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Die Bedrohung eines Vorgesetzten mit den Worten :" Ich hau dir vor die Fresse, ich nehme es in Kauf, nach einer Schlägerei gekündigt zu werden, der kriegt von mir eine Schönheitsoperation, wenn ich dann die Kündigung kriege, ist mir das egal " ist auch bei einem langjährig bestehenden Arbeitsverhältnis (hier: 25 Jahre) jedenfalls dann geeignet, einen wichtigen Grund i, S. d. § 626 BGB darzustellen, wenn der Arbeitnehmer zuvor (wegen der Bedrohung eines anderen Vorgesetzten) einschlägig abgemahnt worden ist.
1.Die Klage wird abgewiesen.
2.Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
3.Der Streitwert wird auf 9.850,50 € festgesetzt.
T A T B E S T A N D :
2Die Parteien streiten über die Wirksamkeit zweier außerordentlicher, fristlosen Kündigungen der Beklagten.
3Der Kläger arbeitete bei der Beklagten seit dem 01.04.1987 als Arbeiter und verdiente zuletzt nach seinen Angaben durchschnittlich 3.283,50 € brutto pro Monat. Zurzeit der Kündigung war der Kläger dem Fachbereich Ingenieurbüro und Baubetrieb, Abteilung Straßenmanagement zugeordnet. Auf das Arbeitsverhältnis finden die Tarifverträge des öffentlichen Dienstes (TVöD) in der jeweiligen Fassung Anwendung.
4Der Kläger ist 1969 geboren, verheiratet und für drei Kinder unterhaltsverpflichtet.
5Die Beklagte mahnte den Kläger mit Schreiben vom 18.08.2011 ab. Kern des Vorwurfes dieser Abmahnung ist die Bedrohung des damaligen Vorgesetzten Herrn T. mit folgenden Worten des Klägers:
6"Du hörst mir jetzt zu. Wenn ich dich privat erwische, mache ich dich platt. Ich werde dahingehende Schritte einleiten."
7Im Jahr 2012 erkrankte der Kläger bis zum 28.05.2012.
8Am 29.05.2012 nahm der Kläger seine Arbeit wieder auf. Er war mit dem Auszubildenden und Zeugen Herrn C. mit Bodenbelagsarbeiten am T. betraut. An diesem Morgen kam der Abteilungsleiter, Herr O., auf den Kläger zu und wies ihn darauf hin, dass seine aus Sicht der Beklagten aggressiven Grundeinstellung gegenüber seinem unmittelbaren Vorgesetzten, dem Zeugen U., nicht toleriert werde. Der Zeuge O. ermahnte den Kläger nachhaltig, sein Verhalten gegenüber dem Zeugen U. zu ändern und seine Arbeit vernünftig auszuführen, damit es keinen Anlass für weitere Auseinandersetzungen gebe.
9Im Laufe des Vormittages besuchte der Zeuge U. die Baustelle am T. mehrfach. Ob es dabei zu einer Provokation des Zeugen U. gegenüber dem Kläger gekommen ist, ist zwischen den Parteien streitig.
10Als der Vorgesetzte des Herrn U., Herr H., gegen Mittag die Baustelle besuchte, kam es zunächst zu einem Gespräch zwischen dem Kläger und Herrn H.. Der Kläger erklärte Herrn H., er - der Kläger - könne unmöglich mit dem Zeugen U. weiter zusammenarbeiten, es habe bereits eine Situation gegeben, bei der er - der Kläger - beinahe handgreiflich geworden wäre. Dann sei Herr U. zu diesem Gespräch hinzugekommen und habe gegenüber Herrn H. ergänzt, dass er sich vom Kläger bedroht fühle, und dass er Angst um seine Gesundheit habe.
11Daraufhin erklärte der Kläger gegenüber dem Zeugen U. im Beisein von Herrn H.:
12"Ich hau dir vor die Fresse (dies erklärte er mehrmals), ich nehme es in Kauf, nach einer Schlägerei gekündigt zu werden, der kriegt von mir eine Schönheitsoperation, wenn ich dann die Kündigung kriege, ist mir das egal."
13Nach erfolgter Anhörung des bei der Beklagten bestehenden Personalrates vom 31.05.2012 und der Stellungnahme des Personalrates vom 06.06.2012 ("Es wird einstimmig beschlossen, keine Stellungnahme abzugeben.") kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger mit Schreiben vom 06.06.2012, dem Kläger am 08.06.2012 zugegangen, fristlos.
14Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit weiterem Schreiben vom 07.09.2012, zugegangen am 12.09.2012 wiederum fristlos. Gegenstand dieser Kündigung ist ein vom Kläger veranlasstes Schreiben der Autolackierer L. vom 14.08.2012, in dem der Inhaber der Firma, Herr E. L., dem Kläger folgendes schrieb:
15"Gerne bestätige ich Ihnen, dass Herr U. Z. am 14.05.2012 mit mir eine Vereinbarung getroffen hat, sein Fahrzeug zu reparieren, im Gegenzug würde er mir die Einfahrt vor meinem Firmengelände absenken. Falls die Absenkung der Einfahrt von der Stadt N. abgelehnt wird, würde Herr U. Z. die Reparatur seines Fahrzeuges bezahlen. Am 13.08.2012 begann die Firma F. mit der Absenkung vor dem Firmengelände, Fertigstellung der Absenkung am 14.08.2012."
16Diesbezüglich wirft die Beklagte dem Kläger vor, dass er und Herr L. Freunde seien und der Kläger ihm gegenüber erwähnt habe, dass er durch den Zeugen U. drangsaliert werde. Herr L. habe sich deshalb vom Kläger breitschlagen lassen, das entsprechende Schreiben vom 14.08.2012 aufzusetzen, um den Zeugen U. in Schwierigkeiten zu bringen.
17Im Kern behauptet der Kläger, vom Zeugen U. provoziert worden zu sein. Nachdem der Zeuge U. Anfang des Jahres 2012 sein Vorgesetzter geworden sei, sei es gegenüber dem Kläger und auch weiteren Mitarbeitern zu Provokationen, Beleidigungen und Schikanen gekommen. Dabei mündeten die Beschimpfungen etwa in den Bemerkungen:
18"Du Muschi, hau mich doch, trau Dich, ich mach Euch alle fertig, Ihr seid ja so hässliche Vögel, sowas hab ich ja noch nie gesehen, Ihr faulen Säue, Ihr Looser, ich mach Euch alle fertig, ich krieg Euch alle".
19Der Kläger habe sich über diese Situation gegenüber seinen Vorgesetzten O. und H. beschwert und auch den Personalrat um Mithilfe gebeten.
20Der Zeuge U. habe die Arbeiten des Klägers mehrfach scharf kritisiert ("Die Arbeit ist scheiße").
21Am 29.05.2012 sei der Zeuge U. ständig nahe am Kläger vorbeigekommen und habe diesen mit ständig wiederkehrenden Bemerkungen wie: "Du Muschi, hau mich doch, trau Dich, ich mach Euch alle fertig, Ihr seid ja so hässliche Vögel, sowas hab ich ja noch nie gesehen, Ihr faulen Säue, Ihr Looser, ich mach Euch alle fertig, ich krieg Euch alle" provozieren wollen.
22Aufgrund der ständigen Provokationen des Zeugen U. sei der Kläger dann am 29.05.2012 derart aufgebracht gewesen, dass er es nicht mehr ausgehalten und die entsprechenden Worte ("Ich hau Dir vor die Fresse, ich nehm es in Kauf, nach einer Schlägerei gekündigt zu werden, der kriegt von mir eine Schönheitsoperation, wenn ich dann die Kündigung kriege, ist mir das egal") geäußert habe. Dies sei aber keinesfalls als irgendwie geartete Bedrohung aufzufassen gewesen, sondern habe allein einem "sich Luftmachen" gedient. Der Kläger neige gerade nicht zu Handgreiflichkeiten und sei auch nicht bekannt dafür, andere Mitarbeiter zu bedrohen.
23Die Abmahnung vom 18.08.2011 sei nicht gerechtfertigt. Sie sei vielmehr eine Reaktion darauf, dass der damalige Vorgesetzte Herr T. die Mitarbeiter während ihrer Arbeitszeit mit privaten Arbeiten (Wagen waschen, Ölwechsel, zuhause Grünabfälle abholen, Rasen zuhause mähen, Wespennest aus dem Haus entfernen) beschäftigt und der Kläger sowie ein Kollege den Amtsleiter davon unterrichtet habe. Dies zeige sich schon daran, dass die Beklagte erst vier Monate nach dem eigentlichen Vorfall sich veranlasst gesehen habe, dem Kläger eine Abmahnung auszusprechen. Der Kläger habe daher den Verdacht, dass er als "Nestbeschmutzer" ruhig gestellt werden sollte.
24Hinsichtlich der Kündigung vom 07.09.2012 behauptet der Kläger, von Herrn E. L. die Mitteilung erhalten zu haben, dass dieser eine private Vereinbarung mit dem Zeugen U. getroffen habe. Der Zeuge U. habe wohl unverschuldet einen Verkehrsunfall mit seinem Pkw erlitten und diesen Unfallschaden gegenüber der gegnerischen Haftpflichtversicherung abgerechnet und das Geld entsprechend einer fiktiven Abrechnung eines Unfallschadens von der Unfallversicherung erhalten. Diesen Unfallschaden habe die Firma von Herrn L. kostenlos repariert. Im Gegenzug habe Herr U. dafür Sorge getragen, dass seine Einfahrt zur Autolackiererei - ebenfalls kostenlos - entsprechend weiter abgesenkt würde, um Kunden problemloser die Auffahrt zur Autolackiererei des Herrn L. zu ermöglichen.
25Letztlich seien bei der Beklagten 100 bis 150 Stellen vakant, sodass jederzeit die Möglichkeit bestünde, den Kläger auf eine adäquate Stelle umzusetzen, um den Ausspruch einer fristlosen Kündigung zu umgehen.
26Der Kläger beantragt
27festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis weder durch die Kündigung vom 06.06.2012 (Zugang 08.06.2012), noch durch die Kündigung vom 07.09.2012 (Zugang 12.09.2012) beendet worden ist.
28Die Beklagte beantragt,
29die Klage abzuweisen.
30Im Wesentlichen behauptet die Beklagte, dass der Kläger in der ersten Jahreshälfte mehrfach gegenüber dem Zeugen U. ausfällig geworden sei. So habe der Kläger gegenüber dem Zeugen U. beispielsweise geäußert:
31"Wenn ich dich morgens hier sehe, kotzt Du mich an".
32Mehrfach habe der Kläger den Zeugen U. als "Scheiß-Türke" bezeichnet. In Anwesenheit des Mitarbeiters D. habe er zudem noch gesagt:
33"Wenn keine Zeugen dabei wären, dann würde ich Dir zeigen, wo es lang geht".
34Bei dieser Äußerung habe der Kläger dicht vor dem Zeugen U. gestanden.
35Der Zeuge U. habe den Kläger in keiner Weise provoziert. Nachdem der Zeuge U. am 29.05.2012 den Kläger aufgefordert habe, dem Auszubildenden und Zeugen C. zu helfen, habe der Kläger ausgesprochen aggressiv reagiert. So habe der Kläger ganz bewusst mehrfach den Zeugen U. im Vorbeigehen gestreift und sich einmal direkt vor ihm aufgebaut und ihm gestikulierend Grimassen geschnitten. Der Zeuge U. habe sich in diesem Moment massiv bedroht gefühlt.
36Hinsichtlich der Kündigung vom 07.09.2012 behauptet die Beklagte, dass der Vorarbeiter Herr X. am 28.08.2012 zur Autolackiererei L. gefahren sei und mit Herrn E. L. wegen des Schreibens vom 14.08.2012 gesprochen habe. Daraufhin habe Herr L. erklärt, dass die Vorgänge aus dem Schreiben vom 14.08.2012 frei erfunden seien. Er habe deswegen auch ein ausgesprochen schlechtes Gewissen und sei bereit, sofort die Angelegenheiten im Fachbereich Ingenieurbüro und Baubetrieb aufzuklären und richtig zu stellen.
37Daraufhin habe sich der Vorarbeiter X. mit Herrn L. auf den Weg zur Stadtverwaltung gemacht. Auf dem Weg dorthin habe Herr L. Herrn X. erklärt, dass er sich durch den Kläger, den er auch privat gut kenne, zu diesem Schreiben habe "bequatschen" lassen. Dies täte ihm nun sehr leid und er wolle die Angelegenheit aus der Welt schaffen. Herr L. habe unter Vieraugen mit Herrn O. gesprochen und den Sachverhalt wie zuvor gegenüber Herrn X. dargelegt. Eine schriftliche Bestätigung wollte Herr L. gegenüber Herrn O. nicht abgeben, vielmehr wolle er sich mit seinen Anwälten, den Rechtsanwälten d. & Kollegen in Verbindung setzen. Stattdessen erhielt die Beklagte am 30.08.2012 ein Schreiben des Prozessbevollmächtigten des Klägers, der sich auch für Herrn L. bestellte, und welcher erklärte, dass die Angaben im Schreiben vom 14.08.2012 der Wahrheit entsprächen.
38Wegen des weiteren Parteivortrages wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, welche Gegenstand der mündlichen Verhandlungen waren, sowie auf die Sitzungsprotokolle verwiesen.
39Die Kammer hat Beweis erhoben zur Frage, ob der Kläger am 29.05.2012 durch den Vorgesetzten U. provoziert und bedroht worden ist, durch Vernehmung der Zeugen C. und U.. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 04.10.2012 verwiesen.
40E N T S C H E I D U N G S G R Ü N D E :
41Die zulässige Klage ist unbegründet.
42Die Kündigung vom 06.06.2012 hat das Arbeitsverhältnis mit Zugang 08.06.2012 fristlos aufgelöst. Die Kündigung vom 07.09.2012 läuft demnach ins Leere, da zum Zeitpunkt des Zugangs der zweiten Kündigung das Arbeitsverhältnis bereits nicht mehr bestanden hat.
43Der Kläger hat beide Kündigungen fristgerecht im Sinne von §§ 4, 7 KSchG angegriffen.
44Die Kündigung vom 06.06.2012 ist gem. § 626 Abs. 1 BGB, 34 Abs. 2 TVöD rechtswirksam.
45I.
461.
47Gem. § 626 Abs. 1 BGB kann ein Arbeitsverhältnis von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Die Prüfung hat in zwei systematisch zu trennenden Abschnitten zu erfolgen. Zunächst ist zu fragen, ob der Sachverhalt ohne die besonderen Umstände des Einzelfalls an sich geeignet ist, einen wichtigen Grund abzugeben, sodann, ob bei Berücksichtigung aller Umstände und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (BAG v. 10.06.2010, 2 AZR 541/09 in AP-Nr. 229 zu § 626 BGB).
48Für den Kläger, der ordentlich unkündbar ist im Sinne von § 34 Abs. 2 TVöD gilt nichts anderes, da der entsprechende Tarifvertrag keine eigenständige Regelung hinsichtlich der Berechtigung von außerordentlichen Kündigung getroffen hat. Es bleibt bei der Regelung des § 626 BGB. Der Kläger, welcher älter ist als 40 Jahre und dem Tarifgebiet West angehört, weist eine Beschäftigungszeit gem. § 34 Abs. 3 Satz 1 TVöD von länger als 15 Jahren auf und fällt demnach unter diese Regelung.
492.
50Vorliegend handelt es sich um eine Kündigung, die im Verhalten des Arbeitnehmers begründet liegt. Eine solche ist gerechtfertigt, wenn der Arbeitnehmer mit dem ihm vorgeworfenen Verhalten eine Vertragspflicht - grundsätzlich schuldhaft - verletzt, das Arbeitsverhältnis dadurch konkret beeinträchtigt wird, eine zumutbare Möglichkeit einer anderen Beschäftigung nicht besteht und die Lösung des Arbeitsverhältnisses in Abwägung der Interessen der Parteien als billigenswert und angemessen erscheint (z.B. BAG vom 24.06.2004, 2 AZR 63/03; Juris).
51Dabei spielt die Qualität der Vertragsverletzung eine erhebliche Rolle.
523.
53Bei der Konkretisierung der in Betracht kommenden Verletzung der vertraglichen Rücksichtnahmepflicht, § 241 Abs. 2 BGB, wie der Wahrung des Betriebsfriedens, z.B. durch das Unterlassen von Beleidigungen und Bedrohungen, ist auch das Grundrecht des Arbeitnehmers auf Meinungsfreiheit hinreichend zu beachten. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes (z. B. vom 16.10.1998, 1 BvR 1685/92 in AP BGB § 611 Abmahnung Nr. 24) besteht der Grundrechtsschutz gem. Art. 5 GG unabhängig davon, ob eine Äußerung rational oder emotional, begründet oder grundlos ist, ob sie von anderen für nützlich oder schädlich, wertvoll oder wertlos gehalten wird. Der Grundrechtsschutz bezieht sich sowohl auf den Inhalt, als auch auf die Form der Äußerung. Auch eine polemische oder verletzende Formulierung entzieht einer Äußerung noch nicht den Schutz der Meinungsfreiheit (BVerfG v. 10.10.2012, 1 BvR 1476/92; Juris).
54Das Grundrecht wird allerdings nicht schrankenlos gewährt, sondern durch die allgemeinen Gesetze und das Recht der persönlichen Ehre beschränkt, und muss in ein ausgeglichenes Verhältnis mit diesen gebracht werden. So ist auch die verfassungsrechtlich geschützte Position des Arbeitgebers durch Art. 12 GG zu beachten. Danach wird die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit des Arbeitgebers, die insbesondere durch eine Störung des Arbeitsablaufs und des Betriebsfriedens berührt werden kann, geschützt. Das Grundrecht der Meinungsfreiheit muss regelmäßig dann zurücktreten, wenn sich die Äußerung als Angriff auf die Menschenwürde oder als eine Formalbeleidigung oder Schmähung darstellt (BVerfG v. 16.10.1998 a.a.O.).
55II.
56Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze musste die Kammer zu dem Ergebnis kommen, dass die Äußerung des Klägers Grund genug war, das Arbeitsverhältnis fristlos zu kündigen.
571.
58Unstreitig hat der Kläger gegenüber seinem Vorgesetzten und Zeugen U. im Beisein des ranghöheren Vorgesetzten H. erklärt:
59"Ich hau Dir vor die Fresse (dies erklärte er mehrmals), ich nehme es in Kauf, nach einer Schlägerei gekündigt zu werden, der kriegt von mir eine Schönheitsoperation, wenn ich dann die Kündigung kriege, ist mir das egal."
60Diese - auch strafrechtlich relevante - Äußerung stellt eine erhebliche Bedrohung des Vorgesetzten und Zeugen U. dar. Das Recht des Klägers auf freie Meinungsäußerung muss insofern zurücktreten. Der Kläger droht dem Zeugen U. körperliche Gewalt an, was die Beklagte in keiner Weise hinnehmen kann. Vielmehr ist die Äußerung ein Angriff auf die Menschenwürde des Zeugen U. und auf seine körperliche Integrität. Gleichfalls liegt in der Ankündigung, dass der Zeuge U. vom Kläger eine "Schönheitsoperation" bekomme, auch eine Schmähung der Person des Zeugen U..
61Der verbale Ausbruch des Klägers ist nach Auffassung der Kammer in keiner Weise zu entschuldigen. Soweit der Kläger diesbezüglich behauptet, er neige nicht gerade eben zu Handgreiflichkeiten und sei nicht dafür bekannt, andere Mitarbeiter zu bedrohen, führt dies nicht dazu, dass die Beklagte ein solches Verhalten dulden müsste. Vielmehr muss sich die Beklagte schützend vor ihre Mitarbeiter stellen und muss nicht zuwarten, bis es tatsächlich zu einer körperlichen Auseinandersetzung zwischen zwei Mitarbeitern kommt. Dass der Kläger insofern ein ernst zu nehmendes Risiko für die Beklagte bedeutet, wird auch dadurch deutlich, dass er am 29.05.2012 gegen Mittag zum Vorgesetzten H. gesagt hatte, er könne mit dem Zeugen U. nicht mehr zusammenarbeiten und es bereits eine Situation gegeben habe, bei der er beinahe handgreiflich geworden wäre. Diese Äußerung spricht eher für eine Gewaltbereitschaft. Vor diesem Hintergrund sind die Beteuerungen des Klägers, es sei nicht bekannt dafür, andere Mitarbeiter zu bedrohen, nicht hilfreich, zumal er im Jahr 2011 wegen einer solchen Bedrohung abgemahnt worden ist.
62Eine derartige Bedrohung eines anderen Mitarbeiters durch den Kläger ist für sich genommen ein wichtiger Grund, ein Arbeitsverhältnis - auch fristlos - zu beenden. Es darf von der Beklagten nicht hingenommen werden, wenn Mitarbeiter massiv mit körperlicher Gewaltanwendung drohen. Insofern ergeben sich für die Beklagte auch Schutzpflichten gegenüber den anderen Mitarbeitern.
632.
64Auch auf der zweiten Prüfungsstufe ist die Kammer nach umfassender Interessenabwägung zu der Überzeugung gelangt, dass ein überwiegendes Interesse der Beklagten an der fristlosen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegeben ist.
65a)
66Zunächst ist zu berücksichtigen, dass der Kläger ca. ein Jahr zuvor bereits einschlägig wegen einer ähnlichen Bedrohung abgemahnt worden ist. Gegen den in der Abmahnung vom 18.08.2012 dargestellten Sachverhalt hat sich der Kläger nicht hinreichend erklärt. Vielmehr versuchte er die Begleitumstände für die Abmahnung aus seiner Sicht zu erläutern, ohne den dort genannten Vorfall rechtserheblich zu bestreiten. Danach stand für die Kammer fest, dass der Kläger seinen damaligen Vorgesetzten mit den Worten bedroht hat:
67"Du hörst mir jetzt zu. Wenn ich dich privat erwische, mach ich Dich platt. Ich werde dahingehende Schritte einleiten."
68Daran zeigt sich, dass der Kläger nicht nur mit dem jetzigen Vorgesetzten und Zeugen U., sondern bereits mit seinem damaligen Vorgesetzten T. eine Auseinandersetzung hatte, bei der er körperlicher Gewalt androhte und Herrn T. offensichtlich nötigen wollte. Die Behauptungen des Klägers, gerade und nur mit Herrn U. habe er Probleme, wirkt vor diesem Hintergrund nicht überzeugend.
69Der Kläger hat aus der Abmahnung vom 18.08.2011 aber nichts gelernt.
70b)
71Zugunsten des Klägers sind seine erhebliche Betriebszugehörigkeit zu berücksichtigen, sein Alter, der Familienstand und seine Unterhaltspflichten. Er hat also einen erheblichen Schutz durch die über 25jährige Betriebszugehörigkeit bei der Beklagten erworben. Insofern hat die Beklagte zu Recht im Jahr 2011 den Kläger zunächst abgemahnt, obwohl er auch damals seinen Vorgesetzten erheblich mit körperlicher Gewalt bedroht hatte. Da zuvor kein einschlägiges Fehlverhalten abgemahnt worden war, musste die Beklagte im Jahr 2011 um den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu wahren und in Abwägung der Interessen zunächst eine Abmahnung aussprechen.
72c)
73Für den Vorfall vom 29.05.2012 gibt es hingegen keine hinreichende Entschuldigung.
74Die Beklagte war trotz der erheblichen Betriebszugehörigkeit und des damit verbundenen sozialen Schutzes des Klägers zum Handeln gezwungen. Sie durfte gerade nicht länger zuwarten, ob der Kläger gegebenenfalls seine Androhungen wahr machen würde. In einem solchen Falle hätte niemand Verständnis für die Beklagte besessen, wenn die geschilderten Bedrohungen von Vorgesetzten berücksichtigt werden. Im Falle einer tatsächlich gewalttätigen Auseinandersetzung hätte man vielmehr der Beklagten Vorwürfe gemacht, sie hätte - trotz eindeutiger Anzeichen - die Konsequenzen früher ziehen müssen. Dass die Beklagte diese Konsequenzen nunmehr nach dem Vorfall vom 29.05.2012 gezogen hat, ist nach Auffassung der Kammer demnach nicht zu beanstanden.
75d)
76Im Rahmen der Interessenabwägung ist auch nicht zugunsten des Klägers zu berücksichtigen, dass dieser von dem Zeugen U. zuvor am 29.05.2012 provoziert bzw. selbst bedroht worden ist.
77Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme kann die Kammer nicht feststellen, dass der Zeuge U. zuvor den Kläger provoziert bzw. bedroht hat mit der Folge, dass im Rahmen der Interessenabwägung das Verhalten des Klägers in einem anderen Licht erscheinen würde.
78Dabei ging die Kammer davon aus, dass der Kläger für die Tatsache beweisbelastet ist, dass der Zeuge U. ihn zuvor provoziert hat, um so entlastende Umstände für seine unstreitige Äußerung gegenüber Herrn U. im Beisein von Herrn H. anführen zu können.
79aa)
80Der Zeuge C. hat zum größten Teil den Vortrag des Klägers nicht bestätigt. So hat der Kläger in der Klageschrift (dort Seite 7) angegeben, dass der Zeuge U. gegenüber dem Kläger ständig wiederkehrend am 29.05.2012 Folgendes gesagt habe:
81"Du Muschi, hau mich doch, trau Dich, ich mach Euch alle fertig, Ihr seid ja so hässliche Vögel, sowas hab ich ja noch nie gesehen, Ihr faulen Säue, Ihr Looser, ich mach Euch alle fertig, ich krieg Euch alle."
82Hinsichtlich dieser Behauptung des Klägers fällt bereits auf, dass der Zeuge U. nur hinsichtlich der ersten Bemerkung eine Einzelperson - nach den Behauptungen des Klägers ihn anredete - alle anderen Äußerungen soll der Zeuge U. gegenüber einer Mehrzahl von Personen (Ich mach Euch alle fertig, Ihr faulen Säue) geäußert haben. Da unstreitig nur der Kläger mit dem Auszubildenden und Zeugen C. vor Ort war, müsste sich nach den Behauptungen des Klägers auch der Zeuge C. von diesen Beleidigungen angesprochen gefühlt haben, obwohl er nicht in die Kritik geraten war. Insofern waren die Behauptungen des Klägers bereits wenig einleuchtend.
83Der Zeuge C. hat aber auch nur bestätigt, dass er gehört habe, wie der Zeuge U. gegenüber dem Kläger einmal (nicht ständig wiederholend, wie der Kläger behauptet hat) gesagt habe: "Du Muschi, hau mich doch, trau Dich". Die anderen behaupteten Äußerungen hat der Zeuge nicht bestätigen können.
84bb)
85Was die Glaubwürdigkeit des Zeugen in Frage gestellt hat, war die Tatsache, dass er sich nur an diese Erklärung des Zeugen U. genau erinnern konnte, an sonstige Umstände, insbesondere den Wortwechsel, der später zwischen dem Zeugen U., dem Kläger und Herrn H. passierte, nicht mehr, obwohl er auch zu dieser Zeit noch zugegen gewesen war. Es ist kaum nachzuvollziehen, warum der Zeuge sich genau an die eine Äußerung von Herrn U. erinnern konnte, nicht jedoch an das andere - lautstarke - Gespräch, dessen Inhalt immerhin den Kläger belastete. Auch wenn sich der Zeuge nicht in unmittelbarer Nähe befunden haben sollte, hätte er etwas mitbekommen müssen, zumal der Vorgesetzte H. zugegen war und der Zeuge C. wegen des Vorfalls am Vormittag auch neugierig gewesen sein müsste, wie es mit der Auseinandersetzung weitergeht. Nach seiner Einlassung hat er aber nichts vom Inhalt des Wortwechsels mitbekommen.
86cc)
87Der Zeuge U. erklärte, dass er den Kläger gefragt habe, ob er ihn schlagen wolle, als der Kläger sehr nah frontal auf ihn zugekommen sei. Die Situation sei auch einem Wirtshausbesitzer, der sich in der Nähe aufgehalten habe, bedrohlich vorgekommen, sodass dieser sich lautstark bemerkbar gemacht habe und der Kläger dann vom Zeugen U. weggegangen sei. Auch der Zeuge U. führte aus, dass der Zeuge C. gegenüber dem Vorgesetzten erklärt habe, dass er die Äußerung des Herrn U. als bedrohlich angesehen hätte. Aus diesem Grunde habe Herr U. mit Herrn C. später noch ein Gespräch geführt.
88Insofern konnte die Kammer nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme jedenfalls feststellen, dass die Äußerung des Zeugen U. ("Willst Du mich schlagen") bedrohlich aufgefasst werden konnte.
89dd)
90Der Zeuge U. bestritt, gegenüber dem Kläger die Worte "Du Muschi, hau mich doch, trau Dich" gesagt zu haben.
91Letztendlich konnte die Kammer anhand der Bewertung beider Zeugenaussagen nicht mit hinreichender Sicherheit erkennen, welche Äußerung letztendlich der Wahrheit entsprach. Auf Bedenken hinsichtlich der selektiven Erinnerung des Zeugen C. wurde bereits hingewiesen. Hinsichtlich des Zeugen U. muss berücksichtigt werden, dass er "quasi in eigener Sache" aussagte. Immerhin ging es um einen Vorwurf gegenüber seiner Person, der ihn diskreditieren würde.
92Insofern verblieb nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme für die Kammer der Eindruck, dass die Äußerung des Zeugen U. - wie bereits ausgeführt - als Bedrohung aufgefasst werden konnte. Immerhin lassen sich die Worte "Willst Du mich schlagen" sowohl aggressiv und konfrontativ aussprechen, als auch eher defensiv und ängstlich. Das ließ sich nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme aber nicht mit hinreichender Sicherheit klären. Die Zeugen widersprachen sich in diesem Punkt, ohne dass die Kammer in der Lage gewesen wäre, den tatsächlichen Vorfall weiter aufzuklären.
93Unter Berücksichtigung dieses Ergebnisses lässt sich kein hinreichender Entschuldigungsgrund für den Kläger annehmen.
94III.
95Die ordnungsgemäße Anhörung des Personalrates gem. § 74 LPVG/NW kann festgestellt werden. Dagegen hat der Kläger sich zuletzt auch nicht mehr gewehrt.
96IV.
97Da das Arbeitsverhältnis bereits durch die Kündigung vom 06.06.2012 aufgelöst worden ist, bestand zum Zeitpunkt der zweiten fristlosen Kündigung vom 07.09.2012 kein Arbeitsverhältnis mehr.
98V.
99Die Kostenentscheidung folgt aus dem § 91 ZPO in Verbindung mit § 46 Abs. 2 ArbGG. Die Streitwertentscheidung folgt aus dem § 61 ArbGG in Verbindung mit § 3 ff. ZPO. Für die erste sowie für die zweite Kündigung wurde - auch unter Berücksichtigung der Differenztheorie - jeweils das dreifache Bruttomonatsentgelt - nach den Angaben des Klägers - festgesetzt.
100RECHTSMITTELBELEHRUNG
101Gegen dieses Urteil kann von der klagenden Partei Berufung eingelegt werden. Für die beklagte Partei ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.
102Die Berufung muss innerhalb einer Notfrist* von einem Monat schriftlich beim
103Landesarbeitsgericht Düsseldorf
104Ludwig-Erhard-Allee 21
10540227 Düsseldorf
106Fax: 0211-7770 2199
107eingegangen sein.
108Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach dessen Verkündung.
109Die Berufungsschrift muss von einem Bevollmächtigten unterzeichnet sein. Als Bevollmächtigte sind nur zugelassen:
1101.Rechtsanwälte,
1112.Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,
1123.juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in Nummer 2 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt, und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
113Eine Partei, die als Bevollmächtigte zugelassen ist, kann sich selbst vertreten.
114* Eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.
115gez. Blömker