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1. Die Gefahr einer den Anspruch auf Zuerkennung des Flüchtlingsstatus begründenden Verfolgung kann sich nicht nur aus gegen den Betroffenen selbst gerichteten Maßnahmen (Einzelverfolgung), sondern auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen ergeben, wenn diese Dritten wegen eines flüchtlingsschutzrelevanten Merkmals verfolgt werden, das der Betreffende mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet (sog. Gruppenverfolgung). Dabei ist je nach den tatsächlichen Gegebenheiten auch zu berücksichtigen, ob die Verfolgung allein an ein bestimmtes unverfügbares Merkmal wie die Religion anknüpft oder ob für die Bildung der verfolgten Gruppe und die Annahme einer individuellen Betroffenheit weitere Umstände oder Indizien hinzutreten müssen (St. Rspr. BVerwG, u. a. Urteile vom 22.5.2019 ‒ 1 C 11.18 ‒, juris, Rn. 24 f., und vom 20.2.2013 – 10 C 23.12 –, BVerwGE 146, 67 = juris, Rn. 33).
2. Hängt die Verfolgungsgefahr von dem willensgesteuerten Verhalten des Einzelnen – etwa der verbotenen Ausübung des Glaubens in der Öffentlichkeit – ab, so ist für die Gefahrenprognose auf die Gruppe der ihren Glauben trotz der Verbote in gefahrdrohender Weise – regelmäßig in der Öffentlichkeit – praktizierenden Glaubensangehörigen abzustellen. Besteht für die – möglicherweise zahlenmäßig nicht große – Gruppe der ihren Glauben in verbotener Weise praktizierenden Glaubensangehörigen ein reales Verfolgungsrisiko, kann daraus der Schluss gezogen werden, dass auch die Gesamtgruppe derer, für die diese gefahrauslösenden Glaubenspraktiken ein zentrales Element ihrer religiösen Identität darstellen und in diesem Sinne unverzichtbar sind, von den Einschränkungen ihrer Religionsfreiheit in flüchtlingsrechtlich beachtlicher Weise betroffen ist (BVerwG, Urteil vom 20.2.2013 ‒ 10 C 23.12 ‒, BVerwGE 146, 67 = juris, Rn. 33).
3. Die Umstände, unter denen das Gericht die Überzeugung davon gewinnt, ob der Schutzsuchende eine verfolgungsträchtige religiöse Betätigung seines Glaubens für sich selbst als verpflichtend empfindet, um seine religiöse Identität zu wahren, sind grundsätzlich keiner abstrakt-generellen Verallgemeinerung zugänglich. Es handelt sich stets um eine Frage des jeweiligen Einzelfalls (BVerfG, Beschluss vom 3.4.2020 ‒ 2 BvR 1838/15 ‒, juris, Rn. 26 ff., 34).
4. Bei der Rechtsfigur der Gruppenverfolgung handelt es sich lediglich um ein Hilfsmittel, um Rückschlüsse auf die individuelle Verfolgungsgefahr für den jeweiligen Ausländer nicht (oder nicht nur) aus seinem persönlichen Schicksal, sondern aus Maßnahmen gegen die ganze Gruppe zu ziehen, der der Asyl-bewerber angehört. Sie stellt sich somit als eine Beweiserleichterung und nicht etwa als Beweisverschärfung dar (BVerwG, Urteile vom 22.5.2019 – 1 C 11.18 –, juris, Rn. 25, und vom 5.11.1991 – 9 C 118.90 –, BVerwGE 89, 162 = juris, Rn. 16).
5. Ob einem Ausländer in einem anderen Landesteil keine für den internationalen Schutz relevanten Gefahren drohen, ist regelmäßig nur dann entscheidungserheblich, wenn die in einem anderen Landesteil drohenden Gefahren nicht von dem Staat ausgehen. Erwägungsgrund 27 Satz 2 RL 2011/95/EU geht davon aus, dass bei staatlicher Verfolgung eine Vermutung dafür bestehen soll, dass dem Antragsteller kein wirksamer Schutz zur Verfügung steht (BVerwG, Urteil vom 18.2.2021 – 1 C 4.20 –, BVerwGE 171, 300 = juris, Rn. 14).
6. Eine Anzahl oder zahlenmäßige Größenordnung der Ahmadis, die ihren Glauben in strafrechtlich verbotener Weise praktizieren, lässt sich wegen ihrer Kriminalisierung und allgemeinen Bedrohung trotz intensiver Tatsachenermittlung nicht einmal ansatzweise bestimmen.
7. Dennoch lässt bereits die Auswertung der aktuellen Erkenntnisse den ausreichend verlässlichen Schluss zu, dass Ahmadis, die ihren Glauben in Pakistan in strafrechtlich verbotener Weise praktizieren, indem sie sich ihrem Glaubensverständnis entsprechend als Muslime verstehen und nach islamischen Glaubensregeln leben, ohne dies gegenüber der Öffentlichkeit zu verstecken, mit einem real erhöhten Verfolgungsrisiko rechnen müssen.
8. Jedenfalls unter Berücksichtigung der zuletzt verschärften Bedrohungslage kann die Anti-Ahmadiyya-Gesetzgebung sowie die gesamtgesellschaftlich verbreitete feindliche Grundstimmung gegenüber Ahmadis mittlerweile nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu schwerwiegenden bereits flüchtlingsrechtlich relevanten Konsequenzen für diejenigen Ahmadis führen, die sich offen als Ahmadis bekennen und erkennbar als Muslime bezeichnen und deren Verhalten nach den Regeln des Korans öffentlich insbesondere auch Vertretern einer der vielen religiösen Gruppen bekannt wird, die offensiv für die Finalität des Prophetentums und die Reinheit des islamischen Glaubens eintreten.
9. Selbst in Chenab Nagar (= Rabwah), dem geistigen Zentrum der Ahmadis, das zu etwa 95 % von Ahmadis bewohnt ist, sind diese in ihrer Lebensweise ebenso eingeschränkt wie im übrigen Pakistan.
10. Es bestehen keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die Kleinstadt Chenab Nagar (= Rabwah), die für verfolgte Ahmadis in der Vergangenheit vielfach als inländische Fluchtalternative angesehen worden ist, weil ausschließlich hier die ganz überwiegende Bevölkerungsmehrheit aus Ahmadis besteht, noch nennenswerte Aufnahmekapazitäten für neu hinzuziehende Ahmadis hätte.
11. Schutz vor staatlicher, insbesondere strafrechtlicher Verfolgung lässt sich für bedrohte Ahmadis in Pakistan angesichts der aktuellen melderechtlichen Vorgaben nicht mehr in der Anonymität der Großstädte finden.
12. Offen als Muslime auftretenden Ahmadis, die vor nichtstaatlicher Verfolgung fliehen müssen, steht kein interner Schutz zur Verfügung.
Das Berufungsverfahren wird eingestellt, soweit der Kläger seine Berufung hinsichtlich der Anerkennung als Asylberechtigter zurückgenommen hat.
Im Übrigen wird das angefochtene Urteil geändert.
Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 1.8.2013 wird aufgehoben, soweit er dem entgegensteht.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen; Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
2Eigenen Angaben zufolge wurde der Kläger, ein pakistanischer Staatsangehöriger, Volkszugehöriger der Punjabi und Angehöriger der Ahmadiyya, 1967 in Rabwah/Pakistan (heute: Chenab Nagar) geboren, wo er auch zuletzt lebte. Er ist verheiratet und hat fünf Kinder, geboren zwischen 1995 und 2004. Im November 2011 reiste er per Flugzeug in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte am 1.12.2011 die Gewährung von Asyl. Seine Ehefrau und vier Kinder reisten im Mai 2021 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellten ebenfalls Asylanträge.
3Zur Begründung seines Asylantrags führte der Kläger bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am 10.1.2012 aus: Er habe bereits seit zehn oder zwölf Jahren Probleme gehabt. Sie seien nicht mehr auszuhalten gewesen. Im November 2011, etwa eine Woche vor dem Opferfest, sei er zum Markt in L. gegangen, um eine Kuh zu kaufen. Er habe mit dem Verkäufer über den Preis verhandelt, dabei sei es zum Streit gekommen. Andere Leute, die gewusst hätten, dass er ‒ wie auch sein Vater und sein Bruder ‒ Ahmadi sei, seien hinzugekommen und hätten ihn geschlagen. Der Marktbetreiber habe ihn aus der Prügelei herausgezogen und ihn zusammen mit zwei Mitarbeitern von dem Markt zunächst in sein angrenzendes Zelt getragen. Nach einer Weile habe ihn der Marktbetreiber mit dem Auto nach Hause gebracht. Später am Tag habe er den Marktbetreiber telefonisch gebeten, sein Eigentum, hauptsächlich Kühe, zu ihm nach Hause zu schicken, was dieser auch getan habe. Bei ihm habe er sich auch noch einmal erkundigt, wie die Lage sei. Am Dienstag nach dem Opferfest habe er erneut zum Markt gehen wollen. Erst nachdem er sich erneut beim Marktbesitzer telefonisch erkundigt gehabt habe, wie die Lage sei, habe er sich auf den Weg gemacht. Da er unterwegs aber einen Anruf des Marktbesitzers erhalten habe, dass sich zwei Männer auf einem Motorrad nach ihm erkundigt hätten, sei er wieder nach Hause gefahren. Am Freitag seien dann drei Leute in seine Metzgerei gekommen, die ihren Einkauf nicht hätten bezahlen wollen. Sie hätten ihm vorgehalten, er versuche, sie zu missionieren, und mit ihm gestritten. Er habe Angst bekommen und sei nach Hause gegangen. Er habe des Öfteren mitbekommen, dass sich Leute nach ihm erkundigt hätten. Zu seinem Geschäft sei er nicht mehr gegangen, sondern danach ausgereist. Es sei ihm in Pakistan finanziell gut gegangen, aber nicht so gut, dass er seine Familie habe mitbringen können. In Deutschland angekommen habe er sich zuerst zu seiner Schwester begeben.
4Am 27.1.2012 legte der Kläger eine Bescheinigung der Ahmadiyya Muslim Jamaat e. V., Frankfurt a. M., über seine seit Geburt bestehende Mitgliedschaft vor.
5Mit Bescheid vom 1.8.2013 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Antrag des Klägers auf Anerkennung als Asylberechtigter ab, stellte fest, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorlägen, und forderte den Kläger unter Androhung der Abschiebung nach Pakistan auf, die Bundesrepublik Deutschland zu verlassen. Zur Begründung führte es aus, dass dem Kläger das Verfolgungsschicksal bereits deshalb nicht geglaubt werden könne, weil er ‒ obwohl gläubiger Ahmadi ‒ seine Frau und seine Kinder in der Gefahrensituation in der Heimat zurückgelassen habe. Seine Probleme seien in den eklatanten wirtschaftlichen Schwierigkeiten in Pakistan begründet. Er habe auch nicht überzeugend darstellen können, dass er seinem Glauben so eng verbunden sei und diesen sowohl in der Vergangenheit sowie gegenwärtig in einer Weise praktiziere, dass er im Falle seiner Rückkehr nach Pakistan insbesondere von den Einschränkungen für dessen öffentliche Ausübung betroffen wäre.
6Mit seiner Klage hat der Kläger unter Beifügung mehrerer Nachweise über seine Tätigkeit in der örtlichen Gemeinschaft in Deutschland geltend gemacht, er habe bereits in Pakistan seinen Glauben gelebt und in die Öffentlichkeit getragen. Neben den täglichen Gebeten habe er die Gemeinde und deren Gästehaus sowie das Krankenhaus mit Fleisch zum Vorzugspreis beliefert. Er sei in seiner Heimat Beauftragter für Sicherheit bei Bedarf, er habe das Amt des Amooni ausgeübt. Er praktiziere seinen Glauben auch aktiv im Bundesgebiet, er bete, nehme an den lokalen und zentralen Gemeindeveranstaltungen teil und führe Spenden an die Gemeinde ab. Ihm sei die Befolgung der religiösen Identität wichtig, sie werde von ihm als unverzichtbar empfunden. Die Glaubenspraxis sei für ihn ein zentrales Element seiner religiösen Identität. Er sei auf Grund seiner Religionszugehörigkeit einer Gruppenverfolgung ausgesetzt.
7Am 2.9.2015 hat der Kläger eine Mitgliedsbescheinigung der Ahmadiyya Muslim Jamaat e. V., Frankfurt a. M., vom 26.8.2015 vorgelegt, wonach er als gebürtiges Mitglied der Gemeinde regelmäßig an den Gebeten in der Moschee sowie an den lokalen und zentralen Gemeindeveranstaltungen in Deutschland teilnehme und sich ehrenamtlich engagiere.
8In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 11.9.2015 hat der Kläger zu seinem Verfolgungsschicksal vorgetragen: Er sei von Beruf Metzger. Im Jahr 2011 an einem Dienstag, etwa zwei Wochen vor seiner Ausreise, sei er auf dem Großmarkt gewesen und dort von mehreren, ihm unbekannten Personen beschimpft worden. Einer von ihnen habe ihm eine Backpfeife gegeben. Sie hätten Streit mit ihm gesucht, weil er Ahmadi sei, was jeder auf dem Markt gewusst habe. Mehrere Leute hätten ihn geschlagen, er sei bewusstlos geworden. Einer von den 15 bis 16 Marktbetreibern habe ihn im Auto von dem Markt weggebracht. Am nächsten Dienstag habe er den Marktbetreiber gefragt, ob er wieder auf den Markt kommen könne. Ihm sei geraten worden, eine Woche zu warten. Nach einer Woche habe ihn der Marktbetreiber angerufen und ihm von einem Marktbesuch abgeraten, weil ihn Islamisten auf zwei bis drei Motorrädern suchten. Er sei dann wieder von seinem Weg zum Markt umgekehrt. An dem folgenden Freitag seien zwei Kunden in seine Metzgerei gekommen, die Fleisch bei ihm gekauft hätten. Er habe das Geschäft verlassen, weil er gemerkt habe, dass etwas mit ihnen nicht stimme. Von den Besitzern der Nachbargeschäfte habe er erfahren, dass danach fünf bis sechs Leute zu seinem Geschäft gekommen seien, die ihn hätten ermorden wollen. Er habe sich sodann zuhause versteckt. Am 22. oder 23.11. sei er mit Hilfe des Schleppers, den sein Bruder gekannt habe, nach Islamabad gereist. Von dort aus sei er zusammen mit dem Schlepper, der alle Dokumente dabeigehabt habe, nach Frankfurt geflogen, wo ihm der Schlepper die Dokumente abgenommen habe. Er sei dann in ein Taxi nach E. gesetzt worden. Dort lebe seine Schwester. Er telefoniere ein- bis zweimal in der Woche mit seiner Familie und schicke ihnen das Geld vom Sozialamt. Als Oberhaupt der Familie habe er die meisten Probleme, vollständig sicher seien seine Frau und Kinder aber auch nicht. Dass die Leute, die in sein Geschäft gekommen seien, ihm Missionierung vorgehalten hätten, sei Taktik von ihnen gewesen, um ihn unter Druck zu setzen.
9Mit Blick auf seine Glaubensausübung hat er vorgetragen: In der Heimat habe er zusammen mit einem Bruder und zwei Angestellten Feste, Veranstaltungen und Sitzungen der Ahmadis in Rabwah organisiert, bei größeren Festen hätten auch noch Freiwillige mitgeholfen. Aber hauptsächlich seien sein Bruder und er sowie die zwei Angestellten tätig gewesen. Seine Aufgabe sei das Einkaufen, Kochen und Verteilen der Speisen gewesen. Alle Ahmadi-Mitglieder hätten in die Gemeindekasse eingezahlt. In Rabwah hätten sie eine große Halle gehabt, in der jeden Tag 500 bis 1.000 Menschen hätten essen können. Er habe das Fleisch aus seiner Metzgerei der Gemeinde günstiger verkauft. Zudem habe er fünfmal am Tag gebetet und ältere Leute zum Gebetshaus gebracht. In Deutschland gehe er in D. jeden Freitag in die Gebetshalle, ansonsten bete er zuhause. Er sei auch in andere Städte zu Versammlungen gefahren, insbesondere zu der jeweiligen Jahresversammlung; dort sei er entweder als Metzger oder aber als Helfer tätig. Er beteilige sich auch an der Stadtreinigung, insbesondere an Neujahr, und säubere Zimmer in Altenheimen. Bei einer Rückkehr nach Pakistan befürchte er, ermordet zu werden.
10Der Kläger hat durch Bezugnahme auf den Antrag aus der Klageschrift sinngemäß beantragt,
11die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des Bescheids des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 1.8.2013 zu verpflichten,
12ihn als Asylberechtigten anzuerkennen,
13ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,
14subsidiären Schutz gemäß § 4 AsylVfG zuzuerkennen und
15festzustellen, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG vorliegen.
16Die Beklagte hat unter Bezugnahme auf die Gründe des angefochtenen Bescheids schriftsätzlich beantragt,
17die Klage abzuweisen.
18Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger sei weder als Asylberechtigter anzuerkennen noch sei ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Er sei unverfolgt ausgereist. Seine Mitgliedschaft in der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft führe nicht zu einer Gruppenverfolgung. Zwar würden die Ahmadis durch eine speziell gegen sie gerichtete Gesetzgebung diskriminiert und seien Übergriffen seitens extremer religiöser Gruppierungen ausgesetzt. Jedoch könne nicht davon ausgegangen werden, dass für jeden einzelnen Ahmadi konkret die Gefahr bestehe, im obigen Sinne verfolgt oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Vielmehr lebe der weitaus größte Teil der Ahmadis friedlich mit den muslimischen Nachbarn zusammen. Es bestünden bereits Zweifel, ob der Kläger individuell Angriffen, die den Charakter von Verfolgungshandlungen erreicht hätten, ausgesetzt gewesen sei. Es erschließe sich dem Gericht nicht, dass die vom Kläger vorgebrachten Vorkommnisse um das Opferfest ihn in eine ausweglose Lage gebracht haben könnten. Zudem habe es sich bei diesen Vorkommnissen – das Vorbringen als wahr unterstellt – um strafbare Handlungen privater Dritter gehandelt, hinsichtlich derer sich der Kläger nicht an die Polizei gewandt habe. Auch aus seinem aktiven Praktizieren des Glaubens in Deutschland ergebe sich keine Verfolgungswahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr nach Pakistan. Daran anknüpfend seien weder die Voraussetzungen für die Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylVfG noch Anhaltspunkte für Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG gegeben.
19Mit der vom Senat zugelassenen Berufung macht der Kläger geltend, er könne sein Schutzbegehren neben den erlittenen Feindseligkeiten in Pakistan darauf stützen, dass er eine religiös geprägte Persönlichkeit sei und seinen Glauben in Pakistan engagiert gelebt und in die Öffentlichkeit getragen habe. Er habe seine persönlichen Glaubenspflichten erfüllt und lebenswichtige Produkte an die Ahmadiyya-Gemeinde zu Vorzugspreisen geliefert. Er hätte seinen Glauben auch gerne umfassend in der Öffentlichkeit gelebt, was ihm aber angesichts der entsprechenden Strafgesetze untersagt gewesen sei. Dadurch, dass man die Ahmadis 1974 zu Nicht-Muslimen erklärt habe, sei ihm die religiöse und moralische Identität genommen worden. Er habe sich als Mensch zweiter Klasse gefühlt. In der Bundesrepublik habe er die Möglichkeit erhalten, seinen Glauben frei und in der Öffentlichkeit zu leben. Er komme seinen persönlichen Glaubenspflichten nach, indem er regelmäßig bete und die Fastenzeit beachte. Darüber hinaus bringe er sich in seine Religionsgemeinde ein, indem er einen erheblichen Teil der ihm zur Verfügung stehenden Zeit dafür aufwende, den Glauben auszuüben und die Belange der Religionsgemeinschaft durch entsprechenden Einsatz zu fördern. Er habe an Großveranstaltungen teilgenommen und sich an Aktivitäten des Sozialdienstes Waqar-e-Amal beteiligt. Er berufe sich nicht auf eine Gruppenverfolgung der Ahmadis, sondern darauf, dass ihm persönlich als religiös geprägtem Mitglied der Glaubensgemeinschaft bei Rückkehr nach Pakistan religiöse Verfolgung drohe.
20Nach Rücknahme der Berufung hinsichtlich der ursprünglich begehrten Anerkennung als Asylberechtigter beantragt der Kläger,
21das auf die mündliche Verhandlung vom 11.9.2015 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Münster abzuändern und die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 1.8.2013 zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hilfsweise ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG festzustellen.
22Die Beklagte beantragt,
23die Berufung zurückzuweisen.
24Sie führt ergänzend aus, der Kläger könne sich nicht auf Grund seiner Zugehörigkeit zu der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft auf eine Gruppenverfolgung in Pakistan berufen. Die Bevölkerungszahl in Pakistan werde auf über 240 Millionen Menschen geschätzt; davon seien ca. 96 % Muslime. Verlässliche Angaben zu der Zahl der Ahmadis in Pakistan gebe es nicht. Die Ahmadiyya-Gemeinschaft werde von der Mehrheitsrichtung der Muslime und nach der pakistanischen Verfassung nicht als muslimisch anerkannt, sondern als religiöse Minderheit betrachtet. Die konkret auf sie zielenden Strafvorschriften, nach denen Ahmadis bestraft würden, die sich als Muslime und ihre Gebetshäuser als Moscheen bezeichneten oder sich wie Muslime verhielten, würden immer wieder zum Anlass genommen, um persönliche Streitigkeiten auszutragen oder die Ahmadis unter Druck zu setzen. Nicht selten würden Ermittlungsverfahren um den mit Todesstrafe bewährten Vorwurf der Blasphemie erweitert. Ahmadis verbrächten häufig lange Zeit als Angeklagte in Haft, zu einer Verurteilung mit Hinrichtung sei es bislang jedoch noch nie gekommen. Die Vorschriften würden nicht ausschließlich auf Ahmadis angewandt, auch Christen und Muslime befänden sich unter den Angeschuldigten. Neben den staatlichen Restriktionen komme es immer wieder zu Übergriffen von Privaten gegen Ahmadis, vor denen die Polizei keinen ausreichenden Schutz gewähre. Für eine Annahme der Gruppenverfolgung fehle jedoch die entsprechende Verfolgungsdichte unter Berücksichtigung der Angriffe auf Ahmadis und ihrer Anzahl von 500.000 bis vier Millionen Menschen. Der weitaus größte Teil der Ahmadis lebe friedlich mit den muslimischen Nachbarn zusammen.
25Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung einer Auskunft des Auswärtigen Amts, der Ahmadiyya Muslim Jamaat Deutschland KdöR, von amnesty international, des Deutschen Orient-Instituts, der Schweizerischen Flüchtlingshilfe sowie des UNHCR. Auf die Beweisbeschlüsse und Aufklärungsverfügungen vom 9.9.2021, vom 15.9.2021 und vom 16.9.2021 sowie die hierauf eingegangenen Auskünfte und Antworten wird Bezug genommen.
26Desweiteren hat das Gericht den Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 21.9.2023 informatorisch angehört. Er hat im Wesentlichen vorgetragen: Sein vollständiger Name sei P.. Er habe bis zu seiner Ausreise in Rabwah in der G.-straße Hausnummer 0/00 im Viertel F. gewohnt. Dort habe seine Ehefrau bis zu ihrer Flucht weiterhin gelebt. Er habe zunächst von seinem Großvater und Vater den Metzgerladen in der Z.-straße übernommen. Gegenüber seinem Laden habe sich eine Moschee von Sunniten und ein Ort für ein Komitee befunden, von wo aus per Lautsprecher schlechte Dingen über seinen Glauben verbreitet worden seien. Bei jeder dortigen Versammlung habe er seinen Laden schließen müssen. Später habe er einen neuen Laden in der Nähe des Bahnübergangs in dem I. Markt an der B.-straße eröffnet ‒ heute befinde sich dort seines Wissens ein Geschirrladen. Er sei zum Erwerb von Tieren auf einen etwa 40 km von Rabwah entfernten Tiermarkt in L. gegangen. Dort sei er jedes Mal von Mullahs als Qadiani beschimpft worden. Man habe ihn als Ahmadi erkannt, weil er beim Bezahlen von Waren seinen Herkunftsort habe bekanntgeben müssen. Als er nachgefragt habe, warum man ihn beleidige, seien sechs bis sieben Personen, darunter eine oder zwei, die wie Mullahs ausgesehen hätten, über ihn hergefallen. Der Inhaber des Markts habe ihn aufgehoben und seinen Fahrer beauftragt, ihn in Sicherheit zu bringen. Nach 20 km Fahrt sei er wieder zu sich gekommen, seine Kleidung sei zerrissen gewesen. An einem Freitag seien zwei oder drei Personen in seinen Laden gekommen, die Fleisch gekauft, aber nicht den vollen Preis hätten zahlen wollen. Sie hätten mit ihm gestritten und im Wegfahren auf dem Motorrad gedroht, sie würden ihn wieder treffen. Er sei aus Angst nach Hause gegangen. Dort habe ihn der Inhaber des benachbarten Marktstands angerufen und ihm berichtet, dass fünf bis sechs Personen ihn gesucht hätten. Deswegen sei er zur Polizei gegangen, dort sei jedoch keine Anzeige aufgenommen worden. Man habe nur erklärt, sich das ansehen zu wollen. Seine Familie habe bereits nach dem Vorfall auf dem Tiermarkt Angst um ihn gehabt. Nachdem er gemerkt habe, dass er auch in Rabwah nicht sicher sei, sei er ausgereist. Zu seiner Religionsausübung in Pakistan hat der Kläger im Wesentlichen erklärt, er habe sich wegen der Strafgesetze nicht über seine Religion äußern, nicht einmal den Gebetsruf verwenden dürfen. Veranstaltungen, die es früher gegeben habe, hätten plötzlich nicht mehr stattfinden können. Wenn er jemandem den Friedensgruß erwiesen hätte, dann wäre er dafür bestraft worden mit einer Freiheitsstrafe von drei Jahren. Gebetet habe er trotzdem und versucht, die Gebote des Korans zu befolgen. Deswegen sei er drei- bis viermal täglich in der Moschee gewesen. Verheimlichen könne man nicht, dass sie in der Moschee gebetet hätten. Sie seien aber durch einen Sicherheitsdienst bewacht und beschützt worden. Seine Gebete, die ihm niemand verbieten könne, lasse er nicht aus. Manchmal habe er auch an öffentlichen Orten gebetet, wenn er dort etwa zum Schlachten zu den Gebetszeiten gewesen sei. In Pakistan habe er einen Koran gehabt und darin gelesen. Den Koran lese er bis heute. Er sehe sich als Moslem, obwohl die pakistanische Verfassung Ahmadis nicht als Moslems verstehe. Vor seiner Ausreise habe er auch nach den Regeln des Korans geschlachtet, weil der Koran ihm sage, wie er dies tun solle. Deswegen habe er seinerzeit noch keine Probleme gehabt. Heute dürften Ahmadis keine Opfertiere mehr schlachten, so dass sein Cousin und sein Bruder deswegen letztes Jahr angezeigt worden seien. In Pakistan habe er kein Amt in der Gemeinde gehabt, die Ahmadia-Gemeinden aber mit Fleisch beliefert und auch die Einrichtung beliefert, in der Essen ausgegeben werde. Eine besondere Erklärung zur Eintragung seiner Religionsangehörigkeit als Ahmadi habe er damals anders als heute noch nicht abgeben müssen. In Deutschland übe er das Amt des Amooni aus, seit 2015 sei er der Gemeinde als Mußi durch ein besonderes Treuegelübde und weitere Bedingungen verbunden, die er zu erfüllen versuche. Wegen der weiteren Einzelheiten zu seinen Angaben wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
27Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten (eine Papierakte, eine elektronische Akte), der von der Beklagten über den Kläger, seine Ehefrau und die Kinder J., geb. 00.0.0000, A., geb. 00.0.0000, X., geb. 00.00.0000, und V., geb. 00.0.0000, geführten Verwaltungsvorgänge, des von der Ausländerbehörde des Kreises O. beigezogenen Verwaltungsvorgangs des Klägers sowie der in das Verfahren eingeführten Erkenntnisse verwiesen.
28Entscheidungsgründe:
29Das Berufungsverfahren ist hinsichtlich des Begehrens des Klägers auf Anerkennung als Asylberechtigter (Art. 16a Abs. 1 GG) einzustellen. Der Kläger hat nach Rücknahme seines Asylantrags im August 2023 die Berufung in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat insoweit zurückgenommen (§ 126 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
30Die im Übrigen aufrecht erhaltene Berufung ist zulässig und begründet.
31Nr. 2 und 4 des Bescheids des Bundesamts vom 1.8.2013 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der Kläger hat einen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG (unter A.). Die Abschiebungsandrohung in dem Bescheid des Bundesamts ist deshalb aufzuheben (unter B.).
32A. Nach den zur Beurteilung heranzuziehenden rechtlichen Maßstäben (unter I.) und unter Berücksichtigung der allgemeinen herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisse über flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung aus religiösen Gründen (unter II.) droht dem Kläger als Ahmadi, der sich selbst als Moslem ansieht, nach den Regeln des Korans lebt und bereits vor seiner Flucht als solcher in der Öffentlichkeit aufgefallen und substantiell angegriffen worden war, bei Rückkehr nach Pakistan mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit religiös motivierte Verfolgung (unter III.). Ihm stand und steht hiergegen in Pakistan keine anderweitige Schutzmöglichkeit durch Inanspruchnahme eines Schutzes durch Akteure gemäß § 3d AsylG oder durch Niederlassung in einem anderen Landesteil gemäß § 3e AsylG zur Verfügung (unter IV.).
33I. Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des Klagebegehrens ist nach § 77 Abs. 1 AsylG die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung, mithin das Asylgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 2.9.2008 (BGBl. I S. 1798), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes zur Beschleunigung der Asylgerichtsverfahren und Asylverfahren vom 21.12.2022 (BGBl. I S. 2817), ‒ AsylG ‒ und das Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz ‒ AufenthG ‒) in der Fassung der Bekanntmachung vom 25.2.2008 (BGBl. I S. 162), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 16.8.2023 (BGBl. I Nr. 217). Diese Bestimmungen beruhen auf der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Neufassung) (ABl. L 337 vom 20.12.2011, S. 9, ber. ABl. 2017 L 167 vom 30.6.2017, S. 58, nachfolgend RL 2011/95/EU) sowie der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.4.2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 304 vom 30.9.2004, S. 12 ff., nachfolgend RL 2004/83/EG).
34Nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 und 2 Buchst. a AsylG ist ‒ im Einklang mit dem unionsrechtlichen und dem internationalen Flüchtlingsrecht ‒ ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28.7.1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560) – Genfer Flüchtlingskonvention (GK) –, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe – vgl. zur Definition dieser Begriffe § 3b Abs. 1 AsylG – außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.
35Als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG gelten zunächst Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention vom 4.11.1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) – EMRK – keine Abweichung zulässig ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG), ferner Handlungen, die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen bestehen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG).
36Vgl. BVerwG, Urteile vom 19.1.2023 ‒ 1 C 35.21 ‒, juris, Rn. 19, und vom 4.7.2019 ‒ 1 C 33.18 ‒, juris, Rn. 10 f.
37§ 3a Abs. 2 AsylG nennt als mögliche Verfolgungshandlungen beispielhaft u. a. gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden sowie unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung. Dabei muss gemäß § 3a Abs. 3 AsylG zwischen den Verfolgungsgründen im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 3b AsylG und den Verfolgungshandlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen.
38In die nach § 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG und Art. 9 Abs. 1 Buchst. b RL 2011/95/EU erforderliche Gesamtbetrachtung können insbesondere verschiedenartige Diskriminierungen gegenüber den Angehörigen einer bestimmten Glaubensgemeinschaft einbezogen werden, z. B. beim Zugang zu Bildungs- oder Gesundheitseinrichtungen, aber auch existenzielle berufliche oder wirtschaftliche Einschränkungen. Die einzelnen Eingriffshandlungen müssen nicht für sich allein die Qualität einer Menschenrechtsverletzung aufweisen, in ihrer Gesamtheit aber eine Betroffenheit des Einzelnen bewirken, die der Eingriffsintensität einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung im Sinne von § 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG und Art. 9 Abs. 1 Buchst. a RL 2011/95/EU entspricht.
39Vgl. BVerwG, Urteil vom 20.2.2013 – 10 C 23.12 –, BVerwGE 146, 67 = juris, Rn. 36.
40Zu dem Verfolgungsgrund der Religion im Sinne der §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 3b Abs. 1 Nr. 2 AsylG hat das Bundesverwaltungsgericht im Jahr 2013 unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs grundsätzlich sowie konkret in Bezug auf die Verfolgungsgefahr von Ahmadis in Pakistan Folgendes ausgeführt:
41„2.3 Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat auf Vorlage des Senats durch Urteil vom 5. September 2012 (– Rs. C-71/11 und C-99/11 –, ABl EU 2012, Nr. C 331, 5 = juris, Rn. 57 ff.) entschieden, unter welchen Voraussetzungen Eingriffe in die Religionsfreiheit als Verfolgungshandlungen im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie angesehen werden können.
422.3.1 Der Gerichtshof sieht in dem in Art. 10 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GR-Charta) verankerten Recht auf Religionsfreiheit ein grundlegendes Menschenrecht, das eines der Fundamente einer demokratischen Gesellschaft darstellt und Art. 9 EMRK entspricht. Ein Eingriff in das Recht auf Religionsfreiheit kann so gravierend sein, dass er einem der in Art. 15 Abs. 2 EMRK genannten Fälle gleichgesetzt werden kann, auf die Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie als Anhaltspunkt für die Feststellung verweist, welche Handlungen insbesondere als Verfolgung gelten (EuGH a.a.O. Rn. 57). Allerdings stellt nicht jeder Eingriff in das durch Art. 10 Abs. 1 GR-Charta garantierte Recht auf Religionsfreiheit eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie dar (Rn. 58). Zunächst muss es sich um eine Verletzung dieser Freiheit handeln, die nicht durch gesetzlich vorgesehene Einschränkungen der Grundrechtsausübung im Sinne von Art. 52 Abs. 1 GR-Charta gedeckt ist. Weiterhin muss eine schwerwiegende Rechtsverletzung vorliegen, die den Betroffenen erheblich beeinträchtigt (Rn. 59). Das setzt nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie voraus, dass die Eingriffshandlungen einer Verletzung der grundlegenden Menschenrechte gleichkommen, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK in keinem Fall abgewichen werden darf (Rn. 61).
432.3.2 Zu den Handlungen, die nach der Rechtsprechung des EuGH eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie darstellen können, gehören nicht nur gravierende Eingriffe in die Freiheit des Antragstellers, seinen Glauben im privaten Rahmen zu praktizieren, sondern auch solche in seine Freiheit, diesen Glauben öffentlich zu leben. Der Gerichtshof hält es mit der weiten Definition des Religionsbegriffs in Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie nicht für vereinbar, die Beachtlichkeit einer Verletzungshandlung danach zu beurteilen, ob diese in einen Kernbereich der privaten Glaubensbetätigung (forum internum) oder in einen weiteren Bereich der öffentlichen Glaubensausübung (forum externum) eingreift (Rn. 62 f.). Der Senat folgt dieser Auslegung und hält daher an der vor Inkrafttreten der Richtlinie 2004/83/EG vertretenen, hiervon abweichenden Rechtsauffassung für den Flüchtlingsschutz (vgl. Urteil vom 20. Januar 2004 ‒ BVerwG 1 C 9.03 ‒ BVerwGE 120, 16 <19 ff.>) nicht mehr fest. Folglich ist bei der Bestimmung der Handlungen, die aufgrund ihrer Schwere verbunden mit der ihrer Folgen für den Betroffenen als Verfolgung gelten können, nicht darauf abzustellen, in welche Komponente der Religionsfreiheit eingegriffen wird, sondern auf die Art der ausgeübten Repressionen und ihre Folgen für den Betroffenen (Rn. 65 mit Verweis auf Rn. 52 der Schlussanträge des Generalanwalts).
44Ob eine Verletzung des durch Art. 10 Abs. 1 der GR-Charta garantierten Rechts eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie darstellt, richtet sich danach, wie gravierend die Maßnahmen und Sanktionen sind, die gegenüber dem Betroffenen ergriffen werden oder ergriffen werden können. Demnach kann es sich bei einer Verletzung des Rechts auf Religionsfreiheit um eine Verfolgung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie handeln, wenn der Asylbewerber aufgrund der Ausübung dieser Freiheit in seinem Herkunftsland u. a. tatsächlich Gefahr läuft, durch einen der in Art. 6 der Richtlinie genannten Akteure strafrechtlich verfolgt oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (Rn. 67). Der Gerichtshof verwendet in der verbindlichen deutschen Sprachfassung des Urteils (vgl. Art. 41 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs vom 25. September 2012, ABI L 265/1 vom 29. September 2012) zwar nur den Begriff ‚verfolgt‘, ohne dies ausdrücklich auf eine strafrechtliche Verfolgung zu beziehen. Es wäre jedoch zirkulär, den Begriff der ‚asylerheblichen Verfolgung‘ durch ‚Verfolgung‘ zu definieren. Dafür spricht zudem ein Vergleich der deutschen mit der französischen, englischen und italienischen Fassung des Urteils. In allen drei zum Vergleich herangezogenen Sprachfassungen ist von strafrechtlicher Verfolgung die Rede. Darüber hinaus ist auch die im Fall der Religionsausübung drohende Gefahr einer Verletzung von Leib und Leben sowie der (physischen) Freiheit hinreichend schwerwiegend, um die Verletzung der Religionsfreiheit als Verfolgungshandlung zu bewerten.
452.3.3 Ein hinreichend schwerer Eingriff in die Religionsfreiheit gemäß Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie setzt nicht voraus, dass der Ausländer seinen Glauben nach Rückkehr in sein Herkunftsland tatsächlich in einer Weise ausübt, die ihn der Gefahr der Verfolgung aussetzt. Vielmehr kann bereits der unter dem Druck der Verfolgungsgefahr erzwungene Verzicht auf die Glaubensbetätigung die Qualität einer Verfolgung erreichen. Das ergibt sich insbesondere aus der Aussage des Gerichtshofs in Rn. 69, dass schon das Verbot der Teilnahme an religiösen Riten im öffentlichen Bereich eine hinreichend gravierende Handlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie und somit eine Verfolgung darstellen kann, wenn der Verstoß dagegen die tatsächliche Gefahr der dort genannten Sanktionen und Konsequenzen heraufbeschwört. Kann Verfolgung somit schon in dem Verbot als solchem liegen, kommt es auf das tatsächliche künftige Verhalten des Asylbewerbers und daran anknüpfende Eingriffe in andere Rechtsgüter des Betroffenen (z. B. in Leben oder Freiheit) letztlich nicht an.
46Diesem Verständnis der Entscheidung, das den Flüchtlingsschutz gegenüber der früheren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vorverlagert, steht nicht entgegen, dass der Gerichtshof in seinen Ausführungen auf die Gefahr abstellt, die dem Ausländer bei ‚Ausübung dieser Freiheit‘ (Rn. 67 und 72) bzw. der ‚religiösen Betätigung‘ (Rn. 73, 78 und 79 f.) droht. Denn damit nimmt dieser lediglich den Wortlaut der entsprechenden Vorlagefragen 2a und 3 des Senats auf, ohne dass darin eine notwendige Voraussetzung für die Flüchtlingsanerkennung liegt. Könnte nicht schon das Verbot bestimmter Formen der Religionsausübung eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie darstellen, blieben Betroffene gerade in solchen Ländern schutzlos, in denen die angedrohten Sanktionen besonders schwerwiegend und so umfassend sind, dass sich Gläubige genötigt sehen, auf die Glaubenspraktizierung zu verzichten (so auch Lübbe, ZAR 2012, 433 <437>). Diese Erstreckung auch auf einen erzwungenen Verzicht entspricht dem Verständnis des britischen Upper Tribunal (Immigration and Asylum Chamber) in seinem Grundsatzurteil vom 14. November 2012 (- MN and others [2012] UKUT 00389(IAC) Rn. 79) betreffend die religiöse Verfolgung von Ahmadis in Pakistan und dem Urteil des Supreme Court of the United Kingdom betreffend die Verfolgung wegen Homosexualität vom 7. Juli 2010 (HJ <Iran> <FC> <Appelat> v. Secretary of State for the Home Department [2010] UKSC 31 Rn. 82). Der Senat folgt dieser Auslegung und hält daher an seiner vor Inkrafttreten der Richtlinie 2004/83/EG vertretenen, hiervon abweichenden Rechtsauffassung (vgl. Urteil vom 20. Januar 2004 a.a.O.) nicht mehr fest.
472.3.4 Nach der Rechtsprechung des EuGH hängt die Beurteilung, wann eine Verletzung der Religionsfreiheit die erforderliche Schwere aufweist, um die Voraussetzungen einer Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie zu erfüllen, von objektiven wie auch subjektiven Gesichtspunkten ab (Rn. 70). Objektive Gesichtspunkte sind insbesondere die Schwere der dem Ausländer bei Ausübung seiner Religion drohenden Verletzung anderer Rechtsgüter wie z. B. Leib und Leben. Die erforderliche Schwere kann insbesondere dann erreicht sein, wenn dem Ausländer durch die Teilnahme an religiösen Riten in der Öffentlichkeit die Gefahr droht, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (siehe oben Ziff. 2.3.2). Bei strafrechtsbewehrten Verboten kommt es insoweit maßgeblich auf die tatsächliche Strafverfolgungspraxis im Herkunftsland des Ausländers an, denn ein Verbot, das erkennbar nicht durchgesetzt wird, begründet keine erhebliche Verfolgungsgefahr (so auch Generalanwalt Bot in seinen Schlussanträgen vom 19. April 2012 (Rs. C-71/11 und C-99/11, Rn. 82).
48Als relevanten subjektiven Gesichtspunkt für die Schwere der drohenden Verletzung der Religionsfreiheit sieht der Gerichtshof den Umstand an, dass für den Betroffenen die Befolgung einer bestimmten gefahrträchtigen religiösen Praxis in der Öffentlichkeit zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist (Rn. 70). Denn der Schutzbereich der Religion erfasst sowohl die von der Glaubenslehre vorgeschriebenen Verhaltensweisen als auch diejenigen, die der einzelne Gläubige für sich selbst als unverzichtbar empfindet (Rn. 71). Dabei bestätigt der EuGH die Auffassung des Senats, dass es auf die Bedeutung der religiösen Praxis für die Wahrung der religiösen Identität des einzelnen Ausländers ankommt, auch wenn die Befolgung einer solchen religiösen Praxis nicht von zentraler Bedeutung für die betreffende Glaubensgemeinschaft ist (vgl. Beschluss vom 9. Dezember 2010 ‒ BVerwG 10 C 19.09 ‒ BVerwGE 138, 270 Rn. 43). Dem Umstand, dass die konkrete Form der Glaubensbetätigung (z. B. Missionierung) nach dem Selbstverständnis der Glaubensgemeinschaft, der der Schutzsuchende angehört, zu einem tragenden Glaubensprinzip gehört, kann dabei eine indizielle Wirkung zukommen. Maßgeblich ist aber, wie der einzelne Gläubige seinen Glauben lebt und ob die verfolgungsträchtige Glaubensbetätigung für ihn persönlich nach seinem Glaubensverständnis unverzichtbar ist.
49Der vom EuGH entwickelte Maßstab, dass die Befolgung einer bestimmten religiösen Praxis zur Wahrung der religiösen Identität besonders wichtig ist, setzt nach dem Verständnis des Senats nicht voraus, dass der Betroffene innerlich zerbrechen oder jedenfalls schweren seelischen Schaden nehmen würde, wenn er auf eine entsprechende Praktizierung seines Glauben verzichten müsste (vgl. zu den strengeren Maßstäben der Rechtsprechung zur Gewissensnot von Kriegsdienstverweigerern: Urteil vom 1. Februar 1982 ‒ BVerwG 6 C 126.80 ‒ BVerwGE 64, 369 <371> m. w. N.). Jedoch muss die konkrete Glaubenspraxis für den Einzelnen ein zentrales Element seiner religiösen Identität und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar sein. Es reicht nicht aus, dass der Asylbewerber eine enge Verbundenheit mit seinem Glauben hat, wenn er diesen ‒ jedenfalls im Aufnahmemitgliedstaat ‒ nicht in einer Weise lebt, die ihn im Herkunftsstaat der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde. Maßgeblich für die Schwere der Verletzung der religiösen Identität ist die Intensität des Drucks auf die Willensentscheidung des Betroffenen, seinen Glauben in einer für ihn als verpflichtend empfundenen Weise auszuüben oder hierauf wegen der drohenden Sanktionen zu verzichten. Die Tatsache, dass er die unterdrückte religiöse Betätigung seines Glaubens für sich selbst als verpflichtend empfindet, um seine religiöse Identität zu wahren, muss der Asylbewerber zur vollen Überzeugung des Gerichts nachweisen (so schon Beschluss vom 9. Dezember 2010 a. a. O. Rn. 43).
50Die religiöse Identität als innere Tatsache lässt sich nur aus dem Vorbringen des Asylbewerbers sowie im Wege des Rückschlusses von äußeren Anhaltspunkten auf die innere Einstellung des Betroffenen feststellen. Dafür ist das religiöse Selbstverständnis eines Asylbewerbers grundsätzlich sowohl vor als auch nach der Ausreise aus dem Herkunftsland von Bedeutung. Bei Ahmadis aus Pakistan ist zunächst festzustellen, ob und seit wann sie der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft angehören. Hierbei dürfte sich die Einholung einer Auskunft der Zentrale der Glaubensgemeinschaft in Deutschland anbieten, die ihrerseits auf die Erkenntnisse des Welt-Headquarters in London ‒ insbesondere zur religiösen Betätigung des Betroffenen in Pakistan ‒ zurückgreifen kann (so auch das britische Upper Tribunal in seinem Urteil vom 14. November 2012 a. a. O. Leitsatz 5). Nähere Feststellungen über die religiöse Betätigung eines Ausländers vor seiner Ausreise verringern auch das Risiko einer objektiv unzutreffenden Zuordnung zu einer Glaubensgemeinschaft (s. a. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 2. November 2012, S. 14). Zusätzlich kommt die Befragung eines Vertreters der lokalen deutschen Ahmadi-Gemeinde in Betracht, der der Asylbewerber angehört. Schließlich erscheint im gerichtlichen Verfahren eine ausführliche Anhörung des Betroffenen im Rahmen einer mündlichen Verhandlung in aller Regel unverzichtbar. Wenn das Gericht zu dem Ergebnis kommt, dass der Kläger seinen Glauben in Pakistan nicht in einer in die Öffentlichkeit wirkenden Weise praktiziert hat, sind die Gründe hierfür aufzuklären. Denn der Verzicht auf eine verfolgungsrelevante Glaubensbetätigung im Herkunftsland kennzeichnet die religiöse Identität eines Gläubigen dann nicht, wenn er aus begründeter Furcht vor Verfolgung erfolgte. Ergibt die Prüfung, dass der Kläger seinen Glauben in Deutschland nicht in einer Weise praktiziert, die ihn in Pakistan der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde, spricht dies regelmäßig dagegen, dass eine solche Glaubensbetätigung für seine religiöse Identität prägend ist, es sei denn, der Betroffene kann gewichtige Gründe hierfür vorbringen. Praktiziert er seinen Glauben hingegen in entsprechender Weise, ist weiter zu prüfen, ob diese Form der Glaubensausübung für den Kläger zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist und nicht etwa nur deshalb erfolgt, um die Anerkennung als Flüchtling zu erreichen.
512.3.5 Das Verbot einer öffentlichen religiösen Betätigung als solches kann aber nur dann als hinreichend schwere Verletzung der Religionsfreiheit und damit als Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie angesehen werden, wenn der Asylbewerber ‒ über die soeben genannten objektiven und subjektiven Gesichtspunkte hinaus ‒ bei Ausübung der verbotenen öffentlichkeitswirksamen Glaubensausübung in seinem Herkunftsland tatsächlich Gefahr läuft, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden.“
52Vgl. BVerwG, Urteil vom 20.2.2013 ‒ 10 C 23.12 ‒, BVerwGE 146, 67 = juris, Rn. 22 ff.
53Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer bei einer hypothetisch zu unterstellenden Rückkehr die genannten Gefahren auf Grund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr („real risk“) abstellt; das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit. Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann.
54St. Rspr. vgl. BVerwG, Urteile vom 4.7.2019 ‒ 1 C 33.18 ‒, juris, Rn. 15, vom 1.6.2011 ‒ 10 C 25.10 ‒, BVerwGE 140, 22 = juris, Rn. 22, 24, m. w. N., vom 20.2.2013 ‒ 10 C 23.12 ‒, BVerwGE 146, 67 = juris, Rn. 32, und vom 5.11.1991 ‒ 9 C 118.90 ‒, BVerwGE 89, 162 = juris, Rn. 17.
55Bereits wegen eines relevanten Verfolgungsgrunds Vorverfolgte werden nach den unionsrechtlichen Vorgaben nicht über einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab, sondern über die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU privilegiert.
56Vgl. BVerwG, Urteil vom 4.7.2019 ‒ 1 C 33.18 ‒, juris, Rn. 16, sowie zur gleichlautenden Regelung in Art. 4 Abs. 4 der RL 2004/83/EG BVerwG, Urteil vom 1.6.2011 ‒ 10 C 25.10 ‒, BVerwGE 140, 22 = juris, Rn. 22, und Beschluss vom 6.7.2012 – 10 B 17.12 –, juris, Rn. 5, im Anschluss an EuGH, Urteil vom 2.3.2010 – C-175/08 u. a., Abdulla u. a. –, ECLI:EU:C:2010:105, juris, Rn. 94.
57Danach ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden ernsthaft bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird (vgl. Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG bzw. RL 2011/95/EU); es besteht die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Den in der Vergangenheit liegenden Umständen wird Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft beigelegt. Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadenstiftenden Umstände bei Rückkehr in sein Heimatland wiederholen werden. Diese Vermutung kann aber widerlegt werden; hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften. Diese Beurteilung obliegt tatrichterlicher Würdigung im Rahmen freier Beweiswürdigung.
58Vgl. BVerwG, Urteile vom 27.4.2010 – 10 C 5.09 –, BVerwGE 136, 377 = juris, Rn. 23, und vom 18.2.2021 – 1 C 4.20 –, BVerwGE 171, 300 = juris, Rn. 15.
59Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts,
60vgl. BVerwG, Urteile vom 4.7.2019 ‒ 1 C 33.18 ‒, juris, Rn. 18 ff., und ‒ 1 C 31.18 ‒, juris, Rn. 20 ff., m. w. N.,
61ist es in dem vom Untersuchungsgrundsatz beherrschten Verwaltungsprozess Aufgabe des Tatsachengerichts, den maßgeblichen Sachverhalt zu ermitteln, dazu von Amts wegen die erforderliche Sachverhaltsaufklärung zu betreiben und sich eine eigene Überzeugung zu bilden (§§ 86 Abs. 1 Satz 1, 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Hierzu muss es die Prognosetatsachen ermitteln, diese im Rahmen einer Gesamtschau bewerten und sich auf dieser Grundlage eine Überzeugung bilden. Die Überzeugungsgewissheit gilt nicht nur in Bezug auf das Vorbringen des Schutzsuchenden zu seiner persönlichen Sphäre zuzurechnenden Vorgängen, sondern auch hinsichtlich der in die Gefahrenprognose einzustellenden – mittlerweile nach § 78 Abs. 8 AsylG revisiblen – Beurteilung der allgemeinen Lage im Herkunftsstaat. Diese ergeben sich vor allem aus den zu diesem Staat vorliegenden Erkenntnisquellen. Auch für diese Anknüpfungstatsachen gilt das Regelbeweismaß des § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Auf der Basis der so gewonnenen Prognosegrundlagen hat das Tatsachengericht bei der Erstellung der Gefahrenprognose über die Wahrscheinlichkeit künftiger Geschehensabläufe bei einer hypothetisch zu unterstellenden Rückkehr des Schutzsuchenden zu befinden. Diese in die Zukunft gerichtete Projektion ist als Vorwegnahme zukünftiger Geschehnisse typischerweise mit Unsicherheiten belastet. Zu einem zukünftigen Geschehen ist nach der Natur der Sache immer nur eine Wahrscheinlichkeitsaussage möglich, hier am Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit. Auch wenn die Prognose damit keines „vollen Beweises“ bedarf, ändert dies nichts daran, dass sich der Tatrichter gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO bei verständiger Würdigung der (gesamten) Umstände des Einzelfalls auch von der Richtigkeit seiner ‒ verfahrensfehlerfrei ‒ gewonnenen Prognose einer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohenden Verfolgung die volle Überzeugungsgewissheit zu verschaffen hat. Im Rahmen dieses für die Entscheidungsfindung vorgegebenen Beweismaßes sind dabei auch (widerlegliche oder unwiderlegliche) tatsächliche Vermutungen, Beweiserleichterungen oder Beweislastregelungen heranzuziehen.
62Vgl. BVerwG, Beschluss vom 10.3.2021 – 1 B 2.21 –, juris, Rn. 8, m. w. N.
63Aus den in Art. 4 RL 2011/95/EU sowie den §§ 15 und 25 AsylG geregelten gesteigerten Mitwirkungs- und Darlegungsobliegenheiten des Antragstellers folgt, dass es auch unter Berücksichtigung dieser Vorgaben Sache des Ausländers ist, die Gründe für seine Furcht vor politischer Verfolgung schlüssig vorzutragen. Es ist daran festzuhalten, dass er dazu unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern hat, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt, dass bei verständiger Würdigung politische Verfolgung droht. Hierzu gehört, dass der Ausländer zu den in seine Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere zu seinen persönlichen Erlebnissen, eine Schilderung gibt, die geeignet ist, den behaupteten Anspruch lückenlos zu tragen. Bei der Bewertung der Stimmigkeit des Sachverhalts müssen u. a. Persönlichkeitsstruktur, Wissensstand und Herkunft des Ausländers berücksichtigt werden.
64Vgl. OVG NRW, Urteil vom 17.8.2010 – 8 A 4063/06.A –, juris, Rn. 33 f., m. w. N. aus der früheren höchstrichterlichen Rechtsprechung zum Asylrecht.
65Die Gefahr einer den Anspruch auf Zuerkennung des Flüchtlingsstatus begründenden Verfolgung kann sich nicht nur aus gegen den Betroffenen selbst gerichteten Maßnahmen (Einzelverfolgung), sondern auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen ergeben, wenn diese Dritten wegen eines flüchtlingsschutzrelevanten Merkmals verfolgt werden, das der Betreffende mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet (sog. Gruppenverfolgung). Dabei ist je nach den tatsächlichen Gegebenheiten auch zu berücksichtigen, ob die Verfolgung allein an ein bestimmtes unverfügbares Merkmal wie die Religion anknüpft oder ob für die Bildung der verfolgten Gruppe und die Annahme einer individuellen Betroffenheit weitere Umstände oder Indizien hinzutreten müssen. Die Annahme einer alle Gruppenmitglieder erfassenden gruppengerichteten Verfolgung setzt grundsätzlich eine bestimmte Verfolgungsdichte voraus. Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht. „Referenzfälle“ flüchtlingsrelevanter Verfolgung sowie ein „Klima allgemeiner moralischer, religiöser oder gesellschaftlicher Verachtung“ sind im Rahmen der anzustellenden hinreichend verlässlichen Prognose gewichtige Indizien für eine gegenwärtige Gefahr politischer Verfolgung. Hängt die Verfolgungsgefahr von dem willensgesteuerten Verhalten des Einzelnen – etwa der verbotenen Ausübung des Glaubens in der Öffentlichkeit – ab, so ist für die Gefahrenprognose auf die Gruppe der ihren Glauben trotz der Verbote in gefahrdrohender Weise – regelmäßig in der Öffentlichkeit – praktizierenden Glaubensangehörigen abzustellen. Besteht für die – möglicherweise zahlenmäßig nicht große – Gruppe der ihren Glauben in verbotener Weise praktizierenden Glaubensangehörigen ein reales Verfolgungsrisiko, kann daraus der Schluss gezogen werden, dass auch die Gesamtgruppe derer, für die diese gefahrauslösenden Glaubenspraktiken ein zentrales Element ihrer religiösen Identität darstellen und in diesem Sinne unverzichtbar sind, von den Einschränkungen ihrer Religionsfreiheit in flüchtlingsrechtlich beachtlicher Weise betroffen ist.
66Vgl. St. Rspr. BVerwG, Urteile vom 22.5.2019 ‒ 1 C 11.18 ‒, juris, Rn. 24 f., vom 20.2.2013 – 10 C 23.12 –, BVerwGE 146, 67 = juris, Rn. 33, vom 21.4.2009 – 10 C 11.08 –, juris, Rn. 13 ff., und vom 5.7.1994 – 9 C 158.94 –, BVerwGE 96, 200 = juris, Rn. 17 ff., jeweils m. w. N.
67Die Umstände, unter denen das Gericht die Überzeugung davon gewinnt, ob der Schutzsuchende eine verfolgungsträchtige religiöse Betätigung seines Glaubens für sich selbst als verpflichtend empfindet, um seine religiöse Identität zu wahren, sind grundsätzlich einer abstrakt-generellen Verallgemeinerung nicht zugänglich. Es handelt sich stets um eine Frage des jeweiligen Einzelfalls.
68Vgl. BVerfG, Beschluss vom 3.4.2020 ‒ 2 BvR 1838/15 ‒, juris, Rn. 26 ff., 34.
69Die Verwaltungsgerichte dürfen dabei weder eine inhaltliche „Glaubensprüfung“ noch eine Bewertung des Glaubens des Einzelnen oder der Lehre der Glaubensgemeinschaft vornehmen. Demgegenüber gehört die Frage, ob und bejahendenfalls welche Aspekte einer Glaubensüberzeugung oder Glaubensbetätigung in einem hinreichenden Maße für die religiöse Identität des individuellen Schutzsuchenden prägend sind oder nicht, und die damit angesprochene Prüfung, ob die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft vorliegen, zu den von dem Verwaltungsgericht überprüfbaren Sachvortrag des jeweiligen Asylbewerbers.
70Vgl. BVerfG, Beschluss vom 3.4.2020 ‒ 2 BvR 1838/15 ‒, juris, Rn. 30 f.
71Die mit dieser Besonderheit des Erfordernisses einer Einzelfallprüfung im Fall geltend gemachter religiöser Verfolgung heranzuziehenden Grundsätze für die unmittelbare und die mittelbare staatliche Gruppenverfolgung sind hinsichtlich der erforderlichen „Verfolgungsdichte“ prinzipiell auch auf die private Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure übertragbar, gegen die Schutz weder von staatlichen Stellen noch von staatsähnlichen Herrschaftsorganisationen zu erlangen ist (vgl. § 3c AsylG).
72Vgl. BVerwG, Urteile vom 18.7.2006 – 1 C 15.05 –, BVerwGE 126, 243 = juris, Rn. 21 ff., und vom 5.7.1994 – 9 C 158.94 –, BVerwGE 96, 200 = juris, Rn. 20.
73Bei der Rechtsfigur der Gruppenverfolgung handelt es sich aber ohnehin lediglich um ein Hilfsmittel, um Rückschlüsse auf die individuelle Verfolgungsgefahr für den jeweiligen Ausländer nicht (oder nicht nur) aus seinem persönlichen Schicksal, sondern aus Maßnahmen gegen die ganze Gruppe zu ziehen, der der Asylbewerber angehört. Sie stellt sich somit lediglich als eine Beweiserleichterung und nicht etwa als Beweisverschärfung dar.
74Vgl. BVerwG, Urteile vom 22.5.2019 – 1 C 11.18 –, juris, Rn. 25, und vom 5.11.1991 – 9 C 118.90 –, BVerwGE 89, 162 = juris, Rn. 16.
75Eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erfolgt nach § 3e AsylG dann nicht, wenn der Ausländer in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt. Ob einem Ausländer in einem anderen Landesteil keine für den internationalen Schutz relevanten Gefahren drohen, ist regelmäßig nur dann entscheidungserheblich, wenn die in einem anderen Landesteil drohenden Gefahren nicht von dem Staat ausgehen. Erwägungsgrund 27 Satz 2 RL 2011/95/EU geht davon aus, dass bei staatlicher Verfolgung eine Vermutung dafür bestehen soll, dass dem Antragsteller kein wirksamer Schutz zur Verfügung steht. Geht eine Gefahrenlage im Sinne der §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 AsylG von einem anderen Akteur, etwa einer Partei oder Organisation, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrscht, aus (§ 3c Nr. 2 AsylG) und besteht sie nur in einem Teil seines Herkunftslandes, setzt der Verweis auf einen anderen Landesteil als Ort des internen Schutzes voraus, dass dem Ausländer dort nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit erneut eine für internationalen Schutz beachtliche Gefahrenlage droht.
76Vgl. BVerwG, Urteil vom 18.2.2021 – 1 C 4.20 –, BVerwGE 171, 300 = juris, Rn. 14.
77II. Die für die rechtliche Beurteilung zu berücksichtigenden allgemeinen herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisse über flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung aus religiösen Gründen bezogen auf Ahmadis in Pakistan stellen sich wie folgt dar:
781. Zum Hintergrund der Situation der Ahmadis in Pakistan hatten sowohl der Hessische Verwaltungsgerichtshof,
79Urteil vom 31.8.1999 ‒ 10 UE 864/98.A ‒, juris, Rn. 30 ff.,
80als auch der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg,
81Urteil vom 12.6.2013 ‒ A 11 S 757/13 ‒, juris, Rn. 58 ff.,
82das Folgende ausgeführt, von dem auch der Senat ausgeht:
83„Die Ahmadiyya-Gemeinschaft wurde 1889 durch Mirza Ghulam Ahmad (1835 – 1908) in der Stadt Qadian (im heutigen indischen Bundesstaat Punjab) gegründet und versteht sich als eine innerislamische Erneuerungsbewegung. Ihr Gründer behauptete von sich, göttliche Offenbarungen empfangen zu haben, nach denen er der den Muslimen verheißene Messias und Mahdi, der herabgestiegene Krishna, der wiedergekehrte Jesus und der wiedererschienene Mohammed sei. An der Frage seiner Propheteneigenschaft spaltete sich die Bewegung im Jahre 1914. Die Minderheitengruppe der Lahoris (Ahmadiyya-Anjuman Lahore), die ihren Hauptsitz nach Lahore/Pakistan verlegte und die Rechtmäßigkeit der Kalifen als Nachfolger des Religionsgründers nicht mehr anerkannte, sieht in Ahmad lediglich einen Reformer im Sinne eines ‚wieder neubelebten‘ Mohammed, während die Hauptgruppe der Quadianis (Ahmadiyya Muslim Jamaat) ihn als einen neuen Propheten nach Mohammed verehrt, allerdings mit der Einschränkung, dass er nicht ermächtigt sei, ein neues Glaubensgesetz zu verkünden, denn Mohammed sei der letzte ‚gesetzgebende‘ Prophet gewesen. Die Bewegung betrachtet sich als die einzig wahre Verkörperung des Islam, den ihr Gründer wiederbelebt und neu offenbart habe. Während die orthodoxen Muslime aus der Sicht der Ahmadis zur Glaubens- und Welterneuerung hingeführt werden müssen, sind die Ahmadis aus der Sicht der orthodoxen Muslime Apostaten, die nach der Ideologie des Islam ihr Leben verwirkt haben.
84Im Zuge der Teilung des indischen Subkontinents und der Gründung eines islamischen Staates Pakistan am 13. August 1947 siedelten viele Ahmadis dorthin über, vor allem in den pakistanischen Teil des Punjab. Mitglieder der Hauptgruppe des Qadianis erwarben dort Land und gründeten die Stadt Rabwah im Punjab, die sich zum Zentrum der Bewegung entwickelte. Mehr als 95 % der dortigen Bevölkerung gehören der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft an und die Stadt ist der Hauptsitz der Gemeinschaft (Ahmadiyya Verfolgungsbulletin Mai 1996, S. 28). Heute heißt die Stadt nach einem Beschluss des Parlaments von Punjab gegen den Willen der Bevölkerung Tschinab Nagar [Rabwah ‒ Anmerkung des Senats] (Ahmadiyya Rundschreiben vom 30.04.1999).“
85Vgl. ergänzend ausführlich zur Entstehungsgeschichte sowie zu den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen über die Ahmadis in Pakistan auch die sehr aufschlussreiche Darstellung im Judgement Sheet des Islamabad High Court vom 4.7.2018, W.P. No. 3862, 3847, 3896 & 4093/2017, Rn. 22 – 54, wonach der Religionsgründer im Gewand der Religion Interessen des britischen Imperialismus im indischen Subkontinent und darüber hinaus verfolgt, insbesondere Propaganda gegen den „Jihad“ betrieben haben soll, der die indischen Moslems motiviert habe, sich gegen den britischen Kolonialismus zu erheben, und dessen Anhänger zunehmend einflussreiche Positionen eingenommen sowie die Integrität des Islamischen Staates unterlaufen haben sollen.
862. Verlässliche Zahlen über die Entwicklung der Zahl der Ahmadis sind aus öffentlich zugänglichen Quellen nicht zu ermitteln. Die genannten Zahlen schwanken zwischen 400.000 und 5 Millionen.
87Vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Pakistan (Lagebericht Pakistan) vom 8.8.2022, Stand: Juni 2022, S. 11; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Österreich, Länderinformation der Staatendokumentation Pakistan, Version 6, vom 20.7.2023, S. 81; Ahmadiyya Muslim Jamaat, Auskunft an das OVG NRW vom 4.8.2022, S. 79.
88Der Islamabad High Court erhielt auf Anordnung im Jahr 2018 folgende Bevölkerungszahlen der Ahmadiyya: 104.244 (Zensus 1981), 286.212 (Zensus 1998). Zum Stichtag des Zensus 1981 bestand die Gesamtbevölkerung laut amtlicher Statistik noch aus 84.253.644, nach dem Zensus 1998 aus 132.352.279 Personen, von denen 1981 also 0,12 % und 1998 0,22 % angegeben hatten, Ahmadis zu sein.
89Vgl. Islamabad High Court, Judgement Sheet vom 4.7.2018, W.P. No. 3862, 3847, 3896 & 4093/2017, Rn. 6, 77; UK Border Agency, Country of Origin Information Report, Pakistan, 18.1.2010, S. 104, Rn. 19.52; Pakistan Statistical Year Book 2007, Table 16.16, Population Distribution by Religion, 1998 Census, https://www.pbs.gov.pk/publication/pakistan-statistical-year-book-2007; sowie Area & Population of Administrative Units (1998), 1951 – 1998 Censuses, https://www.pbs.gov.pk/content/area-population-aadministrative-units.
90Ausweislich der letzten Volkszählung in Pakistan im Jahr 2017 betrug die Zahl derjenigen, die sich als den Ahmadis zugehörig erklärt hatten, 191.737 Personen und damit nur noch 0,09 % der pakistanischen Bevölkerung von insgesamt 207.684.626 [im Jahr 2023 241.499.431] Personen. Quellen zufolge boykottierten schon seit 1974 viele Ahmadis den Zensus, weil sie sich seitdem nicht mehr als Muslime registrieren lassen dürfen. Außerdem wird berichtet, dass sich viele Ahmadis aus Sorge vor Repressalien öffentlich nicht als solche zu erkennen geben.
91Vgl. Pakistan Bureau of Statistics, Pakistan National Census Report 2017, S. 177 (Table 9), abgerufen am 11.9.2023 unter: https://www.pbs.gov.pk/sites/default/files/population/census_reports/ncr_pakistan.pdf sowie Announcement of Results of 7th Polulation and Housing Census-2023, https://www.pbs.gov.pk/sites/default/files/population/2023/Pakistan.pdf; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Österreich, Länderinformation der Staatendokumentation Pakistan, Version 6, vom 20.7.2023, S. 81 ff.; die Zahl der Ahmadis in Pakistan wurde obergerichtlich bei Inkrafttreten der Anti-Ahmadi-Strafgesetzgebung zu Beginn der 1980er Jahre noch auf 1 bis 2 Millionen geschätzt, siehe dazu Hess. VGH, Urteil vom 5.12.1994 – 10 UE 77/94 –, juris, Rn. 28.
92Nach neueren vorsichtigen Schätzungen der Ahmadiyya Muslim Jamaat leben in Pakistan ca. 400.000 bis 500.000 Ahmadis, die aktiv ihren Glauben praktizieren.
93Vgl. UNHCR, Eligibility Guidelines für Assessing the International Protection Needs of Members of Religious Minorities from Pakistan,1/2017, S. 28, Fn. 184; Ahmadiyya Muslim Jamaat, Auskunft an das OVG NRW vom 4.8.2022, S. 79; mit 500.00 bis 600.000 hat das Auswärtige Amt auf gerichtliche Anfrage kürzlich eine geringfügig höhere Zahl von in Pakistan lebenden Ahmadis mitgeteilt: Auskunft an das OVG NRW vom 20.2.2023, S. 11, Frage 29; ähnlich bereits UK Home Office, Country Policy and Information Note, Pakistan: Ahmadis, Version 5.0, September 2021, S. 32.
94Die meisten Ahmadis leben im Punjab. Chenab Nagar (= Rabwah) gilt als Hauptort ihrer Gemeinschaft, dort sind ca. 90 bis 95 % der etwa 60.000 bis 70.000 Einwohner zählenden Stadt Ahmadis. Die weiteren Hauptansiedlungsorte für Ahmadis sind Sialkot, Quetta, Multan, Rawalpindi, Karachi, Lahore und Faisalabad.
95Vgl. Australian Government, Department of Foreign Affairs and Trade, Country Information Report, Pakistan, 20.2.2019, S. 39, Rn. 3.114; Auswärtiges Amt, Lagebericht Pakistan vom 8.8.2022, Stand: Juni 2022, S. 11; UNHCR, Eligibility Guidelines for Assessing the international Protection Needs of Members of Religious Minorities from Pakistan, Januar 2017, S. 28 f.; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Österreich, Länderinformation der Staatendokumentation Pakistan, Version 6, vom 20.7.2023, S. 81; Ahmadiyya Muslim Jamaat, Auskunft an das OVG NRW vom 4.8.2022, S. 71.
963. Die rechtliche Lage stellt sich in Pakistan für Ahmadis wie folgt dar:
97Der Islam wurde in Pakistan durch die Verfassung von 1973 zur Staatsreligion erklärt. Die Freiheit der Religionsausübung ist zwar nach Art. 20 der Verfassung garantiert, steht allerdings unter dem Vorbehalt des Gesetzes, der öffentlichen Ordnung und der Moral („Subject to law, public order and morality“).
98Vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Pakistan vom 8.8.2022, Stand: Juni 2022, S. 10; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Österreich, Länderinformation der Staatendokumentation Pakistan, Version 6, vom 20.7.2023, S. 72 f.; ACCORD, Pakistan: Religious Minorities, März 2021, S. 15 f.; UNHCR, Eligibility Guidelines für Assessing the International Protection Needs of Members of Religious Minorities from Pakistan, Januar 2017, S. 10.
99Zudem wurden die Ahmadis nach erheblichen Unruhen im Land unter dem öffentlichen Druck der islamischen Mehrheitsbewegung durch eine – von einigen Enthaltungen abgesehen – einstimmig beschlossene Verfassungsänderung von 1974 ausdrücklich zu Nicht-Muslimen erklärt und in der Verfassung als religiöse Minderheit qualifiziert. Nach intensiven Anhörungen und Debatten hierüber hatte der seinerzeitige Premierminister das Problem der Zugehörigkeit der Ahmadis zum muslimischen Glauben in einer historischen Rede vor der Nationalversammlung als das komplexeste und schwierigste Problem bezeichnet, mit dem sich das Parlament seit der Staatsgründung zu befassen hatte, das jedes Haus, jedes Dorf und jeden Einzelnen im Lande betreffe und im Lauf der Zeit zunehmend komplex geworden sei. Seit dieser Verfassungsänderung ist hiernach kein Muslim im Sinne der gesamten pakistanischen Rechtsordnung, wer nicht an die absolute und uneingeschränkte Finalität des Prophetentums Mohammeds glaubt bzw. wer auch andere Propheten als Mohammed anerkennt.
100Vgl. EASO COI Meeting Report Pakistan, Februar 2018, Anm. 2.3, zitiert nach: Schweizerische Flüchtlingshilfe, Pakistan: Situation der Ahmadi, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse, 7.5.2018, S. 16; Islamabad High Court, Judgement Sheet vom 4.7.2018, W.P. No. 3862, 3847, 3896 & 4093/2017, Rn. 39 f.
101Die Qualifizierung als Nicht-Muslime hat bereits unmittelbare Konsequenzen für den Bereich des Wahlrechts insofern, als Ahmadis nur auf besonderen Minderheitenlisten kandidieren und nur Personen auf diesen Listen wählen können. Um hingegen ohne Einschränkungen als Muslim kandidieren bzw. wählen zu können, muss eine eidliche Erklärung zur Finalität des Prophetentums Mohammeds abgegeben sowie ausdrücklich beteuert werden, dass der Gründer der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft ein falscher Prophet ist. Als einzige religiöse Minderheit sind Ahmadis seit Jahren nicht im Parlament vertreten, weil sie sich selbst als Muslime verstehen und deshalb nicht für die Listenplätze der Parteien für nichtmuslimische Minderheiten kandidieren. Generell boykottieren sie Wahlen regelmäßig und in erheblichem Umfang. Dies führt unter anderem dazu, dass die Ahmadis selbst in der Stadt Chenab Nagar (= Rabwah), in der sie ungefähr 95 % der Einwohner ausmachen, weder im Gemeinderat vertreten sind noch Staatsbedienstete stellen.
102Vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Pakistan vom 8.8.2022, Stand: Juni 2022, S. 11; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Österreich, Länderinformation der Staatendokumentation Pakistan, Version 6, vom 20.7.2023, S. 82; U. S. Department of State, Pakistan 2022 Human Rights Report vom 20.3.2023, S. 40; UNHCR, Eligibility Guidelines für Assessing the International Protection Needs of Members of Religious Minorities from Pakistan, Januar 2017, S. 31 f.; Ahmadiyya Muslim Jamaat, Auskunft an das OVG NRW vom 4.8.2022, S. 73 ff.; Asian Human Rights Commission, The State of Human Rights in Pakistan, 2013, S. 39; UK Home Office, Country Policy and Information Note, Pakistan: Ahmadis, Version 3.0, Juni 2018, S. 47, Rn. 10.2.2; nachrichtlich auch Auswärtiges Amt, Lagebericht Pakistan vom 21.9.2023, Stand: Juli 2023, S. 11.
103Weiterhin hat die von den Ahmadis nicht akzeptierte Qualifizierung als Nicht-Muslime Konsequenzen im strafrechtlichen Bereich. Die unter britischer Federführung zur Verhinderung religiöser Gewalt eingeführten Blasphemiegesetze wurden in den Jahren ab 1980 ergänzt um Strafnormen, die sich zum Teil direkt gegen Ahmadis richten.
104Vgl. UNHCR, Eligibility Guidelines für Assessing the International Protection Needs of Members of Religious Minorities from Pakistan, Januar 2017, S. 10 f.
105Namentlich drei 1984 eingeführte Vorschriften des pakistanischen Strafgesetzbuchs befassen sich speziell mit den Ahmadis und dienen gewissermaßen der Absicherung und Unterfütterung ihrer verfassungsrechtlichen Behandlung.
106Section 298B lautet:
107„(1) Wer als Angehöriger der Qadiani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich ‚Ahmadis‘ oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung
108(a) eine Person, ausgenommen einen Kalifen oder Begleiter des Heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als ‚Ameer-ul Mumineen‘, ‚Khalifa-tul-Mumineen‘, ‚Khalifa-tul-Muslimeen‘, ‚Sahaabi‘ oder ‚Razi-Allah-Anho‘ bezeichnet oder anredet;
109(b) eine Person, ausgenommen eine Ehefrau des Heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als ‚Ummul-Mumineen‘ bezeichnet oder anredet;
110(c) eine Person, ausgenommen ein Mitglied der Familie (Ahle-bait) des Heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als ‚Ahle-bait‘ bezeichnet oder anredet;
111(d) sein Gotteshaus als ‚Masjid‘ bezeichnet, es so nennt oder benennt, wird mit Freiheitsstrafe einer der beiden Arten bis zu drei Jahren und mit Geldstrafe bestraft.
112(2) Wer als Angehöriger der Qadiani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich ‚Ahmadis‘ oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung die Art oder Form des von seiner Glaubensgemeinschaft befolgten Gebetsrufs als ‚Azan‘ bezeichnet oder den ‚Azan‘ so rezitiert wie die Muslime es tun, wird mit Freiheitsstrafe der beiden Arten und mit Geldstrafe bestraft.“
113Section 298C lautet:
114„Wer als Angehöriger der Qadiani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich ‚Ahmadis‘ oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung mittelbar oder unmittelbar den Anspruch erhebt, Muslim zu sein, oder seinen Glauben als Islam bezeichnet oder ihn so nennt oder seinen Glauben predigt oder propagiert oder andere auffordert, seinen Glauben anzunehmen, oder wer in irgendeiner anderen Weise die religiösen Gefühle der Muslime verletzt, wird mit Freiheitsstrafe einer der beiden Arten bis zu drei Jahren und Geldstrafe bestraft.“
115Section 295C schließlich hat folgenden Wortlaut:
116„Wer in Worten, schriftlich oder mündlich oder durch sichtbare Übung, oder durch Beschuldigungen, Andeutungen oder Beleidigungen jeder Art, unmittelbar oder mittelbar den geheiligten Namen des Heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) verunglimpft, wird mit dem Tode oder lebenslanger Freiheitsstrafe und Geldstrafe bestraft.“
117Vgl. Peter Jacob, Blasphemie – Vorwürfe und Missbrauch, Die pakistanischen Blasphemiegesetze und ihre Folgen, missio-Bericht 2012, S. 17 f., Rn. 2.5; siehe auch ACCORD, Pakistan: Religious Minorities, März 2021, S. 17 ff.
118Kurz nach Inkrafttreten dieser Anti-Ahmadiyya-Gesetzgebung wurden nach Feststellungen des Islamabad High Court die Bezeichnungen der Gebetsstätten der Ahmadis als Moscheen beseitigt, muslimische Gebetsrufe eingestellt und die Literatur der Ahmadis aus öffentlichen Bibliotheken entfernt. Viele Ahmadis gingen in den Untergrund oder verließen das Land, um in westlichen Ländern Asyl zu beantragen.
119Vgl. Islamabad High Court, Judgement Sheet vom 4.7.2018, W.P. No. 3862, 3847, 3896 & 4093/2017, Rn. 41 f. („In accordance with Mirza Tahir´s instructions, the Qadianis quietly but reluctantly accepted the Ordinance. The word ‚Masjid‘ was removed from the worship places […] The call to prayer was stopped and the Ahmadya literature lying in the Khilafat Library, Rabwah and other open places was removed. Many Qadianis went underground. Some left Pakistan to seek asylum […] By raising the false slogan of ‚Persecution of Ahmadis in Pakistan‘ and exploiting the non-representative character of the Zia regime they gained a lot in financial and political terms.“)
120Soweit nach dem Wortlaut von Section 295C des pakistanischen Strafgesetzbuchs statt der Todesstrafe auch eine lebenslange Freiheitsstrafe in Betracht kommt, hat der Federal Shariat Court im Jahr 1990 entschieden, dass bei Vorliegen des Tatbestands die Todesstrafe verpflichtend zu verhängen sei.
121Vgl. amnesty international, As Good As Dead, The Impact of the Blasphemy Laws in Pakistan, London 2016, S. 18, Rn. 1.2.
122Grundsätzlich hat der Supreme Court in einer Entscheidung aus dem Jahr 2014 eine frühere Rechtsprechung von 1978 fortgeführt und bestätigt, dass eine individuelle und gemeindebezogene Religionsfreiheit für jeden Bürger gelte, sowohl für Muslime als auch für Nicht-Muslime. Von Art. 20 der Verfassung werde auch die aktive private und öffentliche Religionsausübungsfreiheit sowie das Recht abgedeckt, seine Religion bei anderen zu verbreiten.
123Vgl. EASO COI Meeting Report Pakistan, Februar 2018, Anm. 2.3, zitiert nach: Schweizerische Flüchtlingshilfe, Pakistan: Situation der Ahmadi, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse, 7.5.2018, S. 16; UNHCR, Eligibility Guidelines für Assessing the International Protection Needs of Members of Religious Minorities from Pakistan, Januar 2017, S. 10.
124Gestützt auf den Verfassungsvorbehalt der öffentlichen Ordnung („public order“) hat der Supreme Court aber kürzlich eine frühere ständige Rechtsprechung seit dem Jahr 1993 bekräftigt, wonach die Bestrafung der Delikte nach Section 298B und 298C des Strafgesetzbuchs nicht gegen die Verfassung verstoße, insbesondere nicht gegen die in Art. 20 der Verfassung gewährleistete Religionsfreiheit, weil das danach verbotene Verhalten von Ahmadis religiöse Gefühle der muslimischen Mehrheit verletze, wodurch Feindseligkeiten ausgelöst sowie Leben und Eigentum der Bevölkerung schwer bedroht würden. Nur solche religiösen Praktiken würden von Art. 20 der Verfassung geschützt, die integraler und wesentlicher Teil der Religion seien. Dazu gehöre die öffentliche oder öffentlich wahrnehmbare Glaubensausübung der Ahmadis nicht, während sie nicht gehindert seien, ihren Glauben privat auszuüben. Während der Supreme Court der Auffassung des vorinstanzlich befassten Lahore High Court entgegengetreten war, bereits das bloße Lesen der Kalima (des islamischen Glaubensbekenntnisses) oder des Heiligen Korans durch einen Nicht-Moslem/Ahmadi müsse nach Section 295B oder 295C des Strafgesetzbuchs mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder gar der Todesstrafe sanktioniert werden, bestanden aus Sicht des Supreme Court keine Einwände dagegen, ein Strafverfahren nach Section 298B und 298C des Strafgesetzbuchs mit einer Höchststrafe von drei Jahren Freiheitsstrafe zu führen gegen Ahmadis, die ihre Gebetsstätte unter anderem mit der Aufschrift sha´air-e-Islam an den Wänden wie eine Moschee eingerichtet und darin Kopien des Heiligen Korans aufbewahrt hatten und deren Gebetsstätte in einer Stromrechnung als Moschee bezeichnet war.
125Vgl. Supreme Court of Pakistan, Judgement vom 12.1.2022, Crl.P.916-L/2021, Rn. 2, 7 ff., 13 f., 16; zu dieser schon zuvor zunehmend verbreiteten Betrachtungsweise sowie zur früheren Entscheidung des Supreme Court zur Vereinbarkeit der Anti-Ahmadi-Gesetzgebung von 1984 mit der Verfassung aus dem Jahr 1993: ACCORD, Pakistan: Religious Minorities, März 2021, S. 15 f. und 23, sowie EASO COI Meeting Report Pakistan, Februar 2018, Anm. 2.3, zitiert nach: Schweizerische Flüchtlingshilfe, Pakistan: Situation der Ahmadi, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse, 7.5.2018, S. 16.
126Durch dieses höchstrichterlich seit langem gebilligte Verfassungsverständnis werden Ahmadis auf Grund der vornehmlich gegen muslimisches Verhalten durch sie gerichteten Strafbestimmungen daran gehindert, ohne Verfolgungsrisiko ihre Religion auszuüben, im privaten oder öffentlichen Rahmen zu beten, religiöse Lehren zu verbreiten sowie religiöse Materialien zu veröffentlichen und zu verteilen. Die Strafnormen verbieten es ihnen auch, ihren Gründer als Propheten, ihre heiligen Personen mit ihren religiösen Anreden und ihre Gottesdienstorte als Moscheen zu bezeichnen, außerdem die traditionelle islamische Form des Grußes und den islamischen Gebetsruf (Azan) zu verwenden und ihren eigenen Gebetsruf als Azan zu bezeichnen. Schon die Benutzung von Beinamen, Beschreibungen und Titeln, die für gewisse heilige Persönlichkeiten und Orte bestimmt sind, ist danach unter Strafdrohung von bis zu drei Jahren Gefängnis und einer Geldstrafe verboten.
127Vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Pakistan vom 8.8.2022, Stand: Juni 2022, S. 11; UK, Home Office, Country Policy and Information Note, Pakistan: Ahmadis, Version 5.0, September 2021, S. 24; UNHCR, Eligibility Guidelines für Assessing the International Protection Needs of Members of Religious Minorities from Pakistan, Januar 2017, S. 30; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Pakistan: Situation der Ahmadi, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse, 7.5.2018, S. 4.
1284. Diese rechtlichen Vorgaben und der praktische Stellenwert, der ihnen verbreitet zukommt, haben erhebliche Auswirkungen auf das tägliche Leben der Ahmadis in Pakistan, die sich ihrem Glaubensverständnis entsprechend als Muslime verstehen und nach islamischen Glaubensregeln leben, ohne dies gegenüber der Öffentlichkeit zu verstecken. Die repressiven und diskriminierenden Gesetze fördern gemeinsam mit staatlich sanktionierten diskriminierenden Praktiken eine Kultur der religiösen Intoleranz und Straflosigkeit. Der überwiegende Teil der pakistanischen Gesellschaft unterstützt die Blasphemiegesetzgebung, die auch Rückwirkungen auf das Rechtsempfinden der Bevölkerung hat. Eine Änderung ist seitens der pakistanischen Regierung nicht angedacht. Blasphemievorwürfe werden immer wieder zum Anlass oder Vorwand für Mob-Gewalt oder Mordanschläge genommen. So sind Mitglieder der Ahmadiyya Missbrauch, Gewalt einschließlich Tötungen, Drangsalierung und Einschüchterung durch Mitglieder der Mehrheitsgesellschaft ausgesetzt. Anschuldigungen von Blasphemie gegen Ahmadis haben in den vergangenen Jahren zu Massenausschreitungen, zur Zerstörung von Gotteshäusern und Friedhöfen der Ahmadis und zu Tötungen geführt. Koran-Inschriften in den Gebetshäusern der Ahmadis, ihre Minarette sowie Grabinschriften mit Koran-Zitaten werden häufig nach Beschwerden radikaler Mullahs von der Polizei entfernt. Die rechtlichen Vorgaben und ständigen tatsächlichen Übergriffe erzeugen nach Angaben der Ahmadiyya Muslim Jamaat bei jedem Ahmadi ein dauerhaftes Gefühl der Angst.
129Vgl. UNHCR, Eligibility Guidelines für Assessing the International Protection Needs of Members of Religious Minorities from Pakistan, Januar 2017, S. 31 ff., S. 22, Rn. 214; EASO, Herkunftsländerinformationen Pakistan, Länderüberblick, August 2015, S. 91 ff.; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Pakistan: Situation der Ahmadi, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse, 7.5.2018, S. 7 ff.; Bundesamt für Fremdenwesen Österreich, Länderinformation der Staatendokumentation, Pakistan, Version 6, 20.7.2023, S. 83 f.; Auswärtiges Amt, Lageberichte Pakistan vom 8.8.2022, Stand: Juni 2022, S. 11; Human Rights Watch, World Report 2020, – Pakistan, S. 2; Ahmadiyya Muslim Jamaat, Auskunft an das OVG NRW vom 4.8.2022, S. 79.
130Allein dass ein Ahmadi einen nach Mehrheitssicht muslimischen Namensbestandteil führt, hat immer wieder drastische Konsequenzen: Kürzlich wurde ein Anwalt, der Mitglied der Ahmadiyya Muslim Jamaat ist, von Gegnern überfallen und verprügelt. Die Polizei schützte ihn nicht, sondern nahm stattdessen – wie bereits im Jahr zuvor – erneut eine Strafanzeige gegen ihn wegen seines muslimischen Namens auf, dessen Führung ihm als Ahmadi unter Strafandrohung verboten sei, und verhaftete ihn nunmehr auch. Nach Angaben der Glaubensgemeinschaft handelt es sich dabei nicht um einen Einzelfall.
131Vgl. Ahmadiyya Muslim Jamaat, Pressemitteilung vom 27.4.2023, Ahmadi-Anwalt wegen „muslimischen Namens“ verhaftet!; UNHCR, Eligibility Guidelines für Assessing the International Protection Needs of Members of Religious Minorities from Pakistan, Januar 2017, S. 30 f., Fußnote 198; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Pakistan: Situation der Ahmadi, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse, 7.5.2018, S. 4.
132Auch wurden nach Angaben der Ahmadiyya Muslim Jamaat jüngst nachweislich 13 Ahmadis verhaftet, weil sie der religiösen Tradition des Tieropfers zum islamischen Opferfest in ihren eigenen vier Wänden nachgehen wollten.
133Vgl. Ahmadiyya Muslim Jamaat, Auskunft an das OVG NRW vom 4.8.2022, S. 79.
134Ein als Erleichterung der Wahlteilnahme für Ahmadis empfundener Gesetzesentwurf wurde 2017 durch islamistische Gruppen verhindert.
135Vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Pakistan: Situation der Ahmadi, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 7.5.2018, S. 6.
136Im Nachgang zu diesem gescheiterten Gesetzesvorhaben forderte der Islamabad High Court in seiner Entscheidung vom 4.7.2018, um eine Nationale ID-Karte, einen Pass, eine Geburtsurkunde und einen Eintrag in eine Wählerliste zu erhalten sowie in staatliche oder halbstaatliche Institutionen eingestellt zu werden, müsse jeder Antragsteller einen Eid auf der Grundlage der Verfassungsbestimmung abgeben, wonach Ahmadis keine Moslems seien, die National Database and Registration Authority (NADRA) müsse eine Zeit festlegen, innerhalb derer Bürger ihre Personenstandsangaben, namentlich zur Religion, korrigieren oder ändern könnten. Dem Parlament und der Regierung gab der High Court auf, gesetzliche Korrekturen vorzunehmen bzw. geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um gesetzlich und auch tatsächlich sicherzustellen, dass für den Islam und für Muslime verwendete Begriffe von Minderheiten nicht mehr verwendet würden, um ihre Identität zu verschleiern oder zu anderen Zwecken. Es dürfe auch nicht mehr möglich sein, seine Identität durch falsche Personenstandsangaben zu verstecken. Den Gründen für die alarmierenden Unterschiede in der Bevölkerungsstatistik zu Ahmadis, die bei der NADRA verfügbar sei, und zu Zahlen, die im Rahmen der kürzlich durchgeführten Volkszählung in diesem Zusammenhang erhoben worden seien, müsse dringend nachgegangen werden.
137Vgl. Islamabad High Court, Judgement Sheet vom 4.7.2018, W.P. No. 3862, 3847, 3896 & 4093/2017, Rn. 82.
138In dem genannten Judgement Sheet des Islamabad High Court kommt der entscheidende Richter nach einer beachtenswerten Auseinandersetzung mit den historischen, religiösen und rechtlichen Gegebenheiten zu Ergebnissen, die für das Verständnis der tatsächlichen Situation der Ahmadis und die ihnen gerade in den letzten Jahren zunehmend entgegengebrachten Feindseligkeiten in Pakistan erhebliche Bedeutung haben. Danach wird den Ahmadis von einflussreichen Gruppen und Vertretern der religiösen Mehrheit seit langem nicht allein die Verunglimpfung des Islams, sondern zugleich durch die Ablehnung der durch die Verfassung zugewiesenen Minderheitenrolle Illoyalität und umstürzlerisches Verhalten gegen den Staat vorgeworfen. So sei den Ahmadis in Pakistan die gleiche Rolle wie den Zionisten in England und Amerika zugeschrieben worden, sie hätten sich in konspirativer Weise hohe Positionen in der Verwaltung erschlichen, ohne dem Staat gegenüber loyal zu sein. Der Gründer der Bewegung sei von imperialistischen Kräften unterstützt worden, um die islamische Einheit zu zerstören und Schande über den Islam zu bringen.
139Vgl. Islamabad High Court, Judgement Sheet vom 4.7.2018, W.P. No. 3862, 3847, 3896 & 4093/2017, Rn. 26 ff., 34 und 38 („Qadianis have been playing the same role in Pakistan as Zionists in Britain and America. […] The secular minded members of the PPP are not fully aware of the Qadiani problem. They had been getting high posts in bureaucracy and are not loyal to Pakistan. They are conspiring to get political power in one way or other.“) („And that he (Mirza) was totally brought to existence by the imperialistic forces, the purpose being to shatter the Islamic unity and to bring disgrace to Islam.“)
140Die Ahmadis hätten die ihnen durch die Verfassung nunmehr vorgegebene Rolle als nicht-muslimische Minderheit in Illoyalität zum Staat nicht akzeptiert, die staatliche Einordnung als Minderheit torpediert und es sei zu der schockierenden Anzahl von über 10.000 Übertritten aus dem Islam zur Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya gekommen. Im übergeordneten Staatsinteresse könne nicht länger geduldet werden, dass „Qadianis“ Schlüsselpositionen in Ämtern, Justiz, Militär und anderen sensiblen und wichtigen Institutionen einnähmen und ihre wirkliche Religion verheimlichten. Jeder Staatsbürger müsse wissen, welcher Religion Inhaber solcher Positionen angehörten. Da die Regierung dies sicherzustellen versäumt habe, sei sie hierzu gerichtlich anzuhalten.
141Vgl. Islamabad High Court, Judgement Sheet vom 4.7.2018, W.P. No. 3862, 3847, 3896 & 4093/2017, Rn. 5 ff., 8, 77, 81 f.
142Aus den verschiedenen Gutachten der ausweislich der Entscheidungsgründe zu Rate gezogenen muslimischen Rechtsgelehrten, deren Auffassungen insoweit der Sache nach übereinstimmen, wird sehr deutlich, dass den Ahmadis, die als Nicht-Muslime kein Recht hätten, sich als Muslime auszugeben und ausschließlich Muslimen zustehende Rechte auszuüben sowie Pflichten nachzukommen, verbreitet eine hochgradige Illoyalität gegenüber dem Staat sowie mangelnder Respekt gegenüber islamischen Ritualen vorgehalten wird. Demgegenüber wird es übereinstimmend als Verantwortlichkeit des islamischen Staats angesehen, zum Schutz der öffentlichen Ordnung die islamische Ideologie zu schützen und zu verteidigen.
143Vgl. Islamabad High Court, Judgement Sheet vom 4.7.2018, W.P. No. 3862, 3847, 3896 & 4093/2017, Rn. 10 ff. (z. B.: „The learned Amicus Curiae has also contended that non-Muslims in an Islamic State are not entitled to pose themselves as Muslims and if they do so, it falls within the ambit of high treason, and disloyalty to the State of highest order“.); siehe hierzu auch Schweizerische Flüchtlingshilfe: Pakistan, Situation der Ahmadi, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 7.5.2018, S. 16.
144Eines der Hauptziele der Scharia sei der Schutz des Glaubens und daneben der Lebensschutz. Ein der Scharia verpflichteter Staat müsse zum Schutz des Glaubens und der Muslime ein Auge auf Nicht-Muslime und deren Gemeinschaften haben und dadurch sicherstellen, dass es zu keiner Verschwörung gegen die überwiegend muslimische Mehrheit kommen könne.
145Vgl. Islamabad High Court, Judgement Sheet vom 4.7.2018, W.P. No. 3862, 3847, 3896 & 4093/2017, Rn. 12 („One of the main objectives of the Shariah is protection of faith and the next to it is the protection of life, […] It is the duty of the Islamic State to keep an eye on non-Muslim citizens and communities so as to ensure that they are not part of any conspiracy against the majority Muslim community to protect Islam and Muslims.“)
146In Ausübung dieser Aufgabe sei es 1984 zu der Ordinance XX gekommen, mit der Section 298B in das pakistanische Strafgesetzbuch eingeführt worden sei, um das Entstehen antiislamischer Aktivitäten zu verhindern.
147Vgl. Islamabad High Court, Judgement Sheet vom 4.7.2018, W.P. No. 3862, 3847, 3896 & 4093/2017, Rn. 40 („It – the Ordinance 1984 ‒ prohibited the Qadianis, Lahoris and Ahmadis from indulging in anti Islamic activities.“)
148Wenngleich derzeit nicht feststellbar ist, ob die Regierung der Forderung einer eindeutigen Identifizierung aller Bürger hinsichtlich ihrer Religionszugehörigkeit nachgekommen ist,
149vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das OVG NRW vom 20.2.2023, S. 8, Frage 21; Deutsches Orient Institut, Auskunft an das OVG NRW vom 14.10.2021, Frage 21,
150führte die NADRA im Dezember 2018 eine neue Praxis ein, um sicherzustellen, dass alle Antragsteller ihre religiöse Identität erklären, wenn sie neue Ausweisdokumente beantragen. Dies gilt insbesondere, aber nicht nur für die nationale Identitätskarte, die benötigt wird, um einen Führerschein zu erwerben, eine Steuernummer zu erhalten, für Wahlen registriert zu werden, sich um eine Arbeitsstelle zu bewerben, ein Bankkonto zu eröffnen, eine SIM-Karte zu bekommen, Wasser-, Strom- oder Gasverträge zu schließen, Landbesitz oder Fahrzeuge zu erwerben und Zugang zu Bildungsorganisationen zu erlangen. Seit Oktober 2016 besteht zudem in ganz Pakistan die Verpflichtung, eine Kopie der nationalen Identitätskarte zur behördlichen Anmeldung an einem neuen Wohnort vorzuweisen. Auch die Erklärung eines Glaubenswechsels vom Islam zu einer anderen Religion, die bis zu der Entscheidung des Islamabad High Court ausweislich der darin ausgewerteten Angaben der NADRA möglich war, ist seit Dezember 2018 nicht mehr vorgesehen.
151Vgl. UK Home Office, Country Policy and Information Note, Pakistan: Ahmadis, Version 5.0, September 2021, S. 27 ff.; Auswärtiges Amt, Auskunft an das OVG NRW vom 20.2.2023, S. 8, Fragen 20 und 22; Auswärtiges Amt, Auskunft an das Verwaltungsgericht Stuttgart vom 19.12.2018, Seite 1 f., zu den Fragen 2 und 3; Ahmadiyya Muslim Jamaat, Auskunft an das OVG NRW vom 4.8.2022, S. 46 ff., Fragen 13 ff., sowie S. 54 ff., Fragen 20 ff.; Deutsches Orient Institut, Auskunft an das OVG NRW vom 14.10.2021, Fragen 8, 11 und 20; U. S. Department of State, Pakistan 2020 International Religious Freedom Report, S. 15; ACCORD, Pakistan: Religious Minorities, März 2021, S. 59 f.
152Wer bei der NADRA eine nationale Identitätskarte beantragt, muss eine Erklärung zu seiner Religionszugehörigkeit abgeben, die sich hinsichtlich der Muslime und Nicht-Muslime unterscheidet, wobei Informationen über die Identität einer Person bereits in der Geburtsurkunde und in der sogenannten „B-Form“ zu finden sind. Ein Muslim erklärt und unterschreibt, dass er Muslim sei und an die vollständige und bedingungslose Finalität des Prophetentums des Propheten Mohammed glaube … sowie, dass er Mirza Ghulam Ahmed Qadiani als einen falschen Propheten und seine der Lahorj- oder der Qadiani-Gruppe zugehörigen Anhänger als Nicht-Muslime betrachte. Ein Nicht-Muslim hat unter Eid zu erklären und unterschreiben, er sei kein Muslim und gehöre der Qadiani/Ahmadiyya Religion an. Die Religionszugehörigkeit ist bei der NADRA sowie auf dem elektronisch auslesbaren Chip der Identitätskarte verzeichnet. Einen Zugang zu dieser elektronisch auslesbaren Information haben nach Auskunft inoffizieller Quellen nur Bedienstete der NADRA; sie kann aber auch von der Polizei genutzt werden. Zudem liegen Berichte vor, wonach auf Grund der Erklärung zur Religionszugehörigkeit, die bei der NADRA abzugeben ist, Personen als Ahmadis identifiziert worden sind und in privaten Geschäftsbeziehungen soziale Stigmatisierungen erlitten haben.
153Vgl. UK Home Office, Country Policy and Information Note, Pakistan: Ahmadis, Version 5.0, September 2021, S. 27 f.; Auswärtiges Amt, Auskunft an das OVG NRW vom 20.2.2023, S. 3 ff., Fragen 8 sowie 11 – 16; Ahmadiyya Muslim Jamaat, Auskunft an das OVG NRW vom 4.8.2022, S. 16 ff., Frage 11, und 47 ff., Fragen 14 –16; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Pakistan: Situation der Ahmadi, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 7.5.2018, S. 6; U. S. Department of State, International Religious Freedom Report for 2020 Pakistan vom 12.5.2021, S. 9 f.
154Ähnliches gilt für die Beantragung des Passes, bei der die nationale Identitätskarte vorzulegen ist und die Personenstandsangaben dem staatlichen Register der NADRA entnommen werden. Die Antragsteller müssen ebenfalls die oben genannte Erklärung auf dem einheitlichen Formular abgeben. In den pakistanischen Pässen sind anders als bei Einführung maschinenlesbarer Pässe im Jahr 2005 mittlerweile Informationen zur Religionszugehörigkeit des Passinhabers enthalten. Vereinzelt sind Pässe an Antragsteller ausgestellt worden, die ihre Religionszugehörigkeit als „muslim“ angegeben, die grundsätzlich verpflichtende Erklärung aber nicht unterzeichnet haben.
155Vgl. UK Home Office, Country Policy and Information Note, Pakistan: Ahmadis, Version 5.0, September 2021, S. 29 ff.; Auswärtiges Amt, Auskunft an das OVG NRW vom 20.2.2023, S. 3 ff.; Ahmadiyya Muslim Jamaat, Auskunft an das OVG NRW vom 4.8.2022, S. 14, Frage 8; UNHCR, Eligibility Guidelines für Assessing the International Protection Needs of Members of Religious Minorities from Pakistan, Januar 2017, S. 31 f.
156Das Auswärtige Amt sieht in dem Zwang, sich in der für die Beantragung von Identitätskarte und Pass notwendigen Erklärung für die Eigenschaft als Muslim oder aber Nicht-Muslim entscheiden zu müssen, eine Verletzung der verfassungsmäßigen und grundlegenden Rechte auf Religionsfreiheit.
157Vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das OVG NRW vom 20.2.2023, S. 4 f., Frage 8.
158Diese Erklärung hat für die Betroffenen weitreichende Folgen. Entscheiden sich Ahmadis, sich als Nicht-Muslime zu erklären, widersprechen sie ihrem Selbstverständnis als Mitglieder einer muslimischen Religionsgemeinschaft, versperren sich die Möglichkeit, die auch für sie religiös verpflichtende Pilgerreise nach Mekka zu unternehmen, und setzen sich zugleich mit der ‒ zumindest im Pass ‒ öffentlichen Bekanntgabe ihrer Zugehörigkeit zu der Ahmadiyya-Gemeinschaft der sozialen Stigmatisierung bis hin zu Repressalien und Verfolgung in Pakistan aus.
159Vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das OVG NRW vom 20.2.2023, S. 5 f., Frage 12; Ahmadiyya Muslim Jamaat, Auskunft an das OVG NRW vom 4.8.2022, S. 16, Frage 9, S. 23, Frage 12; UK Home Office, Country Policy and Information Note, Pakistan: Ahmadis, Version 5.0, September 2021, S. 30 f., Rn. 5.2.11.
160Entscheiden sie sich ihrem Selbstverständnis entsprechend, sich als Muslime zu erklären, so machen sie sich gemäß Section 298C des pakistanischen Strafgesetzbuchs strafbar.
161Vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das OVG NRW vom 20.2.2023, S. 6, Frage 13; Ahmadiyya Muslim Jamaat, Auskunft an das OVG NRW vom 4.8.2022, S. 46, Frage 13.
162Neben den Konsequenzen der Entscheidung des Islamabad High Court für die Modalitäten zur Erlangung von Ausweisdokumenten und die Einschränkung der Möglichkeit, den Glauben zu wechseln, sind die Entscheidungsgründe ein prominentes Indiz dafür, dass es massive und wirkmächtige Bestrebungen mit erheblichen praktischen Folgen in verschiedenen Lebensbereichen gibt, um die Erkennbarkeit von Ahmadis mit staatlichen Instrumenten zu erzwingen, sowie dafür, dass die Anti-Ahmadiyya-Gesetzgebung auch tatsächliche Konsequenzen zu haben droht, sobald Ahmadis als solche erkennbar zu ihrem muslimischen Glauben stehen und ihn leben.
163Dementsprechend wird in verschiedenen Erkenntnisquellen berichtet, dass sich die Situation der Ahmadis in Pakistan in den letzten Jahren zunehmend verschlechtert hat und sie mittlerweile selbst in Chenab Nagar (= Rabwah) unter konstanter Bedrohung und genereller Kriminalisierung leben. Von einer in letzter Zeit stark zugenommenen Zahl tödlicher Angriffe auf Mitglieder der Ahmadiyya-Gemeinde wurde berichtet. Der Daseinszweck von allein 84 von 247 aktuell tätigen Organisationen soll sich gegen religiöse Minderheiten einschließlich Schiiten, Ahmadi, Hindus oder Christen richten. Diese Gruppen beeinflussten zunehmend den politischen Mainstream.
164Vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Pakistan: Situation der Ahmadi, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 7.5.2018, S. 7 ff. und 11 ff.; UK Home Office, Country Policy and Information Note, Pakistan: Ahmadis, Version 5.0, September 2021, S. 35; U. S. Commission on international religious freedom, 2022 annual report, April 2022, S. 29; Australian Government, Department of Foreign Affairs and Trade, Country Information Report, 20.2.2019, S. 41, Rn. 3.129 ff., 3.135, und vom 25.1.2022, S. 24, Rn. 3.43; Auswärtiges Amt, Auskunft an BAMF vom 3.6.2020; Ahmadiyya Muslim Jamaat, Auskunft an das OVG NRW vom 3.8.2022, S. 2 ff.; ACCORD, Pakistan: Religious Minorities, März 2021, S. 58 ff. und 64 ff.
165Regierungsvertreter und Politiker treten regelmäßig bei verschiedenen Konferenzen solcher Organisationen zur Finalität des Prophetentums auf, die geprägt sind unter anderem durch Gewaltaufrufe, Hass und Flüche gegen Ahmadis. Sowohl im Jahr 2019 als auch im Jahr 2020 ist es zu einer merkbaren Zunahme an rhetorischen Entgleisungen ‒ bis hin zu Mordaufrufen ‒ gegenüber den Anhängern der Ahmadiyya auch von Seiten hochrangiger Regierungsmitglieder gekommen.
166Vgl. UK, Home Office, Country Policy and Information Note, Pakistan: Ahmadis, Version 5.0, September 2021, S. 49 f.; U. S. Department of State, 2019 Report on International Religious Freedom, Pakistan, S. 1; Bundesamt für Fremdenwesen Österreich, Länderinformation der Staatendokumentation, Pakistan, Version 6, 20.7.2023, S. 83, unter Verweis auf Auswärtiges Amt, Lagebericht Pakistan vom 28.9.2021, S. 11, Auswärtiges Amt, Auskunft an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 3.6.2020, S. 2.
167Auch werden Glaubensangehörige der Ahmadiyya zunehmend auf Druck religiöser Geistlicher und bestimmter religiöser Gruppen erfolgreich entsprechend der Forderung des Islamabad High Court aus gehobenen Positionen gedrängt. Sowohl in staatlichen Behörden als auch im Militär wurden Beförderungsmöglichkeiten für Ahmadis gedeckelt.
168Vgl. UK, Home Office, Country Policy and Information Note, Pakistan: Ahmadis, Version 5.0, September 2021, S. 48 f.; Business recorder vom 9.11.2018: Islamabad High Court Bar Association urged Government not to appoint any Ahmadi as judge; Ahmadiyya Muslim Jamaat, Auskunft an das OVG NRW vom 4.8.2022, S. 23 ff.
169Die gegen die Ahmadis gerichtete Rhetorik sowohl islamistischer Gruppierungen als auch der Politik in ganz Pakistan, die ohne rechtliche Einschränkungen in den Medien propagiert wird, führt dazu, dass die Öffentlichkeit, und insbesondere die Jugend in Pakistan keine andere Realität mehr kennt. Anti-Ahmadi-Poster, ‑Banner und -Sticker werden frei auf öffentlichen Plätzen verteilt oder angebracht. Manche Ladeninhaber verbieten Ahmadis das Einkaufen in ihren Läden, vor dem Kauf von Produkten, die Ahmadis hergestellt haben, wird auf Schildern gewarnt. Ahmadis werden in der Schule, in den Universitäten und am Arbeitsplatz diskriminiert und schikaniert. Es kommt immer wieder zu Anti-Ahmadi-Demonstrationen. Ahmadis werden von radikalislamischen Gruppen zielgerichtet verfolgt und getötet.
170Vgl. UK Home Office, Country Policy and Information Note, Pakistan: Ahmadis, Version 5.0, September 2021, S. 14 f., Rn. 2.4.23-25; Auswärtiges Amt, Lagebericht Pakistan vom 8.8.2022, Stand: Juni 2022, S. 11; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Österreich, Länderinformation der Staatendokumentation, Pakistan, Version 6, vom 20.7.2023, S. 84; Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes Pakistan Juli bis Dezember 2022 vom 1.1.2023, S. 3.
171Die Abgabe von Erklärungen zur Religionszugehörigkeit ist auch in weiteren Lebensbereichen verbreitet. Obwohl die pakistanische Verfassung eine Diskriminierung aus religiösen Gründen untersagt, müssen etwa Schülerinnen und Schüler staatlicher Schulen sowie Studentinnen und Studenten staatlicher Universitäten bei Eintritt eine Erklärung abgeben, wonach sie als Muslime an die Finalität des Prophetentums Mohammeds glauben, Ahmadis können nur zugelassen werden, wenn sie nicht beanspruchen, Muslime zu sein. Nicht-Muslime müssen sich ihre Religion zusätzlich von dem lokalen Leiter ihrer religiösen Gemeinschaft bestätigten lassen.
172Vgl. U. S. Department of State, Pakistan 2021 International Religious Freedom Report, S. 9; UK Home Office, Country Policy and Information Note, Pakistan: Ahmadis, Version 4.0, März 2019, S. 47, Rn. 10.1.2.
173Darüber hinaus fragen einige Arbeitgeber die Religionszugehörigkeit ihrer Arbeitnehmer ab.
174Vgl. UK Home Office, Country Policy and Information Note, Pakistan: Ahmadis, Version 3.0, Juni 2018, S. 47, Rn. 10.2.1
175Zu der am 5.5.2020 gegründeten Nationalen Kommission für Minderheiten wurden Mitglieder der Ahmadiyya nach Protesten islamischer Gruppen nicht eingeladen. Die Ahmadis müssten zunächst die Verfassung und insbesondere ihre Rolle als Nicht-Muslime akzeptieren, bevor sie ihre verfassungsmäßigen Rechte geltend machen könnten.
176Vgl. UK Home Office, Country Policy and Information Note, Pakistan: Ahmadis, Version 5.0, September 2021, S. 48 ff., U. S. Department of State, Pakistan 2020 International Religious Freedom Report, S. 21, ebenso ACCORD, Pakistan, Religious Minorities, März 2021, S. 61; ebenso nachrichtlich Auswärtiges Amt, Lagebericht Pakistan vom 21.9.2023, Stand: Juli 2023, S. 10.
177Die Regierung der Provinz Punjab, der größten Provinz des Landes, setzte eine Vielzahl von Maßnahmen gegen den Glauben der Ahmadiyya durch. Vor allem die seit 2021 bei Eheschließung zwischen Muslimen eingeforderte Erklärung zur Finalität des Prophetentums macht Ahmadis die nach ihren Glaubensgrundsätzen nach islamischem Recht durchzuführende Eheschließung de facto unmöglich.
178Vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Österreich, Länderinformation der Staatendokumentation Pakistan, Version 6 vom 20.7.2023, S. 82; U. S. Department of State, Pakistan 2021 International Religious Freedom Report, S. 1, 17; nachrichtlich: Auswärtiges Amt, Lagebericht Pakistan vom 21.9.2023, Stand: Juli 2023, S. 11.
179Generell haben Ahmadis Schwierigkeiten, ihre Ehen bei den Behörden registrieren zu lassen, weil die Behörden einer Anwendung des muslimischen Familienrechts auf Ahmadis grundsätzlich ablehnend gegenüberstehen.
180Vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das OVG NRW vom 20.2.2023, S. 8, Frage 22; U. S. Department of State, 2019 Report on International Religious Freedom: Pakistan, S. 10; UK Home Office, Country Policy and Information Note, Pakistan: Ahmadis, Version 5.0, September 2021, S. 31, Rn. 5.3.3; UNHCR, Eligibility Guidelines für Assessing the International Protection Needs of Members of Religious Minorities from Pakistan, Januar 2017, S. 32; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Österreich, Länderinformation der Staatendokumentation, Pakistan, Version 6 vom 20.7.2023, S. 82.
181Insbesondere auf Grund der strengen Blasphemiegesetze geraten Ahmadis immer wieder in das Blickfeld der pakistanischen Behörden. Laut Auswärtigem Amt wurden schon im Jahr 2010 insgesamt 67 Strafverfahren nach Section 298C gegen Ahmadis eingeleitet, die Angeklagten seien (Stand: 2012) überwiegend gegen Kaution freigekommen.
182Vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Pakistan vom 2.11.2012, Stand: September 2012, S. 13.
183Amnesty international ging im Jahr 2016 von einer Anzahl von 494 Blasphemieanzeigen gegen Ahmadis im Zeitraum von 1987 bis 2016 aus.
184Vgl. amnesty international, As Good As Dead, The Impact of the Blasphemy Laws in Pakistan, London 2016, S. 18, Rn. 1.3.
185Eine weitere Statistik von der nicht mehr verfügbaren Webseite Persecutionofahmadis.org soll für die Zeit von 1984 bis 2019 insgesamt etwa 4.000 Fälle strafrechtlicher Verfolgung gegen Ahmadis wegen ihres Glaubens ausgewiesen haben.
186Vgl. UK Home Office, Country Policy and Information Note, Pakistan: Ahmadis, Version 5.0, September 2021, S. 54 f., und Version 3.0, Juni 2018, S. 38; siehe auch UNHCR, Eligibility Guidelines für Assessing the International Protection Needs of Members of Religious Minorities from Pakistan, Januar 2017, S. 30 f., Fußnote 198.
187Die NGO Commission on Social Justice berichtet, dass ein Drittel der insgesamt bis 2021 registrierten nahezu 2.000 Anzeigen wegen Blasphemie Ahmadis betrafen. Von 2019 bis einschließlich 2021 waren laut Berichten der Ahmadis 61 Ahmadis von Anklagen im Rahmen der Blasphemiegesetze betroffen. Laut Eigenangaben wurden allein 2021 über 100 Anzeigen gegen sie aus verschiedenen religiösen Gründen erstattet, darunter Vorwürfe wie Blasphemie, „sich als Muslime ausgeben“ oder das Predigen ihres Glaubens. Ebenfalls nach Eigenangaben der Ahmadiyya befanden sich Ende März 2022 sieben Ahmadis aus religiösen Gründen in Haft.
188Vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Österreich, Länderinformation der Staatendokumentation Pakistan, Version 6, vom 20.7.2023, S. 83, m. w. N.; Auswärtiges Amt, Lagebericht Pakistan vom 8.8.2022, Stand: Juni 2022, S. 10 f.; UK Home Office, Country Policy and Information Note, Pakistan: Ahmadis, Version 5.0, September 2021, S. 55; nachrichtlich siehe auch Auswärtiges Amt, Lagebericht Pakistan vom 21.9.2023, Stand: Juli 2023, S. 11.
189In der Regel werden die Strafverfahren gegen Ahmadis von islamistischen Gruppierungen in Gang gebracht. Ähnlich wie gegenüber Christen wird die Blasphemiegesetzgebung dazu benutzt, die Angehörigen dieser Minderheit aus den verschiedensten Motiven unter Druck zu setzen, die nur zum Teil einen religiösen Hintergrund haben.
190Vgl. Auswärtiges Amt, Lageberichte Pakistan vom 8.8.2022, Stand: Juni 2022, S. 11 f., und vom 20.10.2017, Stand: August 2017, S. 14; European Asylum Support Office, EASO Country of Origin Information Report Pakistan, Oktober 2018, S. 17; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Pakistan: Situation der Ahmadi, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse, 7.5.2018, S. 10; amnesty international, As good as dead, The impact oft he blasphemy laws in Pakistan, London 2016, S. 11; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Österreich, Länderinformation der Staatendokumentation, Pakistan, Version 6, vom 20.7.2023, S. 82.
191Die Anschuldigungen, die meist auf vermeintlich blasphemische Äußerungen, Textnachrichten, Inhalte von sozialen oder Massenmedien, das Verteilen religiöser Schriften oder Bücher oder die „Schändung“ religiöser Texte gestützt werden, führen oftmals zu ‒ auch mit Bestechung forcierten ‒ Anzeigen bei der Polizei und zur Verhaftung der Beschuldigten. Die in 2004 erfolgte Änderung der Strafprozessordnung, wonach entsprechende Anzeigen vor der gerichtlichen Registrierung von einem leitenden Polizeibeamten untersucht werden müssen, war im Jahr 2015 noch kaum umgesetzt.
192Vgl. UNHCR, Eligibility Guidelines für Assessing the International Protection Needs of Members of Religious Minorities from Pakistan, Januar 2017, S. 17, Fußnote 103.
193Folter und Misshandlungen im Polizeigewahrsam sind trotz Verbots weit verbreitet. Die Polizei ist häufig in die lokalen Machtstrukturen eingebunden und daher nicht in der Lage, unparteiliche Untersuchungen durchzuführen. So werden Strafanzeigen gar nicht erst aufgenommen oder Ermittlungen verschleppt. Die Verurteilungen, die erstinstanzlich vielfach ‒ auf Druck islamistischer Kräfte ‒ auf die Todesstrafe lauten, werden von Berufungsgerichten häufig wieder aufgehoben bzw. in lebenslängliche Freiheitsstrafe umgewandelt. Seit 2019 ist keine Todesstrafe mehr vollstreckt worden. Die Gesamtzahl der zum Tode Verurteilten in pakistanischen Gefängnissen lag Ende 2021 zwischen 3.800 und 4.200 Personen, darunter befanden sich 30 bis 80 Personen, die wegen Blasphemie zum Tode verurteilt worden sein sollen. Die Zustände in den Gefängnissen sind auf Grund von Überfüllung, Überalterung der Gebäude, struktureller Probleme und Korruption generell unerträglich, Sprecher der Ahmadiyya-Gemeinschaft berichten darüber hinaus von einer zielgerichteten Misshandlung und Gewalt gegenüber der Ahmadiyya angehörenden Insassen.
194Vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Pakistan vom 8.8.2022, Stand: Juni 2022, S. 4, 7, 10 und 18 f.; U. S. Department of State, Pakistan 2022 Human Rights Report vom 20.3.2023, S. 5 ff.; nachrichtlich Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 21.9.2023, Stand: Juli 2023, S. 18.
195Eine Anzahl der Ahmadis, die ihren Glauben in strafrechtlich verbotener Weise praktizieren, lässt sich allerdings wegen ihrer Kriminalisierung und allgemeinen Bedrohung nicht einmal ansatzweise bestimmen. Der Senat hat trotz intensiver Tatsachenermittlung auch diesbezüglich keine zahlenmäßige Größenordnung feststellen können. Während die Ahmadiyya Muslim Jamaat davon ausgeht, dass jeder gläubige Ahmadi, ca. 500.000 Menschen, seine Religion bereits deshalb in strafrechtlich verbotener Weise ausübt, weil er sich ‒ wie auch die übrigen Muslime ‒ an die Regeln des Korans hält,
196vgl. Ahmadiyya Muslim Jamaat, Auskunft an das OVG NRW vom 4.8.2022, S. 79, Frage 30,
197hat das Auswärtige Amt ausschließlich die Zahl der in Pakistan lebenden Ahmadis mit 500.000 bis 600.000 Personen angegeben und auf Hinweise verwiesen, wonach seit Ende 2022 Ahmadis im Punjab verstärkt auf Grund von Blasphemievorwürfen verhaftet und angeklagt würden.
198Vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das OVG NRW vom 20.2.2023, S. 10 f., Frage 29; nachrichtlich siehe auch Auswärtiges Amts, Lagebericht Pakistan vom 21.9.2023, Stand: Juli 2023, S. 11.
199Das Deutsche Orient-Institut hat auf entsprechende Anfrage geantwortet, dass ihm ausreichende Informationen fehlten.
200Vgl. Deutsches Orient-Institut, Auskunft an das OVG NRW vom 14.10.2021, Frage 29.
201Dennoch lässt bereits die durch den Senat erfolgte Auswertung der aktuellen Erkenntnisse den ausreichend verlässlichen Schluss zu, dass Ahmadis, die ihren Glauben in Pakistan in strafrechtlich verbotener Weise praktizieren, indem sie sich ihrem Glaubensverständnis entsprechend als Muslime verstehen und nach islamischen Glaubensregeln leben, ohne dies gegenüber der Öffentlichkeit zu verstecken, bereits mit einem real erhöhten Verfolgungsrisiko rechnen müssen. Die im Verhältnis zur Gesamtzahl der in Pakistan lebenden Ahmadis deutlich niedrigeren, im Verhältnis zu ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung aber vergleichsweise hohen Zahlen einschlägiger strafrechtlicher Ermittlungsverfahren lassen angesichts der zahlreichen weithin bekannten massiven Risiken vor allem darauf schließen, dass die große Mehrheit der im Lande verbliebenen Ahmadis aus Furcht vor Verfolgung ihre Glaubensausübung nach Möglichkeit nicht nach außen trägt. Die angesichts der unter Ahmadis bekanntermaßen real erhöhten Bedrohungslage realistischerweise nur geringe Zahl derer, die dennoch ihren muslimischen Glauben nach außen erkennbar leben, müssen demgegenüber je nach Umfeld auch tatsächlich verstärkt damit rechnen, Opfer von gewaltsamen Übergriffen oder staatlicher Strafverfolgung einschließlich langjähriger Inhaftierungen unter unwürdigsten Haftbedingungen allein wegen ihrer Glaubensausübung zu werden. Die in den letzten Jahren festzustellende zunehmende Verschlechterung der Situation der Ahmadis in Pakistan ist mittlerweile selbst in Chenab Nagar (= Rabwah) durch Bedrohung und generelle Kriminalisierung durch eine Vielzahl aktiver radikaler Gruppierungen geprägt. Unter ihrem Druck werden immer wieder auch strafrechtliche Vorwürfe gegen Ahmadis wegen der bloßen Glaubensausübung nach Art der Muslime erhoben und bei der Polizei angezeigt, die Verhaftungen, Misshandlungen und Verurteilungen zu langjährigen Haftstrafen oder gar zum Tode zur Folge haben. Jedenfalls unter Berücksichtigung dieser verschärften Bedrohungslage ist der Senat nach Auswertung sämtlicher aktueller Erkenntnisse davon überzeugt, dass die Anti-Ahmadiyya-Gesetzgebung sowie die gesamtgesellschaftlich verbreitete feindliche Grundstimmung gegenüber Ahmadis mittlerweile nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu schwerwiegenden bereits flüchtlingsrechtlich relevanten Konsequenzen für diejenigen Ahmadis führen kann, die sich offen als Ahmadis bekennen und erkennbar als Muslime bezeichnen und deren Verhalten nach den Regeln des Korans öffentlich insbesondere auch Vertretern einer der vielen religiösen Gruppen bekannt wird, die offensiv für die Finalität des Prophetentums und die Reinheit des islamischen Glaubens eintreten. Selbst der vor einigen Jahren mit der Frage des „Vollzugsdefizits“ bezogen auf rechtliche Regeln, die Ahmadis betreffen, intensiv befasste Islamabad High Court hat auf der Grundlage seiner Ermittlungen nicht beanstandet, dass die Anti-Ahmadi-Gesetze unzureichend angewandt würden, sobald entsprechende Anzeigen bei der Polizei eingingen. Ein Vollzugsdefizit ist vom High Court in erster Linie insoweit gerügt worden, als zahlreiche Ahmadis in staatlichen Registern und Ausweispapieren nicht als solche verzeichnet seien und sich gegenüber staatlichen Stellen auch sonst nicht als Ahmadis zu erkennen gäben, weil viele von ihnen die ihnen von der Verfassung vorgegebene Zuordnung als „Nicht-Muslime“ nicht akzeptierten. Jemand, der allerdings offen als Ahmadi bekannt oder erkennbar ist und sich nach den Regeln des Korans verhält, wird in der pakistanischen Gesellschaft nach verbreiteter Erkenntnislage und selbst nach ständiger Rechtsprechung der höchsten Gerichte in Pakistan entsprechend der dort verbreiteten Rechtsüberzeugung so sehr als Gefahr für die öffentliche islamische Ordnung wahrgenommen, dass er je nach den Umständen des Einzelfalls ernsthaft und realistischerweise mit Anfeindungen, körperlichen Angriffen, Anzeigen bei der Polizei und Misshandlungen im Polizeigewahrsam rechnen muss, jedenfalls sobald sein muslimisches Verhalten in den Blick strenggläubiger Mullahs oder religiöser Gruppierungen gerät. Der Druck der für die Durchsetzung der Anti-Ahmadiyya-Gesetzgebung eintretenden religiösen Gruppen ist auch mit Blick auf im Allgemeinen wenig verlässliche Polizeistrukturen ganz regelmäßig so stark, dass selbst die seit vielen Jahren zum Schutz vor missbräuchlichen Falschanzeigen bestehende prozessuale Hürde immer wieder unbeachtet bleibt, entsprechende Anzeigen vor der gerichtlichen Registrierung von einem leitenden Polizeibeamten untersuchen zu lassen. Auf ein die Bedrohungslage nennenswert senkendes Vollzugsdefizit durch ineffiziente Polizeiarbeit deutet dies ebensowenig hin wie die bloße – keineswegs ganz geringe und zuletzt spürbar gestiegene – Zahl öffentlich bekannt gewordener Anzeigen, Verhaftungen und gewaltsamer Angriffe wegen der muslimischen Glaubensausübung durch Ahmadis. Diese fällt trotz der vom Senat angenommenen verbreiteten Bedrohungslage ohne Weiteres schlüssig erklärbar deshalb nicht noch höher aus, weil diese Bedrohung unter Ahmadis in Pakistan verbreitet zu einem – von der Rechtspraxis ausdrücklich erwarteten und schon seit 1984 auch tatsächlich verbreitet erfolgten – diskreten Umgang mit dem eigenen Glauben und einen Rückzug ins Private führt, jedenfalls sobald Mitglieder der Mehrheitsgesellschaft oder gar radikaler Gruppierungen anwesend sind, was für Chenab Nagar (= Rabwah) während der regelmäßigen Anti-Ahmadi-Kundgebungen beispielhaft auch aktuell ausreichend dokumentiert ist.
202Selbst in Chenab Nagar (= Rabwah), ihrem geistigen Zentrum, das zu etwa 95 % von Ahmadis bewohnt ist, sind Ahmadis in ihrer Lebensweise ebenso eingeschränkt wie im übrigen Pakistan. Die Einschränkungen durch die Blasphemiegesetze gelten genauso wie im übrigen Pakistan, Versammlungen von mehr als 30 Personen sind ihnen untersagt, was unter anderem dazu geführt hat, dass sie in Pakistan ihre Jahresversammlung seit 1983 nicht mehr durchführen konnten. Die großen Anti-Ahmadi-Kundgebungen finden selbst in Chenab Nagar (= Rabwah) mehrfach im Jahr öffentlich statt. Als einzigen Schutz raten die Behörden der Bevölkerungsmehrheit in diesem Ort, ihre Geschäfte zu schließen und sich in ihren Häusern bzw. Wohnungen zu verbarrikadieren. Ahmadis können ihre Gebete in kleinen Gebetshäusern ausschließlich mit bewaffnetem Sicherheitspersonal verrichten. Der öffentliche Verkauf religiöser Literatur ist ihnen untersagt. Teilweise können Ahmadis, die als bekennende Ahmadis dort gesellschaftliche Aufmerksamkeit erlangt haben, selbst dann weiteren Anfeindungen nicht mehr entgehen, wenn sie sich nicht mehr in der Öffentlichkeit zeigen.
203Vgl. UK Home Office, Country Policy and Information Note, Pakistan: Ahmadis, Version 5.0, September 2021, S. 33 ff.; UNHCR, Eligibility Guidelines für Assessing the International Protection Needs of Members of Religious Minorities from Pakistan, Januar 2017, S. 33 f.; European Asylum Support Office, Herkunftsländerinformationen Pakistan, August 2015 S. 90; Deutsches Orient-Institut, Auskunft an das OVG NRW vom 14.10.2021, Fragen 4 und 25; Ahmadiyya Muslim Jamaat, Auskunft an das OVG NRW vom 4.8.2022, S. 76 f., Fragen 27 f.
2045. Es bestehen keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die ca. 60.000 bis 70.000 Einwohner auf etwa 24 km² umfassende Kleinstadt Chenab Nagar (= Rabwah), die für verfolgte Ahmadis in der Vergangenheit vielfach als inländische Fluchtalternative angesehen worden ist, weil ausschließlich hier die ganz überwiegende Bevölkerungsmehrheit aus Ahmadis besteht, noch nennenswerte Aufnahmekapazitäten für neu hinzuziehende Ahmadis hätte. Während das Auswärtige Amt trotz der ihm kraft Amts zur Verfügung stehenden Recherchemöglichkeiten insoweit vorträgt, dass ihm diesbezüglich keine Erkenntnisse vorlägen,
205vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das OVG NRW vom 20.2.2023, S. 9 Frage 24,
206nimmt das Deutsche Orient-Institut zwar noch bestehende Aufnahmekapazitäten an. Es kann jedoch keine Prognose über ausreichend freien Wohnraum oder die gesicherte Versorgung mit Strom, Wasser und Gas im Fall eines signifikanten Zuzugs treffen. Auch prognostiziert es, ein weiterer Aus- oder Neubau bestehender bzw. benötigter Infrastruktur würde – so das Deutsche Orient Institut – wahrscheinlich durch die existierende Gesetzeslage massiv eingeschränkt.
207Vgl. Deutsches Orient-Institut, Auskunft an das OVG NRW vom 14.10.2021, Frage 24.
208Angesichts dieser Erläuterungen erscheint die damit kaum vereinbare Annahme bestehender Aufnahmekapazitäten offensichtlich nicht ausreichend belastbar und kann nicht Grundlage einer entsprechenden gerichtlichen Überzeugungsbildung sein. Dies gilt umso mehr, weil die Ahmadiyya Muslim Jamaat, die guten Kontakt zur örtlichen Bevölkerung unterhält und die dortigen Verhältnisse am besten beurteilen kann, eine nennenswerte weitere Aufnahmemöglichkeit für neu hinzuziehende Ahmadis gut nachvollziehbar verneint. Chenab Nagar (= Rabwah) sei bereits an seine Kapazitätsgrenze gelangt, weshalb dort Ahmadis nur noch vereinzelt Unterschlupf finden könnten. Sie könnten sich dort auch ausschließlich religiös und sozial in die vorhandenen Gemeindestrukturen der Ahmadiyya integrieren, eine wirtschaftliche/finanzielle Integration bzw. Absicherung sei wegen der sehr schlechten Infrastruktur und der geringen Zahl an Beschäftigungsmöglichkeiten nicht gegeben.
209Vgl. Ahmadiyya Muslim Jamaat, Auskunft an das OVG NRW vom 4.8.2022, S. 71, Frage 24.
2106. Suchen Ahmadis bei staatlichen Autoritäten um Schutz bzw. Hilfe gegen ungerechtfertigte Blasphemievorwürfe oder vor Bedrohungen, Verbrechen oder anderen Gewalttaten gegen sie, treffen sie regelmäßig auf ein Versagen der örtlichen Behörden und ein hohes Risiko einer willkürlichen Verhaftung auf der Grundlage einer konstruierten Strafanzeige. Zugleich verhindern Einschüchterungsversuche oder Druck auf die Behörden seitens fundamentalistischer Gruppen ein Einschreiten, Untersuchen oder Verfolgen religiös motivierter Gewalt gegen Ahmadis. Vielfach ist die Polizei selbst in die fundamentalistischen Gruppen verstrickt, so dass schutzsuchende Ahmadis in Polizeigewahrsam genommen werden und dort weitere Gewalt erfahren oder im Polizeigewahrsam nicht vor Gewalt von außerhalb geschützt sind.
211Vgl. UK Home Office, Country Information and Guidance Pakistan: Ahmadis, Version 5.0 September 2021, S. 16, Rn. 2.5; UNHCR, Eligibility Guidelines für Assessing the International Protection Needs of Members of Religious Minorities from Pakistan, Januar 2017, S. 34 f.; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse Pakistan vom 7.5.2018, S. 10 f.; Ahmadiyya Muslim Jamaat, Auskunft an das OVG NRW vom 4.8.2022, S. 77, Frage 28, zur Situation (selbst) in Rabwah
212III. Ausgehend von den unter I. aufgeführten rechtlichen Maßstäben und unter Berücksichtigung der unter II. zusammengefassten allgemeinen Informationen über die Lage der Ahmadis im Herkunftsland Pakistan ist der Kläger auf Grund seines geschilderten Einzelschicksals als vorverfolgt anzusehen. Ihm droht bei Rückkehr nach Pakistan mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit flüchtlingsrelevante Verfolgung.
213Der Senat ist zu der Überzeugung gelangt, dass dem Kläger als Ahmadi, der sich als Muslim ansieht, nach den Regeln des Korans lebt und bereits vor seiner Flucht in der Öffentlichkeit als solcher aufgefallen und substantiell angegriffen worden ist, bei einer Rückkehr nach Pakistan mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung droht. Der Kläger ist bereits vorverfolgt aus Pakistan ausgereist, so dass ihm die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU zugutekommt (dazu 1.). Unabhängig davon ist nach Überzeugung des Senats bei einer wertenden Gesamtbetrachtung eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung des Klägers im Falle einer Rückkehr nach Pakistan beachtlich wahrscheinlich, weil bei einem besonnenen Menschen in seiner Lage durch die für ihn subjektiv verbindliche, nicht verheimlichte, sondern öffentlich wahrnehmbare und auch religiösen Gruppierungen der muslimischen Mehrheit bekannt gewordene Ausübung seines Glaubens begründete Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden würde (dazu 2.).
2141. Der Kläger hat Pakistan vorverfolgt aus Furcht vor weiteren lebensgefährlichen Übergriffen seitens islamistischer Akteure gegen ihn als Ahmadi verlassen.
215Der Senat ist davon überzeugt, dass der Kläger seit Geburt der Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya angehört. Er hat eine entsprechende Bescheinigung der Ahmadiyya Muslim Jamaat e. V. vom 25.1.2012 vorgelegt, wonach er seit Geburt Mitglied der Ahmadiyya Muslim Jamaat ist. In ihrer Auskunft vom 3.8.2022,
216vgl. Ahmadiyya Muslim Jamaat, Auskunft an das OVG NRW vom 3.8.2022, S. 1,
217hat die Ahmadiyya Muslim Jamaat nochmals zu der Mitgliedschaft des Klägers Stellung genommen. Sie hat in Übereinstimmung mit dem Vortrag des Klägers dazu ausgeführt, dass dieser als Mitglied einer zu den ersten Einwohnern der Stadt zählenden Familie in Chenab Nagar (= Rabwah) eine Metzgerei betrieben, den Ahmadis und der Gemeinde Waren zum Vorzugspreis angeboten habe und allgemein bekannt gewesen sei, dass er ein Ahmadi sei. Der Senat hat sich in der mündlichen Verhandlung davon überzeugt, dass der Kläger, obwohl er erkennbar im Lesen von Karten nicht geübt war und sich nachvollziehbar als nicht sehr gebildet bezeichnet hat, seine frühere Heimat sowie sein Verfolgungsschicksal auch räumlich auf Karten von Chenab Nagar (Rabwah) und dem etwa 40 km entfernten L. anhand seiner allgemeinen Erinnerung etwa von der dortigen Hauptstraße, einem nahegelegenen Bahnübergang oder einer Polizeidienststelle sehr konkret und überzeugend zuzuordnen in der Lage war. Der Kläger hat trotz erheblicher Probleme, auf der Karte die lateinische Schriftsprache zu erkennen, eindeutig sowohl seine Metzgerei als auch den Markt in L. auf der in der Verhandlung auf Bildschirmen gezeigten Karte von Chenab Nagar (= Rabwah) und Umgebung zeigen und den geschilderten Geschehnissen zuordnen können. Danach bestehen keine Zweifel, dass er dort auch tatsächlich als Ahmadi gelebt hat, zumal über die Verhältnisse in der Stadt Chenab Nagar (= Rabwah) im Einzelnen bei Auswärtigen allgemein wenig bekannt ist und selbst das Auswärtige Amt nicht in der Lage war, über den Kooperationsanwalt der pakistanischen Botschaft oder anderweitig die vom Senat abgefragten Erkenntnisse über allgemeine Wohnverhältnisse in Chenab Nagar (= Rabwah) zu erlangen.
218Ebenso wenig bietet die Tatsache, dass die Ehefrau des Klägers und vier seiner Kinder im Mai 2021 mit einem falschen Pass und Visum in das Bundesgebiet eingereist sind, einen Anhalt dafür, dass es sich bei der Familie des Klägers insgesamt nicht um Glaubensangehörige der Ahmadiyya aus Chenab Nagar (= Rabwah) handeln könnte. Abgesehen davon, dass der Kläger auf das Handeln der später eingereisten Familienmitglieder keinen Einfluss nehmen konnte, ist ihr Vorgehen über die Beschaffung gefälschter Pässe ‒ und eines Visums unter Verleugnung des wahren Geburtsortes ‒ augenscheinlich durch die über einen Schlepper ermöglichte Flucht aus dem Heimatland zu erklären. Auch die Familie hat bei Ankunft in Deutschland auf ihre Glaubenszugehörigkeit zu der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft verwiesen und Geburtsurkunden für die Ehefrau des Klägers und die vier Kinder im Original vorgelegt, auf denen jeweils als Religion „Ahmedi“ und als Geburtsort „Chanab Nager“ im Bezirk Chiniot angegeben ist. Diese Urkunden entsprechen nach dem Ergebnis der Physikalisch-Technischen Urkundenuntersuchung seitens des Bundesamts den dort bekannten Vergleichsmerkmalen. Manipulationen konnten nicht festgestellt werden. Auch sie haben eine entsprechende Bescheinigung der Ahmadiyya Muslim Jamaat Deutschland vom 15.8.2021 vorgelegt, wonach sie seit Geburt Mitglieder der Gemeinschaft seien. Die Ehefrau des Klägers und dessen ältester Sohn hätten sich für die Gemeinde in der Heimat durch Übernahme verschiedener Ämter eingesetzt.
219Der Kläger hat vor dem Bundesamt und in den mündlichen Verhandlungen vor dem Verwaltungsgericht sowie vor dem Senat glaubhaft, im Wesentlichen widerspruchsfrei und ohne Übertreibungen oder unschlüssige Steigerungen, detailliert und unter Schilderung der nach dem jeweiligen Zeitablauf noch erwartbaren, lebensnahen Einzelheiten vorgetragen, das für ihn fluchtauslösende Ereignis sei gewesen, dass ihn nach einer körperlichen Attacke auf ihn wegen seiner örtlich bekannten Glaubenszugehörigkeit bei einem Marktbesuch 40 km von Rabwah entfernt kurz vor dem Opferfest 2011 Tage später Personen in seinem Geschäft in Rabwah aufgesucht und bedroht hätten. Aus Angst habe er sein Geschäft geschlossen, sich nur noch zuhause versteckt und seine Flucht vorbereitet.
220Seine in sich stimmige Schilderung, die auch mit den Angaben der später in das Bundesgebiet eingereisten Ehefrau und eines Kindes im Kern übereinstimmt, deckt sich mit den oben beschriebenen Erkenntnissen des Senats zu den ‒ häufig ‒ alltäglichen Anlässen für eine Verfolgung der Ahmadis. Danach suchen militante oder aber radikalisierte Muslime häufig alltägliche Streitigkeiten und nehmen sie zum Anlass für eine religiös motivierte Verfolgung, die in der Erstattung einer Blasphemieanzeige oder aber ‒ wie auch hier ‒ in der körperlichen Misshandlung und Bedrohung des Opfers bestehen kann. Dass es bei der vom Kläger geschilderten Auseinandersetzung nicht zu weitreichenderen Folgen, insbesondere seiner Tötung gekommen ist, liegt nach Überzeugung des Senats allein daran, dass ein anderer Marktbetreiber den Kläger rechtzeitig gerettet und damit Schlimmeres verhindert hat. Ebenso hat der Kläger nachvollziehbar geschildert, dass er sich nach dem Vorfall auf dem Markt trotz entsprechender Bedenken seiner Familie noch nicht mit Ausreisegedanken getragen hat. Für ihn hätten die Anfeindungen in einem sunnitischen Umfeld zum Alltag gehört. Als sich jedoch die Schwierigkeiten nach Rabwah verlagert hätten, er mithin auch dort, in seinem angestammten Schutzbereich, von radikalen Moslems ins Visier genommen und massiv bedroht sowie bis nach Hause verfolgt worden sei, konnte er eigenen Angaben zufolge nicht mehr an seinem Heimatort verbleiben. Insofern deckt sich seine Schilderung, es seien Personen auf Motorrädern zu seinem Laden gekommen, mit den aus vielen allgemeinen Quellen bekannten Bedrohungs- und Verfolgungsszenarien durch radikalislamische Moslems gegenüber Angehörigen der Ahmadis, die nicht selten mit der Ermordung des betroffenen Angehörigen der Ahmadis enden. Zugleich erweckten seine Schilderungen den Eindruck, er berichte aus eigener Erfahrung. Dass der Kläger nur sich selbst im Fokus der Verfolgung gesehen, und noch keine vergleichbare Gefahr für seine Familie erblickt hat, deren gleichzeitige sofortige Ausreise auch nicht finanzierbar erschien, beruhte auf seiner einleuchtenden Erklärung, allein er sei durch seine regelmäßigen Aufenthalte auf Märkten in umliegenden, nicht von Ahmadis bewohnten Städten in der Öffentlichkeit als Ahmadi auffällig geworden, seine Familie sei damals noch in der relativen privaten Sicherheit ihres Wohnumfelds verblieben.
221Der Glaubhaftigkeit seiner Angaben steht weder entgegen, dass der Kläger sich nicht mehr eindeutig hat erinnern können, seit wann er zu den Tiermärkten gefahren sei, noch wann die einzelnen Märkte stattgefunden hätten. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die fluchtauslösenden Vorfälle mittlerweile über zehn Jahre zurückliegen ‒ auch in Ansehung dessen, dass es sich für den Kläger um einschneidende, sein Leben verändernde Erlebnisse gehandelt hat ‒ misst der Senat diesen Ungenauigkeiten im Randgeschehen des Vortrags des Klägers keine entscheidungserhebliche Bedeutung zu, zumal er den fluchtauslösenden Kern seines Vorbringens durchgehend gleich berichtet hat. Gleiches gilt für den Vorhalt, er habe beim Bundesamt geschildert, dass er sich auf dem Markt gegen die Angriffe gewehrt habe, dies jedoch in der mündlichen Verhandlung verneint. Zudem hat der Kläger die voneinander abweichenden Daten jeweils in einer Weise erklärt, die keinen Anhalt für einen erfundenen Vortrag bietet.
222Der weitere Vorhalt der Vertreterin der Beklagten, die zeitliche Abfolge der geschilderten Ereignisse könne nicht zutreffen, steht der Glaubhaftigkeit des geschilderten Verfolgungsgeschehens in seinem wesentlichen Kern ebenfalls nicht entgegen. Die protokollierten Angaben des Klägers, der sich auch insofern angesichts des zwischenzeitlichen Zeitablaufs von mehreren Jahren nicht mehr exakt erinnern können muss, erweisen sich als in den für die Überzeugungsbildung des Senats wesentlichen Punkten als schlüssig. Der grobe Ablauf von dem Marktbesuch an einem Dienstag etwa eine Woche vor dem Opferfest 2011, welches vom 6. bis 9.11.2011 stattgefunden hat, also am Dienstag, dem 1.11.2011, über eine erste Kontaktaufnahme und einen weiteren Anruf des Markbesitzers an einem Dienstag danach und den Vorfall in der Metzgerei am darauffolgenden Freitag bis zur Ausreise am 22.11.2023 stimmt, soweit er überhaupt berichtet oder erfragt wurde, in allen protokollierten Aussagen des Klägers überein. Nach Erläuterung des Klägers auf Vorhalt in der mündlichen Verhandlung, er sei nach dem Vorfall in seiner Metzgerei nur noch wenige Tage, etwa vier bis fünf Tage, in Pakistan geblieben, und zwischen dem Vorfall auf dem Markt und der Ausreise hätten höchstens drei Wochen gelegen, sind mithin die wesentlichen Abläufe zeitlich übereinstimmend und überzeugend dargestellt. Lediglich die genaue Zuordnung zu bestimmten Tagen bleibt in den viele Jahre nach der Ausreise des Klägers erfolgten Befragungen vor dem Verwaltungsgericht und vor dem Senat mit leichten, allerdings letztlich unbedeutenden Unsicherheiten belastet. Ausgehend von der dem Verfolgungsgeschehen zeitlich am nächsten liegenden Aussage vor dem Bundesamt fand nämlich der Angriff auf dem Markt am Dienstag vor dem Opferfest, also am 1.11.2011, statt, nach einer ersten anschließenden Kontaktaufnahme zum Marktbetreiber seine nächste, unterwegs auf Grund einer Warnung abgebrochene Fahrt zum Markt am Dienstag nach dem Opferfest, nämlich am 15.11.2011. Ausgehend davon erscheint der weitere Ablauf dahingehend nachvollziehbar, dass das Geschehen in seinem Laden am folgenden Freitag, also am 18.11.2011, stattgefunden hat und er wenige Tage später, nämlich am 22.11.2011 ausgereist ist. Auch vor dem Verwaltungsgericht war protokolliert worden, dass der Kläger nach einer zwischenzeitlichen ersten Kontaktaufnahme mit dem Marktbetreitber erst zwei Wochen nach dem Angriff auf dem Markt erneut, letztlich erfolglos, dorthin aufgebrochen sein soll. Dazu passte zwar nicht die ebenfalls protokollierte Angabe, zwischen dem Angriff auf dem Markt und der Ausreise des Klägers hätten „etwa 2 Wochen“ gelegen. Angesichts des geringen Bildungsstands des Klägers und seiner am seinerzeitigen Opferfest, von dem bereits beim Bundesamt die Rede war, ausgerichteten groben Erinnerung erscheint es dem Senat allerdings geboten, nicht nur die zunehmend verblassende Erinnerung zu berücksichtigen, sondern seinen von Anfang an am Opferfest ausgerichteten Darstellungen bei der Würdigung seiner Aussagen ein größeres Gewicht beizumessen als der davon losgelösten protokollierten Angabe erklärtermaßen ungefährer Zeiträume. Der vor dem Verwaltungsgericht mit „etwa 2 Wochen“ angegebene Zeitraum zwischen erstem Angriff und Ausreise war zudem unterbrochen durch das über insgesamt vier Tage dauernde Opferfest, wodurch mit Blick auf die Zahl der verbleibenden Werktage diese Angabe des nach vier Jahren erinnerten Zeitraums zu erklären sein mag, obwohl zwischen dem Dienstag vor dem Opferfest und dem Tag der Ausreise tatsächlich drei Wochen lagen. Derartige geringfügige Ungenauigkeiten im Detail, denen auch Missverständnisse bei Protokollierung oder Übersetzung zugrunde liegen können, bieten jedenfalls keine Veranlassung, die im Übrigen hinsichtlich des fluchtauslösenden Kerngeschehens, dessen Erinnerung auch nach langer Zeit erwartet werden kann, nachvollziehbaren Schilderungen als durchgreifend in Zweifel gezogen anzusehen. Nicht zuletzt wegen der sehr guten örtlichen Kenntnisse des Klägers über seine Heimatstadt Chenab Nagar (= Rabwah) und die Umgebung hält der Senat sowohl die Herkunft des Klägers als auch seine im Kern stimmig geschilderte Verfolgungsgeschichte für reale Ereignisse.
223Bei den Angreifern, den Beteiligten an der Auseinandersetzung auf dem Markt und den drohenden Kunden in der Metzgerei, handelte es sich um Akteure im Sinne von § 3c Nr. 3 AsylG. Die Vorschrift, die den Kreis potentieller Verfolger des Art. 6 Buchst. c RL 2011/95/EU übernimmt, bezieht in ihren Anwendungsbereich auch Einzelpersonen und Gruppen ein.
224Vgl. BVerwG, Urteil vom 18.7.2006 ‒ 1 C 15.05 ‒, BVerwGE 126, 243 = juris, Rn. 23, bereits zu dem nichtstaatlichen Akteur im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 4 Buchst. c AufenthG.
225Hinsichtlich dieser Akteure ist der Staat zur Überzeugung des Senats ausweislich der oben genannten Erkenntnisse erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens, Schutz von Verfolgung im Sinne von § 3d AsylG zu bieten. Dieser Schutz, der nach § 3d Abs. 2 AsylG wirksam und nicht nur vorübergehender Art sein muss, ist in Pakistan für bedrohte Ahmadis nicht gegeben. Zwar ist nach § 3d Abs. 2 Satz 2 AsylG, in Umsetzung von Art. 7 Abs. 2 RL 2011/95/EU, ein derartiger Schutz gewährleistet, wenn die in Absatz 1 genannten Akteure ‒ insbesondere der betreffende Staat ‒ geeignete Schritte einleiten, um die Verfolgung zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung darstellen, und wenn der Ausländer Zugang zu diesem Schutz hat. Der pakistanische Staat übt das ihm durch die entsprechenden Rechtsvorschriften übertragene Gewaltmonopol jedoch in Bezug auf Straftaten, die ‒ wie hier ‒ gegenüber Angehörigen der Ahmadis verübt werden, nicht bzw. nicht im Ansatz effektiv aus. Wie bereits oben geschildert, stellt sich die zuständige Polizei vielmehr ganz regelmäßig entweder bewusst, aus Überzeugung oder aber aus Furcht vor den nichtstaatlichen ‒ radikalislamischen ‒ Akteuren auf deren Seite, unterlässt eine Hilfeleistung oder bringt sogar das dem Glauben der Ahmadiyya angehörende Opfer selbst wegen angeblicher Blasphemievorwürfe zur Anzeige. Eine wirksame Strafverfolgung von Gewaltakten gegenüber Ahmadis findet zumindest regelmäßig nicht statt. Bestätigt wird dies durch die mit diesen allgemeinen Erkenntnissen übereinstimmenden Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung, er sei bei seiner Vorsprache bei der Polizei nach der Bedrohung in seiner Metzgerei lediglich vertröstet worden, eine Anzeige habe man dort nicht aufgenommen. In der Auswertung der oben genannten Erkenntnisse zu der Anzahl, den Gründen und den Folgen derartiger Angriffe auf Ahmadis lässt sich im Ergebnis feststellen, dass hinsichtlich gegenüber Ahmadis verübter Straftaten praktisch ein rechtsfreier Raum besteht, der die Betroffenen bereits selbst ‒ aus gutem Grund ‒ davon abhält, derartige Vorfälle zur Anzeige zu bringen.
2262. Hinzu kommt, dass dem Kläger als in seiner Heimatstadt bekannter Ahmadi, der sich an die (auch) für ihn verbindlichen Regeln des Korans hält und dem es wichtig ist, dies nicht verheimlichen zu müssen, bei einer Rückkehr nach Pakistan mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit flüchtlingsrelevante Verfolgung droht.
227Das Gericht ist nach dem persönlichen Eindruck des Klägers in der mündlichen Verhandlung davon überzeugt, dass es für ihn nach seinem religiösen Selbstverständnis erforderlich ist, seinen Glauben aktiv als Moslem zu leben, ohne ihn verheimlichen zu müssen. Da seine Zugehörigkeit zu den Ahmadis ebenso wie sein Selbstverständnis als Muslim, das zentrales Element seiner religiösen Identität ist, in seiner Heimatstadt und im näheren Umfeld, das er aus beruflichen Gründen regelmäßig aufgesucht hat, allgemein und auch für radikalislamische Akteure bekannt war, muss er bereits im Hinblick auf seine Religionsausübung für den Fall einer Rückkehr nach Pakistan mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit befürchten, dass ihm religiös motivierte Verfolgung droht.
228Der Kläger, der insgesamt den Eindruck eines gläubigen Menschen vermittelt, hat in der mündlichen Verhandlung überzeugend geschildert, auf welche Art und Weise der Glaube und dessen Ausübung ungeachtet des örtlichen Geschehens, geschützte Gebetsstätte oder öffentlicher Raum, für ihn prägend und derart wichtig sind, dass dies für ihn gleichsam „an erster Stelle“ steht. Dass er sich vor seiner Ausreise ausschließlich wegen der gegen die Ahmadis gerichteten Gesetze einer sichtbaren Bekundung seines muslimischen Glaubens möglichst enthalten hat, hat er eindrucksvoll mit seinen Schilderungen vor und nach Einführung der entsprechenden Strafgesetze geschildert. Er habe sich noch an die Zeiten vor 1984 erinnern können, als er sich noch frei mit anderen über seine Religion auf Märkten habe unterhalten können. Heute dürfe er nicht einmal mehr den Gebetsruf verwenden. Vor seiner Ausreise habe er versucht, sich an die Gesetze Pakistans und an die Regeln des Korans zu halten. Er habe seine Gebetsstätte zwar nicht mehr Moschee genannt, jedoch dort ebenso wie erforderlichenfalls an anderen – selbst öffentlichen – Orten weiterhin seine Gebetspflichten nach dem Koran erfüllt. Insbesondere habe er die Regeln zum Schlachten von Tieren, die der Koran aufstelle, ungeachtet der Tatsache beachtet, dass er sich dabei in einem öffentlichen Schlachthof, wo auch andere Moslems geschlachtet hätten, aufgehalten habe. In der mündlichen Verhandlung hat er hinzugefügt, dass es heutzutage nicht mehr ohne Anzeige möglich sei, als Ahmadi die Schächtungsregeln des Korans zu beachten, sein Cousin und sein Bruder seien deswegen im letzten Jahr angezeigt worden. Jedes Mal, wenn er außerhalb von Rabwah unterwegs gewesen und in anderen Dörfern beschimpft worden sei, habe er aus Furcht vor weiteren Übergriffen „einen trockenen Atem“ gehabt. Gerade der Austausch über den Glauben in der Öffentlichkeit sei ihm sehr wichtig gewesen, es seien keine Treffen mehr möglich gewesen, Veranstaltungen und Gemeindeversammlungen seien verboten. Wie sehr ihn diese Verbote in seinem religiösen Selbstverständnis beeinträchtigt haben müssen, wird an seiner Aussage deutlich, er habe bei der Jahresversammlung 2023 in Deutschland beim Anblick des Kalifen Tränen in den Augen gehabt. Die Schilderungen des Klägers über seine Religionsausübung erscheinen nicht asyltaktisch motiviert. Sie bleiben ohne unrealistische Übertreibungen oder Steigerungen und sind auch mit Blick auf die allgemeine Erkenntnislage und bekannt gewordene Veränderungen der Gefährdungslage im Laufe der Zeit stimmig. Zugleich wird die Überzeugung des Senats, der Kläger habe wegen berechtigter religiöser Verfolgungsfurcht um Flüchtlingsschutz nachgesucht, dadurch bestärkt, dass er eine gesicherte wirtschaftliche Lebensgrundlage in seinem Heimatland aufgegeben hat.
229Die bereits im Heimatland betätigte religiöse Überzeugung besteht in Deutschland in für den Kläger selbstverständlichem Maße fort. Dem Kläger ist es ersichtlich auch in Deutschland ein inneres Bedürfnis, seinen Glauben aktiv und öffentlich wahrnehmbar zu leben. Dieses hat er durch seine Angaben in der mündlichen Verhandlung sowie durch die vorgelegte (Foto-)Dokumentation belegt, wonach er sich für verschiedenste Bereiche innerhalb seiner Gemeinde einsetzt. Auch in Deutschland bete er, nehme an den lokalen und zentralen Gemeindeveranstaltungen teil und führe Spenden an die Gemeinde ab. Er sei als Amooni, Streitschlichter, tätig. Seit 2015 sei er auch als Mußi zugelassen. Für ihn bedeute das, dass er ein Treuegelübde an den Kalifen abgegeben habe, 1/10 seines Einkommens an die Gemeinde abführe, an den Messias glaube und versuche, zehn weitere Bedingungen zu erfüllen. Er setze sich trotz seiner selbst als gering erachteten Bildung für seinen Glauben ein und sei „24 Stunden lang bereit zu helfen“, wenn die Gemeinde ihn brauche. Das Gericht ist zu der Überzeugung gelangt, dass es dem Kläger auf Grund seiner schon in Pakistan vorhandenen inneren religiösen Überzeugung ein unverzichtbares Bedürfnis ist, aus dem Glauben der Ahmadiyya heraus dem Koran folgend zu leben, dies nicht verheimlichen zu müssen und seinen Glauben nach Möglichkeit auch mit anderen Menschen zu teilen.
230Angesichts dieser Einschätzung, dass es sich bei dem Kläger um eine religiös geprägte Persönlichkeit handelt, kann dahinstehen, ob im Hinblick auf die bestehende Praxis der NADRA im Rahmen der Beantragung der Identitätskarte oder eines Passes bzw. Passersatzpapiers eine Verfolgungsgefahr besteht. Denn allein der Zwang, seinen aktiv nach den Regeln des Korans gelebten Glauben bei einer Rückkehr nach Pakistan zu verleugnen oder aber ausschließlich im Geheimen auszuleben, führt für den Kläger mit Blick auf die oben genannten Maßstäbe und in Auswertung der im einzelnen benannten Erkenntnisse zum Herkunftsland Pakistan zu der beachtlichen Wahrscheinlichkeit einer individuellen Verfolgung wegen seiner Religionsausübung.
231IV. Der Kläger kann weder auf einen Schutz vor Verfolgung im Sinne von § 3d AsylG (dazu 1.), noch auf einen internen Schutz nach § 3e AsylG (dazu 2.) verwiesen werden.
2321. Wie bereits oben unter II. 6. ausgeführt, kann der Kläger einen Schutz vor Verfolgung nicht vom Staat im Sinne von § 3d AsylG erwarten. Wenn auch der pakistanische Staat durch die entsprechenden Strafnormen grundsätzlich Schutz vor Verfolgung im Sinne von § 3d Abs. 2 Satz 2 AsylG bieten mag, so versagt dieser Schutz praktisch gegenüber Ahmadis. Auf Grund entsprechender Strafvorschriften zur Ahndung von Blasphemievergehen ist der Staat in die Verfolgung der Ahmadis, die in das Blickfeld radikalislamischer Gruppen geraten oder sonst in ihrem Selbstverständnis als Moslems auffällig geworden sind, eingebunden, und auch ansonsten nicht willens oder in der Lage, Ahmadis vor den Anfeindungen radikalislamischer Muslime Schutz zu bieten.
2332. Dem Kläger kam und kommt in Pakistan kein interner Schutz nach § 3e AsylG zu. Abgesehen davon, dass sich die Frage des internen Schutzes regelmäßig nur dann stellt, wenn die in einem anderen Landesteil drohenden Gefahren nicht von dem Staat ausgehen, lässt sich ein derartiger Schutz bereits vor staatlicher, insbesondere strafrechtlicher Verfolgung in Pakistan angesichts der aktuellen melderechtlichen Vorgaben nicht mehr in der Anonymität der Großstädte finden.
234Vgl. so noch Auswärtiges Amt, Lagebericht Pakistan vom 8.8.2022, Stand: Juni 2022, S. 16 Rn. II 3; im nur nachrichtlich erwähnten Lagebericht Pakistan vom 21.9.2023 ist die Aussage dahingehend eingeschränkt, dass in den Großstädten potentiell Verfolgte auf Grund der dortigen Anonymität sicherer lebten als auf dem Land.
235Voraussetzung des internen Schutzes ist nach § 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylG, dass der Ausländer sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, sowie, dass er dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt. Ist aber jeder pakistanische Staatsangehörige ‒ wie bereits oben ausgeführt ‒ seit Oktober 2016 gesetzlich verpflichtet, sich mit einer Kopie seines Identitätsnachweises an einem neuen Wohnort anzumelden, so kann er seine Identität und seinen Glauben nicht mehr verheimlichen und damit auch der mit deren Bekanntgabe verbundenen Gefahr einer Verfolgung nicht mehr ausweichen. Ein so genanntes „Untertauchen in der Anonymität der Großstadt“, das bislang auf Grund des unterstellten nicht funktionierenden Meldewesens in Pakistan vielfach für möglich gehalten wurde, könnte für bedrohte Ahmadis daher allenfalls dann noch in Betracht kommen, wenn dem vorgeschriebenen Anmeldungsprozess etwa durch entsprechende Bestechung der zuständigen Beamten oder aber kollusives Zusammenwirken von Vermieter und Mieter ausgewichen werden könnte. Darauf dass sich der Ausländer jedoch auf ein derartiges illegales Verhalten mit den damit einhergehenden Unsicherheiten und Abhängigkeiten einlässt, kann er jedoch nicht im Sinne des § 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylG vernünftigerweise verwiesen werden.
236Ungeachtet dessen steht offen als Moslems auftretenden Ahmadis, die vor nichtstaatlicher Verfolgung fliehen müssen, kein interner Schutz zur Verfügung. Nach den oben im Einzelnen ausgewerteten Erkenntnissen zur Lage der Ahmadis in Pakistan stellt sich bereits eine Schutzmöglichkeit von Ahmadis in anderen Landesteilen Pakistans auch unabhängig von der Verschärfung der melderechtlichen Vorgaben und der damit verbundenen Bekanntgabe und Bekanntheit der Religionszugehörigkeit als schwierig dar. Insbesondere kann nicht mehr davon ausgegangen werden, dass die Stadt Chenab Nagar (= Rabwah) Ahmadis die Möglichkeit des internen Schutzes bietet. Das gilt für den Kläger bereits deshalb, weil es sich dabei gerade um den Ort handelt, aus dem er auf Grund des von ihm glaubhaft dargelegten Verfolgungsschicksals als Zugehöriger der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft geflüchtet ist.
237Grundsätzlich spricht bereits gegen die Bejahung einer Schutzmöglichkeit für neu hinzuziehende Ahmadis die sehr begrenzte Aufnahmekapazität der relativ kleinen Stadt Chenab Nagar (= Rabwah). Angesichts der Auskünfte, dass Ahmadis in dieser Stadt zwar immer noch soziale und familiäre Aufnahme, jedoch keine wirtschaftliche oder finanzielle Absicherung finden, kann nicht angenommen werden, dass sich ein berechtigt Verfolgung befürchtender Ahmadi dort vernünftigerweise niederlassen wird. Das gilt auch für den Kläger, obwohl er dorthin noch familiäre Verbindungen hat, zumal er seine wirtschaftliche Basis dort aufgegeben hat und nicht mehr gefahrlos in seinem früheren Beruf – Schlachten nach den Regeln des Korans – arbeiten kann. Abgesehen davon sind Ahmadis in dieser Stadt den gleichen rechtlichen Beschränkungen und Diffamierungen wie im übrigen Pakistan ausgesetzt, wenn sie nicht sogar mit Blick auf den extrem hohen Bevölkerungsanteil gleichsam „auf einem Präsentierteller“ den Anfeindungen und Übergriffen radikalislamischer Gegner ausgeliefert werden. Das gilt erst recht, wenn sie wie der Kläger schon in deren Blickfeld geraten sind. Wenn auch der große Bevölkerungsanteil ihnen subjektiv ein Gefühl der Sicherheit vorgaukeln mag, bildet die Stadt gerade wegen ihrer überwiegend ahmadischen Bevölkerung eine besondere Zielscheibe für Angriffe anti-ahmadischer Gruppen.
238B. Die Abschiebungsandrohung des Bundesamts ist rechtswidrig. Die Voraussetzungen des § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AsylG liegen nicht vor, weil dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist.
239C. Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 und 3 VwGO i. V. m. § 83b AsylG. Zwar hat, wer ein Rechtsmittel zurücknimmt, gemäß § 155 Abs. 2 VwGO die Kosten zu tragen. Der wertmäßige Anteil des zurückgenommenen Asylbegehrens ist jedoch im Verhältnis zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft als im Sinne des § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO geringer Teil anzusehen, was es rechtfertigt, der Beklagten gemäß § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO die Kosten ganz aufzuerlegen. Für ein messbares Interesse an der zusätzlichen Anerkennung als Asylberechtigter ist mit Blick auf die weitgehende rechtliche Gleichstellung anerkannter Asylberechtigter und Personen, denen die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wurde, nichts ersichtlich.
240Vgl. vor diesem Hintergrund die Frage des Rechtsschutzinteresses für eine nur noch auf Asylanerkennung gerichtete Verpflichtungsklage aufwerfend: BVerwG, Beschluss vom 16.9.2015 – 1 B 36.15 –, juris, Rn. 5; zum Verhältnis zwischen Anerkennung als Asylberechtigter und Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft auch: Bergmann, in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Aufl. 2022, AsylG § 3, Rn. 5.
241Die teilweise Berufungsrücknahme hat sich auch kostenmäßig nicht ausgewirkt, weil nach § 30 RVG unterschiedslos der Gegenstandswert in Klageverfahren nach dem Asylgesetz 5.000,00 Euro beträgt.
242D. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i. V. m. den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
243E. Die Revision wird gemäß § 78 Abs. 8 Satz 1 Nr. 2 AsylG zugelassen, weil die Voraussetzungen hierfür nach § 78 Abs. 8 Satz 1 Nr. 1 AsylG vorliegen. Nach den mittlerweile vorliegenden Auskünften und Erkenntnissen kommt eine Verfolgungsgefährdung von Ahmadis wegen ihrer Religion nicht nur dann in Betracht, wenn sie ihren Glauben werbend oder missionierend in die Öffentlichkeit tragen.
244Vgl. so OVG Rh.-Pf., Urteil vom 29.6.2020 ‒ 13 A 10206/20 ‒, juris; Sächs. OVG, Urteile vom 29.8.2019 ‒ 3 A 770/17.A ‒, und 18.9.2014 ‒ A 1 A 348/13 ‒, juris; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 12.6.2013 ‒ A 11 S 757/13 ‒, juris; siehe auch BVerwG, Beschlüsse vom 7.9.2021 ‒ 1 B 50.21 ‒, und vom 6.9.2021 ‒ 1 B 39.21 ‒, juris.
245Ausreichend kann nach aktueller Erkenntnislage vielmehr je nach den Umständen des Einzelfalls auch sein, dass es zentrales Element der religiösen Überzeugung des Schutzsuchenden ist, sich als Ahmadi zu bekennen sowie als Muslim zu bezeichnen und/oder nach den Regeln des Korans zu leben, ohne dies verheimlichen zu müssen, und dass dies bzw. seine religiöse Identität öffentlich insbesondere auch Vertretern einer der vielen religiösen Gruppen bekannt wird, die offensiv für die Finalität des Prophetentums und die Reinheit des islamischen Glaubens eintreten.