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Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger rückständiges Ruhegeld für die Zeit vom 01.05.2023 bis 31.10.2023 in Höhe von 10.527,06 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz fortlaufend aus einem Betrag in Höhe von 1.754,51 € seit dem 02.05.2023 und aus jeweils weiteren 1.754,51 € seit jeweils dem 2. der Folgemonate bis einschließlich 02.10.2023 zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger künftig ein monatliches Ruhegeld in Höhe von 1.754,51 € brutto zu zahlen.
Die Kosten trägt die Beklagte.
Streitwert: 63.162,36 €.
T a t b e s t a n d:
2Die Parteien streiten darüber, ob dem Kläger ein Anspruch auf eine Betriebsrente zusteht.
3Der am N. geborene Kläger war ab 1979 bei der Beklagten beschäftigt. Ab 01.01.2017 war er aufgrund einer Vereinbarung der Parteien entsprechend einer Vorschrift eines auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren Haustarifvertrags (Manteltarifvertrag) beurlaubt. Seit dem 01.05.2023 bezieht er eine gesetzliche Altersrente für langjährig Versicherte als Vollrente. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist dadurch beendet.
4Die Beklagte sagte dem Kläger eine betriebliche Altersversorgung nach dem Prinzip der Gesamtversorgung zu. Diese Gesamtversorgung setzt sich neben der gesetzlichen Altersrente aus einer von der Pensionskasse der Beklagten gezahlten Pension sowie einem sog. Ruhegeld zusammen. Voraussetzungen und Höhe des Anspruchs auf ein Ruhegeld sind in einem Haustarifvertrag geregelt, dem Tarifvertrag über die betriebliche Alters- und Hinterbliebenenversorgung (TV AltV). Teil 5 des TV AltV enthält u.a. folgende Regelungen:
53 Anspruch auf Betriebliche Alters- und Hinterbliebenenversorgung
6(1) Beschäftigten, deren Arbeitsverhältnis nach einer ununterbrochenen Beschäftigungszeit bei der BARMER GEK (einschließlich Ausbildungszeit) von mindesten 10 Jahren wegen des Eintritts des Versorgungsfalles endet und die unmittelbar im Anschluss an die Beendigung des Arbeitsverhältnisses Altersrente als Vollrente oder Rente wegen Erwerbsminderung aus der gesetzlichen Rentenversicherung und Pension aus der Pensionskasse erhalten, wird nach den Bestimmungen dieses Teils ein Ruhegeld gewährt. Das gilt entsprechend, wenn die/der Beschäftigte anstelle der Pension aus der Pensionskasse Leistungen einer anderen Versorgungseinrichtung erhält, weil sie/er sich nach altem Recht von der Pflicht zur Zusatzversicherung in der Pensionskasse hatte befreien lassen.
7Der Versorgungsfall tritt bei einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses gem. Nm. 5.1, 5.2, 6.4, 6.5 MTV ein.
8…
94 Leistungen der betrieblichen Altersversorgung
10(1) Im Rahmen der betrieblichen Altersversorgung wird zusätzlich zu der Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung und Pension aus der Pensionskasse bzw. den Leistungen einer anderen Versorgungseinrichtung anstelle der Pensionskasse ein Ruhegeld gezahlt.
11…
1215 Entfallen des Ruhegeldes in besonderen Fällen
13…
14(2) Bei Ruhegeldempfängerinnen/Ruhegeldempfängern, die das Ruhegeld vor Erreichen der in der gesetzlichen Rentenversicherung für die Regelaltersrente vorgesehenen Altersgrenze in Anspruch genommen haben, wird, soweit eine Sonderregelung nicht besteht, Erwerbseinkommen und kurzfristiges Erwerbsersatzeinkommen (§§ 18a, 18a Abs. 3 nr. 1 SGB VI) insoweit auf das Ruhegeld angerechnet, wie die Summe aus Erwerbseinkommen, kurzfristigem Erwerbsersatzeinkommen, anrechnungsfähigen Renten und Bezügen gemäß Nr. 5 Absatz 5 und dem Ruhegeld 85 v. H. des ruhegehaltsfähigen Bruttogehalts gemäß Nr. 5 Absatz 3 übersteigt. Hierbei wird das ruhegehaltsfähige Bruttogehalt bei allgemeinen tariflichen Gehaltsänderungen um die für die Vergütungsgruppe 1 tariflich vereinbarten prozentualen Erhöhungen angepasst.
15…
1617 Verfahren
17(1) Bei Eintritt des Versorgungsfalles erhält die/der Anspruchsberechtigte eine schriftliche Mitteilung über die Gewährung und die Höhe des Ruhegeldes. Die Auszahlung erfolgt nur, wenn von der/dem Anspruchsberechtigten eine Einverständniserklärung nachstehenden Inhalts abgegeben wurde:
18„Von den Bestimmungen des Teils 5 über die betriebliche Alters- und Hinterbliebenenversorgung habe ich in allenteilen Kenntnis genommen. Ich erkläre mich ausdrücklich damit einverstanden, dass die Bestimmungen dieses Teils und auch etwaige spätere Änderungen für die Ruhegeldzahlung an mich maßgebend sind. Dies gilt nicht im Falle der Nr. 18“.
19Die Beklagte teilte dem Kläger mit, dass sein monatliches Ruhegeld ab Mai 2023 1.754,51 € brutto betragen würde, bat ihn um Auskunft über etwaigen anderweitigen Verdienst und forderte ihn zur Unterzeichnung einer Einverständniserklärung nach Ziff. 17 Abs. 1 TV AltV Teil 5 auf. Der Kläger übt eine Tätigkeit beim Z. aus. Hierzu übersandte er der Beklagten eine Entgeltabrechnung für Januar 2023, die ein Bruttomonatsgehalt von 3.005,84 € ausweist. Die Einverständniserklärung unterzeichnete er nicht. Die Beklagte lehnte daraufhin die Zahlung des Ruhegeldes wegen der Anrechnung anderweitigen Erwerbseinkommens gemäß Ziff. 15 Abs. 2 TV AltV Teil 5 ab.
20Der Kläger macht mit der vorliegenden Klage einen Anspruch auf Zahlung von Ruhegeld in Höhe von 1.751,54 € brutto monatlich ab Mai 2023 geltend. Er meint, ihm stehe neben der gesetzlichen Altersrente und der von der Pensionskasse gezahlten Pension auch ein Ruhegeld nach TV AltV Teil 5 zu, ohne dass die Beklagte berechtigt wäre, seinen anderweitigen Verdienst anzurechnen. Der Gesetzgeber habe mit der Änderung des § 6 BetrAVG geregelt, dass die Hinzuverdienstgrenzen ab dem 01.01.2023 so wie bei der gesetzlichen Altersrente auch bei der Betriebsrente wegfallen sollen. Die dem entgegenstehende tarifvertragliche Vorschrift der Beklagten sei daher gemäß § 19 BetrAVG unwirksam.
21Der Kläger beantragt,
221. die Beklagte zu verurteilen, an ihn rückständiges Ruhegeld für die Zeit vom 01.05.2023 bis 31.10.2023 in Höhe von 10.527,06 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz fortlaufend aus einem Betrag in Höhe von 1.754,51 € seit dem 02.05.2023 und aus jeweils weiteren 1.754,51 € seit jeweils dem 02. der Folgemonate bis einschließlich 02.10.2023 zu zahlen;
232. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm künftig ein monatliches Ruhegeld in Höhe von 1.754,51 € brutto zu zahlen.
24Die Beklagte beantragt,
25die Klage abzuweisen.
26Sie meint, gemäß Ziff. 15 Abs. 2 TV AltV Teil 5 zur Anrechnung anderweitigen Erwerbseinkommens auf das Ruhegeld weiterhin berechtigt zu sein. Der Gesetzgeber habe die Anrechnung von Hinzuverdienst bei Betriebsrenten nicht untersagt.
27Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und den gesamten weiteren Akteninhalt Bezug genommen.
28E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
29I.
30Der Klageantrag zu 1. ist begründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte für die Monate Mai 2023 bis Oktober 2023 einen Anspruch auf Zahlung von Ruhegeld in Höhe von 1.754,51 € brutto monatlich nebst Zinsen.
311.
32Grundlage des Anspruchs ist Ziff. 3 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 TV AltV Teil 5. Die dort geregelten grundsätzlichen Voraussetzungen des Anspruchs (persönliche Voraussetzungen; Eintritt des Versorgungsfalls) stehen zwischen den Parteien nicht im Streit, ebenso wenig wie die Höhe des monatlichen Ruhegelds und die Tatsache, dass im Falle einer Anrechnung des anderweitigen Erwerbseinkommens des Klägers nach Ziff. 15 Abs. 2 TV AltV Teil 5 sein Ruhegeldanspruch vollständig wegfiele.
332.
34Das anderweitige Erwerbseinkommen des Klägers ist jedoch nicht anzurechnen. Die Regelung der Ziff. 15 Abs. 2 TV AltV Teil 5 kann nicht zu seinen Lasten angewendet werden, weil § 6 BetrAVG in der seit 01.01.2023 geltenden Fassung keine Anrechnung von Hinzuverdienst bei der Inanspruchnahme von Leistungen der betrieblichen Altersversorgung vor dem Erreichen der für die gesetzliche Altersrente geltenden Regelaltersgrenze mehr vorsieht und es sich hierbei um keine gesetzliche Vorschrift handelt, von der nach § 19 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 BetrAVG durch Tarifvertrag abgewichen werden könnte.
35a.
36Die mit Wirkung ab 01.01.2023 in Kraft getretenen Gesetzesänderungen zur Anrechnung von Hinzuverdienst auf Altersrenten stellen sich wie folgt dar:
37aa.
38Nach § 42 SGB VI können Versicherte die gesetzliche Altersrente in voller Höhe (Vollrente) oder als Teilrente in Anspruch nehmen.
39§ 34 SGB VI in der bis 31.12.2022 gültigen Fassung gewährte den Versicherten nach Abs. 2 vor Erreichen der Regelaltersgrenze nur dann einen Anspruch auf eine gesetzliche Altersrente als Vollrente, wenn die kalenderjährliche Hinzuverdienstgrenze von 6.300,00 € nicht überschritten wurde. Bei Überschreiten dieser Hinzuverdienstgrenze bestand nach § 34 Abs. 3 Satz 1 SGB VI nur ein Anspruch auf Teilrente. Im Folgenden fanden sich Regelungen zur Berechnung der Teilrente und des anzurechnenden Hinzuverdienstes.
40Mit Wirkung ab 01.01.2023 sind in § 34 SGB VI die Regelungen zu Hinzuverdienstgrenzen bei vorgezogener Inanspruchnahme der gesetzlichen Altersrente vollständig weggefallen.
41In der Gesetzesbegründung (Entwurf eines Achten Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze, BR-Drucks. 422/22, dort zu Artikel 7, S. 109) heißt es hierzu:
42Zu Nummer 4 (34)
43Die Hinzuverdienstgrenze bei vorgezogenen Altersrenten wird aufgehoben. Mit dem Bezug einer Altersrente kann nunmehr – wie bereits heute schon ab Erreichen der Regelaltersgrenze – hinzuverdient werden, ohne dass es zu einer Anrechnung auf die Rente kommt. Durch die damit einhergehende Flexibilität beim Übergang vom Erwerbslegen in den Ruhestand kann ein Betrag geleistet werden, dem bestehenden Arbeits- und Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Gleichzeitig wird durch den Wegfall das bestehende Recht vereinfacht und Bürokratie insbesondere bei den Trägern der gesetzlichen Rentenversicherung abgebaut.
44bb.
45§ 6 BetrAVG lautete in der bis 31.12.2022 gültigen Fassung:
46„Einem Arbeitnehmer, der die Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung als Vollrente in Anspruch nimmt, sind auf sein Verlangen nach Erfüllung der Wartezeit und sonstiger Leistungsvoraussetzungen Leistungen der betrieblichen Altersversorgung zu gewähren. Fällt die Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung wieder weg oder wird sie auf einen Teilbetrag beschränkt, so können auch die Leistungen der betrieblichen Altersversorgung eingestellt werden. Der ausgeschiedene Arbeitnehmer ist verpflichtet, die Aufnahme oder Ausübung einer Beschäftigung oder Erwerbstätigkeit, die zu einem Wegfall oder zu einer Beschränkung der Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung führt, dem Arbeitgeber oder sonstigen Versorgungsträger unverzüglich anzuzeigen.“
47Seit dem 01.01.2023 hat § 6 BetrAVG folgenden Wortlaut:
48„Einem Arbeitnehmer, der die Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung als Vollrente in Anspruch nimmt, sind auf sein Verlangen nach Erfüllung der Wartezeit und sonstiger Leistungsvoraussetzungen Leistungen der betrieblichen Altersversorgung zu gewähren. Wird die Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung auf einen Teilbetrag beschränkt, können die Leistungen der betrieblichen Altersversorgung eingestellt werden. Der ausgeschiedene Arbeitnehmer ist verpflichtet, eine Beschränkung der Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung dem Arbeitgeber oder sonstigen versorgungsträge unverzüglich anzuzeigen.“
49In der Gesetzesbegründung (BR-Drucks. 422/22, S. 129) wird hierzu ausgeführt:
50„Es handelt sich um eine Folgeänderung zu Artikel 7 Nummer 4. Mit dem Wegfall der Hinzuverdienstgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung können Altersrenten künftig nicht mehr wegen Überschreitung dieser Grenzen wegfallen.“
51b.
52Unter Berücksichtigung dieser Gesetzesänderung ist anzunehmen, dass der Gesetzgeber die Möglichkeit einer Anrechnung von Hinzuverdienst bei vorzeitiger Inanspruchnahme einer Altersrente auch für den Bereich der betrieblichen Altersversorgung abgeschafft hat, indem er in § 6 BetrAVG die für diesen Bereich bis 31.12.2022 geltende Anknüpfung an die entsprechende Anrechnungsvorschrift im Bereich der gesetzlichen Altersrente (§ 34 SGB VI) gestrichen hat.
53aa.
54Schon der ab dem 01.01.2023 geltende Wortlaut des § 6 BetrAVG spricht für ein solches Verständnis der Gesetzeslage.
55(1).
56So hat der Begriff der Vollrente in § 6 Satz 1 BetrAVG durch die Änderung der Voraussetzungen des Bezugs einer Vollrente vor Erreichen der gesetzlichen Regelaltersgrenze in § 34 SGB VI eine andere Bedeutung erhalten. Bis zum 31.12.2022 ergab sich aus § 6 Satz 1 BetrAVG i.V.m. § 34 Abs. 2 ff. SGB VI, dass ein gesetzlich abgesicherter Anspruch auf eine vorgezogene betriebliche Altersrente – vorbehaltlich der Erfüllung der Wartezeit und sonstiger Leistungsvoraussetzungen – nur dann bestand, wenn der frühere Arbeitnehmer die Hinzuverdienstgrenze des § 34 Abs. 2 SGB VI nicht überschritten hatte. Denn bei einem höheren Hinzuverdienst konnte er aus der gesetzlichen Rentenversicherung keine Vollrente beziehen, die § 6 Satz 1 BetrAVG als Voraussetzung des Anspruchs auf eine vorgezogene betriebliche Altersrente aufstellte. Diese Voraussetzung ist in § 6 Satz 1 BetrAVG dadurch ersatzlos weggefallen, dass ein Hinzuverdienst unabhängig von seiner Höhe den Bezug einer Vollrente nach § 34 SGB VI in der ab 01.01.2023 gültigen Fassung nicht mehr hindert. Daraus folgt, dass der Anspruch auf eine vorgezogene betriebliche Altersrente nach § 6 Satz 1 BetrAVG seitdem nicht mehr im Hinblick auf die Voraussetzungen einer gesetzlichen Vollrente eingeschränkt ist. Er besteht vielmehr unabhängig von gesetzlichen Hinzuverdienstgrenzen.
57Die Möglichkeit des Arbeitgebers, für die betriebliche Altersrente in der jeweiligen Versorgungsordnung Hinzuverdienstgrenzen trotz ihres vollständigen Wegfalls im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung weiterhin regeln zu können, bleibt nicht deshalb eröffnet, weil es sich hierbei um sonstige Leistungsvoraussetzungen i.S.d. § 6 Satz 1 BetrAVG handeln könnte. Die Vorschriften, die die Anrechnung von Hinzuverdienst betrafen, befanden sich bis zum 31.12.2022 in § 6 Satz 1 BetrAVG, wenn dort der Bezug einer Vollrente in der gesetzlichen Rentenversicherung als Voraussetzung eines Anspruchs auf eine vorgezogene betriebliche Altersrente genannt war, sowie in den Sätzen 2 und 3 des § 6 BetrAVG. Der Vorbehalt der sonstigen Leistungsvoraussetzungen war in Satz 1 des § 6 BetrAVG zusätzlich geregelt, und damit war gerade nicht ein anspruchshindernder Hinzuverdienst gemeint, den der Gesetzgeber schon durch die Voraussetzung einer Vollrente und die weiteren Regelungen der Sätze 2 und 3 des § 6 BetrAVG umfassend verarbeitet hatte. Die sonstigen Leistungsvoraussetzungen wären keine „sonstigen“, wenn es dieselben wären, die der frühere Arbeitnehmer schon für den Erwerb eines Anspruchs auf eine Vollrente erfüllen musste. Daran hat sich auch mit der Gesetzesänderung ab 01.01.2023 nichts geändert. Wenn der Gesetzgeber die gesetzlichen Hinzuverdienstgrenzen gestrichen und für den Bereich der betrieblichen Altersversorgung die Regelungen des § 6 BetrAVG an den Stellen, die bisher diese Hinzuverdienstgrenzen betrafen, geändert hat, indem der Begriff der Vollrente angesichts der Änderung des § 34 SGB VI nun nicht mehr an eine gesetzliche Altersrente ohne Überschreitung einer Hinzuverdienstgrenze anknüpft und die diesbezüglichen weiteren Regelungen in den Sätzen 2 und 3 des § 6 BetrAVG angepasst wurden, dann können dadurch die unverändert gebliebenen „sonstigen Leistungsvoraussetzungen“ nicht ihre Bedeutung geändert haben und mit der Anrechnung von Hinzuverdiensten einen Sachverhalt erfassen, auf den sie sich bisher nicht bezogen haben und den der Gesetzgeber neu regeln wollte.
58(2).
59Bestätigt wird dieses Auslegungsergebnis durch die weiteren Änderungen des § 6 BetrAVG in seinen Sätzen 2 und 3, weil sich nach diesen Änderungen auch in diesen Vorschriften keine Anhaltspunkte mehr dafür finden, dass der Anspruch auf eine vorgezogene betriebliche Altersrente nach § 6 Satz 1 BetrAVG davon abhängen soll, dass der Arbeitnehmer kein anderweitiges anrechenbares Einkommen erzielt. In Satz 2 ist für den Bereich der betrieblichen Altersversorgung die Bezugnahme auf gesetzliche Hinzuverdienstgrenzen entfallen, indem dort nun nicht mehr geregelt ist, dass die Leistungen aus der betrieblichen Altersversorgung eingestellt werden können, wenn die Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung wieder wegfällt, wie dies früher bei einer nach dem Beginn des Rentenbezugs eingetretenen Überschreitung der Hinzuverdienstgrenze des § 34 Abs. 2 SGB VI a.F. der Fall war. Außerdem hat der Gesetzgeber in § 6 Satz 3 BetrVG auch die Pflicht des ausgeschiedenen Arbeitnehmers aufgehoben, die Aufnahme oder Ausübung einer Beschäftigung oder Erwerbstätigkeit unverzüglich anzuzeigen. Diese Verpflichtung war bis zum 31.12.2022 Bestandteil des Regelungsgefüges, das den gesetzlichen Anspruch des Arbeitnehmers auf eine vorgezogene betriebliche Altersrente mit dem Unterlassen anrechenbaren Hinzuverdienstes verknüpfte. Fällt die gesetzliche Anzeigepflicht nunmehr weg, so zeigt dies für den Bereich der betrieblichen Altersversorgung, dass der Gesetzgeber eine solche Verknüpfung auch in diesem Bereich nicht mehr sieht und auch den gesetzlichen Anspruch auf eine vorgezogene betriebliche Altersrente ganz von der früheren Betrachtung lösen möchte, die sich traditionell auch auf die Anrechnung anderweitigen Einkommens stützte.
60Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass der Gesetzgeber in den Sätzen 2 und 3 des § 6 BetrAVG weiterhin bestimmte Rechtsfolgen für den Fall geregelt hat, dass die Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung auf einen Teilbetrag beschränkt wird. Dies kann nach § 6 Satz 2 BetrAVG nach wie vor zu einer Einstellung der Leistungen aus der betrieblichen Altersversorgung führen, und deshalb muss der Arbeitnehmer nach § 6 Satz 3 BetrAVG eine solche Beschränkung der gesetzlichen Altersrente nach wie vor anzeigen. Damit ist aber anders als bis zum 31.12.2022 gerade nicht der Fall eines kraft Gesetzes wegen einer Überschreitung einer Hinzuverdienstgrenze eintretenden Wechsels von einer Vollrente zu einer Teilrente gemeint, weil diese Regelung § 34 SGB VI mit Wirkung ab 01.01.2023 gestrichen wurde. Übrig bleibt als Anwendungsbereich ein freiwilliger Wechsel des Versicherten zu einer bloßen Teilrente, den § 42 Abs. 1 SGB VI weiterhin ermöglicht. Dann kann aber eine Schlussfolgerung derart, dass Hinzuverdienstgrenzen in Versorgungsordnungen auch nach dem 01.01.2023 zu einem vollständigen Wegfall eines Anspruchs auf eine vorgezogene betriebliche Altersrente führen können, weil eine Einstellung der betrieblichen Altersversorgung nach § 6 Satz 2 BetrAVG doch sogar im Falle einer bloßen Beschränkung der gesetzlichen Altersrente führen kann, nicht überzeugen (a.A. Höfer/de Groot, DB 2023, 961 (962)). Im Gegenteil zeigt die Streichung eines gesetzlichen Anwendungsfalles unter Beibehaltung eines anderen gesetzlichen Anwendungsfalles, hier also die Streichung jeglicher Bezugnahmen auf Hinzuverdienstgrenzen unter Beibehaltung der Regelungen im Übrigen, dass der Anspruch auf eine vorgezogene betriebliche Altersrente des § 6 Satz 1 BetrAVG gezielt nicht mehr wie früher mit Fragen anderweitigen Einkommens verschränkt sein soll.
61bb.
62Auch der mit der Gesetzesänderung verfolgte Gesetzeszweck spricht eher für als gegen einen Wegfall der Hinzuverdienstgrenzen auch bei einer vorgezogenen betrieblichen Altersrente. Für den Bereich der vorgezogenen gesetzlichen Altersrente hat der Gesetzgeber ausweislich der Gesetzesbegründung hauptsächlich beabsichtigt, mit dem Wegfall der Hinzuverdienstgrenzen einen Beitrag dazu zu leisten, dem bestehenden Arbeitskräfte- und Fachkräftemangel entgegenzuwirken, und daran knüpfen auch die Folgeänderungen des § 6 BetrAVG für den Bereich der betrieblichen Altersversorgung an. Dem Anliegen des Gesetzgebers, durch den Wegfall der Hinzuverdienstgrenzen Anreize für Arbeitnehmer zu schaffen, dem Arbeitsmarkt auch dann weiterhin zur Verfügung zu stehen, wenn sie schon eine gesetzliche Altersrente beziehen, entspricht es, wenn sich dieser Anreiz auch auf die betriebliche Altersversorgung erstreckt. Denn dieser Anreiz fällt wieder weg oder wird zumindest geringer, wenn die vorgezogene betriebliche Altersrente, die der frühere Arbeitnehmer bei einem Wegfall der Anrechnung neben der gesetzlichen Altersrente und dem anderweitigen Einkommen erhalten würde, vollständig oder zumindest teilweise entfällt, weil der anderweitige Verdienst mit ihr verrechnet wird. Im Umfang der Anrechnung des Hinzuverdienstes wird der Arbeitnehmer in einer beruflichen Tätigkeit nach Eintritt in den Rentenbezug dann regemäßig keinen Sinn sehen, und der Gesetzeszweck wird insoweit nicht erreicht.
63Hiergegen kann nicht mit Erfolg eingewendet werden, dass eine ungewollte Überversorgung des früheren Arbeitnehmers eintreten kann. In der Tat kann eine gesetzliche Regelung, die einen unbegrenzten und nicht anzurechnenden Hinzuverdienst des früheren Arbeitnehmers zusätzlich zu einer Altersrente erlaubt, dazu führen, dass er insgesamt aus Altersrente und zusätzlichem Erwerbseinkommen einen Verdienst erhält, der sein vor dem Renteneintritt erzieltes Bruttomonatseinkommen übersteigt. Das widerspricht dem Gesetzeszweck aber gerade nicht, sondern der Gesetzgeber hat aus beschäftigungspolitischen Motiven das Anliegen, eine Kumulation von Altersrente und Erwerbseinkommen zu verhindern, erkennbar aufgegeben, und zwar auch für den Bereich der betrieblichen Altersversorgung.
64cc.
65Schließlich kann auch die Gesetzesbegründung zur Änderung des § 6 BetrAVG dahingehend interpretiert werden, dass die Hinzuverdienstgrenzen auch im Bereich der betrieblichen Altersversorgung gestrichen werden sollten. Denn wenn es hierzu in der BR-Drucks. 422/22, S. 129, heißt, dass Altersrenten künftig nicht mehr wegen Überschreitung dieser Grenzen wegfallen können, dann können hier schon wegen des Regelungsgegenstands des § 6 BetrAVG mit Altersrenten nur betriebliche Altersrenten gemeint sein. Nur so erklärt sich auch das in der Gesetzesbegründung verwendete Begriffspaar, wenn als Ursache der „Wegfall der Hinzuverdienstgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung“ und als Folge der Ausschluss des Wegfalls der „Altersrente“ dargestellt werden. Würde der Begriff der „Altersrente“ nur die gesetzliche Altersrente meinen, dann würde der Satz fast tautologisch erscheinen und jedenfalls nur eine Selbstverständlichkeit ausdrücken, die keinen Bezug zur konkreten, den Bereich der Betriebsrenten betreffenden Gesetzesänderung des § 6 BetrAVG hätte.
663.
67Die Beklagte kann die Zahlung von Ruhegeld an den Kläger auch nicht deshalb verweigern, weil er keine Einverständniserklärung nach Ziff. 17 Abs. 1 TV AltV Teil 5 abgegeben hat. Da die Anrechnungsvorschrift der Ziff. 15 Abs. 2 TV AltV Teil 5 nicht zu seinen Lasten anzuwenden ist, konnte die Beklagte nicht von ihm verlangen, dass er sich vor der Auszahlung des Ruhegelds mit ihrer Geltung einverstanden erklärt.
684.
69Der Zinsanspruch folgt aus §§ 286 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1, 288 Abs. 1 BGB.
70II.
71Der nach § 256 Abs. 1 ZPO i.V. § 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG zulässige Klageantrag zu 2. ist ebenfalls begründet. Dem Kläger steht auch für die Zeit ab November 2023 ein monatliches Ruhegeld zu, und die Beklagte ist aus den dargelegten Gründen nicht berechtigt, hierauf anderweitiges Erwerbseinkommen des Klägers anzurechnen.
72III.
73Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
74IV.
75Der Streitwert beruht auf § 42 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1, 2. Halbsatz GKG.
76T.