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Will ein Betriebsratsmitglied den Anspruch auf Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte im Beschlussverfahren verfolgen, hat es schlüssig darzulegen, dass der Anspruch seine Rechtsgrundlage - auch - in einem betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsverhältnis hat. Die bloße Rechtsbehauptung genügt für die gewählte Verfahrensart nicht (sog. et-et-Fall).
1. | Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Solingen vom 23.08.2019 - 1 BV 38/19 - wird zurückgewiesen. |
2. | Der Antragsteller hat die Kosten der Beschwerde zu tragen. |
3. | Der Wert des Beschwerdeverfahrens beträgt 1.000,00 €. |
G r ü n d e :
2A.Die Beteiligten streiten im Vorabentscheidungsverfahren darüber, ob der in der Hauptsache gegenständliche Antrag auf Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte im Urteils- oder im Beschlussverfahren zu bescheiden ist.
3Der zu 1. beteiligte Antragsteller ist freigestelltes Betriebsratsmitglied des bei der zu 2. beteiligten Arbeitgeberin gebildeten Betriebsrats. Die Arbeitgeberin erteilte dem Antragsteller unter dem 19.02.2019 eine Abmahnung mit dem Vorwurf, am 13.02.2019 gegenüber Kollegen beleidigende Äußerungen ("Verräter", "Hurensöhne") und körperliche Drohungen getätigt zu haben. Der Vorfall ereignete sich im Betrieb der Beklagten im Zusammenhang mit einer Unterschriftenaktion der Belegschaft zum Zwecke der Einleitung eines Auflösungsverfahrens gegen den Betriebsrat.
4Mit seinem am 16.05.2019 beim Arbeitsgericht eingegangenen Antrag begehrt der Antragsteller im Wege des Beschlussverfahrens die Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte. Er hat die Auffassung vertreten, dass die Abmahnung ihn in seiner Betriebsratstätigkeit behindere.
5Demgegenüber hat die Arbeitgeberin gemeint, es seien alleine individualrechtliche Positionen des Antragstellers berührt. Eine Behinderung der Betriebsratstätigkeit sei nicht näher dargelegt. Die bloße Doppelrolle des Antragstellers als Betriebsratsmitglied und Arbeitnehmer genüge nicht, um den Rechtsstreit im Beschlussverfahren durchzuführen.
6Mit Beschluss vom 23.08.2019 hat das Arbeitsgericht die vom Antragsteller gewählte Verfahrensart für unzulässig erachtet und den Rechtsstreit in das Urteilsverfahren überführt. Gegen den am 03.09.2019 dem Antragsteller zugestellten Beschluss wendet sich dessen am 17.09.2019 beim Arbeitsgericht eingegangene sofortige Beschwerde. Sie verweist auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 04.12.2013 (7 ABR 7/12) und führt an, dass die streitgegenständliche Abmahnung im Zusammenhang mit einer betriebsverfassungsrechtlichen Tätigkeit des Antragstellers ausgesprochen worden sei.
7Mit Beschluss vom 27.09.2019 hat das Arbeitsgericht der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache der Beschwerdekammer zur Entscheidung vorgelegt.
8B.Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
9I.Die Beschwerde des Antragstellers ist nach § 80 Abs. 3, § 48 Abs. 1 ArbGG iVm § 17a Abs. 4 Satz 3 GVG statthaft und auch sonst zulässig. Für die Form der Einlegung der Beschwerde gilt § 569 Abs 2 und 3 Nr. 1 ZPO. Eine Auseinandersetzung mit der angegriffenen Entscheidung iSv. § 520 Abs. 3 ZPO ist nicht Voraussetzung für die Zulässigkeit der Beschwerde.
10II.Die Beschwerde ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat den Rechtsstreit zu Recht in das Urteilsverfahren verwiesen. Über den Antrag auf Entfernung der Abmahnung vom 19.02.2019 aus der Personalakte ist im Urteilsverfahren zu entscheiden.
111.Die Verfahrensart, in der ein Rechtsstreit vor den Gerichten für Arbeitssachen zu entscheiden ist, bestimmt sich nach § 2 und § 2a ArbGG.
12a.In den in § 2 ArbGG geregelten Arbeitssachen findet das Urteilsverfahren statt (§ 2 Abs. 5 ArbGG), während über die in § 2a ArbGG genannten Arbeitssachen im Beschlussverfahren zu befinden ist. Dem arbeitsgerichtlichen Urteilsverfahren sind unter anderem bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern aus dem Arbeitsverhältnis (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a ArbGG) ausschließlich zugewiesen. Im Beschlussverfahren sind dagegen unter anderem Streitigkeiten zu entscheiden, die eine Angelegenheit aus dem Betriebsverfassungsgesetz betreffen, soweit es nicht um strafbare Handlungen und Ordnungswidrigkeiten nach dem BetrVG geht, die den ordentlichen Gerichten zugewiesen sind (§ 2a Abs. 1 Nr. 1 u. 2 ArbGG).
13b.Maßgebend für die Bestimmung der zutreffenden Verfahrensart ist der Streitgegenstand. Für das Vorliegen einer betriebsverfassungsrechtlichen Streitigkeit ist entscheidend, ob der geltend gemachte Anspruch beziehungsweise die begehrte Feststellung ihre Rechtsgrundlage in einem betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsverhältnis hat (BAG 12.06.2018 - 9 AZB 9/18, juris, Rn. 10 mwN). Das Verfahren muss sich auf das betriebsverfassungsrechtliche Verhältnis der Betriebspartner beziehen. Immer wenn die betriebsverfassungsrechtliche Ordnung des Betriebs und die gegenseitigen Rechte und Pflichten der Betriebspartner als Träger dieser Ordner im Streit stehen, sollen darüber die Gerichte für Arbeitssachen im Beschlussverfahren als der dafür geschaffenen und besonders geeigneten Verfahrensart entscheiden. Dies gilt auch dann, wenn es um Rechte betriebsverfassungsrechtlicher Organe geht. Diese müssen sich nicht unmittelbar aus dem Betriebsverfassungsgesetz ergeben, sondern können ihre Grundlage auch in Tarifverträgen oder anderen Rechtsvorschriften haben (vgl. zu allem BAG, aaO, mwN).
143.In Anwendung dieser Grundsätze vermag die Beschwerdekammer in Übereinstimmung mit dem Arbeitsgericht dem Vorbringen des Antragstellers nicht zu entnehmen, dass sein Rechtsbegehren die Rechtsgrundlage in einem betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsverhältnis hätte.
15a. Hierfür genügt entgegen der Auffassung des Antragstellers nicht allein die schlichte Rechtsbehauptung einer betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsgrundlage. Diese reicht allein bei sogenannten doppelrelevanten Rechtsbehauptungen aus (sog. sic-non-Fälle). Bei diesen ist die Zuständigkeit des Gerichts schon deshalb begründet, weil der Antrag überhaupt nur bei Bestehen der behaupteten Rechtsgrundlage Erfolg haben kann. Über das Bestehen des behaupteten Rechtsverhältnisses kann in einem solchen Fall nur das zuständige Gericht im ordentlichen Verfahren entscheiden, nicht eine Beschwerdekammer im Vorabentscheidungsverfahren über die Zulässigkeit (vgl. etwa BAG 22.10.2014 - 10 AZB 46/14, NZA 2015, 60; GMP/Schlewing, 9. Aufl. 2017, ArbGG § 2 Rn. 161). Um einen solchen Fall handelte es sich etwa, wenn nicht das betroffene Betriebsratsmitglied, sondern der Betriebsrat als Gremium den Anspruch auf Entfernung der Abmahnung verfolgt, da hier der Antrag in Ermangelung individualrechtlicher Anspruchsgrundlagen für den Betriebsrat überhaupt nur bei Bestehen einer betriebsverfassungsrechtlichen Anspruchsgrundlage Erfolg haben (vgl. etwa BAG 09.09.2015 - 7 ABR 69/13, Rn. 13; BAG 04.12.2013 - 7 ABR 7/12, Rn. 12, beide juris).
16b. In dem hier vorliegenden Fall fehlt es aber an einer Doppelrelevanz, da der Antragsteller seinen Rechtsanspruch ohne Weiteres auch im Individualrechtsstreit geltend machen kann (auf Grundlage der §§ 242, 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB). Bei der kollektivrechtlichen und der individualrechtlichen Rechtsposition des mit dem Abmahnungsentfernungsantrag verfolgten Verlangens handelt es sich nicht um zwei Streit- oder Verfahrensgegenstände. Es liegt damit eine Anspruchskonkurrenz - und keine objektive Anspruchshäufung - vor (BAG 09.09.2015 - 7 ABR 69/13, juris, Rn. 32).
17Es handelt sich aus diesem Grund um einen sog. et-et-Fall, in dem der geltend gemachte Anspruch sowohl auf eine individualrechtliche als auch auf eine betriebsverfassungsrechtliche Grundlage gestützt werden kann (vgl. zur entsprechenden Abgrenzung von arbeitsrechtlichen und bürgerlich-rechtlichen Streitigkeiten GMP/Schlewing, 9. Aufl. 2017, ArbGG § 2 Rn. 164 f.). Hier besteht keine Notwendigkeit dafür, allein die schlichte Rechtsbehauptung zur Begründung der Zuständigkeit ausreichen zu lassen. Da andererseits über das Bestehen des behaupteten betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsverhältnisses wiederum nur das Gericht im ordentlichen Verfahren und nicht das Beschwerdegericht im Vorabentscheidungsverfahren zu befinden hat, ist Voraussetzung für den Zugang zum Rechtsweg, dass der Antragsteller das betriebsverfassungsrechtliche Rechtsverhältnis im Vorabentscheidungsver-fahren schlüssig darlegt. Es muss sich ein solches Rechtsverhältnis aus seinem Tatsachenvortrag herleiten lassen (BAG 10.12.1996 - 5 AZB 20/96, juris; GMP/Schlewing, 9. Aufl. 2017, ArbGG § 2 Rn. 165). Auf einen entsprechenden Tatsachenvortrag hat auch das Bundesarbeitsgericht bei der Bestimmung der Verfahrensart für den Antrag eines Betriebsratsmitglieds auf Entfernung einer Abmahnung abgestellt (BAG 04.12.2013 - 7 ABR 7/12, juris, Rn. 48 a.E.; BAG 09.09.2015 - 7 ABR 69/13, juris, Rn. 32 a.E.).
18c.Hiervon ausgehend genügt der Tatsachenvortrag des Antragstellers nicht für die Annahme, dass sich sein Anspruch aus einem betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsverhältnis, nämlich aus einem in § 78 BetrVG gründenden Unterlassungsanspruch, herleiten ließe. Der Antragsteller hat mit keinem Wort begründet, warum die in der Abmahnung vom 19.02.2019 allein enthaltene Rüge, er habe durch Bemerkungen wie "Verräter" und "Hurensöhne" und körperlich bedrohliches Auftreten gegenüber Kollegen gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten, insbesondere einen höflichen Umgang mit den Kollegen verstoßen, ihn in der Ausübung seines Betriebsratsamtes behindern würde. Allein der Umstand, dass der gerügte Vertragsverstoß sich "im Zusammenhang mit einer betriebsverfassungsrechtlichen Tätigkeit" ereignete, begründet noch keinen betriebsverfassungsrechtlichen Anspruch. Hierdurch unterscheidet sich der Fall maßgeblich von dem der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 09.09.2015 (7 ABR 69/13, aaO) zugrundeliegenden Sachverhalt, in dem der Arbeitgeber dem Betriebsratsmitglied in der Abmahnung gerade den Vorwurf einer Amtspflichtverletzung als Betriebsratsmitglied gemacht hatte.
19III.Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO (vgl. hierzu BAG 12.06.2018 - 9 AZB 9/18, juris, Rn. 12 ff.).
20Ein gesetzlicher Grund für die Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 48 Abs. 1 ArbGG, § 17a Abs. 4 Satz 5 GVG besteht nicht. Den Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts vom 04.12.2013 (7 ABR 7/12) und 09.09.2015 (7 ABR 69/13, beide juris) lag zugrunde, dass nach dem Tatsachenvortrag des antragstellenden Betriebsratsmitglieds jeweils kollektiv oder individualrechtliche Anspruchsgrundlagen in Frage kamen. Dies ist im vorliegenden Fall, wie dargelegt, nicht gegeben.
21IV.Die Wertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 GKG. Der Wert beträgt ein Drittel des Hauptsachestreitwerts (BAG 12.06.2018 - 9 AZB 9/18, juris, Rn. 18). Gemäß der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammer und den Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Arbeitsgerichtsbarkeit wurde für den Antrag auf Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte ein Bruttomonatsentgelt des Antragstellers zugrunde gelegt. In Ermangelung konkreter Angaben hierzu hat die Beschwerdekammer ein Bruttomonatsentgelt mit 3.000,00 € in Ansatz gebracht und hiervon ausgehend den Wert des Beschwerdeverfahrens auf 1.000,00 € festgesetzt.
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