Seite drucken
Entscheidung als PDF runterladen
Zum Verzicht auf die Wiedereinsetzung durch eine zuvor eingelegte Rechtsbeschwerde
wird der Antrag des Betroffenen vom 02.09.2022 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Hauptverhandlung vom 19.08.2022 als unzulässig verworfen.
Gründe
2I.
3Bezüglich des Betroffenen fand am 19.08.2022 die Hauptverhandlung betreffend seinen Einspruch gegen den Bußgeldbescheid der Stadt X. vom 27.10.2021 statt. Es erging Verwerfungsurteil.
4Gegen das Verwerfungsurteil vom 19.08.2022 hat der Verteidiger mit Schriftsatz vom 02.09.2022, elektronisch mittels „beA“ übersandt und eingegangen am gleichen Tage um 13.56 Uhr, Rechtsbeschwerde eingelegt und die Verletzung materiellen Rechts gerügt, zudem des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs und der §§ 73 Abs. 2, 74 OWiG. Er hat weiter die Überlassung einer Abschrift des Hauptverhandlungsprotokolls beantragt, um sodann Verfahrensrügen näher begründen zu können (Bl. 38 ff.).
5Mit weiterem Schriftsatz vom 02.09.2022, übersandt per Telefax, hat der Verteidiger beantragt dem Betroffenen Wiedereinsetzung zu gewähren (Bl. 43 ff.). Dieser weitere Schriftsatz ist lt. Eingangsstempel eingegangen am 03.09.2022, wurde aber lt. Faxzeile hier am 02.09.2022 um 15.10 Uhr empfangen (Bl. 43 ff.).
6Unter dem 04.10.2022 hat der Verteidiger die Rechtsbeschwerde weiter begründet.
7Die Staatsanwaltschaft wurde zur beantragten Wiedereinsetzung angehört. Sie hat keine Stellungnahme abgegeben.
8II.
9Der Wiedereinsetzungsantrag ist als unzulässig zu verwerfen.
10Über den Wiedereinsetzungsantrag gem. § 74 Abs. 4 OWiG entscheidet das Gericht selbst, §§ 46 Abs. 1 OWiG, 46 Abs. 1 StPO (Senge, in: Karlsruher Kommentar zum OWiG, 5. Auflage 2018, § 74 Rn. 52).
11Der dem Grunde nach statthafte Wiedereinsetzungsantrag ist vorliegend unzulässig, da der zunächst eingelegten Rechtsbeschwerde Verzichtswirkung zukommt, §§ 46 Abs. 1, 79 Abs. 3 OWiG, 342 Abs. 3 StPO. Das Gericht muss daher nicht entscheiden, ob die Voraussetzungen der begehrten Wiedereinsetzung materiell vorliegen, namentlich, ob der Betroffene ohne sein Verschulden an der Terminsteilnahme gehindert war, weil er auf die Erklärung seines Verteidigers vertraute, er werde auf den erst nach Aufruf in der Hauptverhandlung gestellten Entbindungsantrag noch von seiner Pflicht zum persönlichen Erscheinen entbunden werden, da die Voraussetzung einer solchen Entbindung, d. h. von § 73 Abs. 2 OWiG, sämtlich vorlagen.
121.
13Insoweit bleibt jedoch anzumerken, dass - wie schon im Verwerfungsurteil und in dem den Entbindungsantrag ablehnenden Beschluss ausgeführt - eine zentrale Entbindungsvoraussetzung des § 73 Abs. 2 OWiG - Äußerung des Betroffenen oder Erklärung, sich in der Hauptverhandlung nicht äußern zu wollen - ersichtlich nicht vorlag:
14Der Wiedereinsetzungsantrag verweist auf eine E-Mail des eingreifenden Außendienstmitarbeiters der Behörde W. vom 22.09.2021, nach der der Betroffene bereits im Ermittlungsverfahren angehört worden sei (Bl. 43). Das ist ein Missverständnis: Die Äußerung in der E-Mail vom 22.09.2021 bezieht sich auf Angaben des vor Ort angetroffenen Mitarbeiters B., nicht des Betroffenen (Bl. 33 f. VV). Aber auch der E-Mail des Zeugen W. vom 26.10.2021 (Bl. 32 VV) ist lediglich zu entnehmen, dass der Betroffenen als Konzessionsträger später in der Kontrollsituation erschien und, nach Erläuterung der Feststellungen, Gelegenheit zur Stellungnahme hatte; er, der Betroffene, wollte „jedoch dazu nichts sagen“. Selbiges hat das Gericht nicht übersehen, die Aktenstelle war auch schon am Terminstage bekannt.
15Es handelt sich dabei aber weder um eine „Äußerung zur Sache“ noch die Erklärung, sich „in der Hauptverhandlung nicht äußern zu wollen“ im Sinne von § 73 Abs. 2 OWiG:
16Zweifelhaft erscheint schon, ob überhaupt an sich eine Äußerung des Betroffenen zur Sache im Vorfeld der Hauptverhandlung im Sinne der Norm vorliegt. Denn das ist nur dann der Fall, wenn sie in der Hauptverhandlung nach § 74 Abs. 1 S. 2 OWiG verwertbar ist; es muss sich deshalb um die Niederschrift einer Vernehmung des Betroffenen oder schriftliche oder protokollierte Erklärungen handeln, die der Betroffene in dieser Eigenschaft abgegeben hat, also etwa im Anhörungsbogen oder im Einspruchsschreiben (ausf. Senge, in: Karlsruher Kommentar zum OWiG, 5. Auflage 2018, § 73 Rn. 22; Krumm, in: Gassner/Seith, Ordnungswidrigkeitengesetz, 2. Auflage 2020, § 73 Rn. 14). Nicht erfasst sind daher Äußerungen des Betroffenen gegenüber einem Polizeibeamten, die dieser in einem Bericht oder Vermerk festhält, ohne dass der Betroffene die Niederschrift genehmigt (Senge, in: Karlsruher Kommentar zum OWiG, 5. Auflage 2018, § 74 Rn. 10 mit Verweis auf OLG Stuttgart, Beschluss vom 04.10.1978 - 4 Ss 639/78). Vorliegend steht - noch weniger - lediglich eine interne E-Mail des seinerzeit eingreifenden Außendienstmitarbeiters der Verwaltungsbehörde in Rede, in der dieser gegenüber der Bußgeldstelle seiner Behörde eine Schilderung abgibt. Diese interne E-Mail lag dem Betroffenen ersichtlich zu keiner Zeit vor; er hat (und konnte) sie selbstverständlich auch nicht genehmigen. Aus der vorgenannten E-Mail mag sich nach alledem zwar ergeben können, dass der Betroffene - wonach der Zeuge W. seitens seiner Bußgeldstelle gefragt wurde - seinerzeit allgemein angehört wurde. Ob es sich dabei aber um eine „Äußerung des Betroffenen“ im Sinne von § 73 Abs. 2 OWiG handelt, erscheint sehr zweifelhaft.
17Unabhängig davon: Die in der E-Mail des Zeugen W. kolportierte und schon nur indirekt wiedergegebene Entscheidung des Betroffenen, „dazu nichts sagen“ zu wollen, ist auch inhaltlich „keine Äußerung zur Sache“ im Sinne der Norm, noch weniger die Erklärung, sich „in der Hauptverhandlung“ nicht äußern zu wollen. Zwar sind an die Sachäußerung keine übertriebenen Anforderungen zu stellen, sie kann in einem Geständnis, einem Teilgeständnis, aber auch in einem bloßen Bestreiten des Schuldvorwurfs bestehen (Krumm, in: Gassner/Seith, Ordnungswidrigkeitengesetz, 2. Auflage 2020, § 73 Rn. 13; Senge, in: Karlsruher Kommentar zum OWiG, 5. Auflage 2018, § 73 Rn. 22). Die bloße Angabe sich nicht äußern zu wollen ist jedoch ein Nullum und keine Erklärung zur Sache im Sinne der Norm. Es kann auch keine Rede davon sein, dass sich die vom Zeugen W. geschilderte Entscheidung des Betroffenen sich unzweifelhaft auch auf die (spätere) Hauptverhandlung im Bußgeldverfahren bezieht (vgl. Senge, aaO).
18Soweit - im Rahmen der weiteren Rechtsbeschwerdebegründung - verteidigerseits noch angeführt wird, der Verteidiger habe „ausdrücklich - wie üblich - zur Antragsbegründung zu Protokoll erklärt, dass der Betroffene sich selbst im Termin nicht, sondern nur über seinen Verteidiger äußern wolle“ (Bl. 49) trifft das nicht zu: Der Verteidiger hat, wie im Verwerfungsurteil ausgeführt, nach Aufruf und Feststellung des Fehlens des Betroffenen unter Vollmachtübergabe lediglich beantragt, diesen von der Pflicht zum Erscheinen zu entbinden, er würde sich „sodann auch äußern“. Eine Schweigeerklärung hat er nicht abgegeben, selbige ergibt sich auch nicht aus dem Protokoll. Nach der Rechtsprechung des OLG Köln wäre, wie schon im Verwerfungsurteil ausgeführt, auch eine tatsächlich erfolgte Erklärung nicht geeignet gewesen, die Entbindungsvoraussetzungen (doch noch) zu schaffen, s. OLG Köln, Beschluss vom 15.04.1999 - Ss 144/99; auch Senge, in: Karlsruher Kommentar zum OWiG, 5. Auflage 2018, § 73 Rn. 23; Krumm, in: Gassner/Seith, Ordnungswidrigkeitengesetz, 2. Auflage 2020, § 73 Rn. 14.
192.
20Ob der Betroffene ernstlich auf den ihm - wie behauptet wird - durch den Verteidiger erteilten Rat, zutreffend oder nicht, er werde von der Pflicht zum Erscheinen noch im Termin entbunden werden, vertraute, weil - ggf. vermeintlich - die Entbindungsvoraussetzungen vorlagen, kann dahinstehen.
21Indem der Verteidiger für den Betroffenen mit Schriftsatz vom 02.09.2022, elektronisch mittels „beA“ übersandt und eingegangen am gleichen Tage um 13.56 Uhr, Rechtsbeschwerde einlegte, ohne diese mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu verbinden, hat er auf letzteren verzichtet, §§ 46 Abs. 1, 79 Abs. 3 OWiG, 342 Abs. 3 StPO.
22Nach dem Wortlaut der Norm tritt die Verzichtswirkung bereits ein, wenn die Revision - hier die Rechtsbeschwerde - „ohne Verbindung“ mit dem Wiedereinsetzungsantrag angebracht wird. Zwar soll „Verbindung“ nicht dahingehend zu verstehen sein, dass beide Anträge sich in einem Schriftsatz finden müssen; werden getrennte Schriftsätze eingereicht, müssen sie jedoch jedenfalls „verbunden“ im Sinne von gleichzeitig bei Gericht eingehen (Knauer/Kudlich, in: Münchener Kommentar zur StPO, 1. Auflage 2019, § 342 Rn. 10). In der Rechtsprechung ist - so man getrennte Erklärungen noch zulässt - anerkannt, dass an die dann zu wahrende Gleichzeitigkeit strenge Anforderungen zu stellen sind: Beide Schriftsätze müssen unmittelbar aufeinanderfolgend bei Gericht eingehen, etwa im gemeinsamen Umschlag oder einheitlich übersandten Fax (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 06.09.1984 - 1 Ws 321/84; KG, Beschluss vom 26.01.2000 - 1 AR 65/00; OLG Koblenz, Beschluss vom 14.01.2004 - 1 Ws 19/04): Mögen - großzügig - 12 Minuten Unterschied „immerhin noch“ ausreichen (KG, aaO), genügen 39 Minuten (OLG Koblenz, aaO) oder gar 1 Stunde und 45 Minuten nicht mehr, um Gleichzeitigkeit anzunehmen (OLG Stuttgart, aaO).
23Vorliegend ging die Rechtsbeschwerdeschrift am 02.09.2022 um 13.56 Uhr ein. Der Wiedereinsetzungsantrag ging hier - für den Antragsteller unterstellt, weil günstiger als der Eingangsstempel und technisch naheliegend - lt. Faxzeile am 02.09.2022 um 15.10 Uhr ein. Zwischen beiden Eingängen liegen damit 1 Stunde und 14 Minuten. Das ist nicht mehr gleichzeitig in dem Sinne, dass noch eine „Verbindung“ von Rechtsbeschwerde und Wiedereinsetzung angenommen werden könnte. Berücksichtigt man zudem den eine enge Auslegung nahelegenden Wortlaut der Norm und den Umstand, dass in der Rechtsbeschwerdeschrift auch nicht auf einen „sogleich nachfolgenden“ Wiedereinsetzungsantrag verwiesen wird (vgl. Knauer/Kudlich, in: Münchener Kommentar zur StPO, 1. Auflage 2019, § 342 Rn. 10, der als sichersten Weg die gemeinsame Einlegung in einem Schriftsatz empfiehlt), ist festzustellen, dass der Rechtsbeschwerdeschrift Verzichtswirkung zukam.
24Trat gem. §§ 46 Abs. 1, 79 Abs. 3 OWiG, 342 Abs. 3 StPO Verzichtswirkung ein, unterliegt der Wiedereinsetzungsantrag der Verwerfung als unzulässig. Einer (isolierten, vgl. § 473 Abs. 7 StPO) Kostenentscheidung bedarf es nicht, weil der Betroffene die Kosten des Verfahren bereits nach der - freilich angefochtenen - Hauptsacheentscheidung zu tragen hat (s. Gieg, in: Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 8. Auflage 2019, § 473 Rn. 16).