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Die Beschwerde der Beteiligten zu 2) und 3) gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Wesel vom 17.10.2007 - 3 BV 30/06 - wird zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird für die Beteiligten zu 2) und 3) zugelassen.
G R Ü N D E :
2I.Die Arbeitgeberin (im Folgenden: Beteiligte zu 3) betreibt ein Unternehmen in der Bäckereibranche mit Hauptsitz in N.. Die Verwaltung, Geschäftsführung und Produktion werden im L.-M. betrieben. Die Antragstellerin (im Folgenden: Beteiligte zu 1) ist eine im Betrieb der Beteiligten zu 3) vertretene Gewerkschaft.
3Die Beteiligte zu 3) beschäftigt insgesamt rund 600 (so die Beteiligte zu 1) bzw. 900 (so die Beteiligte zu 3) Arbeitnehmer, die zu einem erheblichen Anteil in rund 100 (so die Beteiligte zu 1) bzw. 120 (so die Beteiligte zu 3) Filialen eingesetzt werden. Circa 170 Arbeitnehmer werden in der Verwaltung und in der Produktionsstätte der Beteiligten zu 3) beschäftigt.
4Am 05.09.2006 fand eine Betriebsratswahl am Hauptsitz der Beteiligten zu 3) in L.-M. statt. Vor deren Durchführung wurde durch den Wahlvorstand das Wahlausschreiben im Produktionsbetrieb und in der Verwaltung der Beteiligten zu 3) bekannt gegeben. Eine Bekanntgabe in ihren Verkaufsfilialen erfolgte nicht. Es wurde ein siebenköpfiger Betriebsrat (im Folgenden: Beteiligter zu 2) gewählt. Das Wahlergebnis wurde am 06.09.2006 bekannt gemacht.
5Mit der beim Arbeitsgericht Wesel am 20.09.2006 eingegangenen Antragsschrift begehrt die Beteiligte zu 1), die Betriebsratswahl vom 05.09.2006 für rechtsunwirksam zu erklären.
6Die Beteiligte zu 1) hat im Wesentlichen die Auffassung vertreten:
7Bei der Wahl des Beteiligten zu 2) sei der Betriebsbegriff verkannt worden. Entgegen dem Wahlausschreiben handele es sich bei den Filialen, den Produktionsstätten und der Verwaltung um einen einheitlichen Betrieb. Die Verkaufsfilialen seien keine selbstständigen Betriebe. Ihr Großteil liege räumlich weit vom Hauptbetrieb entfernt. Keine der Verkaufsfilialen sei durch Aufgabenbereich und Organisation selbstständig. Bei der Beteiligten zu 3) würden alle mitbestimmungsrelevanten Entscheidungen für die Filialen, aber auch für die Produktion und die Verwaltung durch die Unternehmensleitung vom Standort L.-M. aus getroffen. Eine Vielzahl der Filialen sei mit öffentlichen Verkehrsmitteln innerhalb einer Stunde zu erreichen. Deshalb sei von einer räumlichen Nähe dieser Filialen vom Hauptbetrieb auszugehen. Das Ergebnis der Wahl sei durch die Verkennung des Betriebsbegriffs objektiv beeinflusst worden. Denn den Arbeitnehmern aus den Filialen sei die Möglichkeit genommen worden, selbst eine Vorschlagsliste zu erstellen und einzureichen, was möglicherweise zu einem anderen Wahlergebnis geführt hätte. Des Weiteren wäre in Anbetracht der insgesamt zu berücksichtigenden Beschäftigungszahl ein elfköpfiger Betriebsrat zu wählen gewesen.
8Die Beteiligte zu 1) hat beantragt,
9die Betriebsratswahl vom 05.09.2006 für rechtsunwirksam zu erklären.
10Der Beteiligte zu 2) und die Beteiligte zu 3) haben beantragt,
11den Antrag abzuweisen.
12Der Beteiligte zu 2) hat im Wesentlichen geltend gemacht:
13Die Verkaufsfilialen würden selbstständige Betriebe darstellen. Jede Filiale erstelle eine eigene Personalplanung. Die jeweilige Filialleitung sei zuständig für die Einstellung, Entlassung, die Ausfallzeitenkompensation, die Urlaubsplanung und Vertretungsorganisation. Zudem seien die Filialbetriebe räumlich weit vom Hauptbetrieb entfernt.
14Die Beteiligte zu 3) hat im Wesentlichen geltend gemacht:
15Die Personalhoheit werde in den einzelnen Filialen jeweils von der dortigen Filialleitung ausgeübt. Einstellungen und Entlassungen würden stets auf Initiative der jeweiligen Filialleitung erfolgen, die den Bedarf an Arbeitskräften ermittle und gegebenenfalls bei der Geschäftsleitung um Ausschreibung von Stellen bitte. Auch die Abmahnung von Mitarbeitern erfolge in aller Regel nur auf Initiative der Filialleitung durch die Geschäftsleitung. Die Filialleitungen würden auch in eigener Verantwortung Dienst- und Urlaubspläne erstellen, Vertretungen organisieren und Überstunden anordnen.
16Mit seinem am 17.10.2007 verkündeten Beschluss hat das Arbeitsgericht nach Durchführung einer Beweisaufnahme, hinsichtlich deren Ergebnis ausdrücklich auf das Sitzungsprotokoll vom 19.09.2007 verwiesen wird, dem Antrag der Beteiligten zu 1) stattgegeben und dies im Wesentlichen wie folgt begründet:
17Bei der Wahl des Beteiligten zu 2) sei gegen wesentliche Vorschriften des BetrVG verstoßen worden, da der Wahlvorstand Filialbetriebe der Beteiligten zu 3) mit den dort beschäftigten Mitarbeitern nicht in die Wählerliste aufgenommen habe. Zumindest mehrere Filialen würden keine selbstständigen Betriebe i. S. von § 4 Abs. 1 Satz 1 BetrVG darstellen. Zwar erscheine die objektive Entfernung zwischen den Betriebsstätten und die schwierige Erreichbarkeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln hinnehmbar, zumal die verschiedenen kurzen Entfernungen mit dem Pkw in verhältnismäßig kurzer Zeit zurückgelegt werden könnten. Die Beweisaufnahme habe aber ergeben, dass nicht alle Filialen eigenständige Betriebe i. S. des BetrVG seien, sondern unselbstständige Betriebsteile. So könnten die Filialleiter zwar selbstständig die Arbeitnehmer, die sie einzustellen beabsichtigen würden, aussuchen. Aber in diesen Filialen werde die Leitung in personellen und sozialen Angelegenheiten von der Leitung der Beteiligten zu 3) unterstützt, und zwar über die Gebietsverkaufsleiter. Die als Zeugen vernommenen Filialleiterinnen hätten im Wesentlichen übereinstimmend bekundet, dass vor Abschluss des Anstellungsvertrages mit neuen Verkäufern einer der Gebietsverkaufsleiter mit dem einzustellenden Arbeitnehmer kurz spreche. Sofern dies nicht geschehe, vertraue die Geschäftsleitung bzw. der Gebietsverkaufsleiter der betroffenen Filialleiterin in der Weise, dass ein persönlicher Kontakt zwischen ihm und der einzustellenden Arbeitnehmerin nicht für notwendig gehalten werde. Eine Filialleiterin könne nicht darüber entscheiden, ob ein befristeter oder unbefristeter Vertrag abgeschlossen werde. Aufgrund des Beweisergebnisses stehe auch fest, dass die Filialleitungen den Wochenarbeitsplan an den Gebietsverkaufsleiter senden müssten, der dann von der entsprechenden Gebietsverkaufsleitung zurück an die Filiale gefaxt werde. Die im Normalfall nicht erfolgende Beanstandung der Wochenarbeitspläne bedeute nicht, dass die Filialleitungen völlig selbstständig diese Pläne aufstellen könnten. Die durch einen Aushang in der jeweiligen Filiale zum Ausdruck gebrachte Absicht, eine neue Verkäuferin einzustellen, könne nur im Rahmen der Budgetplanung erfolgen. Des Weiteren könne nicht aus dem Umstand, dass die Filialleitungen über die Verteilung der seitens der Zentrale zugeteilten Prämien selbstständig entscheiden könnten, gefolgert werden, dass die Filialen selbstständige Betriebe seien. Soweit die Beteiligten zu 2) und 3) auf die Entfernung der Filialen vom Hauptbetrieb hinweisen würden, sei ihnen zwar zuzugestehen, dass gegebenenfalls manche größere, weit entfernte Filialen selbstständige Betriebe seien. Dies gelte aber nicht für die Betriebe in der näheren Umgebung, z. B. L.-M., N., S., E., O.-W., L., E., L., V., H. und H..
18Gegen den ihnen jeweils am 08.11.2007 zugestellen Beschluss haben die Beteiligten mit einem am 05.12.2007 (Beteiligter zu 2) bzw. am 07.12.2007 (Beteiligte zu 3) bei Gericht eingegangenen Schriftsatz Beschwerde eingelegt und diese - nach Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist bis zum 04.02.2008 - mit einem hier am 01.02.2008 (Beteiligter zu 2) bzw. am 04.02.2008 (Beteiligte zu 3) eingegangenen Schriftsatz begründet.
19Der Beteiligte zu 2) macht unter teilweiser Wiederholung seines erstinstanzlichen Vorbringens im Wesentlichen geltend:
20Die Unterstützung der Filialen durch den jeweiligen Gebietsverkaufsleiter setze Selbstständigkeit denknotwendig voraus. Im Falle der Abhängigkeit eines Betriebsteils würde keine Unterstützung stattfinden, sondern es würden von Seiten des Hauptbetriebes konkrete Anweisungen erteilt werden. Die erstinstanzlich als Zeugen vernommenen Filialleiterinnen und Filialleiter hätten übereinstimmend bekundet, dass sie den jeweils zuständigen Gebietsverkaufsleiter als Bindeglied zwischen Hauptbetrieb und Filiale ansehen würden. Auf konkrete Nachfrage hätten sämtliche Zeuginnen und Zeugen erklärt, sie selbst seien in ihren Filialen der Boss. Auch wenn der Gebietsverkaufsleiter zugleich der disziplinarische Vorgesetzte der jeweiligen Filialleiter sei, nehme er keinerlei bestimmenden Einfluss auf die wesentlichen Arbeitgeberfunktionen. Es sei nicht zu beanstanden, dass die Geschäftsleitung den Filialen Vorgaben allgemeiner Art mache, wonach bei Neueinstellungen zunächst ein befristeter Vertrag von regelmäßig höchstens sechs Monaten abzuschließen sei. Die Frage der Arbeitsvertragsgestaltung unterfalle im Übrigen nicht der erzwingbaren betrieblichen Mitbestimmung nach § 87 BetrVG. Die Vorinstanz habe fehlerhaft offengelassen, welche Filialen räumlich weit vom Hauptbetrieb entfernt seien. Denn letztlich könne auch eine organisatorisch nicht eigenständige Filiale allein aufgrund ihrer räumlichen weiten Entfernung zum Hauptbetrieb gemäß § 4 Abs. 1 1. Alt. BetrVG als selbstständiger Betrieb gelten.
21Die Beteiligte zu 3) hat unter teilweiser Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vorbringens ergänzend ausgeführt:
22Die Beweisaufnahme hätte ergeben, dass die Filialleitung eigenständig und selbstständig über die Einstellung und Entlassung von Mitarbeitern befinde. Sie erstelle eigenständig und selbstständig Wochenpläne und Urlaubspläne. Die Filialleitung sei sogar bei der Einteilung und Verteilung der Arbeitszeit selbstständig. Die Filialleitung kaufe im Rahmen der Konzession gegebenenfalls auch Ware von Fremdlieferanten hinzu. Die Gebietsverkaufsleiter B. und L. hätten bei ihrer erstinstanzlichen Zeugenvernehmung ihre nur koordinierende und beratende Funktion herausgestrichen.
23Die Beteiligten zu 2) und 3) beantragen,
24den Beschluss des Arbeitsgerichts Wesel - 3 BV 30/06 - vom 17.10.2007 aufzuheben und den Antrag der Beteiligten zu 1) zurückzuweisen.
25Die Beteiligte zu 1) beantragt,
26die Beschwerden der Beteiligten zu 2) und 3) zurückzuweisen.
27Die Beteiligte zu 1) verteidigt in erster Linie den angefochtenen Beschluss und macht unter teilweiser Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vorbringens ergänzend geltend:
28Zutreffend habe die Vorinstanz erkannt, dass die Filialen zwar die Mitarbeiter, deren Einstellung beabsichtigt sei, aussuchen würden. Damit sei aber eine Einstellung noch nicht abgeschlossen. Die Entscheidung, ob ein Mitarbeiter dann tatsächlich eingestellt werde und zu welchen Konditionen, liege beim zuständigen Gebietsverkaufsleiter bzw. der Geschäftsführung in der Zentrale. Dies belege auch der erst in zweiter Instanz ihr zugegangene Arbeitsvertrag aus dem Jahre 2007. Vor Einleitung des streitgegenständlichen Beschlussverfahrens seien Einstellungsgespräche nur über den Gebietsverkaufsleiter geführt worden. Ebenso verhalte es sich mit der Beantragung und Genehmigung von Urlaub bis zum Jahre 2006. Wochenarbeitspläne seien bis 2006 sogar durch den Gebietsverkaufsleiter geschrieben worden.
29Wegen des sonstigen Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen wird ausdrücklich auf den Inhalt der Akte ergänzend Bezug genommen.
30II.
31Die Beschwerde der Beteiligten zu 2) und 3), gegen deren Zulässigkeit keinerlei Bedenken bestehen, ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat dem Antrag der Beteiligten zu 1), mit dem diese die am 05.09.2006 durchgeführte Betriebsratswahl angefochten hat, zu Recht stattgegeben. Bei der Wahl wurde gegen wesentliche Wahlgrundsätze verstoßen, da sie unter Verkennung des Betriebsbegriffs erfolgt ist.
321.Nach § 19 BetrVG kann die Betriebsratswahl u. a. von einer im Betrieb vertretenen Gewerkschaft (Abs. 2 Satz 1) innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses (Abs. 2 Satz 2) beim Arbeitsgericht angefochten werden, wenn gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren verstoßen worden ist und eine Berichtigung nicht erfolgt ist, es sei denn, dass durch den Verstoß das Wahlergebnis nicht geändert oder beeinflusst werden konnte (Abs. 1).
332.Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.
34a)Die Beteiligte zu 1), eine im Betrieb der Beteiligten zu 2) vertretene Gewerkschaft, hat die Betriebsratswahl vom 05.09.2006 rechtzeitig innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 19 Abs. 2 Satz 2 BetrVG angefochten. Das Wahlergebnis wurde am 06.09.2006 bekannt gegeben. Der Wahlanfechtungsantrag ging im Original am 20.09.2006 beim Arbeitsgericht ein.
35b)Bei der Betriebsratswahl wurde gegen wesentliche Wahlvorschriften verstoßen. Da jedenfalls die Filialen in der näheren Umgebung des Hauptsitzes der Beteiligten zu 2), nämlich in L.-M., N., S., E., O.-W., L., E., L., V., H. und H. nicht als selbstständige Betriebe i. S. von § 4 Abs. 1 Satz 1 BetrVG gelten, hätten die dort beschäftigten Arbeitnehmer/Arbeitnehmerinnen bei der Betriebsratswahl am 05.09.2006 teilnehmen dürfen.
36aa)Da keiner der Beteiligten geltend gemacht hat, dass es sich nicht zumindest bei bestimmten Filialen um einen selbstständigen Betrieb gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrVG handelt, stellen die Filialen somit jeweils einen Betriebsteil des Hauptbetriebes der Beteiligten zu 1) dar. In Abgrenzung zum Betrieb genügt für einen Betriebsteil ein Mindestmaß an organisatorischer Selbstständigkeit gegenüber dem Hauptbetrieb. Dazu reicht es aus, dass in der organisatorischen Einheit überhaupt eine den Einsatz der Arbeitnehmer bestimmende Leitung institutionalisiert ist, die Weisungsrechte des Arbeitgebers ausübt (st. Rspr., z. B. BAG 17.01.2007 - 7 ABR 63/05 - AP Nr. 18 zu § 4 BetrVG 1972). Hiervon ist vorliegend ohne weiteres auszugehen.
37bb)Ein Betriebsteil im vorstehenden Sinne wird aber erst dann gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 BetrVG zu einer betriebsratsfähigen Organisationseinheit, wenn er entweder räumlich weit vom Hauptbetrieb entfernt ist (§ 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG) oder durch Aufgabenbereich und Organisation eigenständig ist (§ 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BetrVG). Jedenfalls die bereits genannten Filialen in der näheren Umgebung des Hauptsitzes der Beteiligten zu 2) erfüllen keine der beiden vorgenannten Alternativen.
38(1.)Betriebsteile sind i. S. von § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG vom Hauptbetrieb räumlich weit entfernt, wenn wegen dieser Entfernung eine ordnungsgemäße Betreuung der Belegschaft des Betriebsteils durch einen beim Hauptbetrieb ansässigen Betriebsrat nicht mehr gewährleistet ist (st. Rspr., z. B. BAG 14.01.2004 - 7 ABR 26/03 - Rz. 21 juris; BAG 07.05.2008 - 7 ABR 15/07 - Rz. 26 juris m. w. N.). Der Zweck der Regelung des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG besteht darin, den Arbeitnehmern von Betriebsteilen eine effektive Vertretung durch einen eigenen Betriebsrat zu ermöglichen, wenn wegen der räumlichen Trennung des Hauptbetriebes von dem Betriebsteil die persönliche Kontaktaufnahme zwischen einem dortigen Betriebsrat und den Arbeitnehmern im Betriebsteil so erschwert ist, dass der Betriebsrat des Hauptbetriebes die Interessen der Arbeitnehmer nicht mit der nötigen Intensität und Sachkunde wahrnehmen kann und sich die Arbeitnehmer nur unter erschwerten Bedingungen an den Betriebsrat wenden können (st. Rspr., z. B. BAG 14.01.2004 - 7 ABR 26/03 - a. a. O. Rz. 21; BAG 07.05.2008 - 7 ABR 15/07 - a. a. O. Rz. 26) oder Betriebsratsmitglieder, die in dem Betriebsteil beschäftigt sind, kurzfristig zu Sitzungen im Hauptbetrieb kommen können. Maßgeblich ist also sowohl die leichte Erreichbarkeit des Betriebsrats aus Sicht der Arbeitnehmer wie auch umgekehrt die Erreichbarkeit der Arbeitnehmer für den Betriebsrat. Eine Bestimmung des unbestimmten Rechtsbegriffs allein nach Entfernungskilometern kommt nicht in Betracht. Es ist vielmehr eine Gesamtwürdigung aller Umstände vorzunehmen (st. Rspr., z. B. BAG 14.01.2004 - 7 ABR 26/03 - a. a. O. Rz. 21; BAG 07.05.2008 - 7 ABR 15/07 - a. a. O. Rz. 26).
39(2.)Das Arbeitsgericht ist, wenn auch nicht unter Hinweis auf die vorstehend wiedergegebene ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, von diesen Maßstäben ausgegangen und hat rechtsfehlerfrei angenommen, dass jedenfalls die von ihm im Einzelnen benannten, oben angeführten Filialen in der näheren Umgebung des Hauptbetriebes der Beteiligten zu 2) in L.-M. nicht, wie von § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG verlangt, räumlich weit entfernt von diesem sind. Dem haben die Beteiligten in ihrer Beschwerdebegründung nichts entgegen gehalten.
40(3.)Die danach nicht räumlich weit vom Hauptbetrieb entfernt liegenden Filialen sind auch nicht durch Aufgabenbereich und Organisation eigenständig gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BetrVG.
41(3.1)Zu einer eigenen betriebsverfassungsrechtlichen Einheit i. S. von § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BetrVG wird ein Betriebsteil i. S. von § 4 Abs. 1 Satz 1 BetrVG nur unter der zusätzlichen Voraussetzung, dass er durch Aufgabenbereich und Organisation eigenständig ist (st. Rspr., z. B. BAG 19.02.2002 - 1 ABR 26/01 - AP Nr. 13 zu § 4 BetrVG 1972; BAG 21.07.2004 - 7 ABR 57/03 - AP Nr. 15 zu § 4 BetrVG 1972). Dazu genügt eine relative Eigenständigkeit (BAG 29.01.1992 - 7 ABR 27/91 - EzA § 7 BetrVG 1972 Nr. 1; BAG 21.07.2004 - 7 ABR 57/03 - a. a. O.). Die in dem Betriebsteil vorhandenen Vertreter des Arbeitgebers müssen in der Lage sein, die Arbeitgeberfunktion in den wesentlichen Bereichen der betrieblichen Mitbestimmung wahrzunehmen (BAG 14.01.2004 - 7 ABR 26/03 - Rz. 29 juris; BAG 21.07.2004 - 7 ABR 57/03 - a. a. O.).
42(3.2)In Anwendung dieser Grundsätze ist das Arbeitsgericht ohne Rechtsfehler zu dem Ergebnis gelangt, dass die Filialen der Beteiligten zu 2) insgesamt, damit also auch die oben aufgeführten, räumlich nicht weit vom Hauptbetrieb liegenden Filialen der Beteiligten zu 2), nicht wie von § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BetrVG gefordert, durch Aufgabenbereich und Organisation nicht eigenständig sind. Dabei hat es dahinstehen lassen, ob die Filialen über einen eigenen Aufgabenbereich verfügen oder nicht. Es hat entscheidend darauf abgestellt, dass ein Betriebsteil dann als betriebsratsfähiger Betrieb gilt, wenn er nicht nur hinsichtlich seiner Funktion eine gewisse Eigenständigkeit hat, sondern auch hinsichtlich der betrieblichen Organisation. Hierbei ist die Vorinstanz richtigerweise zu dem Ergebnis gelangt, dass die Filialleiter bzw. Filialleiterinnen nicht in der Lage sind, die Arbeitgeberfunktion in den wesentlichen Bereichen der betrieblichen Mitbestimmung, nämlich in personellen und sozialen Angelegenheiten, wahrzunehmen. Dabei kommt es auf die Entscheidungsbefugnis, d. h. die Befugnis, in nach außen rechtsverbindlicher Weise über personelle und soziale Angelegenheiten der betrieblichen Mitbestimmung zu entscheiden, an (vgl. BAG 14.01.2004 - 7 ABR 26/03 - Rz. 30).
43(3.3)Soweit es um personelle Angelegenheiten geht, ist die Vorinstanz in korrekter Würdigung der Aussagen der erstinstanzlich vernommenen Zeugen zum Ergebnis gekommen, dass diese Entscheidungsbefugnis nicht bei den Filialleitern bzw. Filialleiterinnen liegt. So hat die Beweisaufnahme insbesondere erbracht, dass für Einstellungen und Entlassungen auf Filialebene nur Vorschläge gemacht werden können, die in der Praxis allerdings von der Geschäftsleitung bzw. den Gebietsverkaufsleitern/Gebietsverkaufsleiterinnen in der Regel befolgt werden. Rechtsverbindlich treffen jedoch die Filialleiter bzw. Filialleiterinnen deshalb nicht die Entscheidung über Einstellung oder Entlassung der in ihren Filialen beschäftigten Mitarbeiter, weil sie weder deren Arbeitsverträge noch deren Kündigung unterschreiben. Dies erledigt die Geschäftsführung bzw. die Gebietsverkaufsleiter.
44(3.4)Auch in der überwiegenden Mehrzahl der sozialen Angelegenheiten i. S. von § 87 BetrVG sind nicht die Filialleiter bzw. Filialleiterinnen, sondern die Geschäftsleitung bzw. die Gebietsverkaufsleiter. Die Entscheidungsbefugnis der Filialleiter/Filialleiterinnen der Beteiligten zu 3) erstreckt sich nach den Aussagen der erstinstanzlich vernommenen Zeugen allenfalls auf die Gestaltung von Wochenarbeitsplänen und auf die Erstellung des Urlaubsplans bzw. die Genehmigung von Urlaubsanträgen. Dabei handelt es sich aber nur um einen geringen Teilbereich der Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten, der für die Mitbestimmungsrechte des § 87 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 5 BetrVG von Bedeutung ist. Die Entscheidungsbefugnis der Filialleiter/Filialleiterinnen auf dem Gebiet der Personaleinsatzplanung bzw. Arbeitszeitgestaltung reicht aber nicht für die Feststellung aus, dass der genannte Personenkreis, wie von § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BetrVG gefordert, in der Lage ist, die Arbeitgeberfunktion in den wesentlichen Bereichen der betrieblichen Mitbestimmung, nämlich in personellen und sozialen Angelegenheiten, wahrzunehmen (vgl. Haas/Salamon, RdA 2008, 146; vgl. auch BAG 14.01.2004 - 7 ABR 26/03 - Rz. 29 juris). An dieser Feststellung ändert nichts der Umstand, dass die Filialleiter/Filialleiterinnen über die Verteilung der seitens der Zentrale der Beteiligten zu 2) zugeteilten Prämien selbstständig entscheiden können. Denn hierbei handelt es sich weder um einen Bereich der betrieblichen Mitbestimmung in personellen und sozialen Angelegenheiten.
453.Allein die Teilnahme an der in den oben genannten Filialen der Beteiligten zu 2) in der Nähe ihres Hauptbetriebes beschäftigten Arbeitnehmer/Arbeitnehmerinnen hätte das Ergebnis der Betriebsratswahl vom 05.09.2006 beeinflussen können. So hat die Beteiligte zu 1) unwidersprochen vorgetragen, dass allein in den 19 Filialen in L.-M., N., S. und O.-W. 150 Arbeitnehmer/Arbeitnehmerinnen beschäftigt sind. Allein deren Teilnahme hätte jedenfalls Einfluss auf das Ergebnis der Wahl haben können (vgl. § 19 Abs. 1 BetrVG).
46III.
47Die Kammer hat der Rechtssache im Hinblick auf die Bedeutung einer Filialstruktur im Rahmen des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BetrVG grundsätzliche Bedeutung beigemessen und die Rechtsbeschwerde deshalb für die Beteiligten zu 2) und 3) zugelassen.
48R E C H T S M I T T E L B E L E H R U N G :
49Gegen diesen Beschluss kann von den Beteiligten zu 2) und 3)
50R E C H T S B E S C H W E R D E
51eingelegt werden.
52Für die weiteren Beteiligten ist gegen die Entscheidung kein Rechtsmittel gegeben.
53Die Rechtsbeschwerde muss
54innerhalb einer Notfrist* von einem Monat
55nach der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Beschlusses schriftlich beim
56Bundesarbeitsgericht
57Hugo-Preuß-Platz 1
5899084 Erfurt
59Fax: 0361 2636 2000
60eingelegt werden.
61Die Rechtsbeschwerdeschrift muss von einem Bevollmächtigten unterzeichnet sein. Als Bevollmächtigte sind nur zugelassen:
621.Rechtsanwälte,
632.Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,
643.Juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in Nr. 2 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung der Mitglieder dieser Organisation oder eines anderen Verbandes oder Zusammenschlusses mit vergleichbarer Ausrichtung entsprechend deren Satzung durchführt und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
65In den Fällen der Ziffern 2 und 3 müssen die Personen, die die Rechtsbeschwerdeschrift unterzeichnen, die Befähigung zum Richteramt haben.
66Eine Partei, die als Bevollmächtigter zugelassen ist, kann sich selbst vertreten.
67* eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.
68gez.: Prof. Dr. Vossengez.: Welters gez.: Ophey
6911 TaBV 103/07
703 BV 30/06
71Arbeitsgericht Wesel
72LANDESARBEITSGERICHT DÜSSELDORF
73BESCHLUSS
74In dem Beschlussverfahren
75unter Beteiligung
761.des Betriebsrat der Firma C. GmbH, vertr. d. d. Betriebsratsvorsitzenden I. L., Krummensteg 135, 47475 L.-M.,
77- Antragsgegner und Beschwerdeführer -
78Verfahrensbevollmächtigte:Rechtsanwälte T.,
79Mühlenweg 13, 47608 H.,
802.der Gewerkschaft NGG Nahrung- Genuss- Gaststätten, vertr. d. d. geschäftsführenden Hauptvorstand G.-K. N., H. G., N. S., Haubachstr. 76, 22765 I.,
81- Antragstellerin und Beschwerdegegnerin -
82Verfahrensbevollmächtigte:Rechtsanwälte C. & X.,
83Marktstr. 16, 40213 Düsseldorf,
843.der C. GmbH, vertr. d. d. Geschäftsführer O. C., N. U., T. T., Krummensteg 135, 47475 L.-M.,
85- Beschwerdegegnerin -
86Verfahrensbevollmächtigte:Rechtsanwälte Dr. T. u. a.,
87N. Str. 299, 47475 L.-M.,
88hat die 11. Kammer des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf
89- ohne mündliche Verhandlung -
90durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Prof. Dr. Vossen
91b e s c h l o s s e n :
92Die Gründe des Beschlusses vom 04.09.2008 - 11 TaBV 103/07 - werden unter I. dahingehend berichtigt, dass auf Seite 3 dieses Beschlusses in der 5. Zeile von oben hinter räumlich und vor weit ergänzt wird:
93nicht.
94G R Ü N D E :
95Die o. g. Berichtigung beruht auf § 319 Abs. 1 ZPO i. V. m. § 495, § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG i. V. m. § 87 Abs. 2 Satz 1 ArbGG. Die Auslassung des Wortes nicht an der angegebenen Stelle stellt eine offenbare Unrichtigkeit i. S. von
96§ 319 Abs. 1 ZPO dar, da sich diese Auslassung unter I des Beschlusses vom 04.09.2008 in dem auf Seite 3 wiedergegebenen erstinstanzlichen Vorbringen des Beteiligten zu 1) befindet. Dieser hatte aber, wie auch im erstinstanzlichen Beschluss (Seite 3 3. Absatz, Zeile 5) richtig wiedergegeben, vorgetragen der Großteil der Filialen liege nicht räumlich weit vom Hauptbetrieb entfernt.
97R E C H T S M I T T E L B E L E H R U N G :
98Gegen diesen Beschluss ist kein Rechtsmittel gegeben.
99Düsseldorf, den 29.12.2008
100Der Vorsitzende der 11. Kammer
101gez.: Prof. Dr. Vossen
102Vorsitzender Richter am
103Landesarbeitsgericht