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Ein mehrmonatiger, nicht notwendigerweise mindestens sechsmonatiger Rückstand mit Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung ist ein starkes Indiz für die Zahlungsunfähigkeit, das zur Glaubhaftmachung des Insolvenzgrundes ausreicht.
Eine vorherige fruchtlose Einzelzwangsvollstreckung ist nicht erforderlich. Ein genereller Vorrang der Einzelzwangsvollstreckung existiert im deutschen Recht nicht. Die Einzelzwangsvollstreckung gewährt nicht dieselben Sicherungsmöglichkeiten wie ein Insolvenzverfahren. Ist die Krise des Schuldners so weit fortgeschritten, dass der Eröffnungsgrund glaubhaft gemacht werden kann, so sind dem Gläubiger solche Verzögerungen und etwa hierdurch verursachte Verfahrenskosten nicht zuzumuten.
Die bloße Ab- oder Ummeldung der bei der Antragstellerin versicherten Arbeitnehmer lässt das Rechtsschutzbedürfnis nicht entfallen lassen. Dieses entfällt allenfalls dann, wenn alle bei der Antragstellerin versicherten Arbeitnehmerin gekündigt und (kumulativ) die Betriebsstätte geschlossen ist.
werden die Kosten des Verfahrens der Schuldnerin auferlegt.
Gründe:
2Die Entscheidung beruht auf § 4 InsO, § 91a ZPO. Haben die Parteien eines Insolvenzeröffnungsverfahrens übereinstimmend die Hauptsache für erledigt erklärt, so entscheidet nach diesen Vorschriften das Gericht über die Kosten unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen.
3Im vorliegenden Fall hat die antragstellende Gläubigerin die Hauptsache für erledigt erklärt, weil inzwischen die Forderung erfüllt oder eine Zahlungsvereinbarung getroffen sei. Sie beantragt, die Kosten des Verfahrens der Gegenseite aufzuerlegen.
4Die Schuldnerin hat sich der Erledigungserklärung angeschlossen und beantragt, der Antragstellerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
5Die getroffene Kostenentscheidung entspricht dem Verfahrensstand und der Billigkeit. Der Eröffnungsantrag war in zulässiger Weise gestellt (§ 14 InsO) und hat sich erst nach Einleitung des Verfahrens erledigt.
6Der Insolvenzantrag war zulässig und nach dem Sach- und Streitstand bis zur Erledigungserklärung nach Maßnahmen zur Beseitigung des Insolvenzgrundes im Juni 2024 auch voraussichtlich begründet.
7Die Antragstellerin war Gläubigerin. Unstreitig bestand die Antragsforderung, sodass die Antragsbefugnis bestand.
8Auch wurde ein Insolvenzgrund glaubhaft gemacht, indem sie mehrmonatigen Rückstand mit Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung belegt hat. Dabei kommt es nicht darauf an, ob im Zeitpunkt der Antragstellung ggf. ein Teil, nämlich 1.093,14 EUR (vgl. Bl. 819 GA) gezahlt war und lediglich nicht ordnungsgemäß verbucht werden konnte. Denn es entspricht ständiger Rechtsprechung des BGH, der sich das Amtsgericht anschließt, dass ein mehrmonatiger, nicht notwendigerweise mindestens sechsmonatiger Rückstand ein starkes Indiz für die Zahlungsunfähigkeit ist, das zur Glaubhaftmachung des Antrags ausreicht (vgl. BGH, Urteil vom 28.4.2022 – IX ZR 48/21, Rn. 31, NZI 2022, 733; BGH, Urteil vom 31.10.2019 – IX ZR 170/18, Rn. 13, NZI 20202, 223). Selbst wenn man diese Zahlung berücksichtigt, standen mehrere Monate Sozialversicherungsbeiträge offen. Hinzu kam, dass jedenfalls ein Termin mit dem Vollziehungsbeamten nicht eingehalten wurde, was aus Sicht der Antragstellerin als weiteres Indiz für eine Zahlungsunfähigkeit gewertet werden kann. Denn es ist auch zulässig, aus typischem Schuldnerverhalten auf Zahlungsunfähigkeit zu schließen (sog. wirtschaftskriminalistische Methode). Zu solchen Indizien gehören insbesondere auch Verschleppungshandlungen in der Vollstreckung, wie die das Verstreichenlassen von Besuchsterminen eines Vollziehungsbeamten.
9Dem Antrag hat auch nicht ausnahmsweise das Rechtsschutzbedürfnis gefehlt, weil während des gewährten Vollstreckungsaufschubs die von der Antragstellerin nicht auf das Konto der Schuldnerin verbuchte Zahlung in Höhe von 1.093,14 EUR eingegangen ist.
10Die Antragstellerin hatte gerade keine Stundung der fälligen Forderungen bewilligt, sondern lediglich einen Vollstreckungsaufschub. Es musste für die Schuldnerin also klar sein, dass jederzeit mit weiteren Vollstreckungsmaßnahmen zu rechnen ist, wenn sie die Voraussetzungen für den gewährten Vollstreckungsaufschub nicht einhält. Vor diesem Hintergrund fällt es in die Risikosphäre der Schuldnerin, wenn aufgrund eines unklaren oder unvollständigen Verwendungszwecks eine Zahlung nicht verbucht werden kann. Hier kommt allerdings noch hinzu, dass die Schuldnerin einen Termin mit dem Vollziehungsbeamten nicht wahrgenommen hat. Dabei kann auch hier dahinstehen, ob dies mit oder ohne Verschulden erfolgt ist. Aus Sicht der Antragstellerin jedenfalls gab es keinen weiteren Grund mehr, einen weiteren Vollstreckungsaufschub zu gewähren oder mit der Einleitung von Vollstreckungsmaßnahmen noch zu warten. Wenn die Schuldnerin eine Vollstreckung vermeiden wollte – und zu Vollstreckungsmaßnahmen gehört auch die Stellung eines Insolvenzantrags – war sie in der Bringschuld, die Antragstellerin davon zu überzeugen, dass diese auch ohne Vollstreckungsmaßnahmen volle Befriedigung ihrer Forderung erreichen kann.
11Allerdings hat die Schuldnerin nichts unternommen, den Rechtsschein der Notwendigkeit von Vollstreckungsmaßnehmen zu zerstreuen. Dies gilt selbst nach Insolvenzantragstellung. Auf die Zustellung des Insolvenzantrags am 14.10.2023 und die mit Verfügung vom 12.10.2023 (Bl. 15 GA) gesetzte Frist zur Stellungnahme hat die Schuldnerin nicht reagiert. Auch auf die Bestellung eines Sachverständigen durch das Gericht am 09.11.2024 hat die Schuldnerin zunächst gegenüber dem Insolvenzgericht nicht reagiert. Eine erste Reaktion ist erst am 20.11.2024 erfolgt, als die Schuldnerin die Antragsforderung beglichen hatte (Bl. 259 GA). Selbst wenn der Insolvenzantrag möglicherweise am 10.10.2024 noch verfrüht gewesen sein sollte, so ist er jedenfalls durch die zunächst ausbleibenden Reaktionen der Schuldnerin zulässig geworden. Denn die Schuldnerin hat sich im Rahmen des Vorprüfungsverfahrens gerade nicht gegen die Zulässigkeit des Antrags gestellt und durch ihr Verhalten nicht ansatzweise ein Vertrauen dahingehend geschaffen, dass sie auch ohne Vollstreckungsdruck die offenen Verbindlichkeiten zahlen werde. Ein etwaig zunächst fehlendes Rechtsschutzbedürfnis bei Antragstellung kann der Antragstellerin deshalb jedenfalls nicht mehr abgesprochen werden, nachdem die Schuldnerin auf die Zustellung des Antrags nicht reagiert hat, zumal sich aus der vom Gericht eingeholten Auskunft der zuständigen Obergerichtsvollzieherin erhebliche weitere Verbindlichkeiten ergeben haben (Bl. 115 ff. GA).
12Die Schuldnerin kann sich auch nicht darauf berufen, dass die Antragstellerin zunächst noch einen weiteren Vollstreckungsversuch hätte unternehmen müssen. Ein genereller Vorrang der Einzelzwangsvollstreckung existiert im deutschen Recht nicht. Mit dem Gesetz (§§ 13, 14 InsO) ist die Annahme einer allgemeinen Subsidiarität des Insolvenzverfahrens gegenüber anderen Vollstreckungsmöglichkeiten nicht vereinbar. Die Einzelzwangsvollstreckung gewährt nicht dieselben Sicherungsmöglichkeiten wie ein Insolvenzverfahren. Ist die Krise des Schuldners so weit fortgeschritten, dass der Eröffnungsgrund glaubhaft gemacht werden kann, so sind dem Gläubiger solche Verzögerungen und etwa hierdurch verursachte Verfahrenskosten nicht zuzumuten (BGH, Beschluss vom 5. 2. 2004 - IX ZB 29/03, NZI 2004, 587, 589).
13Schließlich ist der Insolvenzantrag auch nicht durch die Zahlungen in Oktober und November 2023 unzulässig geworden. Das Gesetz billigt der Antragstellerin in § 14 Abs. 1 S. 2 InsO ein Wahlrecht zu, ob der den Antrag nach Zahlung fortführen möchte oder nicht (BGH, Beschluss vom 24.9.2020 – IX ZB 71/19, Rn. 21, NZI 2020, 1043). Dieses Wahlrecht hat die Antragstellerin in rechtlich nicht zu beanstandender Weise ausgeübt.
14Im Übrigen hätte auch die von der Schuldnervertreterin angesprochene Möglichkeit, der Ummeldung der Arbeitnehmer das Rechtsschutzbedürfnis nicht entfallen lassen. Denn dieses entfällt allenfalls dann, wenn alle bei der Antragstellerin versicherten Arbeitnehmerin gekündigt und (kumulativ) die Betriebsstätte geschlossen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 12. 7. 2012 − IX ZB 18/12 Rn. 8, NZI 2012, 708).
15Erst durch die nach Erstattung des Gutachtens, das das Vorliegen des Insolvenzgrundes der Zahlungsunfähigkeit zweifelsfrei festgestellt hat, hat die Schuldnerin sich um die Beseitigung des Insolvenzgrundes noch im Eröffnungsverfahren bemüht, sodass die Antragstellerin den bis dahin zulässig und begründeten Antrag mit Schreiben vom 13.06.2024 für erledigt erklärt hat (Bl. 711 GA).
16Gegenstandswert (§ 58 Abs. 2 GKG): 5.910,94 EUR (Antragsforderung 5.654,44 EUR + 256,50 EUR Säumniszuschläge).
17Rechtsmittelbelehrung:
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