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1. Auch nach der Vorabentscheidung des EuGH vom 27.1.2005 (Junk ./. Kühnel) verbleibt es dabei, dass mit dem Begriff der Entlassung i.S.d. §§ 17, 18 KSchG die tatsächliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses und nicht die Kündigung oder die Kündigungserklärung gemeint ist. Eine fehlende oder fehlerhafte Massenentlassungsanzeige oder eine erst nach Zugang der Kündigung erfolgte Massenentlassungsanzeige führt daher nicht zur materiell-rechtlichen Unwirksamkeit der Kündigung.
2. Eine der Richtlinie 98/95/EG entsprechende gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung der §§ 17, 18 KSchG ist aufgrund ihres eindeutigen Wortlautes, aufgrund ihrer Entstehungsgeschichte sowie aufgrund ihrer Systematik nicht möglich.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
Streitwert: 12.900,00
T a t b e s t a n d :
2Der 61jährige Kläger ist seit dem 17.9.1968 bei der Beklagten als Maschinenführer beschäftigt. Er verdiente zuletzt ca. 4.300,00 brutto monatlich. Bei der Beklagten handelt es sich um ein Unternehmen der F.-Gruppe, die in ihrem einzigen Betrieb in S. ca. 150 Mitarbeiter beschäftigt. Ein Betriebsrat ist gebildet.
3Unter dem 20.12.2004 schloss die Beklagte in der Einigungsstelle unter dem Vorsitz des Direktors des Arbeitsgerichts Köln, Herrn U., mit dem bei ihr gebildeten Betriebsrat einen Interessenausgleich, der auch von der IG-Metall mit unterzeichnet wurde. Der Interessenausgleich enthält unter anderem
4folgende Regelungen:
5II.
62.
7Vor dem vorstehend geschilderten Hintergrund hat die Geschäftsleitung mit Unterzeichnung dieses Interessenausgleichs die Entscheidung für eine vollständige Schließung des Betriebes zum 31.5.2005 getroffen. Voraussetzung für die Umsetzung der beschlossenen Betriebsschließung ist die von der Geschäftsleitung festzustellende gesicherte Finanzierung und die Wirtschaftlichkeit der Maßnahme gemäß Beschluss des Aufsichtsrates vom 2.12.2004.
8Der Betriebsrat nimmt dies zur Kenntnis und sieht keine rechtliche Möglichkeit, diese Entscheidung zu ändern.
9III.
103.
11Vorsorglich vereinbaren F., der Betriebsrat und die mitunterzeichnende Gewerkschaft ausdrücklich, dass diejenigen Mitarbeiter, die ein ihnen unterbreitetes Angebot auf Übertritt in die Transfergesellschaft nicht annehmen, mit Ablauf der Frist zur Annahme dieses Angebots über keinen besonderen Kündigungsschutz aus den oben genannten Vereinbarungen Standortsicherung (Tarifvertrag vom 24.4.2002, BV vom 24.4.2002) mehr verfügen. Insoweit treten die Regelungen zum Ausschluss von ordentlichen Kündigungen in den genannten Vereinbarungen außer Kraft. F., Betriebsrat und die unterzeichnende Gewerkschaft sind darüber einig, dass vorstehender Regelung zu Ziffer 3 Abs. 2 die Wirkungen eines Tarifvertrages zukommen.
12Ebenfalls am 20.12.2004 schlossen die Betriebsparteien einen Sozialplan. Nach Vortrag der Beklagten steht dem Kläger hiernach eine Sozialplanabfindung von ca. 17.000,00 zu.
13Ausweislich des Ergebnisprotokolls der Vorstandssitzung der Konzernmuttergesellschaft F. AG vom 22.12.2004 fasste der Vorstand in seiner Sitzung den in Nummer II Ziffer 2 des Interessenausgleichs erwähnten Beschluss zur gesicherten Finanzierung und Wirtschaftlichkeit der Maßnahme.
14Mit Anhörungsschreiben vom 20.1.2005 hörte die Beklagte den bei ihr gebildeten Betriebsrat zu der beabsichtigten Kündigung des Klägers an. Wegen des zweiseitigen Anhörungsschreibens, dem als Anlage eine Liste aller zu kündigenden Mitarbeiter mit Geburtsdatum, Eintrittsdatum, Familienstand, Unterhaltsverpflichtungen, Schwerbehinderung, Kündigungsfrist sowie Kündigungstermin beigefügt war, wird auf Blatt 33 ff der Akte Bezug genommen.
15Mit Schreiben vom 28.1.2005 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers zum 31.8.2005.
16Mit seiner am 4.2.2005 bei Gericht eingegangenen Klage begehrt der Kläger die Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung, die er für sozial ungerechtfertigt hält.
17Er bestreitet, dass allen Arbeitnehmern der Beklagten gekündigt worden sei. Einige Mitarbeiter seien zudem in die F.-AG übernommen worden. Im Übrigen liege ein Betriebsübergang vor, da in den Betriebsräumen der Beklagten die Tätigkeit fortgesetzt werde. Es sei die Rede von einer Firma B., einer Firma E. sowie einer Firma B., die sich ebenfalls mit der Herstellung von Autoteilen befassten. Kundenstamm und Maschinen der Firma F. sollen übernommen worden sein.
18Schließlich rügt der Kläger, dass die Beklagte nicht vor Ausspruch der Kündigung eine entsprechende Massenentlassungsanzeige nach § 17 KSchG bei der Agentur für Arbeit vorgenommen habe.
19Mit einem am 3.5.2005 und somit nach Schluss der mündlichen Verhandlung bei Gericht eingegangenen Schriftsatz ergänzt der Kläger seine Ausführungen dahingehend, dass die Firma E. in den Geschäftsräumen der Beklagten mit zum Teil auch früheren Mitarbeitern der Beklagten Autoteile für die Firmen W., W. und Q. herstelle. Nicht alle Produktionsmaschinen in S. seien entfernt worden.
20Der Kläger beantragt,
21festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin bei der Beklagten durch die Kündigung der Beklagten vom 28.1.2005 nicht aufgelöst ist.
22Die Beklagte beantragt,
23die Klage abzuweisen.
24Die Beklagte trägt vor, dass wie in dem Interessenausgleich vereinbart der Betrieb zum 31.5.2005 stillgelegt werde und sämtlichen Arbeitnehmern gekündigt worden sei. Soweit einzelne Aufträge fortgesetzt werden müssten, würden diese von verschiedenen anderen Unternehmen, die sich zum Teil auch im Ausland befänden, in deren eigener Betriebsstätte und Organisation abgearbeitet.
25Im Hinblick auf das Fehlen der ordnungsgemäßen Massenentlassungsanzeige trägt die Beklagte vor, dass der Betriebsrat nicht erst vor der Entlassung, sondern konform mit der Rechtsprechung EuGH zur Massenentlassung bereits vor Ausspruch der Kündigung umfassend gemäß § 17 f KSchG einbezogen worden sei. Dies werde sogar urkundlich belegt durch Ziffer V des Interessenausgleichs.
26Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze sowie auf den sonstigen Akteninhalt Bezug genommen.
27E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
28Die Klage ist unbegründet.
29I.
30Das Arbeitsverhältnis der Parteien wird durch die wirksame, streitgegenständliche Kündigung der Beklagten vom 28.1.2005 zum 31.8.2005 aufgelöst.
311.
32Die Kündigung ist durch ein dringendes, betriebliches Erfordernis im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG, welches aufgrund der Größe des Betriebes und der Betriebszugehörigkeit des Klägers unzweifelhaft auf das Arbeitsverhältnis Anwendung findet, sozial gerechtfertigt. Der Arbeitsplatz des Klägers ist infolge der unternehmerischen Entscheidung der Beklagten, den Betrieb in S. vollständig stillzulegen, ersatzlos entfallen. Entscheidet sich ein Arbeitgeber, einen Betrieb stillzulegen, so handelt es sich hierbei um eine Organisationsmaßnahme, die von den Arbeitsgerichten als Ausfluss der unternehmerischen Betätigungsfreiheit des Artikels 12 Abs. 1 GG hinzunehmen ist und nur auf Willkür überprüft werden kann. Die Maßnahme der Beklagten ist ohne weiteres nachvollziehbar und die Entscheidung weder offensichtlich unsachlich, noch willkürlich.
33Die Kammer hatte auch keinerlei Zweifel an der Ernsthaftigkeit des Stilllegungsentschlusses der Beklagten. Der Stilllegungsentschluss ist in dem Interessenausgleich vom 20.12.2004, der unter dem Vorsitz des Einigungsstellenvorsitzenden, des Direktors des Arbeitsgerichts Köln, Herrn U., zustande gekommen ist, urkundlich belegt. Dass die Beklagte auch sämtlichen Arbeitnehmern gekündigt hat, ist durch die zahlreichen beim Arbeitsgericht Wuppertal anhängigen Kündigungsschutzverfahren gerichtsbekannt. Der Kläger konnte in der mündlichen Verhandlung den Vortrag der Beklagten, dass bereits bis zur Freistellung des Klägers wesentliche Teile der Maschinen abtransportiert worden seien, nicht bestreiten.
34Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass für die Frage der Ernsthaftigkeit des Stilllegungsentschlusses auf den Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung abzustellen ist. Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte am 28.1.2005 nicht entschlossen war, ihren Betrieb in S. stillzulegen, waren für die Kammer nicht ersichtlich.
352.
36Eine Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG war entbehrlich, da die Beklagte allen Arbeitnehmern im Betrieb S., die nicht in die Transfergesellschaft gewechselt waren, gekündigt hat bzw. entsprechende Zustimmungsverfahren vor dem Integrationsamt eingeleitet hat. Der Kläger hat keinen Mitarbeiter benennen können, der mit ihm vergleichbar ist und der keine Kündigung erhalten hat.
373.
38Die Kündigung ist auch nicht wegen Verstoßes gegen § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 b KSchG unwirksam. Andere Arbeitsplätze in demselben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens, auf denen der Kläger weiterbeschäftigt werden könnte, sind nicht vorhanden. Gerichtsbekannt betreibt die Beklagte lediglich die Betriebsstätte in S.. Sofern der Kläger meint, man habe ihm eine Beschäftigung bei anderen Unternehmen der F.-Gruppe anbieten müssen, so verkennt der Kläger, dass die Prüfung freier Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1b zwar unternehmensbezogen, nicht hingegen konzernbezogen zu erfolgen hat.
394.
40Die Beklagte hat auch den bei ihr gebildeten Betriebsrat ordnungsgemäß im Sinne des § 102 BetrVG angehört. Der Kläger hat die Ordnungsgemäßheit der Betriebsratsanhörung nach den Darlegungen der Beklagten auch nicht weiter bestritten.
415.
42Der Kläger genoss auch keinen besonderen Kündigungsschutz nach dem Firmentarifvertrag Vereinbarung Standortsicherung vom 24.4.2002 mehr. Die Beklagte und die den Interessenausgleich mitunterzeichnende IG Metall haben vereinbart, dass die dortigen Regelungen zum Ausschluss ordentlicher Kündigungen außer Kraft treten und diese Vereinbarung die Wirkung eines Tarifvertrages hat. Somit haben die ursprünglichen Tarifvertragsparteien die Regelungen über den Ausschluss von ordentlichen, betriebsbedingten Kündigungen wirksam aufgehoben.
436.
44Die Kündigung erfolgte auch nicht wegen des Betriebsüberganges und ist aus diesem Grunde nicht nach § 613a Abs. 4 BGB unwirksam.
45Der Kläger, den die Darlegungs- und Beweislast des Unwirksamkeitsgrundes des § 613a Abs. 4 BGB trifft, das Vorliegen eines Betriebsüberganges nicht hinreichend substantiiert dargelegt. Da die Beklagte nicht vorgetragen hat, dass das Betriebsgebäude abgerissen werden soll, ist es nicht ungewöhnlich und für die Frage der Wirksamkeit der Kündigung unerheblich, dass in dem Betriebsgebäude nunmehr andere Unternehmen produzieren. Ein Betriebsübergang würde voraussetzen, dass die Firmen wesentliche materielle oder immaterielle Betriebsmittel der Beklagten übernommen hätten. Dass die Maschinen der Beklagten aber im wesentlichen abtransportiert wurden, konnte der Kläger nicht bestreiten und ist darüber hinaus durch den übereinstimmenden Vortrag anderer Arbeitnehmer, wonach die Maschinen nach Tschechien und Süddeutschland verbracht worden sind auch gerichtsbekannt. Auch für die Behauptung, dass wesentliche Kundenbeziehungen der Beklagten durch die Firma E. übernommen wurden, ist der Kläger beweisfällig geblieben. Seine Behauptungen gehen ins Blaue hinein. Schließlich hat der Kläger auch nicht hinreichend substantiiert dargelegt, dass wesentliche Teile der Hauptbelegschaft sofern man dies überhaupt bei einem Produktionsbetrieb für einen Betriebsübergang ausreichen lässt übernommen wurden. Der Kläger vermochte zum einen nicht vorzutragen wie viele der früheren Mitarbeiter der Beklagten übernommen sein sollen, noch konnte er entsprechende Namen benennen. Für eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung bestand daher keine Veranlassung.
46Schließlich ist für die Frage der Wirksamkeit der Kündigung auch auf den Zeitpunkt ihres Zuganges abzustellen. Findet sich erst nach Zugang der Kündigung ein Erwerber, der den Betrieb fortführt, kann dies allenfalls einen Wiedereinstellungsanspruch gegenüber dem Erwerber begründen (vgl. Elz, Der Wiedereinstellungsanspruch des Arbeitnehmers nach Wegfall des Kündigungsgrundes, Köln 2002, S. 22 ff. mit weiteren Nachweisen aus Rechtsprechung und Schrifttum).
477.
48Die Kündigung ist schließlich auch nicht wegen Verstoßes gegen §§ 17, 18 KSchG unwirksam.
49a.)
50Für die Kammer steht in tatsächlicher Hinsicht fest, dass die Beklagte der ihr obliegenden Anzeigepflicht nach § 17 Abs.1 Satz 1 Nr. 2 KSchG jedenfalls nicht vor Ausspruch der Kündigung am 28.1.2005 nachgekommen ist. Zwar trägt die Beklagte mit Schriftsatz vom 18.4.2005 vor, dass der Interessenausgleich urkundlich belege, dass der Betriebsrat bereits vor Ausspruch der Kündigung umfassend einbezogen wurde. Aufgrund dieser Ausführungen kann jedoch allenfalls davon ausgegangen werden, dass die Beklagte das vorgeschriebene Konsultationsverfahren mit dem Betriebsrat vor Ausspruch der Kündigung durchgeführt hat. Zur Frage der Anzeige bei der Agentur für Arbeit trägt die Beklagte hingegen trotz der ausdrücklichen Rüge der Klägerin nicht weiter vor. Die Kammer musste daher davon ausgehen, dass der klägerische Vortrag insoweit nicht bestritten wird.
51b.)
52Diese Tatsache führt allerdings nicht zur materiell-rechtlichen Unwirksamkeit der Kündigung
53Die ganz herrschende Meinung in der Literatur ging bislang im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes davon aus, dass zum einen mit dem Begriff Entlassung die tatsächliche Beendigung des Arbeitsverhältnis zu sehen ist und zum anderen ein Verstoß des Arbeitgebers gegen seine Anzeigepflicht nach § 17 KSchG nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung führt, da § 18 Abs. 1 KSchG seinem klaren Wortlaut nach nur die Wirksamkeit der anzeigepflichtigen Entlassung, nicht hingegen die Wirksamkeit der Kündigung betrifft (vgl. BAG vom 18.9.2003, Az.: 2 AZR 79/02, DB 2004, 2817; BAG vom 24.10.1996, Az.: 2 AZR 895/95, BAGE 84, 267; BAG vom 11.3.1999, 2 AZR 461/98, BAGE 91, 107; BAG vom 13.4.2000, Az.: 2 AZR 215/99, AP Nr. 13 zu § 17 KSchG 1969; KR-Weigand, 7. Auflage 2004, § 17 KSchG, Randziffer 32 m.w.N.; Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, 2. Auflage 2004, § 17 KSchG Randziffer 26 m.w.N.).
54An diesem Verständnis ist auch nach dem Urteil des EuGH vom 27.1.2005 (Rs. C-188/03 Junk/Kühnel, NZA 2005, 213 ff.) festzuhalten.
55Der EuGH hat auf den Vorlagebeschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 30.4.2003 (Az.: 36 Ca 19726/02, ZIP 2003, 1265) entschieden, dass die Artikel 2 bis 4 der Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20.7.1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über Massenentlassungen dahingehend auszulegen seien, dass die Kündigungserklärung des Arbeitgebers das Ereignis ist, das als Entlassung gilt und das der Arbeitgeber Massenentlassungen erst nach Ende des Konsultationsverfahrens im Sinne des Artikels 2 der Richtlinie 98/59/EG und nach der Anzeige der beabsichtigen Massenentlassung im Sinne der Artikel 3 und 4 der Richtlinie vornehmen darf (vgl. EuGH a.a.O.).
56Der EuGH hat sich in diesem Verfahren jedoch lediglich mit der Auslegung der Richtlinie 98/59/EG und nicht mit der Auslegung der nationalen Vorschriften der §§ 17 ff KSchG befasst. Gemäß Artikel 249 Abs. 3 EGV richten sich Richtlinien an die Mitgliedsstaaten und haben daher grundsätzlich im Verhältnis von Privatrechtsubjekten keine unmittelbare Wirkung. Dies wird auch durch Artikel 10 der Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20.7.1998 bestätigt, wonach diese Richtlinie an die Mitgliedsstaaten gerichtet ist. Auch der EuGH lehnt eine horizontale Direktwirkung zwischen Privaten ab (vgl. EuGH v. 14.7.1994 Rs 91/92, Slg. 1994, 3325, 3355 f. Faccini Dori). Zwar haben die nationalen Gerichte wegen des sich aus Artikel 10 EGV in Verbindung mit Artikel 249 Abs. 3 EGV ergebenden Gebote der richtlinienkonformen Auslegung das innerstaatliche Recht möglichst so auszulegen, dass es mit der Richtlinie in Einklang steht. Das nationale Gericht muss daher unter Berücksichtigung des gesamten nationalen Rechts alles tun, um die volle Wirksamkeit der Richtlinie zu gewährleisten (vgl. EuGH vom 5.10.2004, Rs. 397/01, DB 2004, 2270; EuGH vom 27.6.2000, Rs. 240/98, DB 2000, 2056). Es ist allerdings zu berücksichtigen, dass sich das Umsetzungsgebot gemäß Art. 249 Abs. 3, Art. 10 Abs. 1 EGV an den Mitgliedstaat richtet und dieser darüber entscheidet, welche innerstaatlichen Organe mit der Umsetzung der Richtlinie beauftragt sind. In Deutschland ist das Gebot der Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 3 GG) zu beachten, so dass das nationale Recht durch den Richter nicht contra legem mit dem Ziel interpretiert werden darf, den Anforderung der Richtlinie Genüge zu tun (vgl. Canaris, FS Bydlinski, 2002, S. 91 ff.; Strick, in: Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 2004, Vorb. EGV, Rn. 19). Ist das nationale Recht nach allgemeinen Auslegungsgrundsätzen nicht im Sinne der Richtlinie auslegungsfähig, bleibt das europarechtswidrige nationale Recht maßgebend (vgl. BAG vom 18.2.2003, Az.: 1 ABR 2/02, DB 2003, 1387; BAG vom 18.9.2003, Az.: 2 AZR 79/02, DB 2004, 2817; Bauer/Krieger/Powietzka, DB 2005, 445). Europarechtswidrige Normen des deutschen Rechts können nicht unangewendet bleiben, da die Gerichte keine Verwerfungskompetenz haben (vgl. Artikel 100 GG).
57Ob die §§ 17, 18 KSchG richtlinienkonform im Sinne der Entscheidung des EuGH vom 27.1.2005 ausgelegt werden können, ist seit Verkündung des Urteils im nationalen Schrifttum umstritten (gegen eine Auslegungsfähigkeit i.S.d. EuGH-Rechtsprechung: ArbG Krefeld vom 14.4.2005, Az.: 1 Ca 3731/04; Ferme/Lipinski, ZIP 2005, 593; Bauer/Krieger/Powietzka, DB 2005, 445; Groeger, ArbRB 2005, 75; Grimm/Brock, EWiR 2005, 213; tendenziell ebenso Nicolei, NZA 2005, 206; a.A. hingegen: Dornbusch/Wolf, BB 2005, 885; Wolter, AuR 2005, 135; Osnabrügge, NJW 2005, 1093). Die Kammer schließt sich der zuerst zitierten Ansicht an.
58Die Grenzen der gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung richten sich nach den allgemeinen nationalen Auslegungsregeln. Die Auslegung hat sich in erster Linie an Wortlaut, Sinn und Zweck sowie an dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers zu orientieren. Die Auslegung darf insbesondere nicht den erkennbaren Willen des Gesetzgebers verändern (vgl. BVerfG vom 11.4.2000, Az.: 1 BvL 2/00, AP Nr. 2 zu § 26 ArbGG 1979; BAG vom 6.11.2002, Az.: 5 AZR 617/01, AP Nr. 1 zu § 1a AEntG; Ferme/Lipinski, ZIP 2005, 594).
59Gegen die Auslegungsfähigkeit spricht bereits der Wortlaut der §§ 17, 18 KSchG in Verbindung mit der Gesetzessystematik. Zwar weist Wolter (AuR 2005, 135) zutreffend darauf hin, dass der deutsche Gesetzgeber auch in verschiedenen anderen Normen den Begriff der Entlassung wählt, obgleich er hiermit an den Ausspruch der Kündigung anknüpft. So finden nach § 90 Abs. 2 SGB IX die Vorschriften des Kapitels zum Kündigungsschutz keine Anwendung bei Entlassungen , die aus Witterungsgründen vorgenommen werden. Nach § 104 BetrVG kann der Betriebsrat vom Arbeitgeber die Entlassung eines Arbeitnehmers verlangen. Ebenso stellt § 5 Abs. 3 Satz 1 BetrVG darauf ab, ob der leitende Angestellte unter anderem zur Entlassung von Arbeitnehmern berechtigt ist. Auch § 2 Abs. 2 Satz 2 ArbPlSchG benutzt den Begriff der Entlassung, obgleich hiermit die Kündigungserklärung gemeint ist. Der Wortlaut ist jedoch in Zusammenhang mit der gesetzlichen Entstehungsgeschichte zu sehen. So wird im KSchG in den §§ 1 bis 16 durchgehend vom Begriff der Kündigung ausgegangen, während lediglich in den §§ 17 ff der Begriff der Entlassung gewählt ist. Es ist aber nicht erkennbar, aus welchem Grunde der Gesetzgeber innerhalb desselben Gesetzes in verschiedenen Abschnitten des Gesetzes unterschiedliche Begrifflichkeiten verwenden sollte (vgl. auch ArbG Krefeld vom 14.4.2005, a.a.O.), wenn er damit nicht zugleich auch einen unterschiedlichen Regelungsgehalt beschreiben wollte. Dass der Gesetzgeber den Begriff der Entlassung in seiner engeren, juristischen Bedeutung meint, ergibt sich insbesondere aus § 18 Abs. 1 und Abs. 4 KSchG. Soweit es dort heißt Zeitpunkt zu dem Entlassungen wirksam werden und Durchführung von Entlassungen wären diese Normen mehr als ungewöhnlich formuliert, wenn es sich dabei um den Ausspruch der Kündigungen handeln sollte (vgl. Bauer/Krieger/Powietzka, DB 2005, 445, 446; a.A. Osnabrügge, NJW 2005, 1093, der eine derartige Formulierung nicht für ungewöhnlich hält).
60Auch die Entstehungsgeschichte der Norm spricht dafür, dass der Begriff der Entlassung nicht im Sinne der Kündigungserklärung ausgelegt werden kann. Der Begriff der Entlassung geht auf eine nationale Rechtstradition zurück. Bereits in der Stilllegungsverordnung vom 15.10.1923 (RGBl. S. 1901) gab es Vorschriften über Massenentlassungen in Deutschland. Die Regelungen der StilllegungsVO wurde abgelöst durch § 20 AOG. Auch das Kündigungsschutzgesetz von 1951 enthielt entsprechende Regelungen. Mit dem 1. Arbeitsrechtsbereinigungsgesetz vom 14.8.1969 (BGBl. I, 1106) hat der Gesetzgeber durch die Abänderung der Überschrift Kündigungsschutz bei Massenentlassungen in Anzeigepflichtige Entlassungen schließlich auch sprachlich dokumentiert, dass die Entlassung im Sinne der §§ 17, 18 KSchG gerade keinen Kündigungsschutz im Sinne der § 1 ff KSchG gewährleistet, sondern nur einen anders gelagerten Schutz bietet, der nicht mit Kündigungsschutz bezeichnet werden kann (vgl. ArbG Krefeld vom 14.4.2005, a.a.O.; a.A. Osnabrügge, NJW 2005, 1093).
61Zuletzt stehen auch Sinn und Zweck der Vorschrift einer richtlinienkonformen Auslegung entgehen. Für die Interpretation des Begriffs der Entlassung als tatsächliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses spricht die primäre arbeitsmarktpolitische Zielsetzung (vgl. LAG Hamburg vom 21.6.2002, 3 Sa 98/01; Ferme/Lipinski, ZIP 2005, 594). Die Agentur für Arbeit soll in die Lage versetzt werden, sich rechtzeitig auf zu erwartende Entlassungen größeren Umfangs einstellen können. Bereits in der Begründung zum Regierungsentwurf zum KSchG 1951 (abgedruckt: RdA 1951, 65) ging der Gesetzgeber von einem derartigen Zweck der Massenentlassungsvorschriften aus. Dem gegenüber gewähren die §§ 17 ff gerade keinen Individualschutz (vgl. Ascheid/Preis/Schmidt 2. Auflage 2004, vor §§ 17 ff KSchG, Randnummer 22 m.w.N.; Ferme/Lipinski, ZIP 2005, 593, 595). Auch die Richtlinie 98/59/EG selbst enthält keinerlei eigene Sanktionen für den Arbeitgeber. Zwar sollen nach Artikel 6 der Richtlinie die Mitgliedsstaaten dafür sorgen, dass den Arbeitnehmervertretern und/oder den Arbeitnehmern administrative und/oder gerichtliche Verfahren durch Durchsetzung der Verpflichtungen gemäß dieser Richtlinie zur Verfügung stehen. Insofern ist aber zum einen zu berücksichtigen, dass auch nach bisherigem Verständnis des Begriffs der Entlassung die unterlassene Anzeige für den Arbeitgeber nicht sanktionslos ist. Die Entlassung kann nicht wirksam vollzogen werden und der Arbeitgeber bleibt verpflichtet den Arbeitnehmer weiter zu beschäftigen und ihn unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges (§ 615 BGB) auch weiterhin zu vergüten. Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass neben den §§ 17 ff KSchG mit den §§ 111 ff BetrVG weitere nationale Vorschriften gegeben sind, die die Arbeitnehmer in Umsetzung der Richtlinie 98/59/EG vom 20.7.1998 vor Massenentlassungen schützen. Auch die §§ 111 ff BetrVG sehen bei Massenentlassungen Unterrichtungs- und Beratungspflichten des Arbeitgebers vor. Mit der Möglichkeit eines Nachteilsausgleichs hat der Gesetzgeber auch ein entsprechendes Druckmittel geschaffen, um die Arbeitgeberseite zur Einhaltung der §§ 111 ff BetrVG anzuhalten (vgl. Ferme/Lipinski, ZIP 2005, 593, 595; ArbG Krefeld vom 14.4.2005, a.a.O.; Hennings, EWiR 2005, 69).
62Die Argumente der Vertreter, die eine richtliniekonforme Auslegung der §§ 17, 18 KSchG im Sinne der Rechtsprechung des EuGH vom 27.1.2005 einfordern, vermögen dem gegenüber nicht zu überzeugen. So befürworten insbesondere Dornbusch/Wolf (BB 2005, 885), Wolter (AuR 2005, 135) und Osnabrügge (NJW 2005, 1093) eine richtlinienkonforme Auslegung. Sie legen jedoch lediglich dar, dass der Wortlaut der §§ 17, 18 KSchG einer richtlinienkonformen Auslegung nicht entgegenstehe, ohne sich mit den Grenzen der Auslegung, die sich aus Sinn und Zweck der Norm sowie aus der Entstehungsgeschichte ergeben, auseinander zu setzen.
63II.
64Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 91 Abs. 1 ZPO. Den Streitwert hat das Gericht gemäß §§ 61 Abs. 1, 42 Abs. 4 GKG im Urteil festgesetzt. Er gilt zugleich als Wertfestsetzung für die Gerichtsgebühren im Sinne des § 63 Abs. 2 GKG.
65Rechtsmittelbelehrung
66Gegen dieses Urteil kann von der Partei
67B e r u f u n g
68eingelegt werden.
69Für die Partei ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.
70Die Berufung muss
71innerhalb einer N o t f r i s t* von einem Monat
72beim Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Ludwig-Erhard-Allee 21, 40227 Düsseldorf, Fax: (0211) 7770 - 2199 eingegangen sein.
73Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach dessen Verkündung. § 9 Abs. 5 ArbGG bleibt unberührt.
74Die Berufungsschrift muss von einem bei einem deutschen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt eingereicht werden; an seine Stelle können Vertreter einer Gewerkschaft oder einer Vereinigung von Arbeitgebern oder von Zusammenschlüssen solcher Verbände treten, wenn sie kraft Satzung oder Vollmacht zur Vertretung befugt sind und der Zusammenschluss, der Verband oder deren Mitglieder Partei sind. Die gleiche Befugnis haben Angestellte juristischer Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der zuvor genannten Organisationen stehen, solange die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung der Mitglieder der Organisation entsprechend deren Satzung durchführt.
75* Eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.
76Dr. Elz
77Ausgefertigt:
78Reg.-Angestellte als Urkundsbeamtin
79der Geschäftsstelle