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Keine "fiktive Terminsgebühr" für den im Termin unentschuldigt ausbleibenden Pflichtverteidiger
Die Erinnerung vom 03.11.2023 gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 20.07.2023 wird als unzulässig verworfen.
Gründe
21.
3Zutreffend weist die Bezirksrevisorin in ihrer Stellungnahme vom 29.12.2023 - zu der keine Gegenäußerung mehr erfolgte - darauf hin, dass die ausdrücklich „namens meines Mandanten“ eingelegte Erinnerung des Rechtsanwalts J. bereits unzulässig ist. Denn erinnerungsberechtigt im Vergütungsfestsetzungsverfahren wie hier ist lediglich der beigeordnete Rechtsanwalt selbst oder die Staatskasse, nicht jedoch die Partei bzw. der Beschuldigte, § 56 Abs. 1 S. 1 RVG (Toussaint, Kostenrecht, 53. Auflage 2023, § 56 Rn. 3 f, 7; Müller-Rabe, in: Gerold/Schmidt, RVG-Kommentar, 26. Auflage 2023, § 56 Rn. 7).
42.
5Die Erinnerung wäre aber auch in der Sache unbegründet.
6Der Rechtsanwalt J. meint, es sei eine Terminsgebühr für den Termin am 27.06.2023 festzusetzen, da diese entweder in seiner Person (obschon er nicht am Termin teilnahm) oder in der Person der Rechtsanwältin K. (die zwar am Termin teilnahm, aber nicht beigeordnet war / wurde) angefallen sei (Bl. 122 f.).
7Das ist offensichtlich falsch. Selbstverständlich setzt das Entstehen der Terminsgebühr voraus, dass der beigeordnete Rechtswalt im Termin erscheint, d. h. bei Aufruf der Sache erschienen ist (s. nur Kroiß, in: Mayer/Kroiß, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 8. Auflage 2021, VV 4106 ff. Rn. 15; Burhoff, in: Gerold/Schmidt, RVG-Kommentar, 26. Auflage 2023, VV 4108 Rn. 3). Vorliegend nahm der beigeordnete Rechtsanwalt J. am Termin nicht teil. Er erschien schlicht nicht. In seiner Person kann offensichtlich keine Terminsgebühr entstanden sein. Sein Ansatz - hätte er am Termin teilgenommen, wäre die Gebühr entstanden - ist gebührenrechtlich Unsinn: Hätte, beispielsweise, die Hauptverhandlung nicht vor dem Amtsgericht stattgefunden, sondern vor dem Oberlandesgericht, wäre nicht die Gebühr VV 4108, sondern die Gebühr VV 4120 angefallen. Und hätte eine Einziehung im Werte von zum Beispiel 100.000 EUR im Raum gestanden, wäre auch eine zusätzliche (gem. § 49 RVG gedeckelte) Gebühr VV 4142 angefallen. Derlei Hätte-Wäre-Überlegungen sind absurd.
8In Person der unangekündigt im Termin erschienenen Rechtsanwältin K. ist jedenfalls kein Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse entstanden. Denn Rechtsanwältin K. mag im Termin erschienen sein und hat - was das Gericht nicht entscheiden muss - ggf. wohl auch eine Terminsgebühr VV 4106 verdient. Indes richtet sich ihr Vergütungsanspruch als Wahlverteidigerin, mangels Beiordnung, allein gegen ihren Mandanten, sich nicht aber gegen die Staatskasse. Ihr im Termin gestellter „Umbeiordnungsantrag“ ist durch Beschluss vom 30.06.2023 ausdrücklich zurückgewiesen worden; Rechtsanwältin K. ist und wurde nie Pflichtverteidigerin, ihr steht also offensichtlich kein Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse zu.
9Das vorliegende Erinnerungsverfahren ist eine völlig überflüssige Fortsetzung der schon im Beschluss vom 30.06.2023 ausführlich beschiedenen rechtsirrigen Auffassung bzw. Praxis des Rechtsanwalts J., einerseits stets um eigene Pflichtverteidigerbestellung nachzusuchen, dann in der Hauptverhandlung aber unangekündigt nicht zu erscheinen und Dritte - hier Rechtsanwältin K. - aus seiner Kanzlei als angebliche „Terminsvertreter“ zu entsenden, die dann ad hoc beigeordnet werden mögen.
10Derlei sieht das Gesetz nicht vor. Das Gericht hat bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass der Pflichtverteidiger das Mandat selbst zu führen hat. Ist er, aufgrund anderer Verfahren oder allgemeiner Überlastung dazu nicht in der Lage, darf er - wie im Beschluss vom 30.06.2023 ausgeführt - schon keinen Beiordnungsantrag stellen. Auch im vorliegenden Fall war Rechtsanwalt J. als antragsgemäß bestellter Pflichtverteidiger selbst zur Teilnahme an der Hauptverhandlung verpflichtet. Für einen „Terminsvertreter“ war schon deshalb kein Raum, weil, wie schon erläutert, nicht nur ein (untergeordneter) Teil der Hauptverhandlung, sondern die Hauptverhandlung als Ganzes in Rede stand. Die Idee des Rechtsanwalts J., diese ad hoc vollständig auf einen Dritten auszulagern, ist mit dem gesetzlichen Bild eines Pflichtverteidigers und dessen Aufgaben und Pflichten, wie ausgesprochen, schlechterdings unvereinbar.
11Vor dem Hintergrund des ausführlichen Beschlusses des Gerichts vom 30.06.2023 mag durch den anschließenden Kostenfestsetzungsantrag des Rechtsanwalts J. - der die Terminsgebühr für den 27.06.2023 einschloss, obwohl eine Beiordnung von Rechtsanwältin K. ausdrücklich nicht erfolgt war - und das anschließend noch betriebene Erinnerungsverfahren der Eindruck entstehen können, dass über das Kostenfestsetzungsverfahren wirtschaftlich doch noch das Ergebnis erreicht werden sollte, dem durch den Beschluss vom 30.06.2023 bereits der Erfolg versagt worden war. Denn selbstverständlich ging es bei der - beantragten, aber nicht erfolgten - „Terminsbeiordnung“ der Rechtsanwältin K. gerade darum, den sonst nicht bestehenden (s. o.) Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse eben hinsichtlich der im Erinnerungsverfahren streitigen Terminsgebühr zu schaffen. Ein solches Vorgehen erschiene äußerst bedenklich.