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1. Die Regelungen zur Höhe der Ausbildungsvergütung in § 8 TVAöD Besonderer Teil gelten auch für Teilzeitauszubildende. Eine Kürzung proportional zur Reduzierung der Arbeitszeit ist tariflich nicht vorgesehen. 2. Es kann dahinstehen, ob der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu folgen ist, der Anspruch auf Abrechnung nach § 108 GewO sei vor der Zahlung nicht erfolgreich klagbar (so BAG 13.10.2015 - 1 AZR 130/14 -; BAG 27.01.2016 - 5 AZR 277/14 -; a. A. Hamacher Antrags-lexikon Arbeitsrecht 3. Aufl. Stichwort Abrechnung RN 7). Denn jedenfalls handelt es sich um eine Klage auf zukünftige Leistung im Sinne des § 259 ZPO, deren Erfolg voraussetzt, dass der Kläger eine Besorgnis der Nichterfüllung darlegt (hier verneint).
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Duisburg vom 19.03.2019 - 2 Ca 1293/18 - teilweise abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 3.390,56 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus jeweils 211,91 € seit dem 01.12.2017, 01.01.2018, 01.02.2018, 01.03.2018, 01.04.2018, 01.05.2018, 01.06.2018, 01.07.2018, 01.08.2018, 01.09.2018, 01.10.2018, 01.11.2018, 01.12.2018, 01.01.2019, 01.02.2019 und dem 01.03.2019 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin zu 61 % und die Beklagte zu 39 % zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
T A T B E S T A N D :
2Die Parteien streiten im Wesentlichen über Vergütungsdifferenzen für die Monate November 2017 bis einschließlich Februar 2019.
3Die 1984 geborene Klägerin absolviert seit dem 01.09.2017 bei der beklagten Stadt eine Ausbildung zur Verwaltungsfachangestellten. Sie ist Mitglied der Gewerkschaft ver.di, die Beklagte Mitglied des Kommunalen Arbeitgeberverbandes. Grundlage des Ausbildungsverhältnisses bildet der Berufsausbildungsvertrag vom 17.05.2017. In diesem heißt es:
4"§ 3
5Grundsätzliches über das Rechtsverhältnis
6Das Berufsausbildungsverhältnis richtet sich nach dem Berufsbildungsgesetz vom 23. März 2005 in seiner jeweiligen Fassung sowie nach den Vorschriften des Tarifvertrages für Auszubildende des öffentlichen Dienstes (TVAöD) und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen in der für den Bereich der Vereinigung der Kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) jeweils geltenden Fassung.
7§ 5
8Dauer der regelmäßigen Ausbildungszeit
9Die regelmäßige wöchentliche Ausbildungszeit beträgt während der Ausbildung vom 01.09.2017 bis 31.08.2020 einschließlich des Berufsschulunterrichts 30 Stunden wöchentlich.
10Die Gesamtausbildungszeit von 3 Jahren verlängert sich durch diese Vereinbarung nicht. Der zeitliche Umfang der Anwesenheitspflicht in der Berufsschule wird nicht herabgesetzt.
11§ 6
12Zahlung und Höhe der Ausbildungsvergütung
13Frau L. erhält eine monatliche Ausbildungsvergütung nach Maßgabe des jeweils geltenden Ausbildungsvergütungstarifvertrages. Die Ausbildungsvergütung beträgt zurzeit:
14706,35 EUR im ersten Ausbildungsjahr
15755,77 EUR im zweiten Ausbildungsjahr
16780,02 EUR im dritten Ausbildungsjahr"
17Die Reduzierung der Arbeitszeit vereinbarten die Parteien um der Klägerin trotz der Notwendigkeit der Betreuung eines Kindes organisatorisch die Ausbildung zu ermöglichen. Ihre Ausbildung findet an vier Wochentagen im Betrieb statt. Am fünften Tag wird sie im Studieninstitut unterrichtet. Den Berufsschulunterricht leistet sie im Blockmodell in drei Monaten pro Ausbildungsjahr ab. Während der Schulzeit beträgt die Unterrichtszeit 28 Wochenstunden für alle Auszubildenden, sei es in Teilzeit oder in Vollzeit.
18Der Tarifvertrag für Auszubildende des öffentlichen Dienstes (TVAöD) Besonderer Teil enthält u. a. folgende Regelungen:
19"§ 7 Wöchentliche und tägliche Ausbildungszeit
20(1) Die regelmäßige durchschnittliche wöchentliche Ausbildungszeit und die tägliche Ausbildungszeit der Auszubildenden, die nicht unter das Jugendarbeitsschutzgesetz fallen, richten sich nach den für die Beschäftigten des Ausbildenden maßgebenden Vorschriften über die Arbeitszeit
21§ 8 Ausbildungsentgelt
22(1) Das monatliche Ausbildungsentgelt beträgt:
23im ersten Ausbildungsjahr 918,26 Euro
24[Stand bei Beginn des Ausbildungsverhältnisses der Parteien]
25(2) Das Ausbildungsentgelt ist zu demselben Zeitpunkt fällig wie das den Beschäftigten des Ausbildenden gezahlte Entgelt.
26Nach vergeblicher vorgerichtlicher Geltendmachung mit Schreiben vom 24.04.2018 hat die Klägerin Klage auf Zahlung der Differenz zur im Tarifvertrag geregelten Vergütung für die Monate November 2017 bis Juni 2018 erhoben und diese mit mehreren Klageerweiterungen auf den Zeitraum bis Februar 2019 erstreckt.
27Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die einzelvertragliche Vereinbarung einer nur zeitanteiligen Ausbildungsvergütung sei mit Blick auf § 25 BBiG nichtig. Sie stelle keine angemessene Ausbildungsvergütung im Sinne des § 17 BBiG dar, da sie die in dem einschlägigen Tarifvertrag enthaltene Vergütung um mehr als 20 % unterschreite. Der TVAöD sehe ferner keine anteilige Kürzung der Ausbildungsvergütung vor. Da es an einer Regelung bezüglich der Berechnung der Vergütung in Teilzeit fehle, sei davon auszugehen, dass die Tarifvertragsparteien bewusst die volle Vergütung als angemessenes Ausbildungsentgelt in Teilzeit angesehen hätten.
28Die Klägerin hat zuletzt beantragt,
29die Beklagte zu verurteilen, für den Monat November 2017 weitere 211,91 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 1.12.2017 an sie zu zahlen
30sowie
31die Beklagte zu verurteilen, für den Monat Dezember 2017 weitere 211,91 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 1.1.2018 an sie zu zahlen
32sowie
33die Beklagte zu verurteilen, für den Monat Januar 2018 weitere 211,91 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 1.2.2018 an sie zu zahlen
34sowie
35die Beklagte zu verurteilen, für den Monat Februar 2018 weitere 211,91 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 1.3.2018 an sie zu zahlen
36sowie
37die Beklagte zu verurteilen, für den Monat März 2018 weitere 211,91 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 1.4.2018 an sie zu zahlen
38sowie
39die Beklagte zu verurteilen, für den Monat April 2018 weitere 211,91 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 1.5.2018 an sie zu zahlen
40sowie
41die Beklagte zu verurteilen, für den Monat Mai 2018 weitere 211,91 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 1.6.2018 an sie zu zahlen
42sowie
43die Beklagte zu verurteilen, für den Monat Juni 2018 weitere 211,91 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 1.7.2018 an sie zu zahlen
44sowie
45die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin bei jeder auf die vorgenannten Schuld erfolgten Zahlung eine Abrechnung zu erteilen
46sowie
47die Beklagte zu verurteilen, für den Monat Juli 2018 weitere 211,91 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 1.8.2018 an sie zu zahlen
48sowie
49die Beklagte zu verurteilen, für den Monat August 2018 weitere 211,91 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 1.9.2018 an sie zu zahlen
50sowie
51die Beklagte zu verurteilen, für den Monat September 2018 weitere 211,91 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 1.10.2018 an sie zu zahlen
52sowie
53die Beklagte zu verurteilen, für den Monat Oktober 2018 weitere 211,91 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 1.11.2018 an sie zu zahlen
54sowie
55die Beklagte zu verurteilen, für den Monat November 2018 weitere 211,91 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 1.12.2018 an sie zu zahlen
56sowie
57die Beklagte zu verurteilen, für den Monat Dezember 2018 weitere 211,91 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 1.1.2019 an sie zu zahlen
58sowie
59die Beklagte zu verurteilen, für den Monat Januar 2019 weitere 211,91 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 1.2.2019 an sie zu zahlen
60sowie
61die Beklagte zu verurteilen, für den Monat Februar 2019 weitere 211,91 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 1.3.2019 an sie zu zahlen.
62Die Beklagte hat beantragt,
63die Klage abzuweisen.
64Sie hat gemeint, die Klägerin habe die vertragliche Vereinbarung mit Rechtsbindungswillen unterzeichnet und sich mit der anteilig gekürzten Vergütung einverstanden erklärt. Diese stelle auch eine angemessene Vergütung dar. Der Gesetzgeber schreibe kein Mindestniveau einer Ausbildungsvergütung vor. Auch eine tarifliche Ausbildungsvergütung bilde in ihrer Höhe nicht den Mindestbetrag einer objektiv angemessenen Vergütung und stehe einer anteiligen Kürzung nicht im Wege. Dies gelte, da die Ausbildungsvergütung zumindest auch einen Entgeltcharakter habe. Da die Leistung bei Teilzeit geringer ausfalle, sei eine anteilige Kürzung sachgerecht und nicht unbillig. Das Ergebnis werde auch dem Gedanken des § 4 Abs. 1 Satz 2 TzBfG gerecht, wonach einem teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer Leistungen mindestens in dem Umfang zu gewähren seien, der dem Anteil seiner Arbeitszeit an der Arbeitszeit eines vergleichbaren Vollzeitarbeitnehmers entspricht. Erhielten Auszubildende, welche ihre Ausbildung in Teilzeit durchführen, hingegen die gleiche Vergütung wie Vollzeitauszubildende, führe dies zu einem unbilligen Zustand der Ungleichbehandlung in der Gruppe der Auszubildenden. Die Existenzsicherungsfunktion der Ausbildungsvergütung werde bei dem der Klägerin gezahlten Entgelt gewahrt. Viele Auszubildende im Handwerk erhielten trotz Vollzeittätigkeit eine geringere Ausbildungsvergütung als die Klägerin.
65Ihr weiteres Begehren auf Zahlung einer Verzugskostenpauschale von je 40,00 € für 15 Monate hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 19.03.2019 zurückgenommen.
66Mit Urteil vom 19.03.2019 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Es hat angenommen, die Parteien hätten im Arbeitsvertrag für das erste Lehrjahr rechtlich bindend eine Bruttomonatsvergütung von 706,35 € vereinbart. Diese Vereinbarung scheitere nicht an § 25 BBiG, da sie eine angemessene Vergütung im Sinne des § 17 BBiG gewähre. Anderes ergebe sich nicht aus dem TVAöD, da dieser keine eigene Aussage zur Vergütung für Teilzeitauszubildende treffe.
67Gegen das ihr am 01.04.2019 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 17.04.2019 Berufung eingelegt und diese - nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 03.07.2019 - mit einem an diesem Tag beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet.
68Zur Begründung ihrer Berufung führt sie aus, das Arbeitsgericht habe fehlerhaft die vereinbarte Vergütung als angemessen im Sinne des § 17 BBiG erachtet. Die Ausbildungsvergütung habe einen Mischcharakter und sei nicht als Arbeitsentgelt einzustufen. Sie erreiche trotz der Teilzeit dasselbe Ausbildungsziel wie ein Vollzeitauszubildender. Daraus ergebe sich, dass für die Angemessenheit einer Ausbildungsvergütung nicht zwischen Teilzeit- und Vollzeitauszubildenden zu unterscheiden sei. Entsprechend enthalte der TVAöD keinen Verweis auf § 24 Abs. 2 TVöD, obwohl bei seinem Inkrafttreten die Möglichkeit der Teilzeitausbildung ein halbes Jahr zuvor Gesetz geworden sei.
69Die Klägerin beantragt,
70das Urteil des Arbeitsgerichts Duisburg vom 19.03.2019, Az.: 2 Ca 1293/18, abzuändern und nach den Schlussanträgen der ersten Instanz zu erkennen.
71Die Beklagte beantragt,
72die Berufung zurückzuweisen.
73Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil unter Bezugnahme auf den erstinstanzlichen Vortrag. Die Teilzeit sei allein im Interesse der Klägerin vereinbart worden; sie gehe zu Lasten des praktischen Teils der Ausbildung. Eine Unterschreitung des Tarifniveaus um mehr als 20 % sei nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts beim Vorliegen besonderer Umstände möglich. Der TVAöD habe keine gesonderten Regelungen für die Teilzeitausbildung getroffen. Nach § 1 Abs. 3 TVAöD seien daher die jeweils einschlägigen gesetzlichen Regelungen anzuwenden, also § 4 Abs. 1 Satz 2 TzBfG und § 17 BBiG, die nichts dafür hergäben, dass eine zeitratierliche Kürzung unzulässig sei.
74Im Berufungstermin hat die Klägerin auf Hinweis der Berufungskammer erklärt, sie stütze ihr Begehren hauptsächlich auf die Argumentation nach §§ 17, 25 BBiG. Hilfsweise berufe sie sich darauf, ihr stehe die Zahlung der vollen Vergütung aus dem TVAöD zu.
75Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschriften beider Instanzen Bezug genommen.
76E N T S C H E I D U N G S G R Ü N D E :
77A.
78Die Berufung der Klägerin ist zulässig, insbesondere unter Beachtung der Vorgaben der §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG in Verbindung mit § 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.
79B.
80Die Berufung ist auch in der Sache überwiegend begründet.
81I.Ihren Zahlungsantrag stützt die Klägerin auf verschiedene Gesichtspunkte, die sich bei rechtlicher Betrachtung als unterschiedliche Streitgegenstände erweisen.
821.Der Streitgegenstand wird durch den Klageantrag, in dem sich die von dem Kläger in Anspruch genommene Rechtsfolge konkretisiert, und den Lebenssachverhalt (Anspruchsgrund) bestimmt, aus dem der Kläger die begehrte Rechtsfolge ableitet. Unterschiedliche Streitgegenstände liegen daher vor, wenn entweder der Klageantrag oder der Klagegrund nicht übereinstimmen (BGH 29.09.2011 - IX ZB 106/11 - RN 7 und 11). Vertragliche und tarifvertragliche Ansprüche sind daher unterschiedliche Streitgegenstände (BAG 20.09.2017 - 6 AZR 474/16 -).
832.Hier stellen daher die auf den vertraglichen Anspruch auf Zahlung einer angemessenen Ausbildungsvergütung nach § 17 BBiG gestützte Klage i. V. m. der reklamierten Nichtigkeit einer ausdrücklichen vertraglichen Regelung nach § 25 BBiG und ein auf die normative Geltung einer tariflichen Regelung gestütztes Klagebegehren unterschiedliche Streitgegenstände dar. Zum Klagegrund gehört bei dem vertraglichen Anspruch das Vorliegen einer vertraglichen Vereinbarung, deren Unangemessenheit sowie der Vortrag dazu, welche Vergütung angemessen erscheint, beim Tarifanspruch hingegen die beiderseitige Bindung an einen konkreten Tarifvertrag. Auf Hinweis der Berufungskammer hat die Klägerin konkretisiert, worauf sie ihre Klage stützt, und die prozessualen Ansprüche in eine Reihenfolge gebracht, so dass die trotz des einheitlichen Klageziels vorliegende alternative Klagehäufung hinreichend bestimmt und damit zulässig ist. An die vorgegebene Reihenfolge ist das Gericht gebunden. Die Zulässigkeit der Erweiterung der Klage auf den tarifvertraglichen Anspruch unterliegt nach Maßgabe des § 533 ZPO keinen Bedenken. Die Beklagte hat in diese eingewilligt; die erforderlichen Tatsachen sind unstreitig und daher von der Berufungskammer nach § 529 ZPO ohnehin zu berücksichtigen.
843. Mit ihrem Hauptbegehren, dem vertraglichen Anspruch auf Zahlung einer angemessenen Ausbildungsvergütung vor dem Hintergrund einer nichtigen Vergütungsvereinbarung, vermag die Klägerin nicht durchzudringen. Eine Vereinbarung über eine unangemessene Ausbildungsvergütung haben die Parteien nicht getroffen.
85Zwar sind in § 6 des Ausbildungsvertrages die Beträge der Ausbildungsvergütung angegeben. Es handelt sich hierbei jedoch nicht um eine konstitutive Regelung, sondern um eine Wissenserklärung ohne Rechtsbindungswillen. Die Höhe der Beträge entspricht jeweils einer an der Teilzeit der Klägerin gemessenen ratierlichen Kürzung der damals gemäß § 8 TVAöD geltenden Ausbildungsvergütung. Der Arbeitsvertrag der Parteien hat bereits in seinem § 3 das Ausbildungsverhältnis umfassend dem TVAöD in der jeweiligen Fassung unterworfen. Im Eingangssatz von § 6 des Ausbildungsvertrages haben die Parteien dies für die Vergütung nochmals bekräftigt. Gewollt ist demnach, dass die Klägerin die Vergütung erhält, die tariflich festgelegt ist; die Beträge stellen lediglich das - vermeintliche - Ergebnis der Subsumtion unter die Tarifregelungen dar.
864.Mit dem Hilfsbegehren hat die Klägerin hingegen Erfolg. Die Parteien sind kraft Mitgliedschaft bei den tarifschließenden Parteien normativ an den TVAöD gebunden. Aus § 8 TVAöD Besonderer Teil folgt trotz der Teilzeit ein Anspruch der Klägerin auf die dort geregelte Ausbildungsvergütung. Das ergibt sich aus einer Auslegung der tariflichen Regelungen.
87a)Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages folgt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Auszugehen ist zunächst vom Tarifwortlaut. Zu erforschen ist der maßgebende Sinn der Erklärung, ohne am Buchstaben zu haften. Dabei sind der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und damit der von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm mit zu berücksichtigen, soweit sie in den tariflichen Normen ihren Niederschlag gefunden haben. Auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang ist abzustellen. Verbleiben noch Zweifel, können weitere Kriterien wie Tarifgeschichte, praktische Tarifübung und Entstehungsgeschichte des jeweiligen Tarifvertrages ohne Bindung an eine bestimmte Reihenfolge berücksichtigt werden. Im Zweifel ist die Tarifauslegung zu wählen, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Lösung führt (st. Rspr., vgl. zB BAG 19.09.2007 - 4 AZR 670/06 - NZA 2008, 950).
88b)Auf dieser Grundlage ergibt sich, dass die im TVAöD vorgesehene Ausbildungsvergütung auch im Fall einer Teilzeitausbildung ungekürzt zu zahlen ist.
89Zunächst enthält der Wortlaut des § 8 TVAöD Besonderer Teil keinerlei andere Festlegung als die bestimmter Vergütungsbeträge für die einzelnen Ausbildungsjahre. Eine bestimmte wöchentliche oder monatliche Ausbildungszeit wird nicht vorausgesetzt. Der TVAöD enthält keine eigenständige Regelung zur Ausbildungszeit, sondern verweist in seinem § 7 vor allem auf die Vorschriften im Betrieb des Ausbildenden. Daraus folgt bereits, dass auch Vollzeitauszubildende mit unterschiedlicher Arbeitszeit dieselbe Ausbildungsvergütung erhalten.
90Entgegen der Auffassung der Beklagten haben die Tarifvertragsparteien eine ratierliche Kürzung der Ausbildungsvergütung proportional zur Reduzierung der Ausbildungszeit nicht etwa als selbstverständlich vorausgesetzt. Dies ergibt sich schon aus dem tariflichen Gesamtzusammenhang. Der Tarifvertrag für die Arbeitnehmer des Öffentlichen Dienstes, der TVöD, bestimmt in § 24 Abs. 2, dass Teilzeitbeschäftigte das Tabellenentgelt (§ 15) und alle sonstigen Entgeltbestandteile in dem Umfang erhalten, der dem Anteil ihrer individuell vereinbarten durchschnittlichen Arbeitszeit an der regelmäßigen Arbeitszeit vergleichbarer Vollzeitbeschäftigter entspricht. Wenn dieselben Tarifvertragsparteien einen Umstand, der angesichts des Charakters des Arbeitsverhältnisses als Austauschverhältnis - Arbeitsleistung gegen Vergütung, § 611a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB - als Selbstverständlichkeit erscheinen mag, für Arbeitsverhältnisse ausdrücklich erwähnen, kann ihr Schweigen im TVAöD nur als beredt angesehen werden. Dies gilt umso mehr, als sie an anderen Stellen, nämlich bei der Arbeitszeit und der Fälligkeit der Vergütung, inhaltlich auf den Regelungsgehalt des TVöD verweisen. Hinzu tritt, dass es sich beim Ausbildungsverhältnis nicht um ein Austauschverhältnis handelt, bei dem der Ausbildende eine Leistung des Auszubildenden zu vergüten hat. Ausbildungsvergütung beruht nicht auf einem Austausch von Arbeitsleistung gegen Entgelt und stellt keine Gegenleistung für Arbeit dar (BAG 20.10.1983 - 6 AZR 590/80 - juris RN 10). Die in § 17 BBiG geregelte Ausbildungsvergütung hat vielmehr regelmäßig drei Funktionen. Sie soll den Auszubildenden und seine unterhaltsverpflichteten Eltern bei der Lebenshaltung finanziell unterstützen, die Heranbildung eines ausreichenden Nachwuchses an qualifizierten Fachkräften gewährleisten und die Leistungen des Auszubildenden in gewissem Umfang "entlohnen" (st. Rspr., vgl. nur BAG 17.03.2015 - 9 AZR 732/13 - juris RN 13; BAG 29.04.2015 - 9 AZR 108/14 - juris RN 15). Eine rein an der regelmäßigen Ausbildungszeit orientierte, streng ratierliche Kürzung der Ausbildungsvergütung würde dem nicht gerecht.
91Überdeutlich wird dies insbesondere im Hinblick auf den Zweck der Heranbildung eines ausreichenden Nachwuchses an qualifizierten Fachkräften und vor dem Hintergrund der gesetzlichen Einführung der Teilzeitberufsausbildung. Die Modernisierung des BBiG zum 01.04.2005 diente der Zukunftssicherung der dualen Ausbildung (BT-Drucks. 15/4752 vom 26.01.2005, Seite 2). "Allen jungen Menschen, die beruflich ausgebildet werden wollen, eine Berufsausbildung zu ermöglichen, ist deshalb nicht nur ein gesellschaftspolitisch, sondern auch wirtschafts- und beschäftigungspolitisch notwendiges Ziel." (BT-Drucks. 15/4752 vom 26.01.2005, Seite 21). Die in das BBiG eingefügte Möglichkeit der Teilzeitausbildung bezweckte, die Ausbildung von Jugendlichen und Erwachsenen zu fördern, die ein eigenes Kind oder einen pflegebedürftigen nahen Angehörigen zu betreuen haben (BT-Drucks. 15/4752 vom 26.01.2005, Seite 35). Die gesetzgeberischen Ziele würden konterkariert, wenn den genannten Ausbildungswilligen im Fall einer auf den geschilderten anspruchsvollen Lebenssituationen beruhenden Teilzeit die Ausbildungsvergütung gekürzt würde.
92Unabhängig davon, ob vor diesem Hintergrund das BBiG überhaupt eine Kürzung der Ausbildungsvergütung von Teilzeitauszubildenden zulässt (verneinend Hergenröder in HWK § 8 BBiG RN 1; Lakies/Malottke § 8 BBiG RN 6), bedürfte es daher einer - hier fehlenden - eindeutigen tariflichen Regelung, wenn solches von den Tarifparteien gewollt wäre. Der TVAöD ist am 13.09.2005 vereinbart worden, also nicht einmal ein halbes Jahr, nachdem der Gesetzgeber die Ausbildung in Teilzeit ermöglicht hat. Das Ausbildungsentgelt ist zudem seit dem Inkrafttreten des TVAöD in seinem Besonderen Teil, der die Höhe der Ausbildungsvergütung regelt, von den Tarifvertragsparteien in mehreren Tarifrunden angepasst worden, ohne dass sie die Notwendigkeit gesehen hätten, eine Regelung zur Teilzeitausbildungsvergütung zu treffen. Es erscheint ausgeschlossen, dass den Tarifvertragsparteien die gesetzliche Möglichkeit, eine Ausbildung in Teilzeit zu absolvieren, über einen so langen Zeitraum verborgen geblieben ist.
93Das Beispiel der Klägerin zeigt darüber hinaus auf, dass eine proportionale Kürzung der Ausbildungsvergütung auch keine einfache mathematische Rechenaufgabe darstellt. Die vereinbarte Teilzeit wirkt sich nur im praktischen Teil der Ausbildung aus, während ihre Berufsschulstunden sich von denen der Vollzeitauszubildenden nicht unterscheiden.
94Auch aus der Verweisung in § 1 Abs. 3 TVAöD auf die jeweils einschlägigen gesetzlichen Vorschriften ergibt sich nichts Abweichendes. Das BBiG enthält keine Bestimmung zur Kürzung der Vergütung bei Teilzeitausbildung. § 10 Abs. 2 BBiG verweist auf die für den Arbeitsvertrag geltenden Rechtsvorschriften und Rechtsgrundsätze nur, soweit sich aus dem Wesen und Zweck des Berufsausbildungsvertrags nichts anderes ergibt. Wie dargelegt unterscheidet sich der Zweck der Ausbildungsvergütung jedoch fundamental von dem des Arbeitsentgelts. Die Argumentation der Beklagten zu § 4 TzBfG geht daher ins Leere.
95Auch § 17 Abs. 3 BBiG, wonach eine über die vereinbarte regelmäßige Ausbildungszeit hinausgehende Beschäftigung besonders zu vergüten ist, spricht nicht gegen das Auslegungsergebnis der Kammer. Die regelmäßige Ausbildungszeit ist nach dem Ausbildungsvertrag dazu bestimmt und grundsätzlich geeignet, das Ausbildungsziel zu erreichen. Weitere Stunden dienen daher nicht in erster Linie der Ausbildung, sondern den Interessen des Ausbildenden. Dass bei Teilzeitauszubildenden diese Grenze früher erreicht wird, dient lediglich der Verhinderung einer Diskriminierung (zum Teilzeitarbeitnehmer vgl. BAG 19.12.2018 - 10 AZR 231/18 - juris). Auch bei ihnen gilt die - sich bei der Klägerin eindrucksvoll bestätigende - Prognose, dass sie das Ausbildungsziel in der vereinbarten Ausbildungszeit erreichen.
96Entgegen der Auffassung der Beklagten führt die hier vertretene Ansicht nicht dazu, dass sich Vollzeitauszubildende fragen müssten, warum sie eigentlich länger arbeiten sollten, wenn der Umfang der praktischen Arbeitsleistung im Ausbildungsbetrieb bei der Bemessung der Vergütung keine Rolle spielt. Damit verkennt die Beklagte, dass es keinen voraussetzungslosen Anspruch auf eine Teilzeitausbildung gibt. Vielmehr hat die zuständige Stelle bei einem entsprechenden gemeinsamen Antrag des Auszubildenden und des Ausbildenden zu prüfen, ob der Auszubildende ein berechtigtes Interesse hieran darlegen kann, § 8 Abs. 1 Satz 2 BBiG. Auszubildende können sich daher ihre regelmäßige Ausbildungszeit nicht frei aussuchen.
97Da Wortlaut, systematischer Zusammenhang und sonstige Auslegungsgesichtspunkte zu einem zweifelsfreien Ergebnis führen, bedurfte es keiner Einholung einer Tarifauskunft (BAG 22.04.2010 - 6 AZR 962/08 - juris RN 32; BAG 14.09.2011 - 10 AZR 358/10 - juris RN 28).
985.Der Höhe nach sind die monatlichen Differenzbeträge unstreitig und zutreffend berechnet. Dass diese ab dem zweiten Ausbildungsjahr höher als die Klageforderung sind, hatte die Berufungskammer wegen der Bindung an die Anträge der Klägerin außer Acht zu lassen, § 308 ZPO.
99Die Ausschlussfrist des § 19 TVAöD hat die Klägerin eingehalten.
100Die Zinsansprüche beruhen auf §§ 288 Abs. 1, 286 Abs. 1 und 2 BGB iVm. § 8 TVAöD und § 24 Abs. 1 Satz 2 und 3 TVöD.
101II.Die Klage ist hingegen unbegründet, soweit sie auf die Erteilung von Abrechnungen gerichtet ist. Dabei konnte die Berufungskammer ihre erheblichen Bedenken dahinstehen lassen, ob es sich beim Anspruch nach § 108 GewO um einen solchen handelt, der vor der Zahlung nicht erfolgreich klagbar ist (so BAG 13.10.2015 - 1 AZR 130/14 - juris; BAG 27.01.2016 - 5 AZR 277/14 - juris RN 32; a. A. Hamacher Antragslexikon Arbeitsrecht 3. Aufl. Stichwort Abrechnung RN 7). Denn jedenfalls macht die Klägerin damit eine zukünftige Leistung im Sinne des § 259 ZPO geltend, ohne die Besorgnis der Nichterfüllung durch die Beklagte vorgetragen zu haben.
102C.
103Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 64 Abs. 6 ArbGG, 525, 92 Abs. 1 ZPO.
104Die Kammer hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen, § 72 Abs. 1 Nr. 1 ArbGG.
105RECHTSMITTELBELEHRUNG
106Gegen dieses Urteil kann von beiden Parteien
107REVISION
108eingelegt werden.
109Die Revision muss innerhalb einer Notfrist* von einem Monat schriftlich oder in elektronischer Form beim
110Bundesarbeitsgericht
111Hugo-Preuß-Platz 1
11299084 Erfurt
113Fax: 0361 2636-2000
114eingelegt werden.
115Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung.
116Die Revisionsschrift muss von einem Bevollmächtigten unterzeichnet sein. Als Bevollmächtigte sind nur zugelassen:
1171.Rechtsanwälte,
1182.Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,
1193.Juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in Nummer 2 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt, und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
120In den Fällen der Ziffern 2 und 3 müssen die Personen, die die Revisionsschrift unterzeichnen, die Befähigung zum Richteramt haben.
121Eine Partei, die als Bevollmächtigter zugelassen ist, kann sich selbst vertreten.
122Die elektronische Form wird durch ein elektronisches Dokument gewahrt. Das elektronische Dokument muss für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet und mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg gemäß § 46c ArbGG nach näherer Maßgabe der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (ERVV) v. 24. November 2017 in der jeweils geltenden Fassung eingereicht werden. Nähere Hinweise zum elektronischen Rechtsverkehr finden sich auf der Internetseite des Bundesarbeitsgerichts www.bundesarbeitsgericht.de.
123* eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.
124NüboldStricker Hammentgen