Seite drucken
Entscheidung als PDF runterladen
Der Antrag wird zurückgewiesen.
G r ü n d e :
2I.
3Die Antragstellerin (i.F.: Arbeitgeberin) begehrt die Zustimmungsersetzung des Beteiligten zu 2. (i.F.: Betriebsrat) zu einer außerordentlichen Kündigung der Arbeitsgeberin gegenüber dem Beteiligten zu 3.
4Der Beteiligte zu 3. ist seit dem 01.10.2006 bei der Arbeitgeberin als Mitarbeiter Fertigung und Logistik tätig. Er erzielte zuletzt ein monatliches Bruttogehalt von 2.946,43 € bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 37,25 Stunden. Der Beteiligte zu 3. ist Betriebsratsvorsitzender bei dem bei der Arbeitgeberin gebildeten Betriebsrat. Stellvertretender Betriebsratsvorsitzender ist Herr O.. Zweiter stellvertretender Betriebsratsvorsitzender ist Herr W..
5Mit Anhörungsschreiben vom 05.07.2022 beantragte die Arbeitgeberin die Zustimmung des Betriebsrats gemäß § 103 BetrVG zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung. Der Antrag wurde am 05.07.2022 um ca. 14:00 Uhr in dem Betriebsratsbüro an das Betriebsratsmitglied YJ. im Beisein des an diesem Tag nachgerückten Ersatzbetriebsratsmitglieds JK. übergeben.
6Im Zustellungszeitpunkt war weder der Beteiligte zu 3. noch sein Vertreter Herr O., noch der zweite Vertreter Herr W. im Betrieb. Für diesen Tag war eine außerordentliche Betriebsratssitzung anberaumt. Mit E-Mail vom 04.07.2022 teilte der Beteiligte zu 3. gegenüber der Geschäftsführung der Arbeitgeberin die Sitzung mit und wies auf die Teilnahme der dort bezeichneten Betriebsratsmitglieder hin (Bl. 87 dA). Die Herren O. und W. waren am 05.07.2022 zur Frühschicht eingeteilt, die um 13:32 Uhr endete. Sie beendeten daher ihre Betriebsratstätigkeit um 13:32 Uhr. Hinsichtlich der Einzelheiten der jeweiligen Anwesenheit wird auf Blatt 86 der Gerichtsakte verwiesen. Der Beteiligte zu 3., sein Vertreter Herr O. sowie der zweite Vertreter konnten erst am 06.07.2022 Kenntnis von dem Anhörungsschreiben nehmen.
7Eine Stellungnahme seitens des Betriebsrat zu dem Anhörungsschreiben erfolgte vor Einleitung des gerichtlichen Verfahrens nicht.
8Mit seiner am 11.07.2022 bei Gericht eingereichten und dem Betriebsrat am 11.08.2022 und dem Beteiligten zu 3. am 15.07.2022 zugestellten Antragschrift begehrt die Arbeitgeberin die Zustimmung des Betriebsrats zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Beteiligten zu 3.
9Die Arbeitgeberin ist der Ansicht, die Zustimmung sei zu ersetzen, da die außerordentliche Kündigung gerechtfertigt sei. Es liege ein wichtiger Grund für eine Kündigung vor. Der Beteiligte zu 3. habe in dem Beschlussverfahren 6 BV 94/22 am 22.06.2022 sowie in dem Beschlussverfahren 11 BVGa 11/22 am 28.06.2022 unwahren Tatsachenvortrag geleistet. Darüber hinaus habe er am 27.06.2022 ein unlauteres Koppelungsgeschäft angedeutet.
10Der Antrag sei zulässig, da die dreitätige Frist aufgrund des Zugangs des Anhörungsschreibens durch Übergabe am 05.07.2022 an das Betriebsratsmitglied YJ. am 08.07.2022 abgelaufen sei. Sie bestreitet mit Nichtwissen, dass der Betriebsrat keine weitere Vertretungsregelung getroffen habe, bzw. Herr YJ., bzw. Herr JK. nicht empfangsberechtigt seien. Jedenfalls bestehe der Betriebsrat darauf, dass stets sämtliche Betriebsratsmitglieder in der E-Mail-Korrespondenz berücksichtigt werden.
11Aufgrund der Abwesenheit der Vertreter habe eine Zustellung an Herrn YJ. erfolgen können. Aufgrund der Abwesenheiten sei jedes Betriebsratsmitglied zum Empfang bevollmächtigt gewesen. Im Falle einer feierabendbedingten Abwesenheit läge eine Verhinderung vor. Insbesondere bei Wechselschichten würde dies andernfalls zu untragbaren Ergebnissen führen.
12Zudem habe der Betriebsrat der Entgegennahme durch Herrn YJ. nicht widersprochen. Jedenfalls aber habe die Frist spätestens am Samstag, den 09.07.2022 geendet. § 193 BGB stehe dem nicht entgegen. Es sei von einer Abweichung von § 193 BGB auszugehen. In dem Betrieb der Arbeitgeberin sei vor Einleitung des Verfahrens gelegentlich auch samstags, auch am 09.07.2022, gearbeitet worden.
13Die Arbeitgeberin beantragt,
14die Zustimmung des Beteiligten zu 2. zur außerordentlichen fristlosen Kündigung des Beteiligten zu 3. zu ersetzen.
15Der Betriebsrat und der Beteiligte zu 3. beantragen,
16den Antrag zurückzuweisen.
17Der Betriebsrat ist der Ansicht, der Antrag sei bereits mangels ordnungsgemäßer Durchführung des Anhörungsverfahrens bereits unzulässig. Der Antrag sei vor Ablauf der dreitätigen Zustimmungsfrist bei Gericht gestellt worden. Die Anhörungsfrist sei erst am 11.07.2022 abgelaufen.
18Der Betriebsrat behauptet, es seien keine weiteren Vertretungsregelungen – bis auf den Vorsitzenden, seinen Vertreter und den zweiten stellvertretenden Vorsitzenden - seitens des Betriebsrates aufgestellt worden. Weder Herr YJ. noch Herr JK. seien empfangsbevollmächtigt, Mitteilung an den Betriebsrat entgegenzunehmen. Das Bestreiten mit Nichtwissen der Arbeitgeberin sei unzulässig, da dieses ins Blaue hinein erfolge. Der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende O. sei nicht verhindert und allein empfangsbevollmächtigt gewesen. Der reine Dienstschluss bedinge keine Verhinderung.
19Mangels Schaffung eines Vertrauenstatbestandes gelte das Anhörungsschreiben auch nicht durch die Entgegennahme durch Herrn YJ. mangels Widerspruch des Betriebsrats als zugegangen. Auch sei § 193 BGB nicht abbedungen worden. Der Samstag war bis September 2022 gerade regelmäßig kein Arbeitstag.
20Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und das Ergebnis der Anhörungstermine Bezug genommen.
21II.
221. Der Antrag ist unzulässig.
23Die Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen Kündigung des Beteiligten zu 3. ist nicht zu ersetzen. Der Antrag ist unzulässig, weil das Beteiligungsverfahren nicht ordnungsgemäß durchgeführt wurde.
24a) Nach § 103 Abs. 1 BetrVG bedarf die außerordentliche Kündigung von Mitgliedern des Betriebsrats der Zustimmung des Betriebsrats. Verweigert der Betriebsrat seine Zustimmung, so kann das Arbeitsgericht sie auf Antrag des Arbeitgebers ersetzen, wenn die außerordentliche Kündigung unter Berücksichtigung aller Umstände gerechtfertigt ist.
25b) Die Einleitung des gerichtlichen Ersetzungsverfahrens ist nur zulässig, wenn die Arbeitnehmervertretung die Zustimmung verweigert hat oder die Stellungnahmefrist ohne Zustimmungserteilung abgelaufen ist. Die Beteiligung des Betriebsrats ist Zulässigkeitsvoraussetzung für das Ersetzungsverfahren. Ein vor der Zustimmungsverweigerung gestellter Ersetzungsantrag ist unzulässig und wird auch nicht mit der späteren Zustimmungsverweigerung zulässig (BAG, Beschl. v. 7.5.1986 – 2 ABR 27/85; Richardi BetrVG/Thüsing, 17. Aufl. 2022, BetrVG § 103 Rn. 66; LAG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 11.5.2020 – 12 TaBV 1966/19; Gallner/Mestwerdt/Nägele, Kündigungsschutzrecht, BetrVG § 103 Rn. 63, beck-online).
26c) Die Stellungnahmefrist des Betriebsrats war vorliegend bei Einleitung des gerichtlichen Zustimmungsersetzungsverfahrens noch nicht abgelaufen.
27aa) Der Arbeitgeber ist verpflichtet, dem Betriebsrat die Gründe für die außerordentliche Kündigung mitzuteilen. Hinsichtlich der Art und des Umfangs der Informationen gelten im Rahmen eines Zustimmungsantrages nach § 103 BetrVG dieselben Grundsätze wie zur Anhörung nach § 102 Abs. 1 BetrVG (BAG v. 23.4.2008 – 2 ABR 71/07; LAG München, Urt. v. 29.07.2020 – 11 Sa 332/20; LAG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 11.5.2020 – 12 TaBV 1966/19).
28bb) Das Gesuch des Arbeitgebers auf Erteilung der Zustimmung muss dem Betriebsrat zugehen, um die Frist der §§ 103, 102 Abs. 2 Satz 3 BetrVG in Gang zu setzen. Berechtigt für die Entgegennahme von Mitteilungen zur Kündigungsabsicht des Arbeitgebers iSd. § 102 BetrVG und damit auch iSd. § 103 BetrVG ist gemäß § 26 Abs. 3 Satz 2 BetrVG der Betriebsratsvorsitzende oder, falls dieser verhindert ist, der Stellvertreter des Betriebsratsvorsitzenden. Mitteilungen, insbesondere über Kündigungsgründe, die der Arbeitgeber im Rahmen des § 102 oder auch § 103 BetrVG einem nicht nach diesen Grundsätzen zur Entgegennahme ermächtigten Mitglied des Betriebsrates macht, werden erst dann für den Betriebsrat wirksam, wenn sie vom unzuständigen Mitglied als Erklärungsbote des Arbeitgebers an den Vorsitzenden oder ein zum Empfang ermächtigtes Mitglied des Betriebsrates weitergeleitet werden (vgl. BAG, Beschl. v. 28.7.2020 – 1 ABR 5/19; Urt. v. 27.06.1985 - 2 AZR 412/84; LAG München, Urt. v. 29.07.2020 – 11 Sa 332/20). Nur wenn niemand vorhanden ist, der zur Entgegennahme der Erklärung berechtigt ist, zB. weil der Betriebsratsvorsitzende und sein Stellvertreter im Urlaub sind und für diesen Fall keine Vertretungsregelung besteht, ist jedes Betriebsratsmitglied berechtigt, Erklärungen des Arbeitgebers für den Betriebsrat entgegenzunehmen (BAG, Beschl. v. 28.7.2020 – 1 ABR 5/19; Beschl. v. 27.6.1985 – 2 AZR 412/84). Hat der Betriebsrat bzw. sein Vorsitzender die vom Arbeitgeber angekündigte Übergabe eines Anhörungsschreibens zur Kündigung außerhalb des Betriebs nicht abgelehnt, ist sein Stellvertreter nach § 26 Abs. 2 S. 2 zur Entgegennahme berechtigt, wenn das Anhörungsschreiben dem Betriebsratsvorsitzenden mangels Anwesenheit nicht ausgehändigt werden kann (BAG, Urt. v. 7.7.2011 - 6 AZR 248/10).
29cc) Unter Berücksichtigung dieser Umstände ist das Anhörungsschreiben der Arbeitgeberin dem Betriebsrat erst am 06.07.2022 zugegangen. Damit begann die Frist zur Verweigerung nach §§ 103, 102 Abs. 2 Satz 3 BetrVG erst am 06.07.2022 zu laufen.
30(1) Die Herren YJ. und JK. waren am 05.07.2022 nicht zur Entgegennahme des Anhörungsschreibens berechtigt. Es lag kein Verhinderungsfall des empfangsberechtigten stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden O. vor.
31(a) Ein Betriebsratsmitglied ist grundsätzlich von seiner Organtätigkeit ausgeschlossen und somit verhindert bei Maßnahmen, die es individuell und unmittelbar betreffen (BAG, Beschl. v. 6.11.2013 – 7 ABR 84/11).
32(b) Hiernach war der Betriebsratsvorsitzende, der hiesige Beteiligte zu 3., als selbst betroffener Arbeitnehmer verhindert.
33(2) Der Stellvertreter des Betriebsratsvorsitzenden, Herr O., hingegen war am 05.07.2022 nicht verhindert und somit allein empfangsbevollmächtigt. Entgegen der Ansicht der Arbeitgeberin war er aufgrund seines Feierabends nicht verhindert, mit der Folge, dass jedes Betriebsratsmitglied als empfangsbevollmächtigt galt.
34(a) Für die Beantwortung der Frage, wann der Vorsitzende, bzw. dessen Stellvertreter als verhindert anzusehen ist, gelten die nach § 25 Abs. 1 Satz 2 BetrVG maßgebenden Grundsätze entsprechend (BAG, Beschl. v. 28.7.2020 – 1 ABR 5/19). Eine zeitweilige Verhinderung liegt nur vor, wenn das Betriebsratsmitglied vorübergehend aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht in der Lage ist seine betriebsverfassungsrechtlichen Amtsobliegenheiten auszuüben (BAG, Beschl. v. 28.7.2020 – 1 ABR 5/19). Eine tatsächliche Verhinderung ist zB. bei der auswärtigen Wahrnehmung des Erholungs- oder Bildungsurlaubs, bei Kuraufenthalten, Dienstreisen oder der Teilnahme an Schulungs- oder Bildungsveranstaltungen anzunehmen (Fitting/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier/Schelz, 31. Aufl. 2022, BetrVG § 25 Rn. 17; Richardi BetrVG/Thüsing, 17. Aufl. 2022, BetrVG § 25 Rn. 7). Da selbst eine Arbeitsunfähigkeit eines Betriebsratsmitglieds nicht notwendigerweise eine Verhinderung darstellt (BAG, Beschl. v. 28.7.2020 – 1 ABR 5/19; kein Verhinderungsfall zudem bei arbeitsfreiem Tag: BAG, Urt. v. 27.9.2012 – 2 AZR 955/11), kann nicht allein auf eine Betriebsabwesenheit abgestellt werden.
35Ein Betriebsratsmitglied soll die ihm obliegenden amtlichen Aufgaben grundsätzlich während der Arbeitszeit durchführen soll. Das Anhörungsverfahren nach §§ 102, 103 BetrVG ist vom Arbeitgeber grundsätzlich während der Arbeitszeit des für die Vertretung des Betriebsrates zuständigen Betriebsratsmitgliedes einzuleiten. Der Betriebsratsvorsitzende, im Fall seiner Verhinderung, der Stellvertreter sind daher grundsätzlich nicht verpflichtet, außerhalb der Arbeitszeit sowie außerhalb der Betriebsräume Mitteilungen iSd. §§ 102, 103 BetrVG entgegenzunehmen (zu § 102 BetrVG: BAG, Urt. v. 27.08.1982 - 7 AZR 30/80). Jedenfalls bei bekannter Abwesenheit des Betriebsratsvorsitzenden und der weiter bekannten Arbeitszeit des stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden ist der Arbeitgeber verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass die Betriebsratsmitglieder in ihrer Amtseigenschaft nur während ihrer Arbeitszeit in Anspruch genommen werden (LAG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 24.10.2013 – 4 TaBV 8/13).
36(b) Nach diesen Grundsätzen war der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende O. nicht verhindert iSd. § 26 BetrVG. Er war am 05.07.2022 im Betrieb von 07:15 Uhr bis 13:32 Uhr anwesend. Die Arbeitgeberin hätte ihm daher als zu diesem Zeitpunkt allein empfangsbevollmächtigtes Mitglied das Anhörungsschreiben übergeben müssen, um einen Zugang noch am 05.07.2022 sicherzustellen. Dies war der Arbeitgeberin auch möglich. Es ist bereits davon auszugehen, dass sie die Dienstzeiten ihrer Arbeitnehmer kennt. Unabhängig davon wurde sie auch von dem Beteiligten zu 3. per E-Mail vom 04.07.2022 über die Frühschicht von Herrn O. unterrichtet. Darüber hinaus wäre es ihr möglich gewesen, zu prüfen, ob Herr O. eingestempelt ist. All dies hat sie nicht getan, sondern ca. 30 Minuten nach Feierabend von Herrn O. das Anhörungsschreiben an ein anderes Betriebsratsmitglied übergeben. Dass die Arbeitgeberin nicht der Lage war, bereits um 13.30 Uhr Herrn O. das Schreiben zu übergeben, trägt sie selbst nicht vor. § 26 BetrVG dient der Rechtssicherheit. Dieser Zweck würde unterlaufen, wenn bei jedem Feierabend des Vorsitzenden oder seines Stellvertreters jedes Betriebsratsmitglied zum Empfang von Mitteilungen berechtigt wäre. Zudem hätte es der Arbeitgeber in der Hand, bis zum Feierabend abzuwarten. Dies kann zu erheblichen Unsicherheiten und Folgen bzgl. des Fristenlaufes führen.
37(c) Es kann offenbleiben, ob der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende verpflichtet gewesen wäre, aufgrund der Annahme eines Eilfalles aus dem Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit, die Anhörung außerhalb der Betriebsräume entgegenzunehmen. Die Arbeitgeberin hat eine Zustellung an diesen außerhalb der Büroräume nicht versucht.
38(3) Bei einem Zugang der Information am 06.07.2022 ist bei Einleitung des gerichtlichen Verfahrens am 11.07.2022 nicht die dreitätige Anhörungsfrist gemäß § 102 Abs. 2 Satz 3 BetrVG analog im Hinblick auf die außerordentliche Kündigung gewahrt. Die Frist nach § 102 Abs. 2 Satz 3 BetrVG analog lief nach §§ 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 iVm. § 193 BGB erst am Montag, den 11.07.2022 ab. Am selben Tag wurde jedoch bereits das gerichtliche Verfahren eingeleitet. Das Betriebsratsmitglied YJ. – dem das Zustimmungsgesuch am 05.07.2022 übergeben wurde – war mangels Empfangsberechtigung lediglich Erklärungsbote der Arbeitgeberin. Der Zugang des Schreibens wurde somit erst am Folgetag durch Kenntnis des Mitglieds O. bewirkt. Es lag auch keine vorherige abschließende Stellungnahme des Betriebsrates vor.
39(4) Etwas anderes ergibt sich auch nicht aufgrund des Bestreitens der Arbeitgeberin mit Nichtwissen, dass der Betriebsrat keine weiteren Vertretungsregelungen getroffen habe. Dieses war unbeachtlich.
40Soweit die Rechtsprechung im Falle eines Bestreitens mit Nichtwissen eines Betriebsratsbeschlusses betreffend die Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens seitens des Betriebsrates substantiierten Vortrag zu der Beschlussfassung verlangt, ist dieser Fall mit der vorliegenden Frage nicht vergleichbar. Eine gerichtliche Aufklärung war entbehrlich, bzw. musste unterbleiben. Ein Bestreiten des Arbeitgebers ist vorliegend jedenfalls kein genügender Anlass, die gerichtliche - im Rahmen von § 103 BetrVG zudem eingeschränkte (BAG, Beschl. v. 27.1.1977- 2 ABR 77/76; LAG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 21.7.2020 – 8 TaBV 12/19; LAG Düsseldorf, Beschl. v. 7.1.2004 - 12 TaBV 69/03) - Aufklärungspflicht auszulösen. Der Betriebsrat wäre bei einem Bestreiten mit Nichtwissen ins Blaue hinein – wie vorliegend – gezwungen, eine negative Tatsache zu beweisen. Es bestehen jedoch keinerlei Anhaltspunkte für eine anderweitige, bzw. weitere Vertretungsregelung. Es ist nicht ohne Weiteres davon auszugehen, dass der Betriebsrat vorliegend eine untypische und nicht dem gesetzlichen Grundgedanken entsprechende Vertretungsregelung dahingehend getroffen hat, dass jedes Betriebsratsmitglied – unabhängig einer Verhinderung des Vorsitzenden oder dessen Stellvertreters – zur Entgegennahme von Willenserklärungen empfangsbevollmächtigt ist. Dann aber kann ein Bestreiten mit Nichtwissen, ohne das konkrete Anhaltspunkte bestehen, wie bspw. Vorfälle der Vergangenheit, nicht die Feststellungslast des Betriebsrats herbeiführen. Allein aus dem Umstand, dass der Betriebsrat wünsche, dass alle Mitglieder im Rahmen von E-Mail Korrespondenz mit der Arbeitgeberin Kopie gesetzt werden, kann kein Anhaltspunkt für die Annahme einer Vertretungsregelung hergeleitet werden. Gleiches gilt auch hinsichtlich des Bestreitens einer entsprechenden Vollmacht des Mitglieds YJ..
41(5) Entgegen der Ansicht der Arbeitgeberin ist vorliegend auch nicht von einer Abbedingung von § 193 BGB auszugehen.
42(a) Bei § 193 handelt es sich um eine Auslegungsvorschrift. Die mitunter durch § 193 BGB bewirkte erhebliche Fristverlängerung kann also dazu führen, dass ein abweichender Parteiwille angenommen werden kann. Insbesondere bei kurzen Fristbestimmungen von nur wenigen Tagen kann deshalb zu prüfen sein, ob ein von § 193 abweichender Parteiwille vorliegt. Auch Äußerungen der Parteien im Hinblick auf die Länge der Frist wie zB „Eine Frist von einer Woche ist wahrlich genug“ oder „Eine Woche und keinen Tag länger“ sind Anzeichen dafür, dass die Parteien keine gesonderte Verlängerung nach § 193 wollten. Schließlich kann auch eine Abrede, die den Schutzzweck des § 193 außer Kraft setzt, ein Indiz für eine abweichende Parteivereinbarung sein. Sofern beispielsweise eine gegenseitige ständige Erreichbarkeit auch an Ruhetagen vereinbart oder zumindest bislang üblich war, kann hierin möglicherweise auch eine konkludente abweichende Vereinbarung gesehen werden. Bei gesetzlich bestimmten Fristen ist dagegen schon aufgrund deren abstrakt-generellen Charakters eine dem § 193 entgegenstehende Auslegung schwerlich denkbar. Der Gesetzgeber hat zudem Kenntnis von der Regelung des § 193, sodass er zur Vermeidung von Unsicherheiten im Falle einer gewünschten abweichenden Auslegung gehalten wäre, dies ausdrücklich festzuschreiben. Die Möglichkeit der Parteien, von der der gesetzlichen Fristbestimmung immanenten Berechnungsweise nach § 193 abzuweichen, besteht nur unter der Voraussetzung, dass die Fristbestimmung ihrerseits dispositiv ist (BeckOGK/Fervers, 1.2.2022, BGB § 193 Rn. 12, 13).
43(b) Nach diesen Grundsätzen kann keine Auslegung dahingehend angenommen werden, dass die Beteiligten den Samstag als Werktag und somit das Ende der Frist nach § 102 Abs. 2 Satz 3 BetrVG an diesem Tag als Fristende betrachten wollten. Es liegen keine Umstände vor, die diese Auslegung stützen. Im Zweifel bleibt es demnach bei der gesetzlichen Regelung des § 193 BGB. Weder gab es entsprechende Äußerungen in der Vergangenheit zu den Fristen noch gab es Absprachen zu einer Erreichbarkeit an Samstagen. Auch wenn der Betriebsrat die Fristen durch Abgabe einer vorzeitigen abschließenden Stellungnahme verkürzen kann, fehlt es vorliegend an ausreichenden Umständen, um von einem entsprechenden Beteiligtenwillen auszugehen. Allein die Tatsache, dass an dem streitgegenständlichen Samstag – außerhalb der Regel – gearbeitet wurde, rechtfertigt keine entsprechende Annahme. Zur Wahrung der Rechtssicherheit sind hinreichende Umstände und Anhaltspunkte erforderlich, um auf einen entsprechenden Willen schließen zu können. An solchen fehlt es vorliegend.
44(6) Auch musste der Betriebsrat der Entgegennahme durch die Herren YJ. und CI. nicht unverzüglich widersprechen, um sich auf den fehlenden Zugang am 05.07.2022 berufen zu können. Es fehlt bereits an einem Vortrag der Arbeitgeberin, dass der Betriebsrat in der Vergangenheit den Zugang bei nicht vertretungsberechtigten Mitgliedern geduldet hat. Allein aus der Entgegennahme des Anhörungsschreibens kann sich kein entsprechender Vertrauenstatbestand entwickeln. Dies ist auch gar nicht notwendig. Die Arbeitgeberin weiß durch die gesetzliche Regelung nach § 26 BetrVG, wer ihr Ansprechpartner ist. Hierauf kann sie sich einstellen und ihr Handeln danach richten.
45(7) Dafür, dass das Berufen des Betriebsrats auf die Nichteinhaltung der Stellungnahmefrist, treuwidrig ist, liegen keine Anhaltspunkte vor.
46dd) Da somit bei Einleitung des gerichtlichen Verfahrens das Anhörungsverfahren noch nicht abgeschlossen war, ist der Antrag auf Ersetzung der Zustimmung unzulässig.
472. Auf die Frage, ob die fristlose Kündigung durch einen wichtigen Grund gerechtfertigt ist, kam es damit nicht mehr an.
48P.