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Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
G r ü n d e :
2A. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist unbegründet, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung aus den nachstehenden Gründen nicht die nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO erforderliche hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.
3B. Der Zulassungsantrag hat keinen Erfolg.
4I. Die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) wird nicht entsprechend den gesetzlichen Erfordernissen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG dargelegt.
5Zur Darlegung einer grundsätzlichen Bedeutung muss eine tatsächliche oder rechtliche Frage aufgeworfen werden, die entscheidungserheblich ist und über den Einzelfall hinaus im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder Fortentwicklung des Rechts einer Klärung bedarf.
6Vgl. BVerwG, Urteil vom 31. Juli 1984 - 9 C 46.84 -, BVerwGE 70, 24 ff. = juris, Rn. 16 (zu § 32 Abs. 2 Nr. 1 AsylVfG a. F.), und Beschlüsse vom 2. Oktober 1984 - 1 B 114.84 -, InfAuslR 1985, 130 f., sowie vom 19. Juli 2011 - 10 B 10.11, 10 PKH 4.11 -, juris, Rn. 3.
7Dafür genügt es nicht, lediglich die Behauptung aufzustellen, für die Beurteilung maßgeblichen Verhältnisse stellten sich anders dar, als vom Verwaltungsgericht angenommen. Nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG ist vielmehr im Einzelnen darzulegen
8- vgl. BVerwG, Beschluss vom 9. März 1993 - 3 B 105.92 -, NJW 1993, 2825 f. = juris, Rn. 3 (zu § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO) -,
9welche Anhaltspunkte für eine andere Tatsacheneinschätzung bestehen. Es ist also Sache des die Berufungszulassung beantragenden Beteiligten, die Gründe, aus denen nach seiner Ansicht die Berufung zuzulassen ist, darzulegen und in rechtlicher sowie tatsächlicher Hinsicht zu erläutern. Hierzu genügt es nicht, bloße Zweifel an den Feststellungen des Verwaltungsgerichts im Hinblick auf politische, soziale oder gesellschaftliche Gegebenheiten im Herkunftsland des Asylbewerbers zu äußern oder schlicht gegenteilige Behauptungen aufzustellen. Vielmehr ist es erforderlich, durch die Benennung bestimmter begründeter Informationen, Auskünfte, Presseberichte oder sonstiger Erkenntnisquellen zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür darzulegen, dass nicht die Feststellungen, Erkenntnisse und Einschätzungen des Verwaltungsgerichts, sondern die gegenteiligen Behauptungen in der Antragsschrift zutreffend sind, so dass es zur Klärung der sich dann stellenden Fragen der Durchführung eines Berufungsverfahrens bedarf. Hat das Verwaltungsgericht Feststellungen zu einer Tatsachenfrage mit von ihm benannten Erkenntnisquellen begründet, muss zur Darlegung der Klärungsbedürftigkeit eine fallbezogene Auseinandersetzung mit diesen Erkenntnisquellen erfolgen. Dies kann durch eine eigenständige Bewertung der bereits vom Verwaltungsgericht herangezogenen Erkenntnismittel geschehen, oder auch durch Berufung auf weitere, neue oder von dem Verwaltungsgericht nicht berücksichtigte Erkenntnismittel.
10Vgl. etwa OVG NRW, Beschlüsse vom 20. April 2018 - 11 A 884/18.A -, juris, Rn. 12, und vom 5. Mai 2004 - 11 A 1748/04.A –, juris, Rn. 4, m. w. N.
11Diesen Anforderungen genügt das Zulassungsvorbringen nicht. Das Verwaltungsgericht hat die vom Kläger für grundsätzlich klärungsbedürftig gehaltene Frage,
12„ob Asylbewerber bei einer Überstellung im Rahmen des Dublin-Verfahrens nach Litauen einer beachtlichen Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Artikel 4 EU-GR-Charta bzw. Artikel 3 EMRK ausgesetzt sind“,
13verneint, weil bereits zweifelhaft sei, ob die litauischen Notstandsregelungen nach einer Rückführung im Rahmen des Dublin-Regimes überhaupt auf den Kläger Anwendung fänden. Zwar habe der litauische Gesetzgeber nach den der Kammer vorliegenden Erkenntnissen beabsichtigt, die nach dem Urteil des EuGH vom 30. Juni 2022 - C-72/22 - europarechtswidrigen Notstandsregelungen bis zum 16. Dezember 2022 zumindest im Grenzgebiet zu Belarus zu verlängern und die Möglichkeit von pushbacks im nationalen Recht zu legalisieren. Es lägen aber schon keine Erkenntnisse dafür vor, dass diese Regelungen überhaupt auf Dublin-Rückkehrer angewandt würden. Sie seien inzwischen räumlich beschränkt und beträfen den Kläger, der nicht über die Grenze zu Belarus einreisen werde, schon deshalb nicht. Schließlich belegten die vorliegenden Erkenntnisse, insbesondere der Bericht von Amnesty International aus Juni 2022, dass Asylsuchende in Litauen gegen Maßnahmen nach den Notstandsregelungen inzwischen erfolgreich gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch nehmen könnten. Schließlich ließen auch die Aufnahmebedingungen im Übrigen nach den vorliegenden Erkenntnissen einen Rückschluss auf eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung nicht zu (Urteilsabdruck, S. 10 ff.).
14Diese Feststellungen zieht der Kläger mit seinem Zulassungsvorbringen nicht hinreichend in Zweifel. Jedenfalls mit der Frage, ob die Notstandsregelungen auch auf Dublin-Rückkehrer Anwendung finden, die nicht über die belarussische Grenze einreisen, sondern zur Durchführung eines Asylverfahrens ordnungsgemäß von einem anderen Mitgliedstaat zurückgeführt werden, setzt der Zulassungsantrag sich nicht hinreichend auseinander. Einer solchen Auseinandersetzung hätte es bedurft, denn „dass die Notstandsgesetzgebung (auf Dublin-Rückkehrer) tatsächlich nicht angewandt wird“, hat das Verwaltungsgericht nicht, wie der Kläger meint, „ohne jeglichen Anhaltspunkt spekuliert“. Vielmehr ist diese Annahme in Anbetracht der fraglichen litauischen Regelungen, wie sie in dem - auch vom Verwaltungsgericht zugrunde gelegten - Urteil des EuGH vom 30. Juni 2022 - C-72/22 - wiedergegeben werden, zumindest naheliegend. Danach kann ein Ausländer gemäß Art. 140 Abs. 1 Nr. 1 des litauischen Ausländergesetzes an einer Grenzkontrollstelle einen Asylantrag stellen. Mit Asylantragstellung wird der Einreisende als Asylbewerber und damit nicht mehr als illegal aufhältig eingestuft. Diese Einstufung ist erforderlich, damit er in einer Weise untergebracht werden kann, die nicht mit der den Begriff der Haft kennzeichnenden Beschränkungen der Bewegungsfreiheit verbunden ist.
15Vgl. EuGH im Urteil vom 30. Juni 2022 - C-72/22 -, juris, Rn. 13, 43.
16Auch „Amnesty International“ weist in dem sowohl vom Verwaltungsgericht (bezüglich der Rechtsschutzmöglichkeiten) als auch vom Kläger (bezüglich der Unterbringungsbedingungen) angeführten Bericht aus Juni 2022 darauf hin, dass Asylbewerber - anders als Migranten, die keinen förmlichen Asylantrag gestellt haben oder stellen konnten - eine Unterbringung ohne Einschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit erhalten können.
17Vgl. Amnesty International, Lithuania: Forced Out or Locked Up, Refugees and Migrants Abused and Abondaned, Juni 2022, S. 23, Fn. 78: „Under the Law on Foreigners, ‚temporary accomodation‘ with freedom of movement is never an option for those considered irregular migrants but may be granted to asylum-seekers (Art. 140 LSoF).“
18Damit erscheint es ohne anderweitige Darlegung zumindest naheliegend, dass Dublin-Rückkehrer, die, wie der Kläger, in einem geordneten Verfahren nach Art. 10 Abs. 1 Durchführungsverordnung VO 1560/2003 nach Litauen zurückgeführt werden, an der Grenzkontrollstelle ihrer Rückführung einen Asylantrag oder Asylfolgeantrag stellen können, sich damit als Asylbewerber legal in Litauen aufhalten und eine Unterkunft erhalten können, in der ihre Bewegungsfreiheit nicht in einer eine Haft kennzeichnenden Weise beschränkt wird. Eine anderweitige Darlegung enthält der Zulassungsantrag nicht. Mit den litauischen Notstandsregelungen setzt der Kläger sich nicht auseinander.
19Auch im Übrigen zeigt der Kläger mit seinem allein maßgeblichen Zulassungsvorbringen eine grundsätzliche Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Frage nicht auf. Dies gilt auch soweit er - mit Datum und Aktenzeichen, jedoch ohne inhaltliche Wiedergabe - eine Reihe von Entscheidungen benennt, aus denen sich ergebe, dass „aktuell von der weit überwiegenden erstinstanzlichen Rechtsprechung deutschlandweit und insbesondere in Nordrhein-Westfalen“ vertreten werde, dass „Anhaltspunkte“ für eine Asylbewerbern bei Überstellung nach Litauen drohende unmenschliche und erniedrigende Behandlung bestünden. Eine nicht einheitliche Rechtsprechung der nordrhein-westfälischen Verwaltungsgerichte, die eine grundsätzliche Klärung durch das beschließende Gericht erfordern würde, zeigt er damit nicht auf. Die Entscheidungen sind, soweit sie aus Nordrhein-Westfalen stammen, nicht veröffentlicht. Ausweislich ihrer Aktenzeichen sind sie sämtlich in Verfahren zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ergangen. Es ist deshalb davon auszugehen, dass sie - dem Maßstab des § 80 Abs. 5 VwGO entsprechend - allenfalls vorläufige Feststellungen zu den Dublin-Rückkehrer in Litauen erwartenden Aufnahmebedingungen getroffen haben, die jeweils der näheren Prüfung im Hauptsacheverfahren unterliegen. Soweit der Kläger darauf verweist, das Verwaltungsgericht Arnsberg habe in seinem Beschluss vom 3. November 2022 - 13 L 1037/20.A - (vorläufig) auf den Bericht des Ombudsmannes des litauischen Parlaments vom 11. Oktober 2021 betreffend die „Unterbringung illegaler Migranten im Jahr 2021“ verwiesen, führt auch dies nicht weiter. Unabhängig davon, dass offen bleibt, inwieweit die aus dem Jahr 2021 geschilderten Umstände heute noch bestehen, zeigt der Kläger jedenfalls nicht auf, dass ein Dublin-Rückkehrer in Litauen als „illegaler“ Migrant im Sinne der Notstandsregelungen eingestuft würde.
20II. Die weiter geltend gemachte Gehörsrüge (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i. V. m. § 138 Nr. 3 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) greift nicht durch.
21Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs verschafft den Verfahrensbeteiligten ein Recht darauf, sich zu allen entscheidungserheblichen Tatsachen zweckentsprechend und erschöpfend zu erklären sowie Anträge zu stellen (§§ 86 Abs. 2 und 3, 108 Abs. 2 VwGO). Dem Anspruch auf rechtliches Gehör entspricht die Pflicht des Gerichts, Anträge und Ausführungen der Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen. Art. 103 Abs. 1 GG zwingt das Gericht jedoch nicht dazu, jedes Vorbringen ausdrücklich zu bescheiden. So ist grundsätzlich davon auszugehen, dass das Gericht das Vorbringen eines Beteiligten auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Ein Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör kann nur dann festgestellt werden, wenn besondere Umstände vorliegen, die den Schluss zulassen, das Gericht habe das Vorbringen eines Beteiligten bei seiner Entscheidung entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung nicht erwogen.
22Vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 22. November 2005 - 2 BvR 1090/05 -, DVBl. 2006, 113 = juris, Rn. 26, m. w. N.
23Nach diesen Maßstäben zeigt der Kläger einen Gehörsverstoß nicht auf.
24Er macht geltend, das Verwaltungsgericht habe seine Angaben über die in Litauen erlittene mehrmonatige Haft zwar im Tatbestand des angegriffenen Urteils wiedergegeben, sie in den Entscheidungsgründen aber nicht gewürdigt. Dabei legt er nicht dar, dass diese Angaben für das Verwaltungsgericht entscheidungserheblich waren, denn darauf, welche Behandlung ein Kläger im Zielstaat der Rückführung bei einem vorangegangenen Aufenthalt erfahren hat, kommt es nicht an. Maßgeblich ist nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG, den das Verwaltungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat (Urteilsabdruck, S. 5), der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.
25Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 16. Dezember 2019 - 11 A 228/15.A -, juris, Rn. 52 f.; außerdem: EuGH, Urteil vom 25. Januar 2018 - C-360/16, Hasan -, juris, Rn. 40.
26Soweit der Kläger sich im Übrigen gegen die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts wendet, zeigt er auch damit einen Gehörsverstoß nicht auf. Angriffe gegen die Sachverhalts- und Beweiswürdigung sind regelmäßig - und so auch hier - nicht geeignet, um den Verfahrensmangel eines Gehörsverstoßes zu begründen.
27Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 2. November 1995 - 9 B 710.94 -, Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 266 = juris, Rn. 5, vom 8. Februar 2011 - 10 B 1.11 -, Buchholz 402.242 § 60 Abs. 2 ff. AufenthG Nr. 43 = juris, Rn. 3, und vom 12. März 2014 ‑ 5 B 48.13 -, NVwZ-RR 2014, 660 (662 f.) = juris, Rn. 22, m. w. N.
28Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 2, 83b AsylG.
29Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist nunmehr rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).
30Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).