Seite drucken
Entscheidung als PDF runterladen
1.) Bei Ausscheiden eines im Wege der Verhältniswahl nach § 38 Abs. 2 S. 1 BetrVG in die Freistellung gewählten Betriebsratsmitglieds aus der Freistellung ist das ersatz- weise freizustellende Betriebsratsmitglied der Vorschlagsliste zu entnehmen, der das zu ersetzende Betriebsratsmitglied angehörte. 2.) Die spätere Aufhebung oder Aussetzung des Betriebsratsbeschlusses über die Freistel- lung mit einfacher Stimmenmehrheit, um das Nachrücken eines Vertreters der Minder- heitenfraktion im Betriebsrat in die Freistellung zu verhindern, ist unzulässig. 3.) Betriebsratsmitglieder, die mit dem Inhalt einzelner vom Betriebsrat gefasster Beschlüsse nicht einverstanden sind, sind nicht ohne weiteres berechtigt, diese gerichtlich anzufech- ten. Dies gilt insbesondere dann, wenn ein Betriebsratsbeschluss bereits durchgeführt worden ist und Rechtswirkungen nach außen entfaltet (hat). 4.) Ein einzelnes Betriebsratsmitglied kann das Gremium Betriebsrat nicht mit Hilfe der Gerichte zwingen, in einer bestimmten Angelegenheit gegenüber dem Arbeitgeber tätig zu werden. Sofern das Nichthandeln des Betriebsrats allerdings einen groben Verstoß gegen dessen gesetzliche Verpflichtungen darstellt, kann das Betriebsratsmitglied nach § 23 Abs. 1 BetrVG vorgehen.
1. Es wird festgestellt, dass der Beschluss des Betriebsrats vom
09. Oktober 2002 zum Tagesordnungspunkt 5 "Neuwahl zweite
Freistellung" unwirksam ist und dass derzeit die Betriebsrats-
mitglieder N. und Sk. gemäß § 38 BetrVG freigestellt sind.
2. Im übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.
G r ü n d e :
2A.
3Die Beteiligten streiten im Wesentlichen über die Wirksamkeit mehrerer Betriebsratsbeschlüsse.
4Die Antragsteller zu 1. bis 3. sind Mitglieder des im Betrieb des beteiligten Arbeitgebers in F.. gewählten Betriebsrats, der Antragsteller zu 4. gehörte diesem Gremium bis ca. Mitte Juni 2003 an.
5Antragsgegner ist der elfköpfige Betriebsrat im Betrieb des Arbeitgebers, einer Tochtergesellschaft der Stadt F.., der Stadtwerke F.. und der F.. Verkehrs AG, in welchem 650 Arbeitnehmer beschäftigt sind.
6In seiner Sitzung vom 05. Juni 2002 fasste der Betriebsrat unter Tages-ordnungspunkt 6 "Freistellung von BR-Mitgliedern" hinsichtlich der Freistellung von zwei Betriebsratsmitgliedern nach § 38 BetrVG den Beschluss, über die Freistellung in geheimer Wahl nach dem dHondtschen Höchstzahlenverfahren zu beschließen. In dem Protokoll der Betriebsratssitzung hieß es hierzu auszugsweise:
7"Es wurden zwei Listen vorgelegt:
8Liste N. / Sp.
9Liste A. / Sk.
10Gewählt wurde mit 6 Stimmen Frau N.
115 Stimmen Herr A.
12Für die gewählten Mitglieder Frau N. und Herr A. wird bei der Geschäftsleitung eine Freistellung beantragt. "
13In seiner Sitzung vom 19. Juni 2002 beschäftigte sich der Betriebsrat unter Tagesordnungspunkt 10 "Freistellung BR-Mitglieder" im Hinblick auf die langfristige Erkrankung der freigestellten Betriebsratsvorsitzenden N. erneut mit der Problematik der Freistellungen gemäß § 38 BetrVG.
14Im Sitzungsprotokoll hieß es diesbezüglich:
15" Der Verdi Kollege G. sprach die Empfehlung aus, dass der Betriebsrat und die Geschäftsleitung die Frage der zweiten Freistellung in einem Gespräch klären sollen.
16Frau N. / Herr A. und die Vertreter von Verdi / IG Bau sollen in einem Grundsatzgespräch die Frage der Zusammenarbeit diskutieren.
17Der Termin soll so schnell wie möglich stattfinden. Die Empfehlung wurde mit 6 zu 5 Stimmen angenommen.
18Die Aussetzung der Freistellung des Kollegen A. auf unbestimmte Zeit wurde mit 6 zu 5 Stimmen beschlossen. "
19In der Folge schied das gemäß § 38 Abs. 2 BetrVG freigestellte Betriebsrats-mitglied A. wegen Eintritts in den Vorruhestand am 01. Oktober 2002 aus dem Betriebsrat aus.
20Daraufhin beschäftigte sich der Betriebsrat in seiner Sitzung vom 09. Oktober 2002 unter Tagesordnungspunkt 5 "Neuwahl 2. Freistellung / Betriebs-vereinbarung BR-Mitglieder" erneut mit diesem Thema. In dem Sitzungs-protokoll der Sitzung vom 09. Oktober 2002 hieß es diesbezüglich:
21"Über das Thema zweite Freistellung wurde in Anwesenheit vom IG Bau Vertreter M. diskutiert. Dabei wurde auch über das Ergebnis des Gesprächs zwischen
22N., Sk., G. und M.
23gesprochen, da es darüber unterschiedliche Auslegungen gab.
24M. verließ nach der sehr heftig geführten Diskussion die Sitzung.
25Es wurde dann mit 9-ja-Stimmen und einer nein-Stimme Neuwahl der Freistellung vereinbart.
26Der Beschluss zur Aussetzung der zweiten Freistellung wurde aufgehoben.
27Sk. nimmt an der Wahl unter Protest teil.
28Wahlvorschlag der Liste N.: N.
29Sp.
30T.
31Wahlvorschlag Liste IG Bau:Sk.
32P.
33Se.
34Es wurde geheime Wahl beschlossen.
35Das Ergebnis:9 Stimmen Liste N.
361 Stimme Liste IG Bau "
37Hiergegen wenden sich die Antragsteller mit dem vorliegenden Antrag. Zur Begründung führen sie aus, die vom Betriebsrat vorgenommene Neuwahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder sei unzulässig gewesen, denn der Betriebsrat habe in seiner Sitzung vom 05. Juni 2002 bereits über die Freistellungen beschlossen, und infolge des Ausscheidens des freigestellten Betriebsratsmitglieds A. aus dem Arbeitsverhältnis sei das nach ihm auf der Vorschlagsliste für die Wahl in der Betriebsratssitzung vom 05. Juni 2002 positionierte Betriebsratsmitglied Sk. automatisch nachgerückt. Im übrigen sei die Wahl vom 09. Oktober 2002 auch nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden, da seinerzeit lediglich 10 Betriebsratsmitglieder anwesend gewesen seien und die Betriebsratsvorsitzende es verabsäumt habe, für ein verhindertes Betriebsratsmitglied ein Ersatzmitglied zu laden.
38Außerdem beanstanden die Antragsteller, der Betriebsrat habe in seiner Sitzung am 06. November 2002 beschlossen, einem Antrag des Arbeitgebers gem. § 87 Abs. 1 Nr. 2 und 3 BetrVG, betreffend die Verlegung der Arbeitszeiten einer Gruppe von Arbeitnehmern, zuzustimmen. Auch dieser Beschluss sei mangels ordnungsgemäßer Ladung der Betriebsratsmitglieder unwirksam gewesen, zudem habe es an der vorgeschriebenen Ladung eines Ersatzmitgliedes für das wegen persönlicher Betroffenheit verhinderte Betriebsratsmitglieds L. gefehlt, so dass an der Beschlussfassung lediglich 10 Betriebsratsmitglieder teilgenommen hätten.
39Außerdem begehren die Antragsteller vom Betriebsrat ein Tätigwerden in der Frage der Abwicklung von Resturlaubsansprüchen von Arbeitnehmern am Ende des jeweiligen Urlaubsjahres. Sie sind insoweit der Auffassung, die Rechtsposition des Arbeitgebers verstoße gegen tarifliche Vorschriften mit der Folge, dass der Betriebsrat als Gremium tätig werden müsse.
40Schließlich wenden sich die vier Antragsteller gegen einen Betriebsrats-beschluss vom 20. November 2002, wonach Betriebsratssitzungen 14-tägig mit ganztägiger Dienstbefreiung der teilnehmenden Betriebsratsmitglieder abzuhal-ten seien.
41Die Antragsteller beantragen,
421.festzustellen, dass der Beschluss des Betriebsrats vom 09. Oktober 2002 über die Freistellung der Betriebsratsmitglieder N. und Sp. unwirksam ist und der Antragsteller zu 1) weiterhin freigestellt als Betriebsratsmitglied ist;
432.festzustellen, dass der Beschluss des Betriebsrats vom 06. November 2002 (Zustimmung zum Antrag der Geschäftsleitung auf Verlegung der Arbeitszeit einer Gruppe von Arbeitnehmern) unwirksam ist;
443.festzustellen, dass der Betriebsrat verpflichtet ist, den Arbeitgeber aufzufordern, wenn Arbeitnehmer ihren Urlaub bis zum Ende des Urlaubsjahres nicht angetreten haben, den Urlaub bis zum 30. April des Folgejahres zu gewähren und die dem entgegenstehende Weisung des Arbeitgebers aufzuheben, dass der Urlaub der Arbeitnehmer im laufenden Kalenderjahr genommen werden muss;
454.festzustellen, dass der am 20. November 2002 gefasste Beschluss des Betriebsrats über den Abschluss einer Betriebs-vereinbarung, dass Betriebsratssitzungen 14-tägig mit ganztägiger Arbeitsbefreiung der Betriebsratsmitglieder abgehalten werden und weitere Arbeitsbefreiungen von einzelnen Betriebsratsmitglie-dern zur Wahrnehmung von gesetzlichen Aufgaben, insbesondere bei Hinzuziehung eines Betriebsratsmitglieds durch einen Arbeit-nehmer, nicht erfolgen soll, unwirksam ist.
46Der Betriebsrat beantragt,
47die Anträge zurückzuweisen.
48Zur Begründung macht der Betriebsrat geltend, es sei zwar richtig, dass es ursprünglich einen Beschluss zur Freistellung des Betriebsratsmitglieds A. gegeben habe; dieser Beschluss sei allerdings ausgesetzt worden. Nachdem das Betriebsratsmitglied Sp. stellvertretender Betriebsratsvorsitzender gewor-den sei, habe er auch die Freistellung erhalten sollen, um die entsprechende Betriebsratsarbeit durchführen zu können. Es sei deswegen dem Arbeitgeber mitgeteilt worden, dass der Betriebsrat auf die Freistellung des Herrn A. ver-zichte. Insoweit habe der Antragsteller zu 1.) schon deswegen nicht in die Freistellung des Herrn A. einrücken können, weil dieser zum Zeitpunkt des Ausscheidens des Betriebsratsmitglieds A. aus dem Betrieb nicht mehr freigestellt gewesen sei. Im übrigen rücke aber ein Ersatzmitglied auch nicht automatisch in die Freistellung ein. Vielmehr bedürfe es eines Beschlusses des Betriebsrats.
49Nicht richtig sei auch, dass nicht sämtliche Betriebsratsmitglieder zu der Sitzung am 09. Oktober 2002 ordnungsgemäß geladen worden seien. Ein Betriebsrats-mitglied sei der Sitzung unentschuldigt ferngeblieben. Von daher habe die Betriebsratsvorsitzende weder Veranlassung noch die Möglichkeit gehabt, ein Ersatzmitglied zu laden. Sie habe nämlich nicht wissen können, dass ein Betriebsratsmitglied seinen Pflichten nicht nachkommen werde. Im übrigen sei das Betriebsratsmitglied, das unentschuldigt gefehlt habe, bereits als Ersatz-mitglied berufen worden, weil der Antragsteller zu 3.) sich ordnungsgemäß entschuldigt gehabt habe.
50Hinsichtlich des Betriebsratsbeschlusses vom 06. November 2002 habe zu-nächst kein Anlass bestanden, ein Ersatzmitglied zu laden, denn der Betriebs-rat habe gemäß seiner Tagesordnung darüber zu entscheiden gehabt, ob die Arbeitszeit einer Gruppe von Arbeitnehmern verlegt werde und nicht darüber, ob die Arbeitszeit des Betriebsratsmitglieds L. verlegt werde. Es gebe im übrigen keinen Grundsatz, wonach Betriebsratsmitglieder berechtigt seien, Betriebsratsbeschlüsse aller Art anzufechten. Dies gelte umso mehr, wenn der betreffende Beschluss bereits Außenwirkung entfalte. Unzufriedenheit einiger Betriebsratsmitglieder mit dem Inhalt von gefassten Beschlüssen gebe diesen kein Recht zur Anfechtung oder zur Feststellung der Unwirksamkeit derselben.
51Auch hinsichtlich der von den Antragstellern beanstandeten Handhabung des Arbeitgebers hinsichtlich der Abwicklung des Resturlaubs sei der Betriebsrat als Gremium nicht verpflichtet, in einer bestimm-ten Weise tätig zu werden. Zum einen obliege die Entscheidung darüber, ob er in einer bestimmten Angelegenheit tätig werde oder nicht, allein dem Gremium Betriebsrat. Dieser sei nicht gezwungen, jeden Gesetzesverstoß des Arbeitge-bers zum Gegenstand eines Beschlussverfahrens zu machen. Es fehle insoweit an jeglicher Norm, nach der der Betriebsrat von einzelnen seiner Mitglieder zur Tätigkeit in die von den Antragstellern gewünschte Richtung gezwungen wer-den könne. Außerhalb der Fälle, die gesetzlich geregelt seien (etwa § 29 Abs. 3 BetrVG) könne der Betriebsrat zu einem Tätigwerden nicht gezwungen werden. Insoweit wäre die einzig denkbare Sanktionsmöglichkeit § 23 Abs. 1 BetrVG.
52Es komme hinzu, dass die Auffassung des Arbeitgebers zur Abwicklung des Resturlaubs zum Jahresende auch dem Gesetz entspreche, denn auch in § 47 Abs. 1 Satz 2 BAT heiße es ausdrücklich: "Urlaubsjahr ist das Kalenderjahr." und in Absatz 7: "Der Urlaub ist spätestens bis zum Ende des Urlaubsjahres anzutreten". Von daher habe der Arbeitgeber zu Recht die Auffassung vertre-ten, dass Arbeitnehmer ihren Urlaub im laufenden Kalenderjahr nehmen müss-ten. Der Arbeitgeber sei damit auch zur Weisung berechtigt, dass Urlaubs-anträge von Arbeitnehmern, die eine Übertragung eines Teils ihres Jahresur-laubs in den Januar des Folgejahres beinhalteten, abzulehnen seien.
53Schließlich sei das Begehren der Antragsteller auch insoweit nicht berechtigt, als sie sich gegen den Betriebsratsbeschluss vom 20. November 2002 wende-ten. Die in Frage stehende Betriebsvereinbarung sei unterschrieben und habe damit Außenwirkung. Auch insoweit ermangele es dem Antrag an jeglicher Anspruchsgrundlage. Der Beschluss über die Unterschrift des Betriebsrats unter die Betriebsvereinbarung könne nicht angefochten werden. Sollte hinge-gen die Betriebsvereinbarung selbst unwirksam sein, so sei dies nicht im vorliegenden Beschlussverfahren zu klären. Damit fehle es auch diesem Antrag an jeglicher Grundlage. Im übrigen stehe es dem Betriebsrat auch selbstver-ständlich frei zu beschließen, dass er seine Sitzungen 14-tägig abhalte. Dage-gen sei die ganztägige Dienstbefreiung an den Sitzungstagen eine Besonder-heit, die in Übereinstimmung mit dem Arbeitgeber dem Betriebsrat deswegen gewährt worden sei, damit für alle Beteiligten die übrige Arbeit leichter zu kalkulieren sei. Der Sitzungstag sei mit einer ganztägigen Befreiung versehen worden mit der Maßgabe, dass in dieser Zeit dann die Betriebsratstätigkeiten abgewickelt würden, dass also die einzelnen Betriebsratsmitglieder zu Außen-stellen fahren, die zu betreuen seien und Einzelaufgaben, die ansonsten auf sie entfielen, vornähmen. Dies sei für die Betriebsratsmitglieder eine erhebliche Erleichterung, weil sie nicht erst um Befreiung von der Arbeit nachsuchen müssten, sondern ohne weiteres ihre planbaren Betriebsratstätigkeiten auf diese Tage legen könnten. Selbstverständlich sei damit aber keinem Betriebs-ratsmitglied untersagt, sich etwa von einem Belegschaftsmitglied zur Unterstüt-zung heranziehen zu lassen. Eine solche Heranziehung dürfe auch außerhalb der Sprechzeiten des Betriebsrats erfolgen.
54Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird ergänzend auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze sowie auf die Sitzungsprotokolle, jeweils nebst Anlagen, Bezug genommen.
55B.
56Die zulässigen Anträge sind nur teilweise begründet.
57I.
581. Das geltend gemachte Begehren wird von den antragstellenden Betriebsratsmitgliedern zutreffend im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren verfolgt.
59Es handelt sich um eine Angelegenheit aus dem Betriebsverfassungsgesetz im Sinne der §§ 2 a Abs. 1 Nr. 1, 2 a Abs. 2, 80 Abs. 1 ArbGG, da die Beteiligten über die Wirksamkeit von Betriebsratsbeschlüssen sowie darüber streiten, ob der Betriebsrat verpflichtet ist, gegenüber dem Arbeitgeber in einer bestimmten Art und Weise tätig zu werden.
602. Das - im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren stets erforderliche und von Amts wegen zu prüfende (vgl. Grunsky, ArbGG, 7. Aufl. 1995, § 80 Rz. 20 - 22; Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge, ArbGG, 4. Aufl. 2002, § 81 Rz. 23 - 32; Rewolle/Bader, ArbGG § 81 Erl. 1; ArbGV-Koch, 2000, § 81 Rz. 24 - 28) - Rechtsschutzbedürfnis der antragstellenden Betriebsratsmitglieder ergibt sich hinsichtlich der Anträge zu 1., 2. und 4. daraus, dass diese einzelne Beschlüsse des Betriebsrats für unwirksam halten und hinsichtlich des Antrags zu 3. daraus, dass sie die Ansicht vertreten, der Betriebsrat müsse in einer bestimmten Angelegenheit gegenüber dem Arbeitgeber tätig werden.
61Gegen die Zulässigkeit der Anträge bestehen daher keine rechtlichen Bedenken.
62II.
63Begründet ist das Begehren der antragstellenden Betriebsratsmitglieder jedoch nur insoweit, als diese die Unwirksamkeit des Beschlusses des Betriebsrats vom 09. Oktober 2002 geltend machen, die übrigen Anträge sind unbegründet.
641. Der auf Feststellung der Unwirksamkeit der am 09. Oktober 2002 durchgeführten Freistellungswahl gerichtete Antrag ist begründet.
65Nach dem entsprechend anwendbaren § 19 Abs. 1 BetrVG kann die Wahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder angefochten werden, wenn gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren verstoßen worden und eine Berichtigung nicht erfolgt ist, es sei denn, dass durch den Verstoß das Wahlergebnis nicht geändert oder beeinflusst werden konnte. Der Streit, ob im Fall des Ausscheidens eines Betriebsratsmitgliedes aus der Freistellung ein Betriebsratsmitglied automatisch als Freizustellender nachrückt oder ob eine Nachwahl eines Betriebsratsmitglieds oder gar die Neuwahl sämtlicher freizustellender Betriebsratsmitglieder zu erfolgen hat, betrifft wesentliche Vorschriften über das Wahlverfahren (vgl. BAG vom 28. Oktober 1992 - 7 ABR 2/92 - AP Nr. 16 zu
66§ 38 BetrVG 1972, zu B 1 der Gründe).
67Vorliegend wurde gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlverfahren dadurch verstoßen, dass am 09. Oktober 2002 eine Freistellungsnachwahl durchgeführt wurde. Für eine solche Nachwahl war nämlich vorliegend kein Raum, weil der Antragsteller zu 1.) mit dem Ausscheiden des Betriebsrats-mitglieds A. aus dem Arbeitsverhältnis und damit aus der Freistellung automa-tisch als freizustellendes Betriebsratsmitglied nachgerückt war.
68a) Die Frage, wie zu verfahren ist, wenn während der Amtszeit des Betriebsrats ein im Wege der Verhältniswahl nach § 38 Abs. 2 Satz 1 BetrVG in die Freistel-lung gewähltes Betriebsratsmitglied aus der Freistellung ausscheidet, ist in der Vergangenheit in Rechtsprechung und Rechtslehre nicht einheitlich beantwortet worden (vgl. die diesbezügliche Übersicht in dem Beschluss des BAG vom 25. April 2001 - 7 ABR 26/00 - AP Nr. 8 zu § 25 BetrVG 1972).
69b) Diese Frage hat das Bundesarbeitsgericht in seiner Grundsatzentscheidung vom 25. April 2001 - 7 ABR 26/00 - dahingehend beantwortet, dass bei Aus-scheiden eines im Wege der Verhältniswahl nach § 38 Abs. 2 Satz 1 BetrVG in die Freistellung gewählten Betriebsratsmitglieds das ersatzweise freizustellende Mitglied in entsprechender Anwendung des § 25 Abs. 2 Satz 2 BetrVG der Vorschlagsliste zu entnehmen ist, der das zu ersetzende Mitglied angehörte.
70aa) Im vorliegenden Fall hatte der Betriebsrat in der Betriebsratssitzung vom 05. Juni 2002, wie sich aus der zu den Akten gereichten Sitzungsniederschrift ergibt, richtigerweise über die Freistellung im Wege der Verhältniswahl beschlossen, denn dem Betriebsrat lagen in der fraglichen Sitzung zwei verschiedene Listen vor, die "Liste N. / Sp." sowie die "Liste A. / Sk.". Bei diesen beiden Vorschlägen handelte es sich jeweils um gesonderte Wahlvor-schläge und nicht etwa bei einem der Vorschläge lediglich um die Ergänzung eines bereits vorliegenden anderen Wahlvorschlags. Daher hatte die Wahl als Verhältniswahl zu erfolgen. Dies hat der Betriebsrat seinerzeit - wie sich nicht zuletzt aus dem Hinweis auf das dHondtsche Höchstzahlverfahren ergibt, im Ergebnis auch richtig gesehen und berücksichtigt.
71bb) An diesen rechtlichen Gegebenheiten hat sich in der Folge auch nicht dadurch etwas geändert, dass in der Betriebsratssitzung vom 19. Juni 2002 der Betriebsrat "die Aussetzung der Freistellung des Kollegen A. auf unbestimmte Zeit ... mit 6 zu 5 Stimmen beschlossen" hat.
72Die Aussetzung der am 05. Juni 2002 beschlossenen Freistellung für Herrn A. durch den späteren Beschluss vom 19. Juni 2002 ist rechtlich unwirksam gewesen. Abgesehen davon, dass die Aussetzung einmal gefasster Betriebs-ratsbeschlüsse im Betriebsverfassungsgesetz nur in eng begrenzten Fällen - nämlich gemäß § 35 BetrVG auf Antrag der Schwerbehindertenvertretung bzw. der Jugend- und Auszubildendenvertretung - nicht jedoch im Rahmen des § 38 BetrVG vorgesehen ist, ist es rechtlich unzulässig gewesen, dass die den Betriebsrat dominierende Mehrheits-Fraktion die in der Sitzung vom 05. Juni 2002 im Wege der Verhältniswahl getroffene Freistellungsentscheidung hin-sichtlich der "Liste A. / Sk." zwei Wochen später mit einer Mehrheit von lediglich 6 zu 5 Stimmen wieder aufgehoben hat.
73Ein solches Verfahren ist nicht nur undemokratisch, sondern zugleich unzu-lässig. Dabei kommt es - anders als der Betriebsrat anzunehmen versucht hat - auch nicht auf die hinter diesem Beschluss (möglicherweise) stehenden persönlichen Gründe an, die eine Zusammenarbeit zwischen der Betriebsrats-vorsitzenden bzw. ihrem Stellvertreter und den freigestellten Vertretern der Minderheitenfraktion menschlich schwierig gestaltet haben mögen.
74Dass der diesbezüglich in der Betriebsratssitzung vom 19. Juni 2002 gefasste Beschluss rechtsunwirksam gewesen ist, ergibt sich schließlich auch daraus, dass die Abberufung von freigestellten Betriebsratsmitgliedern, die - wie vorliegend geschehen - in Verhältniswahl gewählt worden sind, einer qualifizierten Mehrheit von drei Vierteln der Stimmen des Betriebsrats bedarf (vgl. Fitting/Kaiser/Heiter/Engels/Schmidt, BetrVG, 21. Aufl. 2002 § 38 Rz. 73). Außerdem muss die Wahl geheim durchgeführt werden (vgl. § 38 Abs. 2 Satz 8 in Verbindung mit § 27 Abs. 1 Satz 5 BetrVG). Auch dies war bei der Beschlussfassung am 19. Juni 2002 ausweislich der Sitzungsniederschrift nicht der Fall.
75Die insoweit verschärften Anforderungen an die Abberufung im Falle der Verhältniswahl erklären sich aus dem mit ihr verbundenen besonderen Minder-heitenschutz, der unterlaufen würde, wenn ein in Verhältniswahl bestimmtes freizustellendes Betriebsratsmitglied später mit einfacher Stimmenmehrheit des Betriebsrats wieder abberufen werden könnte (vgl. BAG vom 29. April 1992 - 7 ABR 74/91 - AP Nr. 15 zu § 38 BetrVG 1972).
76cc) Abgesehen davon, dass der Beschluss über die "Aussetzung der Freistellung vom 19. Juni 2002 - wie ausgeführt - rechtsunwirksam gewesen ist, ist dieser Beschluss - und dies müsste eigentlich auch der Mehrheits-fraktion des Betriebsrats einleuchten - in der Sitzung vom 09. Oktober 2002 wieder aufgehoben worden. Wollte man also fälschlich davon ausgehen, der ursprüngliche Aussetzungsbeschluss sei doch wirksam gewesen, so wäre dieser jedenfalls in der Sitzung vom 09. Oktober 2002 wieder aufgehoben worden mit der Folge, dass der Antragsteller zu 1.) spätestens in diesem Zeitpunkt als freizustellendes Betriebsratsmitglied für den am 01. Oktober 2002 aus dem Betrieb und damit aus der Freistellung ausgeschiedenen, auf der Vorschlagsliste "Liste A. / Sk." gewählten, A. in entsprechender Anwendung des
77§ 25 Abs. 2 Satz 1 BetrVG automatisch als freizustellendes Betriebsratsmitglied nachgerückt wäre. Auch in diesem Fall wäre somit die am 09. Oktober 2002 durchgeführte Freistellungswahl unzulässig gewesen - ohne dass es des Weiteren noch darauf ankäme, ob, wie die Antragsteller gemeint haben, die Betriebsratsvorsitzende nicht auch noch verabsäumt hätte, zu der Betriebsratssitzung am 09. Oktober 2002 für ein verhindertes Betriebsrats-mitglied ein Ersatzmitglied zu laden.
78Der Beschluss des Betriebsrats von 09. Oktober 2002 zum Tagesordnungs-punkt 5 "Neuwahl zweite Freistellung " war daher für unwirksam zu erklären. Darüber hinaus war festzustellen, dass die Betriebsratsmitglieder N. und Sk. derzeit gemäß § 38 BetrVG freigestellt sind.
792. Dem gegenüber ist der Antrag zu 2.) nicht begründet.
80Die Antragsteller haben insoweit übersehen, dass Betriebsratsmitglieder, die mit dem Inhalt einzelner, vom Betriebsrat gefasster Beschlüsse nicht einver-standen sind, nach dem Betriebsverfassungsgesetz nicht ohne weiteres be-rechtigt sind, die entsprechenden Betriebsratsbeschlüsse gerichtlich anzufech-ten. Dies gilt umso mehr, wenn - wie im vorliegenden Fall - ein Beschluss bereits durchgeführt ist und Rechtswirkungen nach außen entfaltet (hat). Dies ist bei dem vom Betriebsrat am 06. November 2002 gefassten Beschluss unstreitig der Fall gewesen, denn der Arbeitgeber hat aufgrund der zustim-menden Entscheidung des Betriebsrats, die ihm dieser mitgeteilt hatte, die in Frage stehende Schicht bereits vor geraumer Zeit verlegt.
81Insofern bedarf es keiner gerichtlichen Überprüfung, ob der in Frage stehende Beschluss - wie die Antragsteller gerügt haben - seinerzeit wegen nicht ordnungsgemäßer Bezeichnung auf der der Ladung zur Sitzung beigefügten Tagesordnung oder wegen verabsäumter Ladung eines Ersatzmitglieds ordnungsgemäß zustande gekommen ist, denn die Prüfung der insoweit von den Antragstellern aufgeworfenen Fragen liefe in der Sache auf die Erstattung eines reinen Rechtsgutachtens ohne jede Konsequenz für die Praxis der Betriebsratsarbeit hinaus. Dies ist jedoch nicht Aufgabe der Gerichte für Arbeitssachen im Beschlussverfahren (vgl. BAG vom 15. Dezember 1972 - 1 ABR 5/72 - AP Nr. 5 zu § 80 ArbGG 1953; BAG vom 29. Juli 1982 - 6 ABR 51/79 - AP Nr. 5 zu § 83 ArbGG 1979).
823. Nicht begründet ist auch der Antrag zu 3.) .
83Insoweit fehlt es bereits an jeglicher betriebsverfassungsrechtlicher Norm, nach welcher der Betriebsrat von einzelnen seiner Mitglieder zu einem Tätigwerden gegenüber dem Arbeitgeber in der von den vier Antragstellern gewünschten Richtung gezwungen werden könnte.
84Die Antragsteller übersehen vielmehr, dass jedes einzelne Betriebsratsmitglied die Möglichkeit hat, gegenüber der Vorsitzenden des Betriebsrats zu beantra-gen, einen bestimmten Gegenstand auf die Tagesordnung zu setzen und dass die Betriebsratsvorsitzende nach § 29 Abs. 3 BetrVG - sollte sie dem Antrag eines einzelnen Betriebsratsmitglieds nicht Folge leisten wollen - eine Sitzung einzuberufen und den Gegenstand, dessen Beratung beantragt ist, auf die Tagesordnung zu setzen hat, wenn dies ein Viertel der Mitglieder des Betriebsrats oder der Arbeitgeber beantragt.
85Jenseits der genannten Fälle kann ein einzelnes Betriebsratsmitglied und können einzelne Betriebsratsmitglieder das Gremium Betriebsrat nicht zwingen, in einer bestimmten Angelegenheit tätig zu werden. Sollte dagegen das Nichthandeln des Betriebsrats einen groben Verstoß gegen dessen gesetzliche Verpflichtungen darstellen, so bliebe den Antragstellern immer noch der Weg über § 23 Abs. 1 BetrVG.
86Nach allem konnte der Antrag daher auch insoweit keinen Erfolg haben.
874. Nicht begründet ist schließlich auch der Antrag zu 4.).
88Auch hier haben die antragstellenden Betriebsratsmitglieder übersehen, dass der in der Betriebsratssitzung vom 20. November 2002 gefasste Beschluss des Betriebsrats über den Abschluss der in Frage stehenden Betriebsvereinbarung vom Betriebsrat weder aufgehoben noch geändert werden kann, vielmehr bliebe dem Betriebsrat insoweit allein die Möglichkeit einer Kündigung der Betriebsvereinbarung. Insbesondere könnte im vorliegenden Verfahren nicht - wie die Antragsteller irrig angenommen haben - die Unterschrift des Betriebsrats unter der Betriebsvereinbarung quasi "beseitigt" oder getilgt werden. Vielmehr bleibt den antragstellenden Betriebsratsmitgliedern auch insoweit nur die Möglichkeit, nach § 29 Abs. 3 BetrVG den Antrag zu stellen, der Betriebsrat möge beschließen, die in Frage stehende Betriebsvereinbarung entweder inhaltlich mit dem Arbeitgeber nachzuverhandeln oder erforderlichenfalls zu kündigen.
89Hingegen ist die weitergehende Frage, ob die in Frage stehende Betriebsvereinbarung ganz oder teilweise rechtsunwirksam ist, nicht im vorliegenden Verfahren zu klären.
90III.
91Diese Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei (§ 12 Abs. 5 ArbGG).
92 93... [ Mitgeteilt von Richter am ArbG Horst H. Bachler, F. ]