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Eingriffe in die bis zum Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis geltenden Versorgungsregelungen sind nur unter den vom BAG für das Betriebsrentenrecht entwickelten Grundsätzen zulässig. Einschnitte in die Versorgungsrechte müssen den Grundsätzen des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit Rechnung tragen. Diese Grundsätze hat das BAG durch ein dreistufiges Prüfungsschema präzisiert Es ist auf die Höhe von Versorgungsanwartschaften zugeschnitten.
1. Es wird festgestellt, dass der Beklagte ab dem 01.04.2018 verpflichtet ist, den Kläger von Kosten für Strom und gegebenenfalls Gas der T. Energie- und Wasser AG in Höhe von 25% der angefallenen Kosten bis zu seinem Tode, sowie gegebenenfalls für die Dauer des Witwenstandes seiner Ehefrau, freizustellen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
3. Streitwert: 720,00 €.
Tatbestand:
2Der Kläger begehrt die Freistellung von den Kosten der Energielieferung bei Gas und Strom in Höhe von 25%.
3Der Kläger war seit 1991 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängern als Schlosser beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete am 31.03.2018, seit dem 01.04.2018 bezieht der Kläger abschlagsfreie Altersrente.
4§ 2 des mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten abgeschlossenen Arbeitsvertrags vom 26.02.1991 lautet wie folgt:
5„Das Arbeitsverhältnis richtet sich nach den Bestimmungen des Bundemanteltarifvertrages für Arbeiter gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe (BMT-G) vom 31.01.1962 und der zusätzlich abgeschlossenen Tarifverträge - des Bezirkszusatztarifvertrages (BZT-G NRW) - in ihrer jeweils geltenden Fassung. Daneben finden die für den Bereich des Arbeitgebers jeweils in Kraft befindlichen sonstigen Tarifverträge Anwendung."
6Unter dem 26.09.1975 gab es eine Vorstandsverfügung bezüglich Energieleistungen, nach welcher es für die Betriebsangehörigen Energieleistungen mit einem Rabatt von 25 % ergibt, wobei sich der Rabatt auf den Bezug von Strom und Gas erstreckte. Diesen Rabatt erhielten alle vollbeschäftigten Betriebsangehörigen, auch wenn sie in Rente gingen, sowie Witwen ehemaliger Betriebsangehöriger für die Dauer des Witwenstandes.
7Die Beklagte steht mehrheitlich im Eigentum der Stadt Wuppertal. Ab dem 01.01.2005 fand der Tarifvertrag Versorgungsbetriebe (TV-V) vom 05.10.2000 auf das Arbeitsverhältnis Anwendung.
8§ 2 Abs. 1 TV-V lautet:
9"Der Arbeitsvertrag wird schriftlich unter Angabe der Entgeltgruppe abgeschlossen. Nebenabreden sind schriftlich zu vereinbaren. ..."
10Im Jahr 2007 wurden die mit der Erstellung zentraler Dienstleistungen befassten Organisationseinheiten der T. AG abgespalten und im Wege der Aufnahme nach §§ 123 ff. UmwG auf die Beklagte übertragen. Diese ist weder Erzeuger noch Lieferant von Strom und Gas. Im Zuge der zum 1. Januar 2007 erfolgten Umwandlung wies die T. AG den Kläger darauf hin, dass sein Arbeitsverhältnis auf die Beklagte übergehen und diese in seinen Arbeitsvertrag eintreten werde.
11Im Zuge der Umstrukturierung der T. AG schlossen die T. AG und die der T.-Unternehmensgruppe, zu der auch die Beklagte zählt, einerseits und die Gewerkschaft ver.di andererseits den Tarifvertrag zur Sicherung der sozialen Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei der T. Unternehmensgruppe vom 10. November 2006 (im Folgenden: TV-SR). Dieser bestimmt u.a.:
12„Präambel
13Die T. AG, ein einheitliches und sich mehrheitlich im Eigentum der Stadt Wuppertal befindliches Versorgungs- und Verkehrsunternehmen, wird durch eine grundlegende Umstrukturierung in mehrere Unternehmen geteilt. Dieser Tarifvertrag wird zur Sicherung der sozialen Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer innerhalb der T.-Unternehmensgruppe abgeschlossen.
14§ 1
15Geltungsbereich
16(1) Dieser Tarifvertrag gilt für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes einschließlich der zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten der diesen Tarifvertrag abschließenden oder beitretenden Unternehmen, sofern der Geltungsbereich für einzelne Regelungen dieses Tarifvertrages nachstehend nicht abweichend festgelegt wird.
17(2) Der § 4 I dieses Tarifvertrages gilt nur für heutige Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gemäß § 2 III.
18(3) Der Tarifvertrag bindet und verpflichtet die ihn abschließenden und die ihm beitretenden Unternehmen und Parteien.
19§ 2
20Definitionen
21(1) Der Begriff ,T.-Unternehmensgruppe‘ im Sinne dieses Tarifvertrags meint folgende bestehende, sich in Gründung befindliche bzw. zu gründende Unternehmen:
22T. Holding GmbH (Arbeitstitel),
23T. Verkehr GmbH (Arbeitstitel),
24T. AG und die
25T. Netz GmbH.
26(2) ,Stichtag‘ im Sinne dieses Tarifvertrages ist:
27für die T. Holding GmbH und die T. Verkehr GmbH der Tag, an dem die ersten Arbeitsverhältnisse von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern der T. AG durch Betriebsübergang auf eines der beiden Unternehmen übergehen.
28für die T. AG der Tag, auf den der spätere der beiden oben genannten Stichtage fällt.
29(3) Der Begriff ‚heutige Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer’ im Sinne dieses Tarifvertrags meint alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes, die am jeweiligen Stichtag in einem Arbeitsverhältnis mit einem Unternehmen der T.-Unternehmensgruppe stehen werden und am Vortag des oben genannten Stichtages in einem Arbeitsverhältnis mit der T. AG standen.
30Die zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten sind ausgeschlossen.
31§ 3
32Tarifbindung
33(1) Die Unternehmen der T.-Unternehmensgruppe führen die bei der T. AG am Vortag des Stichtages geltenden Tarifverträge - ausdrücklich einschließlich des Tarifvertrages ‚Tarifvertrag vom 17. Januar 2005 zur Einführung des TV-V bei der T. AG (T. AG)’ - in ihrer jeweils gültigen Fassung weiter und erklären ihren Willen, den Abschluss identischer Tarifverträge beim Kommunalen Arbeitgeberverband Nordrhein-Westfalen zu beantragen. Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) erklärt sich schon jetzt zum Abschluss dieser Tarifverträge bereit.
34(2) Die Unternehmen der T.-Unternehmensgruppe werden die Mitgliedschaft im Kommunalen Arbeitgeberverband Nordrhein-Westfalen beantragen, sofern dadurch die Regelungen in Absatz 1 keine Einschränkungen erfahren.
35§ 4
36Kündigungsschutz
37(1) Der Ausspruch betriebsbedingter Beendigungskündigungen ist gegenüber allen heutigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern bis zum 31.12.2020 unzulässig. Ausnahmsweise ist der Ausspruch betriebsbedingter Beendigungskündigungen gegenüber allen heutigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern jedoch auch innerhalb des Zeitraums bis zum 31.12.2020 zulässig, wenn sich die jeweilige betriebliche Geschäftsgrundlage (durch z. B. drohenden Verlust von Leistungen, Genehmigungen oder Aufträgen) so ändert, dass das jeweilige Unternehmen der T.-Unternehmensgruppe zu Maßnahmen greifen muss, die es zur Anzeige gemäß § 17 I KSchG verpflichtet.
38…
39§ 5
40Materielle Sicherung
41(1) Die Unternehmen der T.-Unternehmensgruppe treten zum Stichtag in die am Vortag des Stichtages bei der T. AG bestehenden und im Zuge des Betriebsübergangs jeweils auf die Unternehmen der T.-Unternehmensgruppe übergegangenen Arbeits- und Ausbildungsverhältnisse ein. Im Zuge des jeweiligen Betriebsübergangs wird keine Veränderung der Eingruppierung und Einstufung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und keine Streichung von Entgeltbestandteilen und auch keine andere Veränderung des derzeitigen Entgelts vorgenommen.
42(2) Die zum Vortag des Stichtages bei der T. AG gewährten betrieblichen Sozialleistungen werden für heutige Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den Unternehmen der T.-Unternehmensgruppe fortgeführt. Für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die erst nach dem Stichtag ihr Arbeitsverhältnis bei einem Unternehmen der T.-Unternehmensgruppe beginnen, werden die bis zum Vortag des Stichtages bei der T. AG gewährten betrieblichen Sozialleistungen bis zu einer Neuregelung in den Unternehmen der T.-Unternehmensgruppe fortgeführt.
43[…]
44§ 6
45Immaterielle Sicherung
46Im Zuge des jeweiligen Betriebsübergangs wird keine Veränderung des Tätigkeitsbereichs, des Arbeitsinhaltes und des Arbeitsortes der betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vorgenommen. Eventuelle spätere Veränderungen in den vorgenannten Bereichen erfolgen auf der Grundlage der dann in dem jeweiligen Unternehmen der T.-Unternehmensgruppe geltenden Regelwerke.
47§ 7
48Betriebsvereinbarungen
49(1) Die Unternehmen der T.-Unternehmensgruppe treten in die am Vortag des Stichtages bei der T. AG geltenden Betriebsvereinbarungen ein.
50[…]
51§ 8
52Zusatzversorgung
53Die Unternehmen der T.-Unternehmensgruppe werden die Ansprüche aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gemäß § 18 TV-V, auf Versicherung unter eigener Beteiligung zum Zwecke einer zusätzlichen Altersvorsorge nach Maßgabe des Tarifvertrages über die zusätzliche Altersvorsorge der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes - Altersvorsorge-TV-Kommunal - (ATV-K) oder des Tarifvertrages über die betriebliche Altersversorgung der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes (Tarifvertrag Altersversorgung - ATV) in ihrer jeweils geltenden Fassung, erfüllen.“
54Am 24. September 2007 beschlossen der Vorstand der T. AG und die Geschäftsführungen der Beklagten und der T. J. GmbH, dass künftig neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die in der T.-Unternehmensgruppe angestellt werden, sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die ab dem 1. Oktober 2007 ihr Arbeitsverhältnis beenden und anschließend in den Ruhestand wechseln, Energierabatte i. H. v. 15 v. H. erhalten, wenn die Energie von der T. AG bezogen wird.Der Kläger ist seit dem 01.04.2018 Rentner. Bis zum Eintritt in den Ruhestand am 31.03.2018 gewährte die Beklagte dem Kläger einen ungekürzten Rabatt in Höhe von 25 %. Auf Nachfrage bei dem zuständigen Mitarbeiter der Beklagten teilte dieser dem Kläger mit, dass er in jedem Falle die Weiterführung des Energierabatts in Höhe von 25 % beantragen müsse, was der Kläger mit Schreiben vom 02.04.2018 tat.Mit anwaltlichem Schreiben vom 30.05.2018 machte der Kläger seinen Anspruch erneut geltend, woraufhin die Beklagte mit Schreiben vom 12.07.2018 antwortete, dass eine Kürzung des Energiekostenzuschusses auf 15 % rechtens sei (Blatt 6 der Akte).
55Mit weiterem Schreiben vom 14.09.2018 (Blatt 8 der Akte) teilte die Beklagte mit, dass bei grundsätzlicher Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts der Energiekostenzuschuss in Höhe von 25 % rückwirkend ab dem 01.04.2018 gewährt werde.
56Mit seiner am 08.02.2019 beim Arbeitsgericht Wuppertal eingegangenen, der Beklagten am 15.02.2019 zugestellten Klage verfolgt der Kläger seinen Anspruch weiter.
57Er behauptet, ihm stehe der höhere Personalrabatt bereits nach § 5 Abs. 2 TV SR zu. Im Übrigen sei das Arbeitsverhältnis mit allen Rechten und Pflichten auf die Beklagte übergegangen.
58Der Kläger beantragt festzustellen,
59dass die Beklagte ab 01.04.2018 verpflichtet ist, den Kläger von den Kosten für Strom gegebenenfalls Gas der T. Energie- und Wasser AG in Höhe von 25% der angefallenen Kosten bis zu seinem Tode, sowie gegebenenfalls für die Dauer des Witwenstandes seiner Ehefrau, freizustellen.
60Die Beklagte beantragt,
61die Klage abzuweisen.
62Sie ist der Ansicht, der Kläger habe keinen Freistellungsanspruch. Der Sachverhalt der Entscheidungen des BAG sei völlig anders gelagert.
63Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Parteienschriftsätze sowie den gesamten weiteren Akteninhalt Bezug genommen.
64Entscheidungsgründe:
65Die Klage ist zulässig und begründet. Der Kläger hat nach § 5 Abs. 2 Satz 1 TV-SR Anspruch darauf, dass die Beklagte ihn auf Lebenszeit und ggf. nach seinem Tod seine Witwe auf deren Lebenszeit - jedenfalls für die Dauer ihres Witwenstands - von den Kosten für Strom und Gas i. H. v. 25 v. H. der anfallenden Kosten freistellt.
66I.
671.
68Die Klage ist zulässig.
69a.
70Der Antrag bedarf der Auslegung.
71Dabei sind die für Willenserklärungen geltenden Auslegungsregeln (§§ 133, 157 BGB) heranzuziehen (BAG 19. Februar 2008 - 9 AZR 70/07 - juris). Für das Verständnis eines Klageantrags ist deshalb nicht am buchstäblichen Wortlaut des Antrags zu haften. Das Gericht hat vielmehr den erklärten Willen zu erforschen, wie er sich aus der Klagebegründung, dem Prozessziel und der Interessenlage ergibt. Im Zweifel ist das gewollt, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der richtig verstandenen Interessenlage entspricht (vgl. etwa BAG 6. Juli 2011 - 4 AZR 568/09 - juris; BGH 12. Februar 2003 - XII ZR 324/98 - juris).
72b.
73Mit der Klage begehrt der Kläger trotz der Formulierung als (unbezifferte) Leistungsanträge die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihn von den Kosten für Strom und Gas i. H. v. 25 v. H. für die Zeit ab dem 01.04.2018 bis zu seinem Tod sowie ggf. für die Dauer des Witwenstands seiner Ehefrau (Hauptantrag zu 2) freizustellen.
74Mit dieser Auslegung ist der Klageantrag zulässig.
75aa.
76Nach § 256 Abs. 1 ZPO kann auf die Feststellung des Bestehens eines Rechtsverhältnisses Klage erhoben werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverhältnis durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt werde. Die Klage muss sich dabei nicht auf das Rechtsverhältnis im Ganzen beziehen. Es reicht, wenn sie sich auf einzelne sich daraus ergebende Rechte oder Folgen beschränkt, sofern dafür ein Feststellungsinteresse besteht (BAG 13. Dezember 2011 - 3 AZR 852/09 - juris).
77bb.
78Der Kläger begehrt mit seiner Klage die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten, ihn von den Forderungen der T. AG oder eines Nachfolge-Versorgungsunternehmens aus dem Bezug von Strom und Gas i. H. v. 25 v. H. der tatsächlich angefallenen Kosten in der Zeit ab dem 01.04.2018 freizustellen. Hierbei handelt es sich um ein gegenwärtiges Rechtsverhältnis. Da die Beklagte die vom Kläger begehrte Freistellungsverpflichtung leugnet, steht dem Kläger auch ein Feststellungsinteresse zur Seite. Der Vorrang der Leistungsklage steht der Zulässigkeit der Feststellungsanträge nicht entgegen. Ein Feststellungsinteresse ist gegeben, wenn auf diesem Weg eine sachgemäße, einfache Erledigung der auftretenden Streitpunkte zu erreichen ist und prozesswirtschaftliche Erwägungen gegen einen Zwang zur Leistungsklage sprechen (vgl. BAG 26.03.2013 – 3 AZR 68/11; BAG 28. Juni 2011 - 3 AZR 286/09 - Rn. 17; 23. August 2011 - 3 AZR 650/09 – jeweils zitiert nach juris). Dies ist hier der Fall.
79II.
80Die Klage ist auch begründet. Der Kläger hat nach § 611a BGB in Verbindung mit der Gesamtzusage 26.09.1975 sowie § 5 Abs. 2 TV-SR einen Anspruch auf die begehrte anteilige Freistellung von den Kosten für Strom und Gas.
811.
82Das Bundesarbeitsgericht hat in seiner Entscheidung vom 26.03.2013 (3 AZR 68/11, juris), welche einen Freistellungsanspruch für Energiekosten ebenfalls gegenüber der Beklagten auf der Grundlage der gleichen Rechtsgrundlage betraf, folgendes ausgeführt:
83„Bis zum 1. Januar 2007 gewährte die T. AG als Rechtsvorgängerin der Beklagten allen Arbeitnehmern, die in den letzten fünf Jahren vor dem Eintritt des Versorgungsfalls in einem Arbeitsverhältnis zu ihr standen, auch für die Dauer des Ruhestands und darüber hinaus nach ihrem Tod deren Witwen einen Energiekostenrabatt i. H. v. 25 v. H. der gemessenen Verbrauchskosten für Strom und Gas. Hierbei handelt es sich um eine betriebliche Sozialleistung i. S. v. § 5 Abs. 2 TV-SR. Nach dieser Tarifbestimmung ist es unerheblich, ob auf deren Gewährung in der Vergangenheit ein Rechtsanspruch bestanden hat. Entscheidend ist allein die tatsächliche Gewährung. Es kann deshalb dahinstehen, ob bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten eine betriebliche Übung auf die Gewährung eines Energiekostenrabatts entstanden ist.
84Der TV-SR ist auf das Arbeitsverhältnis des Klägers kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme anzuwenden. Nach § 2 Satz 2 des Arbeitsvertrags vom 10. Februar 1976 finden auf das Arbeitsverhältnis des Klägers die für Angestellte des Arbeitgebers geltenden Tarifverträge Anwendung. Hierzu zählt auch der TV-SR. Dieser gilt nach § 2 Abs. 1 TV-SR für die Unternehmen der T.-Unternehmensgruppe, zu der auch die Beklagte gehört.
85§ 5 Abs. 2 Satz 1 TV-SR erfasst auch den von der T. AG an ihre Mitarbeiter und Betriebsrentner gewährten Energiekostenrabatt als betriebliche Sozialleistung. Dies ergibt die Auslegung des Tarifvertrags […].
86Danach erfasst § 5 Abs. 2 Satz 1 TV-SR auch den von der Rechtsvorgängerin der Beklagten spätestens seit 1975 tatsächlich gewährten Energiekostenrabatt, ohne dass es darauf ankäme, ob hierauf ein Rechtsanspruch, etwa in Gestalt einer betrieblichen Übung, bestanden hat […].
87Der TV-SR dient nach seiner Präambel der Sicherung der sozialen Rechte der Arbeitnehmer im Zuge der grundlegenden Umstrukturierung der T. AG und der damit verbundenen Schaffung der T.-Unternehmensgruppe. Diese Sicherung soll nach § 4 TV-SR den kündigungsrechtlichen Bestandsschutz gewährleisten und nach § 5 Abs. 1 TV-SR die Sicherung des Arbeitsentgelts einschließlich der Eingruppierung und Einstufung umfassen. Durch § 5 Abs. 2 TV-SR sollen die gewährten betrieblichen Sozialleistungen gesichert werden und mit § 6 TV-SR werden die bisherigen Tätigkeitsbereiche, Arbeitsinhalte und Arbeitsorte weitgehend gegen Veränderungen geschützt. Schließlich enthält § 8 TV-SR Regelungen zur zusätzlichen Altersversorgung. Die tarifliche Regelung bezweckt damit, wie sich etwa aus § 6 TV-SR ergibt, eine über den Schutz aus § 613a BGB hinausgehende Absicherung der von der Umstrukturierung betroffenen Arbeitnehmer. Diesen sollten ihre bisherigen (Rechts-)Positionen und die ihnen tatsächlich gewährten Leistungen erhalten bleiben und durch den Tarifvertrag rechtlich abgesichert werden. Zu diesen tatsächlich gewährten Leistungen gehört auch der Energiekostenrabatt, der auch im Ruhestand weitergewährt wurde. Anhaltspunkte dafür, dass die Tarifvertragsparteien bei den gewährten betrieblichen Sozialleistungen zwischen Leistungen an aktive Arbeitnehmer und an Versorgungsempfänger unterschieden haben, sind nicht ersichtlich. Ob auf den Energiekostenrabatt bereits gegenüber der T. AG ein Rechtsanspruch - ggf. aus betrieblicher Übung - bestand, ist daher ebenso unerheblich wie der Umstand, dass die Beklagte selbst weder Gas noch Strom produziert oder liefert.“
88Die erkennende Kammer folgt diesen Ausführungen des Bundesarbeitsgerichts und schließt sich der Rechtsauffassung an.
892.
90Danach kann der Kläger von der Beklagten nach der Gesamtzusage 26.09.1975 in Verbindung mit § 5 Abs. 2 Satz 1 TV-SR auch während seines Ruhestands, nach seinem Tod seine Witwe für die Dauer des Witwenstands, Freistellung von den anfallenden Kosten für Strom und Gas i. H. v. 25 v. H. verlangen. Er stand am 1. Januar 2007 in einem Arbeitsverhältnis mit der Beklagten, einem Unternehmen der T.-Unternehmensgruppe. Am Vortrag dieses Stichtags war er Arbeitnehmer der T. AG. Somit erfüllt er die tariflichen Voraussetzungen für die Weitergewährung des Energiekostenrabatts in der bisherigen Höhe.
913.
92Entgegen der Auffassung der Beklagten ändert auch die 2007 getroffene Kürzungsentscheidung nichts an den Ansprüchen des Klägers. Die Beklagte konnte den Anspruch auf betriebliche Altersversorgung in Form des Personalrabatts nicht wirksam absenken.
93a.
94Bei der Gewährung von Rabatt auf Energieleistungen für ausgeschiedenen Mitarbeiter handelt es sich um Leistungen der betrieblichen Altersversorgung.
95Nach inzwischen gefestigter Rechtsprechung des BAG handelt es sich beim verbilligten Strom- und Gasbezug um eine Leistung der betrieblichen Altersversorgung (BAG, 12.12.2006 - 3 AZR 476/05 - juris; BAG, 19.02.2008 - 3 AZR 61/06 - juris; vgl. auch BAG, 14.12.2010 - 3 AZR 799/08 - juris). Sie wird durch ein biometrisches Risiko, hier das Erreichen des Rentenalters und den Eintritt in den Ruhestand ausgelöst. Der Leistungsbegriff des § 1 Abs. 1 S. 1 BetrAVG ist nicht eng, sondern weit auszulegen. Er beschränkt sich nicht auf Geldleistungen. Auch Sach- und Nutzungsleistungen, insbesondere Deputate werden erfasst (BAG, 12.12.2006 - 3 AZR 476/05 - juris; BAG, 11.08.1981 - 3 AZR 395/80 - juris). Ebenso werden die im Ruhestand gewährten Personalrabatte vom Leistungsbegriff des § 1 Abs. 1 S. 1 BetrAVG abgedeckt (BAG, 19.02.2008 - 3 AZR 61/06 - juris). Sie verbessern den Lebensstandard im Versorgungsfall und dienen damit dem Versorgungszweck. Dabei spielt es keine Rolle, ob derartige Leistungen auch den aktiven Mitarbeitern gewährt werden (BAG, 12.12.2006 - 3 AZR 476/05 – juris). Der mit dem Energierabatt verfolgte Versorgungszweck zur Absicherung des Lebensstandards nach dem Versorgungseintritt unterscheidet den gewährten Energierabatt von der Gewährung von Fahrausweisen, welche Gegenstand der von der Beklagten zitierten Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 25.06.2019 (3 AZR 458/17, juris) waren. Denn mit letzteren wird kein beim Betriebsrentner erwartungsgemäß bestehender Bedarf gedeckt. Deshalb ist die von der Beklagten angeführte klageabweisende Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts nicht mit dem vorliegenden Sachverhalt vergleichbar, worauf das Bundesarbeitsgericht in der Entscheidung (3 AZR 458/17, rn. 62, juris) ausdrücklich hinweist.
96b.
97Eingriffe in die bis zum Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis geltenden Versorgungsregelungen sind nur unter den vom BAG für das Betriebsrentenrecht entwickelten Grundsätzen zulässig (BAG, 12.12.2006 - 3 AZR 476/05 - NZA-RR 2007, 653; BAG, 19.02.2008 - 3 AZR 61/06 - NZA-RR 2008, 597; BAG, 14.12.2010 - 3 AZR 799/08 - PM). Einschnitte in die Versorgungsrechte müssen den Grundsätzen des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit Rechnung tragen. Diese Grundsätze hat das BAG durch ein dreistufiges Prüfungsschema präzisiert Es ist auf die Höhe von Versorgungsanwartschaften zugeschnitten.
98Der bereits erdiente und nach den Grundsätzen des § 2 BetrAVG errechnete Teilbetrag darf nur in seltenen Ausnahmefällen gekürzt werden. Ein derartiger Eingriff setzt zwingende Gründe voraus. Die bereits zeitanteilig erdiente Quote eines variablen, dienstzeitabhängigen Berechnungsfaktors (sogenannte erdiente Dynamik) darf nur aus triftigen Gründen verringert werden. Die geringsten Anforderungen sind an Eingriffe in künftige und damit noch nicht erdiente, dienstzeitabhängige Zuwächse zu stellen. Dafür sind lediglich sachlich-proportionale Gründe erforderlich. Das dreistufige Prüfungsschema ist eine Konkretisierung der Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit. Das bedeutet, dass dort, wo das Vertrauen abweichend von einer typischen Fallgestaltung nicht schutzbedürftig ist, die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit auch abweichend vom Prüfungsschema Eingriffe zulassen können (BAG, 21.04.2009 - 3 AZR 674/07 - NZA-RR 2009, 548).
99Randnummer119
100Danach kann die getroffene Kürzungsentscheidung die Gesamtzusage von 1975 nicht wirksam ablösen.
101aa.
102Dies folgt bereits daraus, dass die Kürzungsentscheidung im September 2007 einseitig durch den Vorstand der T. AG und die Geschäftsführung der Beklagten und der T. J. GmbH getroffen wurde. Die Gesamtzusage, soweit sie Ansprüche der betrieblichen Altersversorgung betrifft, kann jedoch nicht einseitig aufgehoben werden, sondern Bedarf, insbesondere im Hinblick auf § 5 TV-SR, einer kollektivrechtlichen tariflichen Vereinbarung.
103bb.
104Darüber hinaus ist die Beklagte bei Einschnitten in Versorgungsrechte an die Grund- sätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit gebunden.
105(1)
106Diese Grundsätze hat der 3. Senat des Bundesarbeitsgerichts durch ein dreistufiges Prüfungsschema präzisiert (st. Rspr. seit BAG 17. April 1985 - 3 AZR 72/83; BAG 11.07.2017 – 3 AZR 601/16, jeweils zitiert nach juris). Den abgestuften Besitzständen der Arbeitnehmer sind danach entsprechend abgestufte, unterschiedlich gewichtige Eingriffsgründe des Arbeitgebers gegenüberzustellen (BAG 9. Dezember 2008 - 3 AZR 384/07 - Rn. 30). Der unter der Geltung der bisherigen Ordnung und im Vertrauen auf deren Inhalt bereits erdiente und entsprechend § 2 Abs. 1, Abs. 5 Satz 1 BetrAVG ermittelte Teilbetrag darf nur in seltenen Ausnahmefällen entzogen werden. Das setzt zwingende Gründe voraus. Zuwächse, die sich - wie etwa bei endgehaltsbezogenen Zusagen - dienstzeitunabhängig aus variablen Berechnungsfaktoren ergeben (erdiente Dynamik), können nur aus triftigen Gründen geschmälert werden. Für Eingriffe in dienstzeitabhängige, also noch nicht erdiente Zuwachsraten genügen sachlich-proportionale Gründe (BAG 13. Oktober 2016 - 3 AZR 439/15 - juris).
107(2)
108Dieses Prüfungsschema ist allerdings auf Eingriffe in die Höhe von Versorgungsanwartschaften, nicht auf Eingriffe in Anpassungsregelungen für Versorgungsanwärter, die noch in einem Arbeitsverhältnis mit der Versorgungsschuldnerin stehen, zugeschnitten. Es ist deshalb auf die dem dreistufigen Prüfungsschema zugrunde liegenden Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes zurückzugreifen. Auch für Einschnitte in Anpassungsregelungen müssen danach schon während des Arbeitsverhältnisses Gründe bestehen, die gerade den vorgenommenen Eingriff tragen. Es muss ein innerer Zusammenhang zwischen der Neuregelung und den sie tragenden Gründen bestehen (BAG 11.07.2017 – 3 AZR 601/16, juris).
109(3)
110Derartige Gründe hat die Beklagte nicht dargelegt.
111Der Anspruch war bereits erdient. Der Kläger erfüllt die Voraussetzung nach Nr. 1 der Verfügung vom 26.09.1975.
112Nach alledem war der Klage stattzugeben.
113II.
114Der Beklagten war kein Schriftsatznachlass gemäß den §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 283 ZPO zu gewähren, nachdem der Klägervertreter in der letzten mündlichen Verhandlung eine Kopie des Arbeitsvertrags zur Akte gereicht hat, insoweit vorausgesetzt werden kann, dass der Beklagten der Inhalt des von ihr selbst bzw. von der Rechtsvorängerin abgeschlossenen Arbeitsvertrags bekannt war und der Kläger bereits in der Klageschrift den maßgeblichen Inhalt des Arbeitsvertrags zitiert hat. Zudem wäre es der Beklagten in der letzten mündlichen Verhandlung möglich gewesen, Kenntnis vom Inhalt des Arbeitsvertrags zu nehmen. Der Arbeitsvertrag beinhaltet keine neuen Tatsachen im Sinne des § 283 ZPO.
115III.
116Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 91 Abs. 1 ZPO. Den Streitwert hat das Gericht gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG, § 42 Abs. 1 GKG, 3 ZPO im Urteil festgesetzt, wobei der dreijährige Unterschiedsbetrag zwischen dem gewährten und dem verlangten Energierabatt bei einem geschätzten monatlichen Aufwand für Strom und Gas von 100 €/Person berücksichtigt wurde. Der Streitwert gilt als Wertfestsetzung für die Gerichtsgebühren, § 63 Abs. 2 GKG.