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§ 276 Abs. 2 Satz 1 und 3 SGB V, nach denen der Medizinische Dienst unter bestimmten Voraussetzungen Sozialdaten erheben, speichern, nutzen und verarbeiten darf, genügen den Anforderungen des Art. 6 Abs. 3 Satz 2, 2. Alt und Satz 4 DS-GVO
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
3. Der Streitwert wird auf 20.000,00 Euro festgesetzt.
T a t b e s t a n d:
2Die Parteien streiten darüber, ob der Beklagte verpflichtet ist, an den Kläger eine Entschädigung zu zahlen.
3Der Kläger ist seit rund 28 Jahren bei dem Beklagten, dem N. mit rund eintausend Beschäftigten, tätig, zuletzt als Systemadministrator und im so genannten „Helpdesk“. Er ist seit November 2017 ununterbrochen arbeitsunfähig erkrankt.
4Am 6. Juni 2018 beauftragte die Krankenkasse des Klägers zur Beseitigung von Zweifeln an dessen Arbeitsunfähigkeit eine gutachtliche Stellungnahme des Beklagten als Medizinischer Dienst. Der Auftrag wurde durch den zuständigen Sachbearbeiter unmittelbar dem sog. geschützten Bereich zugeordnet. Auf diesen Bereich haben nur wenige ausgewählte Beschäftigte des Beklagten Zugriff, darunter Beschäftigte aus dem IT-Bereich. Im Zuge der Erstellung der gutachtlichen Stellungnahme rief die ebenfalls diesem Bereich zugeordnete Mitarbeiterin des Beklagten E., die Ärztin und auf das Sozialgeheimnis verpflichtet ist, am 21. Juni 2018 den behandelnden Arzt des Klägers an und bat ihn um Auskunft zwecks Verifizierung der Arbeitsunfähigkeit des Klägers. Darüber informierte der behandelnde Arzt anschließend den Kläger. Die gutachtliche Stellungnahme vom 22. Juni 2018 gelangte zu dem Ergebnis, der Kläger sei aus medizinischer Sicht auf Zeit arbeitsunfähig. Wegen ihrer Einzelheiten wird auf die Anlagen zum Schriftsatz des Klägers vom 7. Januar 2019 (Bl. 89 f. d.A.) verwiesen. Von den im Zuge der Erstellung der gutachtlichen Stellungnahme erhobenen Daten erlangten Personen, die bei dem Beklagten Personalentscheidungen treffen oder daran mitwirken, keine Kenntnis und erhielten darauf auch keinen Zugriff.
5Mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 15. August 2018 forderte der Kläger den Beklagten zur Zahlung einer Entschädigung iHv. 20.000,00 Euro auf. Dies lehnte der Beklagte mit Schreiben vom 3. September 2018 ab. Wegen der Einzelheiten dieser Schreiben wird auf die Anlagen zur Klageschrift vom 28. September 2019 (Bl. 7 f. und Bl. 10 f. d.A.) verwiesen.
6Mit seiner am 17. Oktober 2018 bei Gericht eingegangen Klage verfolgt der Kläger den geltend gemachten Anspruch weiter. Er ist der Ansicht, er können diesen auf Art. 82 Abs. 1 der Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO) und § 823 Abs. 1 BGB iVm. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG stützen. Der Beklagte habe sein Persönlichkeitsrecht schwerwiegend verletzt. Als sein Arbeitgeber habe er nicht Aufgaben des Medizinischen Dienstes im Zusammenhang mit seiner Begutachtung wahrnehmen und sich Gesundheitsdaten von ihm verschaffen dürfen. Auch habe er unzureichende Vorkehrungen zum Schutz seiner Gesundheitsdaten getroffen. Bereits die telefonische Anfrage durch Frau E. zeuge von einer fehlenden Rücksichtnahme auf seine schutzwürdigen Interessen. Es handle sich um eine Kollegin, mit der er immer mal zu tun gehabt habe. Diese dürfe nicht ohne seine vorherige Einwilligung mit seinem behandelnden Arzt Kontakt aufnehmen. Auch habe die Kontaktaufnahme im sog. „Umschlagverfahren“, also schriftlich erfolgen müssen. Die telefonische Anfrage lasse zudem Raum dafür, mehr in Erfahrung zu bringen als bei einer schriftlichen Anfrage, und auf ein vorsätzliches Vorgehen des Beklagten schließen. Die erhobenen Gesundheitsdaten hätten auch überhaupt erst dem geschützten Bereich zugeordnet werden müssen. Auch im Anschluss hätten rund 30 Mitarbeiter des Beklagten, die ‑ wie er selbst ‑ diesem Bereich zugeordnet seien, darunter zehn unmittelbare Kollegen, auf diese Daten und die erstellte gutachtliche Stellungnahme ohne weiteres Zugriff gehabt. Bereits deren bloße Einsehbarkeit stelle eine schwerwiegende Persönlichkeitsrechtsverletzung dar. Erschwerend komme hinzu, dass er psychisch erkrankt sei. Die Verbreitung einer solchen Erkrankung innerhalb der Belegschaft sei eine ganz erhebliche Belastung.
7Der Kläger beantragt,
8den Beklagten zu verurteilen, ihm eine Entschädigung nach billigem Ermessen des Gerichts, mindestens jedoch 20.000,00 Euro zu zahlen.
9Der Beklagte beantragt,
10die Klage abzuweisen.
11Er ist der Ansicht, er habe auch im Fall des Klägers seinen gesetzlichen Aufgaben als Medizinischer Dienst nachkommen dürfen.
12Nach Schluss der mündlichen Verhandlung vom 18. Januar .2019 hat der Kläger die Klage mit am 12. Februar 2019 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz vom 30. Januar 2019 erweitert und beantragt, festzustellen dass der Beklagte verpflichtet ist, ihm den materiellen Schaden zu ersetzen, der ihm aus der mit der Klage geltend gemachten Verletzung seines Persönlichkeitsrechts entstanden ist und/oder entstehen wird. Die Kammer hat diesen Schriftsatz am 22. Februar 2019 in vollständiger Besetzung beraten.
13Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und das Ergebnis der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
14E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
15A.
16Die Kammer konnte ohne Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung allein über die Klage entscheiden.
17I.
18Die mündliche Verhandlung ist nicht wiederzueröffnen.
191. Gründe für die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung nach § 156 Abs. 2 ZPO sind nicht gegeben.
202. Die Kammer ordnet die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung auch nicht in Ausübung des ihr nach § 156 Abs. 2 ZPO zustehenden Ermessens an.
21a) Für diese Ermessensentscheidung ist abzuwägen, welche Gründe für eine weitere Sachverhaltsaufklärung und welche Gründe für den sofortigen Abschluss des Rechtsstreits sprechen (BGH 7. April 2016 – I ZR 168/15 – Rn. 12). Dabei muss die Konzentrationsmaxime mit ihrem Ziel eines schnellen Abschlusses der Instanz bedacht werden. Auf der anderen Seite ist in die Abwägung einzustellen, dass ein nachfolgendes Rechtsbehelfsverfahren vermieden werden kann, das erst recht zur Verfahrensverzögerung führt (BAG 6. September 2007 – 2 AZR 264/06 – Rn. 52).
22b) Danach überwiegen aufgrund der Konzentrationsmaxime die Gründe für einen sofortigen Abschluss des Rechtsstreits.
23aa) Einer weiteren Sachverhaltsaufklärung bedarf es nicht. Die Klage war bei Schluss der mündlichen Verhandlung entscheidungsreif. Der Schriftsatz des Klägers vom 30. Januar 2019 enthält auch kein neues entscheidungserhebliches Vorbringen. Der Kläger unterstellt darin eine „Verletzung des Persönlichkeitsrechts“ und befasst sich allein mit deren möglichen Folgen für die Fortdauer seiner Arbeitsunfähigkeit.
24bb) Die Klageerweiterung ist kein Anlass zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung. Wie sich aus § 256 Abs. 2, § 261 Abs. 2, § 297 ZPO ergibt, ist eine Klageerweiterung durch einen nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingereichten Schriftsatz unzulässig, weil Sachanträge spätestens in der letzten mündlichen Verhandlung gestellt werden müssen (BGH 7. November 2017 – XI ZR 529/17 – Rn. 6; 19. März 2009 – IX ZB 1152/08 – Rn. 8). In aller Regel ist die mündliche Verhandlung daher nicht wiederzueröffnen, weil und obwohl nachträglich eine Klageerweiterung eingereicht wird. Das Gebot der Wahrung des Rechtsfriedens und der Rechtssicherheit erfordert, dass jeder Prozess einmal ein Ende findet (vgl. BAG 6. September 2007 – 2 AZR 264/06 – Rn. 52; Stein/Jonas/Roth ZPO 22. Aufl. § 156 ZPO Rn. 13 f.). Gründe für ein Abweichen von dieser Regel liegen im Streitfall nicht vor. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass es dem Kläger nicht möglich war, die Klageerweiterung in der Zeit zwischen dem Klageeingang am 17. Oktober 2018 und dem Schluss der mündlichen Verhandlung vom 18. Januar 2019 zu stellen. In Anbetracht der rund viermonatigen Verfahrensdauer beruhte dieser Umstand letztlich vielmehr im Wesentlichen auf seiner eigenen Nachlässigkeit (vgl. dazu BGH 11. Januar 2007 – IX ZR 31/05 – Rn. 18, BGHZ 170, 276).
25cc) Es auch nicht erkennbar, dass durch die Berücksichtigung des Schriftsatzes des Klägers vom 30. Januar 2019 ein Rechtsbehelfsverfahren – etwa durch eine gütliche Beilegung des Rechtsstreits – vermieden werden kann. Auf Vorschläge der Kammer für eine gütliche Einigung in der mündlichen Verhandlung vom 18. Januar 2019 ist der Kläger trotz einer ihm eingeräumten Frist – auch in seinem Schriftsatz vom 30. Januar 2019 – mit keinem Wort eingegangen.
26II.
27Die Kammer musste nur eine Entscheidung über die Klage, nicht aber über die Klageerweiterung treffen. Mangels einer Antragstellung in mündlicher Verhandlung darf über eine – wie hier – nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingereichte Klageerweiterung nicht entschieden werden (BGH 7. November 2017 – XI ZR 529/17 – Rn. 7; 19. März 2009 – IX ZB 1152/08 – Rn. 9).
28B.
29I.
30Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
311. Die auf Zahlung einer Entschädigung gerichtete Klage ist zulässig, insbesondere ist der Klageantrag hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Der Kläger durfte die Höhe der von ihm begehrten Entschädigung in das Ermessen des Gerichts stellen. Bei einem Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB iVm. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG steht dem Gericht bei der Höhe der Entschädigung ein Beurteilungsspielraum zu, weshalb eine Bezifferung des Zahlungsantrags nicht notwendig ist. Erforderlich ist allein, dass der Kläger Tatsachen, die das Gericht bei der Bestimmung des Betrags heranziehen soll, benennt und die Größenordnung der geltend gemachten Forderung angibt (vgl. BAG 23. November 2017 ‑ 8 AZR 604/16 ‑ Rn. 15; BGH 25. August 2016‑ 2 StR 585/15 ‑ Rn. 11). Für die Klage auf Ersatz immateriellen Schadens nach Art. 82 Abs. 1 DS-GVO gilt nichts anderes (vgl. Sydow/Kreße DS-GVO 2. Aufl. Art. 82 Rn. 6; BeckOK DatenschutzR/Quaas Stand 1. Mai 2017 Art. 82 DS-GVO Rn. 31). Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Der Kläger hat einen Sachverhalt dargelegt, der dem Gericht die Bestimmung einer Entschädigung ermöglicht, und den Mindestbetrag der angemessenen Entschädigung mit 20.000,00 Euro beziffert.
322. Die Klage ist aber unbegründet. Der Kläger hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung.
33a) Der Kläger kann von der Beklagten nicht den Ersatz immateriellen Schadens nach Art. 82 Abs. 1 DS-GVO verlangen. Danach hat jede Person, der wegen eines Verstoßes gegen die DS-GVO ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden ist, Anspruch auf Schadenersatz gegen den Verantwortlichen (Art. 4 Nr. 7 DS-GVO) oder gegen den Auftragsverarbeiter (Art. 4 Nr. 8 DS-GVO). Der Beklagte hat nicht als Verantwortlicher gegen die DS-GVO verstoßen. Die Verarbeitung (Art. 4 Nr. 2 DS-GVO) der personenbezogenen Daten (Art. 4 Nr. 1 DS-GVO) des Klägers war rechtmäßig.
34aa) Nach Art. 6 Abs. 1 Buchst. c DS-GVO ist die Verarbeitung personenbezogener Daten rechtmäßig, wenn sie zur Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung erforderlich ist, der der Verantwortliche unterliegt. Nach Art. 6 Abs. 2 DS-GVO können die Mitgliedstaaten in Bezug auf die Verarbeitung zur Erfüllung von Art. 6 Abs. 1 Buchst. c DS-GVO spezifischere Bestimmungen zur Anpassung der Anwendung der Vorschriften der DS-GVO beibehalten oder einführen, indem sie spezifische Anforderungen für die Verarbeitung sowie sonstige Maßnahmen präziser bestimmen, um eine rechtmäßig und nach Treu und Glauben erfolgende Verarbeitung zu gewährleisten, einschließlich für andere besondere Verarbeitungssituationen gemäß Kapitel IX DS-GVO. Die Rechtsgrundlage für die Verarbeitungen gemäß Art. 6 Abs. 1 Buchst. c DS-GVO wird dementsprechend auch durch das Recht der Mitgliedstaaten, dem der Verantwortliche unterliegt, festgelegt (Art. 6 Abs. 3 Satz 1 Buchst. b DS-GVO). In dieser Rechtsgrundlage muss der Zweck der Verarbeitung festgelegt sein (Art. 6 Abs. 3 Satz 2 Alt. 2 DS-GVO). Sie kann zudem spezifische Bestimmungen zur Anpassung der Anwendung der Vorschriften der DS-GVO enthalten, unter anderem Bestimmungen darüber, welche allgemeinen Bedingungen für die Regelung der Rechtmäßigkeit der Verarbeitung durch den Verantwortlichen gelten, welche Arten von Daten verarbeitet werden, welche Personen betroffen sind, an welche Einrichtungen und für welche Zwecke die personenbezogenen Daten offengelegt werden dürfen, welcher Zweckbindung sie unterliegen, wie lange sie gespeichert werden dürfen und welche Verarbeitungsvorgänge und -verfahren angewandt werden dürfen, einschließlich Maßnahmen zur Gewährleistung einer rechtmäßig und nach Treu und Glauben erfolgenden Verarbeitung, wie solche für sonstige besondere Verarbeitungssituationen gemäß Kapitel IX DS-GVO (Art. 6 Abs. 3 Satz 3 DS-GVO). Das Recht der Mitgliedstaaten muss dabei ein im öffentlichen Interesse liegendes Ziel verfolgen und in einem angemessenen Verhältnis zu dem verfolgten legitimen Zweck stehen (Art. 6 Abs. 3 Satz 4 Alt. 2 DS-GVO).
35bb) Die Verarbeitung der personenbezogenen Daten des Klägers war zur Erfüllung der rechtlichen Verpflichtung des Beklagten nach § 275 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b und Abs. 1a Satz 2 SGB V erforderlich.
36(1) Nach § 275 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b SGB V sind die Krankenkassen in den gesetzlich bestimmten Fällen oder wenn es nach Art, Schwere, Dauer oder Häufigkeit der Erkrankung oder nach dem Krankheitsverlauf erforderlich ist, verpflichtet, bei Arbeitsunfähigkeit zur Beseitigung von Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit eine gutachtliche Stellungnahme des Medizinischen Dienstes einzuholen. Die Prüfung hat nach § 275 Abs. 1a Satz 2 SGB V unverzüglich nach Vorlage der ärztlichen Feststellung über die Arbeitsunfähigkeit zu erfolgen.
37(2) Die Verarbeitung der personenbezogenen Daten des Klägers war erforderlich, um nach Beauftragung durch die Krankenkasse des Klägers am 6. Juni 2018 zur Beseitigung von Zweifeln an dessen Arbeitsunfähigkeit eine gutachtliche Stellungnahme des Beklagten als Medizinischer Dienst zu erstellen. Darüber besteht zwischen den Parteien kein Streit.
38cc) Die Rechtsgrundlage für die Verarbeitung der personenbezogenen Daten des Klägers ist in § 276 Abs. 2 Satz 1 und Satz 3 SGB V festgelegt.
39(1) Der Medizinische Dienst darf nach § 276 Abs. 2 Satz 1 SGB V Sozialdaten erheben und speichern sowie einem anderen Medizinischen Dienst übermitteln, soweit dies für die Prüfungen, Beratungen und gutachtlichen Stellungnahmen nach § 275 SGB V erforderlich ist. Die rechtmäßig erhobenen und gespeicherten Sozialdaten dürfen nach § 276 Abs. 2 Satz 3 SGB V nur für die in § 275 SGB V genannten Zwecke verarbeitet oder genutzt werden, für andere Zwecke, soweit dies durch Rechtsvorschriften des Sozialgesetzbuchs angeordnet oder erlaubt ist. Sozialdaten sind nach § 67 Abs. 2 Satz 1 SGB X personenbezogene Daten (Art. 4 Nr. 1 DS-GVO), die von einer in § 35 SGB I genannten Stelle im Hinblick auf ihre Aufgaben nach diesem Gesetzbuch verarbeitet werden. Zu den in § 35 SGB I genannten Stellen gehört auch der Medizinische Dienst als Arbeitsgemeinschaft der Leistungsträger iSv. § 35 Abs. 1 Satz 4 SGB I (§ 278 Abs. 1 Satz 1 SGB V). Personenbezogene Daten sind nach Art. 4 Nr. 1 Halbs. 1 DS-GVO alle Informationen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person beziehen.
40(2) § 276 Abs. 2 Satz 1 und 3 SGB V genügen den Anforderungen des Art. 6 Abs. 3 Satz 2 Alt. 2 und Satz 4 DS-GVO. Sie legen mit den Prüfungen, Beratungen und gutachtlichen Stellungnahmen nach § 275 SGB V den Zweck der Verarbeitung fest. Dabei handelt es sich um ein im öffentlichen Interesse liegendes Ziel. Die Vorschriften stehen auch in einem angemessenen Verhältnis zu diesem Zweck. Sie erlauben die Erhebung und Speicherung personenbezogener Daten nur, soweit dies für diesen Zweck erforderlich ist, und die Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten nur bei rechtmäßiger Erhebung und Speicherung für die in § 275 SGB V genannten Zwecke oder für andere Zwecke, soweit dies durch Rechtsvorschriften des Sozialgesetzbuchs angeordnet oder erlaubt ist.
41dd) Die Verarbeitung der personenbezogenen Daten des Klägers erfüllt auch die Voraussetzungen dieser Rechtsgrundlage.
42(1) Der Beklagte hat die personenbezogenen Daten des Klägers für eine gutachtliche Stellungnahme nach § 275 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b SGB V erhoben und gespeichert. Dafür war die Datenerhebung und -speicherung auch erforderlich (zu dem Begriff „erforderlich“ iSv. § 276 Abs. 1 Satz 1 SGB V jurisPK-SGB V/Strack 3. Aufl. § 276 Rn. 13). Ohne die Erhebung und Speicherung der Daten hätte die gutachterliche Stellungnahme nicht erstellt werden können. Darüber besteht zwischen den Parteien abermals kein Streit.
43(2) Die personenbezogenen Daten des Klägers sind auch rechtmäßig erhoben und gespeichert worden.
44(a) Der Beklagte durfte die personenbezogenen Daten erheben und speichern, obwohl er Arbeitgeber des Klägers ist. Dies folgt im Umkehrschluss aus § 35 Abs. 1 Satz 3 SGB I. Danach dürfen Sozialdaten der Beschäftigten und ihrer Angehörigen Personen, die Personalentscheidungen treffen oder daran mitwirken können, weder zugänglich sein noch von Zugriffsberechtigten weitergegeben werden. Diese Verpflichtung setzt voraus, dass Sozialdaten der Beschäftigten überhaupt erhoben und gespeichert werden dürfen.
45(b) Personenbezogene Daten des Klägers durften auch durch Frau Dr. I. telefonisch bei dessen behandelnden Arzt erhoben werden.
46(aa) Die telefonische Kontaktaufnahme durch Frau Dr. I. setzte nicht die vorherige Einwilligung des Klägers voraus. Nach Art. 6 Abs. 1 Buchst. b bis Buchst. f. DS-GVO ist die Verarbeitung personenbezogener Daten ohne Einwilligung der betroffenen Person rechtmäßig. Gegenteiliges folgt auch nicht aus dem Umstand, dass Frau E. eine Kollegin des Klägers ist. Als Beschäftigte des Medizinischen Dienstes ist sie verpflichtet, das Sozialgeheimnis nach § 35 Abs. 1 Satz 1 SGB I zu wahren. Als Ärztin traf sie überdies die ärztliche Schweigepflicht. Sie bleibt durch das Sozialgeheimnis nach § 35 Abs. 2a SGB I unberührt (vgl. BT-Drs. 18/12611 S. 97).
47(bb) Frau Dr. I. durfte auch unmittelbar zu dem behandelnden Arzt des Klägers Kontakt aufnehmen. Dies folgt aus § 276 Abs. 2 Satz 2 SGB V. Haben die Krankenkassen oder der Medizinische Dienst für eine gutachtliche Stellungnahme oder Prüfung nach § 275 Abs. 1 bis Abs. 3 SGB V erforderliche versichertenbezogene Daten bei den Leistungserbringern angefordert, so sind die Leistungserbringer nach dieser Vorschrift verpflichtet, diese Daten unmittelbar an den Medizinischen Dienst zu übermitteln.
48(cc) Frau Dr. I. musste auch nicht schriftlich zu dem behandelnden Arzt des Klägers Kontakt aufnehmen. Insbesondere musste die Kontaktaufnahme nicht im sog. „Umschlagverfahren“ erfolgen. Nach diesem Verfahren wurden angeforderte Unterlagen in einem verschlossenen Umschlag mit dem Hinweis, dass die Unterlagen nur für den Medizinischen Dienst bestimmt sind, an die Krankenkasse gesandt und diese leitete den verschlossenen Umschlag dann an den Medizinischen Dienst weiter. Nach § 276 Abs. 2 Satz 2 SGB V muss der Leistungserbringer Daten hingegen unmittelbar an den Medizinischen Dienst übermitteln. Damit hat der Gesetzgeber Bedenken des Bundesbeauftragten für den Datenschutz hinsichtlich des sog. „Umschlagverfahrens“ Rechnung getragen (vgl. BT-Drs, 18/5372 S. 98). Gegenteiliges folgt auch nicht aus § 62 Abs. 2 Satz 2 und Satz 3 Bundesmantelvertrag ‑ Ärzte vom 21. August 2013 idF vom 5. Dezember 2017. Danach stellt die Krankenkasse den Vertragsärzten für die Übermittlung der versichertenbezogen Daten an den Medizinischen Dienst einen vollständig vorausgefüllten Weiterleitungsbogen und für den Versand der Unterlagen an den Medizinischen Dienst einen Freiumschlag zur Verfügung. Eine Übermittlung auf diesem Wege wird dadurch weder dem Medizinischen Dienst noch den Vertragsärzten vorgeschrieben.
49(dd) Soweit der Kläger geltend macht, die telefonische Anfrage lasse Raum dafür, mehr in Erfahrung zu bringen als bei einer schriftlichen Anfrage, handelt es sich um eine bloße Spekulation. Frau Dr. I. bat den behandelnden Arzt des Klägers um Auskunft zwecks Verifizierung der Arbeitsunfähigkeit. Dass sie von ihm personenbezogene Daten für andere als in § 275 SGB V genannte Zwecke erhoben hat, ist weder vorgetragen noch bestehen dafür sonstige tatsächliche Anhaltspunkte. Überdies lässt der Kläger auch vollkommen unberücksichtigt, dass der Medizinische Dienst nach § 276 Abs. 2 Satz 2 SGB V nur die für eine gutachtliche Stellungnahme oder Prüfung nach § 275 Abs. 1 bis Abs. 3 SGB V erforderlichen versichertenbezogenen Daten bei dem Leistungserbringer anfordern darf und der Leistungserbringer auch nur diese Daten unmittelbar an den Medizinischen Dienst übermitteln muss und im Übrigen der ärztlichen Schweigepflicht unterliegt.
50(3) Die rechtmäßig erhobenen und gespeicherten personenbezogenen Daten des Klägers sind auch nur für die in § 275 SGB V genannten Zwecke verarbeitet oder genutzt worden. Sie sind zur Erstellung der gutachtlichen Stellungnahme vom 22. Juni 2018 verwandt worden. Darüber besteht zwischen den Parteien abermals kein Streit.
51(4) Die Verarbeitung der personenbezogenen Daten des Klägers genügt schließlich auch der spezifischen Bestimmung des § 276 Abs. 2 Satz 7 SGB V.
52(a) Nach dieser Vorschrift ist durch technische und organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass die Sozialdaten nur den Personen zugänglich sind, die sie zur Erfüllung ihrer Aufgaben benötige. Diese Verpflichtung verlangt eine mitarbeiterbezogene Betrachtung (vgl. Lilge/Lilge SGB I 4. Aufl. § 35 Rn. 136; Krauskopf/Pewestorf SozKV Stand Oktober 2018 § 97 SGB XI Rn. 32). § 35 Abs. 1 Satz 3 SGB I bestimmt ‑ als konkrete Ausgestaltung dieser Verpflichtung (vgl. BeckOK SozR/Gutzler Stand 1. Dezember 2018 § 35 SGB I Rn. 33) ‑ ergänzend, dass die Sozialdaten der Beschäftigten und ihrer Angehörigen Personen, die Personalentscheidungen treffen oder daran mitwirken können, weder zugänglich sein noch von Zugriffsberechtigten weitergegeben werden, dürfen.
53(b) Die personenbezogenen Daten des Klägers waren nur Personen zugänglich, die sie zur Erfüllung ihrer Aufgaben benötigten. Der Auftrag der Krankenkasse für eine gutachtliche Stellungnahme zur Beseitigung von Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit des Klägers wurde von dem zuständigen Sachbearbeiter unmittelbar dem sog. geschützten Bereich zugeordnet. Auf diesen Bereich haben nur wenige ausgewählte Beschäftigte des Beklagten Zugriff. Die gutachtliche Stellungnahme erstellte sodann Frau Dr. I., die ebenfalls diesem Bereich zugeordnet war. Dass diesem Bereich auch Beschäftigte aus dem IT-Bereich zugeordnet waren, bei denen es sich um unmittelbare Kollegen des Klägers handelt, und dass diese möglicherweise ohne weiteres auf die gutachtliche Stellungnahme Zugriff hatten, führt zu keinem anderen Ergebnis. Zum einen war ein Zugriff auf diesen Daten im geschützten Bereich nach dem eigenen Sachvortrag des Klägers im Kammertermin vom 18.1.2019 zur Erfüllung ihrer Aufgaben grundsätzlich erforderlich. Zum anderen unterliegen auch sie dem Sozialgeheimnis nach § 35 Abs. 1 Satz 1 SGB I. Von dem im Zuge der Erstellung der gutachtlichen Stellungnahme erhobenen Daten erlangten überdies auch keine Personen, die bei dem Beklagten Personalentscheidungen treffen oder daran mitwirken, Kenntnis oder hatten Zugriff darauf. Soweit der Kläger schließlich vorbringt, die Verbreitung einer psychischen Erkrankung innerhalb der Belegschaft sei eine ganz erhebliche Belastung, mutmaßt er in diesem Zusammenhang abermals nur, dass seine eigene Erkrankung innerhalb der Belegschaft des Beklagten verbreitet werden könnte, ohne jegliche Anhaltspunkte für deren tatsächliche Verbreitung aufzuzeigen.
54b) Der Beklagte schuldet dem Kläger die begehrte Entschädigung auch nicht wegen einer Verletzung dessen allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus § 823 Abs. 1 BGB iVm. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG. Dabei kann dahinstehen, ob dieser Anspruch überhaupt neben einem Anspruch auf Ersatz immateriellen Schadens nach Art. 82 Abs. 1 DS-GVO besteht (bejahend Gola/Gola/Piltz DS-GVO 2. Aufl. Art. 82 Rn. 25; BeckOK DatenschutzR/Quaas Stand 1. Mai 2017 Art. 82 DS-GVO Rn. 11). Er setzt nämlich jedenfalls einen rechtswidrigen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers voraus (vgl. nur BAG 19. Februar 2015 ‑ 8 AZR 1007/13 ‑ Rn. 13 ff.). Daran fehlt es. Die Verarbeitung seiner personenbezogenen Daten verstieß nicht gegen die DS-GVO.
55II.
56Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 ZPO.
57III.
58Die nach § 61 Abs. 1 ArbGG erforderliche Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 3 Halbs. 1, 4 Abs. 1 Halbs. 1 ZPO. Die Kammer hat den Klageantrag mit dem Mindestbetrag der begehrten Entschädigung bewertet.