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Die Betriebspartner verstoßen gegen das in § 75 Abs. 2 BetrVG normierte Gebot, die freie Entfaltung der Persönlichkeit der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer zu schützen, wenn sie in einer Betriebsvereinbarung auch diejenigen Arbeitnehmer an den Kosten der Kantinenverpflegung beteiligen, die diese gar nicht in Anspruch genommen haben.
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts
Düsseldorf vom 08.12.1998 6 Ca 6482/98 abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin DM 219,-- nebst 4 %
Zinsen seit dem 01.08.1998 zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Die Revision wird zugelassen.
T A T B E S T A N D :
2Die Beklagte ist ein weltweit tätiges Catering-Unternehmen. Sie beliefert Fluggesellschaften und betreibt einen Party-Service. Die Klägerin ist als operative Mitarbeiterin bei einer monatlichen Bruttovergütung von etwa DM 2.850,-- im Betrieb der Beklagten am D. Flughafen tätig. Im Arbeitsvertrag der Parteien ist die Anwendung der gültigen Tarifverträge(n) ... Betriebsvereinbarungen und Regeln der Beklagten vorgesehen, ferner bargeldlose Lohnzahlung. Im D. Betrieb sind im Schnitt 460 Arbeitnehmer beschäftigt. Ein Betriebsrat ist eingerichtet.
3Für die Mitarbeiter der Beklagten hat diese im ersten Stockwerk ihres Produktionsgebäudes eine Kantine eingerichtet, die gleichzeitig Pausenraum ist. Bis zum 30.06.1998 war die Teilnahme der Mitarbeiter an den dort angebotenen Mahlzeiten wie folgt geregelt: Die Essensausgabe erfolgte von 06.00 Uhr bis 15.00 Uhr. Der Preis für eine Vollverpflegung (entweder Frühstück/Mittagessen oder Mittagessen/Vesper) betrug DM 7,20. Ein Frühstück allein kostete DM 2,60, das Mittagessen DM 4,60. Die Arbeitnehmer konnten sich zur ständigen Teilnahme an der Kantinenverpflegung anmelden. In diesem Fall wurde ihnen bei Anwesenheit im Betrieb der entsprechende Betrag von der Arbeitsvergütung abgehalten. Sie hatten auch die Möglichkeit, Essensmarken zu erwerben und damit, wenn sie wollten, von Fall zu Fall das Kantinenessen in Anspruch nehmen.
4Am 09.06.1998 schloß die Beklagte mit ihrem Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung, in der es u. a. heißt:
51.) Geltungsbereich
6Diese Betriebsvereinbarung gilt grundsätzlich für alle Mitarbeiter-/ innen des Betriebes D.. Ausnahmen werden einvernehmlich zwischen Betriebsrat und Betriebsleitung geregelt. Folgende Ausnahmen kommen in Betracht:
7- Teilzeitmitarbeiter/innen sind von der Volllverpflegung befreit;
8sie nehmen an dem Teil der Verpflegung teil, der in ihre Dienst-
9zeit fällt.
10- gesundheitliche Gründe, die zu einer gravierenden Einschrän-
11kung der Nahrungsmittel führen, die der/die Mitarbeiter/in ein-
12nehmen darf (Nachweis durch das Attest eines Facharztes).
13- ethnische Besonderheiten auf schriftlichen Antrag.
142.) Grundsatz
15Jeder Mitarbeiter-/in soll an Arbeitstagen in den Pausenzeiten
16ausreichend und angemessen verpflegt werden. Hierbei handelt
17es sich um eine Anwesenheitsverpflegung, die ausschließlich im
18Betrieb eingenommen werden darf.
193.) Verrechnung/Preis
20Jeder Mitarbeiter-/in nimmt an der Vollverpflegung (Frühstück/
21Mittag oder Vesper/Abendessen) teil.
22Der Preis für die MA-Vollverpflegung beträgt bei Einführung pro
23Tag:
24Vollzeit-MA DM 5,80
25Teilzeit-MA DM 2,95
26Mitarbeiter auf Abruf DM 5,80
27Mitarbeiter ohne Verpflegung:
28Getränkepauschale DM 2,95
29Die Verrechnung erfolgt über den Anwesenheitsnachweis durch HAM PV. Die Differenz zum jeweils gültigen Sachbezugswert ist individuell durch den Mitarbeiter-/in zu versteuern.
30Der Klägerin wurden für August 1998 entsprechend den Regelungen der Betriebsvereinbarung DM 52,20 und für September 1998 DM 121,80 von der jeweiligen Bruttovergütung abgezogen, ohne daß sie die Kantinenverpflegung in den vorgenannten Monaten in Anspruch genommen hätte. Ferner sind in der Abrechnung für August und September unter dem Stichwort Anwesenheitskost Beträge von DM 13,50 (August) und DM 31,50 (September) aufgeführt.
31Mit ihrer beim Arbeitsgericht Düsseldorf eingereichten und der Beklagten am 15.10.1998 zugestellten Klage verlangt die Klägerin als Restvergütung für die Monate August und September 1998 insgesamt DM 219,--.
32Die Klägerin hat geltend gemacht:
33Die in Rede stehenden Lohnabzüge seien zu Unrecht erfolgt. Zum einen habe sie weder im August noch im September 1998 die Kantinenverpflegung in Anspruch genommen. Zum anderen sei die Betriebsvereinbarung vom 09.06.1998 unwirksam. Sie verstoße gegen § 77 Abs. 3 BetrVG, weil § 26 MTV für die Mitarbeiter der Beklagten die feststehenden monatlichen Vergütungsbestandteile für den laufenden Monat in der Weise bargeldlos zu zahlen seien, daß sie am 27. eines jeden Monats dem Bank-
34oder sonstigen Konto des Mitarbeiters gutgeschrieben würden. Darüber hinaus bestehe kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats hinsichtlich der Kosten, die durch eine Regelung nach § 87 Abs. 1 BetrVG vereinbart würde. Desweiteren verletze die Betriebsvereinbarung das arbeitsvertragliche Günstigkeitsprinzip, da die bis zum 30.06.1998 in Geltung gewesene Regelung für die Arbeitnehmer günstiger gewesen sei. Schließlich handele es sich um eine unzulässige Lohnverwendungsbestimmung. Es müsse gewährleistet sein, daß der Arbeitnehmer frei darüber bestimmen könne, wie er seinen Lohn verwende und wie er seine Pausen verbringe.
35Die Klägerin hat beantragt,
36die Beklagte zu verurteilen, an sie DM 219,-- nebst 4 % Zinsen seit dem 01.08.1998 zu zahlen.
37Die Beklagte hat beantragt,
38die Klage abzuweisen.
39Die Beklagte hat u. a. vorgetragen:
40Die Betriebsvereinbarung vom 09.06.1998 sei zustande gekommen, weil sich immer wieder Mitarbeiter über die Kantinenverpflegung beschwert hätten. Die Lebensmittel, die in der Mitarbeiterverpflegung verwendet worden seien, hätten zum großen Teil aus Lager- und Restbeständen der Flugmarktproduktion bestanden. Die Zahl der Teilnehmer an der Verpflegung habe stark geschwankt. Durch die neue Betriebsvereinbarung sei es - aufgrund der größeren Planungssicherheit - möglich, die Lebensmittel speziell für die Mitarbeiterverpflegung einzukaufen und dadurch nicht nur die Qualität zu verbessern, sondern gleichzeitig den Preis zu senken. Die Betriebsvereinbarung sei auch rechtlich nicht zu beanstanden. Die Beköstigung der Mitarbeiter liege in deren ureigenstem Interesse. Das Gesetz gebe den Betriebspartnern gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 8 BetrVG ausdrücklich die Möglichkeit, Sozialeinrichtungen einzuführen. Ein Verstoß gegen § 77 Abs. 3 BetrVG liege nicht vor, da die anwendbaren Tarifverträge keine Regelungen über Mitarbeiterverpflegung enthalten würden und die Betriebsvereinbarung auch nicht als eine Vergütungsregelung anzusehen sei.
41Das Arbeitsgericht hat nach in Augenscheinnahme der Kantine am 08.12.1998 durch ein am gleichen Tag verkündetes Urteil die Klage abgewiesen und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt:
42Die von der Klägerin beanstandete Regelung in Ziffer 3 vorletzter und letzter Satz der Betriebsvereinbarung vom 09.06.1998, wonach die Beklagte die Verrechnung des in der Betriebsvereinbarung vorgesehenen Preises und die Versteuerung der Differenz zum Sachbezugswert vorgenommen habe, hätten die Betriebspartner nach § 87 Abs. 1 Nr. 8, Nr. 10 und Nr. 4 BetrVG treffen dürfen. Ihre Regelungskompetenz sei nicht entsprechend dem Eingangssatz des § 87 Abs. 1 BetrVG durch eine bestehende gesetzliche oder tarifliche Regelung ausgeschlossen.
43Zum einen würde § 115 Abs. 1 GewO allein die Frage der Zulässigkeit einzelvertraglicher Abreden zwischen dem einzelnen Arbeitnehmer und dem Arbeitgeber, nicht aber die Frage der Zulässigkeit kollektiv-rechtlicher Bestimmungen regeln. Abgesehen davon lasse § 115 Abs. 2 GewO es ausdrücklich zu, daß Gewerbetreibende den Arbeitnehmern regelmäßige Beköstigung ... für den Betrag der durchschnittlichen Selbstkosten unter Anrechnung der Lohnzahlung verabfolgen . Zum anderen würden die von der Klägerin herangezogenen Tarifbestimmungen, wie § 26 MTV, der zwischen den Parteien streitigen Regelung in der Betriebsvereinbarung nicht entgegenstehen. Schließlich würden diese nicht gegen § 75 Abs. 2 BetrVG verstoßen. Zwar würde den Arbeitnehmern die Verfügungsgewalt über einen - wenn auch geringen - Teil ihrer Arbeitsvergütung genommen und ein indirekter Druck ausgeübt, sich im privaten Bereich (Ernährung) in einer bestimmten Weise zu verhalten, nämlich gewisse Speisen zu sich zu nehmen und dies zu gewissen Zeiten und an einem bestimmten Ort zu erledigen. Für diese ihnen zugemutete Belastung würden die Arbeitnehmer jedoch eine Gegenleistung erhalten, die den Wert der Belastung - lege man ortsübliche Preisverhältnisse zugrunde - bei weitem, nämlich um gewiß mehr als das doppelte bis dreifache übersteigen würden. Der Klägerin könnten die von ihr beklagten Nachteile , die darin beständen, reichhaltiges, gutes Essen zu konkurrenzlos günstigen Preisen angeboten zu bekommen, im Interesse der Solidargemeinschaft zugemutet werden.
44Gegen das ihr am 08.01.1999 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf hat die Klägerin mit einem beim Landesarbeitsgericht am 06.02.1999 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 22.03.1999 mit einem bei Gericht am 18.03.1999 eingereichten Schriftsatz begründet.
45Unter teilweiser Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vorbringens macht die Klägerin geltend:
46Durch die Betriebsvereinbarung vom 09.06.1998 sei die Pflicht der Arbeitnehmer begründet, einen bestimmten Kantinenpreis zu zahlen. Gleichzeitig werde ein Verrechnungsmodus nach dem Willen der Betriebspartner vereinbart. Die Pflichtteilnahme der Arbeitnehmer an den Kosten der Sozialeinrichtung und die Lohnverwendungsklausel falle weder unter Form noch Ausgestaltung noch Verwaltung von Sozialeinrichtungen nach § 87 Abs. 1 Nr. 8 BetrVG.
47Die Klägerin beantragt,
48das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 08.12.1998
49- 6 Ca 6482/98 - abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, DM 219,-- nebst 4 % Zinsen an sie zu zahlen.
50Die Beklagte beantragt,
51die Berufung zurückzuweisen.
52Die Beklagte verteidigt in erster Linie das angefochtene Urteil und führt unter teilweiser Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vorbringens aus:
53Die in der Betriebsvereinbarung vom 09.06.1998 geregelte Kostentragungspflicht, könne auf eine Annexkompetenz des Betriebsrats aus der Regelung über eine Sozialeinrichtung nach § 87 Abs. 1 Nr. 8 BetrVG zurückgeführt werden. Darüber hinaus sei die Verrechnungsregelung dem Kompetenztitel des § 87 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG sowie des
54§ 88 BetrVG zuzurechnen. Die Betriebsvereinbarung vom 09.06.1998 verstoße nicht gegen § 75 Abs. 2 BetrVG. Die Lohnverwendungsbestimmung verletzte nur dann das allgemeine Freiheitsrecht der Arbeitnehmer, wenn ihnen für diese Bestimmung nicht zumindest ein gleichwertiger privatwirtschaftlicher Interessen dienender Vorteil gegenüberstehe.
55Dies sei vorliegend der Fall. Für den Unkostenbeitrag in Höhe von DM 5,70 würden die Arbeitnehmer einen Vorteil erhalten, der vom materiellen Wert her betrachtet den Unkostenbeitrag um ein Vielfaches übersteige. Die Lohnverwendungsbestimmung beschränke daher die Arbeitnehmer zwar in einem verhältnismäßig geringen Anteil (0,204 % des Bruttolohnes) über seinen Lohn zu verfügen. Auf der anderen Seite erhalte der Arbeitnehmer die Möglichkeit, eine qualitativ hochwertige Verpflegung an einem Ort zu erhalten, den er ohne Probleme von seinem Arbeitsplatz in wenigen Minuten erreichen könne. Den Arbeitnehmern der Beklagten bleibe damit erspart, entweder in ihrer Freizeit selber für ihre Verpflegung zu sorgen oder während der Pause einen längeren Zeitraum darauf zu verwenden, der eigenwirtschaftlichen Tätigkeit der Nahrungsaufnahme nachzugehen.
56Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitgegenstandes wird auf den übrigen Inhalt der Akte ergänzend Bezug genommen.
57E N T S C H E I D U N G S G R Ü N D E :
58A.
59Die Berufung der Klägerin, gegen deren Zulässigkeit keine Bedenken bestehen, ist begründet. Zu Unrecht hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen.
60I. Der Klägerin steht die von ihr begehrte Restvergütung für die Monate August und September 1998 in Höhe von insgesamt DM 219,-- gemäß § 611 Abs. 1 BGB zu. Dieser Anspruch ist nicht etwa, wie anscheinend die Vorinstanz stillschweigend annimmt, durch die in Ziffer 3 a. E. der Betriebsvereinbarung vom 09.06.1998 enthaltene Verrechnungsregelung, von der die Beklagte Gebrauch gemacht hat, gemäß § 389 BGB erloschen. Der Beklagten steht schon keine zur Verrechnung bzw. Aufrechnung geeignete Forderung ihrerseits gegen die Klägerin (vgl. § 387 BGB) zu.
611. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz und der Beklagten kann diese sich für die von ihr dem Lohnanspruch der Klägerin entgegengesetzte Forderung nicht auf Ziffer 3 der Betriebsvereinbarung vom 09.06.1998 berufen, da die Klägerin überhaupt nicht an der Kantinenverpflegung in den Monaten August und September 1998 teilgenommen hat und somit eine Verrechnung mit offenen Lohnansprüchen ausscheidet.
62Die entgegengesetzte in der Betriebsvereinbarung enthaltene Regelung ist unwirksam. Dabei kann dahinstehen, ob die Betriebsparteien überhaupt nach § 87 Abs. 1 Nr. 8 (Annexregelung), Nr. 10 bzw. Nr. 4 BetrVG zur streitbefangenen Regelung befugt waren. Die Betriebspartner haben jedenfalls dadurch, daß sie den Arbeitnehmern, die die Kantinenverpflegung überhaupt nicht in Anspruch nehmen, dennoch eine Kostentragungspflicht auferlegt haben, gegen § 75 Abs. 2 BetrVG verstoßen.
632. Gemäß § 75 Abs. 2 BetrVG haben Arbeitgeber und Betriebsrat die freie Entfaltung der Persönlichkeit der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer zu schützen und zu fördern. Die Vorschrift verpflichtet die Betriebspartner zur Wahrung der grundrechtlich geschützten Freiheitsrechte. Das macht schon der an Art. 2 Abs. 1 GG orientierte Wortlaut deutlich (BAG v. 21.08.1990 - 1 AZR 567/89 - EzA § 87 BetrVG 1972 Betriebliche Ordnung Nr. 16; ErfKomm/Dieterich, Vorb. GG Rz. 66). Art. 2 Abs. 1 GG erfaßt nicht nur einen absolut geschützten Kernbereich privater Lebensgestaltung, sondern schützt jede Form menschlichen Verhaltens ohne Rücksicht darauf, welches Gewicht der Betätigungsfreiheit für die Persönlichkeitsentfaltung zukommt (vgl. nur BVerfGE 90, 145, 171 ff.).
64Die über den Kernbereich der Persönlichkeit hinausgehende allgemeine Handlungsfreiheit wird allerdings nur in den Schranken der verfassungsmäßigen Ordnung gewährleistet. Diese wird bestimmt durch die Gesamtheit der Normen, die formell und materiell der Verfassung gemäß sind. Dazu gehören auch die von den Betriebspartnern im Rahmen ihrer Regelungskompetenz abgeschlossenen Betriebsvereinbarungen (BAG v. 21.08.1990 - 1 AZR 567/89 - a. a. O.). Für diese bestimmt aber § 75 Abs. 2 BetrVG ausdrücklich, daß sich die Betriebspartner bei der Wahrnehmung ihrer Regelungskompetenz an dem Recht der Arbeitnehmer auf freie Entfaltung der Persönlichkeit zu orientieren und diese zu schützen haben. Diese Verpflichtung stellt also eine Schranke für die Wahrnehmung der Regelungsbefugnis und damit für den Inhalt der Regelung dar (BAG v. 21.08.1990 - 1 AZR 567/89 - a. a. O.; BAG v. 19.01.1999 - 1 AZR 499/98 - DB 1999, 962, 963).
653. Die Pflicht der Betriebspartner, die freie Entfaltung der Persönlichkeit des Arbeitnehmers zu schützen, verbietet nicht jede Betriebsvereinbarung, die zu einer Einschränkung der allgemeinen Handlungsfreiheit führt. Das zulässige Ausmaß einer Beschränkung der allgemeinen Handlungsfreiheit bestimmt sich vielmehr nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (BVerfGE 90, 145, 173). Dieser Grundsatz konkretisiert auch die den Betriebspartnern gemäß § 75 Abs. 2 BetrVG auferlegte Verpflichtung. Danach muß die von ihnen getroffene Regelung geeignet, erforderlich und unter Berücksichtigung der gewährleisteten Freiheitsrechte angemessen sein, um den erstrebten Zweck zu erreichen. Geeignet ist die Regelung dann, wenn mit ihrer Hilfe der erstrebte Erfolg gefördert werden kann. Erforderlich ist sie, wenn kein anderes, gleich wirksames, aber die Handlungsfreiheit weniger einschränkendes Mittel zur Verfügung steht. Angemessen ist sie, wenn sie verhältnismäßig im engeren Sinne erscheint. Es bedarf hier einer Gesamtabwägung zwischen der Intensität des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe. Die Grenze der Zumutbarkeit darf nicht überschritten werden (BAG v. 19.01.1999 - 1 AZR 499/98 - a. a. O., m. w. N.).
664. Die hier zu beurteilende Kostentragungspflicht ohne Inanspruchnahme der Kantinenverpflegung hält einer Überprüfung anhand dieser Vorgaben nicht stand.
67a) Aufgrund der aus der Betriebsvereinbarung folgenden unbedingten Verpflichtung, sich an den Kosten der Kantinenverpflegung auch dann zu beteiligen, wenn man sie gar nicht in Anspruch nimmt, und der darauf basierenden Verrechnungsregelung wird einem solchen Arbeitnehmer zwingend vorgeschrieben, wie er einen Teil seines Lohnes zu verwenden hat.
68Er hat die in Ziffer 3 der Betriebsvereinbarung niedergelegten Beträge für Kantinenverpflegung auszugeben, ob er will oder nicht und obwohl er hierzu individualrechtlich - so jedenfalls die Klägerin - hierzu nicht verpflichtet ist.
69Die Betriebsvereinbarung führt damit im Ergebnis dazu, daß die dem Arbeitnehmer grundsätzlich zustehende Freiheit, über seinen Lohn nach freiem Belieben verfügen zu können, eingeschränkt wird. Eine solche Lohnverwendungsbestimmung ist jedoch unzulässig (BAG v. 01.12.1992 - 1 AZR 260/92 - EzA § 87 BetrVG 1972 Betriebliche Ordnung Nr. 20 m. w. N.).
70b) Dem steht nicht entgegen, daß die in der Betriebsvereinbarung geregelte Kostenbeteiligung rein wirtschaftlich betrachtet möglicherweise nicht unangemessen ist. Entscheidend ist vielmehr, daß durch die zwingende Kostenbeteiligung die Verfügungsbefugnis des Arbeitnehmers über seine Arbeitsvergütung eingeschränkt wird. Ob und wie er seinen Lohn verwenden will, entscheidet er selbst. Die Einschränkung der Verfügungsbefugnis über sein Entgelt ist zumindest immer dann eine ungünstige Regelung, wenn die Gegenleistung des Arbeitgebers - hier die Gestellung eines preiswerten Mittagessens - allein in dessen Interesse erfolgt. Letzteres ist jedenfalls dann der Fall, wenn der Arbeitnehmer, um dessen Lohnverwendung es geht, diesen Vorteil überhaupt nicht in Anspruch nimmt.
71b) Soweit die Betriebspartner mit der Beteiligung an den Kosten der Kantinenverpflegung auch ohne ihre Inanspruchnahme erreichen wollen, daß sich alle Arbeitnehmer an der Kantinenverpflegung beteiligen und dadurch für den Arbeitgeber beim Einkauf der Speisen und Getränke Planungssicherheit und sich beim Verkauf dieser Waren im Rahmen des Kantinenverkaufs günstige Preise für die Arbeitnehmer erzielen lassen, fehlt den Betriebspartnern dafür schon die notwendige Regelungsbefugnis. Sie haben nämlich kein Recht, in die private Lebensführung der Arbeitnehmer einzugreifen. Hierzu gehören aber gerade Art, Ort und Zeitpunkt der Essensaufnahme.
72Ein zumindest mittelbarer Zwang, an der Kantinenverpflegung teilzunehmen, wird auf die hieran nicht interessierten Arbeitnehmer, wie die Klägerin, dadurch ausgeübt, daß sie entgegen ihrem eigentlichen Willen doch an dieser Verpflegung teilnehmen, um so wenigstens eine Gegenleistung für die Kostenbeteiligung zu erhalten.
73Ein derartiger Zwang zu Art, Ort und Zeitpunkt der zumindest auch vom Arbeitgeber gewünschten Nahrungsaufnahme ist im übrigen unabhängig von der fehlenden Regelungskompetenz der Betriebspartner auch als unverhältnismäßig anzusehen. Er griffe über den Bereich der allgemeinen Handlungsfreiheit hinaus intensiv in den engeren Bereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, nämlich insbesondere über Art und Weise und Zeitpunkt der Ernährung selbst zu bestimmen, ein (vgl. in diesem Zusammenhang auch BAG v. 19.01.1999 - 1 AZR 499/98 - a. a. O.). Das wird besonders deutlich, wenn man an den Arbeitnehmer denkt, der nur deshalb mittags an dem Kantinenessen nicht teilnehmen will, weil er mit seinem Ehe- oder Lebenspartner am Abend zusammen eine warme Mahlzeit einnehmen will.
74II.
75Der Zinsanspruch rechtfertigt sich aus § 288 Abs. 1 Satz 1 BGB i. V. m. §§ 284 Abs. 2 Satz 1, 614 Satz 2 BGB.
76B.
77Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO i. V. m. § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG.
78Die Kammer hat der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung zugemessen und deshalb die Revision nach § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG für die Beklagte zugelassen.
79RECHTSMITTELBELEHRUNG
80Gegen dieses Urteil kann von der Beklagten
81REVISION
82eingelegt werden.
83Für die Klägerin ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.
84Die Revision muß
85innerhalb einer Notfrist von einem Monat
86nach der Zustellung dieses Urteils schriftlich beim
87Bundesarbeitsgericht,
88Graf-Bernadotte-Platz 5,
8934119 Kassel,
90eingelegt werden.
91Die Revision ist gleichzeitig oder
92innerhalb eines Monats nach ihrer Einlegung
93schriftlich zu begründen.
94Die Revisionsschrift und die Revisionsbegründung müssen von einem bei einem deutschen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet sein.
95gez.: Dr. Vossen gez.: Pielen gez.: Paschy