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Der Beschluss des Amtsgerichts Köln vom 15.11.2022, Az. 316 F 277/22, wird aufgehoben.
Die Entscheidung ist sofort wirksam.
Die Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
Verfahrenswert: 2.000,00 €
Gründe:
2I.
3Die Beteiligten sind die Eltern der Kinder A. U., geb. am 00.00.0000, und Q. U., geb. am 00.00.0000. Sie leben getrennt. Das Aufenthaltsbestimmungsrecht stand bisher der Kindesmutter nach Beschluss des Amtsgerichts Köln vom 17.02.2021, Az. 316 F 118/20, zur alleinigen Ausübung zu. Das Sorgerecht steht den Kindeseltern im Übrigen gemeinsam zu.
4Nach Beschluss des Amtsgerichts Köln vom 17.02.2021, Az. 316 F 118/20, hat der Kindesvater ein ausgedehntes Umgangsrecht von dienstags bis montags im wöchentlichen Wechsel.
5Der Kindesvater hatte seit dem 30.09.2022 keinen Kontakt mehr zu den gemeinsamen Kindern. Umgänge fanden nicht mehr statt.
6Mit Beschluss vom 15.11.2022 übertrug das Amtsgericht Köln dem Kindesvater das Aufenthaltsbestimmungsrecht zur alleinigen Ausübung. Dies insbesondere, um den bisher angeordneten ausgedehnten Umgang möglich zu machen. Zahlreiche Ordnungsgelder im Hinblick auf Verstöße gegen den Umgangsbeschluss blieben erfolglos.
7Mit Beschluss vom 14.12.2022, Az. 316 F 314/22, ordnete das Amtsgericht Köln die Herausgabe der Kinder an den Kindesvater an. Am 15.12.2022 fand ein Vollstreckungsversuch im mütterlichen Haushalt statt. Dieser wurde erfolglos seitens der Polizei abgebrochen. Am 22.12.2022 fand ein erneuter Vollstreckungsversuch statt, der erfolgreich verlief. Seitdem befinden sich die Kinder im väterlichen Haushalt. Kontakt zur Kindesmutter fand seit dem 22.12.2022 nicht statt.
8Der Kindesvater behauptet, die Kindesmutter habe seit dem 30.09.2022 jegliche Umgänge vereitelt. Auch zuvor habe sie häufig Umgänge verhindert. Die zahlreichen Ordnungsgeldbeschlüsse haben nicht dazu geführt, dass die Kindesmutter die Umgänge zugelassen hätte. Wenn der Lebensmittelpunkt der Kinder bei ihm läge, würde er Umgangskontakte mit der Kindesmutter möglich machen. Ferner dürften die Kinder bei der Kindesmutter ihre Freunde nicht sehen.
9Der Kindesvater beantragt,
10den Beschluss des Amtsgerichts Köln vom 15.11.2022, Az. 316 F 277/22, aufrechtzuerhalten.
11Die Kindesmutter beantragt,
12den Beschluss des Amtsgerichts Köln vom 15.11.2022, Az. 316 UF 277/22, aufzuheben.
13Sie behauptet, sie vereitele die Umgänge nicht. Vielmehr möchten die Kinder nicht zum Vater. Dies habe sich auch bei der Vollstreckung der Herausgabeanordnung gezeigt. Die Kinder haben sich geweigert mit zum Kindesvater zu gehen, sodass Gewalt habe angewendet werden müssen. Sie ist der Meinung ein Ausschluss des Umgangs mit dem Kindesvater sei daher zum Wohl der Kinder anzuordnen. Sie werde jedoch Umgänge, sofern die Umgangsregelung abgeändert würde, möglich machen.
14Die Kindeseltern und die Kinder sind angehört worden. Hierzu wird auf den Anhörungsvermerk vom 23.01.2023 und das Verhandlungsprotokoll vom 25.01.2023 verwiesen. Das Jugendamt hat in der mündlichen Verhandlung Stellung genommen. Der Verfahrensbeistand hat schriftlich und mündlich berichtet.
15Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die zu den Akten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
16II.
17Der Beschluss vom 15.11.2022 war aufzuheben.
18Ein Anordnungsanspruch nach § 49 FamFG liegt nicht vor. Die Entscheidung beruht auf § 1671 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 BGB i.V.m. § 1696 Abs. 1 BGB.
19Eine Änderung der Entscheidung des Amtsgerichts Köln vom 17.02.2021, Az. 316 F 188/20, ist nach summarischer Prüfung hinsichtlich der Ziff. 1, des Aufenthaltsbestimmungsrechts, nicht angezeigt. Nach § 1696 Abs. 1 BGB wäre eine Abänderung angezeigt, wenn triftige, das Wohl der Kinder nachhaltig berührende Gründe, vorliegen. Derartige Gründe liegen nicht vor.
20Die Kindesmutter zeigt sich weiterhin wenig bis gar nicht bindungstolerant gegenüber dem Kindesvater. Sie hat in der Vergangenheit die Umgänge mit dem Kindesvater verhindert. In zahlreichen Ordnungsmittelverfahren hat das Gericht jeweils Verstöße gegen den Umgangsbeschluss festgestellt. Zudem hat sie seit dem 30.09.2022 bis zur Kindesherausgabe am 22.12.2022 gar keinen Kontakt zugelassen. Ferner ist es nicht kindeswohldienlich, dass die Kindesmutter ihre Kinder unangekündigt sowohl zum Oberlandesgericht als auch zum Jugendamt mitnimmt und diese dort Auseinandersetzungen zwischen ihr und den Verfahrensbeteiligten mitbekommen. Sie involviert die Kinder damit in die Verfahren. Hiervor wären sie zu schützen. Sofern der Vortrag des Kindesvaters, dass die Kindesmutter keine sozialen Kontakte zulässt, zutreffend ist, wäre auch dies nicht kindeswohldienlich. Beide Kinder brauchen andere soziale Kontakte als die Kindesmutter und insbesondere auch gleichaltrige Freunde. Ein Kontakt ausschließlich zur Kindesmutter ist nicht altersgerecht.
21Das Vorstehende als zutreffend unterstellt, steht jedoch der von den Kindern geäußerte Wille, bei der Kindesmutter leben zu wollen, dem gegenüber. Beide Kinder sagten gegenüber dem Verfahrensbeistand und dem Gericht, dass sie einen festen Lebensmittelpunkt haben möchten und den bei der Kindesmutter. Sie sagten gegenüber dem Verfahrensbeistand und dem Gericht, dass sie das Wechselmodell (gemeint war der fast hälftige Umgang) „nervig“ und „nicht gut“ finden würden. Zudem sagte A., dass er sich nicht an ein Wechselmodell halten würde. Die Aussagen hinsichtlich des „Wechselmodells“ wirkten klar und authentisch, dies auch nach Einschätzung des Verfahrensbeistandes. Insbesondere schien A. Aussage, sich nicht an ein „Wechselmodell“ zu halten, glaubhaft und ist ernst zu nehmen. Das Gericht ist davon überzeugt ist, dass sich ein nahezu paritätischer Aufenthalt der Kinder bei beiden Elternteilen nicht umsetzen lässt. Daher ist ein Lebensmittelpunkt zu bestimmen, an dem die Kinder sich weit überwiegend aufhalten. Beide Kinder sprachen sich für die Kindesmutter aus. Zwar mag dieser Wille von der Kindesmutter instruiert und nicht autonom gebildet worden sein. Jedoch äußerte zumindest A. diesen Willen bereits seit dem Ende der letzten Verfahren im Jahr 2021, insbesondere in der Kindesanhörung des OLG vom 16.11.2021. Auch äußert er diesen Willen nachdem er einen Monat beim Kindesvater verbracht hat und keinen Kontakt zur Kindesmutter hatte. Demzufolge hat sich dieser Wille bei A. verfestigt, auch ohne die Beeinflussung der Kindesmutter. Das Gericht geht davon aus, dass sein Wille von A. als autonom erlebt wird. Der Verfahrensbeistand stellt zudem fest, dass der Wille nachhaltig, intensiv und zielgerichtet ist. A. Willen vor dem Hintergrund der konstanten Äußerung und im Hinblick auf sein Alter zu brechen, ist dem Kindeswohl abträglich. Dem Willen von A. ist daher besonderes Gewicht beizumessen. Die Äußerungen von Q. mögen weniger belastbar sein, jedoch nicht unbeachtlich. Der Verfahrensbeistand stellt auch hinsichtlich Q. fest, dass ihr Wille nachhaltig, intensiv und zielgerichtet ist. Sie äußert ebenfalls, bei der Kindesmutter wohnen zu wollen. Jedoch spricht sie von den Aufenthalten bei beiden Elternteilen gut und beschreibt diese als ähnlich. Auch schildert sie in gleicher Begeisterung wie ihre Kinderzimmer beim jeweiligen Elternteil eingerichtet sind. Selbst wenn man davon ausginge, dass Q. Äußerungen nicht belastbar sind und sie eigentlich – zumindest auch - bei ihrem Vater wohnen wollen würde, so wäre würde dies eine Trennung der Geschwister bedeuten. Eine solche wäre den Kindern nicht zuzumuten. Zum einen hat Q. klar und authentisch gesagt, dass sie von A. nicht getrennt sein möchte. Zum anderen hat auch der Verfahrensbeistand eine enge Bindung zwischen den Geschwistern festgestellt. Zudem sind die Kinder sich gegenseitig eine Stütze im Trennungskonflikt der Eltern.
22Sofern man unterstellt, dass die Kinder einen Umgang, der einem Wechselmodell gleichkommt, tatsächlich nicht möchten und der Wille hinsichtlich des Lebensmittelpunktes bei der Kindesmutter jedoch nicht belastbar sei, so wäre konsequenterweise lediglich ein Wochenendumgang der Kindesmutter anzuordnen. Anderenfalls würde die Situation geschaffen werden, die bis zuletzt bestand und von der A. überzeugend sagte, dass diese „nervig“ sei. Dies ist aus Sicht des Gerichts, vor dem Hintergrund, dass beide Kinder äußern, dass sie ihre Mutter deutlich mehr sehen wollen, nicht kindeswohldienlich.
23Ein Lebensmittelpunkt bei der Kindesmutter setzt voraus, dass die Kindesmutter regelmäßigen Umgang zum Kindesvater zulässt. Beide Kinder haben eine gute Beziehung zum Kindesvater, sodass dieser für ihre Entwicklung eine wichtige Rolle spielt. Ein Kontaktabbruch zum Kindesvater wäre für A. und Q. schädlich. Beide Kinder äußern, dass sie ihren Vater sehen wollen, wenngleich auch nicht in dem bisher angeordneten Umfang. Die Befürchtung des Kindesvaters, dass die Kindesmutter auch zukünftig die Umgänge vereiteln wird oder die Kinder dahingehend beeinflusst, den Umgang nicht wahrnehmen zu wollen, kann seitens des Gerichts nachvollzogen werden. Jedoch bezogen sich die Verstöße allesamt auf die Umgangsregelung, die einem Wechselmodell gleichkam. Die Kindesmutter fordert seit Beginn der Streitigkeiten im Jahr 2020 lediglich einen Wochenendkontakt alle zwei Wochen zum Kindesvater. Diesen Wunsch haben auch A. und Q. geäußert. Da die Umgangsregelung im Parallelverfahren 316 F 4/23 nunmehr dahingehend abgeändert wird, dass lediglich noch alle zwei Wochen ein Umgang mit dem Kindesvater stattfindet, geht das Gericht davon aus, dass dieser Kontakt zwischen den Kindern und dem Vater seitens der Kindesmutter möglich gemacht wird. A. hat authentisch und nachvollziehbar geschildert, dass er sich an das Wechselmodell nicht halten werde, an eine neue Umgangsregelung jedoch schon. Auch Q. sprach sich für diese Regelung aus. Die Kindesmutter kann sich demnach nicht darauf zurückziehen, dass die Kinder den angeordneten Umgang nicht wollen.
24Ferner hat auch der Kindesvater seit dem 22.12.2022 keinen Kontakt der Kinder zur Kindesmutter ermöglicht. Das Gericht hatte mit der Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts beabsichtigt, dass der Kindesvater so in die Lage versetzt wird, den Beschluss vom 17.02.2021, Az. 316 F 188/20, umzusetzen und die Umgangskontakte mit beiden Elternteilen aufrechterhält. So hätte die bisherige Regelung noch bis zum Abschluss eines Hauptsacheverfahrens durchgeführt werden können, ohne, dass die Kinder mehrere Wechsel der Lebensmittelpunkte erleben müssen. Dies hat er jedoch entgegen seiner Ankündigung nicht getan. Zwar ist nachvollziehbar, dass der Kindesvater nach zwei Vollstreckungsversuchen hinsichtlich der Herausgabe Sorge hatte, dass er nach einem Umgangskontakt erneut die Herausgabe beantragen muss. Jedoch hätte er zumindest mit der Kindesmutter in Kontakt treten können, um über einen möglichen Umgang zu sprechen. Er hätte auch einen Umgang in Begleitung Dritter anbieten können oder auf neutralem Boden. Ein abrupter Kontaktabbruch zur Kindesmutter ist ebenso wenig kindeswohldienlich wie ein Kontaktabbruch zum Kindesvater. Er hätte sie über das Wohl der Kinder informieren können. Zudem hätten auch Telefonate stattfinden können.
25Das Jugendamt und der Verfahrensbeistand sprechen sich für einen Lebensmittelpunkt bei der Kindesmutter aus. Das Jugendamt hat dies mündlich im Termin vorgetragen. Die Fachkräfte stützen ihre Empfehlung ebenfalls maßgeblich auf den geäußerten Kindeswillen. Das im Verfahren 316 F 188/20 eingeholte Gutachten hat ebenfalls ergeben, dass der Lebensmittelpunkt bei der Kindesmutter liegen solle. Die Kinder fühlten sich nach Aussage der Sachverständigen bereits damals zu der Kindesmutter hingezogen.
26In einer Gesamtabwägung spricht nach alldem mehr für einen Aufenthalt der Kinder bei der Kindesmutter, sodass es einer Abänderung des Beschlusses vom 17.02.2021 im Eilwege nicht bedarf. Den Kindern ist nicht zuzumuten, nach ihren Willensbekundungen gegenüber den Verfahrensbeteiligten für die Dauer eines Hauptsacheverfahrens entgegen ihres geäußerten Willens beim Kindesvater zu verbleiben. Das Gericht verkennt nicht, dass der Senat – wie vom Kindesvater vorgetragen – bei fortgesetzt widerrechtlichem Verhalten der Kindesmutter, geneigt ist, dem Kindesvater das Aufenthaltsbestimmungsrecht zu übertragen (Az. 316 F 118/20). Jedoch war zum Beschlusszeitpunkt noch nicht klar, wie die Umsetzung des fast hälftigen Umgangs funktionieren würde, insbesondere im Hinblick auf den Kindeswillen. Zudem war nicht absehbar, ob die Kinder bei ihrer Haltung hinsichtlich der Kindesmutter bleiben würden. Eine derzeitige Entscheidung entgegen des Willens von A. und Q. würde zu stark negativen Erfahrungen in ihrer Selbstwirksamkeit führen. Der Abschluss eines Hauptsacheverfahrens kann Monate dauern. Es bestünde die Gefahr, dass zumindest A., sich an eine derartige Entscheidung nicht halten würde und die Konflikte zwischen den Eltern erneut entstehen, das auf noch höherem Niveau stattfinden. Zudem ändert sich das Lebensumfeld der Kinder, wie ihre Schule, ihre Freunde und ihre Hobbies durch einen erneuten Haushaltswechsel nicht. Sie kennen beide Haushalte und haben jeweils eigene Zimmer in beiden Haushalten.
27Der Beschluss ist sofort wirksam, § 40 FamFG. Sofern keine gesetzliche Ausnahmeregelung besteht, ist das erstinstanzliche Gericht nicht befugt das Wirksamwerden durch Anordnung im Beschluss auf den Eintritt der Rechtskraft oder auf einen davor liegenden, bestimmten Zeitpunkt hinauszuschieben (Sternal/Jokisch, 21. Auflage 2023, § 40 FamFG, Rn, 27.).
28Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 80, 81 FamFG.
29Rechtsbehelfsbelehrung:
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