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1. Die mit Beschluss der Kammer vom 15.08.2019 gewährte Aussetzung der Vollstreckung des Strafrestes aus dem Urteil des Amtsgerichts ... – Schöffengericht – vom 18.12.2018 (6 Ls -71 Js 2386/18- 76/18) nach Maßgabe des Beschlusses des Amtsgerichts ... – Schöffengericht – vom 14.06.2019 (Aktenzeichen wie vor) zur nachträglichen Gesamtstrafenbildung wird widerrufen.
2. Der Antrag des Verurteilten auf Beiordnung des Rechtsanwalts D als Pflichtverteidiger wird zurückgewiesen.
Gründe:
21.
3Durch den im Tenor näher bezeichneten Gesamtstrafenbeschluss vom 14.06.2019 hat das Amtsgericht ... eine die Strafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Oberhausen vom 27.11.2018, Az., (Freiheitsstrafe von 2 Monaten; die Strafe war verbüßt) und dem Urteil des Amtsgerichts ... eine vom 18.12.2018, Az. 6 Ls-71 Js 2386/18-76/18, (Freiheitsstrafe von einem Jahr, Einzelstrafen: 2x2 Monate, 1x6 Monate, 1x8 Monate, noch nicht vollstreckt) auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und einem Monat zurückgeführt.
4Mit Beschluss vom 15.08.2019 hatte die Strafvollstreckungskammer nach Verbüßung von zwei Dritteln dieser Gesamtstrafe dem Verurteilten Bewährung bewilligt und die Entlassung des Verurteilten nicht vor dem 17.08.2019 angeordnet.
5Der Verurteilte hat die in ihn gesetzte Erwartung, er werde sich in Zukunft straffrei führen, nicht erfüllt, so dass gemäß § 56 f Abs. 1 StGB die Strafaussetzung widerrufen werden musste.
6Der Verurteilte ist erneut straffällig geworden und deswegen vom Amtsgericht – Schöffengericht – ... am 26.01.2021 wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in sechs Fällen, davon in einem Fall in nicht geringer Menge, und unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln bestraft worden. Die neue Verurteilung ist zwar nicht rechtskräftig, da der Angeklagte Berufung eingelegt hat. Der Angeklagte hat jedoch in der Hauptverhandlung vor dem Schöffengericht in ... die Taten gestanden.
7Die Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Hamm hat jedenfalls in den letzten Jahren anerkannt, dass ein Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung gemäß § 56 f Abs. 1 Nr. 1 StGB ohne Verstoß gegen die Unschuldsvermutung des Artikel 6 EMRK schon dann in Betracht kommt, wenn der Verurteilte entweder ein glaubhaftes, prozessordnungsgemäßes Geständnis abgelegt hat oder wegen der neuen Tat (erstinstanzlich) verurteilt worden ist (vgl. die Nachweise bei OLG Hamm, Beschl.v.16.06.2016 –III-4 Ws 173/16-, juris). Eine erstinstanzliche Verurteilung wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in sechs Fällen, davon in einem Fall in nicht geringer Menge, und wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln, begangen in der Zeit zwischen dem 18.03.2020 und 13.07.2020, mithin in der Bewährungszeit der hier vorliegenden Sache, liegt vor. Die Frage, ob auf dieser Grundlage ein Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung erfolgt, obliegt der Strafvollstreckungskammer. Das Oberlandesgericht Hamm (a.a.O.) empfiehlt für den Fall, dass das über den Widerruf befindende Gericht Zweifel an der Richtigkeit der neuen Verurteilung hat, zur Vermeidung von dann schon absehbaren divergierenden Entscheidungen (einerseits Freispruch, andererseits Widerruf) weiteres Abwarten.
8Vorliegend hat die Kammer keine Zweifel an der Richtigkeit der neuen Verurteilung. Diese werden insbesondere nicht durch den Vortrag der Verteidigung im Schriftsatz vom 10.05.2021 begründet, in dem die Verteidigung darauf hinweist, dass das Geständnis der neuerlichen Taten aus prozesstaktischen Gründen erfolgt sei, nämlich um die Entlassung des Verurteilten aus der Untersuchungshaft zum Zwecke der Drogentherapievorbereitung zu erreichen. Zweifel hinsichtlich der Schuldfrage ergeben sich daraus für die Kammer nicht. Zwar weist der Verteidiger darauf hin, dass die Tat zu Beginn der Hauptverhandlung abgestritten worden sei. Nachfolgend erfolgte allerdings das Geständnis des Verurteilten. Dieses hat das Amtsgericht u.a. anhand der auszugsweise verlesenen Chatprotokolle überprüft und vor dem Hintergrund der mehrfachen, auch einschlägigen strafrechtlichen Erscheinungen des Verurteilten für glaubhaft gehalten. Im vorliegenden Verfahren steht der Verurteilte wegen Drogendelikten unter Bewährung. Zudem besteht bei ihm eine Betäubungsmittelproblematik, die seine Angabe, er habe im Tatzeitraum nicht über genügend Einnahmen verfügt, um seinen Lebensunterhalt und seinen Betäubungsmittelkonsum zu finanzieren und vor diesem Hintergrund sich jeweils eine Grundmenge an Betäubungsmitteln verschafft und diese anschließend abverkauft, um so auch seinen Drogenkonsum zu finanzieren, glaubhaft erscheinen lässt. Ein Widerruf des Geständnisses ist im Übrigen für die Strafvollstreckungskammer nicht ersichtlich.
9Die Kammer hat beachtet, dass anerkannt ist, dass eine Verurteilung, die auf materiell offensichtlich fehlerhafter Rechtsanwendung beruht, nicht Grundlage des Widerrufs einer Strafaussetzung zur Bewährung sein kann (Fischer, StGB, 68. Auflage, § 56 f Rn. 5a). Die von der Verteidigung angeführten Verstöße gegen die Verständigungsvorschriften gemäß § 257 c StPO begründen im Gesamtzusammenhang in vorliegender Sache keine Zweifel der Strafvollstreckungskammer hinsichtlich der Schuldfrage.
10Das OLG Hamm (a.a.O., Rn. 3, 5) hat wiederholt darauf hingewiesen, dass ein Abwarten bis zum Eintritt der Rechtskraft des neuen Schuldspruchs im Verfahren über den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung nicht angezeigt ist, weil darin ein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot liegen würde. Zur Begründung weist das OLG darauf hin, dass eine funktionstüchtige Strafrechtspflege die Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs innerhalb eines so bemessenen Zeitraums verlangt, dass die Rechtsgemeinschaft die Strafe noch als Reaktion auf geschehenes Unrecht wahrnehmen kann (vgl. insoweit auch OLG Hamm, Beschl.v.01.04.2014 –III-3 Ws 67/14-, juris, Rn. 14 m.w.N.). Dem schließt sich die Strafvollstreckungskammer an.
11Die der Bestrafung durch das Amtsgericht ... im Urteil vom 26.01.2021 zugrundeliegenden Straftaten wertet die Kammer als schwerwiegendes Fehlverhalten des Verurteilten innerhalb der Bewährungszeit. Der Verurteilte war bereits erheblich strafrechtlich in Erscheinung getreten, insbesondere auch einschlägig. Er war nicht nur zu Geldstrafen verurteilt worden, sondern auch zu Freiheitsstrafen, die er teilweise auch verbüßt hatte. So hat er die mit Urteil vom 01.02.2012 vom Amtsgericht ... gegen ihn wegen räuberischer Erpressung, unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln sowie Diebstahls verhängte Jugendstrafe von einem Jahr und sechs Monaten bis zum 22.01.2013 vollständig verbüßt. Mit Urteil vom 08.12.2014 verurteilte ihn das Amtsgericht ... wegen räuberischer Erpressung, Körperverletzung, Diebstahls und Sachbeschädigung zu drei Jahren Jugendstrafe unter Einbeziehung des Urteils des Amtsgerichts ... vom 18.12.2013, durch das der Verurteilte wegen Verbreitung pornografischer Schriften, Diebstahls und Beförderungserschleichung mit einer Jugendstrafe von einem Jahr und sechs Monaten unter Einbeziehung der Entscheidung des Amtsgerichts ... vom 27.05.2013 (wegen Unterschlagung und Beleidigung wurde eine Jugendstrafe von sechs Monaten verhängt) belegt worden war. Nach vollständiger Vollstreckung der Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts ... vom 08.12.2014 steht der Verurteilte bei der Kammer unter Führungsaufsicht aufgrund des Beschlusses der Kammer vom 24.05.2019 (Az.), rechtskräftig seit dem 06.06.2019. Nach der Haftentlassung im August 2019 in vorliegender Sache begann der Verurteilte bereits am 17.03.2020 mit den Betäubungsmittelstraftaten, die Grundlage der Verurteilung durch das Amtsgericht ... vom 26.01.2021 sind.
12Unter Würdigung des Bewährungsverstoßes in seiner konkreten Bedeutung im Rahmen einer Gesamtwürdigung des Verhaltens des Verurteilten während der Bewährungszeit ist die Kammer zu der Auffassung gelangt, dass die Sozialprognose schlecht geworden ist. Grundlage zahlreicher Straftaten, auch der hier in Rede stehenden und vorausgegangener, ist die Betäubungsmittelproblematik des Verurteilten. Dieser selbst strebt eine Therapie an. Eine hinreichende Bekämpfung der Betäubungsmittelproblematik ist allerdings bislang nicht erfolgt. Aus der von der Verteidigung überreichten Bescheinigung der Caritas X vom 03. Mai 2021 ergibt sich lediglich, dass der Verurteilte seit dem 08.02.2021 nach Anzahl und Art nicht näher bezeichnete Termine in der Beratungsstelle wahrnimmt. Ein Antrag auf eine Entwöhnungsbehandlung wurde an die Rentenversicherung geschickt und befinde sich derzeit dort in Bearbeitung.
13Die Kammer hat ferner die soziale Situation des Verurteilten und die ungünstigen Folgen bedacht, die von einem Widerruf für diese Situation zu erwarten wären. Die Bemühungen um eine Drogentherapie würden durch eine Haft zunichte gemacht. Insoweit ist jedoch auch zu berücksichtigen, dass der Untergebrachte selbst durch die zahlreichen Vorstrafen wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz die Bedeutung seines Rauschmittelkonsums für sein Leben erkannt und gleichwohl bislang keinerlei durchgreifende Schritte unternommen hat, um der Suchtproblematik hinreichend entgegenzutreten.
14Dass der Verurteilte eine Drogentherapie nunmehr anstrebt, reicht nicht aus, um eine günstige Sozialprognose wiederherzustellen. Grundlage für eine günstige Prognose kann eine Therapie nur dann sein, wenn der Erfolg erreicht ist, unmittelbar bevorsteht oder zumindest absehbar ist (KG Berlin, Beschl.v.05.03.2008-2 Ws 65/08-).
15Mildere Maßnahmen, wie etwa eine Verlängerung der Bewährungszeit gem. § 56 f Abs. 2 StGB, reichen vorliegend nicht aus, um von einem Wiederruf der Strafaussetzung zur Bewährung absehen zu können.
16Dabei geht die Strafvollstreckungskammer davon aus, dass der Begriff des „Ausreichens“ nicht als eine Art Strafzumessungsbegriff im Sinne von § 46 StGB verstanden werden darf. Im Rahmen der Prüfung des § 56 f StGB geht es nicht um eine ausreichende Sanktionierung neuer Straftaten, sondern darum, ob Maßnahmen ausreichen, die Aussetzungsprognose wiederherzustellen (vgl. Fischer, StGB, 68. Auflage, § 56 f, Rdnr. 14 a.E.). Mildere Maßnahmen i.S.d. § 56 f Abs. 2 StGB würden nur dann eine angemessene Reaktion auf das Versagen des Verurteilten darstellen, wenn die Prognose aufgrund neu hinzutretender Tatsachen nunmehr günstig geworden wäre und wenn trotz des Bewährungsversagens objektiv eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür bestünde, dass der Verurteilte nunmehr endgültig von Straftaten Abstand genommen hätte und Tatanreizen in besonderer Selbstbehauptung widerstehen könnte (OLG Hamm III -4 Ws 140-141/17). Die günstige Prognose folgt nicht schon allein aus dem Willen, sich künftig straffrei zu führen. Es muss darüber hinaus auch die Fähigkeit belegt sein, diesen Willen in die Tat umzusetzen. Diese Befähigung hat sich auf Tatsachen zu gründen und darf nicht unterstellt werden. Daran fehlt es hier. Die durch die neuerlichen Taten zum Ausdruck kommende Instabilität des Verurteilten begründet eher die Befürchtung, der Verurteilte werde erneut straffällig werden, als dass die Annahme gerechtfertigt wäre, er würde sich in Zukunft straffrei führen.
17Nach alledem ist die Strafaussetzung zur Bewährung zwingend zu widerrufen. Eine zusätzliche, neben § 56 f Abs. 2 StGB durchzuführende Verhältnismäßigkeitsprüfung sieht das Gesetz nicht vor (Fischer, StGB, 68. Auflage, § 56 Rdnr. 14a m.w.N.).
182.
19Der Antrag auf Bestellung des Rechtsanwalts D zum Pflichtverteidiger war zurückzuweisen. Die Voraussetzungen, die sich aus einer analogen Anwendung des § 140 Abs. 2 StPO im Vollstreckungsverfahren ergeben, liegen hier nicht vor. Weder die Schwere der Tat, noch die Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage oder die Unfähigkeit des Verurteilten, seine Rechte ordnungsgemäß wahrzunehmen, gebieten die Bestellung eines Pflichtverteidigers. Dabei ist auf die Schwere des Vollstreckungsfalles und auf besondere Schwierigkeiten im Vollstreckungsverfahren abzustellen (OLG Hamm, NSTZ-RR 08219).
20Vorliegend geht es um den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung hinsichtlich des Rechtsdrittels einer Gesamtstrafe von einem Jahr und einem Monat. Besondere Schwierigkeiten im Vollstreckungsverfahren bestehen nicht und sind auch nicht durch den Schriftsatz der Verteidigung vom 10.05.2021 erzeugt worden. Von Unfähigkeit zur Selbstverteidigung durch den Verurteilten geht die Kammer ebenfalls nicht aus. Die Verteidigungsfähigkeit richtet sich dabei nach den geistigen Fähigkeiten, seinem Gesundheitszustand und den sonstigen Umständen des Falles. Die vom Verteidiger angeführte fortbestehende BtM-Sucht reicht nicht zur Annahme der Verteidigungsunfähigkeit und weckt auch nicht erhebliche Zweifel daran.
213.
22Gegen diesen Beschluss ist die sofortige Beschwerde nach Maßgabe des anliegenden Formblattes gegeben.