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Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 500,00 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 20.01.2021 zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger sämtliche infolge des am 24.05.2017 durch den Beklagten zu 2) im Krankenhaus A1 durchgeführten Eingriffs entstandene materielle sowie künftig entstehende materielle Schäden und künftige, nicht vorhersehbare immaterielle Schäden zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen bzw. übergegangen sind.
Die Beklagten werden ferner als Gesamtschuldner verurteilt, den Kläger von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 214,20 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 20.01.2021 freizustellen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagten als Gesamtschuldner 5 % und der Kläger 95 %.
Das Urteil ist für den Kläger vorläufig vollstreckbar. Die Beklagten können die Vollstreckung durch den Kläger durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet. Das Urteil ist für die Beklagten vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
Tatbestand:
2Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche aus einer bei dem Kläger durch den Beklagten zu 2) in dem Zeitraum vom 27.03.2017 bis zum 26.06.2017 unter anderem im Hause der Beklagten zu 1) durchgeführten neurochirurgischen ärztlichen Behandlung. Daneben ist der Beklagte zu 2) als teilangestellter Arzt im Krankenhaus A1 tätig.
3Der am 00.00.1980 geborene Kläger leidet an einer degenerativen Wirbelsäulenerkrankung. Er litt seit Jahren unter Schmerzen im Bereich der Lendenwirbelsäule. Bereits im Jahr 2012 kam es zur Exazerbation nach einem Verhebetrauma. Damals wurde ein als unauffällig befundetes Röntgentomogramm abgeleitet und die konservative Therapie eingeleitet.
4Im Rahmen eines Verhebetraumas vom 01.12.2016 kam es erneut zu einer Exazerbation der Beschwerden zuzüglich hinzutretender Beschwerden in der Schulter. Nach einer Selbstmedikation stellte sich der Kläger im Hospital B1 vor. Dort wurde ein Durchgangsarztbericht erstellt und eine diagnostische Abklärung vorgenommen. Neurologischerseits wurde ein Normalbefund erhoben und ein Bandscheibenverschleiß (black disc-Syndrom) anhand der Kernspintomographie der Lendenwirbelsäule vom 06.03.2017 beschrieben sowie der Rat zur konservativen Therapie erteilt. Zwischenzeitlich stellte sich der Kläger im März 2017 aufgrund zunehmender Beschwerden in verschiedenen Notaufnahmen vor.
5Am 27.03.2017 stellte er sich in der neurochirurgischen Praxis der Beklagten zu 1) bei dem dort tätigen Beklagten zu 2) vor. Die dortige Auswertung der Kernspintomographie der Lendenwirbelsäule vom 06.03.2017 ergab gleichfalls eine monosegmentale Degeneration der Bandscheibe. Als Behandlungsmaßnahmen wurden die konservative Therapie sowie eine Nukleusaugmentation (Hydrogeltherapie) in Betracht gezogen. Über das Verfahren der Hydrogeltherapie wurde damals auch auf der Internetseite der Beklagten zu 1) informiert, vgl. Bl. 12 d. A. Eine wirbelsäulenstabilisierende Physiotherapie und eine Kernspintomographie der linken Schulter wurden veranlasst. Diese Kernspintomografie zeigte eine deutliche Impingementsymptomatik aufgrund eines hypertrophen AC-Gelenks.
6Nach einer Erörterung der persistierenden Beschwerden im Rahmen der Wiedervorstellung am 24.04.2017 stellte der Beklagte zu 2) die Indikation für die Nukleusaugmentation der betroffenen Bandscheibe. Anschließend unterschrieb der Kläger ein Einwilligungsformular (Bl. 8 d. A.), auf welchem als vorgesehene Maßnahmen „Nukleusaugmentation LWK4/5 + Diskographie“ eingetragen waren. Unter Risiken befand sich der handschriftliche Eintrag „Blutung, Infektion, Lähmung und Gefühlsstörung“.
7Am 24.05.2017 nahm der Beklagte zu 2) den Eingriff in dem Krankenhaus A1 unter Lokalanästhesie des Klägers vor. Dabei erfolgte mittels einer Nadel die Implantation eines Hydrogelkissens mit Fehrfix an den Lendenwirbelkörpern 4/5.
8Am 27.05.2017 wurde der Kläger aus dem stationären Aufenthalt entlassen. Im Rahmen einer Wiedervorstellung vom 08.06.2017 berichtete der Kläger ausweislich der Dokumentation über rückläufige Beschwerden. Klinisch wurde weiterhin eine deutliche Einschränkung der Beweglichkeit festgestellt. Zur Verbesserung der Beweglichkeit und zur Stabilisation wurde erneut eine physiotherapeutische Behandlung verordnet. Am 26.06.2017 erfolgte sodann eine letztmalige Kontrollvorstellung des Klägers im Haus der Beklagten zu 1), bei welcher der Kläger berichtete, dass es seit vier Tagen zu einer vermehrten Lumbago in Form tiefsitzender Rückenschmerzen gekommen sei. Nach klinischer Untersuchung durch den Beklagten zu 2) wurde auf die Notwendigkeit weiteren intensiven Rückentrainings hingewiesen.
9Hinsichtlich der beim Kläger fortbestehenden Schultergelenksbeschwerden schlossen sich eine Operation des Schultergelenks sowie eine Rehabilitationsmaßnahme an. Im Rahmen des Reha-Aufenthaltes vom 31.08.2017 bis zum 05.10.2017 wurden erneut Wirbelsäulenbeschwerden bei dem Kläger beschrieben. Es wurden ein Kontroll-MRT der Lendenwirbelsäule sowie eine Cortisontherapie in Form von Cortisonspritzen in das Ileosakralgelenk durchgeführt. Aufgrund bestehender Rückenbeschwerden rechtsseitig suchte der Kläger im Dezember 2017 C1 auf, welcher die Wirbelsäulenbeschwerden und die Iliosakralbeschwerden zunächst konservativ behandelte. Als Ursache diagnostizierte er anhand einer MRT-Untersuchung der Lendenwirbelsäule vom 07.12.2017 einen perforierten Bandscheibenvorfall an den Lendenwirbelkörpern 4/5. Zur operativen Entfernung führte C1 am 13.12.2017 eine Sequesterektomie und Nucleotomie im Bereich der Lendenwirbelkörper 4/5 durch.
10Unter dem 10.08.2018 erstatte D1 ein MDK-Gutachten (Bl. 28 ff. d. A.). Dort wurde als abschließende Beurteilung festgehalten, dass die Indikation zur Nukleusaugmentation wegen des experimentellen Stadiums derzeit nicht beurteilbar sei, ein Zusammenhang zu dem später aufgetretenen Bandscheibensequester aber ausscheide und es sich insofern vielmehr um ein schicksalhaftes Bandscheibenleiden handele. Hinsichtlich der Aufklärung über die Nukleusaugmentation hielt er fest, dass das Ausmaß der Aufklärung nicht schriftlich niedergelegt sei, einschließlich des Umstandes, dass es sich um ein noch im Experimentalstadium befindliches Verfahren handele.
11Der Kläger wirft den Beklagten sowohl Behandlungs-als auch Aufklärungsfehler vor.
12Er behauptet, der Beklagte zu 2) habe ihm im Rahmen seiner Erstvorstellung mitgeteilt, dass das MRT auch eine „geringe radiäre Rissbildung“ zeige. Der Beklagte zu 2) habe eine Nukleusaugmentation der Lendenwirbelkörper 4/5 sowie eine Diskographie durchführen wollen. Das Unterlassen einer Diskographie im Vorfeld des Eingriffs vom 24.05.2017 sei fehlerhaft gewesen.
13Eine Indikation für die Durchführung einer Nukleusaugmentation habe nicht bestanden. Hätte der Beklagte zu 2) vor dem Eingriff im Wege eines Kontroll-MRT Kontrastmittel gespritzt, was er fehlerhaft unterlassen habe, hätte er den bestehenden Bandscheibenvorfall und die deutliche Rissbildung als Kontraindikationen erkannt. Zudem habe der Eingriff auch wegen des Vorliegens einer mittelgradigen Spondylarthrose der drei unteren Etagen und einer Radikulopathie im Lumbalbereich (Reizung bzw. Schädigung der Nervenwurzel) nicht durchgeführt werden dürfen.
14Der Eingriff sei fehlerhaft durchgeführt worden, insbesondere habe der Beklagte zu 2) fehlerhaft eine 5 mm Kanüle verwendet.
15Schließlich sei nach dem Eingriff die Durchführung einer MRT-Kontrolluntersuchung unter Kontrastmittelgabe trotz Schmerzbekundungen des Klägers fehlerhaft unterlassen worden.
16Überdies erhebt der Kläger die Aufklärungsrüge. Es habe sich bei dem Eingriff um eine experimentelle Neulandmethode gehandelt, über welche der Kläger nicht ordnungsgemäß aufgeklärt worden sei. Eine Aufklärung in Bezug auf die neue Eingriffsmethode, deren Vor- und Nachteile und Risiken, insbesondere das Risiko einer Berufsunfähigkeit, sei nicht erfolgt. Auch eine Aufklärung über Behandlungsalternativen habe es nicht gegeben.
17Zu den Folgen behauptet der Kläger, dass aufgrund des Eingriffs eine Verschlechterung des Zustands der Bandscheibe eingetreten sei und nur deshalb eine sonst vermeidbare Folgeoperation erforderlich geworden sei. Der Kläger verspüre weiterhin Schmerzen im Bereich der Lendenwirbelsäule mit Ausstrahlung in das rechte Bein verbunden mit einem Schwäche- und Instabilitätsgefühl. Er leide unter Taubheits- und Kribbelgefühlen auch nachts bis in die Wade hinein und sei auf die regelmäßige Einnahme von Schmerzmitteln wie Tilidin angewiesen. Die Berufsgenossenschaft habe eine Berufskrankheit der Lendenwirbelsäule anerkannt.
18Mit anwaltlichen Schreiben vom 03.05.2019 forderten die Prozessbevollmächtigten des Klägers den Beklagten zu 2) zur Regulierung auf. Der Beklagte zu 2) sowie die Haftpflichtversicherung der Beklagten zu 1) wiesen eine Haftung dem Grunde nach zurück.
19Mit der beiden Beklagten am 19.01.2021 zugestellten Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
20Der Kläger beantragt,
211. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger ein Schmerzensgeld in einer vom Gericht zu bestimmenden Höhe zu zahlen, das jedoch einen Betrag von 15.000,00 € nicht unterschreiten sollte, nebst Prozesszinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Klagezustellung;
222. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger jeden aus der fehlerhaften ambulanten Behandlung in der Zeit vom 27.03.2017 bis zum 26.06.2017 in der Vergangenheit entstandenen sowie künftig entstehenden materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, soweit dieser Anspruch nicht auf Dritte, insbesondere Sozialversicherungsträger, übergegangen ist;
233. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, den Kläger von außergerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 1.789,76 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Klagezustellung freizustellen.
24Die Beklagten beantragen jeweils,
25die Klage abzuweisen.
26Die Beklagten treten jeglichen Vorwürfen betreffend einen Behandlungs- oder Aufklärungsfehler entgegen.
27Die Nukleusaugmentation sei nach ausführlicher Anamneseerhebung, der Ausreizung konservativer Behandlungsmethoden, einer suffizienten bildgebenden Befunderhebung und nach umfassender Aufklärung fachgerecht durchgeführt worden. Weitere Untersuchungen seien nicht erforderlich gewesen. Insbesondere eine Diskographie wäre sogar kontraindiziert gewesen. Die kleine radiäre Rissbildung habe dagegen keine Kontraindikation dargestellt. Auch habe der Beklagte zu 2) keine 5 mm Kanüle, sondern eine dünne Nadel mit einem Außendurchmesser von 1,4 mm, versehen mit einem Mandarin, verwendet.
28Hinsichtlich der erhobenen Aufklärungsrüge behaupten die Beklagten, den Kläger am 24.04.2017 ausführlich über die Eingriffsmethode und deren Risiken – insbesondere Blutung, Infektion, Lähmung und Gefühlsstörung –, über Vor- und Nachteile sowie eine fehlende Langzeitprognosemöglichkeit aufgeklärt zu haben. Dabei habe auch ein Thieme-Compliance-Bogen Verwendung gefunden, der dem Kläger am gleichen Tag ausgehändigt, von diesem aber nicht mehr zurückgebracht worden sei. Der Kläger sei im Rahmen des Aufklärungsgesprächs unter Zuhilfenahme eines Wirbelsäulenmodells und des Originalinstrumentariums umfassend über die Vorgehensweise unterrichtet worden. Darüber hinaus habe sich der Kläger bereits im Internet über die Methode der Auffüllung der Bandscheibe mit Hydrogel informiert und diese schon am 27.03.2017 mit dem Beklagten zu 2) besprochen. Bei der Behandlungsmethode handele es sich zudem nicht um eine experimentelle Neulandmethode, sondern um ein etabliertes Standardverfahren.
29Hilfsweise erheben sie den Einwand der hypothetischen Einwilligung. Dazu behaupten sie, dass der Kläger sich auch bei weitergehender Aufklärung aufgrund seiner erheblichen Beschwerdesymptomatik, eines monatelangen Leidensweges und der Resistenz gegenüber den konservativen Behandlungsansätzen für die Durchführung des streitgegenständlichen Eingriffs entschieden hätte. Die Nukleusaugmentation habe den Bandscheibenverschleiß verzögern und der Vermeidung einer invasiven Operation dienen sollen, für welche der Kläger noch zu jung gewesen sei.
30Die Beklagten bestreiten den klägerseits behaupteten weiteren Krankheitsverlauf sowie die behaupteten Behandlungsfolgen und deren Kausalität mit Nichtwissen. Für den Fall des Vorliegens einer Beschwerdepersistenz bzw. –zunahme sowie des behaupteten Bandscheibenvorfalls seien solche Entwicklungen auf eine schicksalhafte Progredienz der Grunderkrankung zurückzuführen.
31Schließlich bestreiten die Beklagten die Aktivlegitimation des Klägers hinsichtlich der Geltendmachung des Freistellungsanspruchs von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten mit Nichtwissen. Daneben sind sie der Ansicht, dass eine 2,0 Geschäftsgebühr überhöht sei.
32Die Kammer hat die Akte des Landgerichts Köln zum Aktenzeichen 3 O 389/19, dem ein Verfahren des Klägers gegen das Hospital B1 u.a. zugrunde lag und in welchem ein unfallchirurgisches Gutachten des Herrn E1 (Bl. 17 ff. d. BA) sowie ein fachorthopädisches Gutachten des Herrn F1 (Bl. 79 ff. d. BA) eingeholt wurden, beigezogen.
33Ferner hat die Kammer den Kläger persönlich angehört und Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen K1 vom 11.03.2022. Ergänzend hat die Kammer den Sachverständigen mündlich angehört sowie die Zeugin H1 vernommen. Bezüglich des Ergebnisses der Beweisaufnahme sowie der Parteianhörung wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 22.06.2023 sowie auf das schriftliche Gutachten des Sachverständigen Bezug genommen. Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze, die zu den Akten gereichten Unterlagen sowie auf die von der Kammer angeforderten Behandlungsunterlagen verwiesen.
34Entscheidungsgründe:
35Die zulässige Klage ist lediglich in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet, im Übrigen unbegründet.
36I.
37Dem Kläger steht gegen die Beklagten als Gesamtschuldner ein Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes aus einer Pflichtverletzung des Behandlungsvertrages gem. §§ 630a, 280 Abs. 1, 249, 253 Abs. 2 BGB und für die Beklagte zu 1) i.V.m. § 278 BGB sowie aus einer unerlaubten Handlung gem. §§ 823 Abs. 1, 249, 253 Abs. 2 BGB und für die Beklagte zu 1) i.V.m. einer analogen Anwendung des § 31 BGB in Höhe von 500,00 € zu.
38Die ärztliche Behandlung des Klägers mittels der Hydrogeltherapie erfolgte rechtswidrig. Die darlegungs- und beweisbelasteten Beklagten konnten eine ordnungsgemäße Aufklärung bereits nicht hinreichend darlegen und jedenfalls auch nicht beweisen.
39Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten ist, § 286 ZPO. Es bedarf dabei keiner absoluten Gewissheit oder „an Sicherheit grenzender“ Wahrscheinlichkeit. Erforderlich und ausreichend ist vielmehr ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (BGH, Urteil vom 06.05.2015, Az. VIII ZR 161/14).
40Diesen Grad an Überzeugung hat die Kammer nach der durchgeführten Beweisaufnahme erlangt. Die Kammer folgt dabei bezüglich der streitigen medizinischen Fragen nach eigener Prüfung und Würdigung den überzeugenden und nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen K1. Der Sachverständige hat sein Gutachten fundiert und sachlich überzeugend begründet. Die Kompetenz und Erfahrung des Sachverständigen stehen dabei ebenso außer Zweifel wie seine Objektivität. Fehler oder Mängel an dem Gutachten sind nicht ersichtlich. Seine Feststellungen beruhen auf einer gründlichen Aufarbeitung der Behandlungsunterlagen. Er hat sämtliche für die Entscheidung des Rechtsstreits maßgeblichen medizinischen Fragen in seinem Gutachten klar, eindeutig und überzeugend beantwortet. Von seiner Fachkompetenz konnte sich die Kammer in der mündlichen Verhandlung vom 22.06.2023 überzeugen, in welcher der Sachverständige seine Ausführungen aus dem schriftlichen Gutachten noch einmal überzeugend bestätigt, konkretisiert und weiter begründet hat.
411.
42Der von dem Beklagten zu 2) durchgeführte ärztliche Eingriff vom 24.05.2017 war nicht durch eine rechtswirksame Einwilligung des Klägers gedeckt, § 630d Abs. 2 BGB.
43a)
44Die Aufklärung erfolgte nicht ordnungsgemäß.
45Gem. § 630e Abs.1 BGB hat der Behandelnde, den Patienten über sämtliche für die Einwilligung wesentlichen Umstände aufzuklären. Dazu gehören insbesondere Art, Umfang, Durchführung, zu erwartende Folgen und Risiken der Maßnahme sowie ihre Notwendigkeit, Dringlichkeit, Eignung und Erfolgsaussichten im Hinblick auf die Diagnose oder die Therapie. Bei der Aufklärung ist auch auf Alternativen zur Maßnahme hinzuweisen, wenn mehrere medizinisch gleichermaßen indizierte und übliche Methoden zu wesentlich unterschiedlichen Belastungen, Risiken oder Heilungschancen führen können.
46Dem Patienten sind etwaige Risiken deutlich vor Augen zu führen, damit er genau abwägen kann, ob er einen etwaigen Misserfolg und das Risiko gesundheitlicher Beeinträchtigungen in Kauf nehmen will. Bei nicht als Standardverfahren zur Anwendung kommenden Eingriffen sind zur Wahrung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten erhöhte Anforderungen an dessen Aufklärung zu stellen. Hierbei obliegt dem Arzt eine ganz besondere Verantwortung, dem Patienten das Für und Wider mit allen Konsequenzen deutlich zu machen und insbesondere darüber aufzuklären, dass der geplante Eingriff nicht oder noch nicht medizinischer Standard ist sowie ggf. darüber, dass unbekannte Risiken derzeit nicht auszuschließen sind (vgl. BGH, Urteil vom 15. Oktober 2019 - VI ZR 105/18, MedR 2020, 379 Rn. 19; BGH, Urteil vom 13. Juni 2006 - VI ZR 323/04, BGHZ 168, 103 Rn. 14).
47Zwar dürfte zwischen den Parteien ein Aufklärungsgespräch stattgefunden haben, in welchem insbesondere die wesentlichen Risiken wie Blutungen, Infektion, Lähmungen und Gefühlsstörungen angesprochen worden sein dürften.
48Die Kammer ist aber davon überzeugt, dass der Beklagte zu 2) den Kläger nicht darüber aufgeklärt hat, dass es sich bei der streitgegenständlichen Hydrogeltherapie nicht um eine Standardmethode handele, deren Erfolgsaussichten unsicher seien und nach den Ärzteleitlinien überwiegend von einer solchen intradiskalen Behandlung abgeraten werde.
49Hierzu führte der Sachverständige aus, dass er nach eigener Literaturauswertung keine eindeutige positive Empfehlung für den Eingriff habe finden können und ein Vorteil der Hydrogeltherapie nicht belegt sei. Diesbezüglich gebe es keine eindeutige Datenlage, weshalb die Erfolgsprognose völlig ungeklärt sei. Hinsichtlich der Empfehlung, dass intradiskale Verfahren nicht zur Anwendung kommen sollen, bestehe – so der Sachverständige – ein Konsens von 75 %. Man müsse daher darauf hinweisen, dass die Hydrogeltherapie zwar ein mögliches Verfahren ist, es aber kein klares Datenmaterial dazu gebe, ob ein solcher Eingriff einen Vorteil bringen könnte.
50Eine Aufklärung über diese Gesichtspunkte in ihren wesentlichen Grundzügen hält auch die Kammer in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen für zwingend erforderlich.
51Bereits aus dem Aufklärungsbogen gehen weder Vor- und Nachteile der Eingriffsmethode noch deren umstrittener Stand in der Wissenschaft hervor, wie der Sachverständige bereits in seinem schriftlichen Gutachten bemängelte.
52Ausweislich der Anhörung des Klägers habe der Beklagte zu 2) insoweit lediglich erwähnt, dass es sich um eine neuartige Methode handele, die ihm helfen würde.
53Auch die Zeugin H1 sagte im Einklang dazu glaubhaft aus, dass Näheres zu den Erfolgsaussichten oder der Studienlage nicht gesagt worden sei und auch nicht bekannt gewesen sei.
54Noch in der Klageerwiderung der Beklagten wurde ausgeführt, dass die Behandlungsmethode für ein etabliertes Standardverfahren gehalten werde, was den Rückschluss naheliegen lässt, dass ein solcher Eindruck auch dem Kläger bei der Aufklärung vermittelt worden ist.
55Im Rahmen der ausführlichen Anhörung des Beklagten zu 2) bestätigte dieser, bei der Aufklärung nicht auf die Leitlinien abzustellen. Sofern er aber davon gesprochen haben will, dass die Methode nur in ausgewählten Fällen zur Anwendung komme, eine relative Wirksamkeit entfalte und mit der „Unsicherheit des Wirkspektrums behaftet“ sei, sind allein diese abstrakten Ausführungen auch bei Wahrunterstellung nach dem Dafürhalten der Kammer für eine ordnungsgemäße Aufklärung – insoweit in Abweichung der rechtlichen Bewertung des Sachverständigen – nicht ausreichend. Der Beklagte zu 2) hätte dem Kläger jedenfalls deutlich mitteilen müssen, dass die Erfolgsaussichten unklar sind und das Verfahren überwiegend abgelehnt wird. Die Erteilung solcher ausdrücklicher Hinweise hat der Beklagte zu 2) aber nicht behauptet, sondern Formulierungen wie die „Unwirksamkeit des Wirkspektrums“ zitiert, die aufgrund ihrer verallgemeinerten, fachspezifischen Formulierung dem Patienten als medizinischen Laien kein aussagekräftiges Bild von dem aufklärungspflichtigen Umstand vermitteln können, dass letztlich völlig ungeklärt war, ob ein solcher Eingriff dem Kläger irgendeinen Vorteil bringen konnte. Der Sachverständige hat insoweit plastisch beschrieben, dass aus seiner Sicht solche Behandlungen nur einen Platz in experimentellen Settings hätten, bis die Datenlage geklärt sei. Genau auf diesen maßgeblichen Umstand hat der Beklagte zu 2), auch wenn man seine eigenen Angaben zugrunde legt, den Kläger nicht mit der notwendigen Deutlichkeit aufmerksam gemacht. Vielmehr hat er – nach eigener Angabe in der persönlichen Anhörung – dem Kläger erklärt, dass der Eingriff eine ausgewählte Möglichkeit sein könne, um in speziellen Fällen eine Fusionstherapie dem Patienten zu ersparen. Auch dieser Erklärungsansatz wird in keiner Weise der besonderen aufklärungspflichtigen Situation der völlig unklaren Erfolgsaussichten des Eingriffs gerecht. Vor dem Hintergrund der von dem Sachverständigen aufgezeigten Gesichtspunkte ist im Hinblick auf eine umfassend zu fordernde Aufklärung ein Defizit anzunehmen. Ob daneben auch Behandlungsalternativen nur unzureichend aufgezeigt worden sind oder Risiken, wie die Gefahr des Eintritts einer Spondylodiszitis, nicht hinreichend erklärt worden sind, kann dahinstehen.
56Dem Aufklärungsversäumnis steht auch eine etwaige Vorkenntnis des Klägers nicht entgegen.
57Eine Vorkenntnis der für die Einwilligung wesentlichen Umstände kann eine Aufklärung gem. § 630e Abs. 3 BGB entbehrlich machen. Nach der Rechtsprechung des BGH entfällt die Haftung für einen etwaigen Aufklärungsfehler dann, wenn feststeht, dass der Patient über das maßgebliche Risiko bereits anderweitig aufgeklärt ist, da er dann weiß, in welchen Eingriff er einwilligt (vgl. BGH, Urt. v. 25.03.2003, VI ZR 131/02 – juris Rn. 23; Palandt-Weidenkaff, 80. Aufl. 2021, § 630e Rn. 12).
58Zwar war der Kläger auch nach eigenen Angaben über die Eingriffsmethode bereits im Vorfeld durch entsprechende Internetrecherche informiert. Dass und inwieweit er auch über den unsicheren Stand der Behandlungsmethode in der Wissenschaft Bescheid wusste, ist allerdings nicht ersichtlich. Der Beklagte zu 2) teilte im Rahmen seiner persönlichen Anhörung mit, dass jedenfalls die Risiken der Behandlung auf der Internetseite der Beklagten zu 1) so nicht aufgeführt gewesen seien. Die eigeninitiativ vorgenommene Recherche kann die gebotene schonungslose Aufklärung, die den Patienten in die Lage versetzen soll, sorgfältig das Für und Wider der Behandlung abzuwägen, nach Auffassung der Kammer nicht ersetzen und die Beklagten daher nicht entlasten. Auch der Umstand, dass der Kläger die Beklagten wohl gezielt für eine solche Behandlung aufgesucht hat, führt zu keiner anderen Beurteilung.
59Die Kammer hat sich im Rahmen der Parteianhörung nicht des Eindrucks erwehren können, dass der Beklagte zu 2) die Behandlung trotz seiner Kenntnis um die mangels ausreichender Datenlage unsicheren Erfolgschancen als erfolgsversprechende Behandlungsmethode möglicherweise sogar im Rahmen eines Geschäftsmodells empfohlen haben könnte. Dafür sprechen die Umstände, dass der Beklagte zu 2) selbst ausführte, man sei damals bei Eingabe des Suchbegriffes „Hydrogeltherapie“ bei Google mit als erstem Eintrag auf die Beklagte zu 1) gestoßen, in den Praxisräumen hätten Flyer ausgelegen und man habe das Vorgehen anhand von bereitliegenden Hydrogelsticks in natürlicher und gequollener Form im Reagenzglas erläutern können. Solche gesondert organisierten und im Hinblick auf die Google-Abfrage auch in aller Regel mit nicht unerheblichen Kosten verbundenen Maßnahmen sind aus Sicht der Kammer jedenfalls als Indiz dafür zu werten, dass hier schmerzgeplagten und verzweifelten Patienten der Eindruck einer wirksamen Therapie bei tatsächlich völlig unklaren Erfolgsaussichten vermittelt werden sollte.
60b)
61Die Haftung des Beklagten zu 2) erstreckt sich auch auf die Beklagte zu 1). Diese muss sich das ärztliche Fehlverhalten gem. § 278 BGB bzw. § 31 BGB analog zurechnen lassen. Der Einwand der Beklagten zu 1), sie hafte nur für die ambulante Betreuung des Klägers, nicht aber für den stationären Eingriff, den der Beklagte zu 2) im Krankenhaus A1– nach Angaben der Beklagten in seiner Funktion als teilangestellter Arzt – durchgeführt haben soll sowie einer diesbezüglich etwaig unzureichenden Aufklärung, verfängt nicht. Maßgeblich für die Frage der Haftung ist, mit wem der Kläger den Behandlungsvertrag geschlossen hat.
62Vertragspartner des Klägers ist – wovon die Kammer mangels gegenteiligen substantiierten Vortrags und angesichts der im Haus der Beklagten zu 1) erfolgten Beratung und Aufklärung über den Eingriff auszugehen hatte – die Beklagte zu 1) gewesen. Auch auf dem Einwilligungsformular findet sich der Firmenstempel der Beklagten zu 1). Der tatsächliche Durchführungsort der Behandlung, welcher aufgrund des stationären Settings im Krankenhaus A1 lag, ist dagegen nicht entscheidend, zumal das haftungsbegründende Aufklärungsgespräch in den Praxisräumen der Beklagten zu 1) stattgefunden hat. Dass der Beklagte zu 2) für die Beklagte zu 1) tätig geworden ist, dürfte sich letztlich auch aus der Abrechnung der ärztlichen Leistung ergeben.
63c)
64Der Haftung der Beklagten wegen des Aufklärungsversäumnisses steht auch nicht der von ihnen erhobene Einwand der hypothetischen Einwilligung entgegen. Von einer hypothetischen Einwilligung kann vorliegend nicht ausgegangen werden. Insofern hat der Behandler zunächst substantiiert vorzutragen, dass der Patient bei ordnungsgemäßer Aufklärung den Eingriff in gleicher Weise hätte durchführen lassen. Sodann muss der Patient plausible Gründe dafür darlegen, dass er sich in diesem Falle in einem echten Entscheidungskonflikt befunden haben würde. Abzustellen ist auf die persönliche Entscheidungssituation des Patienten. Was aus ärztlicher Sicht sinnvoll und erforderlich gewesen wäre und wie sich ein "vernünftiger" Patient verhalten haben würde, ist deshalb grundsätzlich nicht entscheidend (BGH NJW 1998, 2734).
65Vorliegend kann die Kammer nicht feststellen, dass sich der Kläger im Falle einer ordnungsgemäßen Aufklärung in gleicher Weise für die Durchführung des Eingriffs entschieden hätte.
66Vor dem Hintergrund der fehlenden Etablierung und fehlender Langzeitergebnisse der Methode sowie der unsicheren Erfolgsprognose ist es dem Kläger auch unter Berücksichtigung seines erheblichen Leidensdrucks gelungen, einen echten Entscheidungskonflikt plausibel darzulegen.
67Der Kläger hätte sich auch zur Fortführung der konservativen Behandlung entschließen können bzw. eine fachärztliche Beobachtung und Anpassung konservativer Maßnahmen bevorzugen können oder jedenfalls erst weitere Informationen bzw. eine zweite Meinung zu dem streitgegenständlichen Eingriff einholen können. Die Angabe des Klägers, dass dieser den Eingriff bei Kenntnis aller Umstände nicht hätte machen lassen, erscheint gerade unter Berücksichtigung dessen, dass in den Ärzteleitlinien von der Methode abgeraten wird, naheliegend und glaubhaft. Dass er nach eigenen Angaben grundsätzlich dem Rat seiner Ärzte folgt, steht dem nicht entgegen. Letztlich ist nicht nachvollziehbar, weshalb auch ein schmerzgeplagter Patient sich für einen Eingriff entscheiden sollte, von dem er weiß, dass deren Erfolgsaussichten völlig unklar sind und von denen in den Leitlinien ausdrücklich abgeraten wird, zumal insoweit unter anderem das aufklärungspflichtige Risiko der Spondylodiszitis, also einer schwerwiegenden Erkankung besteht. Insoweit ist auch die glaubhafte Angabe der Zeugin H1, dass sich der Kläger und sie – auch aufgrund der mit dem Beklagten zu 2) geführten Gespräche – eine Besserung versprochen hätten, zu berücksichtigen.
68Den Gegenbeweis, dass der Kläger sich in gleicher Weise für die Durchführung des Eingriffs entschieden hätte, haben die Beklagten nicht führen können.
692.
70Soweit der Kläger weitere Behandlungsversäumnisse durch die Beklagten rügt, hat die Kammer solche nicht mit der erforderlichen Sicherheit feststellen können.
71Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen unter Berücksichtigung dessen eigenständiger Auswertung der Bildgebungen ist ein fehlerhaftes Vorgehen nicht erkennbar. Sämtliche Vorwürfe des Klägers hinsichtlich der präoperativen Diagnostik, der Auswertung der Bildgebung, der Eingriffsdurchführung und der postoperativen Nachsorge konnten nicht festgestellt werden.
72Auch die – insbesondere vor dem Hintergrund der strittigen Etablierung der streitgegenständlichen Behandlungsmethode diskussionswürdige - Indikationsfrage hat der Sachverständige nachvollziehbar in Anbetracht der Zulassung des Verfahrens und der weitgehend bereits erfolgten Ausschöpfung konservativer Maßnahmen bejaht.
73Hierzu verweist die Kammer vollumfänglich auf die Feststellungen des Sachverständigen in seinem schriftlichen Gutachten sowie auf die ergänzenden Erläuterungen in der mündlichen Verhandlung vom 22.06.2023.
743.
75Die Kammer ist davon überzeugt, dass dem Kläger aufgrund der vorbenannten Aufklärungspflichtverletzung der Beklagten zumindest in geringem Umfang ein Schaden entstanden ist. Dabei kann der Kläger nur die Schäden ersetzt verlangen, die kausal auf den rechtswidrig durchgeführten Eingriff zurückzuführen sind.
76a)
77Ausgangspunkt bei der Beurteilung des Vorliegens kausaler Folgen ist aus Sicht der Kammer, wie es sich auf das körperliche Wohlbefinden des Klägers ausgewirkt hätte, wenn die Hydrogeltherapie nicht erfolgt wäre. Maßgeblich ist insoweit also, welche Beeinträchtigungen und Unannehmlichkeiten, die mit dem erfolgten Eingriff einhergingen, dem Kläger erspart geblieben wären.
78Die Höhe des zuzubilligenden Schmerzensgeldes hängt nach gefestigter Rechtsprechung entscheidend von dem Maß der Lebensbeeinträchtigung ab, soweit diese bei Schluss der mündlichen Verhandlung bereits eingetreten war oder für die Zukunft erkennbar und objektiv vorhersehbar ist (OLG Hamm, Urteil vom 21.12.2012 - 9 U 38/12, juris; Palandt-Grüneberg, 80. Auflage 2021, § 253 Rn. 15).
79Da es sich bei dem Eingriff „lediglich“ um die unter Lokalanästhesie erfolgte Punktion der Bandscheibe mit einer Nadel handelte und nicht etwa um eine offene Operation unter Vollnarkose, erscheint das Maß, dass der Kläger hierdurch an Beeinträchtigungen und Schmerzen erleiden musste, gering. Der Sachverständige bewertete die Intensität des Eingriffs als nicht besonders schwerwiegend, auch sei nicht damit zu rechnen, dass im Nachhinein noch besondere Schmerzen aufgrund dieses Eingriffes auftreten.
80Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes konnte allerdings zudem nicht unberücksichtigt bleiben, dass dem schmerzgeplagten und daher erheblich verzweifelten Kläger durch den Beklagten zu 2) der unzutreffende Eindruck vermittelt worden ist, dass bei Durchführung der Hydrogeltherapie eine Verbesserung der Schmerzsituation bewirkt werden und möglicherweise sogar eine Fusionstherapie vermieden werden könnte. Die erwartbare Enttäuschung der Erwartungen eines schmerzgeplagten und verzweifelten Menschen, der sich in der Erwartung einer möglichen Schmerzlinderung einem medizinischen Eingriff, der zudem mit dem wenn auch geringen Risiko der Spondylodiszitis behaftet ist, unterzieht und dafür ein Behandlungshonorar zahlt, stellt nach Auffassung der Kammer eine zusätzliche Beeinträchtigung dar, die mit einem – wenn auch geringen – Schmerzensgeld zu kompensieren ist.
81b)
82Die weiteren vom Kläger behaupteten und zu beweisenden Schadensfolgen konnten nach den Ausführungen des Sachverständigen nicht ursächlich auf die Behandlung zurückgeführt werden.
83Nachweispflichtig für die Kausalität der durch eine rechtswidrige Behandlung angeblich entstandenen Folgeschäden ist der klagende Patient. Auch wenn man für die Folgeschäden - vor dem Hintergrund, dass die Primärschädigung bei der fehlerhaften Aufklärung bereits in dem mangels wirksamer Einwilligung per se rechtswidrigen Eingriff als solchem liegt - lediglich den vereinfachten Beweismaßstab des § 287 ZPO zugrunde legt, wonach eine „überwiegende Wahrscheinlichkeit“ ausreicht, ist dem Kläger der Nachweis kausaler Folgeschäden nicht gelungen.
84Objektiv festgestellt werden konnte von dem Sachverständigen zunächst nur der Eintritt eines Bandscheibenvorfalls, welcher eine Bandscheibenoperation am 13.12.2017 nach sich zog. Dabei hält der Sachverständige einen Kausalzusammenhang zu der Behandlungsmaßnahme – im Einklang mit dem MDK-Gutachter D1 – für nicht gegeben. Bei dem Bandscheibenvorfall habe es sich um ein Akutereignis gehandelt, welches zeitlich ganz klar zuzuordnen sei und nicht unmittelbar oder im Zusammenhang mit der Behandlung aufgetreten sei. Zwar sei der biomechanische Zusammenhang bis zu einem gewissen Grad gegeben. Bei der Hydrogeltherapie werde Material in den Bandscheibenraum eingebracht, welches Wasser aufnehme und zur Erhöhung des intradiskalen Drucks führe, weshalb es durchaus möglich sei, dass es zum leichteren Auftreten von Bandscheibenvorfällen kommen könne. Eine diesbezüglich aussagekräftige Datenlage gebe es aber nicht, weshalb es sich allenfalls um eine spekulative Annahme handele. Gleiches gelte hinsichtlich der vorgetragenen Schmerzen, eines Schwäche- oder Instabilitätsgefühls im Bereich der Lendenwirbelsäule sowie eines Taubheits- und Kribbelgefühls, dessen Vorliegen der Sachverständige nicht objektiv bestätigen konnte. Auch insoweit konnte der Sachverständige nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit annehmen, dass diese Beeinträchtigungen – deren Vorliegen unterstellt – Folge der streitgegenständlichen Behandlung sind. Vielmehr komme als Ursache am wahrscheinlichsten die Grunderkrankung einer degenerativen Bandscheibenproblematik in Betracht. Aufgrund des klinischen Verlaufs ist der Sachverständige zudem nicht davon überzeugt, dass sich die monosegmentale Degeneration der Bandscheibe für die Beschwerden in diesem Umfang verantwortlich zeigt. Es handele sich sicherlich um eine vielschichtige Schmerzproblematik, was auch daran deutlich werde, dass neben der Wirbelsäule auch die Iliosakralgelenke immer wieder angeschuldigt und behandelt worden seien.
854.
86Die Kammer hält in Anbetracht der vorgenannten Ausführungen zum Aufklärungsfehler und dem daraus resultierenden rechtswidrigen Eingriff vom 24.05.2017 im Rahmen der gebotenen Gesamtabwägung ein Schmerzensgeld in Höhe von 500,00 € für angemessen, aber auch ausreichend.
87Der Anspruch auf Zinsen auf das Schmerzensgeld ergibt sich aus §§ 288 Abs. 1, 291 BGB.
88II.
89Im Hinblick auf die von der Kammer festgestellte Aufklärungspflichtverletzung ist auch der mit dem Klageantrag zu 2. geltend gemachte Feststellungsantrag bzgl. sämtlicher gegenwärtiger und künftiger materieller sowie künftiger nicht vorhersehbarer immaterieller Schäden begründet.
90Zwar konnten die bislang mit der Klage geltend gemachten Schäden überwiegend nicht mit der erforderlichen Sicherheit auf die streitgegenständliche Behandlung kausal zurückgeführt werden, dennoch erscheint ein Schadenseintritt im Hinblick auf die fortbestehenden Beschwerden und noch nicht abgeschlossene Schadensentwicklung gerade vor dem Hintergrund, dass es für die streitgegenständliche Behandlungsmethode noch keine Langzeitprognosen gibt, jedenfalls möglich. Auf eine Wahrscheinlichkeit eines weiteren Schadenseintritts kommt es bei einer vorangegangenen Rechtsgutsverletzung insoweit nicht an (BGH, Urteil vom 17.10.2017 – VI ZR 423/16, NJW 2018, 1242, 1248).
91Die Feststellung der Haftungspflicht bezüglich der immateriellen Schäden war auf die noch nicht vorhersehbaren Schäden zu begrenzen, da mit dem ausgeurteilten Schmerzensgeld wegen des Grundsatzes der Einheitlichkeit der Schmerzensgeldbemessung alle bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vorhersehbaren Schäden abgegolten sind. Hinsichtlich des beklagtenseits vorgebrachten Einwandes, dass dem Kläger eine Bezifferung der bisher entstandenen materiellen Schäden, vor dem Hintergrund, dass die Behandlung schon vier Jahre zurückliegt, möglich und zumutbar sei, ist auszuführen, dass der Kläger auch bei gegebener Möglichkeit der Teilbezifferung auf eine solche nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht zu verweisen ist. Selbst dann steht es ihm frei, die Haftungspflicht für sämtliche materielle Schäden lediglich feststellen zu lassen.
92III.
93Die Beklagten sind zudem dazu verpflichtet, den Kläger von den entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten freizustellen, allerdings nur in zugesprochener Höhe.
94Auch insoweit handelt es sich um einen Schaden, der sich im Rahmen eines Schadensersatzanspruchs als ersatzfähig erweist, ohne dass es eines gesonderten Zahlungsverzuges der Beklagten bedürfte. Der Klägervertreter ist vorgerichtlich mit Schreiben vom 03.05.2019 tätig geworden.
95Soweit die vorgerichtliche Gebührenforderung durch seinen Rechtsschutzversicherer ausgeglichen wurde, ist der Kläger zur Geltendmachung des Erstattungsanspruchs ausweislich des Schreibens vom 02.12.2020 (Bl. 27 d. A.) ermächtigt worden. Der Anspruch ist jedoch in Höhe einer 2,0-Geschäftsgebühr unter Zugrundelegung eines Gegenstandswerts von nur 1.000,00 € gerechtfertigt. Der bei der Berechnung zugrunde zu legende Gegenstandswert richtet sich nach der erstattungsfähigen Hauptforderung, hier des Schmerzensgeldes in Höhe von 500,00 € nebst Feststellung der Haftungspflicht, die die Kammer mit einem Wert von weiteren 500,00 € für begründet erachtet. Eine Erhöhung der Regelgebühr von 1,3 auf eine 2,0 Gebühr ist im Hinblick auf den erhöhten Aufwand und den erhöhten Schwierigkeitsgrad der anwaltlichen Tätigkeit in Arzthaftungssachen, der auch vorliegend zum Tragen kommt, nach ständiger Rechtsprechung des OLG Hamm sowie der Kammer gerechtfertigt (vgl. OLG Hamm, Urt. v. 19.03.2018, I-3 U 63/15 - juris Rn. 117; OLG Hamm, Urt. v. 17.03.2015, I-26 U 108/13 – juris).
96IV.
97Die Entscheidung folgt hinsichtlich der Kosten aus §§ 92 Abs. 1, 100 Abs. 4 ZPO.
98Dabei hat die Kammer den Wert des Obsiegens des Klägers mit 1.000,00 € angesetzt, wobei 500,00 € auf den Schmerzensgeldanspruch entfallen und der Feststellungsantrag mit einem Wert von 500,00 € für begründet erachtet wird. Dabei hat die Kammer den Gegenstandswert des Feststellungsantrags zwar insgesamt mit bis zu 7.000,00 € bewertet, aber gleichzeitig berücksichtigt, dass der Kläger anknüpfend an die behaupteten bereits entstandenen kausalen Schäden den möglichen Zukunftsschaden deutlich schwerwiegender behauptet hat, als dies nach den getroffenen Feststellungen aus Kausalitätsgründen in Betracht kommen kann.
99Die Entscheidung der vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt für den Kläger aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO und für die Beklagten aus § 709 S. 1, S. 2 ZPO.