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Auch Umkleidezeiten sind Arbeitszeit (BAG, Urteil vom 19.09.2012, 5 AZR 678/11). Ordnet der Arbeitgeber Umkleidezeiten vor Beginn der in einer Betriebsvereinbarung geregelten Arbeits- bzw.Schichtzeiten an, verhält er sich beriebsvereinbarungswidrig.
1.Der Beteiligten zu 2) wird aufgegeben, es zu unterlassen, gegenüber Arbeitnehmern des Betriebes - soweit diese nicht im Lager oder in der Verwaltung beschäftigt werden und es sich nicht um leitende Angestellte handelt - Umkleidezeiten anzuordnen oder von diesen entgegenzunehmen, die von den auf der Grundlage der Gesamtbetriebsvereinbarung über flexible Arbeitszeit vom 28.06.2012 geregelten Arbeitszeiten abweichen, ohne dass der Beteiligte zu 1) hierzu seine Zustimmung erteilt hat oder diese gem. § 87 Abs. 2 BetrVG durch den Spruch der Einigungsstelle ersetzt worden ist, es sei denn, es läge ein Eilfall vor.
2.Für jeden Fall der Zuwiderhandlung wird der Beteiligten zu 2) die Verhängung eines Ordnungsgeldes in Höhe von bis zu 10.000 Euro angedroht.
G r ü n d e:
2I.
3Im vorliegenden Verfahren nimmt der Betriebsrat die Arbeitgeberin auf Unterlassung in Anspruch.
4Bei der Arbeitgeberin handelt es sich um ein tarifgebundenes Unternehmen der Nahrungsmittelindustrie, das vornehmlich Snacks wie Kartoffelchips etc. herstellt. Der Antragsteller ist der im Betrieb der Arbeitgeberin in X. gebildete Betriebsrat.
5Im Unternehmen der Arbeitgeberin ist ein Gesamtbetriebsrat gebildet. Es existiert auch ein Konzernbetriebsrat.
6Im Betrieb in X. fand die auf Bl. 7 ff. in Ablichtung zur Akte gereichte Betriebsvereinbarung über flexible Arbeitszeit vom 09.11.2007 Anwendung.
7Am 28.06.2012 kam es zum Abschluss der auf Bl. 66 ff. zur Akte gereichten Gesamtbetriebsvereinbarung über flexible Arbeitszeit. Demnach gilt nach Maßgabe von § 2 Ziffer 1 - ebenso wie dies zuvor auf Grundlage der Betriebsvereinbarung vom 09.11.2007 der Fall war - als Grundarbeitszeitmodell der rollierende Drei-Schicht-Betrieb mit Schichtzeiten in der Regel von 06:00 Uhr bis 14:00 Uhr (Frühschicht), 14:00 bis 22:00 Uhr (Spätschicht) und 22:00 bis 06:00 Uhr (Nachtschicht).
8Auf Grundlage einer weiteren, auf Bl. 60 f. in Ablichtung zur Akte gereichten Vereinbarung, zwischen der Arbeitgeberin und den Betriebsräten der Werke B., D., Q. und X. hat sich der Betriebsrat X. zur vollinhaltlichen und mit uneingeschränkter Wirkung Übernahme der Gesamtbetriebsvereinbarung über flexible Arbeitszeit nebst Anhang verpflichtet.
9Aufgrund der Herstellung von Nahrungsmitteln gelten im Betrieb der Arbeitgeberin sehr strenge Auflagen für die Arbeitskleidung, die im Einzelnen in den auf Bl. 13 ff. zur Akten gereichten "Verhaltensregeln in den Produktionsstätten" dokumentiert sind. Demnach dürfen die Produktionsräume unter anderem nur in sauberer Arbeitskleidung betreten werden, wobei die Privatkleidung bis zum Knie abgedeckt sein muss. Die saubere Arbeitskleidung ist vor Arbeitsbeginn in den Umkleideräumen anzuziehen und nach Arbeitsende dort auszuziehen.
10Im Betrieb der Arbeitgeberin wird ein elektronisches Zeiterfassungssystem genutzt. Die durch das Anstempeln der Mitarbeiter erfasste Zeit wird durch dieses Zeiterfassungssystem automatisch auf den Schichtbeginn bzw. auf das Schichtende gekappt. Grundsätzlich ist der Ablauf bei Schichtbeginn so, dass die Mitarbeiter deutlich vor Schichtbeginn erscheinen, anstempeln, sich umziehen und dann zum Schichtbeginn mit der eigentlichen Produktionstätigkeit beginnen. Die Mitarbeiter sind verpflichtet, ihre Produktionstätigkeit pünktlich zum Schichtbeginn aufzunehmen.
11Der Betriebsrat ist der Auffassung, die Arbeitgeberin verstoße gegen die Gesamtbetriebsvereinbarung vom 28.06.2012 dadurch, dass sie Umkleidezeiten außerhalb der in der Gesamtbetriebsvereinbarung geregelten Schichtarbeitszeiten anordne bzw. entgegennehme, da es sich auch bei der Umkleidezeit um Arbeitszeit handele.
12Der Betriebsrat beantragt nach teilweiser Antragsrücknahme bzw. Antragsänderung nunmehr noch,
131.der Arbeitgeberin zu untersagen, gegenüber Arbeitnehmern des Betriebes - soweit diese nicht im Lager oder in der Verwaltung beschäftigt werden und es sich nicht um leitende Angestellte handelt - Umkleidezeiten anzuordnen oder von diesen entgegenzunehmen, die von den auf der Grundlage der Gesamtbetriebsvereinbarung über flexible Arbeitszeit vom 28.06.2012 zwischen den Beteiligten vereinbarten täglichen Arbeitszeiten abweichen, ohne dass der Betriebsrat hierzu seine Zustimmung erteilt hat oder diese gemäß § 87 Abs. 2 BetrVG durch den Spruch einer Einigungsstelle ersetzt worden ist, es sei denn es läge ein Eilfall vor;
142.Für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen den Antrag zu 1. der Arbeitgeberin die Verhängung eines Ordnungsgeldes in Höhe von bis zu 10.000,00 € anzudrohen.
15Die Arbeitgeberin beantragt,
16die Anträge zurückzuweisen.
17Sie hält den Antrag zu 1 für unzulässig, da eine Auftragszuständigkeit des Gesamtbetriebsrates, nicht aber des örtlichen Betriebsrates bestehe. Der Antrag sei auch rechtsmissbräuchlich, da der Betriebsrat jahrelang ohne entsprechende Regelung in einer Betriebsvereinbarung toleriert habe, dass Umkleidezeiten regelmäßig außerhalb der in einschlägigen Betriebsvereinbarungen zur Arbeitszeit im Werk X. angefallen seien.
18Die Unbegründetheit des Antrages ergebe sich aus einer konkludenten Zustimmung des Betriebsrates aufgrund jahrelanger Akzeptanz der bisherigen Handhabung zu den anfallenden Umkleidezeiten.
19Die Problematik werde zurzeit auf unterschiedlichen Betriebsratsebenen mit der Arbeitgeberin erörtert, wobei sich zwischenzeitlich der Gesamtbetriebsrat und sogar der Konzernbetriebsrat für in der Sache zuständig erklärt hätten. Es herrsche ein erhebliches Durcheinander auf Betriebsratsseite, wer denn nun für weitere Verhandlungen in der Sache mit der Arbeitgeberin zuständig sei.
20Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die von den Beteiligten zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Ablichtungen ergänzend Bezug genommen.
21II.
221.
23Der Antrag zu 1 des Betriebsrates ist zulässig und begründet.
24a)
25Streitigkeiten darüber, ob der Arbeitgeber eine Vereinbarung, insbesondere eine Betriebsvereinbarung, richtig ausführt, entscheidet das Arbeitsgericht im Beschlussverfahren, § 2 a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 i. V. mit §§ 80 ff. ArbGG, (Kreutz GK-BetrVG, 10. Auflage, § 77 Randnummer 26).
26Fragen der Zuständigkeit des Betriebsrates und des Rechtsmissbrauchs betreffen die Begründetheit des Antrages, nicht aber dessen Zulässigkeit. Weitere Bedenken hinsichtlich der Zulässigkeit bestehen nicht.
27b)
28Der Antrag ist auch begründet.
29Die Pflicht des Arbeitgebers zur Durchführung von Betriebsvereinbarungen aus § 77 Abs. 1 Satz 1 BetrVG beinhaltet zugleich die Verpflichtung des Arbeitgebers, dass er betriebsverfassungswidrige Maßnahmen unterlässt und dafür sorgt, dass sich auch die Arbeitnehmer in seinem Betrieb an die Regelungen einer Betriebsvereinbarung halten. Der Durchführungsanspruch des Betriebsrats aus § 77 Abs. 1 Satz 1 BetrVG beinhaltet insoweit auch einen Unterlassungsanspruch bei Verstößen gegen eine Betriebsvereinbarung (vgl. LAG Hamm Beschluss vom 10.02.2012, 10 TaBV 59/11, Juris).
30Auf Antrag des Betriebsrates (Unterlassungsantrag) können dem Arbeitgeber auch betriebsvereinbarungswidrige Maßnahmen untersagt werden. Der Durchführungsanspruch aus § 77 Abs. 1 Satz 1 beinhaltet diesen Unterlassungsanspruch, denn Durchführung bedeutet auch, Maßnahmen zu unterlassen, die im Widerspruch zur getroffenen Vereinbarung stehen. (Vgl. Kreutz GK-BetrVG, § 77 Randnummer 27).
31Die Arbeitgeberin verhält sich, indem sie Umkleidezeiten vor Schichtbeginn anordnet bzw. entgegennimmt, betriebsvereinbarungswidrig. Der Anspruch auf Unterlassung der Entgegennahme bzw. Anordnung von Umkleidezeiten außerhalb der durch die Gesamtbetriebsvereinbarung geregelten Schichtzeiten kann auch vom örtlichen Betriebsrat geltend gemacht werden.
32aa)
33Die Arbeitgeberin ordnet in ihrem Betrieb in X. an, dass ihre im Produktionsbereich tätigen Mitarbeiter ihre Arbeitstätigkeit pünktlich zu Schichtbeginn antreten und frühestens zu Schichtende beenden und während der gesamten auf die Tätigkeit in der Produktion entfallenden Zeit die vorgeschriebene Arbeitskleidung tragen, die Tätigkeit in der Produktion also bereits umgekleidet antreten und noch mit Arbeitskleidung bekleidet beenden müssen. Das Anlegen der vorgeschriebenen Arbeitskleidung und auch das Ablegen der vorgeschriebenen Arbeitskleidung erfolgen dementsprechend im Betrieb der Arbeitgeberin außerhalb der in der Gesamtbetriebsvereinbarung vom 28.06.2012 geregelten Schichtarbeitszeiten, was von der Arbeitgeberin so angeordnet und entgegengenommen wird.
34Auch Umkleidezeiten und durch das Umkleiden veranlasste innerbetriebliche Wegezeiten sind indes, wie das Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 19.09.2012 (5 AZR 678/11, NZA-RR 2013, 63 - 66) klargestellt hat, Arbeitszeit.
35bb)
36Die für den Unterlassungsanspruch erforderliche Wiederholungsgefahr ist gegeben. Für diese Wiederholungsgefahr besteht bereits eine tatsächliche Vermutung, wenn in der Vergangenheit Mitbestimmungsrechte verletzt worden sind. (Vgl. BAG vom 29.02.2000, 1 ABR 4/99, Juris). Umstände dafür, dass ein weiterer Verstoß gegen die Einhaltung der in der Gesamtbetriebsvereinbarung niedergelegten Schichtarbeitszeiten durch Anordnung von Umkleidezeiten außerhalb dieser Zeiten nicht mehr in Betracht kommt, hat die Arbeitgeberin nicht dargelegt. Die Problematik ist der Arbeitgeberin bereits seit geraumer Zeit bekannt, ohne dass sie durch entsprechende Verhandlungen bzw. Vereinbarungen Sorge dafür getragen hätte, weitere Verstöße abzuwenden.
37cc)
38Eine konkludente Regelungsabrede, die dem Betriebsrat vorliegend verwehren könnte, die Unterlassung dieses betriebsvereinbarungswidrigen Verhaltens zu begehren, ist hier nicht ersichtlich.
39Auch ein Betriebsrat, der es für einen längeren Zeitraum hingenommen hat, dass der Arbeitgeber gegen eine Betriebsvereinbarung verstößt, kann die Unterlassung des betriebsvereinbarungswidrigen Verhaltens des Arbeitgebers arbeitsgerichtlich durchsetzen (vgl. LAG Frankfurt vom 12.07.1988, Juris; Berg, Deupler/Kittner/Kleber, BetrVG, § 77 Randnummer 5).
40dd)
41Allerdings kann ein Betriebsrat grundsätzlich nicht die Durchführung von Gesamt- und Konzernbetriebsvereinbarungen verlangen, deren Durchführung können nur der Gesamtbetriebsrat bzw. der Konzernbetriebsrat als jeweiliger Vertragspartner verlangen (vgl. LAG Hamm vom 05.03.2010, 10 TaBV 67/09, Juris). Dies gilt grundsätzlich auch für den entsprechenden Unterlassungsanspruch, wenn man den Durchführungsanspruch als Erfüllungsanspruch, der nur dem Vertragspartner zusteht, begreift. (Vgl. LAG Baden-Württemberg vom 25.02.2011, Juris).
42Ob eine Abweichung von diesem Grundsatz hier deshalb gerechtfertigt ist, da gegebenenfalls nur ein Betrieb von der Nichtanwendung der Gesamtbetriebsvereinbarung betroffen ist, kann hier dahinstehen. Nach Auffassung der Kammer steht dem örtlichen Betriebsrat hier ein eigener Durchführungs- und dementsprechend auch ein eigener Unterlassungsanspruch zu, weil er sich durch Vereinbarung vom 28.06.2012 ausdrücklich zur Übernahme der in der Gesamtbetriebsvereinbarung getroffenen Regelungen verpflichtet hat. Diese Verpflichtung des örtlichen Betriebsrates beinhaltet auch das Recht des örtlichen Betriebsrates zur Durchsetzung des Durchführungs- bzw. Unterlassungsanspruches.
432.
44Die Androhung des Ordnungsgeldes erfolgt nach Maßgabe von §§ 85 Abs. 1 ArbGG, 890 Abs. 2 ZPO.
45RECHTSMITTELBELEHRUNG
46Gegen diesen Beschluss kann von der Beteiligten zu 2 Beschwerde eingelegt werden.
47Für die Beteiligte zu 1 ist gegen diesen Beschluss kein Rechtsmittel gegeben.
48Die Beschwerde muss innerhalb einer Notfrist* von einem Monat schriftlich oder in elektronischer Form beim
49Landesarbeitsgericht Düsseldorf
50Ludwig-Erhard-Allee 21
5140227 Düsseldorf
52Fax: 0211 7770-2199
53eingegangen sein.
54Die elektronische Form wird durch ein qualifiziert signiertes elektronisches Dokument gewahrt, das nach Maßgabe der Verordnung des Justizministeriums über den elektronischen Rechtsverkehr bei den Arbeitsgerichten im Lande Nordrhein-Westfalen (ERVVO ArbG) vom 2. Mai 2013 in der jeweils geltenden Fassung in die elektronische Poststelle zu übermitteln ist. Nähere Hinweise zum elektronischen Rechtsverkehr finden Sie auf der Internetseite www.egvp.de.
55Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Beschlusses, spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach dessen Verkündung.
56Die Beschwerdeschrift muss von einem Bevollmächtigten unterzeichnet sein. Als Bevollmächtigte sind nur zugelassen:
571.Rechtsanwälte,
582.Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,
593.juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in Nr. 2 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt, und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
60Eine Partei, die als Bevollmächtigte zugelassen ist, kann sich selbst vertreten.
61Eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.