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Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 1.722,94 nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 03.09.2019
sowie
außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von € 194,92 nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 08.11.2019
zu zahlen.
Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte mit Ausnahme der durch die Anrufung des unzuständigen Gerichts entstandenen Mehrkosten, welche dem Kläger auferlegt werden.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 115% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
2Der Kläger buchte bei der beklagten Reiseveranstalterin im April 2019 eine Pauschalreise für den Zeitraum vom 16. bis 30.01.2020 zu einem Gesamtreisepreis von € 3.445,88.
3Mit E-Mail vom 04.05.2019 erklärte das Reisebüro gegenüber dem Kläger, dass die Beklagte den Abschluss des zunächst gebuchten Preises ablehne und den Preis für die bestätigte Reise um € 1.534,00 erhöhen wolle, vorsorglich werde die Buchung wegen Irrtums angefochten (vgl. K3, GA11). Der Kläger lehnte die Reisepreiserhöhung ab und forderte die Beklagte zur Durchführung der Reise wie ursprünglich gebucht und entsprechender Bestätigung bis zum 07.06.2019 auf.
4Nachdem die Beklagte darauf nicht reagierte, beauftragte der Kläger seinen jetzigen Prozessbevollmächtigten, welcher die Beklagte erneut – erfolglos – mit Schreiben vom 27.06.2019 aufforderte.
5Am 02.09.2019 stornierte die Beklagte die Reise.
6Von der Beklagten erhielt der Kläger keine Anfechtungserklärung.
7Der Kläger beansprucht (aus eigenem und abgetretenem Recht) eine angemessene Entschädigung wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten und beantragt,
8- wie erkannt -.
9Die Beklagte beantragt,
10die Klage abzuweisen.
11Sie ist insbesondere der Auffassung, der Kläger habe ausreichend Zeit gehabt, sich eine Ersatzreise zu suchen; eine Vereitelung läge nicht vor, da der ursprüngliche, auf einem Eingabefehler beruhende Reisepreis, entsprechend korrigiert worden sei. Ferner habe sie wirksam die Anfechtung aufgrund Erklärungsirrtums erklärt, hierzu behauptet sie – unter näherer Darlegung – ihre Mitarbeiterin habe es versäumt, den Preis/Unit auf Preis/Person umzustellen (vgl. im Einzelnen insbesondere Klageerwiderung, GA 45ff.).
12Das Verfahren ist vom zunächst angegangenen AG Frankfurt an das AG Köln verwiesen worden.
13Wegen der Einzelheiten wird auf den vorgetragenen Akteninhalt verwiesen.
14Entscheidungsgründe:
15Die Klage ist überwiegend begründet.
161. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf angemessene Entschädigung wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit in beanspruchter Höhe nach § 651n Abs. 2 BGB.
17a) Ohne Erfolg beruft sich die Beklagte darauf, dass der zwischen den Parteien geschlossenen Reisevertrag aufgrund wirksamer Anfechtung nach §§ 142, 119 Abs. 1 BGB nichtig war.
18Das Gericht hält an seinem Hinweis vom 08.06.2020 (GA61), zu dem die Beklagte keine weitere Stellungnahme abgegeben hat, fest:
191. Das Gericht ist der Auffassung, dass die beklagte Reiseveranstalterin nicht mit Erfolg eine Anfechtung mit der Begründung eines irrtumsbedingten Buchungsfehlers nach §§ 119ff. BGB einwenden kann.
20Dies ist ihr unter Berücksichtigung des vollharmonisierend ausgestalteten Sekundärrechtsakts der Richtlinie (EU) 2015/2302 (Pauschalreise-RL II) i.V.m. §§ 651x, 651y BGB verwehrt (vgl. Staudinger/Führich, Reiserecht 8. Aufl. 2019, § 11 Rn 4; ders. in HK-BGB, 10. Aufl. 2019, BGB § 651x Rn. 1; BeckOGK/Alexander, 1.5.2020, BGB § 651x Rn. 46 für den Fall, dass Schadensersatzansprüche nach §651x BGB umgangen würden).
21Zwar ist diese Problematik von der Pauschalreise-RL II nicht ausdrücklich erfasst, so dass nach Erwägungsgrund 20 Pauschalreise-RL II die Anwendung nationalen Rechts und damit auch die Anwendbarkeit der Anfechtungsvorschriften der §§ 119ff BGB in Betracht kommt. Die wirksame Anfechtung würde indes die dem Reisenden nach Art. 21 Pauschalreise-RL II / § 651x BGB zustehenden Rechte einschränken, was nach Art. 4 Pauschalreise-RL II / § 651y i.V.m. Erwägungsgrund 45, wonach Reisende in Fällen geschützt sein sollen, in denen während des Buchungsvorgangs einer Pauschalreise oder verbundener Reiseleistungen Fehler unterlaufen, unzulässig ist.
22Nach § 651x BGB stehen dem Reisenden auf vertraglicher Grundlage Schadensersatzansprüche zu, welche auch das Erfüllungsinteresse (positives Interesse) umfassen. Diesen Schaden kann der Reisende indes nach wirksamer Anfechtung grds. nicht (mehr) verlangen, da der Vertrag nach § 142 BGB rückwirkend nichtig ist, u.a. mit der Folge, dass nach § 122 Abs. 1 BGB der Schaden auf die Gültigkeit der Erklärung (des Reisevertrages) gerichtet ist (negatives Interesse).
23Zudem werden wird die strenge Haftung des Unternehmers unzulässig eingeschränkt: Nach Art. 21 Pauschalreise-RL II haftet der Unternehmer nur dann für Buchungsfehler nicht, wenn diese dem Reisenden zuzurechnen sind oder sie durch unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände verursacht werden. Nach § 122 Abs. 2 BGB ist eine Haftung auch dann ausgeschlossen, wenn der Beschädigte den Grund der Nichtigkeit oder der Anfechtbarkeit kannte oder infolge von Fahrlässigkeit nicht kannte (kennen musste).
242. Unabhängig davon kann zudem ein zur Anfechtung nach §§ 119ff. BGB berechtigender Erklärungsirrtum nicht angenommen werden.
25Vielmehr ist von einem (einseitigen) Kalkulationsirrtum auszugehen. Dieser ist von den gesetzlichen Anfechtungsgründen nicht erfasst, da es sich um einen Irrtum im Beweggrund (Motivirrtum) im Stadium der Willensbildung im Vorfeld der Erklärung handelt. Er berechtigt grundsätzlich nicht zur Anfechtung, weil derjenige, der aufgrund einer für richtig gehaltenen, in Wirklichkeit aber unzutreffenden Berechnungsgrundlage einen bestimmten Preis oder eine Vergütungsforderung ermittelt und seinem Angebot zugrunde legt, auch das Risiko dafür trägt, dass seine Kalkulation zutrifft (vgl. BGH, Urteil vom 07. Juli 1998 – X ZR 17/97 –, BGHZ 139, 177-190, Rn. 13). So liegt der Fall hier, wenn die Beklagte sich im Vorfeld bei der hinsichtlich einer Position ihrer Berechnungsgrundlage irrte und darauf beruhend keine ordnungsgemäße (Gesamt-) Preisberechnung erfolgte (vgl. BGH, Urteil vom 07. Juli 1998 – X ZR 17/97 –, BGHZ 139, 177-190, Rn. 13; Urteil vom 11. November 2014 – X ZR 32/14 –, Rn. 122 - 123, juris; OLG Düsseldorf, Urteil vom 19. Mai 2016 – I-16 U 72/15 –, Rn. 64, juris; MüKoBGB/Armbrüster, 8. Aufl. 2018, BGB § 119 Rn. 88f.; BeckOGK/Rehberg, 1.1.2020, BGB § 119 Rn. 183.2).
263. Es kann auch nicht festgestellt werden, dass der Kläger nach § 242 BGB rechtsmissbräuchlich handelt, wenn er im vorliegenden Fall auf Vertragsdurchführung besteht.
27Für den - nicht zur Anfechtung berechtigenden - Kalkulationsirrtum ist zwar anerkannt, dass es mit den Grundsätzen von Treu und Glauben unvereinbar ist, wenn der Erklärungsempfänger die fehlerhafte Preisangabe positiv erkennt und die Vertragsdurchführung für den Erklärenden schlechthin unzumutbar ist (vgl. BGH, Urteil vom 07. Juli 1998 – X ZR 17/97 –, BGHZ 139, 177-190, Rn. 22; OLG Düsseldorf, Urteil vom 19. Mai 2016 – I-16 U 72/15 –, Rn. 66, juris). Diese Voraussetzungen sind hier indes nicht ersichtlich.
28Unabhängig davon ist nicht ohne Weiteres ersichtlich, dass die Anfechtungserklärung des Reisevermittlers der Beklagten zuzurechnen ist oder dass der Reisevermittler seinerseits einem Erklärungsirrtum unterlag.
29b) Die Reise, zu deren Durchführung die Beklagte vertraglich verpflichtet war, ist vereitelt worden ist.
30Kann oder will – wie hier – der Reiseveranstalter den Reisevertrag nicht ordnungsgemäß erfüllen und führt dies dazu, dass der Kunde die Reise nicht antritt, so wird die Reise vereitelt (BGH, Urteil vom 29. Mai 2018 – X ZR 94/17 – Rn. 9, juris; BGH, Urteil vom 11. Januar 2005 - X ZR 118/03, BGHZ 161, 389, 392 "Malediven-Urteil").
31c) Die geltend gemachte Entschädigungshöhe von 50% des vereinbarten Reisepreises ist unter Berücksichtigung höchstrichterlicher Rechtsprechung (vgl. u.a. BGH aaO.; BGH, Urteil vom 11. Januar 2005 – X ZR 118/03) im vorliegenden Fall einer vereitelten durchschnittlichen Pauschalreise nicht zu beanstanden.
32Soweit die Beklagte auf die Möglichkeit einer Ersatzreise abstellt, ist dies unerheblich. Bei der Bestimmung der Entschädigungshöhe darf nicht berücksichtigt werden, wie der Reisende die Zeit seiner gebuchten, aber durch den Reiseveranstalter vereitelten Reise genutzt hat, da er gegenüber dem Reiseveranstalter auch aufgrund seiner Schadensabwendungs- und Schadensminderungspflicht nach § 254 Abs. 2 BGB nicht verpflichtet ist, Anstrengungen zu entfalten, die den Reiseveranstalter entlasten könnten (BGH aaO. Rn. 22).
332. Die Entscheidung über die außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten sowie die Zinsen folgt als aus §§ 280, 286, 288, 291 BGB.
34Der Zinsanspruch war hinsichtlich des beantragten Zinsbeginns indes teilweise abzuweisen; für den Entschädigungsanspruch kann er nicht vor der Stornierungserklärung vom 02.09.2019 und für die Rechtsanwaltskosten (als Prozesszinsen nach § 291 BGB) nicht vor Rechtshängigkeit angenommen werden.
35Ohne Erfolg beruft sich die Beklagte für die Berechnung der Rechtsanwaltskosten auf einen überhöhten Gegenstandswert. Zum Zeitpunkt der Anwaltsbeauftragung und damit der Entstehung der Gebühr nach 2300 VV RVG war das Interesse des Klägers auf Vertragsdurchführung gerichtet, der Kläger hat für die Berechnung der Anwaltsgebühr damit zutreffend auf den Wert der – von der Beklagten verweigerten – Vertragsleistung und damit den vollständigen Reisepreis abgestellt.
363. Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 2 Nr. 1, 281, 709 ZPO.
37Der Streitwert wird auf 1.722,94 EUR festgesetzt.
38Rechtsbehelfsbelehrung:
39A) Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Berufung für jeden zulässig, der durch dieses Urteil in seinen Rechten benachteiligt ist,
401. wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600,00 EUR übersteigt oder
412. wenn die Berufung in dem Urteil durch das Amtsgericht zugelassen worden ist.
42Die Berufung muss innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung dieses Urteils schriftlich bei dem Landgericht Köln, Luxemburger Str. 101, 50939 Köln, eingegangen sein. Die Berufungsschrift muss die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird, sowie die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde, enthalten.
43Die Berufung ist, sofern nicht bereits in der Berufungsschrift erfolgt, binnen zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils schriftlich gegenüber dem Landgericht Köln zu begründen.
44Die Parteien müssen sich vor dem Landgericht Köln durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen, insbesondere müssen die Berufungs- und die Berufungsbegründungsschrift von einem solchen unterzeichnet sein.
45Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.
46B) Gegen die Streitwertfestsetzung ist die Beschwerde an das Amtsgericht Köln statthaft, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,00 EUR übersteigt oder das Amtsgericht die Beschwerde zugelassen hat. Die Beschwerde ist spätestens innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, bei dem Amtsgericht Köln, Luxemburger Str. 101, 50939 Köln, schriftlich in deutscher Sprache oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Die Beschwerde kann auch zur Niederschrift der Geschäftsstelle eines jeden Amtsgerichtes abgegeben werden.
47Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann die Beschwerde noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.