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In Fällen, in denen der Fluggast weiß, dass der gebuchte Flug sich um drei oder mehr Stunden verspäten wird, muss er grundsätzlich zur Abfertigung erscheinen.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Ohne Tatbestand (gemäß § 313a Abs. 1 ZPO).
Entscheidungsgründe:
2I. Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Klägerin stehen die geltend gemachten Ansprüche unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu, da Herr L. D. und Frau W. G. (i.F.: die Fluggäste), deren abgetretene Ausgleichsansprüche die Klägerin geltend macht, den streitgegenständlichen Flug gar nicht angetreten haben.
31. Ein Ausgleichsanspruch nach Art. 7 Abs. 1 a), 5 Abs. 1 c) der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 (i.F.: Fluggastrechte-VO) i.V.m. § 398 BGB besteht nicht.
4a) Gemäß Art. 3 Abs. 1 lit. a) der Fluggastrechte-VO gilt die Verordnung für Fluggäste, die einen Flug antreten. Nach Art. 3 Abs. 2 lit. a) der Fluggastrechte-VO gilt Absatz 1 unter der Bedingung, dass die Fluggäste über eine bestätigte Buchung für den betreffenden Flug verfügen und – außer im Fall der Annullierung gemäß Artikel 5 – sich spätestens 45 Minuten vor der veröffentlichten Abflugzeit zur Abfertigung einfinden.
5b) aa) Im vorliegenden Fall haben die Fluggäste den streitgegenständlichen Flug XX N03 am 00.00.0000 von V./J. (i.F.: V.) nach Z. (i.F.: Z.) unstreitig gar nicht angetreten. Da der Flug nicht annulliert, sondern verspätet durchgeführt wurde, scheiden Ansprüche nach dem Wortlaut der Verordnung aus.
6bb) Auch aus der „Sturgeon-Rechtsprechung“ des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, Urt. v. 19.11.2009 – C-402/07, C-432/07 – NJW 2010, 43 „Sturgeon“), wonach eine große Verspätung der Annullierung gleichgestellt wird, folgt nichts Anderes.
7(1) Im vorliegenden Fall scheiden Ansprüche schon deswegen aus, weil gar nicht vorgetragen ist, dass – sodass die von der Klägerin in der Replik zitierte Rechtsprechung sämtlich nicht einschlägig ist – die Fluggäste zu dem Zeitpunkt, an dem sie auf die Beförderung verzichtet haben, bereits wussten, dass der streitgegenständliche Flug eine Ankunftsverspätung von drei Stunden oder mehr haben würde. In der „Stellungnahme der Zedenten“, die sich die Klägerin zu eigen gemacht hat, ist schon nicht vorgetragen, wann diese Entscheidung getroffen wurde. Im Übrigen wird dort hinsichtlich des Verspätungszeitraums ausschließlich auf die „Verspätung von ganz genau 4 Stunden und 51 Minuten (Ankunft: 15:01)“, mithin auf die Ankunftsverspätung, wie sie sich denklogisch erst mehrere Stunden später herausgestellt hat, abgestellt. Im Gegenteil liegt es – wenngleich es hierauf aufgrund des Vorstehenden schon nicht ankommt – durchaus nahe, dass die Fluggäste noch nicht einmal abgewartet haben, ob der Flug beim Abflug (Hervorhebung durch das Gericht) drei Stunden Verspätung haben würde. Denn die Klägerin trägt selbst vor, dass um 13:00 Uhr in Z. ein „kurzer, aber relevanter Termin“ geplant gewesen sei. Selbst bei überpünktlicher Durchführung des streitgegenständlichen Flugs – die planmäßige Ankunftszeit war unstreitig um 10:10 Uhr Ortszeit – wären den Fluggästen weniger als drei Stunden verblieben, um sich zu dem „Termin“ einzufinden. Dass zu dem Vorstehenden Vortrag erforderlich gewesen wäre, muss der Klägerin auch klar gewesen sein, da sie selbst in ausführlicher Weise Rechtsprechung zitiert, in der darauf abgestellt wird, dass bereits von vornherein ersichtlich gewesen ist, dass die jeweils streitgegenständlichen Flüge bei der Ankunft mehr als drei Stunden verspätet sein würden.
8(2) Aber auch hiervon abgesehen – auch wenn es nach dem Vorstehenden hierauf nicht mehr ankommt – besteht ein Anspruch im vorliegenden Fall auch in rechtlicher Hinsicht nicht. Denn nach hiesiger Rechtsauffassung muss der Fluggast – anders als in Fällen der feststehenden Annullierung – in Fällen, in denen er weiß, dass der gebuchte Flug sich um drei oder mehr Stunden verspäten wird, grundsätzlich zur Abfertigung erscheinen (so für den Regelfall auch BeckOK Fluggastrechte-VO/Schmid, 27. Edition, Stand: 01.07.2023, Art. 3 Fluggastrechte-VO Rn. 66c). Die Unannehmlichkeiten, die der großen Verspätung eigentümlich sind, bestehen insbesondere in der körperlichen Belastung durch die Verlängerung der Reisezeit (vgl. BeckOK Fluggastrechte-VO/Schmid, a.a.O., Art. 5 Fluggastrechte-VO Rn. 266). Während der Fluggast im Falle der Annullierung sein Reiseziel gar nicht bzw. nicht wie geschuldet erreicht, erreicht er es im Falle der großen Verspätung durchaus, wenngleich verzögert, sodass die Beförderungsleistung – anders als im Falle der Annullierung – durchaus erbracht wird. Eine schematische Gleichstellung von Verspätung und Annullierung auch hinsichtlich der Frage, ob sich der Fluggast zur Abfertigung einfinden muss oder nicht, erscheint vor diesem Hintergrund nicht angezeigt und ist auch der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nicht zu entnehmen. Hinzu kommt, dass es in die persönliche Risikosphäre des Fluggastes fällt, ob er sich – wie offenbar im vorliegenden Fall, in dem nach geplanter Ankunft in Z. um 10:10 Uhr bereits um 13:00 Uhr ein Termin und um 16:20 Uhr der Rückflug stattfinden sollte – seinen Aufenthalt so organisiert, dass der private Reisezweck nur dann erfüllt werden kann, wenn der Flug überpünktlich durchgeführt wird, oder nicht.
92. Die Nebenforderung teilt das Schicksal der unbegründeten Hauptforderung.
10II. Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 11, 711, 713 ZPO.
11Der Streitwert wird auf 500,00 EUR festgesetzt.
12Rechtsbehelfsbelehrung:
13A) Da mit dieser Entscheidung für keine Partei die zur Eröffnung der Berufung führende Beschwer von über 600,00 Euro erreicht ist, hat das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen die Zulassung der Berufung zu prüfen, § 511 Abs. 4 ZPO. Die Berufung ist danach nicht zuzulassen gewesen, weil die Rechtssache ihre Entscheidung allein aus den Umständen des vorliegenden Falles gefunden hat und somit weder grundsätzliche Bedeutung besitzt oder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordern, § 511 Abs. 2 Nr. 2 i.v.m. Abs. 4 Nr. 1 ZPO.
14Gegen dieses Urteil ist ein Rechtsmittel nicht zulässig, weil keine der Parteien durch dieses Urteil hinsichtlich eines Werts von über 600,00 Euro beschwert ist und das Gericht die Berufung auch nicht zugelassen hat, § 511 Abs. 2 Nr. 1, 2 ZPO.
15B) Gegen die Streitwertfestsetzung ist die Beschwerde an das Amtsgericht V. statthaft, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,00 EUR übersteigt oder das Amtsgericht die Beschwerde zugelassen hat. Die Beschwerde ist spätestens innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, bei dem Amtsgericht V., Luxemburger Str. 101, 50939 V., schriftlich in deutscher Sprache oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Die Beschwerde kann auch zur Niederschrift der Geschäftsstelle eines jeden Amtsgerichtes abgegeben werden.
16Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann die Beschwerde noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
17Hinweis zum elektronischen Rechtsverkehr:
18Die Einlegung ist auch durch Übertragung eines elektronischen Dokuments an die elektronische Poststelle des Gerichts möglich. Das elektronische Dokument muss für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet und mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg gemäß § 130a ZPO nach näherer Maßgabe der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (BGBl. 2017 I, S. 3803) eingereicht werden. Auf die Pflicht zur elektronischen Einreichung durch professionelle Einreicher/innen ab dem 01.01.2022 durch das Gesetz zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten vom 10. Oktober 2013, das Gesetz zur Einführung der elektronischen Akte in der Justiz und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs vom 5. Juli 2017 und das Gesetz zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 05.10.2021 wird hingewiesen.
19Weitere Informationen erhalten Sie auf der Internetseite www.justiz.de.