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1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Kläger jeweils 250,00 EUR (insgesamt 1.250,00 EUR) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 06.07.2024 zu zahlen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leisten.
Tatbestand
2Die Parteien streiten über Entschädigungsansprüche nach der VO (EG) 261/2004 wegen Verlegung der Abflugzeit eines Fluges.
3Die Kläger wollten am 27.01.2022 von Köln/Bonn (CGN) nach Barcelona (BCN) reisen. Die Entfernung zwischen den Flughäfen beträgt nicht mehr als 1.500 Kilometer. Die Kläger verfügten jeweils über eine bestätigte Buchung für einen von der Beklagten durchzuführenden Flug mit der Flugnummer N01. Die Buchung nahm der Herr B. S. für die insgesamt sechsköpfige Reisegruppe vor. Der Flug sollte planmäßig um 17:15 Uhr lokaler Zeit am 27.01.2022 in CGN starten und BCN um 19:25 Uhr lokaler Zeit erreichen. Der Flug wurde allerdings erst am Abend des 28.01.2022 mit Start um 22:05 Uhr lokaler Zeit durchgeführt. Diese Änderung der Flugzeiten nahm die Beklagte bereits im Dezember 2021 vor. Die Kläger zu 2.) und zu 5.) wurden sodann am 28.01.2022 mit N01 nach BCN befördert mit Ankunft um 23:49 Uhr lokaler Zeit. Die drei anderen Kläger traten den Flug am 28.01.2022 nicht an.
4Die Kläger behaupten, der Herr S. sei am 20.01.2022 zufällig auf der Website der Beklagten darauf gestoßen, dass das Abflugdatum auf den 28.01.2022 geändert wurde. Zuvor sei er hierüber nicht informiert worden.
5Die Kläger beantragen sinngemäß,
6die Beklage zu verurteilen, an die Kläger jeweils einen Betrag von 250,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
7Die Beklagte beantragt,
8die Klage abzuweisen.
9Die Beklagte behauptet, sie habe bereits mehr als einen Monat vor der geplanten Flugreise den Herrn S. darüber informiert, dass die Abflugzeit von N01 geändert wurde. Dieser habe am 24.12.2021 eine entsprechende E-Mail um 08:41 Uhr erhalten und am selben Tag um 19:11 Uhr geöffnet und gelesen; die Kläger bestreiten dies mit Nichtwissen. Am 29.12.2021 und am 03.01.2022 seien weitere entsprechende E-Mails verschickt worden, wobei die E-Mail vom 29.12.2021 durch den Herrn S. ebenfalls noch am selben Tag geöffnet worden sei.
10Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
11Entscheidungsgründe
12I.
13Die zulässige Klage ist auch begründet.
141. Die Kläger haben einen Anspruch auf Zahlung von je 250,00 EUR aus Art. 7 Abs. 1 lit. a), 5 Abs. 1 lit. c) VO (EG) 261/2004.
15a) Unstreitig verfügten die Kläger über eine bestätigte Buchung für einen von der Beklagten durchzuführenden Flug mit der Flugnummer N01 mit geplantem Start am 27.01.2022. Nach Art. 7 Abs. 1 lit. a) VO (EG) 261/2004 beträgt die Höhe der Entschädigung bei Entfernungen von nicht mehr als 1.500 Kilometern 250,00 EUR. Entlastungsgründe i. S. d. Art. 5 Abs. 3 VO (EG) 261/2004 hat die Beklagte nicht vorgetragen.
16b) Es lag auch eine zur Entschädigung verpflichtende Annullierung i. S. d. Art. 2 lit. l) VO (EG) 261/2004 vor, sodass es nicht darauf ankommt, dass sich – nach dem nicht bestrittenen Beklagtenvortrag – drei Kläger nicht zur Abfertigung i. S. d. Art. 3 Abs. 2 lit. a) VO (EG) 261/2004 eingefunden haben.
17Maßgebliches Kriterium zur Abgrenzung der Annullierung insbesondere zur – ebenfalls entschädigungspflichtigen – großen Verspätung ist die Aufgabe der ursprünglichen Flugplanung (vgl. zu diesem Kriterium die Nachweise bei BeckOGK/Steinrötter/Bohlsen, Stand: 1.8.2024, Fluggastrechte-VO Art. 2 Rn. 102). Dabei sind Annullierungen und große Verspätungen strikt voneinander zu trennen. Werden Fluggäste mit einem Flug befördert, dessen Abflugzeit sich gegenüber der ursprünglich vorgesehenen Abflugzeit verzögert, kann der Flug daher nur dann als „annulliert“ angesehen werden, wenn das Luftfahrtunternehmen die Fluggäste mit einem anderen Flug befördert, dessen Flugplan von dem des ursprünglich vorgesehenen Fluges abweicht. Ein verspäteter Flug ist grundsätzlich unabhängig von der – auch erheblichen – Dauer der Verspätung nicht als annulliert anzusehen, wenn er entsprechend der ursprünglichen Flugplanung des Luftfahrtunternehmens durchgeführt wird (EuGH, Urt. v. 19.11.2009 – C-402/07 u. a., juris Rn. 33, 35, 39). Diesbezüglich hat der Europäische Gerichtshof ausdrücklich entschieden, dass jedenfalls in einer Verlegung der Abflugzeit „nach hinten“ um weniger als drei Stunden keine Annullierung liegt (EuGH, Urt. v. 21.12.2021 – C-395/20, juris Rn. 23), während er für den Fall einer Flugvorverlegung um mehr als eine Stunde die Einordnung als Annullierung bestätigt hat (EuGH, Urt. v. 21.12.2021 – C-146/20 u. a., juris Rn. 80). Ob bei einer Verlegung des Fluges um drei Stunden oder mehr ebenfalls keine Annullierung vorliegt, ist bislang nicht entschieden worden.
18Nach Auffassung des Gerichts liegt in einer – wie vorliegend unstreitig durch die Beklagte vorgenommenen – Verlegung eines Fluges um mehr als 24 Stunden eine Annullierung i. S. d. Art. 5 VO (EG) 261/2004. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes verhält sich ausdrücklich nur zu einer Verlegung um weniger als drei Stunden. Sie lässt nicht den Schluss zu, dass eine Annullierung nie anzunehmen ist, wenn ein Flug unter Beibehaltung von Flugnummer und Flugroute auf einen späteren Zeitpunkt verlegt wird. Andernfalls würde auch das hohe Schutzniveau, dass die VO (EG) 261/2004 gewährleisten will, gerade nicht erreicht. Denn nur im Falle einer Annullierung haben die Fluggäste beispielsweise Anspruch auf eine anderweitige Beförderung unter vergleichbaren Reisebedingungen zum frühestmöglichen Zeitpunkt (Art. 8 Abs. 1 lit. b) VO (EG) 261/2004). Würde eine erhebliche Änderung der Abflugzeit stets nur eine große Verspätung i. S. d. EuGH-Rechtsprechung begründen, könnten die Fluggäste neben einer Ausgleichsleistung nach Art. 7 VO (EG) 261/2004 allenfalls eine Rückerstattung der Flugscheinkosten verlangen (Art. 6 Abs. 1 iii), 8 Abs. 1 lit. a) VO (EG) 261/2004). Sie wären – jedenfalls nach der VO (EG) 261/2004 – darauf verwiesen, auf eigene Kosten einen Flug für den eigentlichen Abflugtag zu buchen, selbst wenn die Kosten weit über dem Betrag lägen, den die Fluggäste nach den Art. 7 und 8 Abs. 1 lit. a) VO (EG) 261/2004 geltend machen könnten. Folgerichtig hat auch der Generalanwalt in seinem Schlussantrag betont, dass ein beträchtlicher Umfang der Abflugverzögerung möglicherweise Einfluss auf die Einordnung in die Kategorien „Annullierung" und „Verspätung“ hat, weil diese Faktoren als Anhaltspunkte für eine Situation ausgelegt werden könnten, die über eine bloß vorübergehende Aussetzung der Flugplanung hinausgeht (Generalanwalt beim EuGH, Schlussantrag vom 23.09.2021 – C-395/20, juris Rn. 27). Lediglich im zu beurteilenden Fall sei wegen der geringen Tragweite der Flugzeitenänderung eine Stellungnahme des Europäischen Gerichtshofs zu dieser Frage nicht veranlasst (Generalanwalt beim EuGH a. a. O. Rn. 28). Vor diesem Hintergrund hat der Europäische Gerichtshof seine Aussage, bei der Verlegung eines Fluges sei nicht von einer Annullierung auszugehen, ausdrücklich auf eine Verschiebung um weniger als drei Stunden beschränkt (EuGH, Urt. v. 21.12.2021 – C-395/20, juris Rn. 23). Das vorlegende Gericht hatte in den Vorlagefragen selbst auf diese Grenze gar nicht abgestellt, sondern lediglich die planmäßige und die tatsächliche Abflugzeit genannt (vgl. EuGH, Urt. v. 21.12.2021 – C-395/20, juris Rn. 13). Wäre der Europäische Gerichtshof der Auffassung, eine Verlegung sei unabhängig vom Ausmaß irrelevant für die Einordnung als Annullierung, würde sich nicht erklären, wieso die Vorlagefrage ausdrücklich unter Bezugnahme auf eine Verschiebung um weniger als drei Stunden beantwortet worden ist.
19Wo genau die Grenze bei einer Verschiebung um drei Stunden oder mehr zu ziehen ist, kann auch vorliegend offenbleiben. Jedenfalls bei einer Verschiebung um mehr als 24 Stunden, die mehrere Wochen im Voraus erfolgt, kann von einer Beibehaltung der ursprünglichen Flugplanung auch bei Beibehaltung von Flugnummer und Flugroute keine Rede sein (so i. E. auch AG Nürnberg, Urt. v. 23.01.2019 – 19 C 7200/18, juris Rn. 3, 27 für eine Verlegung um ca. 13 Stunden). Denn auch die angegebene Abflugzeit ist wesentliches Merkmal eines bestimmten Fluges; wird sie in beträchtlichem Umfang weit im Voraus geändert, liegt hierin eine Aufgabe der konkreten Flugplanung. In Ermangelung anderweitiger Anhaltspunkte kann bei einer solchen Verschiebung gerade nicht davon ausgegangen werden, dass die Flugplanung nur vorübergehend aus nicht von dem Luftfahrtunternehmen zu beherrschenden Umständen ausgesetzt wurde. Eine Einordnung einer solchem Umplanung als Annullierung entspricht auch dem allgemeinen Sprachverständnis. Künstlich erschiene es hingegen, bei frühzeitiger Verlegung eines Fluges um mehr als einen Tag von einer Flugverspätung zu sprechen (vgl. zur Relevanz dieser Aspekte für die Einordnung Generalanwalt beim EuGH a. a. O. Rn. 25). Eine derartige Verlegung stellt auch eine erhebliche Unannehmlichkeit für die Fluggäste dar, die oftmals die Buchung eines Ersatzfluges – welche bei Einordnung als Verspätung, wie dargestellt, auf eigene Kosten vorzunehmen wäre – erforderlich machen kann und i. d. R auch folgenreicher ist als etwa die Verlegung des Ausgangsflughafens, welche in jedem Fall als Annullierung zu werten wäre.
20c) Auch Art. 5 Abs. 1 lit. c) VO (EG) 261/2004 schließt den Entschädigungsanspruch nicht aus. Danach bestehen keine Ausgleichsansprüche, wenn die Fluggäste mindestens zwei Wochen vor planmäßiger Abflugzeit über die Annullierung informiert werden oder aber ihnen – bei späterer Information – eine Ersatzbeförderung angeboten wird, mit denen das Endziel maximal zwei bzw. vier Stunden verspätet erreicht wird. Ein solches Angebot zur anderweitigen Beförderung ist unstreitig nicht erfolgt. Aber auch eine Unterrichtung mindestens zwei Wochen vor planmäßiger Abflugzeit ist nicht erfolgt. Die Beklagte hat dies nicht zur Überzeugung des Gerichts beweisen können.
21aa) Nach Art. 5 Abs. 4 VO (EG) 261/2004 trägt das Luftfahrtunternehmen die Beweislast dafür, ob und wann der Fluggast über die Annullierung unterrichtet wurde. Dieser Beweislast ist die Beklagte nicht nachgekommen. Sie hat zwar behauptet, sie habe über zwei Wochen vor planmäßiger Abflugzeit an den mitreisenden Herrn S. mehrere entsprechende E-Mails gesendet, welche dieser auch erhalten und – jedenfalls z. T. – auch geöffnet bzw. gelesen habe. Die Kläger haben dies allerdings bestritten und angegeben, erst am 20.01.2022 zufällig von der Änderung des Abflugdatums Kenntnis erlangt zu haben. Einen Beweis für den Zugang der E-Mails hat die Beklagte daraufhin gleichwohl nicht angeboten. Die bloße Übermittlung von Bildschirmaufnahmen vom System der Beklagten ist nicht ausreichend. Sofern dort vermerkt ist, ob und wann die E-Mail „first opened“, d. h. erstmals geöffnet worden ist, so bleibt unklar, woher die Beklagte dies wissen will. Auch nach gerichtlichem Hinweis (Bl. 92) hat die Beklagte hierzu nicht näher vorgetragen. Vor diesem Hintergrund kann vorliegend auch nicht – vergleichbar mit dem Fall des Vorliegens einer Lesebestätigung – von einem für einen Zugang sprechenden Anscheinsbeweis ausgegangen werden (vgl. dazu OLG Hamm, Beschl. v. 10.08.2023 – 26 W 13/23, juris Rn. 6; AG Köln, Urt. v. 24.05.2024 – 118 C 219/22, Bl. 84ff. d. A.). Ferner kann unter den gegebenen Umständen das Bestreiten der Kläger nicht als prozessual unzureichend gewertet werden. Es wäre Sache der Beklagten, entweder eine Lesebestätigung einzuholen bzw. einen gleichwertigen Nachweis zu erbringen oder aber substantiiert und ggf. unter Beweisantritt darzulegen, wie sie vom Öffnen einer E-Mail Kenntnis erlangt haben will.
22bb) Nach dem Vorstehenden bedarf keiner Entscheidung mehr, ob es überhaupt ausreicht, nur den die Buchung vornehmenden Fluggast zu informieren (vgl. hierzu BeckOK Fluggastrechte-VO/Schmid, 32. Ed. 01.10.2024, Fluggastrechte-VO Art. 5 Rn. 29f.).
232. Der Zinsanspruch folgt aus §§ 291 S. 1, 288 Abs. 1 BGB. Die Klageschrift ist der Beklagten am 05.07.2024 zugestellt worden, sodass ab dem darauffolgenden Tag Rechtshängigkeitszinsen zu zahlen sind.
24II.
25Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
26Der Streitwert wird auf 1.250,00 EUR festgesetzt.
27Rechtsbehelfsbelehrung:
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