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Gegen einen wegen versuchten Prozessbetruges rechtskräftig verurteilten Rechtsanwalt kann die Verhängung anwaltsgerichtlicher Maßnahmen - vorliegend die Verhängung einer Geldbuße von 500 Euro - erforderlich sein, um den Rechtsanwalt zur Erfüllung seiner anwaltlichen Berufspflichten anzuhalten und das Ansehen der Rechtsanwaltschaft zu wahren.
1. Die Berufung des angeschuldigten Rechtsanwalts gegen das Urteil der 2. Kammer des Anwaltsgerichts Düsseldorf vom 17.11.2014 (3 EV 189/11) wird mit der Maßgabe verworfen, dass die Geldbuße auf 500 € herabgesetzt wird.
2. Der angeschuldigte Rechtsanwalt hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
GRÜNDE
2I.
3Rechtsanwalt y ist am 30.06.1967 in C geboren. Er ist seit dem 27.05.1997 als Rechtsanwalt in E zugelassen. Er ist mit Ausnahme der Vorgänge, die Gegenstand dieses Urteils sind, weder strafrechtlich noch disziplinarisch negativ in Erscheinung getreten. Er übt nach seiner Einlassung in der Berufungshauptver-handlung vor dem Senat den Anwaltsberuf in eigener Kanzlei ohne Mitarbeiter in den Räumen seiner Wohnung aus. In der Berufungsstrafverhandlung vor dem Landgericht Landshut vom 18.06.2012 hat der Angeschuldigte angegeben, aus anwaltlicher Tätigkeit keine Einkünfte zu erzielen, sondern von seinen Ersparnissen von damals 45.000 EUR zu leben. Nach seinen Angaben in der Berufungsschrift sind diese Ersparnisse aufgebraucht. Diese Erklärung hat er in seinem Schriftsatz vom 03.03.2015 wiederholt und ergänzend mitgeteilt, er erziele monatliche Einkünfte von 900 €. In der Berufungshauptverhandlung hat er sich eingelassen, er erhalte keine neuen Mandate mehr, sei aber noch damit befasst, alte Angelegenheiten abzuarbeiten. Zu näheren Auskünften über seine Einkommensverhältnissen sei er nicht in der Lage.
4II.
5Der Berufungsentscheidung liegt folgender Sachverhalt zugrunde, der sich aus den in der Hauptverhandlung verlesenen Entscheidungen der Strafgerichte gegen den angeschuldigten Rechtsanwalt y ergab. An diese ist der Anwaltsgerichtshof gemäß § 118 BRAO gebunden. Anlass, sich von den Feststellungen des Landgerichts Landshut in seinem rechtskräftigen, durch die Revisionsentscheidung des Oberlandesgerichts München (Beschluss vom 2.12.2012 - 5St RR 355/12, beigezogene Strafakte Bl. 287-294) bestätigten (Berufungs-)Urteils vom 18.06.2012 (2 Ns 4 Js 9463/11, beigezogene Strafakte Bl. 247-259) gegen den angeschuldigten Rechtsanwalt y lösen, hat der Senat nicht gesehen. Bei dieser Entscheidung hat er auch die in der Hauptverhandlung abgegebenen Erklärungen des angeschuldigten Rechtsanwalts und die auf seinen Antrag hin verlesene Verfassungsbeschwerdeschrift, die Rechtsanwalt Dr. L für ihn am 10.12.2012 bei dem Bundesverfassungsgericht (2 BvR 2810/12, Bl. 106-122 d.A.) eingereicht hat, gewürdigt.
61.
7Nach seiner eigenen Einlassung und nach den Feststellungen in den Strafurteilen hat der angeschuldigte Rechtsanwalt y in zwei Fällen (durch das Amtsgericht Idstein am 04.11.2009) rechtskräftig abgewiesene Ansprüche in Höhe von 36,26 € und 15,74 € zuzüglich Zinsen und vorgerichtlicher Kosten von jeweils 36,54 € nochmals geltend gemacht. Die für seinen Mandanten F erhobenen Forderungen verfolgte er nach Widerspruch des Beklagten gegen den vom ihm erwirkten Mahnbescheid mit demselben Tatsachenvortrag wie im ersten Prozess vor dem Amtsgericht Idstein. Die Klagen waren auf Ansprüche aus der Inanspruchnahme von 0900-Mehrwertrufnummern der X GmbH gestützt, die diese Ansprüche an ihren Geschäftsführer, den Mandanten des angeschuldigten Rechtsanwalts, abgetreten hatte. Das Amtsgericht Idstein hatte die Klagen in den Erstprozessen abgewiesen, weil der angeschuldigte Rechtsanwalt hinsichtlich der bestrittenen Abtretung keinen Beweis angetreten habe. Die Klagebegründung im Zweitprozess bei dem Amtsgericht Freising, in dessen Bezirk der Beklagte I zwischenzeitlich verzogen war, war gleichlautend wie in den ersten Verfahren, die Tatsache der Klageabweisung im Erstprozess erwähnte der angeschuldigte Rechtsanwalt in seinen Klagebegründungen nicht, stützte sich aber auf dieselbe Abtretungserklärung. Die Klagen waren auch vor dem Amtsgericht Freising nicht erfolgreich. Nachdem der Beklagte durch seine anwaltliche Vertreterin die Urteile der Erstprozesse vorgelegt hatte, wies das Amtsgericht Freising die Klagen wegen entgegenstehender Rechtskraft ab.
82.
9Das Amtsgericht Freising sah in diesem Verhalten einen versuchten Betrug und verurteilte den Angeschuldigten zu einer Gesamtgeldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 100,00 € (beigezogene Strafakte 4 Js 9643/11 StA Landshut Bl. 208-210). Die dagegen eingelegte Berufung des Angeschuldigten war vor dem Landgericht Landshut nur im Rechtsfolgenausspruch teilweise erfolgreich. Das Landgericht setzte die Höhe des Tagessatzes auf 20,00 € herab und verwarf die Berufung im Übrigen als unbegründet. Die gegen das Berufungsurteil gerichtete Revision des Angeschuldigten verwarf das Oberlandesgericht München mit Beschluss vom 02.11.2012 als unbegründet. Eine am 10.12.2012 durch Rechtsanwalt Dr. L erhobene Verfassungsbeschwerde nahm das Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung an.
103.
11Nach dem rechtskräftigen Berufungsurteil des Landgerichts Landshut steht fest, dass der Angeschuldigte in Kenntnis der sich aus den klageabweisenden Urteilen des Amtsgericht Idstein ergebenden materiellen Rechtskraft diesen Umstand dem Amtsgericht Freising in dem Zweitverfahren bewusst verschwiegen hat. Die wiederholte Klageerhebung vor einem anderen Gericht geschah mit dem Ziel, dem Kläger einen Vollstreckungstitel über die Klageforderung, die vorgerichtlich entstandenen Anwaltsgebühren und die zu erstattenden Prozesskosten zu verschaffen, obwohl der angeschuldigte Rechtsanwalt wusste, dass dem Kläger aufgrund der im ersten Rechtsstreit bestrittenen Abtretung ein solcher Anspruch nicht mehr zustehen konnte, nachdem er rechtskräftig bereits aberkannt war. Dadurch wollte er in dem zur Entscheidung berufenen Richter die Vorstellung hervorrufen, er habe eine zulässige und schlüssige Klage erhoben. Diese Vorstellung hätte im Falle eines einseitigen Verfahrens zu einem vollstreckbaren Urteil zu Lasten des Beklagten geführt, wenn dieser nicht auf die vorangegangenen Entscheidungen des Amtsgerichts Idstein hingewiesen hätte. Zur Mitteilung der Entscheidungen des Vorprozesses war der Angeschuldigte verpflichtet, weil im Zivilprozess die Parteien nach § 138 Abs. 1 ZPO ihre Erklärungen über tatsächliche Umstände vollständig und der Wahrheit gemäß abzugeben haben. Dazu gehört auch die Unterrichtung eines als zweites angerufenen Gerichtes, dass derselbe Anspruch bereits bei einem anderen Gericht geltend gemacht und beschieden worden ist.
12Damit hat der angeschuldigte Rechtsanwalt durch sein prozessuales Verhalten in zwei Fällen vorsätzlich und schuldhaft den Tatbestand des versuchten Betruges verwirktlicht.
134.
14Der angeschuldigte Rechtsanwalt kann gegen diese Feststellung nicht einwenden, die rechtskräftige strafrechtliche Verurteilung greife in sein Grundrecht der freien Berufsausübung ein. Es müsse ihm und seiner ihm freigestellten Beurteilung überlassen bleiben, welche Tatsachen er als erheblich bewerte und welche nicht. Er vertrete nun einmal die Rechtsauffassung, die Aktivlegitimation sei kein Element der Begründetheit einer Klage, sondern betreffe ausschließlich deren Zulässigkeit. Eine mangels Aktivlegitimation abgewiesene Klage dürfe er deshalb ohne Weiteres erneut erheben.
15Dieser Einwand ist ersichtlich bloße Schutzbehauptung. Auch die als unzulässig abgewiesene Klage ist der materiellen Rechtskraft fähig, weil auch das Prozessurteil besagt, dass die Klage mit dem anhängigen Streitgegenstand unter den gegebenen prozessualen Umständen mindestens aus dem in den Entscheidungsgründen genannten Grund unzulässig war und ist. Eine neue Klage über denselben Streitgegenstand kann also nur als zulässig behandelt werden, wenn sich die prozessualen Umstände in dem fraglichen Punkt gegenüber dem Vorprozess geändert haben.
16OLG Brandenburg NJW-RR 2000, 1735; Vollkommer in Zöller, § 322 ZPO Rn. 1a
17Der angeschuldigte Rechtsanwalt hat vor dem Amtsgericht Freising zur Aktivlegitimation nichts anderes vorgetragen als vor dem Amtsgericht Idstein. Auch von seinem Standpunkt aus, die Aktivlegitimation sei eine Frage der Zulässigkeit, hätte er jeweils das Urteil im Erstprozess vortragen müssen, das (nach seiner Rechtsmeinung) die Zulässigkeit aufgrund des vorgetragenen Sachverhalts rechtskräftig verneint haben müsste.
185.
19Unerheblich ist auch der Einwand des angeschuldigten Rechtsanwaltes, dass „sowohl das Landgericht Dortmund als auch das Oberlandesgericht Hamm stets über Ansprüche entscheiden, über die bereits rechtskräftige Titel vorliegen." Der
20Beiziehung der Akten eines vom angeschuldigten Rechtsanwalt beispielhaft genannten Verfahrens bedurfte es nicht, weil sich aus der Prozessordnung ergibt, unter welchen Vorausetzungen formell oder materiell rechtskräftige Vollstreckungstitel abgeändert werden können. Die Vorschriften der §§ 323 oder 767 ZPO belegen dies. Erst recht kann im ordentlichen Verfahren ein durch Kostenfestsetzungsbeschluss nach § 11 RVG rechtskräftig titulierter Vergütungsanspruch eines Rechtsanwalts als nichtbestehend festgestellt werden. Das ergibt sich daraus, dass ein solcher Kostenfestsetzungsbeschluss der inneren Rechtskraft nicht fähig ist, da im Verfahren nach § 11 RVG über Einwendungen oder Einreden, die nicht in dem Gebührenrecht ihren Grund haben, nicht befunden werden kann (§ 11 Abs. 5 RVG). Der Umstand, dass es möglich ist, rechtskraftdurchbrechende Verfahren zu führen, hat aber auch im Ansatz nichts damit zu tun, ob es dem Rechtsanwalt erlaubt ist, bereits rechtskräftig entschiedene Ansprüche erneut einzuklagen, ohne die bereits ergangene Entscheidung zu erwähnen.
216.
22Aus diesem Grunde ist der angeschuldigte Rechtsanwalt auch nicht in seiner Berufsfreiheit beeinträchtigt. Die Freiheit der Advokatur oder seine Stellung als unabhängiges Organ der Rechtspflege wird nicht dadurch beeinträchtigt, dass von ihm zu verlangen ist, dass er in Zivilprozessen nach allgemein anerkannten Grundsätzen erhebliche, ihm bekannte unstreitige Tatsachen, die der Zulässigkeit oder Begründetheit seiner Klage entgegenstehen, vorzutragen und nicht zu unterdrücken hat.
237.
24Der Senat sah sich auch nicht in der Lage, von einer anwaltsgerichtlichen Ahndung wegen der Verurteilung zu einer Geldstrafe wegen desselben Verhaltens abzusehen. Der Versuch, durch die Unterdrückung der früheren Klageabweisung durch ein anderes Gericht dem eigenen Mandanten einen Vollstreckungstitel zu erschwindeln, ist in besonderem Maße geeignet, Achtung und Vertrauen der Rechtsuchenden in bedeutsamer Weise zu beeinträchtigen. Der Senat hält es daher für erforderlich, durch die Verhängung anwaltsgerichtlicher Maßnahmen den angeschuldigten Rechtsanwalt zur Erfüllung seiner Pflichten anzuhalten und das Ansehen der Rechtsanwaltschaft zu wahren. Dabei war insbesondere zu berücksichtigen, dass das Landgericht Landshut in seinen Strafzumessungserwägungen keine Rücksicht auf die Tatsache genommen hat, dass von einem Organ der Rechtspflege eine besondere Rechtstreue und kein rechtsfeindliches Verhalten zu erwarten ist.
25III.
26Der angeschuldigte Rechtsanwalt sieht in dem Umstand, dass das Anwaltsgericht Düsseldorf ihn in der Ladung zur Hauptverhandlung am 17.11.2014 nicht erneut gem. § 134 BRAO über die Möglichkeit belehrt hat, auch in Abwesenheit gegen ihn zu verhandeln, ein Verfahrenshindernis, obwohl ein entsprechender Hinweis in der ersten Ladung für den sodann aufgehobenen Termin vom 05.05.2014 enthalten war. Es ist aber unerheblich, ob die Hauptverhandlung vom 17.11.2014 ohne den Angeschuldigten nicht hätte stattfinden dürfen. Wenn ein Verfahrensverstoß vorläge, bliebe er folgenlos, weil die Berufungsinstanz als volle zweite Tatsacheninstanz den Sachverhalt in Anwesenheit des Angeschuldigten aufgeklärt und bewertet hat. Eine Zurückverweisung kommt wegen § 328 StPO nicht in Betracht.
27Johnik in Gaier/Wolf/Göcken, § 134 BRAO Rn. 16; Dittmann in Henssler/Prütting § 134 BRAO Rn. 12; Feuerich in Feuerich/
28Weyland, § 134 BRAO Rn. 10.
29IV.
30Hinsichtlich der festgestellten Verstöße hat der angeschuldigte Rechtsanwalt vorsätzlich gehandelt und seine Berufspflichten verletzt. Er hat in Ausübung seines Berufes die Straftat des versuchten Betruges in zwei Fällen begangen. Darin liegt, wie bereits das Anwaltsgericht in seiner angefochtenen Entscheidung richtig erkannt hat, eine Verletzung der allgemeinen Berufspflicht nach § 43 BRAO. Gleichzeitig hat er auch die sich ebenfalls aus § 43 BRAO ergebende Wahrheitspflicht verletzt. Die prozessuale Verpflichtung zum wahrheitsgemäßen und vollständigen Vortrag ist auch Berufspflicht. Als unabhängiges Organ der Rechtspflege ist der Rechtsanwalt der Wahrheit verpflichtet.
31BVerfGE 38, 105
32Jeder bewusst wahrheitswidrige Vortrag vor Gericht oder einer Behörde sowie solche Angaben gegenüber Mandanten und gegnerischem Anwalt sind danach mit § 1 BRAO unvereinbar und damit pflichtwidrig.
33Feuerich/Weyland, § 43 BRAO, Rz. 8
34Das Unterdrücken von Tatsachen ist da, wo eine Rechtspflicht zum Vortrag besteht, dem gleichwertig.
35Der Senat verkennt nicht, dass der Angeschuldigte insgesamt nur einen Vermögensvorteil in der Größenordnung von etwa 300,00 € angestrebt hat, wobei in die Bewertung nicht nur die noch geringeren Hauptforderungen, sondern auch die Neben- und Kostenerstattungsansprüche einzubeziehen sind. Dennoch sieht er in den beiden Fällen des versuchten Prozessbetruges gravierende Verstöße gegen Berufspflichten. Die Funktionsfähigkeit der Justiz ist immer von der Ehrlichkeit und Korrektheit der Prozessbeteiligten abhängig, dies gilt gerade in amtsgerichtlichen Verfahren über geringe Beträge unterhalb der Berufungssumme.
36Der Senat teilt deshalb die Auffassung des Anwaltsgerichtes, dass für die gebotene Einwirkung auf den Angeschuldigten ein Verweis und eine Geldbuße erforderlich sind. Mit Rücksicht auf die wirtschaftliche Situation des angeschuldigten Rechtsanwalts und die finanziellen Auswirkungen des Strafverfahrens durch die Belastung mit Geldstrafe und Verfahrenskosten ist aber eine Geldbuße von 500,00 € ausreichend. Auf diesen Betrag hat der Senat deshalb die Geldbuße herabgesetzt.
37V.
38Die Kostenentscheidung folgt aus § 197 Abs. 2 BRAO.
39VI.
40Die Revision war nicht zuzulassen, weil über Rechtsfragen oder Fragen der anwaltlichen Berufsausübung, die von grundsätzlicher Bedeutung sind, nicht zu entscheiden war.