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Nach dem Wortlaut des § 30 Abs. 1 Nr. 4 AsylG liegt ein Fall der offensichtlichen Unbegründetheit nur dann vor, wenn ein Identitäts- oder ein Reisedokument, das die Feststellung der Identität oder Staatsangehörigkeit des Asylsuchenden „ermöglicht hätte“, vernichtet worden ist. Daraus folgt, dass Unkenntnis oder Zweifel über die Identität oder Staatsangehörigkeit des Asylsuchenden vorliegen müssen, die bei Vorliegen (eines) der genannten Dokumente nicht bestehen würden.
Die aufschiebende Wirkung der Klage 19a K 4314/24.A gegen die unter Ziffer 5. des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 21. August 2024 verfügte Abschiebungsandrohung wird angeordnet.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
G r ü n d e :
2Der sinngemäß gestellte Antrag,
3die aufschiebende Wirkung der Klage 19a K 4314/24.A gegen die unter Ziffer 5. des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 21. August 2024 verfügte Abschiebungsandrohung anzuordnen,
4hat Erfolg.
5Der Antrag ist zulässig. Er ist insbesondere fristgemäß im Sinne von § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe gestellt worden. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 21. August 2024 ist ausweislich der in den Verwaltungsvorgängen vorhandenen Zustellungsurkunde dem seinerzeitigen Verfahrensbevollmächtigten der Antragsteller am 24. August 2024 durch Einwurf in den Briefkasten zugestellt worden. Die bis zum 2. September 2024 laufende Wochenfrist des § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG ist durch den am 2. September 2024 bei Gericht gestellten Antrag der drei Antragsteller gewahrt worden, §§ 57 Abs. 2 VwGO i. V. m. § 222 Abs. 1, Abs. 2 ZPO, § 188 Abs. 2 BGB. Der von den Antragstellern gestellte Wiedereinsetzungsantrag geht angesichts des fristgemäßen Eingangs des Aussetzungsantrags ins Leere.
6Der Antrag ist auch begründet.
7Im Rahmen des Aussetzungsverfahrens nach § 36 Abs. 3 AsylG i. V. m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ordnet das Gericht die aufschiebende Wirkung der Klage hinsichtlich der gemäß §§ 36 Abs. 3, 75 Abs. 1 AsylG sofort vollziehbaren Abschiebungsandrohung an, wenn das persönliche Interesse des Asylsuchenden, von der sofortigen Aufenthaltsbeendigung vorerst verschont zu bleiben, das öffentliche Interesse an ihrer sofortigen Durchsetzung übersteigt. Dabei darf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach Art. 16a Abs. 4 GG, § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG nur bei ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes erfolgen. „Ernstliche Zweifel“ im Sinne der genannten Vorschrift liegen nur dann vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält. Dies ist insbesondere der Fall, wenn sich der Asylantrag im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abweichend von der Einschätzung des Bundesamts nicht als offensichtlich unbegründet darstellt.
8Vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 - 2 BvR 1516/93 -, juris, Rn. 99 ff.
9Ausgehend von diesen Grundsätzen fällt die vorzunehmende Interessenabwägung hier zugunsten der Antragsteller aus. Denn es bestehen unter Würdigung des bisherigen Akteninhalts ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung in Ziffer 5. des Bescheids des Bundesamts vom 21. August 2024.
10Die Abschiebungsandrohung selbst findet ihre Rechtsgrundlage in § 34 Abs. 1 AsylG. Nach dieser Vorschrift erlässt das Bundesamt nach den §§ 59 und 60 Abs. 10 AufenthG eine schriftliche Abschiebungsandrohung, wenn der Ausländer nicht als Asylberechtigter anerkannt wird, ihm nicht die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wird, ihm kein subsidiärer Schutz gewährt wird, die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht vorliegen oder die Abschiebung ungeachtet des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausnahmsweise zulässig ist, der Abschiebung weder das Kindeswohl noch familiäre Bindungen noch der Gesundheitszustand des Ausländers entgegenstehen und der Ausländer keinen Aufenthaltstitel besitzt.
11Die hier mit der Abschiebungsandrohung verbundene Ausreisefrist von einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung fußt auf § 36 Abs. 1 AsylG. Danach beträgt die dem Ausländer zu setzende Ausreisefrist in den Fällen der Unzulässigkeit nach § 29 Abs. 1 Nrn. 2 und 4 AsylG und der offensichtlichen Unbegründetheit des Asylantrags nach § 30 AsylG – abweichend von § 38 Abs. 1 AsylG – eine Woche.
12Es bestehen ernstliche Zweifel daran, dass vorliegend die Voraussetzungen für eine Ablehnung des Asylantrags der Antragsteller als offensichtlich unbegründet und damit für eine Abschiebungsandrohung unter Setzung einer Ausreisefrist von einer Woche vorliegen.
13Das Bundesamt hat hier unter Berufung auf § 30 Abs. 1 Nr. 4 AsylG die Anträge auf Asyl- und Flüchtlingsanerkennung sowie auf Zuerkennung subsidiären Schutzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Es hat sich zur Begründung dieser Entscheidung darauf berufen, die Antragsteller zu 1. und 2. hätten in ihrer persönlichen Anhörung angegeben, ihre Reisepässe zerrissen und weggeschmissen zu haben. Befragt nach dem Grund hierfür hätten die Antragsteller erklärt, dass sie damit ihre Abschiebung in den Iran verhindern wollten.
14Nach § 30 Abs. 1 Nr. 4 AsylG ist ein unbegründeter Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn der Ausländer ein Identitäts- oder ein Reisedokument, das die Feststellung seiner Identität oder Staatsangehörigkeit ermöglicht hätte, mutwillig vernichtet oder beseitigt hat oder die Umstände offensichtlich diese Annahme rechtfertigen. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.
15§ 30 AsylG hat durch Artikel 2 des Gesetzes zur Verbesserung der Rückführung (Rückführungsverbesserungsgesetz) vom 21. Februar 2024 (BGBl. 2024, Nr. 54 vom 26. Februar 2024), in Kraft getreten am 27. Februar 2024, eine für die vorliegend zu treffende Entscheidung maßgebliche Neufassung erhalten. Insoweit soll § 30 Abs. 1 Nr. 4 AsylG n. F. nach der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung vom 24. November 2023 der Umsetzung von Art. 32 Abs. 2 i. V. m. Art. 31 Abs. 8 lit. d der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (Asylverfahrensrichtlinie) dienen, denen zufolge die Mitgliedstaaten einen unbegründeten Antrag als offensichtlich unbegründet betrachten können, wenn angenommen werden kann, dass der Antragsteller ein Identitäts- oder ein Reisedokument, das die Feststellung seiner Identität oder Staatsangehörigkeit ermöglicht hätte, mutwillig vernichtet oder beseitigt hat. Die Neufassung soll nach der Gesetzesbegründung die nach bisheriger Rechtslage in § 30 Abs. 3 Nrn. 2 und 5 AsylG a. F. geregelten Fälle der Täuschung über die Identität oder Staatsangehörigkeit durch Vernichtung oder Beseitigung eines Identitäts- oder Reisedokuments erfassen.
16Vgl. BT-Drucksache 20/9463, S. 56.
17Nach dem Wortlaut des § 30 Abs. 1 Nr. 4 AsylG liegt ein Fall der offensichtlichen Unbegründetheit nur dann vor, wenn ein Identitäts- oder ein Reisedokument, das die Feststellung der Identität oder Staatsangehörigkeit des Asylsuchenden „ermöglicht hätte“, vernichtet worden ist. Daraus folgt, dass Unkenntnis oder Zweifel über die Identität oder Staatsangehörigkeit des Asylsuchenden vorliegen müssen, die bei Vorliegen (eines) der genannten Dokumente nicht bestehen würden. Dies ist vorliegend nicht der Fall, da über die Identität und Staatsangehörigkeit der Antragsteller zu 1. bis 3. gar keine Zweifel bestehen. Hinsichtlich der Antragstellerin zu 2. folgt eine Kenntnis über ihre Identität und ihre Staatsbürgerschaft bereits aus dem Umstand, dass sie ihren iranischen Personalausweis beim Bundesamt vorgelegt hat (siehe Bl. 234 der beigezogenen Verwaltungsvorgänge). Dass dieses Dokument die Identitätsfeststellung der Antragstellerin zu 2. dennoch nicht ermöglichen würde, ist nicht ersichtlich und auch nicht dargetan. Im Übrigen bestehen ohnehin keine Zweifel an der Identität und Staatsangehörigkeit der Antragsteller zu 1. bis 3., weil dem Bundesamt die Daten der durch den Staat Iran erteilten Visa der Antragsteller vorliegen, die diese im Iran für die Ausreise nach und den Aufenthalt in Italien beantragt hatten (siehe dazu Bl. 106 ff. der beigezogenen Verwaltungsvorgänge). Die Angaben dort umfassen alle relevanten Informationen zur Identitätsfeststellung. Die – unstreitig – vorsätzliche Vernichtung der Reisepässe hat sich auf die Möglichkeit der Identitäts- und Staatsangehörigkeitsfeststellung nicht ausgewirkt.
18Vgl. dazu auch VG Aachen, Beschluss vom 26. April 2024 - 10 L 265/24.A -, juris Rn. 14 sowie VG Köln, Beschluss vom 19. April 2024 - 23 L 511/24.A -, juris Rn. 10; VG Schleswig, Urteil vom 4. Juli 2024 - 10 A 161/24 -, juris Rn. 79; vgl. aber zur „weiten“ Auslegung des § 30 Abs. 1 Nr. 4 AsylG VG Düsseldorf, Beschlüsse vom 26. April 2024 - 26 L 912/24.A - sowie vom 27. Mai 2024 - 22 L 1091/24.A -, jeweils juris.
19Für eine derartige Auslegung des § 30 Abs. 1 Nr. 4 AsylG spricht ebenfalls der Wortlaut der zugrunde liegenden Richtlinie. Nach Art. 31 Abs. 8 lit d) der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 können die Mitgliedstaaten festlegen, dass das Prüfungsverfahren im Einklang mit den Grundsätzen und Garantien nach Kapitel II beschleunigt und/oder an der Grenze oder in Transitzonen nach Maßgabe von Artikel 43 durchgeführt wird, wenn angenommen werden kann, dass der Antragsteller ein Identitäts- oder ein Reisedokument, das die Feststellung seiner Identität oder Staatsangehörigkeit ermöglicht hätte, mutwillig vernichtet oder beseitigt hat. Auch hier setzt die Vorschrift gedanklich voraus, dass die Identität oder Staatsangehörigkeit des Antragstellers nicht feststeht und dies (auch) deshalb der Fall ist, weil er seine Ausweispapiere, die darüber Auskunft geben könnten, mutwillig vernichtet oder beseitigt hat. Die Vorschrift würde leerlaufen, wenn trotz fehlender Identitätspapiere die Identität oder Staatsangehörigkeit unproblematisch feststeht. Denn dann kann ohne Weiteres auf der Grundlage der weiteren Angaben im Einzelfall eine einfache – regelhafte –Begründetheitsprüfung des Asylantrags erfolgen, die sonst mangels Kenntnis der Identität bzw. Staatsangehörigkeit des Antragstellers zumindest wesentlich erschwert, wenn nicht sogar unmöglich wäre. Eine solche einfache Begründetheitsprüfung hat die Antragsgegnerin in dem gegenständlichen Bescheid auch durchgeführt und einen Anspruch der Antragsteller auf Asyl, Flüchtlingsschutz und subsidiären Schutz auf der Grundlage ihrer Angaben zu den fluchtauslösenden Ereignissen im Iran in der Anhörung bei dem Bundesamt abgelehnt.
20Die Vorschriften der Art. 31 Abs. 8 lit d) der Richtlinie 2013/32/EU und des § 30 Abs. 1 Nr. 4 AsylG beziehen sich damit auf die Problematik der Feststellung der Identität oder der Staatsangehörigkeit während des laufenden Asylverfahrens, weil entsprechende Papiere, die die Identität oder Staatsangehörigkeit des Asylsuchenden belegen könnten, fehlen. Kann diese aufgrund der mutwilligen Vernichtung oder Unterdrückung der Passpapiere nicht erfolgen, kann das Bundesamt auch keine regelhafte Begründetheitsprüfung des Asylantrags durchführen. Die Einordung des Asylantrags als „offensichtlich unbegründet“ ist dann die Folge. Steht hingegen – wie hier – die Identität und Staatsangehörigkeit der Asylsuchenden fest, kommt es auf die Absicht des Asylsuchenden, eine dem Asylverfahren nachgelagerte Abschiebung zu verhindern, nicht an. Sein Asylantrag kann nämlich dennoch regelhaft auf seine (einfache) Begründetheit hin geprüft werden.
21Dass die vorliegende Offensichtlichkeitsentscheidung auf die weiteren Qualifizierungstatbestände des § 30 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 oder Nrn. 5 bis 9 AsylG gestützt werden könnte, ergibt sich aus dem bisherigen Akteninhalt ebenfalls nicht. Insbesondere dürfte ein Fall des § 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG jedenfalls im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) nicht mehr vorliegen. Denn die Antragsteller haben im gerichtlichen Verfahren nunmehr auch vorgetragen, dass sie sich mittlerweile dem Christentum zugewandt hätten und beabsichtigten, sich in Kürze taufen zu lassen. Inwieweit daraus ein Anspruch auf Gewährung internationalen Schutzes oder eines Abschiebungsverbots folgen könnte, muss der Prüfung im Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.
22Nach allem rechtfertigen die im Bescheid dargelegten Zweifel an der Relevanz des Asylvorbringens ggf. eine einfache Unbegründetheit des Asylantrags, an dem Vorliegen der Voraussetzungen für eine Qualifizierung der Antragsablehnung als offensichtlich unbegründet bestehen jedoch ernstliche Zweifel. Angesichts dessen überwiegt das Interesse der Antragsteller, jedenfalls bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache von einer Abschiebung in den Iran verschont zu bleiben.
23Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83b AsylG.
24Rechtsmittelbelehrung:
25Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 Asylgesetz).