs auf tarifliches Zusatzgeld aus § 2 Nr. 2a TV T-ZUG getreten ist. Dass im Jahre 2019 die zur Umwandlung des Zusatzgeldes in Freistellung berechtigenden tatsächlichen Voraussetzungen des § 25 MTV gegeben waren, ist unstrittig.
42c) Der danach entstandene Freistellungsanspruch der Klägerin ist nicht durch Erfüllung gemäß § 362 Abs. 1 BGB erloschen.
43Insbesondere konnte durch die der Klägerin auf ihren Antrag hin bewilligte Freistellung in der Zeit vom 11.06.2019 bis zum 21.06.2019 keine Erfüllung eintreten. Denn an diesen Tagen war die Klägerin unstreitig arbeitsunfähig erkrankt und entgegen der Auffassung der Beklagten bewirkte die bloße Bewilligung der Freistellungstage nicht bereits die Erfüllung des Freistellungsanspruchs. Die Auslegung des § 25 MTV ergibt vielmehr - auch ohne Rückgriff auf § 9 BUrlG -, dass der Arbeitgeber im Falle der Freistellung nach § 25 MTV das Risiko der tatsächlichen Nutzungsmöglichkeit eines Freistellungstages tragen soll.
44aa) Die erkennende Kammer schließt sich insoweit (ebenso wie bereits die 8. Kammer mit ihrem Urteil vom 20.04.2021 - 8 Sa 754/20 -) der Begründung des Landesarbeitsgerichts Hamm in seinem Urteil vom 25.11.2020 - 6 Sa 695/20 - zur wortgleichen Vorgängerbestimmung des § 3d EMTV an. In den Entscheidungsgründen heißt es dort unter Ziffer II.2.b)cc)(3), Rdz. 92 ff. wie folgt:
45" Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts wird ein Anspruch auf Arbeitszeitausgleich bereits durch die Freistellung von der Arbeitspflicht erfüllt. Der Arbeitnehmer ist in diesem Falle nicht mehr verpflichtet, im Freistellungszeitraum die nach dem Arbeitsvertrag geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. Er kann über diesen Zeitraum frei verfügen, ohne dass die Pflicht des Arbeitgebers zur Zahlung der entsprechenden Vergütung entfällt. Eine nachträglich eintretende krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit im Freistellungszeitraum macht die Erfüllung des Ausgleichsanspruchs nicht hinfällig (vgl. BAG vom 11.09.2003 - 6 AZR 374/02; BAG vom 21.08.1991 - 5 AZR 91/91). Demnach trägt grundsätzlich der Arbeitnehmer das Risiko, die durch Arbeitsbefreiung als Arbeitszeitausgleich gewonnene Freizeit auch tatsächlich nach seinen Vorstellungen nutzen zu können. (vgl. BAG vom 11.09.2003 - 6 AZR 374/02).
46Etwas anderes gilt im Falle eines tarifvertraglich geregelten Arbeitszeitausgleichs nur dann, wenn der Tarifvertrag mit dem Freizeitausgleich die Verschaffung einer zu Erholungszwecken nutzbaren arbeitsfreien Zeit sicherstellen und dazu dem Arbeitgeber bei einer zuvor erfolgten Festlegung der freien Arbeitstage das Risiko dieser Nutzungsmöglichkeit zuweist (vgl. BAG vom 11.09.2003 - 6 AZR 374/02). Die Frage, ob die "Gewährung freier Tage" i.S.v. § 3d EMTV während einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit möglich ist, ist nicht anhand begrifflicher Erwägungen oder allgemeiner schuldrechtlicher Grundsätze, sondern durch Auslegung der Tarifvorschrift selbst zu beantworten (vgl. BAG 04.09.1985 - 7 AZR 531/82 zu § 17 Abs. 5 BAT).
47Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts folgt die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei nicht eindeutigem Tarifwortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden können. Lässt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, dann können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrags, ggf. auch die praktische Tarifübung ergänzend hinzuziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse ist zu berücksichtigen. Im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (vgl. BAG vom 22.03.2018 - 6 AZR 29/17; BAG vom 20.03.2012 - 9 AZR 518/10; BAG vom 24.10.2010 - 6 AZR 992/08; BAG vom 19.09.2007 - 4 AZR 670/06; BAG vom 07.07.2004 - 4 AZR 433/03).
48Zu Recht hat das Arbeitsgericht angenommen, dass sich im Streitfall der tariflichen Regelung des § 3d EMTV abweichend von den allgemeinen Grundsätzen entnehmen lässt, dass das Risiko der Nutzungsmöglichkeit bei einer erfolgten Festlegung der freien Arbeitstage dem Arbeitgeber zugewiesen sein soll. Eine Erfüllung des Freistellungsanspruchs soll hiernach ausnahmsweise dann ausgeschlossen sein, wenn der Arbeitnehmer nach zeitlicher Festlegung der Freistellung in diesem Zeitraum arbeitsunfähig erkrankt.
49(a) Nach dem Wortsinn bedeutet "Gewährung freier Tage" die Freistellung des Arbeitnehmers von einer bestehenden Arbeitspflicht. Dies geschieht durch eine entsprechende Erklärung des Arbeitgebers gegenüber dem Arbeitnehmer, durch die der Arbeitgeber auf sein vertragliches Recht auf Leistung der versprochenen Dienste in einem bestimmten Umfang verzichtet und damit die entsprechende Dienstleistungspflicht des Arbeitnehmers zum Erlöschen bringt (vgl. BAG vom 04.09.1985 - 7 AZR 531/82).
50(b) Soweit im Falle des Ausgleichs eines Arbeitszeitkontos oder von Überstunden die Freistellungserklärung des Arbeitgebers allein in der Regel zu Recht als Erfüllungshandlung angesehen wird, ist dies nicht auf den Freistellungsanspruch nach § 3d EMTV übertragbar.
51(aa) Der Überstundenausgleich verlangt vom Arbeitgeber nur die Entbindung des Arbeitnehmers von seiner vertraglichen Arbeitspflicht im Umfang der geleisteten Überstunden, nicht aber darüber hinaus die Verschaffung einer zu Erholungszwecken nutzbaren arbeitsfreien Zeit. Dies stellt damit nur eine Regelung zur Arbeitszeitverlegung im Rahmen der regelmäßigen Arbeitszeit dar. Überstunden sollen in der Regel vorweggenommene Arbeitsleistung sein. Der spätere Freizeitausgleich ist lediglich der zweite zur Arbeitszeitverlegung erforderliche Akt (vgl. BAG vom 11.09.2003 - 6 AZR 374/02; BAG vom 04.09.1985 - 7 AZR 531/82). Die durch die Arbeitsbefreiung als Überstundenausgleich gewonnene Freizeit des Arbeitnehmers kann rechtlich keine andere Qualität haben als seine sonstige arbeitsfreie Zeit, denn durch die Leistung der Überstunden und ihren Ausgleich durch Arbeitsbefreiung findet lediglich eine Verlagerung der Arbeitszeit und damit notwendig auch der arbeitsfreien Zeit des Arbeitnehmers statt. Ebenso wenig wie der Arbeitgeber sonst dem Arbeitnehmer dafür einzustehen braucht, dass dieser an der beliebigen Nutzung seiner arbeitsfreien Zeit nicht durch Krankheit gehindert ist, trägt der Arbeitnehmer dieses Risiko bei der durch Arbeitsbefreiung als Überstundenausgleich gewonnenen Freizeit (vgl. BAG vom 04.09.1985 - 7 AZR 531/82). Wird ein Arbeitnehmer zum Ausgleich von Überstunden freigestellt, hat er seine geschuldete regelmäßige Arbeitszeit gleichwohl zuvor erbracht und ist hierfür auch vergütet worden. Erkrankt er nach Festlegung des Ausgleichszeitraums arbeitsunfähig, ist er nicht anders zu behandeln, als ein Arbeitnehmer, der an einem regelmäßig arbeitsfreien Tag - etwa einem Sonntag - erkrankt. Beide Arbeitnehmer haben ihre regelmäßige Arbeitszeit geleistet und sind hierfür vergütet worden. Beide sind in ihrer Freizeit erkrankt.
52(bb) Anders liegt der Fall bei der Freistellung nach § 3d EMTV. Hiernach hat der Arbeitnehmer mit dem Freistellungsanspruch einen Anspruch auf Reduzierung seiner regelmäßigen Arbeitszeit bei gleichzeitiger Fortzahlung der regelmäßigen Vergütung. Es handelt sich gerade nicht nur um eine Verlegung der geschuldeten Arbeitszeit. Vielmehr geht der Zweck der Regelung darüber hinaus. Nach § 3d EMTV soll die Erfüllung des Anspruchs nicht allein mit der Entbindung des Arbeitnehmers von seiner vertraglichen Arbeitspflicht eintreten, sondern es ist darüber hinaus die Verschaffung einer zu einem bestimmten Zweck nutzbaren arbeitsfreien Zeit erforderlich.
53Zwar weist die Beklagten zu Recht darauf hin, dass der Ursprung des Freistellungsanspruchs nach § 3d EMTV in der Gewährung eines tariflichen Zusatzgeldes nach § 2 TV T-ZUG und damit einem rein monetären Anspruch liegt. Gleichwohl sieht § 3d EMTV nicht für alle Arbeitnehmer mit Anspruch nach TV T-ZUG eine Umwandlungsmöglichkeit in Freistellungstage vor. So können nur solche Arbeitnehmer einen Freistellungsanspruch geltend machen, die in Schichtarbeit tätig sind und sein werden oder einen Angehörigen pflegen bzw. ein Kind unter acht Jahren betreuen. Der ersten Gruppe soll damit ein Erholungszweck zur Kompensation der besonderen Erschwernisse von Schicht- bzw. Nachtarbeit zugutekommen, der zweiten Gruppe soll erleichtert werden, ihren sozialen Verpflichtungen zur Pflege und Betreuung nachzukommen. Der Beklagten ist auch zuzugestehen, dass weder die Pflege von Angehörigen noch die Betreuung von Kindern mit einem Erholungswert einhergehen muss. Der viel zitierte Erholungszweck (vgl. BAG vom 21.08.1991 - 5 AZR 91/91; BAG vom 30.01.1991 - 5 AZR 78/90; BAG vom 02.12.1987 - 5 AZR 652/86; BAG vom 04.09.1985 - 7 AZR 531/82) ist jedoch nicht der einzig denkbare über die eigentliche Freistellung hinausgehende Zweck, den eine Freistellungsreglung bezwecken kann. Für die Frage der Auslegung, wann ein Freistellungsanspruch erfüllt sein soll, können die Regelungsparteien - wie vorliegend - auch andere Zwecke als den der Erholung vorsehen.
54Soll jedoch dem Arbeitnehmer ein Erholungswert zugutekommen bzw. ermöglicht werden, einen Angehörigen zu pflegen oder sein Kind zu betreuen, ist für die Erfüllung des Freistellungsanspruchs auch die tatsächliche Nutzung der festgelegten arbeitsfreien Zeit durch den Arbeitnehmer sicherzustellen.
55Dass die Tarifvertragsparteien dem Arbeitgeber bei einer bereits zuvor festgelegten Arbeitsbefreiung auch das Risiko dieser Nutzungsmöglichkeit im Falle einer nachträglich auftretenden Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers auferlegen wollten, wird weiter aus den Regelungen zur Kompensation des entfallenden Arbeitsvolumens in § 3d Ziff. 5 EMTV deutlich. Die Tarifvertragsparteien haben nämlich erkannt, dass - anders als bei der reinen Verlagerung der Arbeitszeit im Rahmen des Arbeitszeitausgleichs - bei einer Freistellung nach § 3d EMTV den Arbeitgeber eine Zusatzbelastung trifft. Um hierfür einen Ausgleich zu schaffen, haben sie in Ziff. 5 eine Regelung zur Kompensation geschaffen.
56Im Ergebnis besteht der Zweck des Freistellungsanspruchs nach § 3d EMTV in der Umwandlung einer monetären Vergünstigung, die dem Arbeitnehmer in Form einer tatsächlichen Nutzung von arbeitsfreier Zeit zufließen soll. Dem steht nach dem Willen der Tarifvertragsparteien eine Belastung des Arbeitgebers spiegelbildlich gegenüber, die einer Kompensation bedurfte. Anders als im Falle des Überstundenausgleichs, der nicht zu einer zusätzlichen Vergütungspflicht des Arbeitgebers führen soll (vgl. BAG vom 04.09.1985 - 7 AZR 531/82), soll dem Arbeitnehmer mit den Regelungen der §§ 2 TV T-ZUG und 3d EMTV eine zusätzliche - den Arbeitgeber belastende - Aufwendung zugutekommen. Der Arbeitnehmer, der einen Überstundenausgleich erhält, hat die Vergütung für den Freischichttag schon mit der Bezahlung der tatsächlichen Arbeitszeit erhalten. Der Arbeitnehmer, der eine tarifliche Freistellungszeit in besonderen Fällen erhält, bekommt seine Vergütung nicht für geleistete Arbeit. Es liegt vielmehr ein Tatbestand von Lohn ohne Arbeit vor. Der Arbeitnehmer soll seine regelmäßige Vergütung erhalten und darüber hinaus einen freien Arbeitstag zur Nutzung des tarifvertraglich vorgesehen Zwecks. Der Zweck der tariflichen Vorschrift zur Freistellung lässt sich jedoch nur dann erreichen, wenn auch das Risiko der Nutzungsmöglichkeit im Falle einer nachträglich auftretenden Arbeitsunfähigkeit den Arbeitgeber trifft. Spiegelbildlich dazu verliert ein grundsätzlich anspruchsberechtigter Arbeitnehmer, der auf die Umwandlung in Freizeit verzichtet hat, seinen Anspruch auf das tarifliche Zusatzgeld nicht bei Eintritt einer Erkrankung.
57Dieses Auslegungsergebnis wird durch die Regelung in § 3d Ziff. 3 Abs. 3 EMTV gestützt, der einen Untergang des Anspruchs vorsieht, wenn der Arbeitnehmer aus personenbedingten - in der Regel krankheitsbedingten - Gründen die Freistellung nicht nehmen kann. Zielsetzung dieser Regelung ist einerseits, den Freistellungsanspruch zeitlich zu begrenzen, dem schuldlos gehinderten Arbeitnehmer seinen Anspruch jedoch nicht ersatzlos zu nehmen. Ein langzeiterkrankter Arbeitnehmer, der an der Freistellungnahme bis zum Jahresende personenbedingt gehindert ist, erhält hiernach eine Kompensation. Dies wäre jedoch ausgeschlossen, wenn er seinen Anspruch zuvor bereits - womöglich auch zur Planungssicherheit des Arbeitgebers - frühzeitig zeitlich konkretisiert hätte. Dass die Tarifvertragsparteien eine derartige Differenzierung vornehmen wollten, ist nicht anzunehmen. Denn ersichtlich wollten sie den Rückfall auf das tarifliche Zusatzgeld nach der Frage des Grundes für die Unmöglichkeit der Inanspruchnahme der Freistellung und nicht nach der Frage der vorherigen Konkretisierung der tatsächlichen Freistellung richten."
58bb) Wie die 8. Kammer überzeugend dargelegt hat (LAG Düsseldorf vom 20.04.2021 - 8 Sa 754/20 unter B.II.2.a.bb. der Entscheidungsgründe), sprechen folgende ergänzende Erwägungen für das vom LAG Hamm gefundene Ergebnis:
59(1) Träfe die Auffassung der Beklagten zu, dass mit erstmaliger Bewilligung bestimmter Freistellungstage bereits die Erfüllung des Anspruchs aus § 25 MTV eintritt, liefe die Vorschrift des § 25.3 Abs. 3 MTV weitgehend leer. Auch ein anspruchsberechtigter, im ganzen Kalenderjahr dauererkrankter Mitarbeiter, der bis zum 31.10. des Vorjahres die Freistellungsoption gewählt hat, würde sich die Erfüllung des Anspruchs entgegen halten lassen müssen, wenn der Arbeitgeber die Freistellungstage denn nur frühzeitig genug - nämlich vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit (vgl. hierzu LAG Nürnberg, Urteil vom 03.03.2021 - 2 Sa 343/20, juris, Rdz. 69) - festgelegt hat. Konsequenz wäre weiterhin, dass der Arbeitgeber auch nach Ablauf der sechswöchigen Entgeltfortzahlungsphase im Krankheitsfall (§ 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG) das Entgelt für den Freistellungstag - ggf. unter Anrechnung des für diesen Tag gewährten Krankengeldes - vergüten müsste, weil dessen Arbeitsunfähigkeit an diesem Tag gerade nicht monokausal für den Arbeitsausfall war. Ein Wiederaufleben des Anspruchs auf das tarifliche Zusatzgeld nach § 2 Nr. 2a) TV T-ZUG wäre ausgeschlossen.
60(2) Das alles motivierte den anspruchsberechtigten Arbeitnehmer, die Festlegung der konkreten Freistellungstage so lange als möglich heraus zu zögern, um nicht in die "Arbeitsunfähigkeitsfalle" zu geraten. Das wiederum kollidierte ersichtlich mit dem in § 25 MTV berücksichtigten Interesse des Arbeitgebers, auch die konkreten Freistellungstage möglichst weiträumig zu planen, um die betrieblichen Abläufe sicherzustellen und überhaupt die Umsetzbarkeit der Freistellungswünsche aller anspruchsberechtigten Mitarbeiter prüfen zu können (§ 25.5 MTV). Nicht umsonst sieht § 25.2 Abs. 3 Satz 1 MTV vor, dass nur in Ausnahmefällen - nämlich bei Eintritt eines akuten Pflegefalles - Freistellungsanträge noch nachträglich kurzfristig geltend gemacht werden können. Ist danach die langfristige Planung der Freistellungstage durch den Arbeitgeber die tariflich gewollte Regel, schüfe der Untergang des Freistellungsanspruchs bereits durch erstmalige Bewilligung konkreter Freistellungstage ein maßgebliches Motiv gerade für die besonders belasteten und dadurch krankheitsanfälligeren Mitarbeiter, auf die Freistellung zu verzichten, um am Ende nicht mit leeren Händen dazustehen. Das ist mit dem Zweck des § 25 MTV unvereinbar.
61(3) Für die hier gefundene Einschätzung spricht nach Auffassung der Kammer weiter, dass in § 25.3 Abs. 3 Satz 2 MTV von "nicht realisierten" Freistellungstagen die Rede ist. Synonyme zum Begriff "realisieren" sind "ausführen", "durchführen" und "verwirklichen" (nachgesehen auf www.duden.de am 19.04.2021). Das erscheint aus Sicht des Mitarbeiters als ein Mehr im Verhältnis zum bloßen Nehmen bzw. Gewähren einer Freistellung. Die Freistellung soll den tarifvertraglichen Zweck der Erholung bzw. Erleichterung von Pflege und Betreuung gewährleisten. Das tut sie im Falle der parallel vorliegenden Arbeitsunfähigkeit nicht.
62(4) Sicher beachtlich im Sinne der Beklagten ist das vom LAG Nürnberg in seiner Entscheidung vom 03.03.2021 (Az. 2 Sa 343/20, juris, Rdz. 62) gebrachte Argument, dass bei einem bloßen Abstellen auf den Zweck, besonders belasteten Arbeitnehmergruppen zusätzliche Freizeit einzuräumen, kaum erklärlich wäre, warum Betriebsrat und Arbeitgeber den Kreis der anspruchsberechtigten Mitarbeiter im Sinne des § 25.1 MTV bis auf den gesamten Betrieb sollen erweitern können; § 25.4 MTV. Für durchschlagend hält die Kammer das Argument indes nicht: § 25.1. MTV enthält eine Aufzählung typischer Fallgruppen "gestresster" Arbeitnehmer, die aber betriebliche Besonderheiten nicht abbilden kann und deshalb keinen abschließenden Charakter haben soll. § 25.4 MTV eröffnet den Betriebsparteien die Möglichkeit, mit Blick auf die konkreten betrieblichen Gegebenheiten auch anderen Mitarbeitergruppen weitergehende Freizeitoptionen zum Zwecke der Erholung zuzuerkennen. Soweit Betriebsrat und Arbeitgeber dies freiwillig vereinbaren, kommt darin zugleich zum Ausdruck, dass die hinzugekommenen Anspruchsberechtigten im Sinne des § 25 MTV für in vergleichbarem Maße erholungsbedürftig gehalten werden wie Schichtarbeiter und Mitarbeiter, die Angehörige pflegen und/oder Kinder betreuen. Gegen den Zweck der Gewährung von Freistellungstagen, die Erholung der Arbeitnehmer zu fördern bzw. Pflege und Betreuung zu erleichtern, spricht dies per se nicht.
63d) Für die Entscheidung des Rechtsstreits ist jedoch davon auszugehen, dass der Freistellungsanspruch gemäß § 25.3 Abs. 3 Satz 1 MTV mit dem Ende des Jahres 2019 untergegangen ist, weil die Beklagte sich infolge ihres eigenen Verhaltens so behandeln lassen muss, als habe die Klägerin ihn aus personenbedingten Gründen i.S.d. tariflichen Norm bis zum Ende des Kalenderjahres 2019 nicht nehmen können.
64aa) Die erkennende Kammer stimmt mit der 8. Kammer darin überein, dass sich der aus anderen als personenbedingten Gründen im Kalenderjahr nicht oder nicht vollständig realisierte Freistellungsanspruch nicht per se am Jahresende in einen Anspruch auf Zahlung des (restlichen) tariflichen Zusatzgeldes umwandelt, weil Satz 2 des § 25.3 Abs. 3 MTV sich nach seiner systematischen Stellung allein auf die im vorhergehenden Satz genannte Nichtrealisierung der Freistellungstage aus personenbedingten Gründen bezieht (LAG Düsseldorf vom 20.04.2021 - 8 Sa 754/20 unter B.I.2. der Entscheidungsgründe).
65bb) Darauf lässt sich der gegebene Fall jedoch nicht reduzieren. Zwar war die Klägerin nur bis einschließlich 21.06.2019 erkrankt und über weitere Erkrankungen, die gar eine durchgehende Arbeitsunfähigkeit bis zum Jahresende nach sich gezogen hätten, lässt sich dem Sachverhalt und dem Sachvortrag der Parteien nichts entnehmen. Von da her ist es theoretisch richtig, dass die Klägerin die infolge Arbeitsunfähigkeit nicht realisierte Freistellung nach Genesung noch hätte nehmen können. Der Klägerin unter Verweisung auf diese Möglichkeit den Anspruch auf das tarifliche Zusatzgeld zu verweigern, hieße jedoch, einen wesentlichen Aspekt des hier gegebenen Falles zu ignorieren:
66Tatsächlich ist die Beklagte dem Zahlungsbegehren nicht mit dem Einwand entgegen getreten, der Anspruch auf das tarifliche Zusatzgeld bestehe deshalb nicht, weil die Klägerin mangels dauerhafter Erkrankung einen fortbestehenden Anspruch auf Freistellungstage nach § 25 MTV habe. Vielmehr konnten die Freistellungstage von der Klägerin bis zum Schluss des Kalenderjahres 2019 deshalb nicht "realisiert" werden, weil ihr die Beklagte dies mit der Begründung verweigerte, diese Freistellung sei schon während der Zeit der Arbeitsunfähigkeit, d.h. also während der Zeit der Verhinderung aus persönlichen Gründen, in Anspruch genommen worden. Im Ergebnis war es mithin also gerade die Beklagte, die der Klägerin bis zum Jahresende die (Fort-) Wirkung des zeitweiligen personenbedingten Hinderungsgrundes entgegen hielt. Zwar mag die Begründung der Beklagten aus den oben dargelegten Gründen rechtlich falsch gewesen sein. Das ändert in tatsächlicher Hinsicht jedoch nichts daran, dass die Verweigerung der Freistellungstage bis zum Ende des Kalenderjahres ihre Wurzel in diesem personenbedingten Grund hatte. Wie die Verwendung des Wortes "realisieren" in § 25.3 Abs. 3 Satz 2 MTV verdeutlicht, ging es den Tarifvertragsparteien aber erkennbar um die jährliche "Realisierung", das heißt um die zeitnahe "Verwirklichung" des Freistellungsanspruchs im Tatsächlichen. Die Kumulation von nicht realisierten Freizeitansprüchen sollte gerade verhindert werden. Bei dieser Sachlage muss sich die Beklagte an ihrem eigenen Verhalten festhalten lassen. Einem Rückgriff auf die Argumentation, der Anspruch auf das tarifliche Zusatzgeld sei nicht gegeben, weil die Klägerin einen fortbestehenden Anspruch auf Freistellungstage nach § 25 MTV für das Jahr 2019 habe, steht der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegen.
67e) Ist mithin im gegebenen Fall für die Entscheidung des Rechtsstreits davon auszugehen, dass der Freistellungsanspruch der Klägerin gemäß § 25.3 Abs. 3 Satz 1 MTV mit dem Ende des Jahres 2019 vollständig unterging, so hat dies gemäß § 25.3 Abs. 3 Satz 2 MTV zur Folge, dass die Klägerin (wieder) Anspruch auf das tarifliche Zusatzgeld hat.
682. Der Zinsanspruch resultiert aus dem Gesichtspunkt des Verzugs (§§ 286, 288 BGB). Dies entgegen der - versehentlich insoweit nicht korrigierten - erstinstanzlichen Tenorierung allerdings erst ab dem 01.01.2020.
693. Wie das Arbeitsgericht zutreffend erkannt und die Berufung auch nicht gesondert angegriffen hat, folgt der mit dem Klageantrag verfolgte Anspruch darauf, bei Auszahlung eine Abrechnung zu erhalten, aus § 108 Abs. 1 S. 1 GewO.
70II.
71Die Kostenentscheidung folgt aus § 64 Abs. 6 ArbGG in Verbindung mit § 97 Abs. 1 ZPO.
72III.
73Die Revision war nach § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen. Über den konkreten Fall des hiesigen Verfahrens hinaus stellen sich die vorliegend entscheidungserheblichen Fragen, ob einerseits die in § 25 MTV vereinbarten Freistellungstage allein durch die Freistellungserklärung des Arbeitgebers erfüllt werden und ob sie im Falle der Erkrankung während des Freistellungszeitraums untergehen, sowie welchen Einfluss das jeweilige Schicksal der Freistellungstage auf den Anspruch auf das tarifliche Zusatzgeld nach TV T-ZUG hat. Die Bedeutung dieser Rechtsfragen ergibt sich nicht zuletzt aus dem weiten Geltungsbereich des nordrhein-westfälischen Manteltarifvertrages.
74RECHTSMITTELBELEHRUNG
75Gegen dieses Urteil kann von der beklagten Partei
76REVISION
77eingelegt werden.
78Für die klagende Partei ist gegen dieses Urteil ein Rechtsmittel nicht gegeben.
79Die Revision muss innerhalb einer Notfrist* von einem Monat schriftlich oder in elektronischer Form beim
80Bundesarbeitsgericht
81Hugo-Preuß-Platz 1
8299084 Erfurt
83Fax: 0361 2636-2000
84eingelegt werden.
85Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung.
86Die Revisionsschrift muss von einem Bevollmächtigten unterzeichnet sein. Als Bevollmächtigte sind nur zugelassen:
871.Rechtsanwälte,
882.Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,
893.Juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in Nummer 2 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt, und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
90In den Fällen der Ziffern 2 und 3 müssen die Personen, die die Revisionsschrift unterzeichnen, die Befähigung zum Richteramt haben.
91Eine Partei, die als Bevollmächtigter zugelassen ist, kann sich selbst vertreten.
92Die elektronische Form wird durch ein elektronisches Dokument gewahrt. Das elektronische Dokument muss für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet und mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg gemäß § 46c ArbGG nach näherer Maßgabe der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (ERVV) v. 24. November 2017 in der jeweils geltenden Fassung eingereicht werden. Nähere Hinweise zum elektronischen Rechtsverkehr finden Sie auf der Internetseite des Bundesarbeitsgerichts www.bundesarbeitsgericht.de.
93* eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.
94MailänderSchüttKaplaner