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Auslegung eines Firmentarifvertrages zu der Fragestellung, unter welchen Voraussetzungen einem Arbeitnehmer ein Anspruch auf Teilzeit zusteht.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Wesel vom 02.02.2018 - 5 Ca 2226/17 - abgeändert:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.
Die Revision wird für den Kläger zugelassen.
T A T B E S T A N D :
2Der Kläger begehrt von der Beklagten eine Vertragsänderung zu einer Teilzeitbeschäftigung in Form einer Verringerung seiner Jahresarbeitszeit.
3Der Kläger ist seit 1983 bei der Beklagten zuletzt als Brauer und Mälzer gegen einen Monatsbruttolohn von 4.180,00 € tätig. Er ist mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 37,5 Stunden in der Abteilung Brautechnik eingesetzt. Der Kläger ist Mitglied der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG). Die beklagte Brauerei ist ein Unternehmen des InBev-Konzerns und hat zusammen mit der Muttergesellschaft und zehn Schwestergesellschaften mit der NGG diverse Haustarifverträge abgeschlossen, u. a. auch den Tarifvertrag zur Regelung von Teilzeitarbeit vom 03.07.2009 (TeilzeitTV). Den Hintergrund für diesen Tarifvertrag bildet der zwischen denselben Tarifvertragsparteien vereinbarte sog. Sozialtarifvertrag vom selben Tag (Bl. 43 ff. d. A.). In dessen Präambel heißt es:
4"Durch den Abschluss dieses Sozialtarifvertrags soll sichergestellt werden, dass vor dem Ausspruch betriebsbedingter Kündigungen die Anwendungsmöglichkeiten des Sozialtarifvertrags in ausreichender Form ausgeschöpft worden sind."
5§ 3 des Sozialtarifvertrags hat folgenden Wortlaut:
6"(1) Teilzeitarbeit gem. "Bremer Modell (10/12 Modell)"
7Zur Vereinheitlichung der unterschiedlichen Regelungen der Konzerngesellschaften zur Teilzeit haben die Parteien am 03.07.2009 einen Tarifvertrag über Teilzeitarbeit gem. "Bremer Modell" geschlossen.
8Die nachfolgenden Punkte werden bei Erstellung des Tarifvertrages zur Teilzeit berücksichtigt. Der Tarifvertrag zur Teilzeit wird parallel zu diesem Sozialtarifvertrag unterzeichnet.
9Für den Standort C. gilt der Teilzeittarifvertrag vom 08.12.2006. Für alle anderen Standorte wird Teilzeit analog des Bremer Teilzeittarifvertrages eingeführt.
10Für Mitarbeiter, die
11?aus den Abteilungen Brautechnik, Abfüllung, Qualitätswesen, Instandhaltung, Energieversorgung, Logistik und die gewerblichen Mitarbeiter in den Technischen Diensten,
12?die in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis stehen und
13?mindestens seit zwei Jahren bei InBev beschäftigt sind
14besteht ein Rechtsanspruch zur Teilzeitarbeit nach den Regelungen des Teilzeittarifvertrages."
15Der TeilzeitTV selbst enthält die folgenden Regelungen:
16"§ 2 Präambel
17Dieser Tarifvertrag regelt in Präzisierung der Bestimmungen des Teilzeit- und Befristungsgesetzes den Anspruch auf Teilzeitbeschäftigung für Arbeitnehmer bei freien Teilzeitarbeitsplätzen sowie Verfahrensweisen, wenn Arbeitnehmer Teilzeitarbeit in Anspruch nehmen wollen.
18§ 3 Mögliche Formen der Teilzeitarbeit
19Folgende Formen von Teilzeitarbeit sind möglich:
201.Reduzierung der jährlichen Arbeitszeit im Blockmodell - ausgehend von einer 37-Stunden-Woche - nach folgenden Möglichkeiten:
21Modell | Tägliche | wöchentliche Sollarbeitszeit | jährliche |
11 | 6,78 | 33,92 | 1.763,67 |
10 | 6,17 | 30,83 | 1.606,33 |
9 | 5,55 | 27,75 | 1.443,00 |
8 | 4,93 | 24,67 | 1.282,67 |
7 | 4,32 | 21,58 | 1.122,33 |
6 | 3,70 | 18,50 | 962,00 |
Bei hiervon abweichenden tariflichen Arbeitszeiten ist die obige Berechnung entsprechend der jeweils anwendbaren tariflichen Arbeitszeit anzupassen.
232.Reduzierung der wöchentlichen Arbeitszeit nach folgenden Möglichkeiten:
24?Ganze freie Tage pro Woche
25?Reduzierung der täglichen Arbeitszeit, die tägliche Mindestarbeitszeit beträgt jedoch 3 Stunden
26Die Anwendungsmöglichkeiten der aufgeführten Modelle auf die Betriebsabteilungen sind einvernehmlich durch die Betriebsparteien festzulegen. Kommt es zwischen den Parteien zu keiner Verständigung, entscheidet eine Eignungsstelle gemäß § 76 BetrVG.
27Die Teilzeitarbeitnehmer werden während der Arbeitsphase grundsätzlich innerhalb der betriebsüblichen Arbeitszeitmodelle eingesetzt.
28§ 4 Rechtsanspruch
29Für Arbeitnehmer,
30?die in den Abteilungen Brautechnik, Abfüllung, Qualitätswesen, Instandhaltung, Energieversorgung und Logistik beschäftigt sind und für die gewerblichen Arbeitnehmer der Technischen Dienste,
31?die in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis stehen und
32?mindestens seit zwei Jahren bei der InBev beschäftigt sind,
33besteht ein Rechtsanspruch zur Teilzeitarbeit nach den Regelungen dieses Teilzeittarifvertrages.
34§ 5 Verteilung der Arbeitszeit
35Arbeitnehmer, die eine in § 3 beschriebene Reduzierung ihrer Arbeitszeit wünschen, können sich bis spätestens 2 Monate vor dem gewünschten Wirksamwerden der Arbeitszeitreduzierung bei der Personalabteilung mit ihren Vorschlägen melden. Dem Betriebsrat ist eine Kopie des Antrags zu übermitteln.
36Der Betriebsrat und die Personalabteilung können gemeinsam auf einzelne Arbeitnehmer zugehen und mit ihnen die Möglichkeiten einer Reduzierung der Arbeitszeit beraten.
37Die Verteilung der reduzierten Arbeitszeit auf Woche, Monat bzw. Jahr wird zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber festgelegt und bedarf zu ihrem Wirksamwerden der Zustimmung des Betriebsrates.
38Die Produktions- und Personalbedarfsplanung für das Folgejahr hat bis spätestens zum 31. Oktober des Jahres zu erfolgen. Es werden einvernehmlich mit dem Betriebsrat Arbeits- und Nichtarbeitszeiträume definiert. Der Abbau von Zeitguthaben erfolgt in den definierten Nichtarbeitszeiträumen.
39Höchstanzahl der Teilzeitarbeitsplätze und das Gesamtverhältnis von Teilzeitarbeit zu Vollzeitarbeit werden im Rahmen dieses Verfahrens einvernehmlich zwischen den Tarifparteien bestätigt bzw. neu festgelegt. Die Tarifparteien können dies den Betriebsparteien übertragen.
40Zur Arbeit außerhalb der vereinbarten Teilzeitmodelle (§ 3) besteht keine Verpflichtung. Davon kann unter Mitbestimmung des Betriebsrates und unter Zahlung eines Mehrarbeitszuschlages von 50 % abgewichen werden.
41Kommt es zwischen den Parteien zu keiner Verständigung, entscheidet eine Einigungsstelle gemäß § 76 BetrVG.
42Die Parteien vereinbaren eine quartalsweise Überprüfung der Jahres-planung im Hinblick auf die Teilzeitarbeitsplätze und Arbeitszeitmodelle. Die Bewertung des 30.09. fließt in die Jahresplanung des Folgejahres ein. Der 31.12. des Jahres dient als Stichtag für die Feststellung des Arbeitszeitsaldos."
43Auf den Inhalt des TeilzeitTV im Übrigen wird verwiesen (Bl. 51 ff. d. A.).
44In den ersten Jahren seit Inkrafttreten des TeilzeitTV gab die Beklagte allen Teilzeitbegehren statt. Zu Regelungen nach § 5 Abs. 5 des TeilzeitTV kam es nicht. Im Jahr 2012 beantragten 22 Arbeitnehmer eine Reduzierung ihrer Arbeitszeit nach den Regelungen des TeilzeitTV, welche die Beklagte unter Hinweis darauf ablehnte, es bestehe kein weiterer Bedarf an Arbeitszeitreduzierungen. Ein von einem der Arbeitnehmer geführter Rechtsstreit endete zu dessen Gunsten durch den Parteien bekanntes Urteil des hiesigen Landesarbeitsgerichts vom 06.09.2013 (- 10 Sa 315/13 - unveröffentlicht), auf dessen Inhalt im Einzelnen verwiesen wird. Seit dem Jahr 2014 schlossen die Tarifvertragsparteien des TeilzeitTV sog. "Protokollnotizen zum Tarifvertrag zur Regelung von Teilzeitarbeit vom 03.09.2009" (Bl. 25 ff. d. A.) ab. Diese sahen eine Begrenzung der Ansprüche der Mitarbeiter auf Teilzeitarbeit für die jeweiligen Jahre vor. Grund hierfür war, dass die Mitarbeiter der Beklagten eine Vielzahl von Teilzeitbegehren an diese richteten, welche insgesamt dazu führten, dass die bei der Beklagten notwendigerweise aufrechtzuerhaltenden Betriebsabläufe in Gefahr gerieten. In den Protokollnotizen heißt es jeweils:
45"§ 4 Schlussbestimmungen
46(1) Mit den vorstehenden Regelungen gilt die Festlegung des Verhältnisses von Teilzeit- zu Vollzeitarbeitnehmern im Sinne des § 5 Absatz 5 des Tarifvertrages zur Regelung von Teilzeitarbeit für den Standort J. für die Laufzeit dieser Regelung als erfüllt."
47Für das Jahr 2018 ist bisher keine Protokollnotiz im Sinne von § 5 Abs. 5 TeilzeitTV zustande gekommen.
48Nach der Personalplanung der Beklagten für das Jahr 2018 stehen der Beklagten bei einer Iststundenzahl von 24.149 über den eigentlichen Personalbedarf hinaus lediglich 75 Arbeitsstunden als Puffer zur Verfügung. Die Umsetzung der von Mitarbeitern der Abteilung Brautechnik gestellten Teilzeitbegehren würde in der Abteilung zu einem negativen Stundensaldo von 759 Arbeitsstunden führen.
49Mit E-Mail vom 29.11.2017 (Bl. 34 d. A.) bat die Beklagte die Gewerkschaft NGG um Termine für eine Regelung für das Jahr 2018. Mit weiteren E-Mails vom 14.12.2017 (Bl. 84 d. A.) wiederholte sie ihre Bitte. Unter dem 18.12.2017 antwortete die NGG zunächst, wegen Erkrankung eines Mitarbeiters könnten Terminvorschläge leider erst im Januar unterbreitet werden. Mit E-Mail vom 25.01.2018 erklärte der Vorsitzende des NGG Landesbezirks Nordrhein-Westfalen sodann:
50"Ihre Mail vom 03.01.2018 zum Thema Protokollnotiz - Teilzeitquote an Frau X. hat diese zuständigkeitshalber an uns weitergeleitet. Aufgrund der aktuellen Lage in Ihrem Unternehmen (Verkauf/Übergang) möchten wir zu diesem Thema vorerst allerdings keine Verhandlungen aufnehmen."
51Unter dem 19.04.2018 erklärte der zuständige Mitarbeiter der NGG, mit der Beklagten "über die Terminabstimmung telefonieren" zu wollen, war jedoch telefonisch nicht erreichbar und meldete sich auch nicht auf die per E-Mail geäußerte Bitte der Beklagten, zur Vereinfachung Terminvorschläge zu unterbreiten. Im Laufe des Berufungsverfahrens schrieb die Konzernmutter der Beklagten die NGG an, erklärte die Verhandlungen unter Bezugnahme auf die vorgeschilderten Vorgänge als gescheitert und schlug die Einsetzung einer tariflichen Einigungsstelle vor. Die NGG antwortete mit Schreiben vom 17.07.2018, sie sehe keine Zuständigkeit einer Einigungsstelle, bat um Entschuldigung für die Verzögerung und unterbreitete Terminvorschläge für Tarifverhandlungen. Im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor der Berufungskammer war ein Termin noch nicht zustande gekommen.
52Bereits mit Schreiben vom 15.07.2016 (Bl. 4 d. A.) hatte der Kläger bei der Beklagten den Antrag gestellt, seine Arbeitszeit ab 2018 nach dem Modell "10/12" oder mit freien Tagen zu reduzieren.
53Mit seiner am 30.10.2017 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er hat die Auffassung vertreten, er habe gemäß § 3 Abs. 1 des Sozialtarifvertrages vom 03.07.2009 i. V. m. § 4 TeilzeitTV einen Rechtsanspruch auf die von ihm gewünschte Verringerung der Arbeitszeit, da er die in § 4 TeilzeitTV geregelten Voraussetzungen erfülle.
54Der Kläger hat beantragt,
55die Beklagte zu verurteilen, seinem Antrag vom 15.07.2016 zuzustimmen, seine Arbeitszeit ab dem 01.01.2018 auf 10/12 der Jahresarbeitszeit - im Blockmodell gemäß § 3 Ziffer 1 des Tarifvertrages zur Regelung von Teilzeitarbeit vom 03.07.2009 - zu reduzieren.
56Die Beklagte hat beantragt,
57die Klage abzuweisen.
58Sie hat gemeint, solange noch keine Protokollnotiz für das Jahr 2018 zustande gekommen sei, könne der Antrag des Klägers nicht beschieden werden.
59Mit Urteil vom 02.02.2018, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird, hat das Arbeitsgericht Wesel die Beklagte antragsgemäß verurteilt.
60Gegen das ihr am 26.02.2018 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 23.03.2018 Berufung eingelegt und diese - nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 17.05.2018 - mit einem an diesem Tag beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet.
61Sie wiederholt und vertieft ihren erstinstanzlichen Vortrag, ohne eine Regelung nach § 5 Abs. 5 des TeilzeitTV bestehe kein Anspruch des Klägers. Von dem rechtsmissbräuchlichen Verhalten der NGG, sich den Verhandlungen zu entziehen, dürfe der Kläger nicht profitieren. Außerdem fehle es bislang - was zwischen den Parteien unstreitig ist - an einer Festlegung der Anwendungsmöglichkeiten der Teilzeitmodelle auf die Betriebsabteilungen durch die Betriebsparteien nach § 3 vorletzter Absatz TeilzeitTV.
62Die Beklagte beantragt,
63das erstinstanzliche Urteil des Arbeitsgerichts Wesel (Az.: 5 Ca 2226/17) abzuändern und die Klage abzuweisen.
64Der Kläger beantragt,
65die Berufung zurückzuweisen.
66Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil unter Bezugnahme auf den erstinstanz-lichen Vortrag. Zur Frage der Festlegung der Anwendungsmöglichkeiten der Teilzeitmodelle auf die Betriebsabteilungen durch die Betriebsparteien verweist er darauf, die Beklagte habe ihr Initiativrecht nutzen und notfalls die Einigungsstelle anrufen müssen.
67Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschriften beider Instanzen Bezug genommen.
68E N T S C H E I D U N G S G R Ü N D E :
69A.
70Die Berufung der Beklagten ist zulässig, insbesondere unter Beachtung der Vorgaben der §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG in Verbindung mit § 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.
71B.
72Die Berufung ist auch in der Sache begründet, da die zulässige Klage unbegründet ist.
73Der auf Annahme eines Vertragsangebots gerichtete Antrag ist allerdings nicht schon deshalb unbegründet, weil der Kläger die rückwirkende Änderung des Arbeitsverhältnisses ab dem 01.01.2018 verlangt. Seit Inkrafttreten des § 311a Abs. 1 BGB idF des Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts vom 26.11.2001 (BGBl. I S. 3138) kommt die Verurteilung zur Abgabe einer Willenserklärung mit Rückwirkung in Betracht. Ein Vertragsangebot kann auch dann angenommen werden, wenn es auf eine Vertragsänderung zu einem in der Vergangenheit liegenden Zeitpunkt gerichtet ist. Dies gilt selbst in den Fällen, in denen der Vertrag hinsichtlich der Vergangenheit tatsächlich nicht durchgeführt werden kann (BAG 20.01.2015 - 9 AZR 735/13 -, RN 15, NZA 2015, 816).
74Die Berufungskammer konnte zudem dahinstehen lassen, ob das seitens des Klägers unter dem 15.07.2016 geäußerte Teilzeitverlangen inhaltlich dem Klageantrag entspricht. Immerhin hat der Kläger gegenüber der Beklagten eine Reduzierung seiner Arbeitszeit nach dem Modell "10/12" (§ 3 Ziffer 1 TeilzeitTV) oder mit freien Tagen (§ 3 Ziffer 2 TeilzeitTV) verlangt. Es wird danach nicht klar, welches Modell gelten soll. Möglicherweise fehlt es bereits an einem annahmefähigen Angebot. Wollte der Kläger der Beklagten zur Wahl stellen, welches Modell umgesetzt werden soll, hätte er dies womöglich auch in seinem Klageantrag in Form einer Wahlschuld (§ 263 BGB, vgl. Hamacher, Antragslexikon Arbeitsrecht, 2. Aufl., Stichwort Wahlschuld, Seite 259) berücksichtigen müssen.
75Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts besteht nach Ansicht der Berufungskammer jedenfalls kein durchsetzbarer Anspruch des Klägers auf Verringerung seiner Arbeitszeit, da es an einer Festlegung durch die Tarifparteien nach § 5 Abs. 5 TeilzeitTV fehlt. Das folgt aus der Auslegung des TeilzeitTV.
761. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts folgt die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Insbesondere bei unbestimmtem Wortsinn ist über den reinen Wortlaut hinaus der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und der damit von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm mit zu berücksichtigen, sofern und soweit er in den tariflichen Regelungen und ihrem systematischen Zusammenhang Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden können (vgl. nur BAG 22.03.2018 - 6 AZR 29/17 - RN 12, NZA 2018, 722; BAG 05.05.2015 - 1 AZR 806/13 -, juris). Lässt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrags, ggf. auch die praktische Tarifübung ergänzend hinzuziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse ist zu berücksichtigen. Im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (BAG 26.10.2016 - 5 AZR 226/16 - RN 25, juris).
772. Danach ergibt sich, dass dem Arbeitnehmer nicht bereits durch Erfüllung der Voraussetzungen des § 4 TeilzeitTV ein Anspruch auf Verringerung der Arbeitszeit eingeräumt wird, sondern dass hierfür - wenn die Beklagte dem Teilzeitbegehren nicht freiwillig stattgibt - eine Festlegung nach § 5 Abs. 5 TeilzeitTV erforderlich ist. § 4 TeilzeitTV bestimmt nämlich - insofern wortgleich mit § 3 des Sozialtarifvertrags - ausdrücklich, dass ein Rechtsanspruch "nach den Regelungen dieses Teilzeitvertrages" besteht. Zu diesen gehört insbesondere § 5 TeilzeitTV.
78Bereits nach dem Tarifwortlaut "werden" die Begrenzungen festgelegt. Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts fehlt hier kein "muss", um dies als Anspruchs-voraussetzung anzusehen. Vielmehr erforderte die von ihm vertretene Auslegung, dass etwa die Wendung "kann" (festgelegt werden) verwendet worden wäre. Entsprechend spricht § 5 Abs. 5 TeilzeitTV "das Gesamtverhältnis" von Teil- und Vollzeitarbeit, nicht hingegen ein nur eventuell festzulegendes Verhältnis an.
79Auch ergibt sich aus der Präambel des TeilzeitTV, dass dieser den Teilzeitanspruch in Präzisierung der Bestimmungen des Teilzeit- und Befristungsgesetzes regelt. Damit korrespondiert, dass nach § 8 Abs. 4 TzBfG die Gründe, aus denen ein Arbeitgeber ein Teilzeitbegehren berechtigt ablehnen darf, durch Tarifvertrag festgelegt werden können. Die Tarifvertragsparteien gewähren demnach zwar einen eigenständigen Teilzeitanspruch, bezwecken jedoch gleichzeitig, im genannten gesetzlichen Rahmen den Anspruch nach § 8 TzBfG zu regeln. Dieser Hintergrund ist daher bei der Auslegung des TeilzeitTV stets mit zu bedenken. Die in § 4 TeilzeitTV geregelten Voraussetzungen liegen jedoch sämtlich außerhalb des genannten Regelungszwecks, auf der Grundlage der gesetzlichen Ermächtigung die Ablehnungsgründe zu präzisieren. Ergäbe sich allein durch die Erfüllung der in § 4 TeilzeitTV genannten Voraussetzungen ein Anspruch auf Verringerung der Arbeitszeit, würde daher diesem Regelungszweck des TeilzeitTV keine Rechnung getragen. Die bezweckte Präzisierung betrieblicher Gründe findet sich hingegen vor allem in § 5 TeilzeitTV, möglicherweise zusätzlich noch in § 3 TeilzeitTV. Dazu korrespondierend spricht die Präambel davon, den Anspruch auf Teilzeit "bei freien Teilzeitarbeitsplätzen" zu regeln. Auch das kann nicht so verstanden werden, dass bereits bei Erfüllung der Voraussetzungen des § 4 TeilzeitTV ohne Berücksichtigung der betrieblichen Verhältnisse ein Anspruch bestehen soll, wenn es nicht zu Regelungen nach § 5 TeilzeitTV kommt.
80Dies wird durch einen näheren Blick auf die Systematik des § 5 TeilzeitTV bestätigt, welcher der gesetzlichen Regelung in § 8 TzBfG nachgebildet ist. Ähnlich § 8 Abs. 2 und 3 TzBfG beschäftigen sich die Absätze 1 bis 3 des § 5 TeilzeitTV mit der Antragsfrist sowie einer durch den Teilzeitantrag ausgelösten Verhandlungsobliegenheit. Kommt es in diesem Rahmen zu einer einvernehmlichen Regelung, ist das Teilzeitbegehren erledigt. Ein weiteres Konfliktlösungsmodell ist dann nicht erforderlich, da die Arbeitsvertragsparteien ihre wechselseitigen Interessen in Einklang gebracht haben. Nur für den Fall, dass die Verhandlungen nicht zu einer Einigung führen, bestimmt § 5 Abs. 4 und 5 TeilzeitTV auf der Basis des § 8 Abs. 4 TzBfG, welche betrieblichen Gründe der Arbeitgeber den geäußerten Teilzeitwünschen entgegenhalten kann. Wie oben ausgeführt, besteht der Regelungszweck des TeilzeitTV insbesondere darin, Bestimmungen für diese Eskalationsstufe zu treffen. Entsprechende inhaltliche Festlegungen finden sich in den Absätzen 4 und (vor allem) 5 des § 5 TeilzeitTV. Nach Abs. 4 ist zunächst die Produktions- und Personalbedarfsplanung zu erstellen, die sodann die Grundlage für die Bestätigung bzw. Festlegung der Höchstanzahl der Teilzeitarbeitsplätze und des Verhältnisses von Teilzeitarbeit zu Vollzeitarbeit nach Abs. 5 bildet (vgl. Abs. 5: "im Rahmen dieses Verfahrens"). Wenn und solange aber keine derartige Festlegung erfolgt ist, fehlt es an der vom TeilzeitTV gerade bezweckten Präzisierung der betrieblichen Gründe im Sinne des § 8 Abs. 4 TzBfG. Dafür, dass die Tarifvertragsparteien für diesen Fall der Arbeitgeberin das Einwenden derartiger Gründe abschneiden wollten, bestehen keinerlei Anhaltspunkte. Vielmehr spricht alles dafür, dass die Tarifvertragsparteien es in diesem Fall schlichtweg beim gesetzlichen Anspruch des Arbeitnehmers nach § 8 TzBfG belassen wollten. Der vorliegende Fall zeigt anschaulich, dass anderenfalls die Beklagte auf das Wohlwollen der Gewerkschaft angewiesen wäre, um überhaupt eine Anspruchsbegrenzung zu bewirken. Ein derartiger faktischer Verzicht auf die eigene Verhandlungsposition durch eine Tarifvertragspartei stellt zur Überzeugung der Berufungskammer kein plausibles Auslegungsergebnis dar. Die Beklagte wäre im Fall umfangreicher Teilzeitanträge "erpressbar".
81Auch das spricht dafür, dass zu den "Regelungen dieses Teilzeittarifvertrages" im Sinne des § 4 TeilzeitTV auch die Begrenzungen nach § 5 Abs. 5 TeilzeitTV gehören. Sind diese nicht erfolgt, obwohl die Beklagte dem Teilzeitverlangen des Arbeitnehmers betriebliche Gründe entgegengesetzt hat, besteht daher kein unbegrenzter Anspruch für die antragstellenden Arbeitnehmer. Sie fallen vielmehr auf den gesetzlichen Anspruch nach § 8 TzBfG zurück. Der Tarifvertrag ist dann wie das Arbeitsgericht richtig feststellt, zwar inhaltsleer, da die Konkretisierung der betrieblichen Gründe nach § 8 Abs. 4 TzBfG nicht gelungen ist. Wie ausgeführt fehlt es jedoch an jeglichen Anhaltspunkten dafür, dass die Beklagte in solchen Fällen darauf verzichten wollte, den Teilzeitbegehren ihrer Arbeitnehmer betriebliche Gründe entgegensetzen zu können. Eine solche Auslegung würde verkennen, dass der Sinn des TeilzeitTV gerade darin besteht, den gesetzlichen Begriff der betrieblichen Gründe durch die sachnäheren Tarifvertragsparteien auszufüllen, nicht etwa dieses Tatbestandsmerkmal des § 8 Abs. 4 TzBfG im Fall der Nichteinigung schlicht abzuschaffen.
82Anderes folgt auch nicht etwa aus § 5 Abs. 7 TeilzeitTV. Entgegen der Ansicht der Beklagten und in Übereinstimmung mit der seitens der NGG geäußerten Auffassung stellt dieser nämlich kein Konfliktlösungsmodell für den Fall des Scheiterns einer Einigung im Rahmen des Abs. 5 bereit. Dies folgt bereits aus dem Wortlaut, wonach eine Einigungsstelle nach § 76 BetrVG entscheidet. Die Lösung von Meinungsverschiedenheiten zwischen Tarifvertragsparteien steht nicht der betrieblichen Einigungsstelle zu. Die von der Beklagten bevorzugte Auslegung im Sinne einer tariflichen Einigungsstelle ist mit dem Wortlaut schwer zu vereinbaren. Zudem fehlt es an jeglichen Regelungen dazu, wie eine solche gebildet werden soll. Unstreitig besteht keine ständige Einigungsstelle der Tarif-parteien. Maßgeblich kommt die Tarifsystematik hinzu. Die Regelung zur Bildung einer Einigungsstelle findet sich nämlich nicht im Anschluss an den Abs. 5, sondern nach Abs. 6 des § 5 TeilzeitTV, welcher gerade einen betrieblichen Mitbestimmungstatbestand regelt, zu welchem die Möglichkeit des Anrufens einer Einigungsstelle nach § 76 BetrVG passt.
83Letztlich ergäbe sich auch kein anderes Ergebnis, wenn man § 5 Abs. 7 TeilzeitTV im von der Beklagten vertretenen Sinn verstünde. Die Beklagte hat versucht, eine tarifliche Einigungsstelle anzurufen. Die Tarifparteien befinden sich nach wie vor in Verhandlungen. Solange nicht feststeht, welche Begrenzungen nach § 5 Abs. 5 TeilzeitTV für das Jahr 2018 gelten sollen, ist der Berufungskammer eine Subsumtion nicht möglich. Anders als in dem Sachverhalt, welcher der Entscheidung des hiesigen Landesarbeitsgerichts vom 06.09.2013 (- 10 Sa 315/13 -) zugrunde lag, wäre der Beklagten das bisherige Nichtzustandekommen einer Begrenzungsregelung nicht vorwerfbar, da nicht sie, sondern die NGG sich bislang den Verhandlungen entzogen hat. Daneben ist auch - anders als das Arbeitsgericht annimmt - die Voraussetzung des § 162 Abs. 1 BGB nicht gegeben, dass der Bedingungseintritt bereits verhindert ist. Wie oben ausgeführt wäre auch eine rückwirkende Vertragsänderung möglich. Zudem besteht aufgrund des vom Kläger gewünschten Blockmodells sogar noch die Möglichkeit einer tatsächlichen Reduzierung seiner Jahresarbeitszeit um 2/12 auch für das Jahr 2018.
84Mit dem Vorstehenden korrespondiert, dass die Rechtskraft dieses Urteils einem Anspruch des Klägers nicht entgegensteht, wenn eine Einigung nach § 5 Abs. 5 TeilzeitTV noch zustande kommt und die Beklagte nach deren Inhalt dem Kläger dessen Teilzeitbegehren nicht versagen könnte.
853. Einen Anspruch nach § 8 TzBfG hatte die Berufungskammer nicht zu prüfen, da der Kläger einen solchen nicht geltend gemacht hat und insofern gemessen an dem tariflichen Anspruch ein anderer Streitgegenstand vorliegt.
86Der Streitgegenstand wird durch den Klageantrag, in dem sich die von dem Kläger in Anspruch genommene Rechtsfolge konkretisiert, und den Lebenssachverhalt (Anspruchsgrund) bestimmt, aus dem der Kläger die begehrte Rechtsfolge ableitet (vgl. nur BAG 23.01.2018 - 9 AZR 200/17 - NZA 2018, 653; BGH 29.09.2011 - IX ZB 106/11 - NJW 2011, 3653 RN 11).
87Danach handelt es sich um unterschiedliche Streitgegenstände. Der vom Kläger geltend gemachte tarifliche Anspruch weist bereits andere - höhere - Voraussetzungen auf als derjenige aus § 8 TzBfG. Der gesetzliche Anspruch setzt lediglich voraus, dass das Arbeitsverhältnis länger als sechs Monate bestanden hat. § 4 TeilzeitTV verlangt hingegen eine Beschäftigungsdauer von mindestens zwei Jahren. Beim Verfahrensablauf hingegen reicht nach dem Tarifvertrag für das Teilzeitverlangen eine Frist von mindestens zwei Monaten vor dem gewünschten Beginn der Arbeitszeitreduzierung, während die gesetzliche Frist drei Monate beträgt. Daneben weist der tarifliche Anspruch andere Rechtsfolgen auf. Nach § 9 TeilzeitTV besteht nämlich ein von § 9 TzBfG abweichendes Rückkehrrecht. Eine Verbindung beider Ansprüche besteht lediglich insoweit, als eine tarifliche Regelung i. S. v. § 5 Abs. 5 TeilzeitTV auch dem gesetzlichen Anspruch entgegenzuhalten sein dürfte.
88C.
89Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 64 Abs. 6 ArbGG, 525, 91 ZPO. Die Zulassung der Revision beruht auf § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG.
90R E C H T S M I T T E L B E L E H R U N G :
91Gegen dieses Urteil kann von der klagenden Partei
92R E V I S I O N
93eingelegt werden.
94Für die beklagte Partei ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.
95Die Revision muss innerhalb einer Notfrist* von einem Monat schriftlich oder in elektronischer Form beim
96Bundesarbeitsgericht
97Hugo-Preuß-Platz 1
9899084 Erfurt
99Fax: 0361-2636 2000
100eingelegt werden.
101Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung.
102Die Revisionsschrift muss von einem Bevollmächtigten unterzeichnet sein. Als Bevollmächtigte sind nur zugelassen:
1031.Rechtsanwälte,
1042.Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,
1053.Juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in Nummer 2 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt, und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
106In den Fällen der Ziffern 2 und 3 müssen die Personen, die die Revisionsschrift unterzeichnen, die Befähigung zum Richteramt haben.
107Eine Partei, die als Bevollmächtigter zugelassen ist, kann sich selbst vertreten.
108Die elektronische Form wird durch ein elektronisches Dokument gewahrt. Das elektronische Dokument muss für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet und mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg gemäß § 46c ArbGG nach näherer Maßgabe der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (ERVV) v. 24. November 2017 in der jeweils geltenden Fassung eingereicht werden. Nähere Hinweise zum elektronischen Rechtsverkehr finden Sie auf der Internetseite des Bundesarbeitsgerichts www.bundesarbeitsgericht.de.
109* eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.
110Nübold Löb Hammentgen