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1. Zur internationalen Zuständigkeit deutscher Arbeitsgerichte nach Art. 19 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22.Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO). 2. Das Flaggenprinzip kann grundsätzlich zur Bestimmung des gewöhnlichen Arbeitsorts nach Art. 19 Nr. 2 Buchst. a EuGVVO herangezogen werden. Dies gilt nicht, wenn sich ein Binnenschiff ausschließlich im Hoheitsgebiet wechselnder EU-Mitgliedsstaaten befindet.
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger auferlegt.
3. Streitwert: 5.300,88 EURO
Tatbestand
2Die Parteien streiten über die Wirksamkeit zweier dem Kläger von der Beklagten erklärter Kündigungen.
3Der Kläger ist seit dem 14.04.2003 als Binnenschiffer bei der Beklagten, die ihren Geschäftssitz in Wasserbillig in Luxemburg hat, beschäftigt. Er fuhr ausschließlich auf Schiffen der in Duisburg ansässigen Konzernmutter der Beklagten, die durch die Beklagte nach luxemburgischen Recht ausgerüstet werden und sämtlich unter der Flagge der Bundesrepublik Deutschland laufen, auf der Strecke Rotterdam-Duisburg, die zu zwei Dritteln auf niederländischem Staatsgebiet verläuft.
4Der Kläger besitzt das Rhein-Kapitänspatent und verdiente zuletzt 1.766,96 € brutto. Den Arbeitsvertrag haben die Parteien in Wasserbillig geschlossen. Dieser enthält unter anderem die folgende Regelung:
5"9. Für alle Punkte, welche nicht im Vertrag vereinbart wurden, gelten automatisch die gesetzlichen Bestimmungen, insbesondere das abgeänderte Gesetz vom 24. Mai 1989 über den Arbeitsvertrag, sowie die Bestimmungen aus dem zuständigen Kollektivvertrag."
6Wegen des weiteren Inhaltes des Arbeitsvertrages wird auf die zur Akte gereichte Kopie, Bl. 69 f. d.A., Bezug genommen.
7Unter dem 10.12.2007 kündigte die Beklagte den Arbeitsvertrag zum 31.12.2007, sowie vorsorglich zum 15.02.2008.
8Eine eingetragene Niederlassung unterhält die Beklagte in Duisburg nicht. In einem Stellenangebot bat die Beklagte jüngst um Einreichung von Bewerbungen unter einer Adresse in Duisburg.
9Der Kläger behauptet, der Geschäftsführer der Beklagten sei überwiegend in Duisburg tätig und lediglich an zwei Tagen pro Woche in Wasserbillig; der operative Betrieb der Beklagten befinde sich in Duisburg. Weiterhin habe der Kläger selbst seine Arbeit regelmäßig in Duisburg begonnen und beendet.
10Er ist der Meinung, sein gewöhnlicher Arbeitsort habe sich in Deutschland befunden, da er ausschließlich auf unter deutscher Flagge fahrenden Schiffen eingesetzt war.
11Der Kläger beantragt,
12festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende
13Arbeitsverhältnis durch die unter dem 10.12.2007 verfassten
14Kündigungen weder zum 31.12.2007 noch zum 15.02.2008
15sein Ende finden wird.
16Die Beklagte beantragt,
17die Klage abzuweisen.
18Sie behauptet, der Kläger habe das Schubboot jeweils an der Stelle betreten oder verlassen, an welcher sich dieses bei Schichtanfang oder -ende befand, da die Fahrzeit Rotterdam-Duisburg nicht mit den Schichtzeiten deckungsgleich ist.
19Die Beklagte ist der Meinung, es sei weder die Zuständigkeit der deutschen Gerichtsbarkeit gegeben, noch sei deutsches Recht auf das Arbeitsverhältnis anwendbar. Die Angabe einer Duisburger Adresse für die Einreichung von Bewerbungen sei ein Redaktionsfehler, da Briefpapier der Konzernmutter nicht vollständig angepasst worden sei.
20Wegen des weiteren Vorbringens, sowie wegen der Einzelheiten, wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen ergänzend Bezug genommen.
21Entscheidungsgründe
22Die Klage ist unzulässig.
23A. Die Beklagte ist in Deutschland nicht gerichtspflichtig.
24I. Die Zuständigkeit deutscher Gerichte ergibt sich nicht aus Art. 19 Nr. 1 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22.Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO). Danach können Arbeitgeber an ihrem Wohnsitz verklagt werden. Der Wohnsitz einer Gesellschaft befindet sich dabei an dem Ort, an dem sich der satzungsmäßige Sitz, der Ort der Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung befindet, Art. 60 Abs. 1 EuGVVO.
251. Der Begriff der Hauptverwaltung nach Art. 60 Abs. 1 lit. b EuGVVO entspricht dem Begriff der Hauptverwaltung nach Art. 48 Abs. 1 EG. Danach ist die Hauptverwaltung der Ort, an dem die Willensbildung und die eigentliche unternehmerische Leitung der juristischen Person erfolgt, also meist der Sitz der Organe. Maßgeblich ist der Ort, an dem die grundlegenden unternehmerischen Entscheidungen getroffen werden, ohne dass es der Kundgabe eines entsprechenden Willens durch die juristische Person bedarf. Es ist weder notwendig, dass die juristische Person an diesem Ort die Eintragung einer Haupt- oder Zweigniederlassung beantragt, noch dass in diesem Mitgliedstaat unter bloßer Beibehaltung des satzungsmäßigen Sitzes im Gründungsstaat die gesamte Geschäftstätigkeit ausgeübt wird (vgl. BAG vom 23.01.2008, 5 AZR 60/07 m.w.N.)
262. Danach ist ein Wohnsitz der Beklagten in Duisburg nicht erkennbar. Die Beklagte hat ihren satzungsmäßigen Sitz in Wasserbillig in Luxemburg. Eine eingetragene Niederlassung in Duisburg ist nicht vorhanden. Der Kläger hat im Verfahren vorgetragen, das "operative Geschäft" der Beklagten werde in Duisburg abgewickelt. Dies ist aus Sicht der Kammer nicht ausreichend, um eine Hauptniederlassung in Duisburg anzunehmen. Es fehlen insbesondere Angaben dazu, welche Tätigkeiten in welchem Rahmen von Duisburg aus erfüllt werden. Allein aus dem - bestrittenen - Umstand, der Geschäftsführer der Beklagten sei lediglich 2 Tage in der Woche in Luxemburg tätig und die übrige Zeit in Duisburg, kann nicht gefolgert werden, dass sich in Duisburg die Hauptniederlassung befindet. Im Übrigen hat der Geschäftsführer erläutert, dass in Duisburg hauptsächlich die Gespräche mit der Konzernmutter stattfinden.
27Wo indes die maßgeblichen Entscheidungen getroffen werden, wo sich etwa die Disposition oder Personalabteilung der Beklagten befinden, ist vom darlegungs- und beweisbelasteten Kläger nicht vorgetragen worden. Dabei stellt aus Sicht der Kammer ein Indiz für eine Verortung der Hauptniederlassung in Wasserbillig dar, dass der Kläger auch dort den Arbeitsvertrag mit der Beklagten abgeschlossen hat.
28II. Die Zuständigkeit deutscher Arbeitsgerichte ergibt sich auch nicht aus Art. 19 Nr. 2 Buchst. a EuGVVO. Danach kann ein Arbeitgeber, der seinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaates hat, auch an dem Ort in einem anderen Mitgliedsstaat verklagt werden, an dem der Arbeitnehmer gewöhnlich seine Arbeit verrichtet hat.
291. Der Begriff des gewöhnlichen Arbeitsortes ist autonom aus der EuGVVO heraus ohne Rücksicht auf Begriffsbildungen in den nationalen Rechtsordnungen auszulegen (EuGH vom 27.02.2002, Rs. C-37/00 - Weber ./. Ogden, NJW 2002, 1635; EuGH vom 30.04.2003, Rs. C-437/00 - Pugliese ./. Finmeccanica, NZA 2003, 711; LAG Rostock, Urteil vom 18.03.2008, 1 Sa 38/07 m.w.N.). Bei einer Erfüllung der Verpflichtung aus dem Arbeitsvertrag in verschiedenen Staaten ist der gewöhnliche Arbeitsort der Ort, an dem oder von dem aus der Arbeitnehmer unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles den wesentlichen Teil seiner Verpflichtung gegenüber dem Arbeitgeber tatsächlich erfüllt (EuGH vom 27.02.2002, a.a.O.)
30Der gewöhnliche Arbeitsort wird durch Beobachtung der tatsächlichen Umstände der Arbeitsleistung ermittelt und ohne Rücksicht auf vertragliche Vereinbarungen hierüber. Damit ist es ein faktisch geprägtes Tatbestandsmerkmal, das sich einer Manipulation durch eine oder beide Parteien effektiv entzieht. Für die nähere Konkretisierung des Merkmals muss auch der Sinn und Zweck dieser Regelung berücksichtigt werden. Der Arbeitnehmer soll an dem Ort klagen können, mit dem er verbunden ist und an dem er mit dem relativ geringsten Kostenaufwand seine Rechte wahrnehmen kann (EuGH vom 30.04. 2003, a. a. O.; LAG Rostock a.a.O. m.w.N.; Müller, Cornelia "Die internationale Zuständigkeit deutscher Arbeitsgerichte und das auf das Arbeitsverhältnis anwendbare Recht", Hamburg 2004, S. 64 m.w.N.).
312. Ein gewöhnlicher Arbeitsort in der Bundesrepublik Deutschland kann nicht angenommen werden.
32a. Grundsätzlich kann ein gewöhnlicher Arbeitsort auch bei Verrichtung der Tätigkeit in mehreren Staaten vorliegen, wenn ein Schwerpunkt der Ausführung auszumachen ist (Müller, Cornelia, a.a.O., S. 66). Der Kläger hat seine Arbeit unstreitig überwiegend auf niederländischem Hoheitsgebiet ausgeübt.
33b. Hieran ändert auch nichts, dass die betreffenden Schiffe unter deutscher Flagge fuhren. Grundsätzlich kann die auf einem Schiff geführte Flagge Anhaltspunkt für Gerichtspflichtigkeit und anwendbares Recht sein (Müller, Cornelia, a.a.O., S. 138 f. m.w.N.). Es kommt jedoch insofern auf die zu Grunde liegende Frage der nationalen Zuordnung des Schiffes als regelmäßigem Tätigkeitsort an (ebenda, S. 139 f.). Die Flagge ordnet das Schiff vlkerrechtlich dem Flaggenstaat zu (ebenda). Durch das Führen der Bundesflagge werden Schiffe oder Luftfahrzeuge indes nicht zum deutschen Staatsgebiet. Es erscheint der Kammer dabei als durchaus nachvollziehbar, bei in internationalen Gewässern fahrenden Seeschiffen (zunächst) von der Flagge des Schiffes für die Bestimmung des gewöhnlichen Arbeitsortes auszugehen (LAG Rostock, a.a.O.; Müller, Cornelia, a.a.O.). Der Kläger ist jedoch auf Binnenschiffen tätig gewesen, die sich ausnahmslos im Hoheitsgebiet von Mitgliedsstaaten der EU bewegten, nämlich unstreitig auf dem Gebiet der Niederlande und der Bundesrepublik Deutschland, wobei der größte Teil der Strecke auf niederländischem Gebiet lag. Insofern besteht gerade ein deutlicher Bezug zum dem tatsächlichen Tätigkeitsort, nämlich in den Niederlanden, der den Bezug zum Flaggenstaat bei einem nicht in internationalen Gewässern fahrenden aus Sicht der Kammer überlagert.
34c. Es kommt nicht darauf an, ob der Kläger regelmäßig in Duisburg die Arbeit aufnahm und beendete. Im Einzelfall mag ein Abstellen auf den Arbeitsbeginn unter Auslegung von Art. 19 Nr. 1 Buchst. a EuGVVO angezeigt sein, wenn die Bestimmung des Haupttätigkeitsortes (etwa nach dem Flaggenprinzip) dem Schutzgedanken von Art. 19 EuGVVO nicht entspräche (so LAG Rostock, a.a.O.). Zum einen entsteht eine solche Situation hier nicht, da der Kläger dort klagen kann, wo er rein tatsächlich die meiste Zeit arbeitet. Zum anderen kann von einer solchen Möglichkeit des Abstellens auf den gewöhnlichen Arbeitsbeginn nur restriktiv Gebrauch gemacht werden (vgl. Reinhard, in Anm. zu LAG Rostock, 1 Sa 38/07, jurisPR-ArbG 29/2008 Anm. 1). Schließlich ist der Arbeitnehmer - neben einer sachgerechten Bestimmung des gewöhnlichen Arbeitsortes - auch dadurch geschützt, dass er nach Art. 19 Nr. 2 Buchst. b EuGVVO am Ort der einstellenden Niederlassung klagen kann.
35III. Die Zuständigkeit der deutschen Gerichte ergibt sich letztlich nicht aus Art. 19 Nr. 2 Buchst. b EuGVVO. Die einstellende Niederlassung für den Kläger ist die Niederlassung in Wasserbillig, wo der Arbeitsvertrag geschlossen wurde. Gründe für eine abweichende Verortung der einstellenden Niederlassung, wie ein abweichender Sitz von Disposition und/oder Personalabteilung, sind nicht vorgetragen worden.
36IV. Soweit man entgegen der Kammer nicht von einem konstanten Arbeitsort in den Niederlanden ausgehen würde, da die Tätigkeit zumindest zu einem untergeordneten Teil auch in Deutschland ausgeübt wurde, wäre die Zuständigkeit nach Art. 19 Nr. 2 Buchst. b EuGVVO zu bestimmen, nach dem sich wie oben ausgeführt aber gerade kein Gerichtsstand in Deutschland ergibt.
37B. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 91 Abs. 1 S. 1 ZPO. Der Streitwert war nach §§ 61 S. 1, 46 Abs. 2 ArbGG i.V.m. 3 ff. ZPO im Urteil festzusetzen. Die Berufung ist kraft Gesetzes nach § 64 Abs. 2 Buchst b, c ArbGG zulässig.
38Rechtsmittelbelehrung
39Gegen dieses Urteil kann von der klagenden Partei
40B e r u f u n g
41eingelegt werden.
42Für die beklagte Partei ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.
43Die Berufung muss
44innerhalb einer N o t f r i s t* von einem Monat
45beim Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Ludwig-Erhard-Allee 21, 40227 Düsseldorf, Fax: 0211 7770 2199 eingegangen sein.
46Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach dessen Verkündung.
47Die Berufungsschrift muss von einem Bevollmächtigten unterzeichnet sein. Als Bevollmächtigte sind nur zugelassen:
481.Rechtsanwälte,
492.Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,
503.Juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in Nr. 2 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung der Mitglieder dieser Organisation oder eines anderen Verbandes oder Zusammenschlusses mit vergleichbarer Ausrichtung entsprechend deren Satzung durchführt und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
51Eine Partei, die als Bevollmächtigter zugelassen ist, kann sich selbst vertreten.
52* Eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.
53Pletsch